38. Kapitel Der Verteidigungskrieg182-2
Eine wichtige Eigenschaft eines Heerführers ist, für den Feind unerforschlich zu sein und ihm alle geplanten Bewegungen zu verbergen. Das hängt teUs von der Geheimhaltung, teils von der Art ab, wie man seine Pläne einkleidet. Vollends notwendig wird diese Eigenschaft, wenn man ein schwächeres Korps als der Feind kommandiert. Die Franzosen nennen diese Art Verteidigungskrieg standhafte Kriegführung: Fuerre cje cnntenance. Sie besieht darin, daß man gelassen bleibt, dem Feind imponiert und durch allerlei Listen seinen Endzweck zu erreichen weiß, nämlich dem Feind die Stirn zu bieten, ohne geschlagen zu werden. Bewerkstelligt wird das durch Lager, die ein gutes Defilee vor sich haben und in denen man die Truppen perspektivisch lagern läßt, sodaß sie doppelt so stark erscheinen, als sie wirklich sind. Entweder läßt man einige Zelte an einem Waldrand entlang ausschlagen, oder man besetzt ein paar Hügelrücken, läßt aber die Talgründe leer. Von weitem sieht es dann so aus, als ob Ihr weit mehr Truppen hättet, als es tatsächlich der Fall ist. Ferner kann der Feind irregeführt werden durch Märsche, besonders in buschreichem Gelände, wo man ihm verschiedene Kolonnenspitzen zeigt, gleich als wollte man nach einer bestimmten Gegend marschieren, während man in Wirklichkeit anderswo hinrückt. Er<183> läßt sich dadurch täuschen und erwartet Euch an einer Stelle, wohin Ihr gar nicht marschieren wollt. Bei Rückzügen laßt Ihr Eure Lager am Tage vor der Nacht, wo Ihr abmarschieren wollt, befestigen. Bei Arrieregarden macht Ihr Miene, als wolltet Ihr hinter einem Defilee standhalten, verlaßt es dann aber plötzlich, sobald Ihr ein andres hinter Euch besetzt habt.
Kurz, ich fände kein Ende, wollte ich auf jede der verschiedenen Listen eingehen, die der Verteidigungskrieg liefert; einige Proben mögen genügen. Wer diese Art Kriegführung studieren will, findet im vorstehenden Abriß genug, um seine Einbildungskraft zu beleben. Dies Studium ist um so unentbehrlicher, als jeder Detachementsführer davon wenigstens einen rechten Begriff haben soll, und wäre es nur, um sich durch die Scheinmanöver des Feindes nicht irreführen zu lassen. Aber noch besser ist es, man versteht dergleichen selbst auszuführen; denn man hat es oft nötig.
Ich ermahne und bitte also meine Offiziere, sich mit all diesen Ideen vertraut zu machen. Ich habe den Stoff möglichst zusammengedrängt, damit die Grundregeln sich dem Gedächtnis leichter einprägen. Aber man muß sich auch im Gelände üben, Fertigkeit in seiner raschen und richtigen Beurteilung erlangen, stets die Regeln der Taktik vor Augen haben, selber Dispositionen entwerfen und sie nachher auf ihre Zuverlässigkeit prüfen, sei es für Märsche, Avant- und Arrieregarden, Lager, Angriffe und Verteidigungen. Man muß über den Verteidigungskrieg selber nachdenken und sich so im Frieden auf alles vorbereiten, damit man sich im Kriege hervortun kann. Wer seine Zeit derart anwendet, wird die köstlichsten Früchte ernten, sobald die Feindseligkeiten ausbrechen, und die Achtung aller Menschen erringen, ungerechnet die Ehre und den Ruhm, der ihm daraus erwächst.
182-2 Nach der Übersetzung von 1771. Im Original steht Guerre de¼ue,-re äe , d, h. standhafte Kriegführung,