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Machiavell findet, daß die Kirchenfürsten besonders glücklich daran sind, weil sie weder die Aufruhrgelüsie ihrer Untertanen noch das Machtbegehren ihrer Nachbarn zu fürchten haben. Der ehrfurchtgebietende und entwaffnende Name Gottes gewährt ihnen eine Deckung gegen jeden Widersacher ihrer selbstsüchtigen Zwecke und ihrer Größe; die Fürsten, die sie angreifen möchten, fürchten das Schicksal der Titanen, die Völker, die ihnen den Gehorsam kündigen möchten, fürchten den Fluch des Gottesfrevels. Die fromme Politik dieser Art Herrscher befleißigt sich, der Welt einzuschärfen, was Despréaux1 so hübsch in dem Verse ausdrückt:

Wer Herrn Colin nicht liebt und ehrt,
Hält weder Gott noch König wert.

Das Erstaunlichste ist, daß diese Fürsten Dumme genug finden, die in leichtgläubigem Vertrauen auf die Redlichkeit jener ohne jede weitere Prüfung sich an das halten, was die geistlichen Herren für richtig finden, ihnen einzureden. Dabei ist es Tatsache, daß es in keinem Lande mehr von Bettlern wimmelt als in Krummstabländern, wo man stets ein erschütterndes Bild alles menschlichen Jammers beieinander sehen kann. Es sind aber nicht etwa jene Armen, die die Freigebigkeit und die Almosenspenden der Fürsten ins Land ziehen, nicht etwa jenes Geschmeiß, das sich an den Reichtum heftet und hinter der Üppigkeit einherkriecht, sondern es sind arme Teufel von Hungerleidern, die die Barmherzigkeit ihrer Bischöfe um ihre Lebensnotdurft bringt, um dem Sittenverderb und den Mißbräuchen zu steuern, die das Volk gemeiniglich mit dem Überflüsse treibt. Man denkt bei den Grundsätzen dieser geistlichen Herrn an die Gesetze Spartas, das den Gebrauch des Geldes verbot; allerdings mit dem Unterschiede, daß die Herren Prälaten den Gebrauch der guten Dinge, die sie scheinheilig ihren Untertanen wegnehmen, sich selber vorbehalten. Selig sind, die da arm sind, sagen sie, denn sie werden das Himmelreich ererben; und da sie nun wollen, daß alle Welt errettet werde, tragen sie Sorge, alle Welt an den Bettelstab zu bringen. O der Frömmigkeit der Kirchenherren! Wie weit erstreckt sich doch ihre weise Fürsorge:

Nichts müßte erbaulicher sein als die Geschichte der Häupter der Kirche oder der Statthalter Jesu Christi. Man setzt voraus, hier Muster untadeliger und reiner Sitten zu finden. Weit gefehlt! Hier gibt's nur Unzucht, Schandtaten und peinlichen Anstoß ohne Ende; man kann das Leben der Päpste nicht lesen ohne Abscheu vor ihrer Grausamkeit und Falschheit. Man sieht im großen und ganzen nur ihren Ehrgeiz am Werke, ihre weltliche Macht und ihr Ansehen zu steigern; ihre schmutzige Habgier, bestrebt, große Güter unter rechtswidrigen und unanständigen Vorwänden ihrer Sippe zu sichern, um ihre Neffen, ihre Liebsten oder ihre Bastarde zu bereichern.


1 Vgl. Boileau-Despreaux, Sat. IX:
     

Qui méprise Cotin, n'estime point son roi
Et n'a, selon Cotin, ni Dieu ni foi ni loi.