<21> Joch der spanischen Herrschaft, die seinerzeit die mächtigste Monarchie Europas war, hat es abgeschüttelt. Der Handel dieser Republik reicht bis an die Grenzen der Erde, sie behauptet ihren Rang unmittelbar hinter den Großmächten und vermag in Kriegszeiten ein Heer von 100 000 Streitern zu unterhalten, ungerechnet eine zahlreiche, wohlgerüstete Flotte.

Nun werfen wir im Gegensatz dazu den Blick auf Rußland: da breitet sich vor uns ein unermeßliches Land aus, eine Welt, dem Chaos des ersten Schöpfungstages ähnlich; das Land begrenzt auf der einen Seite die Große Tartarei und Indien, auf der andern das Schwarze Meer und Ungarn, auf der europäischen Seite reichen seine Grenzen bis Polen, Litauen und Kurland, Schweden begrenzt es im Norden. Rußland mag wohl 300 deutsche Meilen in der Breite und mehr als das gleiche in der Länge messen. Das Land ist reich an Getreide und bringt alles, was zum Leben nötig ist, hervor; zumal in der Gegend von Moskau und auf der Seite der Kleinen Tartarei. Und doch, so reich begünstigt es ist, es zählt gutgerechnet nur 15 Millionen Einwohner. Diese jüngst noch barbarische Nation, die jetzt in Europa eine Rolle zu spielen beginnt, vermag zu Wasser und zu Lande keine größere Streitmacht aufzubringen als Holland und bleibt an Reichtum und Hilfsquellen weit hinter ihm zurück.

Eines Staates Stärke beruht also nicht auf der Ausdehnung seiner Landesgrenzen, nicht auf dem Besitz einer weiten Einöde oder einer ungeheuren Wüste, sondern im Reichtum seiner Einwohner und in ihrer Anzahl; darum liegt es im Interesse eines Herrschers, die Bevölkerungszahl zu heben und das Land zur Blüte zu bringen, nicht aber es zu verwüsten und zugrunde zu richten. Muß man sich über die Bosheit Machiavells entsetzen, so kann er einem als Denker leid tun; er hätte besser getan, vernünftig denken zu lernen, als seine ungeheuerliche Staatslehre zum besten zu geben.

„Ein Fürst soll in einem neueroberten Freistaat seinen Sitz nehmen“ — lautet die dritte Regel des Verfassers. Sie ist glimpflicher als die andern, doch wies ich im dritten Kapitel1 auf mögliche Schwierigkeiten hin.

Meine Meinung ist: ein Fürst, der über einen Freistaat Herr geworden — wobei ich gerechte Gründe für seinen Feldzug voraussetze —, sollte sich damit bescheiden, dem Staate eine Buße aufzuerlegen, und ihm dann seine Freiheit wiedergeben. Freilich werden nur wenige so denken; wer darüber eine andere Auffassung hat, der mag sich seinen Besitz sichern, indem er starke Garnisonen in die Hauptplätze des neuen Gebietes legt und im übrigen das Volk seine Freiheit genießen läßt.

Was sind wir doch für Narren! Alles möchten wir erobern, als hätten wir die Zeit dazu, alles zu besitzen, als wäre unserer Daseinsdauer kein Ziel gesetzt. Unsere Lebenszeit geht zu schnell dahin, und oft glaubt man, für sich selbst zu arbeiten, und arbeitet doch nur für unwürdige oder undankbare Erben.


1 Vgl. S. 12.