<39> Macht sieht, schiebt er den letzten Augenblick hinaus und nimmt, sein Dasein zu fristen, jedes Mittel wahr, das ihm die Weisheit rät, und doch muß er zuletzt den ewigen, unveränderlichen Gesetzen des Lebens weichen und zugrunde gehen, wenn die Verkettung der Geschehnisse sein Ende mit sich bringt.

Im übrigen darf man Menschen, die wissen, was glücklich sein heißt, und die es sein wollen, nicht mit dem Vorschlage kommen, auf Freiheit zu verzichten.

Niemals wird man einen Republikaner, einen Cato oder Lyttelton1 davon überzeugen, daß das Königtum die beste Staatsform sei, unter der Voraussetzung, daß ein König sich's zur Aufgabe gemacht habe, seine Pflicht zu erfüllen; denn sein Wille sowie seine Machtfülle verleihen seiner guten Absicht wirksame Kraft. Zugegeben, wird er sagen, doch wo diesen Phönix unter den Fürsten finden? Das ist ja wie der Platonische Idealmensch, wie die Mediceische Venus, die ein Bildner nach vierzig verschiedenen Schönheiten formte, und die in Wirklichkeit nie existierte als eben in Marmor. Wir wissen doch, wessen wir uns zu der menschlichen Natur zu versehen haben und daß es nur wenige solcher Ausbünde von Tugend gibt, die der unbeschränkten Freiheit, ihren Herzenswünschen Genüge zu schaffen, die den Verführrungen des Thrones zu widerstehen vermöchten. Eure metaphysische Monarchie, wenn dergleichen möglich wäre, wäre freilich ein Paradies auf Erden, allein der Despotismus, wie er nun einmal in Wirklichkeit ist, macht mehr oder minder aus dieser Welt eine wahre Hölle.

Meine zweite Betrachtung gilt dem sittlichen Standpunkt Machiavells. Ich kann ihm den Vorwurf nicht ersparen, daß für ihn die Selbstsucht die einzige treibende Kraft im Guten wie im Bösen ist. Gewiß, nach der landläufigen Meinung spielt die Selbstsucht in einer despotischen Staatsordnung eine vorwiegende Rolle, Gerechtigkeit und Redlichkeit gar keine; doch man sollte endlich für immer aufräumen mit dieser abscheulichen Staatslehre, die die Grundsätze einer gesunden und lauteren Sittlichkeit nicht anerkennen will. Ging's nach Machiavell, so geschähe alles in der Welt nur aus Selbstsucht, wie die Jesuiten die Liebe Gottes ausschalten und die Menschheit einzig durch die Furcht vor dem Teufel retten wollen. Das Gute sollte die einzige Triebfeder unseres Tuns sein, denn was ist das Gute anderes als das Vernünftige? Tugend und Vernunft sind eins nicht denkbar ohne das andere und müssen es auch im Leben bleiben als Voraussetzung folgerichtigen Handelns. Seien wir also vernünftige Wesen; dies bißchen Vernunft ist's ja, was uns von den Tieren unterscheidet, und nur die Güte bringt uns dem unendlich gütigen Wesen näher, dem wir unser Dasein danken.


1 Vgl. Bd. II, S. 28.