<241>gebracht werden. Hierdurch würde eine allzu stürmische Bewegung sich dem Blut mitteilen und vielleicht den Ausgang noch beschleunigen. Ließe man ihr dagegen Hoffnungen auf Genesung, so könnte die Ruhe ihrer Seele vielleicht den übrigen Heilmitteln helfen, die Wiederherstellung wirklich zu vollbringen. Was kommt dabei heraus, wenn man einen Menschen aufklärt, den seine Illusionen glücklich machen? Es kann einem gehen wie jenem Arzt, der einen Geisteskranken geheilt hatte und sein Honorar dafür forderte. Jener entgegnete ihm, er gebe nichts; denn während seiner Umnachtung habe er im Paradies zu leben geglaubt und nun, da er seinen Verstand wiederhabe, sehe er sich in der Hölle. Hätten die römischen Senatoren bei der Nachricht, daß Varro die Schlacht bei Cannä verloren habe, auf dem Forum geschrien: „Römer, wir sind besiegt, Hannibal hat unsere Heere gänzlich geschlagen!“, so hätten die unüberlegten Worte den Schrecken des Volkes dermaßen gesteigert, daß es, wie nach der Niederlage an der Allia, Rom verlassen hätte. Um die Republik wäre es geschehen gewesen. Der Senat war klüger, da er dieses Unglück geheimhielt. Er trieb das Volk wieder zur Verteidigung des Vaterlandes an, ergänzte das Heer, setzte den Krieg fort, und zu guter Letzt triumphierten die Römer über die Karthager. Es scheint also festzustehen, daß man die Wahrheit mit Zurückhaltung sagen muß: niemals dort, wo sie schaden könnte, und immer nur in gutgewählter Stunde.
Wenn ich den Autor überall, wo mir Ungenauigkeiten auffallen, in die Enge treiben wollte, so könnte ich ihn auch wegen seiner Definition des Wortes paradox angreifen. Er behauptet, das Wort bezeichne jede Meinung, die nicht anerkannt sei, aber zur Geltung gelangen könne; während dasWort doch nach gewöhnlichem Sprach, gebrauch eine Meinung bedeutet, die irgendeiner Erfahrungswahrheit entgegengesetzt ist. Ich will mich bei dieser Kleinigkeit nicht aufhalten. Aber ich kann mich doch nicht enthalten, diejenigen, die den Namen eines Philosophen in Anspruch nehmen, zu erinnern, daß sie richtige Definitionen geben und jedes Wort nur in seinem üb, lichen Sinn anwenden sollen.
Ich komme nun zu dem Ziel, das der Verfasser anstrebt. Er verhehlt es nicht, er gibt es vielmehr recht klar zu verstehen, daß er es auf den religiösen Aberglauben seines Landes abgesehen hat, daß er den Kult abschaffen möchte, um auf dessen Trümmer die Naturreligion zu erheben. Dabei will er eine Moral einführen, die von allem wesensfremden Beiwerk befreit ist. Seine Absichten muten uns rein an: er will nicht, daß das Volk durch Fabeln irregeführt werde und daß die Betrüger, die diese verschleißen, allen Gewinn daraus ziehen, gleichwie die Quacksalber aus den Arzneien, die sie verkaufen. Diese Betrüger sollen nicht die einfältige Menge beherrschen, nicht weiterhin sich der Macht erfreuen, die sie mißbräuchlich gegen Fürst und Staat ausspielen. Er will, mit einem Wort, den herrschenden Kult aus dem Weg räumen, der Masse die Augen öffnen und ihr helfen, das Joch des Aberglaubens abzuschütteln. Der Entwurf ist groß; fragt sich nur, ob er auch ausführbar und der Autor richtig vorgegangen ist, um ihn durchsetzen zu können.