<77> aber warum denn nur der Schein dieser schönen Eigenschaften? Warum soll ein Fürst diese Vorzüge nicht im Ernst besitzen? Wenn das nämlich nicht der Fall ist, wird's mit dem Schein auch sehr übel bestellt sein, man wird den Darsteller bald von seiner Heldenrolle zu unterscheiden wissen.
Machiavell will, ein Fürst solle sich auf keine Weise leiten lassen, niemand dürfe nur auf die Vermutung kommen, als könnte irgendwer hinreichenden Einfluß auf sein Denken besitzen, ihn zu einem Wechsel einer Auffassung zu vermögen. Er hat recht, und doch behaupte ich, es gibt niemanden auf Erden, der sich nicht irgendwie, der eine mehr, der andere weniger, leiten ließe. Von der Stadt Amsterdam erzählt man, sie sei einmal von einer Katze regiert worden. Von einer Katze, fragt ihr? Wie kann eine Katze eine Stadt leiten? Hier, bitte, die Stufenfolge des Einflusses: der erste Bürgermeister der Stadt besaß im Rate die ausschlaggebende Stimme und genoß dort hohes Ansehen. Der hatte eine Frau, deren Ratschlägen er blindlings folgte; eine Dienerin übte unbedingten Einfiuß auf die Gedanken dieser Frau aus und auf die der Dienerin eine Katze. So kam's, daß die Katze die Stadt regierte.
Es gibt indessen Fälle, da es für einen Fürsten nur eine Ehre sein kann, wenn er sein Verhalten ändert; und zur Pflicht wird es allemal da, wo er seiner Fehler inne wird. Ja, wären die Fürsten unfehlbar, wie der Papst sich's einbildet zu sein, dann freilich täten sie gut daran, mit stoischer Beharrlichkeit auf ihrer Meinung zu be-stehen; doch da sie alle Schwachheit der Menschlichkeit teilen, so sollen sie ohn' Unterlaß bedacht sein, sich zu bessern und in ihrem Tun und Lassen zu vervollkommnen. Wir wollen's uns doch gesagt sein lassen, daß übertriebene Festigkeit und Halsstarrigkeit Karl XII. in Bender beinahe den Hals gekostet haben1, daß diese unerschütterliche Hartnäckigkeit ihm verderblicher wurde als der Verlust einiger Schlachten.
Ein anderer Irrtum Machiavells: er meint, es werde einem Fürsten niemals an wertvollen Verbündeten fehlen, solange auf seine Heere Verlaß ist. Das ist nur richtig, wenn man hinzufügt: auf seine Heere und auf sein Wort. Denn das Heer liegt in der Hand des Fürsten, und bei dessen Zuverlässigkeit oder Unzuverlässigkeit sieht es, ob er das Bündnis erfüllt und seine Streitmacht in Bewegung setzt.
Hier aber ein Widerspruch in aller Form. Einmal sagt unser Politikus: „Ein Fürst sei bemüht um die Liebe seiner Untertanen, so wird er Verschwörungen vermeiden.“ Und im 17. Kapitel erklärt er: „Der Fürst sehe zu. daß er gefürchtet werde, denn rechnen darf er nur mit dem, was in seiner Gewalt liegt; nicht so verläßlich bestellt ist's mit der Liebe seines Volkes.“ Welches ist denn nun von beiden die wahre Meinung des Verfassers? Er redet die Sprache eines Orakels, man kann sie auslegen wie man will; doch diese Orakelsprache ist, nebenbei gesagt, die Sprache der Spitzbuben.
1 Während Karl XII. in Bender vergeblich die Türken zum Kampfe gegen Rußland zu bestimmen suchte, ging ein Stück seines Reiches nach dem anderen verloren.