11. Kapitel Allzu ausgedehnte Stellungen
Nichts fühlt mehr in Versuchung als die zu weitläufigen Stellungen. Sie sind an sich zwar vorzüglich, aber zu ihrer vollen Besetzung und Verteidigung erfordern sie eine Armee von 80 000 Mann, und Ihr habt nur 40 000. In solchen Fällen darf man nie vergessen, daß ein Gelände an sich nichts vorstellt, sondern daß es die Menschen sind, die es verteidigen. Das Klügste, was man tun kann, ist, sich rechts oder links, vorwärts oder rückwärts davon eine andre Stellung zu suchen, die Euren Kräften besser entspricht und die Ihr daher halten könnt. Denn je mehr Ihr Euch ausdehnt, desto mehr schwächt Ihr Euch, und der Feind kann mit einem einzigen Vorstoß siegen. Gestattet ein zu großes Gelände jedoch, es zu teilen und nur ein Stück davon zu verteidigen, wo Eure Truppen dicht beisammen bleiben, so ist das gutzuheißen. Allein man muß sich dann verschanzen, Redouten anlegen und sich zu Erdarbeiten entschließen, ja manche Stellen verpalisadieren.
Am besten sind stets die Lager, zu deren Besetzung Ihr weniger Truppen braucht, als Ihr habt. Dann könnt Ihr zwei Treffen mit guter Reserve aufstellen und verzweifelten Widerstand leisten.
Gleichwohl lassen sich weite Landstriche verteidigen, namentlich im Gebirge. Ihr besetzt dann nur die Kuppen und einige Kämme der Berge mit ein paar Bataillonen und könnt Euch weit ausdehnen, zumal wenn die Zugänge zu den Bergen sehr stell sind. So läßt sich die Stellung bei Freiberg142-2 gut verteidigen. Die Mulde deckt sie. Sie hat felsige Ufer und ist nur auf drei Steinbrücken überschreitbar. Da Ihr auf den<143> Höhen steht, so braucht Ihr nur 3 Bataillone hinter jeder Brücke sich verschanzen zu lassen und die Front der Armee jenseits Freiberg gegen Brand zu richten, wo sie sich gleichfalls verschanzt, und den rechten Flügel hinter dem Galgen an Freibergsdorf anzulehnen. Dadurch haltet Ihr Eure Verbindung mit Schlettau offen.
Im Jahre 1759 verteidigte ich mit 30 000 Mann ein Gebiet von zwei Meilen in Schlesien, nämlich von Köben bis herrnstadt143-1. Freilich hatte ich die Bartsch vor mir, die zwischen Morästen fließt, und alle Übergänge waren von verschanzten Brigaden besetzt und verteidigt, die so vorteilhaft aufgestellt waren, daß auch 100 000 Mann sie nicht hätten zurückschlagen können143-2. Im Jahre 1758 verteidigten die Österreicher ebenso die Elbufer von Königgrätz bis Arnau143-3. Solche Beispiele zeigen, daß man alles, was man tun will, wohl erwägen und, bevor man handelt, nachdenken muß.
Man darf also nie eine Stellung einnehmen, ohne die Örtlichkeit genau zu kennen und ihre Vor- und Nachteile zu wissen. Nächstdem muß man in jedem Lager die Verteidigungsdisposition entwerfen und sie den Offizieren, die sie ausführen sollen, mitteilen; denn die Gedanken ihres Führers können sie nicht erraten. Sind sie aber gehörig instruiert, so kann man sie streng bestrafen, wenn sie die gegebenen Befehle nicht buchstäblich ausführen.
Erläuterungen zu Plan 5 (umstehend)
Ich gebe diesen Plan als Beispiel eines weitläufigen Geländes, das mit wenig Truppen zu halten ist. Von Köben bis Herrnstadt sind zwei Meilen, und ich hatte keine 30 000 Mann. Trotzdem mußte ich die ganze Front der Bartsch bis Herrnstadt halten. Ich machte folgendes. Ich lehnte meine linle bei A an die Oder und benutzte den starken Oderdamm als Verschanzung. Das Gros fand Aufstellung zwischen Köbnerheyde und Sophienthal hinter einem sumpfigen Walde, in dem ich gute Verhaue anlegen ließ. Das Dorf Schlaschwitz, von Sümpfen und Bachen umgeben, war mit starken Piketts besetzt. Hinter dem Defilee von Dahsau auf der Höhe L lagerte ein Detachement, sowohl zur Deckung meiner rechten Flanke, wie um dem Feinde rechtzeitig zuvorkommen zu können, da er mich über Herrnsiadt nicht umgehen konnte; schließlich auch, um Breslau und diesen ganzen Teil von Niederschlesien zu decken. Die Stellung westlich von Herrnstadt entschied alle unsre Operationen. Ich hatte dort nur 500 Husaren stehen, die mich von der geringsten feindlichen Bewegung des Feindes unterrichten sollten. Aus dieser Anordnung ersieht der Leser, daß meine Stellung bei Sophienthal unangreifbar war. Es stand mir also frei, mich nach rechts oder links zu wenden und dorthin zur Unterstützung zu rücken, wo der Feind hätte angreifen wollen.
Ich erreichte mein Ziel, nämlich dem Feind bei Herrnstadt zuvorzukommen, und zwang ihn dadurch, sich aus Wassermangel nach Polen zurückzuziehen. Denn die Bartsch lag im Schutz meines Infanteriefeuers, und da das Gelände nach Polen zu immerfort ansteigt, so fanden die Russen nirgends einen Fleck, wo sie ihre Pferde hätten tränken können.
Ich rate also allen, die ein weitläufiges Gelände verteidigen wollen, zuvor genau zu prüfen, ob es sich dazu eignet. Hier deckten mich die Bartschsümpft. Wer aber ein Gelände unbesonnen besetzt, das sich zu derartiger Verteidigung nicht eignet, würde vom Feinde streng gezüchtigt und, für seine Ungeschicklichkeit tüchtig geschlagen, wieder auf die Schulbank geschickt werden.
<144>5 Plan des Lagers bei Sophienthal
142-2 Vgl. Bd. IV, S. 25.
143-1 Vgl. Bd. IV, S. 21 f.
143-2 Siehe Plan 5.
143-3 Vgl. Bd. III, S. 134 ff.