III. Instruction für meine Artillerie337-1
(Mai 1782)
Die Vorbereitungen und die verschiedenen Bewegungen, die bei einer Bataille vorhergehen, dauern, ohngeachtet man den Feind schon in der Nähe und im Auge hat, öfters drei bis vier Stunden, je nachdem das Terrain beschaffen ist, darauf der Feind seine Position genommen, und nachdem die Hindernisse sind, die man zu übersteigen hat, ehe man aufmarschiren kann. Es ist aber jederzeit fehlerhaft und schädlich, wenn die Artillerie ihr Feuer schon anfängt, sobald sie nur den Feind sehen kann und ihn zu erreichen glaubt.
Weder der angreifende Theil noch der angegriffene haben von dergleichen Feuer was zu befürchten, weil es auf beiden Seiten fast ohne Wirkung ist. Der angegriffene Theil verschießt sein Pulver ohne Vortheil; der angreifende aber verliert nicht nur sein Pulver, sondern seine Evolutionen geschehen auch viel langsamer, und der Feind bekommt dadurch Zeit und Gelegenheit, unserm Angriffe Hindernisse in den Weg zu legen, wo nicht gar ihn zu vereiteln.
Diesen Fehler des zu frühen Feuers habe Ich fast immer an Meiner Artillerie bemerkt. Ich weiß zwar, daß das ungestüme Anhalten337-2 der Infanterie-Officiere und der zunächst stehenden Pelotons337-3 die Artillerie öfters zu diesem Fehler verleiten mag, und um sich bei der Infanterie zu insinuiren337-4, oder auch wohl um ihre Bravour zu zeigen, feuern Eure Officiere so lange fort, bis sie merken, daß ihre Schüsse bis auf die Hälfte verschossen, und aus Furcht, daß sie sich ganz verschießen möchten, nimmt ihr Feuer alsdann ab, wenn es just am heftigsten sein sollte.
Es geschieht aber auch wohl, daß selbst der commandirende General oder ein anderer General sich vergißt und zu früh zu feuern befiehlt, um nur seine Truppen zu betäuben, ohne daran zu denken, welche schädliche Folgen es haben kann. Als<338>dann muß der Officier zwar gehorchen, aber er muß so langsam als nur möglich feuern und alle Accuratesse beim Richten anwenden, damit nicht alle Schüsse verloren gehen. Bloß dann läßt sich dergleichen frühes Feuern entschuldigen, wenn der General die Absicht hat, die Aufmerksamkeit des Feindes auf die eine Seite zu lenken, um ihm verschiedene Bewegungen zu maskiren.
Sobald die Kanonen aber bis auf 600 bis 700 Schritt auf den Feind avancirt sind, alsdann müssen sie ein unaufhörliches Feuer machen und damit so lange continuiren, als sie dem Feinde ganz nahe sind; denn ein Schuß mit einer Paßkugel338-1 in einer so nahen Distance schlägt nicht nur durch alle Treffen durch, sondern das Geräusch der Kugeln selbst setzt schon die feindlichen Truppen in Furcht, und das Gewinsel von ihrer Wirkung verursacht weit mehr Schrecken als ein Kartätschenschuß in einer zu weiten Entfernung.
Selten wird ein Feind ein dergleichen wohl dirigirtes Feuer bis auf 100 oder 80 Schritt aushalten, und wenn er dennoch Stand halten sollte, dann muß ohne Aufhören mit Kartätschen geschossen werden, und wenige Minuten werden die Sache entscheiden.
Dies aber müßt Ihr338-2 Euren Officieren hauptsächlich einschärfen, daß sie nie weiter als auf 100 Schritt mit Kartätschen schießen, weil sich sonst die Kugeln zu sehr ausbreiten, sehr viele, ehe sie den Feind erreichen, auf der Erde liegen bleiben, viele über ihn weg stiegen, aber nur wenige ihm Schaden thun.
Wenn die feindliche Cavallerie attaquirt und in die Flanken oder sonst wo in die Linie einbrechen will, so muß mit den Kanonen nicht eher als höchstens 800 bis 900 Schritt mit Kugeln auf sie gefeuert werden; aber alsdann muß es doch auch mit aller nur möglichen Accuratesse und Geschwindigkeit geschehen.
Gemeiniglich schreiet der Officier und Bursche von der Infanterie der Artillerie zu, sobald sie eine Cavallerie gewahr werden, mit Kartätschen zu schießen, und die Artillerie thut es aus Gefälligkeit. Aber Eure Officiere müssen sich dadurch nicht irre machen lassen, sondern sie mit Paßkugeln so lange beschießen, bis sie glauben, daß sie noch so viel Zeit haben, mit Kartätschen zu schießen und ihr die erste Lage damit auf 50 bis 60 Schritt geben zu können.
Ihr müßt aber Eure Kanoniere vorher instruiren, daß sie auf das Commando des Officiers bei dieser Gelegenheit nicht die ganze Batterie auf einmal, sondern nur immer die Hälfte abfeuern, damit ein beständiges Feuer unterhalten werde, doch so, daß jederzeit eine Kanone die andere überspringt. Aber einzeln muß nicht geschossen werden, weil einzelne Schüsse sie nicht so leicht in Unordnung bringen und ihren Marsch aufhalten.
Ein Officier, der bei dergleichen Gelegenheiten sich nur nicht aus seiner Fassung bringen läßt, wird nie ngquiren, sein Geschütz zu verlieren, noch befürchten dürfen,<339> daß die Cavallerie ihren Zweck erreichen wird. Keine Cavallerie wird in Carriere mehr als 200 Schritt in einer Minute geschlossen zurücklegen, und wenn man annimmt, daß sie nur von 800 Schritt an beschossen wird, eine Kanone aber in einer Minute nur 4 Schüsse thut, so erhält sie von einer Batterie von 10 Kanonen wenigstens 140 bis 150 Schüsse mit Paßkugeln, ehe sie mit Kartätschen beschossen wird, weil sie nicht gleich en carrière attaquirt, sondern sich erstlich in Trott, dann in Galopp und zuletzt in Carriere setzt, und wenn Ihr Eure Schüsse gut anbringt, dann wird ihr gewiß die Lust vergehen, Euch bis auf 50 Schritt nahe zu kommen, um sich noch mit Kartätschen beschießen zu lassen.
Vorzüglich recommandire Ich Euren Officieren, bei dergleichen Vorfällen Présence d'esprit339-1 zu behalten. Dann werden sie nicht leichtlich risquiren, ihr Geschütz im Stich zu lassen, noch, aus allzu großer Besorgniß solches zu verlieren, nöthig haben, sich allzu früh zurück zu ziehen und die Infanterie ohne Unterstützung zu lassen und solche gleichfalls zum Rückzug zu zwingen.
Noch zweier Hauptfehler muß Ich erwähnen, die fast durchgehends alle Artillerien begehen:
1. daß sie ihr Feuer hauptsächlich auf die entgegengesetzte Artillerie richten und diese zum Stillschweigen bringen wollen, und
2. daß sie ihr Geschütz auf die größten Anhöhen zu placiren suchen, die nur auf dem Champ de battaile339-2 anzutreffen sind, um desto weiter schießen zu wollen.
Aber beides sind schädliche Vorurtheile, wovon Ihr just das Gegentheil thun müßt.
In Ansehung des ersteren Fehlers, so müßt Ihr Eure ganze Aufmerksamkeit und Euer ganzes Feuer bloß dahin richten, die Linien der feindlichen Infanterie zu trennen, sie in Unordnung zu bringen, ihren Marsch aufzuhalten und zu verhindern, daß ihre Bewegungen mit Ordnung geschehen. Sobald Ihr diesen Zweck erreicht habt, so wird die Infanterie auch bald geschlagen sein, und das feindliche Geschütz wird von selbst schweigen und Euch in die Hände fallen.
Was das zweite Vorurtheil betrifft, das Geschütz auf Anhöhen zu placiren, um weiter schießen zu können, so sieht ein jeder leicht ein, daß es nicht auf die Weite des Schusses bloß, sondern auf seine Wirkung ankommt. Wenn ein dergleichen Schuß auch wirklich in die feindliche Linie schlägt, so wird doch sein Effect wegen seiner schiefen Richtung nicht sonderlich groß sein, und die andern Treffen haben nichts von ihm zu befürchten. Schlägt er aber vor ihr auf, so wird bei lockerem Erdreiche die Kugel in der Erde stecken bleiben, bei festem aber mit einem Bogen über alle Linien weggehen.
Findet Ihr aber wegen des Terrains doch für nöthig, Euer Geschütz auf Anhöhen zu placiren, so müssen solche doch nie über 20 Fuß über den Horizont erhöhet sein, oder Ihr könnt es auch in einer dergleichen Höhe auf die Dossirung339-3 höherer Berge stellen.
<340>Wenn es die Umstände erlauben, so müßt Ihr nie über die Infanterie weg schießen, sondern immer Euer Geschütz mit vorbringen; denn wenn auch der vorwärts marschirenden Infanterie dadurch kein Schade geschiehet, so werden sich doch die Bursche vor dem Geräusche der über sie weg fliegenden Kugeln fürchten, sich auf jeden Schuß bücken und dadurch das Avanciren beschwerlicher machen.
Endlich laßt dies Eure Haupttegel sein, alle Bogenschüsse, so viel nur immer möglich ist, zu vermeiden, und wenn es das Terrain erlaubt und nicht Gräben, Defiles oder kleine Hügel solches verhindern, so thut nichts als Rollschüsse; denn ein solcher Schuß fehlt selten, sondern thut fast immer seine Wirkung und schlägt in einer nahen Distance durch alle Treffen.
Obgleich nur immer von den Kanonen die Rede gewesen, so kann doch meist alles auch bei den Haubitzen angewendet werden, außer daß mit den Haubitzen etwas weiter mit Kartätschen, wegen des größern Kalibers der Kugeln, kann geschossen werden, und daß damit öfters von höheren Bergen nach Retranchements und Verschanzungen mit Bogenschüssen geschossen wird. In der Plaine aber und hauptsächlich in keiner zu großen Entfernung müßt Ihr Euch gleichfalls der Rollschüsse bedienen.
337-1 Die Vorlage ist deutsch abgefaßt.
337-2 Bitten.
337-3 Züge.
337-4 gefällig zu erweisen.
VI 22
338-1 Stückkugel.
338-2 Der Chef der Artillerie, an den die Instruktion erging.
339-1 Geistesgegenwart.
339-2 Schlachtfeld.
339-3 Rücken.