Der Antimachiavell
<2><3>Vorwort
Der „Fürst“ von Machiavell bedeutet auf dem Gebiete der Moral, was Spinozas Wert für den Glauben bedeutet: Spinoza untergrub die Grundlagen des Glaubens, indem er nichts Geringeres anstrebte als einen Umsturz des Gebäudes der Religion: Machiavell pflanzte den Keim des Verderbens in das staatliche Leben und unternahm es, die Vorschriften gesunder Sittlichkeit zu zerstören. Waren die Irrtümer des einen nur Verirrungen des Denkens, so hatten die des andern ihre Bedeutung für das Leben selbst. Und doch! Gegen Spinoza haben die Glaubenshüter Sturm geläutet und zu den Waffen gerufen, sein Buch hat man in aller Form widerlegt, die Gottheit wider seine Angriffe behauptet — Machiavell ward kaum von einigen Moralisten umplänkelt und hat sich, ihnen zum Trotz und trotz seiner verhängnisvollen Lehre, auf dem Lehrstuhl der Staatskunsi behauptet bis in unsre Tage.
Ich wage es, die Verteidigung der Menschlichkeit aufzunehmen wider ein UngeHeuer, das sie verderben will, und so habe ich, sonder Scheu, was ich über dieses Buch zu sagen habe, jedem Kapitel gegenübergestellt, auf daß jedesmal unmittelbar neben dem Gifte das Gegengift bei der Hand sei.
Von jeher sah ich im „Fürsten“ Machiavells eins der gefährlichsten unter allen Büchern von Weltverbreitung. Naturgemäß wird es den Männern fürstlichen Standes, wird es allen, die Sinn für Fragen der Staatskunst haben, in die Hände fallen; und gehört nur wenig dazu, daß ein junger Mann, von Ehrgeiz beseelt und dabei an Gemüt und Urteil noch zu unfertig, um Gut und Böse zu unterscheiden, durch Grundsätze, die seinen ungestümen Leidenschaften schmeicheln, Schaden nehme, so muß man jedes Buch, von dem dergleichen Wirkung zu erwarten ist, für einen Unsegen, für einen Schädling am Wohle der Menschheit ansehen.
Doch ist es schon schlimm, den arglosen Sinn eines einzelnen zu verführen, dessen Einwirkung auf das Wohl und Wehe der Welt unerheblich ist, wieviel schlimmer ist es, dem Denken der Fürsten eine verderbliche Richtung zu geben, die berufen sind, Führer der Völker zu sein, Verweser des Rechts, Vorbilder darin für ihre Untertanen, sichtbare Abbilder der Gottheit, die ja erst ihre seelischen Eigenschaften, ihr innerer Wert zu Königen machen, viel mehr denn ihre Standeshoheit und ihre Macht.
<4>Die Überschwemmungen, die ganze Landstriche verwüsten, der zündende Blitz, der Städte in Asche wandelt, der Gifthauch der Pest, der Provinzen entvölkert — sie sind der Welt nicht so verhängnisvoll wie die schlechte Moral, wie die zügellosen Leidenschaften der Könige. Denn wie die Macht, Gutes zu tun, wofern sie dazu gewillt sind, in ihre Hand gegeben ist, gleichermaßen sieht es bei ihnen, Böses auszuüben, wenn sie es wollen. Ein Jammer ist's aber um das Los der Völker, alles vom Mißbrauch der Herrschermacht fürchten zu müssen: wenn all ihre Habe der Gier des Fürsten, ihre Freiheit seinen Launen, ihre Ruhe seinem Ehrgeiz, ihre Sicherheit seiner Tücke, ihr Leben seiner Grausamkeit ausgeliefert ist! Wohlan, da haben wir das Bild eines Reiches unter einem politischen Ungeheuer von jenem Schlage, wie Machiavell es zu züchten sich anheischig macht!
Gesetzt aber meinetwegen, das Gift des Autors fände seinen Weg nicht bis in Throneshöhe — ich behaupte: Solange Machiavell und Cäsar Borgia auch nur einen einzigen Jünger werben können, haben wir allen Grund, solch ein Schandbuch mit Entrüstung abzulehnen. Mancher hat gemeint, Machiavell habe weniger geschildert, wie's die Fürsten halten sollen, als wie sie's in Wirklichkeit treiben, eine Meinung, die um einer gewissen Wahrscheinlichkeit willen Anklang fand, sodaß man's bei solcher Verkehrtheit bewenden ließ, weil sie etwas Bestechendes hatte, und sie immer aufs neue vorbrachte, weil sie einmal ausgesprochen war.
Sei mir's denn vergönnt, die Sache der Fürsien wider ihre Verleumder zu führen, sie von der abscheulichsten Anklage zu reinigen, sie, deren Amt einzig und allein Arbeit zum Wohle der Menschheit ist.
Unzweifelhaft gründen sich derartige Beurteilungen von Fürsten auf das Beispiel des einen oder anderen Herrschers von übler Art, wie Machiavell solche anführt, auf die Geschichte der kleinen italienischen Gewalthaber seiner Tage und das Leben etlicher Tyrannen, die nach solchen bedenklichen Staatslehren verfahren sind. Demgegenüber erinnere ich, daß es in jeglichem Lande anständige Leute und schlimme Gesellen gibt, wie man wohl in jeder Familie neben Wohlgewachsenen Bucklige, Blinde oder Lahme findet; genau so gab's jederzeit und wird's jederzeit unter den Fürsien Mißgeburten geben, unwürdige Träger dieses heiligen Namens. Hinzufügen könnte ich, daß, bei der ungeheuren Macht der Versuchung da oben auf dem Throne, mehr denn der landläufige Menschenwert dazu gehört, dagegen fest zu bleiben; kein Wunder also, daß man so wenig gute Fürsten findet. So schnellfertige Beurteiler sollten doch daran denken, daß es neben Gestalten wie Caligula und Tiberius auch Herrscher wie Titus, Trajan und die Antonine gibt; so wäre es denn eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, einer Gesamtheit die Sünden von etlichen ihrer Glieder zur Last zu legen.
Möge die Weltgeschichte nur die Namen der guten Fürsten aufbewahren und die der anderen dem Untergange anheimgeben samt ihrer Faulheit und ihrem Unrecht. Was dabei die Bücher der Geschichte an Umfang verlörm, gewänne die Sache der<5> Menschheitveredlung; die Ehre eines Fortlebens in der Erinnerung wäre erst der angemessene Lohn für hohen persönlichen Wert. Das Buch Machiavells vermöchte nicht fürderhin seine vergiftende Wirkung auf die, die über Staatsftagen Belehrung suchen, auszuüben, nur Verachtung wäre sein Teil für all die kläglichen Widersprüche, in denen er ständig mit sich selber liegt, und man würde sehen, daß eine echte Staatskunsi der Könige auf der Grundlage von Gerechtigkeit und Güte doch etwas anderes ist als jenes zerfahrene Lehrgebäude voller Grauen und Falschheit, das Machiavells Dreistigkeit der Öffentlichkeit zu bieten gewagt hat.
<6>1. Kapitel
Von den Arten der Herrschaft und den Mitteln, zur Herrschaft zu gelangen.
Wer zu klarer Einsicht gelangen will, muß zunächst die Wesensart seines Gegenstandes ergründen, er muß zurückgreifen auf den Ursprung der Erscheinungen, um nach Möglichkeit ihre Anfänge und deren Gesetze zu erkennen; von da aus ist es leicht, ihre Entwicklungsstufen sowie alle denkbaren Folgerungen herzuleiten.
Statt die verschiedenen Arten der Staaten zu beschreiben, wäre es meines Erachtens Machiavells Aufgabe gewesen, dem Ursprung der Fürsten und der Quelle ihrer Herrschergewalt nachzugehn, zu erörtern, was wohl freie Menschen bestimmen konnte, sich selber Herren zu geben.
Allerdings wunderlich genug hätten sich in einem Werke, das so recht ein Dogmen- und Lehrbuch tyrannischer Ruchlosigkeit abgeben sollte, Betrachtungen ausgenommen, die geeignet gewesen waren, allen Tyrannenrechten den Boden zu entziehen. Es wäre eine harte Zumutung für Machiavell gewesen, ausführen zu müssen: um ihrer Ruhe, um ihrer Erhaltung willen haben es die Völker für nötig befunden, Richter zu haben, die ihren Hader schlichten, Schirmherren, die ihren Besitz wider die Neider decken, Fürsten, die die Interessen aller, so mannigfaltig sie sind, zusammen, fassen könnten zu einem großen Gesamtinteresse, und die Völker haben aus ihrer Mitte die Männer ausgewählt, die sie für die weisesten, gerechtesten, uneigennützigsten, menschlichsten und tapfersten hielten, über sie Herren zu sein und die drückende Last der Geschäfte ihnen abzunehmen.
Also, Wahrung des Rechtes, hätte man ihm vorgehalten, ist demnach eines Herrschers erste Obliegenheit. Über alles soll ihm seiner Völker Wohlfahrt gehn. Ihres Gedeihens oder Behagens Mehrer oder auch Begründer hätte er demnach zu sein. Aber was sollen dann all diese Begriffe Eigennutz, Hoheit, Ehrgeiz, Despotismus? So läuft's also darauf hinaus, daß der Herrscher, weit entfernt, der unumschränkte Gebieter über seine Untertanen zu sein, nur ihr erster Diener ist, das Werkzeug ihres Glückes, wie jene das Werkzeug seines Ruhmes. Nein, der Verfasser fühlte wohl: bei einem Eingehn auf Betrachtungen solcher Art war wenig Ehre für ihn zu holen, diese Erörterung konnte höchstens die Zahl der kläglichen Widersprüche mehren, daran seine Staatslehre krankt.
<7>Machiavells Grundsätze widersprechen ebenso gesunden sittlichen Begriffen wie eines Descartes Lehrgebäude dem Newtons. Dem kartesianischen Wirbel entspricht hier der alles wirkende Eigennutz. Dieses Staatslehrers Grundsätze sind ebenso verderbt, wie die Gedanken jenes Philosophen oberflächlich sind. Nichts kommt der Frechheit gleich, mit der dieser Schandpolitiker Anweisung zu den abscheulichsten Verbrechen gibt; ging's nach ihm, so stünde die empörendste Ungerechtigkeit in allen Ehren, sobald Selbstsucht und Ehrgeiz dahinterstehn. Untertanen sind Hörige, deren Leben und Tod ohne Einschränkung vom Willen des Fürsten abhangen, ungefähr wie die Schafe in der Hand des Züchters, dessen Zwecken ihre Milch dient und ihre Wolle, und der sie auch wohl abschlachten läßt, wenn's ihm paßt.
Meine Aufgabe ist's, jene irrigen und heUlosen Grundsätze im einzelnen zu widerlegen. Doch sei dies jeglichem Kapitel im besonderen vorbehalten, wie sein Gegenstand es mit sich bringt.
Aber so viel schon hier im allgemeinen: nach meinen Ausführungen über den Ursprung der Fürsten erscheint das Tun eines Usurpators noch empörender, als wenn man nur die Gewalttat als solche im Auge hat: er schlägt eben der Meinung und Absicht der Völker ins Gesicht, die einen Herren über sich gesetzt haben lediglich, damit der ihnen Schirm und Schutz sei, die nur unter dieser Bedingung sich ihm unterworfen haben! Während, wenn sie dem Zwingherrn gehorchen, sie damit sich selbst und ihre Habe preisgeben, um die Gier und die Laune eines oft grausamen und immer verabscheuten Tyrannen zu befriedigen.
Es gibt also nur drei Wege, auf rechtmäßige Weise Herr über ein Land zu werden: durch Erbfolge, durch Wahl durch die Völker, die zur Wahl ermächtigt sind, oder durch Eroberungen von feindlichen Provinzen in einem rechtmäßig unternommenen Kriege.
Ich bitte meine Leser, diese Bemerkungen über das erste Kapitel Machiavells nicht zu vergessen; sie sind gleichsam der Angelpunkt für alle meine folgenden Betrachtungen.
<8>2. Kapitel
Von den erblichen Fürstentümern.
Menschen haben vor allem, was da alt ist, eine an Aberglauben grenzende Ehrfurcht; kommt zu dieser Macht des Alten über das Menschengemüt noch das Gewicht ererbten Rechtes, so gibt's kein unzerbrechlicher Joch, keins, das sich leichter trüge. So liegt mir's denn auch fern, Machiavell zu bestreiten, was ein jeder ihm zugestehen wird, daß sich ein Erbreich am leichtesten regiert.
Hinzufügen will ich hier noch, daß die erblichen Fürsten ihre innige Verbindung mit des Reiches mächtigsten Geschlechtern in ihrem Besitze sichert; verdankt doch deren Mehrzahl erst dem Herrscherhause alles, was sie haben und sind. So ist ihr Geschick untrennbar von dem des Fürsten, mit ihm stehen und fallen sie.
Heutzutage haben die zahlreichen Truppen, die starken Heere, die die Fürsten in Kriegs- und Friedenszeiten unterhalten, auch ihren wesentlichen Anteil an der Sicherung der Staaten: sie halten den Ehrgeiz der Nachbarfürsien in Schach, wie nackte Schwerter, die die Klinge der Gegner in die Scheide bannen.
Aber mit Machiavells „ordinaria industria“, die er vom Fürsten verlangt, ist's nicht getan; er soll darauf sinnen, wie er sein Volk glücklich mache, das ist meine Forderung! Ein zufriedenes Volk wird niemals an Aufruhr denken, ein glückliches Volt bangt vor dem Verlust seines Herrschers, der zugleich sein Wohltäter ist, mehr als dieser selbst vor einer Einbuße seiner Macht. Nie hätten sich die Holländer gegen die Spanier erhoben, hätte nicht die Gewaltherrschaft der Spanier so alles Maß überschritten, daß die Holländer gar nicht mehr unglücklicher werden konnten.
Die Königreiche Neapel und Sizilien sind mehr denn einmal aus den Händen der Spani,er in die des Kaisers übergegangen, und umgekehrt; die Eroberung war jedesmal ein Kinderspiel, da die Herrschaft des einen wie der andern unerträglich war und diese Völker stets in dem neuen Herrn den Befreier erhofften.
Mit diesen Neapolitanern vergleiche man die Lothringer. Als sie zum Wechsel ihres Herrscherhauses gezwungen wurden, war ganz Lothringen untröstlich; sie beklagten den Verlust der Nachkommen jener Herzöge, die seit so vielen Jahrhunderten dieses blühende Land besessen hatten, darunter Herrschergestalten, die ihre Güte zu<9> Vorbildern für Könige machen konnte. Das Gedächtnis eines Herzogs Leopold9-1 war den Lothringern so teuer, daß das Volk, als dessen Witwe Luneville verlassen mußte, vor ihrem Wagen sich auf die Knie warf und man immer wieder die Pferde anhalten mußte; man hörte nur Laute der Klage und sah nur Tränen.
<10>3. Kapitel
Von Herrschaften gemischter Art.
Das fünfzehnte Jahrhundert war gleichsam das Kindheitsalter der Kunst. Lorenzo der Medizeer erweckte sie in Italien durch seinen Schutz zu einem neuen Leben, doch war die Lebenskraft dieser Künste und Wissenschaften zu den Tagen Ma-chiavells noch zart, als wären sie eben von langem Siechtum erstanden. Philosophie und Geometrie waren wenig oder gar nicht vorangekommen, ein folgerichtiges Denken, wie man's in unsern Tagen übt, noch in weitem Felde. Selbst die Gelehrten erlagen dem Zauber jeder glanzvollen äußeren Erscheinung. Damals gab man dem düsteren Ruhm der Eroberer, ihren Aussehen erregenden Taten, die sich durch ihre Großartigkeit eine gewisse Achtung erzwingen, den Vorzug vor der Milde, der Ge-rechtigkeit, der Gnade und allen Tugenden; heute stellt man die Menschlichkeit höher als alle Eigenschaften eines Eroberers und ist von dem Wahnwitz gehellt, die wilden und grausamen Leidenschaften, die es auf den Umsturz der Welt und die Vernichtung tausendfachen Lebens absehen, noch obenein zu feiern und zu ermutigen. Über allem thront die Gerechtigkeit, vom Heldentum des Eroberers und von seinen kriegerischen Gaben mag man nichts mehr wissen, sobald sie Verderben drohen.
Machiavell mochte, vom Standpunkt seiner Zeit aus, noch sagen, der Eroberungsdrang liege in der Menschennatur, und des Eroberers Ruhm sei erhaben über jeden Zweifel. Wir entgegnen ihm heut: wohl ist der Wunsch, sein Gut zu wahren und auf rechtmäßige Weise zu mehren, der menschlichen Natur eigen, aber die Gier nach immer mehr ist nur das Merkmal ganz niedrig gearteter Seelen; ein Verlangen, sich vom Raube am Nächsten zu vergrößern, wird im Herzen eines anständigen Menschen, der Wert auf die Achtung der Welt legt, nicht so leicht Eingang finden.
Mit der Lehre Machiavells könnte höchstens ein einziger Mensch in der Welt etwas anfangen, der sich dann daran machen müßte, die ganze andere Menschheit auszurauben. Wollten viele Herrennaturen sich als Eroberer auftun, einer dem andern das Seine entreißen — welch ein Drunter und Drüber! Wenn sie, neidisch auf alles, was sie nicht haben, nur daran dächten, alles an sich zu reißen, zu verwüsten, jedem das Seine zu rauben! Schließlich gäb's nur einen Herrn der Welt, den Erben<11> des Besitzes aller, den er freilich nicht länger wahren könnte, als es die Herrschbegier des ersten besten, der da käme, zuließe.
Was kann einen Menschen, frage ich, dazu bringen, seinen Machtbereich erweitern zu wollen? Was kann ihm den Mut geben zu dem Entschlusse, seine Macht zu errichten auf dem Elend und dem Untergange anderer Menschen? Und wie vermag er zu glauben, daß er sich Ruhm und Ehre sichere, indem er nichts als Jammer verbreitet? Neue Eroberungen eines Herrschers machen die Staaten, die er bislang besaß, nicht gesegneter und reicher; nichts haben seine Völker davon, und wenn er sich einbildet, er werde dadurch glücklicher werden, so tauscht er sich. Sein Ehrgeiz wird sich auf diese eine Eroberung nicht beschranken wollen; so wird er unersättlich und damit stets unzufrieden mit sich selber sein. Wieviel große Fürsien lassen durch ihre Heerführer Länder erobern, die sie niemals zu sehen bekommen! So sind das gewissermaßen nur eingebildete Eroberungen, fast ohne jeden Wirklichkeitswert für die, in deren Namen sie geschehen. Auf das Elend von Tausenden läuft's hinaus, um die ausschweifenden Wünsche eines einzigen zu befriedigen — eines einzigen, der oft vielleicht nicht einmal verdient, daß die Welt seinen Namen kennt!
Aber nehmen wir an, dieser Eroberer unterwerfe seiner Herrschaft die ganze Welt: wird er sie darum auch regieren können? Und wär' er ein Fürst, noch so groß, er bleibt ein Wesen von eng begrenztem Wirkungsbereich, ein Atom, ein armselig Geschöpf, das, kaum bemerkbar, an der Erdoberfläche dahinkriecht. Kaum daß er die Namen seiner Länder behält, und all seine Größe wird ihn erst in all seiner Bedürftigkeit bloßstellen.
Auch ist gar nicht die Ausdehnung seines Herrschbereichs des Fürsten Ruhm; der Hängt nicht von einem Mehr oder Minder von Landmeilen ab — das hieße ja Ehre und Würde nach der Zahl der Quadratruten messen.
Ein mannhafter Sinn, ein offener Kopf, Erfahrungsfülle und Macht über die Gemüter, das sind gewiß Züge im Bilde des Eroberers, die auch an sich ihre Bewunderer finden werden; doch mißbrauchen wird solche Gaben nur Herrschbegier und Bosheit des Herzens. Ruhm gewinnt sich allein, wer seine Kräfte daran setzt, daß Recht Recht bleibe, und zum Eroberer nur wird, wenn die Not, nicht aber sein wilder Sinn es gebietet.
Es ist mit dem Kriegshelden wie mit dem Wundarzte: wenn er durch schonungslosen Eingriff ein Menschenleben rettet, schätzt man ihn hoch, verabscheut ihn aber, sobald er durch einen schändlichen Mißbrauch seines Berufes ohne Not dergleichen vornimmt, nur um seine geschickte Hand bewundern zu lassen.
Nein, nicht immer nur auf den eigenen Vorteil soll der Mensch bedacht sein; täten alle so, wo bliebe dann noch die Gesellschaft? Statt seine Sondervorteile hinter dem Gemeinwohl zurücktreten zu lassen, würde das allgemeine Beste ja das Opfer jener werden. Warum nicht lieber einstimmen in diesen köstlichen Einklang, der Reiz und Wärme dem Leben gibt, der Gesellschaft Gedeihen? Warum nicht lieber groß sein,<12> indem man die anderen sich verpflichtet, indem man sie mit Guttat überhäuft? Man soll sich doch stets gegenwärtig halten den Grundsatz: Was du nicht willst, daß man dir tu, das füge keinem andern zu. Dann käme keiner mehr auf den Einfall, sich der Besitztümer des Nächsten zu bemächtigen, wäre jeder mit seinem Glücksstande zufrieden.
Der Wahn von der Erobererherrlichkeit mochte zu Machiavells Zeit allgemein verbreitet sein; für seine Nichtswürdigkeit ist er zuversichtlich allein verantwortlich. Was schlägt er für abscheuliche Mittel zur Behauptung von Eroberungen vor! Bei Licht besehen, ist nicht eins darunter, das vernünftig oder gerecht wäre: „Ausgetilgt den Fürstenstamm, der vor eurer Eroberung an der Herrschaft war!“ so rät dieser Nichtswürdige. Kann man dergleichen Lehren ohne Schauder und Entrüstung lesen? Das heißt mit Füßen treten, was es an Heiligem und Unverletzlichem auf Erden gibt, und von allen Gesetzen gerade das umstürzen, was dem Menschen am höchsten stehen soll; das heißt der nackten Selbstsucht die Wege jedes gewalttätigen Verbrechens bahnen, Verrat, Mord und Totschlag und was es sonst noch Verruchtes auf der Welt gibt, gutheißen.
Wie konnte nur eine Obrigkeit die Veröffentlichung der ruchlosen Staatslehre eines Machiavell zulassen? Wie konnte man diesen fluchwürdigen Verbrecher in der Welt sein Wesen treiben lassen, der jedes Recht auf Besitz und Lebenssicherheit über den Haufen wirft — ein Recht, das den Menschen heilig ist wie keines sonst, das der Gesetzgeber ernst nimmt wie kein zweites, das unverletzlichste nach den Geboten der Menschlichleit. Wie? Wenn ein Ehrgeiziger sich mit bewaffneter Hand der Staaten eines Fürsten bemächtigt hat, soll er das Recht haben, jenen mit Dolch oder Gift aus dem Wege räumen zu lassen? Daß nur der Brauch, den er da aufbringt, sich nicht verhängnisvoll gegen den Eroberer selber kehre! Ein Zweiter, noch ehrgeiziger, noch geschickter denn er, wird Gleiches mit Gleichem vergelten, wird in seine Staaten einbrechen und ihn unter gleichem Rechtsbruch ums Leben bringen, wie er seinen Vorgänger. Welche uferlose Hochflut von Untat, Grausamkeit, Roheit, wobei aller Glaube an die Menschheit verzweifeln möchte! Solch ein Königtum wäre wie ein Reich von Wölfen, dem freilich ein Tiger wie Machiavell als Gesetzgeber geziemte. Gälte nur noch Verbrechen in der Welt, so wäre damit die Ausrottung des Menschengeschlechts gegeben; ohne Herrschaft der Sittlichkeit gibt's keine Sicherheit für Menschen.
Der zweite Grundsatz, den Machiavell aufstellt, heißt: „Ein Eroberer soll seinen Sitz in seinem neuerworbenen Gebiete ausschlagen.“ Darin liegt durchaus keine Härte, in mancher Hinsicht hat der Gedanke sogar etwas für sich; nur muß man bedenken, die Mehrzahl der Staaten der großen Fürsten wird ihrer ganzen Lage nach eine Entfernung des Herrschers aus dem Herzen seines Reiches ohne fühlbare Nachteile für den Staat kaum zulassen; geht doch vom Herrscher alle lebendige Kraft im Staatskörper aus; scheidet er also aus dessen Mittelpunkt, so werden notwendigere weise die Glieder verkümmern.
<13>Ein dritter Grundsatz seiner Staatslehre heißt: „In neueroberten Ländern soll man Siedlungen anlegen, so wird man sich die Treue der neuen Bürger sichern.“ Der Verfasser beruft sich darauf, daß es die Römer so gehalten, und tut sich was darauf zugute, wenn er hier und da in der Geschichte Beispiele ähnlicher Ungerechtigkeiten, wie er sie empfiehlt, vorfindet. Dies Verfahren der Römer war ebenso ungerecht wie alt. Mit welchem Rechte tonnten sie rechtmäßige Besitzer von Haus, Boden und Habe vertreiben? Weil man's straflos tun kann, ist Machiavells Begründung, da die Entrechteten arm und zur Rache zu schwach sind. Welch ein Gedankengang ! Du bist mächtig, deine Untergebenen sind schwach, also kannst du sie ohne Scheu vergewaltigen. So wär's also nur die Furcht, was den Menschen vom Verbrechen abhalten kann — nach Machiavell. Allein kraft welches Rechtes darf sich denn ein Mensch so unbeschränkte Gewalt über seinesgleichen anmaßen, daß er frei mit ihrem Leben und ihrem Eigen schaltet, und wenn's ihn gut dünkt, sie dem Elend preisgibt? Sicherlich, so weit geht auch Erobererrecht nicht. Sind denn die Gemeinschaften nur gebildet und hergerichtet als Opfer für die sinnlose Leidenschaft niedriger Selbstsucht und Ehrgier? Ist diese Welt nur dazu da, die Tollheit und Wut eines entarteten Tyrannen zu sättigen? Kein vernünftiger Mensch wird jemals dergleichen Ansichten behaupten, es müßte ihn denn maßlose Ehrbegier blind machen und in ihm die Helle des gesunden Menschenverstandes und menschlichen Gefühles verdunkeln.
Grundfalsch ist es, daß ein Fürst straflos unrecht tun könne: Mögen seine Untertanen ihn nicht auf der Stelle dafür strafen, mag selbst der Blitz des Himmels ihn nicht zerschmettern, wenn das Maß voll ist — sein Ruf in der Welt wird doch dahin sein, sein Name wird unter denen genannt werden, die der Schrecken der Menschheit heißen, und der Abscheu seiner Untertanen wird seine Strafe sein. Was sind das für politische Grundsätze: nur kein Unrecht halb tun, lieber mit Stumpf und Stiel ein Volk ausrotten, oder wenigstens es so schinden und so gründlich knechten, daß es euch niemals mehr gefährlich sein kann, das letzte Fünkchen der Freiheit zertreten und die Zwingherrschaft bis auf den Eingriff in das Eigen, die Gewalttat bis auf das Leben der Herrscher ausdehnen! Nein, eine größere Abscheulichkeit ist undenkbar. Solche Regeln sind ebenso unwürdig einer gesunden Vernunft wie eines redlichen Herzens. Da ich diesen Punkt im fünften Kapitel des längeren zu widerlegen gedenke13-1, verweise ich den Leser dahin.
Sehen wir nun zu, ob diese Siedlungen, die nach Machiavell dem Fürsten einen solchen Aufwand von Untaten lohnen sollen, wirklich so wertvoll sind, wie der Verfasser behauptet. Entweder schickt man in das neueroberte Land Kolonisten stark an Kopfzahl oder nur schwach. Im ersten Fall wird der eigene Staat bedenklich entvölkert und im eroberten eine große Schar der neuen Untertanen verjagt — das<14> schwächt nur die Kräfte eines Fürsten; denn seine höchste Macht besieht in der großen Zahl derer, die ihm gehorchen. Im anderen Fall wird eine schwache Kopfzahl an Siedlern euch schwerlich für die Sicherheit in dem eroberten Gebiete stehen können, da diese Handvoll Menschen nicht gegen die Eingesessenen aufkommen kann. So werden die, so ihr von Haus und Hof jagt, ins Elend kommen, ohne daß ihr Gewinn davon habt.
Viel besser also, man schickt Truppen in die neu unterworfenen Gebiete; die bringen Zucht und Ordnung mit, drücken die Bevölkerung nicht und fallen auch den Städten, wo man ihnen Standorte anweist, nicht zur Last. Freilich zur Steuer der Wahrheit muß ich hier bemerken: zur Zeit Machiavells waren die Truppen etwas ganz anderes als heutzutage. Die Landesherren unterhielten keine großen Heere, jene Truppen waren meist nur Räuberhaufen, die gemeiniglich nur von Gewalttat und Raub lebten; von Kasernen wußte man noch nichts, ebensowenig von den tausenderlei Dienstvorschriften, die in Friedenszeiten der Frechheit und Liederlichkeit der Soldateska einen Zügel anlegen.
In bedenklichen Fällen, das ist mein Grundsatz, scheinen die glimpflichsten Maßnahmen stets die besten.
„Ein Fürst soll die kleineren Nachbarfürsien an sich ziehen, sich zu ihrem Schirm, Herrn aufwerfen und Zwietracht zwischen ihnen säen; so wird er's in der Hand haben, sie zu erheben oder zu erniedrigen.“ So der vierte Satz Machiavells — fürwahr die Lehre eines Mannes, der glauben möchte, die Welt sei nur für ihn geschaffen. Die frevelhafte Tücke Machiavells erfüllt sein ganzes Werk gleich dem Gestank eines Schindangers, der ringsum die Luft verpestet. Ein anständiger Mensch würde den Mittler spielen unter jenen kleinen Fürsten, ihre Händel gütlich schlichten und sich ihr Vertrauen durch seine Redlichkeit, seine unverkennbare Unparteilichkeit bei ihren Zwistigkeiten und seine völlige Uneigennützigkeit verdienen. Seine Macht gäbe ihm die Stellung eines Vaters unter seinen Nachbarn, nicht ihres Bedrückers, und seine Größe wäre ihr Schutz, nicht aber ihr Verderben.
Freilich, Fürsten, die anderen zum Aufstieg verhelfen wollten, haben damit oft sich selbst ihren Niedergang bereitet; unser Jahrhundert weist hierfür zwei Beispiele auf: das Karls des Zwölften, der Stanislaus auf den Thron von Polen erhob14-1, und ein anderes noch jüngeren Datums14-2.
Mein Schluß lautet demnach: Thronraub verdient niemals Ruhm; Meuchelmord wird zu aller Zeit ein Abscheu des Menschengeschlechtes sein; Herrscher, die sich mit Unrecht und Gewalttat an ihren neuen Untertanen vergehen, werden sich die Herzen aller entfremden, anstatt sie zu gewinnen. Rechtfertigung des Verbrechens ist ein Unding; wer je die Sache des Unrechts führen will, wird ebenso zum Erbarmen<15> schiefe Denkwege wandeln müssen wie Machiavell. Der verdient seine Vernunft zu verlieren und mit seinem Gerede als unzurechnungsfähig dazustehen, der einen so schändlichen Mißbrauch von der Gabe des Denkens wagt, daß er sie gegen das Wohl der Menschheit kehrt. Das heißt, sich mit einer Waffe verwunden, die uns nur zu unserer Verteidigung gegeben ward.
Ich wiederhole, was ich im ersten Kapitel gesagt habe: Die Fürsten sind zu Richtern der Völker geboren; was sie groß macht, hat seinen Ursprung in der Pflege des Rechtes. Niemals dürfen sie also die Grundlage ihrer Macht und die ursprüngliche Bestimmung ihres Amtes verleugnen.
<16>4. Kapitel
Warum das Reich des Darius nach dem Tode seines Eroberers Alexander nicht wider dessen Nachfolger sich erhob.
Den Geist der einzelnen Völker zu verstehen, braucht man sie nur nebeneinander zu betrachten, wie Machiavell in diesem Kapitel die Türken und die Franzosen, Völker, die sich in Gebräuchen, Sitten und Anschauungen außerordentlich unterscheiden. Warum ist die Eroberung des Türkenreiches so schwer, fragt er, ihre Behauptung aber so leicht? Ebenso führt er aus, was alles eine mühelose Unterjochung Frankreichs begünstige, was dann aber dauernd die Ruhe des Besitzers bedrohe, weil Aufruhr ohne Ende das Land erfülle.
Der Autor sieht die Dinge nur von einer Seite an: er hält sich lediglich an die Verfassung der Regierungen und scheint zu glauben, die Macht des türkischen und persischen Reiches beruhe nur auf der Oberherrlichkeit eines einzelnen Hauptes über knechtisch unterjochte Völker, well er nur die Vorstellung eines festgegründeten, uneingeschränkten Despotismus kennt, als des sichersten Mittels für einen Fürsten, ungestört zu herrschen und seinen Feinden kraftvoll zu widerstehen.
Zu Machiavells Zeiten sah man freilich in dem Hochadel und den Edelleuten Frankreichs gleichsam kleine Herrscher, in gewissem Sinne Teilhaber an der Fürstengewalt, was Anlaß zu allerhand Spaltungen, zu starken Parteibildungen schuf und häufigen Empörungen Nahrung gab. Und doch weiß ich nicht, ob der Großherr nicht eher der Gefahr einer Entthronung ausgesetzt ist als ein König von Frankreich. Der Unterschied zwischen ihnen ist nur der: ein Türkenkaiser wird gewöhnlich von den Ia-nitscharen erdrosselt, während die Könige Frankreichs, die umgekommen sind16-1, gewohntermaßen von Mönchen umgebracht wurden. Doch Machiaoell spricht in diesem Kapitel mehr von Umwälzungen im allgemeinen als von Einzelfällen; er hat in der Tat einige Triebfedern in dem höchst kunstreich gebauten Uhrwerk herausgefunden, doch spricht er nur als Mann der Staatskunst. Vielleicht, daß der Philosoph das eine oder andere hinzufügen kann.
Die Unterschiede der Himmelsstriche, der Ernährung und Erziehung schassen eine völlige Ungleichheit in Lebensart und Denkweise, daher denn ein Wilder aus Amerika <17>ganz anders handelt, als ein gebildeter Chinese; daher denn das Temperament eines Engländers, tief wie Seneka, aber grillenhaft, etwas ganz anderes ist als der Mut und lächerlich-dumme Stolz eines Spaniers; daher denn ein Franzose mit einem Holländer so wenig Verwandtschaft hat wie die Lebhaftigkeit eines Affen mit der Schwerfälligkeit einer Schildkröte.
Von jeher erkannte man als die Seele der orientalischen Menschheit den Sinn der Beharrung bei der Lebensweise und den Sitten der Vorzeit, wovon sie niemals abgeht. Ihre Glaubenslehre, eine andere als die der Europäer, verpflichtet sie obendrein, niemals eine Unternehmung von sogenannten Ungläubigen zum Nachteil ihrer angestammten Herren zu begünstigen und gewissenhaft jeglichen Eingriff in ihren Glauben, jeglichen Umsturz ihrer Regierung zu verhüten. Auf diese Weise sichert die Sinnlichkeit ihrer Glaubensvorstellungen und die Unwissenheit, die nicht zuletzt sie so unverbrüchlich an ihren alten Sitten festhalten läßt, den Thron ihrer Herren wider die Begehrlichkeit der Eroberer. Ihre Denkweise verbürgt zuverlässiger die Dauer ihrer mächtigen Monarchie als ihre Staatsleitung.
Im Gegensatz zum Moslem ist die so völlig anders geartete seelische Veranlagung des französischen Volles ganz und gar oder mindestens zum guten Teil der Grund für die häufigen Umwälzungen in diesem Reiche: Leichtes Blut, unbeständiger Sinn war jederzeit ein Grundzug dieses liebenswürdigen Voltes. Die Franzosen sind unruhige und wilde Köpfe; gar bald langweilt sie, was den Reiz der Neuheit verlor; ihre Lust an der Veränderung hat vor den ernstesten Dingen noch nicht haltgemacht. Es scheint, als hätten es jene Kardinäle, die dort nacheinander, bald gehaßt, bald verehrt, das Reich lenkten, auf der einen Seite, bei der Niederwerfung der großen Herren, mit Machiavell gehalten, auf der andern Seite aber in ihrer Kenntnis der Volksseele es verstanden, die häufigen Stürme abzuwenden, die dem Throne der Herrscher immer wieder von der Untertanen leichtfertigem Sinne drohten.
Richelieu kannte nur ein Ziel seiner Politik: Niederwerfung der Großen, um die Königsmacht zu heben und sie zur Grundlage des Despotismus zu machen. Das gelang ihm in so hohem Maße, daß in diesem Augenblicke in Frankreich nur noch Spuren der alten Macht des Adels übrig sind und aller jener Standesvorrechte, die nach Ansicht der Könige der Hochadel des öfteren mißbrauchte.
Der Kardinal Mazarin trat in seines Vorgängers Fußtapfen. Trotz allem Widerstand, den er erfuhr, hatte er doch eine glückliche Hand und raubte obenein noch dem Parlamente seine alten Vorrechte, sodaß heutzutage das Ansehen dieser würdigen Körperschaft nur noch ein Schatten von ehedem ist; es ist ein Scheinwesen geworden, manchmal bildet sich's wohl ein, es könnte eines Tages noch einmal ein lebendiges Gebilde vorstellen, muß aber solchen Wahn regelmäßig bitter bereuen.
Die gleiche Politik, die jene beiden großen Staatsmänner zur Errichtung eines unbeschränkten Despotismus in Frankreich führte, gab ihnen das geschickte Mittel an die Hand, den leichtfertigen und unbeständigen Sinn der Nation, um ihre Gefähr<18>lichkeit zu mindern, ständig angenehm zu beschäftigen; tausend Nichtigkeiten, tausend Tändeleien und Vergnügungen mußten die Gedanken der Franzosen ablenken, und siehe, dieselben Menschen, die gegen Cäsar sich erhoben, unter den Valois die Fremden zu ihrer Hilfe ins Land gerufen hatten, die sich gegen Heinrich IV. verbündet, unter der Vormundschaftsregierung Verschwörungen angezettelt hatten18-1, diese selben Franzosen wußten in unsern Tagen nichts Gescheiteres, als in der Modejagd mitzurennen, mit großer Geflissenheit ihren Geschmack zu ändern, heute zu verachten, was sie gestern bewundert hatten, ihre Untreue und ihren Leichtsinn in all ihrem Tun an den Tag zu legen, ob sich's um ihre Geliebte handelte, ihren Aufenthalt, ihre Vergnügungen, ihre Ansichten oder Narrheiten — nur immer etwas Neues! Damit noch nicht genug. Auch starke Heere und Festungen in großer Zahl sichern jetzt den Herrschern Frankreichs für immer ihre Königsgewalt, sie haben nichts mehr zu fürchten, nichts von inneren Kriegen, nichts von etwaigen Erobererzügen ihrer Nachbarn.
Es ist anzunehmen, daß die französische Regierung, da sie mit einem Teil der Grundsätze Machiavells soviel Glück gehabt hat, auf so gedeihlichem Wege nicht stehenbleiben und nicht verfehlen wird, alle seine Lehren in Anwendung zu bringen. Am Erfolge braucht man nicht zu zweifeln angesichts der Einsicht und Geschicklichkeit des Ministers, der augenblicklich am Ruder ist18-2.
Doch hören wir lieber auf, sagte der Pfarrer von Colignac, damit wir keine Dummheiten sagen.
<19>5. Kapitel
Wie Städte oder Fürstentümer zu beherrschen sind, die vor ihrer Eroberung nach eigenen Gesetzen lebten.
Der Mensch ist ein vernünftiges, zweibeiniges Wesen ohne Federn — so hat die Schulweisheit einmal über unsere Art entschieden. Für den einen oder andern mag's mit dieser Begriffsbestimmung seine Richtigkeit haben; für die große Mehrheit trifft sie durchaus nicht zu, denn vernünftig ist nur eine kleine Minderzahl, und selbst diese vielleicht in einer Hinsicht nur; in zahllosen anderen Fällen ist das Gegenteil richtig. Der Mensch, kann man allenfalls sagen, ist ein Lebewesen, das Gedanken faßt und Gedanken verkettet. Das gilt allgemein für das ganze Geschlecht. Hierin treffen sich der Weise wie der Schwachkopf, der, welcher hohe, wie der, welcher niedrige Gedanken in sich hegt, der Freund der Menschlichkeit wie ihr Widersacher, der ehrwürdige Erzbischof von Cambrai19-1 und der nichtswürdige Florentiner Politikus.
Hat jemals Machiavell sich der Vernunft entschlagen, beim Denken vergessen, was er seiner Gattung schuldig ist, so ist's in diesem Kapitel: drei Wege schlägt er da dem Fürsten vor, einen freien republikanischen Staat, den er erobert hat, zu behaupten.
Der erste gewährt dem Fürsien gar keine Sicherheit; auf den zweiten könnte höchstens ein Irrsinniger verfallen; der dritte, nicht ganz so übel wie die zwei andern, hat gleichwohl seine Bedenken.
Warum überhaupt diesen Freistaat mit Waffengewalt einnehmen? Warum durchaus das ganze Menschengeschlecht in Ketten werfen, freie Menschen in Knechtschaft beugen? Nur damit ja die ganze bewohnte Welt eures ungerechten und boshaften Sinnes inne werde; nur damit eine Machtordnung, die für das Glück der Bürger da war, eurer Selbstsucht gefügig gemacht werde! An solchen abscheulichen Grundsätzen müßte unfehlbar die ganze Welt zugrunde gehen, sofern sie viele Bekenner fänden. Jeder ist sich wohl zur Genüge darüber klar, wie Machiavell wider die Gebote der Sittlichkeit frevelt. Wie er sich an aller Vernunft und Klugheit versündigt, wollen wir jetzt sehen.
„Man bringt einen Freistaat nach seiner Eroberung in Botmäßigkeit, indem man eine beschränkte Anzahl von Männern als Obrigkeit und als die Hüter eurer Ober<20>Hoheit einsetzt.“ Schon diese erste Regel des Staatslehrers würde dem Fürsten nichts weniger als die geringste Sicherheit einbringen. Denn es ist nicht ersichtlich, wie ein Freistaat, den einzig und allein ein Häuflein von Anhängern des neuen Gebieters im Zaume hält, dazu kommen sollte, ihm Treue zu bewahren. Naturgemäß wird seine alte Freiheit ihm lieber sein als die Knechtschaft, und er wird sich der Gewalt des Zwingherrn zu entziehen suchen; der Aufruhr wird nicht länger als bis zur ersten günstigen Gelegenheit auf sich warten lassen.
„Kein zuverlässigeres Mittel, einen freien Staat, den man in seine Gewalt gebracht hat, zu behaupten, als seine Zerstörung.“ Allerdings das sicherste Mittel, keinen Aufruhr befürchten zu müssen! Vor Jahren beging ein Engländer in London die Narrheit, sich zu töten; man fand auf seinem Tische einen Zettel, auf dem er sein befremdliches Tun damit rechtfertigte, er habe sich das Leben genommen, um niemals krank zu werden. Ich weiß nicht, ob das Heilmittel nicht schlimmer war als das Leiden. Von Menschlichkeit spreche ich hier nicht mit einem Scheusal wie Machiavell, das hieße den ehrwürdigen Namen einer Tugend, in der das Glück der Menschheit ruht, entweihen. Man braucht nicht die Religion noch die Moral zu bemühen, mit seinen eigenen Waffen kann man Machiavell in die Enge treiben, eben mit jener Selbstsucht, die ja die Seele seines Buches ist, der Abgott seiner verbrecherischen Staatsweisheit, der einzige Gott, den er anbetet.
Also du meinst, Machiavell, ein Fürst, der sich des gesicherten Besitzes seiner Eroberung freuen will, müsse sein neues Gebiet verwüsten? Aber antworte mir: zu welchem Ende hat er wohl diese Eroberung unternommen? Du wirst sagen: seine Macht zu erweitern, sich selbst gefürchteter zu machen. Das wollte ich hören, um dir zu beweisen, daß er, wofern er dir folgt, das genaue Gegenteil erreicht; denn er richtet sich zugrunde mit dieser Eroberung und richtet in der Folge das einzige Land zugrunde, das ihn für seine Verluste entschädigen könnte. Du wirst mir zugeben: ein Land, verheert, ausgeplündert, seiner Einwohner, alles Lebens, aller Ortschaften, mit einem Wort: alles dessen, was erst einen Staat ausmacht, beraubt — ein Land in solchem Zustande dürfte kaum fähig sein, einem Fürsten eine mächtige und gebietende Stellung zu gewähren. Ich denke mir einen Monarchen, der etwa die weiten Einöden von Libyen und Barka sein nennt, durchaus nicht als so furchtbaren Gebieter, und eine Million Panther, Löwen und Krokodile wiegt nicht eine Million von Untertanen auf, reiche Städte, brauchbare Häfen voller Schisse, betriebsame Bürger, Truppen und was sonst ein wohlbevölkertes Land hervorbringt.
Darüber gibt's nur eine Meinung, daß die Stärke eines Staates nicht in der Ausdehnung seiner Grenzen, sondern in seiner Bewohnerzahl beruht. Vergleicht nur Holland und Rußland! Dort ein paar sumpfige und unfruchtbare Eilande, die aus dem Schoße des Ozeans aufsteigen, ein Neiner Freistaat von ganzen 48 Metten in der Länge und 40 in der Breite. Aber dieser kleine Körper ist ganz Nerv, ein zahlloses Volk wohnt da, und dieses fleißige Volk ist überaus mächtig und reich. Das<21> Joch der spanischen Herrschaft, die seinerzeit die mächtigste Monarchie Europas war, hat es abgeschüttelt. Der Handel dieser Republik reicht bis an die Grenzen der Erde, sie behauptet ihren Rang unmittelbar hinter den Großmächten und vermag in Kriegszeiten ein Heer von 100 000 Streitern zu unterhalten, ungerechnet eine zahlreiche, wohlgerüstete Flotte.
Nun werfen wir im Gegensatz dazu den Blick auf Rußland: da breitet sich vor uns ein unermeßliches Land aus, eine Welt, dem Chaos des ersten Schöpfungstages ähnlich; das Land begrenzt auf der einen Seite die Große Tartarei und Indien, auf der andern das Schwarze Meer und Ungarn, auf der europäischen Seite reichen seine Grenzen bis Polen, Litauen und Kurland, Schweden begrenzt es im Norden. Rußland mag wohl 300 deutsche Meilen in der Breite und mehr als das gleiche in der Länge messen. Das Land ist reich an Getreide und bringt alles, was zum Leben nötig ist, hervor; zumal in der Gegend von Moskau und auf der Seite der Kleinen Tartarei. Und doch, so reich begünstigt es ist, es zählt gutgerechnet nur 15 Millionen Einwohner. Diese jüngst noch barbarische Nation, die jetzt in Europa eine Rolle zu spielen beginnt, vermag zu Wasser und zu Lande keine größere Streitmacht aufzubringen als Holland und bleibt an Reichtum und Hilfsquellen weit hinter ihm zurück.
Eines Staates Stärke beruht also nicht auf der Ausdehnung seiner Landesgrenzen, nicht auf dem Besitz einer weiten Einöde oder einer ungeheuren Wüste, sondern im Reichtum seiner Einwohner und in ihrer Anzahl; darum liegt es im Interesse eines Herrschers, die Bevölkerungszahl zu heben und das Land zur Blüte zu bringen, nicht aber es zu verwüsten und zugrunde zu richten. Muß man sich über die Bosheit Machiavells entsetzen, so kann er einem als Denker leid tun; er hätte besser getan, vernünftig denken zu lernen, als seine ungeheuerliche Staatslehre zum besten zu geben.
„Ein Fürst soll in einem neueroberten Freistaat seinen Sitz nehmen“ — lautet die dritte Regel des Verfassers. Sie ist glimpflicher als die andern, doch wies ich im dritten Kapitel21-1 auf mögliche Schwierigkeiten hin.
Meine Meinung ist: ein Fürst, der über einen Freistaat Herr geworden — wobei ich gerechte Gründe für seinen Feldzug voraussetze —, sollte sich damit bescheiden, dem Staate eine Buße aufzuerlegen, und ihm dann seine Freiheit wiedergeben. Freilich werden nur wenige so denken; wer darüber eine andere Auffassung hat, der mag sich seinen Besitz sichern, indem er starke Garnisonen in die Hauptplätze des neuen Gebietes legt und im übrigen das Volk seine Freiheit genießen läßt.
Was sind wir doch für Narren! Alles möchten wir erobern, als hätten wir die Zeit dazu, alles zu besitzen, als wäre unserer Daseinsdauer kein Ziel gesetzt. Unsere Lebenszeit geht zu schnell dahin, und oft glaubt man, für sich selbst zu arbeiten, und arbeitet doch nur für unwürdige oder undankbare Erben.
<22>6. Kapitel
Von neuen Herrschaften, die Waffengewalt und Tapferkeit gründete.
Wären die Menschen ohne Leidenschaft, so möchte es Machiavell wohl hingehen, wollte er ihnen welche einflößen, wie ein zweiter Prometheus, der das Himmelsfeuer raubt, um Automaten ohne Gefühl und ohne Fähigkeit, zu Nutz und Frommen der Menschheit zu wirken, eine Seele zu geben. Dem ist aber nicht so, denn ohne Leidenschaften ist kein Mensch; und sie haben alle ihr Gutes für die Menschheit, solange sie in ihren Grenzen bleiben, aber schädlich, ja vernichtend werden sie, sobald sie zügellos walten dürfen.
Von allen Regungen, die mit herrischer Gewalt unserer Seele zusetzen, ist keine verhängnisvoller, keine dem Gedanken der Menschlichkeit fremder, keine bedenklicher für die Ruhe der Welt denn maßlose Ehrsucht, ausschweifende Begier nach falschem Ruhme.
Hat ein Bürger das Unglück, mit solchem Hang geboren zu sein, so ist er mehr noch ein armer Teufel denn ein Narr. Ohne der Gegenwart recht inne zu werden, lebt er nur in Zukunfttagen; unablässig nährt ihn seine Einbildung mit unklaren Zukunftsvorstellungen, und da seine unselige Leidenschaft keine Grenzen kennt, kann nichts in der Welt ihm Genüge geben, und seine Ehrbegier würzt ihm all seine Freuden mit bitterem Wermut.
Ein Fürst in der gleichen Seelenverfassung ist zum mindesten ebenso traurig dran wie ein Bürger; ist doch seine Tollheit, well er höher sieht, nur um so schwärmerischer, unheilbarer, unstillbarer. Lebt die Leidenschaft des Bürgers vom Gedanken an Ansehen und Ehren, so hungert die Ehrbegier des Monarchen nach Provinzen und Kronen. Nun ist's aber noch leichter, zu Ämtern und Ehrenstellen zu gelangen als Reiche zu erobern, und so gibt's für jenen Bürger wohl noch eher einmal eine Erfüllung als für den Fürsten.
Wieviel jener unsteten und unruhigen Geister begegnen einem im Leben, deren unersättlicher Machthunger die Welt auf den Kopf stellen möchte, Gemüter, darein die Liebe zu einem falschen und eitlen Ruhm nur allzu tief ihre Wurzeln gesenkt hat! Solche Menschen sind die reinen Brandfackeln, man sollte sie sorgfältig löschen,<23> jedoch bei ihrer Feuergefährlichkeit beileibe nicht schütteln und anfachen. Für ihresgleichen sind Machiavells Lehren um so gefährlicher, weil sie ihren Leidenschaften schmeicheln und sie auf Gedanken bringen, die sie vielleicht ohne seine Hilfe nicht aus dem eigenen Innern geschöpft hätten.
Machiavell hält ihnen die Beispiele von Moses, Cyrus, Romulus, Theseus und Hieron23-1 vor; mit Leichtigkeit ließe sich die Reihe erweitern durch die Stifter von Sekten, wie Mohammed und William Penn; und mögen mir's die Herren Jesuiten von Paraguay23-2 gestatten, ihnen hier ein Plätzchen anzubieten, das für sie nur eine Ehre sein kann, da es sie in die Reihe der Helden versetzt.
Die Unehrlichkeit, mit der der Verfasser hier zu Werke geht, verdient eine Kennzeichnung; es ist gut, alle Schliche und Listen des nichtswürdigen Verführers aufzudecken.
Ein Redlicher stellt seinen Gegenstand nicht ausschließlich unter einem einzigen Gesichtspunkte dar, er macht vielmehr alle Seiten der Sache sichtbar, auf daß dem Leser die Wahrheit ja nicht verschleiert werde, und sollte sie auch des Darstellers eigenen Voraussetzungen widerstreiten. Machiavell zeigt den Ehrgeiz, im Gegensatz zu jenem Redlichen, nur von seiner lichtesten Seite; es sieht damit wie mit einem geschminkten Gesicht, das er nur am Abend bei Kerzenlicht sehen läßt, während er es ängstlich vor den Strahlen der Sonne birgt: er spricht nur von den Ehrsüchtigen, denen das Glück hold gewesen, bewahrt aber ein tiefes Schweigen über alle, die ihrer Leidenschaft zum Opfer gefallen sind; ungefähr wie's in den Nonnenklöstern Brauch ist, wo man den jungen Mädchen bei ihrer Aufnahme alle Süßigkeiten des Himmels im voraus zu kosten gibt, ohne ihnen ein Wort zu sagen von der bitteren Pein, die man noch in dieser Welt ihnen zugedacht hat. Das heißt der Welt Sand in die Augen streuen, auf Betrug ausgehen, und es läßt sich nicht in Abrede stellen, Machiavell spielt in diesem Kapitel die traurige Rolle eines Marktschreiers des Verbrechens.
Wenn er vom Führer, Fürsten und Gesetzgeber der Juden spricht, von dem Befreier der Griechen, vom Eroberer des Mederlandes, von dem Gründer Roms — alles Männer, deren Streben der Erfolg krönte, warum führt er nicht auch das Beispiel gewisser Parteihäupter an, die ein schlimmes Ende nahmen, und zeigt so, daß der Ehrgeiz zwar einige wenige emporträgt, die Mehrzahl aber ins Verderben stürzt? So ließe sich dem Glück des Moses das Unglück jener ersten Gotenvölker gegenüberstellen, die das Römerreich verheerten, dem Erfolge des Romulus der Untergang Masaniellos, des neapolitanischen Schlächters, den seine Verwegenheit bis zur Königswürde emporhob und der dann das Opfer seines Verbrechens wurde23-3; dem gekrönten Ehrgeiz Hierons der bestrafte Ehrgeiz Wallensteins; neben den blutigen<24> Thron Cromwells, der seinen König mordete, ließe sich wohl der umgestürzte des stolzen Guisen setzen, der in Blois ermordet ward24-1. So würde das Gegengift, unmittelbar auf das Gift verabreicht, dessen gefährlichen Wirkungen zuvorkommen, wie Achills Lanze, die verwundet, aber auch heilt.
Übrigens scheint mir's recht unüberlegt von Machiavell, Moses mit Romulus, Cyrus und Theseus zusammenzustellen. Entweder handelte Moses unter höherer Eingebung oder nicht. Im letzteren Fall kann man Moses nur als einen Erzschurken, Gauner und Betrüger ansehen, der sich Gottes bediente wie ein Dichter des Deus ex machina, der den Knoten lösen muß, wenn der Verfasser keinen Ausweg weiß. Moses war im übrigen so ungeschickt, daß er das jüdische Volk 40 Jahre lang einen Weg führte, den es bequem in sechs Wochen hätte zurücklegen können; von der geistigen Höhe der Ägypter hat er sich sehr wenig angeeignet und sieht somit in dieser Hinsicht tief unter Romulus und Theseus und den andern Heroen. Handelte aber Moses unter der Eingebung Gottes, so kann man eben nur das blinde Werkzeug der göttlichen Allmacht in ihm sehen, und dann blieb der Führer der Juden weit hinter dem Gründer des Römerreiches, hinter dem Perserkönig und dem griechischen Helden zurück, die durch ihren Eigenwert und eigene Kraft Bedeutenderes leisteten als jener unter dem unmittelbaren Beistande Gottes.
Geisteskraft, Mut, Gewandtheit und Haltung — all dessen bedarf es in hohem Maße, um es den Genannten gleichzutun, das gebe ich im allgemeinen vorurteilslos zu. Doch kommt ihnen darum ein höherer Menschenwert zu? Tapferkeit und Gewandtheit finden sich gleichermaßen bei dem Räuber auf der Landstraße wie bei Helden; der Unterschied ist nur, daß der Eroberer ein erlauchter Räuber ist, der durch die Erheblichkeit seiner Taten Eindruck macht und durch seine Machtmittel sich Achtung erzwingt, während der Durchschnittsspitzbube ein namenloser Wicht ist, um so verachteter, je verworfener er ist. Der eine erntet Lorbeeren als Preis seiner Gewalttaten, der andere endet am Galgen. So beurteilen wir die Dinge niemals nach ihrem wirklichen Werte, well undurchdringliche Wolken unser Auge umlagern; hier bewundern wir, was wir dort tadeln, ein Missetäter braucht nur erlauchter Herkunft zu sein, und er kann auf den Beifall der meisten Menschen zählen.
Es ist zwar richtig, daß jeder Neuerung, die einer in die Welt einführen will, sich immer wieder tausend Hindernisse in den Weg stellen werden, und daß darum ein Prophet an der Spitze eines Heeres mehr Jünger gewinnen wird, als wenn er nur mit rein geistigen Waffen kämpfte24-2. Beweis: das Christentum — solange es sich nur<25> auf seine Lehre stützte, war es schwach und unterdrückt; erst als es viel Blut hatte stießen machen, breitete es sich in Europa aus. Ebenso richtig aber ist die andere Beobachtung, daß Lehren und Neuerungen manchmal fast mühelos ihren Weg finden. Wieviel Religionen, wieviel Sekten fanden mit unglaublicher Leichtigkeit ihre Aufnahme! Nichts schafft neuen Gedanken so leicht Nachdruck als der Fanatismus, und mir scheint, als hätte Machiavell über diesen Gegenstand allzu vorschnell abgeurteilt.
Schließlich noch einige Betrachtungen zu dem Beispiel des Hieron von Syrakus, das Machiavell für die anzieht, die mit Hilfe ihrer Freunde und ihrer Truppen emporkommen. Hieron traute seinen Freunden und seinen Kriegern, die ihm mit zu seinem Ziele verholfen hatten, nicht mehr und schloß lieber neue Freundschaften und hob neue Truppen aus. Machiavell und allen Undankbaren zum Trotz behaupte ich, daß das eine elende Politik war, und daß Hieron klüger daran getan hätte, sich auf Truppen von bewährter Tapferkeit, auf Freunde von bewährter Treue zu verlassen, als auf Unbekannte, deren man niemals sicher ist. Ich überlasse es dem Leser, diesen Gedankengang weiterzuführen; jeder, der Undankbarkeit verabscheut und das Glück der Freundschaft kennt, wird hierbei nicht um Stoff verlegen sein.
Indessen möchte ich den Leser auf die Doppeldeutigkeit der Ausdrucksweise Machiavells aufmerksam machen. Man lasse sich nichts vormachen, wenn er sagt: „Was hilft aller persönliche Wert, wenn's an der Gelegenheit fehlt?“ Das bedeutet im Munde dieses Buben: ohne die Gunst der Umstände können auch Schurken und Abenteurer mit ihren Talenten nichts anfangen. Die Dunkelheiten dieses verächtlichen Schreibers versieht nur, wer den geheimen Sinn seiner Verbrechersprache deutet.
Ich meine, ganz allgemein gesprochen — um mit diesem Kapitel zu Ende zu kommen —: für einen Bürger ist die einzige Gelegenheit, ohne Verbrechen nach dem Höchsten zu streben, wenn er in einem Wahlkönigreiche geboren ist oder wenn ein unterdrücktes Volt ihn zu seinem Befreier ausruft. Ein Ruhm ohnegleichen wäre es, ein Volk erretten und ihm dann die Freiheit wiedergeben! Doch wir wollen keine Menschenbildnisse entwerfen nach dem Vorbilde Corneillescher Helden. Bescheiden wir uns mit Racineschen, schon das ist viel.
<26>7. Kapitel
Von neuen Fürstentümern, die fremder Hilfe und dem Glück zu verdanken sind.
Schriftsteller hat es schwer, will er uns nicht dahinterkommen lassen, wes Geistes Kind er ist; bei dem vielen Reden und der Verschiedenheit seiner Gegenstände wird ihm notwendigerweise immer wieder hier und da ein unbedachtes Wort entschlüpfen, wodurch ganz in der Stille ein Bild seines inneren Menschen zustande kommt.
Vergleichen wir Fénelons Fürsten26-1 mit dem Machiavells, so haben wir dort das Seelengemälde eines Ehrenmannes voll Güte, Gerechtigkeit und Billigkeit, kurz alle menschlichen Vorzüge in großartigster Vollendung, als wäre es eines jener rein geistigen Wesen, deren Weisheit, sagt man, zur Hüterin der Weltordnung berufen ist. Auf der andern Seite haben wir verbrecherische Gesinnung, Schurkerei, Tücke, Verrat und jede Ruchlosigkeit, mit einem Wort einen Unhold, wie ihn kaum die Hölle hervorbrächte. Fühlen wir uns bei Fenelons „Telemach“ den Engeln wesensverwandt, so scheint die Menschennatur, liest man den „Fürsten“ Machiavells, den Höllengeistern nicht allzu fern zu siehn. Cäsar Borgia oder der Herzog von Valentinois, das ist das<27> Urbild, nach dem der Verfasser seinen Fürsten gestaltet, solch ein Muster mutet er schamlos denen zu, die es mit Hilfe ihrer Freunde oder ihrer Waffen in der Welt zu etwas bringen. Es ist also durchaus erforderlich, uns diesen Cäsar Borgia einmal näher anzusehen, damit wir uns eine Vorstellung machen können von dem Helden und seinem Verherrlicher.
Es gibt kein Verbrechen, das Cäsar Borgia nicht begangen hätte, keine Gemeinheit, für die er nicht das Beispiel gegeben, keine erdenkbare Untat, deren er sich nicht schuldig gemacht hätte. Er ließ seinen Bruder27-1 ermorden, der seinem Streben nach Ruhm in der Welt im Wege stand sowie seiner Liebe zu seiner Schwester27-2. Die Schweizer des Papstes ließ er niedermetzeln aus Rache, weil einige von ihnen seine Mutter27-3 beleidigt hatten. Zahllose Kardinäle, zahllose Reiche plünderte er aus, um seine Habgier zu sättigen. Die Romagna entriß er dem Herzog von Urbino27-4, ihrem rechtmäßigen Besitzer; seinen Statthalter, den grausamen d'Orco, ließ er aus dem Wege räumen; schmählichen Verrat beging er zu Sinigaglia an einer Anzahl von Fürsten, deren Leben, wie er meinte, seinen Zwecken im Wege stand; eine venezianische Dame ließ er ertränken, nachdem er sie geschändet hatte. Wieviel Grausamkeiten wurden nicht auf seinen Befehl begangen! Wer vermöchte die ganze Fülle seiner Verbrechen zu zählen? So sieht der Mann aus, den Machiavell allen großen Geistern seiner Zeit und den Helden des Altertums vorzieht; sein Leben und seine Taten hält er als würdiges Muster denen vor, die ihr Glück emporhebt.
Ich wage es, die Partei der Menschlichkeit gegen den zu ergreifen, der es auf ihren Verderb abgesehen hat, muß aber bei meinem Kampfe wider Machiavell doch noch auf mehr Einzelheiten eingehn, damit seine Gesinnungsgenossen keine Ausflüchte mehr finden, hinter denen sie immer noch ihre Bosheit verschanzen könnten.
Cäsar Borgia gründete den Plan seiner Größe auf die Uneinigkeit der italienischen Fürsten; er beschloß, sie gegeneinander aufzuhetzen, um sich an das zu halten, was für ihn dabei abfiel. Das gab dann einen ganzen Knäuel scheußlicher Untaten. Für Borgia gab's kein Unrecht, wenn seine Ehrsucht das Wort hatte; so mußte ein Sturz den andern nach sich ziehen. Um meine Hand auf das Eigen meiner Nachbarn legen zu können, muß ich sie schwächen; um sie zu schwächen, muß ich sie widereinander aufbringen — Schurkenlogik.
Borgia wollte sich einen Beistand sichern; also mußte Alexander VI. dem König Ludwig XII. einen Ehedispens gewähren, damit der ihm Hilfe leiste. Das ist die Art der Kirchenherren, mit der Welt ihren Spott zu treiben: nur ihrem Eigennutz gehen sie nach, wenn sie des Himmels beflissene Diener scheinen. War die Ehe Ludwigs XII. danach, daß sie getrennt werden mußte, so hätte der Papst sie trennen müssen, ohne daß die Politik dabei mitsprach; brauchte sie nicht gelöst zu werden, so hätte auch nichts das Haupt der Kirche, den Statthalter Christi, dazu bestimmen dürfen.
<28>Borgia brauchte Kreaturen, darum bestach er die Urbinaten mit Geschenken und Zuwendungen. Wer Besiechungsgelder anbietet, macht sich gewissermaßen ebenso schuldig wie der, der sie nimmt, spielt er doch die Rolle des Versuchers; ohne seine Versuchung gibt's für den andern kein Erliegen. Doch suchen wir nicht erst nach Verbrechen bei Borgia, lassen wir ihm seine Bestechungen hingehn, sei es auch nur, well sie einige trügerische Ähnlichkeit mit Wohltaten haben, freilich mit dem Unterschiede, daß der Bestechende mit seiner Guttat seinen Vorteil sucht, während ein rechter Wohltäter nur der andern Bestes im Auge hat. Borgia wollte sich einiger Fürsten aus dem Hause von Urbino entledigen, des Vitellozzo, des Oliverotto da Fermo und anderer. Machiavell nennt das: er war so klug, sie nach Sinigaglia zu entbieten, wo er sie verräterisch umbringen ließ.
Den Glauben der Menschheit täuschen, der eigenen Niedertracht ein Mäntelchen umhängen, sich gemeiner List bedienen, Verrat üben, Meineid begehn und morden, für all dergleichen hat unser Doktor der Schurkerei den Namen: Klugheit. Doch ich spreche mit ihm nicht von Religion noch von Sittlichkeit, bleiben wir ganz einfach bei der Frage des Nutzens; das soll mir genügen, ihn zu widerlegen. Ich frage, zeugt es wirklich von Klugheit, den Menschen Beweise dafür zu liefern, daß es einem nicht darauf ankommt, gegen Treu und Glauben zu sündigen, meineidig zu werden? Wirfst du Treu und Glauben und den Eid über den Haufen, welche Bürgschaften bleiben dir für die Treue der Menschen? Stößt du den Eidschwur um, durch welche Macht gedenkst du Untertanen und Völker zu binden, daß sie deine Herrschaft achten? Wenn du Treu und Glauben den Garaus machst, woher das Vertrauen nehmen zu irgendeiner Seele und den Mut, auf irgendein Versprechen, das euch gegeben wird, zu bauen? Geht ihr voran mit dem Beispiel des Verrates — an Verrätern, die es euch nachmachen, wird es niemals fehlen; geht ihr voran mit dem Beispiel der Treulosigkeit — was glaubt ihr, wie viele Treulose euch's heimzahlen werden! Lehret ihr Mord, so zittert, daß einer eurer Schüler sein Probestück an euch vollziehe! So daß auf diese Weise euch nichts bleibt als der Vorzug, den Altmeisier des Verbrechens abzugeben und die Ehre des Wegweisers für andere Unholde, gleich entartet wie ihr. So kommt das Lasier zu Fall und bedeckt mit Schmach, die sich ihm hin, geben, bereitet ihnen Schaden und Fährnis. Ein Fürst wird aber niemals ein Sonderrecht auf das Verbrechen haben und daher auch niemals sich der Straflösigkeit für seine Verruchtheit erfreuen. Das Verbrechen gleicht einem Felsen, von dem ein Teil sich löst, der nun auf seinem Wege alles zerschmettert, um schließlich durch sein eigen Gewicht zu zerschellen. Welch ein abscheulicher Wahn, welche Verirrung des Denkens kann Machiavell an Lehren Geschmack finden lassen, die in ihrer abscheulichen Verderbtheit der Menschheit ins Gesicht schlagen?
Borgia setzte den grausamen d'Orco zum Statthalter in der Romagna ein, um Unruhe, Raub und Mord, die dort ins Kraut schossen, zu unterdrücken. Welch kläglicher Widerspruch! Borgia hätte erröten müssen, wenn er an anderen Lasier be<29>strafte, die er an sich selbst duldete. Konnte er, der gewalttätigste aller Usurpatoren, der falscheste unter allen Meineidigen, von allen Mördern und Giftmischern der Grausamsie, konnte er Schurken und Verbrecher bestrafen, die mit ihren schwachen Kräften dem Beispiel ihres neuen Herrn und Meisters nur nachstümperten?
Der König von Polen29-1, dessen Tod jüngst soviel Wirren in Europa zur Folge hatte, handelte da viel folgerichtiger und vornehmer gegen seine sächsischen Untertanen. Die sächsischen Gesetze bestraften jeden Ehebrecher mit Enthauptung. Ich will nicht den Ursprung jenes barbarischen Gesetzes untersuchen, das mehr nach italienischer Eifersucht aussieht als nach duldsamer deutscher Art. Ein Unglücklicher, den Liebesleidenschaft dahin gebracht hatte, der Sitte und dem Gesetz zu trotzen, war dem Urteil verfallen, und August sollte das Todesurteil unterzeichnen; für die Stimme der Menschlichkeit ebenso empfänglich wie für die Regungen der Liebe, begnadigte er den Schuldigen und hob ein Gesetz auf, das jedesmal, so oft er ein derartiges Urteil Unterzeichnen mußte, stillschweigend ihn selber verdammt hätte. Seitdem genoß in Sachsen die Galanterie das Vorrecht der Straflosigkeit.
Das Verhalten dieses Königs zeugte von Menschlichkeit und einem fühlenden Her, zen, das Cäsar Borgias von einer ruchlosen Tyrannenseele. Der eine, ein Vater seiner Völker, übte Nachsicht mit jenen Schwächen, die nun einmal, das wußte er, zur Menschennatur gehören; der andere, immer hart, immer blutdürstig, ahndete an seinen Untertanen die Lasier, von denen er fürchten mußte, daß sie seinen eigenen nur zu ähnlich sähen. Der eine konnte den Anblick seiner eigenen Schwächen ertragen, der andere wagte es nicht, seinen Verbrechen ins Gesicht zu sehen. Borgia läßt den grausamen d'Orco in Stücke hauen, der ein williger Diener all seiner Absichten gewesen ist, um sich das Volt zu gewinnen, indem er das Werkzeug seiner barbarischen Grausamkeit büßen läßt. Die Last der Tyrannei drückt niemals wuchtiger als dann, wenn der Tyrann sich ins Kleid der Unschuld hüllen will und die Bedrückung unter dem Deckmantel der Gesetzlichkeit geschieht. Der Tyrann gönnt dem Volke nicht einmal den schwachen Trost, daß er sein Unrecht einsehe; um den eigenen Greueltaten ein harmloseres Gesicht zu geben, müssen andere die Schuld daran auf sich nehmen, die Strafe dafür erleiden — als sähe man einen Mordbuben, der das Werkzeug seiner wilden Tat in die Flammen wirft, im Wahn, er könne so die Leute hinters Licht führen, sodaß sie ihn freisprechen. Das ist das Schicksal, auf das die unwürdigen Helfer fürstlichen Verbrechens gefaßt sein mögen: ob sie auch, solange man ihrer bedarf, belohnt werden, früher oder später fallen sie einmal als Opfer ihrer Herren — gleichzeitig übrigens eine Lehre für die, die leichtherzig Schurken wie Cäsar Borgia vertrauen, und für die, so sich rückhaltlos und ohne jedes sittliche Bedenken dem Dienst ihrer Herrscher hingeben. So trägt das Verbrechen stets den Keim der Strafe in sich.
<30>Borgia griff mit seiner sorgenden Voraussicht bis über den Tod seines Vaters, des Papstes, hinaus und machte sich daran, alle die, denen er ihre Habe geraubt hatte, aus dem Wege zu räumen, auf daß der neue Papst sich ihrer nicht gegen ihn bedienen könne. So türmt sich Verbrechen auf Verbrechen: um seine Aufwendungen zu bestreiten, bedarf es großer Mittel; um diese zu bekommen, muß man die rechtmäßigen Besitzer ausrauben; um den Raub in Sicherheit zu genießen, müssen sie aus der Welt geschafft werden. Graf Horn30-1 hätte, als er hingerichtet wurde, ein Lied davon singen können. Mit den Untaten ist es wie mit einem Rudel von Hirschen: sobald einer durch die Lappen geht, folgen alle andern nach. Hütet euch also vorm ersten Schritt.
Um etliche Kardinäle zu vergiften, ladet Borgia sie bei seinem Vater zu Tisch. Der Papst und er genießen versehentlich von jenem Trank, Alexander VI. stirbt daran, und Borgia kommt glücklich davon, um ein jammervolles Leben weiterzu-schleppen — ein wohlverdienter Lohn für Giftmischer und Mörder.
Das wäre also die Klugheit, die Weisheit, die Geschicklichkeit und die menschliche Tüchtigkeit, die Machiavell nicht genug loben kann. Der berühmte Bischof von Meaux30-2, der gefeierte Bischof von Nimes30-3, der beredte Verherrlicher Trajans30-4 konnten ihre Helden nicht besser Herausstreichen als Machiavell seinen Cäsar Borgia. Wenn's bei diesem Preislied eine Ode gegolten hätte, eine rhetorische Figur, so würde man vielleicht seine findige Kunst bewundern, wenn man auch die Wahl ihres Gegenstandes mißbilligte; aber nein, es handelt sich um eine Staatslehre, die auf die fernste Nachwelt kommen soll, ein höchst ernst gemeintes Werk, in dem Machiavell sich nicht entblödet, das scheußlichste Ungeheuer, das je die Hölle auf die Erde gespieen hat, mit Lob zu verherrlichen. Das heißt doch, sich kaltblütig dem Hasse des Menschengeschlechtes und dem Abscheu aller Redlichen bloßstellen.
Cäsar Borgia wäre nach dem Urteil Machiavells vollkommen gewesen, hätte er nicht zur Papstwahl des Kardinals von San Pietro ad vincula30-5 seine Zustimmung gegeben; „denn“, sagt er, „bei den großen Männern können Wohltaten in der Gegenwart niemals Unbilden der Vergangenheit ungeschehen machen“. Mein Begriff eines großen Mannes deckt sich keineswegs mit dem des Verfassers. Alle rechtlich Denkenden würden wohl für immer für den Namen eines Großen danken, wenn er nur durch Rachgier, Undank und Falschheit zu verdienen wäre. Die Mühen und Sorgen Cäsar Borgias um Erweiterung seiner Macht und seines Ansehens fanden schlimmen Lohn: nach dem Tode des Papstes büßte er die Romagna und all seine Güter ein, mußte zum König von Navarra30-6 nach Spanien flüchten, wo er durch einen jener verräterischen Streiche, wie er sie so gern im Laufe seines Lebens geübt hatte, umkam.
<31>So wurde diese große Fülle von ehrgeizigen Plänen, klug erdachten und geheimgehaltenen Entwürfen zunichte. So wurde diese Fülle von Kämpfen, Mordtaten, Grausamkeiten, Meineiden und Treulosigkeiten gegenstandslos. Wie oft hatte sich Borgia aus eigener Lebensgefahr, aus arger Klemme und Verlegenheit mit Glück wieder herausgezogen. All das förderte nun sein Geschick keinen Deut, machte dafür seinen Sturz nur noch gewaltiger, noch mehr in die Augen fallend — der Fluch der Ehrsucht. Dieser Truggeist verheißt Güter, die er gar nicht zu vergeben, gar nicht zu eigen hat. Der Ehrsüchtige gleicht einem Tantalus, der mitten im Wasser stehend, nie seinen Durst löschen kann und niemals löschen wird.
Ist es der Ruhm, dem ein Ehrgeiziger nachstrebt? Wahrlich nein! Ein Trugbild des Ruhmes ist es, hinter dem er herläuft, wo sogar der echte nur wie ein Wölkchen Rauches ist. Verlieren sich doch die großen Männer unserer Tage unter der unendlichen Menge derer, die Großes geleistet, Heldenwerk vollbracht haben, so wie das Wasser kleiner Flußläufe, das man sieht, solang sie in ihrem Bette rinnen, das aber unserm Auge entschwindet, sobald es an der Mündung sich unter die Fluten eines unermeßlichen Weltmeeres mischt.
So ist also Glück das Endziel der Ehrsucht? Das wird sie noch weniger erjagen als den Ruhm. Mit Stacheln und Dornen ist ja ihr Weg besät, Sorgen, Kummer und endlose Mühsal sind ihr zugedacht. Das rechte Glück gehört von Hause aus so wenig zum Menschengeschick wie der Leib Hektors an den Wagen des Achill. Glück gibt's für den Menschen nur in seiner eigenen Brust, und nur Weisheit vermag da diesen Hort zu heben.
<32>8. Kapitel
Von denen, die durch Verbrechen zur Herrschaft gelangten.
Die „Philippika“ von La Grange32-1 gelten für eine der schonungslosesten Schmähschriften, die je verfaßt sind, und nicht mit Unrecht. Meine Einwendungen indessen gegen Machiavell haben mehr Wucht als die Angriffe La Granges, ist doch sein Pamphlet gegen den Regenten von Frankreich im Grunde nur eitel Verleumdung; was ich aber gegen Machiavell vorbringe, sind Wahrheiten. Ich bediene mich ja zu seiner Widerlegung seiner eigenen Worte. Was könnte ich Ungeheuerlicheres von ihm aussagen, als daß er Regeln aufstelle „für die, die durch Verbrechen zur Herrschaft gelangen“? So seine Überschrift zu dem vorliegenden Kapitel!
Wenn Machiavell in einem Verbrecherseminar Lehrvorträge hielte, wenn er in einer Hochschule für Verrat ein Lehrgebäude der Treulosigkeit entwerfen wollte, dann wäre eine Behandlung solchen Stoffes nicht allzu verwunderlich. Nun aber spricht er zu der Gesamtheit der Menschen; denn ein Autor, der seine Arbeit drucken läßt, wendet sich an die Welt und vorzugsweise an diejenigen, welche die Besten sein sollen, da sie zu Herrschern über andere berufen sind. Kann's da also eine schändlichere, unverschämtere Zumutung geben, als solchen Lesern gute Lehren zu erteilen über Verrat, Falschheit, Meuchelmord und sonstige Untaten? Zum Wohle der Menschheit wäre es vielmehr wünschenswert, daß Erscheinungen wie ein Agathokles32-2 und Oliverotto da Fermo, die Machiavell mit Behagen anführt, ein für allemal unmöglich wären, oder daß man wenigstens ihr Andenken für immerdar aus dem Gedächtnis der Menschen tilgte.
Nichts wirkt verführerischer als das schlechte Beispiel. Das Leben eines Agathokles oder Oliverotto da Fermo ist geeignet, in einem Menschen mit dem dunklen Hang zum Verbrechen diesen gefährlichen Samen, den er ahnungslos in seinem Innern birgt, zur Entwicklung zu bringen. Wie viele junge Leute haben sich durch das Lesen von Romanen ihr Vorstellungsleben verderbt und sehen nur noch, denken nur noch wie Gandalin und Medor32-3. Es gibt in der Gedankenwelt etwas Ansteckendes, wenn ich mich so ausdrücken darf, was sich überträgt von Geist zu Geist. So führte <33>Karl XII., dieser ganz außerordentliche Mensch, dieser Abenteurerkönig, der wie eine Gestalt aus der alten Ritterzeit anmutet, dieser fahrende Recke, dessen große Eigenschaften alle in ihrer Steigerung ins Maßlose zu Lastern entarteten — so führte er von zartester Kindheit an die Lebensbeschreibung Alexanders des Großen bei sich, und viele, die diesen Alexander des Nordens näher gekannt haben, versichern, daß eigentlich Quintus Curtius33-1 Polen verwüstet habe, daß Stanislaus33-2 König ward nach dem Vorgange von Porus33-3, und daß die Niederlage von Pultawa eigentlich eine Schlacht von Arbela werden sollte.
Darf ich wohl nach so erhabenem Beispiel herabsteigen zu niedriger Geartetem? Ich meine freilich, in der Geschichte des menschlichen Geistes sind, philosophisch betrachtet, wenn man absieht von den Verschiedenheiten der Geschicke und des Standes, die Könige auch nichts anderes als Menschen und alle Menschen sich gleich, handelt sich's doch hier nur im allgemeinen um bestimmte Eindrücke und Einflüsse von außen her auf das menschliche Gemüt.
Ganz England weiß, was sich in London vor etlichen Jahren zutrug. Man gab ein sehr mäßiges Lustspiel mit dem Titel „Cartouche“33-4, in dem einige gewitzte Streiche und Gaunerstücke des berüchtigten Diebes vorgeführt wurden. Nach dem Schluß des Schauspiels entdeckten viele Leute, daß ihnen Ringe, Tabaksdosen oder Uhren fehlten. So schnell hatte Cartouche Schule gemacht, daß seine Lehren noch im Zuschauerraum zur Tat wurden und die Polizei sich veranlaßt sah, die gar zu gefährliche Aufführung dieses Lustspiels zu untersagen. Dies beweist wohl zur Genüge, wie verderblich böse Beispiele sein können und daß man bei der Aufstellung von VorbUdern gar nicht genug Umsicht und Klugheit walten lassen kann.
Machiavell erörtert zunächst die Ursachen der auffallenden Erscheinung, daß bei all ihren Grausamkeiten Agathokles und Fermo sich doch in ihren Staaten halten konnten, und erblickt sie darin, daß sie ihre Bluttaten zum rechten Zeitpunkte verübt hätten. Also Barbarei mit Bedacht und Tyrannei nach allen Regeln der Kunst heißt bei unserm Schandpolitiker: alle Gewalttaten und Verbrechen, die man für seine Zwecke erforderlich erachtet, auf einmal und auf einen Schlag erledigen.
Laßt hinmorden, wer euch verdächtig ist, die, denen ihr nicht traut und wer sich offen für euren Feind erklärt, aber säumet niemals mit eurer Rache! Taten wie die Sizilianische Vesper, Taten wie das grausige Blutbad der Bartholomäusnacht, wo Greuel geschahen, über die die Menschheit erröten muß, heißt Machiavell gut. Dem entmenschten Unhold bedeuten diese Greuel gar nichts; die Hauptsache: daß die Art ihrer Ausführung auf das Volk den rechten Eindruck mache und ihm einen heilsamen Schrecken einjage im Augenblicke, da der Schlag fällt. Und der Grund da<34>für: die Bilder solcher Vorgänge verblassen leichter im Bewußtsein der Menge als der Eindruck fürstlicher Gewalttaten, der sich immer wieder erneut, Gewalttaten, die ihr ganzes Leben hindurch den Ruf von ihrer Roheit, ihrer Barbarei wach halten — als wäre es nicht ebenso verwerflich und abscheulich, tausend Menschen an einem Tage umzubringen oder sie in längeren Zeiträumen erwürgen zu lassen! Die entschlossene, rasch zugreifende Wildheit der ersteren verbreitet in höherem Grade Schrecken und Furcht; die Gemeinheit der zweiten, die langsamer und berechneter ihren Weg geht, stößt dagegen mehr Abscheu und Entsetzen ein. An des Kaisers Augustus Leben hätte Machiavell erinnern sollen, der noch triefend vom Blute der Bürger, noch im Schmutze der Niedertracht seiner Proskriptionen den Thron bestieg, aber dann nach dem Rat Mäcens und Agrippas auf die Zeit der Bluttaten eine Zeit der Gnade folgen ließ, sodaß es von ihm hieß, er hätte entweder niemals geboren werden oder niemals sterben sollen. Vielleicht war es nicht nach dem Geschmack Machiavells, daß Augustus' Herrschaft besser endete, als sie begonnen, und er hat ihn aus diesem Grunde nicht für würdig befunden des Platzes unter seinen Großen.
Welch ein Abgrund, die Staatslehre dieses Autors! Mag's den Umsturz der Welt kosten: der Vorteil eines einzigen gilt! Seine Ehrgier braucht nur zu wählen, welche Niedertracht ihr recht ist, sie allein entscheidet, ob's in Gutem gehn soll, ob auf dem Wege des Verbrechens. Pfui über die Bedachtsamkeit eines Ungeheuers, das nur sich kennt, nur sich liebt in der weiten Welt und jegliche Pflicht der Gerechtigkeit und Menschlichkeit mit Füßen tritt, hingerissen vom Wahnwitz seiner zügellosen Launen!
Doch damit ist's nicht getan, die haarsträubenden sittlichen Begriffe Machiavells zurückzuweisen; auch der Entstellung und Unehrlichkeit haben wir ihn obenein zu überführen.
Falsch ist zunächst die Angabe Machiavells, Agathotles habe in Frieden die Frucht seiner Verbrechen genossen: er hat fast beständig mit den Karthagern im Kriege gelegen, wurde sogar gezwungen, sein Heer w Afrika zu verlassen, das dann nach seinem Abgang seine Kinder niedermachte, und starb selbst an einem Gifttrank, den sein Enkel34-1 ihm reichte. Oliverotto da Fermo fand sein Ende durch den Verrat des Borgia — ein wohlverdienter Lohn seiner Untaten; und dieser sein Fall, der ihn schon ein Jahr nach seiner Erhebung ereilte, scheint in seiner Beschleunigung nur der Strafe zuvorgekommen zu sein, die ihm der Haß des Volkes zugedacht hatte.
Dieses letzte Beispiel also hätte sich der Autor schenken können, es beweist nichts. Denn das Verbrechen soll ja vom Glück begünstigt werden; wo fände sonst Machiavell einen vernünftigen Grund, sich zu seinem Anwalt zu machen, oder wenigstens ein Beweismittel, das sich hören ließe?
Doch nehmen wir einmal an, ein Verbrechen ließe sich in voller Sicherheit ausführen und ein Tyrann wäre in der Lage, ungestört sein ruchloses Wesen zu treiben:<35> selbst wenn er nicht vor einem Ende mit Schrecken zittert, so wird es dasselbe Elend für ihn sein, sich als den Schandfleck des Menschengeschlechtes fühlen zu müssen; das Zeugnis seines Gewissens in seiner Brust, die mächtige Stimme, die auf den Thronen der Könige wie auf dem Richtersitz der Tyrannen laut wird, wird er nie zum Schweigen bringen; nie wird er der unseligen Umdüsterung des Gemütes sich entwinden können, seine erregte Einbildungskraft wird ihm aus ihren Gräbern die blutigen Schatten derer erstehen lassen, die seine Grausamkeit dort hinabgeschickt, und er wird sich sagen: nur darum dieser Bruch mit den Naturgesetzen, damit jene seine Henker werden auf dieser Welt und die eigenen Rächer ihres jammervollen Endes.
Man lese nur das Leben eines Dionysius35-1 nach, eines Tiberius, Nero, Ludwig XI., Iwan Wassiljewitsch35-2, und man wird sich überzeugen, daß diese Ungeheuer, ebenso kranken Hirnes wie verwilderten Gemütes, den denkbar unseligsten und traurigsten Tod gefunden haben. Der Grausame ist seiner Natur nach von menschenfeindlichem, schwarzgalligem Geblüte; kämpft er nicht von Jugend auf gegen diese unglückselige Veranlagung an, so muß er notwendigerweise im Fühlen und Denken verwildern. Selbst wenn es also keine Gerechtigkeit auf Erden und keine Gottheit im Himmel gäbe, ja dann erst recht wären die Menschen auf das Gute angewiesen; denn in ihm allein besitzen sie, was sie eint, was zu ihrer Erhaltung schlechthin unerläßlich ist, während das Laster ihnen nur Unheil und Verderben bringen kann.
Machiavell hat weder Herz noch Redlichkeit noch gesundes Denken. Die Verwerflichkeit seiner Grundsätze und seinen Mangel an Redlichkeit hab' ich an seinen Beispielen aufgezeigt. Jetzt will ich ihn grober und handgreiflicher Widersprüche überführen. In folgendem mag sein unerschrockenster Erklärer und spitzfindigster Aus, leger es versuchen, Machiavell mit Machiavell zu reimen. In vorliegendem Kapitel sagt er: „Agathokles behauptete seine Höhe mit dem Mute eines Helden, indessen darf man den Mordtaten und Verrätereien, die er begangen hat, nicht den Namen der Tugend geben.“ Und im siebenten Kapitel sagt er von Cäsar Borgia, er habe die Gelegenheit, sich der Orsini zu entledigen, abgewartet und mit Umsicht wahrgenommen. Ebenda: „Wenn man im großen und ganzen alle Taten Borgias durchgeht, so ist es schwer, sie zu tadeln.“ Und an derselben Stelle: „Er konnte nicht anders handeln, als er tat.“ Da darf ich wohl den Verfasser fragen: Worin unterscheidet sich denn Agathokles von Cäsar Borgia? Ich sehe hüben und drüben die gleichen Verbrechen, die gleiche Gemeinheit. Bei einer Nebeneinanderstellung käme man wirklich in Verlegenheit, zu entscheiden, wer von beiden der größere Schandbube war.
Die Wahrheit zwingt indes von Zeit zu Zelt unfern Machiavell zu Bekenntnissen, die eine Art Ehrenerllärung an die Tugend in sich schließen. Er kann sich eben dem nicht entziehen, was klar ist wie der Tag, und so führt er aus: „Ein Fürst soll sich in seinem Verhalten immer gleich bleiben, damit er nicht in Zeiten der Not sich zu<36> Zugeständnissen nach dem Herzen seiner Untertanen gezwungen sehe; denn in diesem Falle würde seiner erpreßten Güte kein Verdienst zukommen, und seine Völker würden ihm dafür keinen Dank wissen.“ Also Grausamkeit und die Kunst, die Welt in Schrecken zu halten, sind wohl doch nicht der Staatsweisheit letzter Schluß, Freund Machiavell, wie du uns einreden willst; mußt du doch selber zugeben, daß die Kunst, die Herzen zu gewinnen, für eines Fürsten Sicherheit und seiner Untertanen Anhänglichkeit die zuverlässigste Grundlage bietet. Mehr verlange ich nicht, dies Zugeständnis aus dem Munde meines Feindes muß mir genügen.
Es zeugt jedenfalls von geringer Selbstachtung und von ebensowenig Achtung vor dem Leser, ein formloses Werk, ohne Zusammenhang, ohne Ordnung und voller Widersprüche abzufassen und in die Welt zu schicken. Wenn wir ganz absehen von dem verderblichen sittlichen Standpunkt dieses Buches, kann der „Fürst“ Machiavells seinem Verfasser nur Verachtung eintragen; er ist wüst wie ein Traum mit einer wilden, drängenden Gedankenflucht, oder wie die Anfälle eines Hirnwütigen, der dann und wann einen lichten Augenblick hat.
So lohnt die Ruchlosigkeit denen, die, allem Guten zum Hohn, es mit dem Verbrechen halten; mögen sie der Strenge der Gesetze entrinnen, sie kommen um Urteil und Verstand, wie Machiavell.
<37>9. Kapitel
Der Volksfürst.
Kein Gefühl gehört so unzertrennlich zu unserm Wesen wie das der Freiheit; vom Höchstgesitteten bis zum Barbaren tiefsten Tiefstandes sind alle Menschen gleichermaßen davon durchdrungen; geboren ohne Ketten, wollen wir auch leben ohne Zwang, wollen nur auf uns selber stehn, ohne uns fremden Launen zu unterwerfen. Dieser Geist stolzer Unabhängigkeit hat der Welt viele große Männer geschenkt, er hat auch jene Staatsgebilde geschaffen, die man Freistaaten nennt, die vermöge weiser Gesetze des Bürgers Freiheit gegen jegliche Unterdrückung beschützen und unter den Gliedern des freien Staates eine Art von Gleichheit aufrichten, wodurch sie dem Naturzustande äußerst nahe kommen.
Machiavell erteilt im vorliegenden Kapitel denen gute und ausgezeichnete Lehren, denen der Beistand der Häupter eines Freistaates oder des Volkes zur höchsten Macht verhilft. Das gibt mir Anlaß zu zwei Erwägungen; eine liegt auf politischem, die andere auf sittlichem Gebiete.
Mögen auch für solche, die wirklich dank der Gunst ihrer Mitbürger zu solcher Höhe gelangen, die Lehren des Verfassers recht am Platze sein, gleichwohl will mir scheinen, als wären die Beispiele für einen derartigen Aufstieg recht dünn gesät in der Geschichte. Der republikanische Geist, der bis zum äußersten eifersüchtig über seine Freiheit wacht, ist sofort mit seinem Argwohn bei der Hand gegen alles, was ihm mit Fesselung droht, und bäumt sich auf gegen die bloße Vorstellung eines Herrn. Völker, die das Joch ihrer Zwingherrn abgeworfen haben, sich einer glücklichen Unabhängigkeit zu erfreuen, kennt man in Europa etliche, aber es gibt kein Beispiel dafür, daß freie Völker sich freiwilliger Knechtschaft unterworfen hätten.
So manche Freistaaten sind im Lauf der Zeiten wieder in Despotismus zurückgefallen, ein Unglück, das unvermeidlich scheint, auf das alle derartigen Staaten gefaßt sein müssen, eine Folge des ewigen Wechsels, des Auf und Nieder in allen Dingen dieser Welt. Wie sollte ein Freistaat auch auf ewige Dauer den Kräften Widerstand leisten, die seine Freiheit untergraben? Wie vermöchte er auf die Dauer das Emporstreben der Großen niederzuhalten, das er selbst in seinem Schoße gedeihen<38> läßt? Jenen Ehrgeiz, der immer wieder von neuem wächst und niemals ausstirbt? Wie vermöchte er auf die Dauer alle Verführungskünste und geheimen Ränke seiner Nachbarn zu überwachen, sowie den Niedergang und Verfall in seiner eigenen Mitte, solange nun einmal die Selbstsucht unter Menschen allmächtig ist? Wie darf er hoffen, immer nur siegreich aus allen Kriegen, die es zu bestehen gilt, hervorzugehen? Wie vermöchte er allen Umständen, die seine Freiheit bedrohen, all jenen gefährlichen und entscheidenden Augenblicken, all jenen Zufälligkeiten vorzubeugen, die der Unternehmungslust und dem Wagemut eine Hand bieten? Seine Streitkräfte brauchen nur von schlaffen und zagen Heerführern befehligt zu sein, und schon ist er die Beute seiner Feinde; andrerseits werden tapfere und beherzte Leute an der Spitze seiner Truppen in Friedenszeiten nicht minder unternehmungslustig sein als in Kriegszeiten. Die Mängel seiner Verfassung werden jeden Freistaat früher oder später zu Fall bringen.
Sind aber Bürgerkriege schon für eine Monarchie verhängnisvoll, so erst recht für einen freien Staat. Es ist eine Krankheit, die ihm unbedingt tödlich ist. Ein Bürgerkrieg war es, der einem Sulla die Möglichkeit gab, die Diktatur in Rom in den Händen zu behalten, einem Cäsar, sich zum Herren aufzuschwingen vermöge der Waffen, die man ihm anvertraut hatte, und einem Cromwell, die Stufen zum Throne hinanzusteigen.
Fast alle Freistaaten haben sich aus der tiefsten Tiefe der Tyrannis zum Gipfel der Freiheit erhoben, und fast alle sind sie wieder zurückgesunken von dieser Freiheit in die Knechtschaft. Dieselben Athener, die zu Zeiten des Demosthenes für Philipp von Mazedonien nur Beschimpfungen hatten, krochen vor Alexander; dieselben Römer, denen nach Vertreibung der Könige alles Königtum ein Abscheu war, ließen sich geduldig nach den Umwälzungen einiger Jahrhunderte alle Grausamkeiten ihrer Kaiser bieten, und dieselben Engländer, die ihren ersten Karl zum Tode verdammten, well er sich an ihren Rechten versündigt hatte, beugten ihren steifen Nacken unter das stolze Joch ihres Protektors. Also nicht nach eigener Wahl haben sich jene Freistaaten ihre Herren ernannt, sondern unternehmende Männer waren es, die, getragen von der Gunst der Umstände, jene wider ihren Willen und gewaltsam sich unterworfen haben.
Wie der einzelne Mensch geboren wird, eine Zeitlang lebt und an einer Krankheit oder vor Alter stirbt, ebenso bilden sich Freistaaten, blühen etliche Jahrhunderte und gehen endlich zugrunde durch den Wagemut eines Bürgers oder durch die Waffen ihrer Feinde. Jedem Ding ist seine Frist bemessen, auch alle Reiche, auch die größten Monarchien haben nur ihre bestimmte Dauer, und nichts gibt's auf Erden, das nicht dem Gesetze des Wandels und Verfalls unterworfen wäre. Der Despotismus versetzt der Freiheit den Todesstoß und setzt früher oder später dem Geschick eines freien Staates sein Ziel; der eine Staat behauptet sich länger als der andere, je nach der Fülle an Lebenskraft, die ihm innewohnt. Soweit es in seiner<39> Macht sieht, schiebt er den letzten Augenblick hinaus und nimmt, sein Dasein zu fristen, jedes Mittel wahr, das ihm die Weisheit rät, und doch muß er zuletzt den ewigen, unveränderlichen Gesetzen des Lebens weichen und zugrunde gehen, wenn die Verkettung der Geschehnisse sein Ende mit sich bringt.
Im übrigen darf man Menschen, die wissen, was glücklich sein heißt, und die es sein wollen, nicht mit dem Vorschlage kommen, auf Freiheit zu verzichten.
Niemals wird man einen Republikaner, einen Cato oder Lyttelton39-1 davon überzeugen, daß das Königtum die beste Staatsform sei, unter der Voraussetzung, daß ein König sich's zur Aufgabe gemacht habe, seine Pflicht zu erfüllen; denn sein Wille sowie seine Machtfülle verleihen seiner guten Absicht wirksame Kraft. Zugegeben, wird er sagen, doch wo diesen Phönix unter den Fürsten finden? Das ist ja wie der Platonische Idealmensch, wie die Mediceische Venus, die ein Bildner nach vierzig verschiedenen Schönheiten formte, und die in Wirklichkeit nie existierte als eben in Marmor. Wir wissen doch, wessen wir uns zu der menschlichen Natur zu versehen haben und daß es nur wenige solcher Ausbünde von Tugend gibt, die der unbeschränkten Freiheit, ihren Herzenswünschen Genüge zu schaffen, die den Verführrungen des Thrones zu widerstehen vermöchten. Eure metaphysische Monarchie, wenn dergleichen möglich wäre, wäre freilich ein Paradies auf Erden, allein der Despotismus, wie er nun einmal in Wirklichkeit ist, macht mehr oder minder aus dieser Welt eine wahre Hölle.
Meine zweite Betrachtung gilt dem sittlichen Standpunkt Machiavells. Ich kann ihm den Vorwurf nicht ersparen, daß für ihn die Selbstsucht die einzige treibende Kraft im Guten wie im Bösen ist. Gewiß, nach der landläufigen Meinung spielt die Selbstsucht in einer despotischen Staatsordnung eine vorwiegende Rolle, Gerechtigkeit und Redlichkeit gar keine; doch man sollte endlich für immer aufräumen mit dieser abscheulichen Staatslehre, die die Grundsätze einer gesunden und lauteren Sittlichkeit nicht anerkennen will. Ging's nach Machiavell, so geschähe alles in der Welt nur aus Selbstsucht, wie die Jesuiten die Liebe Gottes ausschalten und die Menschheit einzig durch die Furcht vor dem Teufel retten wollen. Das Gute sollte die einzige Triebfeder unseres Tuns sein, denn was ist das Gute anderes als das Vernünftige? Tugend und Vernunft sind eins nicht denkbar ohne das andere und müssen es auch im Leben bleiben als Voraussetzung folgerichtigen Handelns. Seien wir also vernünftige Wesen; dies bißchen Vernunft ist's ja, was uns von den Tieren unterscheidet, und nur die Güte bringt uns dem unendlich gütigen Wesen näher, dem wir unser Dasein danken.
<40>10. Kapitel
Wie die Kräfte der verschiedenen Fürstentümer zu bewerten sind.
Seit den Tagen, da Machiavell seinen „Fürsten“ schrieb, hat sich die Welt schier bis zur Unkenntlichkeit verändert. Künste und Wissenschaften, die damals eben aus ihrer Asche wiederzuerstehen begannen, trugen noch alle Merkmale des Barbarentums an sich, darein sie die Einführung des Christentums, die häufigen Goten-einfälle in Italien und eine Folge grausamer und blutiger Kriege versenkt hatten. Heutzutage haben fast alle Völker ihre alten Gewohnheiten gegen neue eingetauscht, schwache Fürsten sind zur Macht gelangt, die Künste haben sich vervollkommnet, und Europa zeigt ein völlig verändertes Gesicht gegen die Tage Machiavells.
Käme heut ein Philosoph aus jenen fernen Zeiten wieder auf die Welt, er würde sich wie ein Narr vorkommen in seiner Unwissenheit; unverständlich wäre ihm die neue Gedankenwelt bis auf ihre Ausdrucksweise. Himmel und Erde wären ihm neu. An Stelle der Untätigkeit, der Ruhe, die er unserm Erdball eigen glaubte, sähe er die Welt und alle Gestirne unterworfen den Gesetzen der Bewegung und der Anziehung, sähe jene in verschiedenen Ellipsen um die Sonne kreisen, diese selber um ihre eigene Achse. An Stelle der hochtrabenden, wunderlichen Redensarten, deren aufgeblasener Schwulst mit seiner Undurchsichtigkeit den Unsinn seiner Gedanken umhüllen mußte, die nur seine dünkelhafte Unwissenheit verbargen, würde man ihn schlicht und klar die Wahrheit und den Augenschein der Tatsachen sehen lehren, und statt der traurigen Fabeleien der Naturlehre seiner Zeit böte man ihm Erfahrungen dar, ebenso zuverlässige wie erstaunliche.
Erschiene heut ein tüchtiger Feldherr Ludwigs XII. wieder, er würde sich nirgends auskennen: Feldzüge sähe er unternommen mit Hilfe von zahllosen Heeren, deren Unterhalt allein im Felde bei ihrer großen Zahl oft ein Ding der Unmöglichkeit ist, und doch unterhalten die Fürsten diese Streitmacht in Friedenszeiten wie im Kriege; demgegenüber genügte zu seiner Zeit für die entscheidenden Schläge und für alle großen Unternehmungen eine Handvoll Menschen, die nach Beendigung des Feldzugs verabschiedet wurden. An Stelle der eisernen Harnische, der Lanzen und Musketen, deren Handhabung ihm geläufig war, fände er Uniformen, fände er Gewehre<41> und Bajonette vor, dazu eine neue Kriegskunst, zahllose mörderische Erfindungen für Angriff und Verteidigung fester Plätze und ein ausgebildetes Verfahren der Truppenverpfiegung, heut so notwendig wie seinerzeit die Kunst, den Feind zu besiegen.
Was aber würde erst Machiavell selbst sagen, sähe er die Neugestaltung der europatschen Machtverhältnisse, so viele große Fürsten, die damals in der Welt nichts bedeuteten und heut eine Rolle spielen, die Macht der Könige fest gegründet, die Art, wie die Herrscher ihre Verhandlungen führen, diese bevollmächtigten Spione, die man wechselseitig an allen Höfen unterhält, und dies Gleichgewicht Europas, das auf dem Bündnis einiger bedeutender Fürsten wider ehrgeizige Störenfriede ruht, einem Bunde, den Weisheit schuf, der die Gleichheit aufrechterhält und der zum Zwecke nur den Weltfrieden hat.
All diese Errungenschaften schufen einen so durchgreifenden Wandel im ganzen wie im einzelnen, daß nun die meisten der Gedanken Machiavells auf unser heutiges Staatsleben gar keine Anwendung mehr finden und entwertet sind. Das erhellt im besonderen aus diesem Kapitel hier. Dafür einige Beispiele.
Machiavell nimmt an: „Ein Fürst mit ausgedehntem Gebiete, zudem mit GeldMitteln und Truppen wohlausgerüstet, kann sich ohne die Unterstützung irgendeines Verbündeten, aus eigener Kraft wider die Angriffe seiner Feinde behaupten.“
Das möcht' ich in aller Bescheidenheit bestreiten, vielmehr die Behauptung wagen, daß ein Fürst, mag er noch so achtunggebietend sein, auf sich selbst gestellt, starken Gegnern nicht gewachsen ist, daß er notwendigerweise der Hilfe eines Verbündeten bedarf. Wenn schon der größte, wehrhafteste und mächtigste Fürst Europas, wenn ein Ludwig XI V. drauf und dran war, im Spanischen Erbfolgekriege zu erliegen, und aus Mangel an Verbündeten dem furchtbaren Bunde der zahllosen Könige und Fürsten, der ihn erdrücken wollte, kaum noch zu widerstehen vermochte, wieviel weniger kann jeder andere Fürst, der ihm nicht zu vergleichen ist, in Vereinzelung, ohne zuverlässige und starke Bundesgenossenschaft verharren, wenn er nicht alles aufs Spiel setzen will!
Man meint, und jeder spricht es nach, ohne es recht zu bedenken, Verträge seien eigentlich ohne Wert, sie würden doch fast niemals in all ihren Abmachungen innegehalten, man sei in unserm Jahrhundert darin noch gewissenloser als in jedem andern. Wer so denkt, dem entgegne ich: Zweifellos finden sich in alter und sogar in neuester Zeit Beispiele von Fürsten, die ihre Verpflichtungen nichts weniger als ernst genommen haben. Und doch ist es vorteilhaft, Verträge zu schließen; denn zum mindesten habt ihr so viel Feinde weniger, als ihr Verbündete gewinnt, und leisten sie euch sonst keine Hilfe, so nötigt ihr sie doch immerhin zur Beobachtung unbedingter Neutralität.
Machiavell spricht dann von den „principini“, jenen Duodezfürsten, die bei der Kleinheit ihrer Staaten kein Heer ins Feld schicken können; denen macht er die Befestigung ihrer Hauptstadt zur dringenden Aufgabe, damit sie sich im Kriegsfalle dort mit ihren Truppen einschließen können.
<42>Diese Art Fürsten sind eigentlich nur Zwitterwesen zwischen Herrscher und Privatmann, ihre Gebieterrolle können höchstens ihre Bedienten ernst nehmen. Ihnen wüßt' ich keinen bessern Rat zu geben, als die grenzenlose Meinung von ihrer Größe, die ungeheure Verehrung für ihr altes, erlauchtes Geschlecht und den heiligen Eifer für ihren Wappenschild etwas herabzusiimmen. Besser täten sie nach der Ansicht gescheiter Leute, wenn sie sich begnügten, als wohlhabende Privatleute in der Welt aufzutreten, endlich einmal von den Stelzen, auf denen ihr Dünkel einherschreitet, herabzusteigen und allerhöchstens eine ausreichende Schloßwache gegen die Spitzbuben zu halten, vorausgesetzt, daß sie genügend Hungerleider für einen derartigen Posten auftreiben können. Im übrigen mögen sie ihre Wälle und Mauern und was sonst ihrem Herrensitz das Aussehen eines befestigten Platzes geben kann, abtragen.
Meine Gründe sind die: die Mehrzahl dieser kleinen Fürsien, namentlich in Deutschland, richtet sich zugrunde durch die Aufwendungen, zu denen ihr trunkener Größenwahn sie verführt, die in so gar keinem Verhältnis zu ihrem Einkommen stehen; die Ehre ihres Hauses hochzuhalten, sinken sie immer tiefer, aus Eitelkeit geraten sie auf den Weg zum Elend und zum Armenhaus. Noch der allerjüngste Sproß einer apa-nagierten Linie hält sich in seiner Einbildung für einen kleinen Ludwig XIV.: er baut sein Versailles, küßt seine Maintenon und hält sich seine Armee.
Es gibt heut tatsächlich einen apanagierten Fürsten eines großen Hauses in Deutsch, land42-1, der in verschmitztem Großmachtgebaren peinlich alle Truppengattungen, die sich für einen richtigen König gehören, in Sold hat, aber freilich in so verkleinertem Maßstabe, daß ein Mikroskop nötig ist, jede Gattung insbesondere wahrzunehmen; seine Kriegsmacht würde vielleicht ausreichen, im Theater von Verona eine Schlacht aufzuführen, aber mehr dürft ihr nicht von ihr verlangen.
Zweitens habe ich für einen kleinen Fürsten die Befestigung seiner Residenz unzweckmäßig genannt, aus einem sehr einfachen Grunde: mit dem Fall einer Belagerung durch ihresgleichen haben sie nicht zu rechnen, mächtigere Nachbarfürsien würden sich sofort in ihre Streitigkeiten mischen und ihnen eine Vermittlung anbieten, deren Ablehnung nicht in ihrer Macht liegt. So machen, ohne alles Blutvergießen, zwei Federstriche ihren kleinen Händeln ein Ende. Zu welchem Ende also Festungen? Und vermöchten sie auch eine Belagerung, so langwierig wie die von Troja, von seiten ihrer kleinen Gegner auszuhalten, einer wie der von Jericho, durch die Kriegsmacht eines Königs oder sonst eines mächtigen Monarchen, wären sie nicht gewachsen. Wenn schließlich in ihrer Nachbarschaft sich ein ernster Krieg abspielen sollte, so sieht es nicht in ihrer Macht, neutral zu bleiben, wenn sie nicht ihren völligen Untergang wagen wollen; schlagen sie sich aber auf die Seite einer der kriegführenden Mächte, so wird aus ihrer Hauptstadt ein Waffenplatz in der Hand dieses Fürsten.
<43>Viktor Amadeus43-1, der doch an Macht den Neinen Fürsten der eben besprochenen Art immer noch unendlich überlegen war, machte mit seinen Festungen in allen Kriegen Italiens sehr traurige Erfahrungen. Turin selber mußte sich's gefallen lassen, in schnellem Wechsel bald französisch, bald kaiserlich zu heißen.
Der Vorteil der offenen Städte ist der, daß in Kriegszeiten kein Mensch sich um sie kümmert, daß man sie für wertlos betrachtet und so ihren Besitzer ungeschoren läßt.
Das Bild Machiavells von der Bedeutung der deutschen Reichsstädte paßt garnicht mehr auf die Gegenwart. Mit einem Kanonenschuß oder auch nur einer einzigen Aufforderung wäre der Kaiser Herr einer solchen Stadt. Sie sind alle schlecht befestigt, meist mit alten Mauern unter der Deckung dicker Türme hier und da, umzogen von Gräben, die fast ganz von nachgestürztem Erdreich ausgefüllt sind. Ihre Besatzung ist gering, und die wenige, die sie sich leisten, ohne Kriegszucht; ihre Offiziere sind entweder der Auswurf von Deutschland oder alte Leute, die nicht mehr dienstfähig sind. Einige dieser Reichsstädte besitzen eine leidliche Artillerie, doch gegen den Kaiser würden sie nicht aufkommen, der es liebt, sie recht oft ihre Ohnmacht fühlen zu lassen.
Mit einem Worte: Krieg führen, Schlachten schlagen, Festungen berennen oder verteidigen ist einzig und allein Sache großer Fürsten; wer ohne die dazu nötigen Mittel ihnen das nachmachen will, setzt sich der Lächerlichkeit aus wie Domitian43-2, der den Lärm des Donners nachahmte und das römische Volk glauben machen wollte, er sei Jupiter.
<44>11. Kapitel
Von den geistlichen Herrschaften.
Stets fand ich es höchst sonderbar, daß die Leute, die sich die Nachfolger der Apostel nennen, das heißt die Nachfolger von Bettlern und Predigern der Demut und Buße, große Glücksgüter besaßen, sich nicht genug tun konnten in üppigem Lebensbehagen und dabei Ämter bekleideten, die mehr der weltlichen Eitelkeit und der Prunksucht der Großen angestanden hätten, als daß sie die Gedanken von Männern hätten ausfüllen dürfen, deren Aufgabe es ist, die Nichtigkeit des Menschenlebens zu erwägen und über ihr Seelenheil zu sinnen. Und doch ist's Tatsache, daß die Geistlichkeit der römischen Kirche ungeheuer begütert ist, daß da Bischöfe den Rang souveräner Fürsten einnehmen und daß die weltliche und geistliche Macht des ersten Bischofs der Christenheit ihn in gewisser Weise zum Schiedsrichter über Könige erhebt und als Vierten der heUigen Dreieinigkeit beigesellt.
Die Kirchenlehrer oder Theologen wissen peinlicher als jeder andere zu scheiden, was der Seele ist und was des Leibes, aber wo ihr Machtstreben in Frage kommt, da müßte man sie mit ihren eigenen Waffen bekämpfen. Euer priesterlich Amt, zu dem ihr berufen seid, könnte man ihnen vorhalten, bindet euch ganz an das Geistige — wie konntet ihr dies so gröblich mit dem Weltlichen vermengen? Eure Lehre unterscheidet doch sonst so scharfsinnig, wenn es sich um den Geist handelt, den ihr nicht kennt, und das Irdische, das ihr sehr wenig kennt — wie kommt es denn, daß ihr diese Unterscheidungen verwerft, sobald euer Eigennutz in Frage sieht? Daher kommt's, well diese Herren sich wenig Sorgen machen um ihr unverständliches ftommes Kauderwelsch, um so mehr aber um die Größe ihrer Einkünfte: daher kommt es, well die Führung ihres Denkens zwar sich in den Bahnen der Strenggläubigkeit bewegen muß, die Führung ihres Lebens aber in den Bahnen ihrer Leidenschaften wandelt, und well nun einmal die greifbaren Dinge der Natur das Übergewicht haben über das Gedankliche, in demselben Maße, wie das wirkliche Glück dieser Welt über das Jenseitsglück.
Diese erstaunliche Macht der Geistlichkeit ist der Gegenstand des vorliegenden Kapitels, ebenso alle Fragen ihrer weltlichen Herrschaft.
<45>Machiavell findet, daß die Kirchenfürsten besonders glücklich daran sind, weil sie weder die Aufruhrgelüsie ihrer Untertanen noch das Machtbegehren ihrer Nachbarn zu fürchten haben. Der ehrfurchtgebietende und entwaffnende Name Gottes gewährt ihnen eine Deckung gegen jeden Widersacher ihrer selbstsüchtigen Zwecke und ihrer Größe; die Fürsten, die sie angreifen möchten, fürchten das Schicksal der Titanen, die Völker, die ihnen den Gehorsam kündigen möchten, fürchten den Fluch des Gottesfrevels. Die fromme Politik dieser Art Herrscher befleißigt sich, der Welt einzuschärfen, was Despréaux45-1 so hübsch in dem Verse ausdrückt:
Wer Herrn Colin nicht liebt und ehrt,
Hält weder Gott noch König wert.
Das Erstaunlichste ist, daß diese Fürsten Dumme genug finden, die in leichtgläubigem Vertrauen auf die Redlichkeit jener ohne jede weitere Prüfung sich an das halten, was die geistlichen Herren für richtig finden, ihnen einzureden. Dabei ist es Tatsache, daß es in keinem Lande mehr von Bettlern wimmelt als in Krummstabländern, wo man stets ein erschütterndes Bild alles menschlichen Jammers beieinander sehen kann. Es sind aber nicht etwa jene Armen, die die Freigebigkeit und die Almosenspenden der Fürsten ins Land ziehen, nicht etwa jenes Geschmeiß, das sich an den Reichtum heftet und hinter der Üppigkeit einherkriecht, sondern es sind arme Teufel von Hungerleidern, die die Barmherzigkeit ihrer Bischöfe um ihre Lebensnotdurft bringt, um dem Sittenverderb und den Mißbräuchen zu steuern, die das Volk gemeiniglich mit dem Überflüsse treibt. Man denkt bei den Grundsätzen dieser geistlichen Herrn an die Gesetze Spartas, das den Gebrauch des Geldes verbot; allerdings mit dem Unterschiede, daß die Herren Prälaten den Gebrauch der guten Dinge, die sie scheinheilig ihren Untertanen wegnehmen, sich selber vorbehalten. Selig sind, die da arm sind, sagen sie, denn sie werden das Himmelreich ererben; und da sie nun wollen, daß alle Welt errettet werde, tragen sie Sorge, alle Welt an den Bettelstab zu bringen. O der Frömmigkeit der Kirchenherren! Wie weit erstreckt sich doch ihre weise Fürsorge:
Nichts müßte erbaulicher sein als die Geschichte der Häupter der Kirche oder der Statthalter Jesu Christi. Man setzt voraus, hier Muster untadeliger und reiner Sitten zu finden. Weit gefehlt! Hier gibt's nur Unzucht, Schandtaten und peinlichen Anstoß ohne Ende; man kann das Leben der Päpste nicht lesen ohne Abscheu vor ihrer Grausamkeit und Falschheit. Man sieht im großen und ganzen nur ihren Ehrgeiz am Werke, ihre weltliche Macht und ihr Ansehen zu steigern; ihre schmutzige Habgier, bestrebt, große Güter unter rechtswidrigen und unanständigen Vorwänden ihrer Sippe zu sichern, um ihre Neffen, ihre Liebsten oder ihre Bastarde zu bereichern.
<46>Wer nicht weiter drüber nachdenkt, mag's befremdlich finden, daß die Völker so gelehrig und geduldig die Bedrückungen durch derartige Herrscher sich gefallen lassen, daß sie blind scheinen für die entwürdigenden Lasier und Ausschweifungen der Geistlichkeit, und daß sie von einem geschorenen Haupte hinnehmen, was sie von einem lorbeergekrönten nimmermehr ertragen würden. Diese Erscheinung verliert an Befremdlichkeit für jeden, der die Macht des Aberglaubens über die Dummheit, der die Macht des Glaubenseifers über das Menschengemüt richtig einschätzt; ein solcher weiß, die Religion ist ein altes Werkzeug, das nie sich abnutzen wird, das von jeher seinen Dienst getan, wenn es galt, sich der Treue der Völker zu versichern und der Ungebärdigkeit der menschlichen Denkkraft einen Zaum anzulegen; ein solcher weiß, wie dieser Wahn den Hellsten Blick zu trüben vermag, und daß nichts der siegenden Gewalt derer gleichkommt, die für ihr Machtbestreben Himmel und Hölle, Gott und Teufel einzusetzen wissen. So ist es Tatsache, daß selbst die wahre Religion, die lauterste Quelle alles dessen, was wir gut nennen, durch einen beklagenswerten Mißbrauch zum Ursprung aller unsrer Leiden wird.
Der Verfasser bemerkt mit gesundem Urteil, was am meisten zur Erhöhung des Heiligen Stuhles beigetragen hat, und sieht die Hauptursache in der geschickten Haltung des Papstes Alexander VI., gerade jenes Priesters, dessen Grausamkeit und Ehrgeiz jedes Maß überstieg, dessen richterliches Walten nur eitel Tücke war. Es wäre also nahezu Lästerung, wollte man das Gebäude, das dieser Priester in seinem Machtstreben getürmt hat, mit dem Werke Gottes verwechseln. Der Himmel konnte unmittelbar keinen Teil haben an der Aufrichtung dieser weltlichen Macht, sie ist nur die Schöpfung eines arg entarteten Bösewichts. So wird es sich immer empfehlen, bei den Herren der Kirche, welchen Rang sie auch immer bekleiden mögen, sorglichst zu unterscheiden zwischen dem Vermittler des Gotteswortes, soweit er sein Amt der Verkündung göttlicher Weisung ausübt, und zwischen dem verderbten Menschen, der nur an die Sättigung seiner Leidenschaften denkt.
Eine Lobrede auf Leo X. beschließt das Kapitel; doch da Machiavell dieses Papstes Zeitgenosse ist, wiegt sie gar leicht. Jegliches Lob eines Untertanen für seinen Herrn, eines Schriftstellers für einen Fürsten gerät nun einmal, was man auch einwenden möge, in gar zu bedenkliche Nähe der Schmeichelei. Über unfern Wandel kann nur die Nachwelt zu Gericht sitzen, die ohne jede Leidenschaft und selbstlos richtet. Machiavell war der letzte, in den Fehler der Schmeichelei zu verfallen, er, der durchaus lein berufener Richter über wahres Verdienst ist; weiß er doch nicht einmal, was Tugend ist. Und ob es wünschenswerter gewesen wäre, von ihm gelobt oder getadelt zu werden, weiß ich nicht und stelle die Frage dem Leser anheim, er kann darüber entscheiden.
<47>12. Kapitel
Von den verschiedenen Arten der Streitkräfte und von den Söldnern.
Die Welt bietet aller Enden das Schauspiel großer Mannigfaltigkeit. Die Frucht, barkeit der Natur gefällt sich darin, in ein und derselben Gattung die verschiedensien Spielarten hervorzubringen. Das gilt nicht nur bei den Pflanzen, Tieren, Landschaften, für die Züge, Hautfarbe, Gesichtsbildung und Körperbeschaffenheit der Menschen; diese schöpferische Tätigkeit der Natur ist so umfassend, so ausnahmslos, daß sie sich noch bis auf die Lebensbedingungen der Reiche und Monarchien erstreckt; ich versiehe darunter im allgemeinen ihre Ausdehnung, Bevölkerungszahl, ihre Lage im Hinblick auf Nachbarn und Handel, ihre Gewohnheiten, Gesetze, ihre starken und schwachen Seiten, ihre Reichtümer und Hilfsquellen.
Diese Verschiedenheiten der Bedingungen sind für die Staatsleitung äußerst fühlbar, vertausendfachen sich, wenn man auf die Einzelheiten eingeht; genau wie die Ärzte kein Geheimmittel, kein Allheilmittel für jegliches Leiden, keine Arznei besitzen, die ohne Unterschied für jede Natur paßt, so vermag auch der erfahrenste und geschickteste Staatsmann leine allgemein gültigen Regeln der Staatskunst aufzustellen, die eine Anwendung auf alle Regierungsformen und jedes Land in seiner Besonderheit zuließen.
Diese Betrachtung führt mich ungezwungen zu einer Prüfung der Ansichten Machiavells über Ausländertruppen und Söldnerwirtschaft. Der Verfasser verwirft ihre Verwendung durchaus und stützt sich dabei auf Beispiele, die erwiesen hätten, daß gewisse Staaten von ihrer Verwendung mehr Nachteil als nennenswerte Hilfe gehabt hätten.
Sicher ist's im allgemeinen und Erfahrung hat's bestätigt, daß die besten Streitkräfte eines jeglichen Staates aus Landeskindern bestehen. Diese Auffassung läßt sich belegen durch das Beispiel des heldenhaften Widerstandes des Leonidas in den Thermopylen, und wiederum durch die kriegerische Minderwertigkeit der Lazedämonier unter den anderen Griechen, in der Zeit, als sie ihre Sklaven für sich in den Kampf schickten, sowie auch durch die erstaunlichen Fortschritte des Römerreichs, als die Legionen noch aus Bürgern Roms bestanden. Es war also das Volk, das den<48> Erdkreis der Herrschaft dieser großartigen und stolzen Republik unterwarf, kein Heer von Fremdlingen. Dieser Satz Machiavells trifft demnach wohl zu für alle Völker von hinlänglichem Volksreichtum, um für ihre Verteidigung eine ausreichende Zahl von Streitern zu stellen. Auch ich bin überzeugt, wie der Verfasser, daß ein Reich mit Söldnern übel beraten isi, daß die Treue und Herzhaftigkeit von Landeskindern solchen weit überlegen ist. Vor allem aber ist's höchst bedenklich, die Untertanen in schlaffe Tatenlosigkeit, durch faule Üppigkeit in Unmännlichkeit versinken zu lassen, während zur selben Zeit die Nachbarn in Mühsal und Kampf sich zu Kriegern stählen.
Mehr als einmal hat man die Beobachtung gemacht, daß Staaten, die aus Bürgerkriegen hervorgingen, äußeren Feinden gegenüber eine außerordentliche Überlegenheit mitbrachten, denn im Bürgerkriege isi jeder mit der Waffenführung vertraut, da gilt keine Gunst, sondern nur was einer leistet; die Gewöhnung macht beim Menschen, der ein Gewohnheitstier isi, eben alles aus.
Indessen gibt es doch Fälle, die eine Ausnahme von jener Regel zu fordern scheinen. Bringen Königreiche oder sonstige Staaten nicht genügend Menschen hervor, wie ein Heer oder der Kriegsverbrauch verlangt, so bleibt notgedrungen nichts übrig als die Aushilfe durch Söldnertruppen; es gibt dann eben kein anderes Mittel, den Mangel auszugleichen.
In solchem Falle gibt's ja auch Auswege, den Schwierigkeiten zu begegnen und dem, was diese Art von Krlegsvolt auch für Machiavell zu wünschen übrig läßt, abzuhelfen: man braucht sie nur sorgfältig unter die Einheimischen zu mischen, so wird man jede bedrohliche Absonderung verhüten und sie gleichzeitig in die einheitliche Ordnung, Zucht und Treue eingewöhnen; hauptsächlich achte man darauf, daß die Fremden den Einheimischen an Zahl nicht über den Kopf wachsen.
Die Streitmacht eines Königs im Norden48-1 setzt sich aus solchen gemischten Truppen zusammen, und er sieht darum um nichts weniger machtvoll und ehrfurchtgebietend da. Die Mehrzahl der europäischen Truppen besieht in solcher Weise aus Landeskindern und Söldnern; die Leute, die das Land bebauen und die die Städte bewohnen, zahlen nur eine bestimmte Abgabe zum Unterhalt ihrer Verteidiger, sie selbst ziehen nicht mehr ins Feld. Die Soldateska besieht aus der Hefe des Volkes, aus Taugenichtsen, die die Müßigkeit der Arbeit vorziehen, aus Wüstlingen, die unter den Fahnen ein freies Leben und ungestraftes Treiben suchen, aus ungeratenen Söhnen, wilden Gesellen, die aus Lust an der Ungebundenheit Handgeld nehmen, und die, da sie einzig aus Leichtsinn dienen, zu ihrem Kriegsherrn ebensowenig ein innerliches Verhältnis haben wie Ausländer. Was waren gegen diese Truppen jene Römerkrieger, die den Erdkreis unterwarfen! All diese Fälle von Fahnenflucht, die heutzutage in jedem Heere an der Tagesordnung sind, waren den<49> Römern ein unbekanntes Ding; diese Männer, die für Frau und Kinder stritten, für ihre Hausgötter, für die römische Bürgerschaft und für alles, was ihnen das Teuerste im Leben hieß, sie dachten freilich nicht daran, so hohe Werte auf einmal durch feige Fahnenflucht preiszugeben.
Was den großen Fürsten Europas ihre Sicherheit verbürgt, das ist die ungefähre Gleichartigkeit und Gleichwertigkeit ihrer Streitkräfte; es gibt in dieser Hinsicht nichts, was der eine vor anderen voraus hätte. Nur die schwedischen Truppen sind gleichzeitig Bürger, Bauern und Soldaten49-1, so bleibt denn auch, wenn sie ins Feld rücken, niemand im Innern zur Bestellung des Bodens zurück. Daher ist ihre Macht denn auch in keiner Weise bedrohlich, denn sie können auf die Dauer nichts ausrichten, ohne sich selbst mehr zu schädigen als ihre Feinde.
Soviel über die Söldner. Die Ansichten Machiavells über die Pflichten eines großen Fürsten als Kriegsherrn teile ich durchaus. In der Tat, alles, aber auch alles verpflichtet ihn, die Führung seiner Truppen auf sich zu nehmen und der Erste zu sein in seinem Heere wie in seinem Hoflager. Sein eigener Vorteil, seine Pflicht, sein Ruhm, alles gebietet ihm dies. Er ist das Haupt der Justiz, in gleicher Weise ist er der Schirmherr und der Verteidiger seiner Völker. Diese Landesverteidigung ist eine der wichtigsten Aufgaben seines Amtes, aus diesem Grunde darf er sie keinem anvertrauen als sich selbst. Sein Vorteil scheint unabweislich seine persönliche Anwesenheit beim Heere zu erheischen, da alle Befehle von ihm ausgehen und auf diese Weise Gedanke und Tat in der denkbarsten Unmittelbarkeit einander folgen. Außerdem macht die ehrfurchtgebietende Gegenwart des Fürsten allen Reibereien unter den Generalen, die ein Fluch für das Heer, ein fühlbarer Schaden für den Kriegsherrn sind, ein Ende. Sie bringt größere Ordnung in alles, was das Magazinwesen, die Versorgung mit Munition und allem Kriegsbedarf angeht; was wäre ohne solche Ordnung Cäsar selbst an der Spitze von 100 000 Streitern? wo blieben ohne sie seine Erfolge, seine Heldentaten? Der Fürst ist's, der eine Schlacht schlagen läßt; so ist's auch seine Sache, ihren Gang zu bestimmen, durch seine Gegenwart seinen Truppen den Geist zuversichtlicher Kampfesfreudigkeit mitzuteilen; an ihm ist's, zu zeigen, wie der Sieg seine Unternehmungen stetig krönt, wie er das Glück durch Klugheit an sich fesselt, und ein leuchtendes Beispiel ihnen zu geben, wie man furchtlos der Gefahr und selbst dem Tode trotzt, wenn Pflicht, wenn Ehre und unsterblicher Nachruhm es gebieten.
Welch ein Ruhm für einen Fürsten, der mit Gewandtheit, mit Klugheit und tapferem Herzen seine Staaten vor dem Einbruch der Feinde deckt, durch Kühnheit und Geschicklichkeit über alle machtvollen Anschläge der Gegner triumphiert und durch seine Festigkeit, Besonnenheit und durch seine kriegerische Überlegenheit sein gutes Recht glücklich behauptet, das ihm ungerechte Anmaßung bestreiten will.
<50>Alle diese Gründe zusammen, scheint mir, müssen den Fürsten verpflichten, die Führung seiner Truppen selbst zu übernehmen und alle Not und Fährnis, der er sie aussetzt, mit ihnen zu teilen.
Nun wird man einwenden, nicht jeder ist ein geborener Soldat, und viele Fürsten haben weder das Talent noch die Erfahrung, die zur Führung einer Armee gehören. Das gebe ich freilich zu, und doch soll dieser Einwurf nicht allzusehr mich in Verlegenheit setzen. Gewiegte Generale gibt's jederzeit in einem Heere, da hat der Fürst nur deren Ratschläge zu befolgen. Der Krieg wird dann doch immer einen glücklicheren Verlauf nehmen, als wenn der Feldherr von einem Ministerrat bevormundet wird, der, fern der Armee, gar nicht imstande ist, die Kriegslage zu beurteilen, und der oftmals schon dem geschicktesten General jede Möglichkeit benommen hat, zu zeigen, was er kann.
Ein Satz Machiavells befremdet mich; bei ihm muß ich, ehe ich schließe, noch verweilen. Er schreibt: „Die Venezianer trauten dem Herzog von Carmagnola, der ihre Truppen befehligte, nicht; darum mußten sie ihn aus der Welt verschwinden lassen.“ Offen gestanden, das versiehe ich nicht; was heißt das: gezwungen sein, jemand aus dieser Welt verschwinden zu lassen? Er müßte dann meinen, durch Verrat, Gift, Meuchelmord, jedenfalls, ihn ums Leben bringen. So glaubt unser Doktor der höheren Verbrecherkunsi, er dürfe nur die Ausdrücke mildern, so bekämen die schwärzesten und belastendsten Untaten ein harmloses Ansehen.
Die Griechen sprachen in solchen Umschreibungen gern vom Tode, da sie ohne geheimes Grauen nicht alle Schrecken der Vernichtung ertragen konnten. Machiavell umschreibt das Verbrechen, da sein Herz sich gegen sein Denken auflehnt und dies gewissermaßen die fluchwürdige Gesinnung seiner Lehre nicht so ungar zu verdauen vermag.
Traurig genug, wenn man errötet, sich anderen in seiner wahren Gestalt zu zeigen, und der Selbstprüfung ängstlich aus dem Wege gehen muß!
<51>13. Kapitel
Von Hilfstruppen, Volksheeren und Truppen gemischter Art.
Unter allen Philosophen des Altertums waren unbestritten die tiefsten, die besonnensten und maßvollsten die der neueren Akademie; vorsichtig in ihren Entscheidungen, überstürzten sie sich niemals mit Ja oder Nein, gaben ihr Urteil nicht dem Irrtum einer Voreingenommenheit gefangen, noch der Aufwallung ihres Blutes. Es wäre zu wünschen gewesen, daß Machiavell von der maßvollen Art dieser Philosophenschule etwas angenommen hätte, statt sich den unberechenbaren Anwandlungen seiner Einbildungskraft zu überlassen, die ihn nur zu oft vom Wege des vernünftigen Denkens abirren ließen.
Den Gipfel der Übertreibung erreicht seine Behauptung, ein kluger Prinz würde lieber mit seinen eigenen Truppen untergehn, als mit fremden HUfsvölkern siegen. Weiter läßt sich die Überspanntheit nicht treiben, und ich behaupte, seit die Welt sieht, ist kein größerer Unsinn ausgesprochen worden als der Satz, der „Fürst“ von Machiavell sei ein gutes Buch. Wenn der Verfasser sich zu solchen Gewagtheiten versteigt, kann er wenig Ehre damit einlegen; dieser Satz widerspricht ebenso aller StaatsVernunft wie aller einfachen Erfahrung. Wo ist der Herrscher, der nicht die Erhaltung seines Staates dessen Untergange vorzöge, ohne viel nach den Mitteln oder nach den Personen zu fragen, denen er sich dabei verpflichten könnte? Ein Ertrinkender, denk' ich, wird wohl kaum ein Ohr haben für lange Reden, es sei doch seiner unwürdig, seine Lebenserhaltung andern als sich selber zu schulden, und es sei seine Pflicht, lieber unterzugehn als den von fremder Hand ihm hingehaltenen rettenden Strick oder Stock zu fassen. Die Erfahrung lehrt uns, daß des Menschen erste Sorge seiner Erhaltung, die zweite seinem Wohlbefinden gilt. Damit ist der großartig klingende Fehlschluß des Verfassers schon hinfällig.
Geht man diesem Satze Machiavells aber auf den Grund, so stößt man nur auf verkappte Eifersucht, die der unwürdige Verführer gar zu gern den Fürsten einflößen möchte; und dabei war gerade diese Eifersucht zu jeder Zeit ihr Verderb: Eifersucht auf ihre Generale oder auf Bundesgenossen, die ihnen zu Hilfe eUten, deren Eintreffen sie nicht abwarten wollten, aus Furcht, mit anderen ihren Ruhm teilen zu müssen. Auf diese Weise sind zahllose Schlachten verloren gegangen, und kleinliche Eifersüchteleien haben oftmals den Fürsten empfindlichere Nackenschläge eingetragen als die überlegene Zahl und sonstige Vorteile des Gegners.
<52>Der Neid ist eins der schädlichsten Laster für die Gesellschaft, bei Fürsten aber hat er noch ganz andere Folgen als bei Bürgersleuten. Ein Staat mit einem Fürsten an der Spitze, der auf seine Untertanen neidisch ist, wird nur zaghafte Bürger hervorbringen, niemals tüchtige Leute, die großer Leistungen fähig wären. Neidische Fürsten ersticken im Keime jene großen Begabungen, die der Himmel für glänzende Leistungen geschaffen zu haben scheint; von daher schreibt sich der Verfall der Reiche und schließlich ihr völliger Sturz. Das oströmische Reich verdankte seinen Untergang ebenso der Eifersucht der Kaiser auf die glücklichen Erfolge ihrer Heerführer, wie der religiösen Engherzigkeit der letzten Fürsten auf jenem Throne; statt die geschickten Feldherren für ihre Verdienste zu belohnen, wurden sie bestraft für ihre Erfolge, und die wenig erfahrenen Truppenführer beschleunigten dann den Niedergang des Staates. Der Fall dieses Reiches war unausbleiblich.
Vaterlandsliebe vor allem soll den Fürsten beseelen, und sein ganzes Sinnen und Trachten soll einzig und allein daraufausgehen, Nützliches und Großes für das Wohl des Staates zu wirken. Diesem Ziel soll er seine Eigenliebe und all seine Leidenschaften zum Opfer bringen, jeden Beistand in Rat und Tat annehmen, alle bedeutenden Persönlichkeiten, die er nur findet, heranziehen, mit einem Wort, alles sich zunutze machen, was irgend sein schönes Werk, die Arbeit am Wohlergehen seiner Untertanen, zu fördern verspricht.
Die Mächte, die gemischter Truppen oder der HUfsvölker entraten können, tun wohl daran, sie aus ihren Heeren auszuschließen; da aber nur wenige der europäischen Fürsten in dieser günstigen Lage sind, so meine ich, dürfen sie's wohl unbedenklich mit Hilfstruppen wagen, solange die einheimischen an Zahl ihnen überlegen sind.
Machiavell schrieb nur für Neine Fürsien. Sein Wert ist nur eine Sammlung von Stegreifeinfällen über den Staat; fast kein Satz, wo der Verfasser nicht die Erfahrung gegen sich hätte. Ich könnte eine Unmenge von Beispielen nennen für glück, liche Erfolge von Heeren, die aus Hilfstruppen bestanden, und für treffliche Dienste, die sie Fürsten geleistet haben. Mit solchen Hilfstruppen wurden die Kriege in Bra-bant, am Rhein und in Italien geführt, schlug der Kaiser im Bunde mit dem Reiche, mit England und Holland die Franzosen, verjagte sie aus Deutschland und Italien und setzte sie in Flandern matt52-1. Ebenso waren es gemischte Truppen, Truppen dreier Kriegsherren, zusammengebracht durch ein Bündnis, denen der Feldzug der drei nordischen Könige52-2 wider Karl XII. anvertraut war, und es gelang ihnen doch, jenem einen Teil seiner deutschen Gebiete zu entreißen. Im Kriege vom Jahre 1734, den Frankreich unter dem Verwande der Verteidigung der Rechte jenes immer wieder gewählten und immer wieder entthronten Königs von Polen52-3 begann, gelang einer gemischten Streitmacht von Franzosen und Savoyarden die Einnahme von Mailand sowie des größten Teils der Lombardei.
<53>Was bleibt Machiavell nach so vielen Gegenbeispielen? Sein geistvolles Gleichnis von den Waffen Sauls, die David, da er wider Goliath auszog, ihrer Schwere wegen zurückwies53-1, ist Schaumschlägerei, nichts weiter. Gewiß kommt's vor, daß die Hilfsvölker einem Fürsten lästig fallen; aber nimmt man dergleichen nicht gern in Kauf, wenn man Städte und Provinzen dabei gewinnt?
Bei dieser Gelegenheit verspritzt Machiavell sein ganzes Gift gegen die Schweizertruppen in französischen Diensten. Ich muß für diese wackern Truppen ein Wörtchen einlegen, denn ohne Zweifel haben die Franzosen mit ihrer Hilfe mehr denn eine Schlacht gewonnen und danken ihnen hervorragende Dienste; wollte Frankreich die Schweizer und die Deutschen, die bei seinen Fußtruppen stehen, verabschieden, so wären seine Heere gleich viel weniger gefürchtet.
Soviel von Irrtümern des Verstandes, nun zu denen des sittlichen Gefühls. Die schlechten Beispiele, die Machiavell den Fürsten vorhält, gehören zu jenen Nichtswürdigkeiten, die man ihm nicht hingehen lassen darf. So führt er hier den Hieron von Syrakus53-2 an, der, schwankend zwischen der gleich gefährlichen Wahl, ob er seine Truppen beibehalten oder entlassen sollte, sie abschlachten ließ. Dergleichen empört uns, wenn wir in der Geschichte darauf stoßen, aber entrüstet sind wir, müssen wir's in einem Buche zur Belehrung der Fürsten lesen. Grausamkeit und Barbarei strafen sich bei Bürgern gewöhnlich selbst und sind daher für die meisten ein Abscheu. Fürsten, die an ihrem Platze von der Vorsehung den Schicksalen gewöhnlicher Menschen entrückt sind, haben von sich aus nicht so lebhafte Abneigung dagegen, weil sie die Folgen weniger zu befürchten haben; also sollte man gerade allen denen, die zu Herren über andere Menschen bestimmt sind, mit allem Nachdruck einen Widerwillen einprägen gegen jeden Mißbrauch, den sie mit ihrer unbeschränkten Macht begehen könnten.
Derselbe Machiavell, der es in diesem Kapitel ausspricht: „Nichts ist so hinfällig als Ansehen und Name, wenn sie nicht auf den eigenen sittlichen Wert gegründet sind“, muß es heut an sich selbst erfahren, daß sein guter Ruf, der auf schwachen Füßen stand, jetzt ganz dahin ist; mochte bei seinen Lebzeiten sein Geist Verehrer finden, so ist Verachtung nach seinem Tode sein Lohn um seiner Schlechtigkeit willen. Die Welt läßt sich eben nur für eine Weile etwas vormachen; sie weiß die Ehre der Menschen gar trefflich abzuwägen. Läßt sie auch manchmal eine Zeitlang Gnade für Recht ergehen, so gilt das nicht für immer, und sie sitzt dann über den Menschen nach seinem Tode, welchen Rang er auch im Leben bekleidet habe, mit derselben Strenge zu Gericht, die in der Vorzeit über die alten Könige von Ägypten nach ihrem Tode erging. Willst du dir also einen guten Ruf in der Welt sichern, so gibt es nur ein zuverlässiges und untrügliches Mittel: sei in Wahrheit so, wie du in den Augen der Welt scheinen willst.
<54>14. Kapitel
Worauf der Fürst im Kriegswesen zu sehen hat.
Jede Berufsart hat ihre eigene Pedanterie, eine Folge der übereifrigen und einseitigen Hingabe an sie; sie führt zu Übertreibungen und setzt ihre Träger der Lächerlichkeit aus. Mit nachsichtigen Augen betrachten wir jene Arbeiter der Gelehrtenrepublik, die sich im Weisheitssiaube des Altertums, im Dienste der Fortschritte der Wissenschaft eingraben, die aus diesem Dunkel heraus sozusagen ihr Licht über das Menschengeschlecht leuchten lassen, die ihr Leben zubringen mit den Toten und den Schriftstellern der alten Welt, die sie aus dem Grunde kennen, zu Nutz und Frommen der Lebenden, der Menschen ihrer Zeit, die sie herzlich wenig kennen.
Diese Kleinmeisterei, die man sich, bis zu einem gewissen Grade, bei Gelehrten ersten Ranges gefallen läßt, weil ihre Tätigkeit sie hindert, sich umzutun in der Zeit und unter Menschen, die ihnen einigen Schliff geben könnten — diese Art wird ganz unerträglich bei Kriegsleuten, und zwar aus dem entgegengesetzten Grunde.
Ein Soldat wird zum Pedanten, wenn er auf Kleinlichkeiten versessen ist, wenn er in Maulheldentum und Donquichotterie verfällt. Diese Fehler machen ihn in seinem Berufe ebenso lächerlich, wie den Mann der Wissenschaft seine siubenhockerische Welt, fremdheit.
Machiavell setzt in seiner Begeisterung seinen Fürsten dieser Lächerlichkeit aus: er versielgt sich bis zu der Forderung, sein Fürsi müsse ganz und gar nur Soldat sein, und macht so einen richtigen Don Quijote aus ihm, der nichts denkt und träumt<55> als Schlachtfelder, Verschanzungen, Belagerung von festen Plätzen, Schlachtordnungen, Angriffe, Stellungen und Befestigungen. Ein Wunder nur, daß der Verfasser nicht darauf verfällt, ihn mit Suppen in Gestalt von Außengräben, Pasteten in Bombenform und Torten in Form von Bastionen füttern zu lassen, und daß er ihn nicht wider Windmühlen, Schafherden und Strauße anrennen läßt, wie der liebenswürdige Phantast Miguel Cervantes.
Solche Entgleisungen gibt's, sobald man sich von der Mittelstraße der Besonnenheit verliert, die auf sittlichem Gebiete das gleiche bedeutet wie in der Mechanik der Schwerpunkt.
Ein Fürst erfüllt nur die eine Hälfte seiner Bestimmung, wenn er sich bloß dem Kriegshandwerk widmet; es ist geradezu verkehrt, daß er nichts als Soldat sein soll. Man erinnere sich meiner Ausführungen über den Ursprung der Fürsten im ersten Kapitel dieses Buches: Fürsten sind in erster Ltnie Richter; sind sie Feldherren, so sind sie's im Nebenamt. Machiavell gleicht den Göttern Homers, die stark, wehrhaft und machtvoll sind, niemals aber gerecht und billig. Nicht einmal das Abc der Gerechtigkeit kennt er, nur Selbstsucht und Gewalt.
Die Gedanken unseres Verfassers kriechen alle am Boden, sein beschränktes Vorstellungsvermögen umfaßt nur Rücksichten, wie sie den Machtbedürfnissen kleiner Fürsten entsprechen. Nichts Kümmerlicheres zum Beispiel als seine Gründe, mit denen er den Fürsten das Weidwerk ans Herz legt: sie würden auf diese Weise die Bodenbeschaffenheit und die gangbaren Straßen ihres Landes kennen lernen! Man denke sich einen König von Frankreich oder einen Kaiser solchermaßen um die Geländekenntnis innerhalb ihrer Staaten bemüht: sie brauchten ebensoviel Zeit, mit ihren Jagden herumzukommen, wie der Ablauf eines Sonnenjahres beträgt.
Man gestatte mir hier, bei einer Abschweifung auf das Weidwerk etwas zu verwetten; die Sache verdient es vielleicht, ist doch diese Kurzweil fast beim ganzen Adel und Hochadel und bei den Königen Gegenstand leidenschaftlicher Beliebtheit. Die meisten Könige und Fürsien bringen dreiviertel ihrer Lebenszeit damit zu, die Wälder zu durchstreifen, das Wild zu Hetzen und zu erlegen. Sollte dieses Buch in ihre Hände fallen, obwohl ich nicht eingebildet genug bin, ihnen zugunsten meiner Schriftsiellerei ein Opfer an ihrer Zeit zuzumuten, die dem Wohle der Menschheit gehört, dann bitte ich sie, meiner Wahrheitsliebe zugute halten zu wollen, wenn meine Ansichten vielleicht den ihrigen zuwiderlaufen. Schmeichlerische Lobreden zu verfassen isi nicht meine Sache, meine Feder ist nicht käuflich; meine Absicht bei diesem Werke ist allein, mir selbst Befriedigung zu verschaffen, indem ich mit aller denkbaren Freiheit die Wahrheiten, von denen ich überzeugt bin, oder Dinge, die mir vernünftig erscheinen, ausspreche. Isi nach alledem ein Leser von so verderbtem Geschmack, daß er die Wahrheit nicht liebt oder nicht verträgt, was seiner Denkweise widerstreitet, so braucht er ja mein Buch nur in die Ecke zu werfen; niemand wird ihn zum Lesen zwingen.
<56>Ich kehre zu meinem Gegenstand zurück. Das Weidwerk ist einer jener sinnlichen Genüsse, die dem Leibe stark zu schaffen machen, dem Geiste aber nichts geben: eine Leibesübung und Gewandtheit im Morden des Wildes, eine fortgesetzte Zerstreuung, ein geräuschvolles Vergnügen, das die innere Leere ausfüllt, die Seele aber für jeden anderen Gedanken unempfänglich macht; ein brennendes Verlangen, irgendein Stück Rotwild zu Hetzen, und dann die grausame und blutige Genugtuung, es zur Strecke zu bringen; mit einem Wort, ein Vergnügen, das den Leib stählt, den Geist brach und ungepflegt läßt. Die Jäger werden mir sicherlich vorwerfen, ich nähme die Dinge zu streng, spielte den gar zu unerbittlichen Kritiker und befände mich in der angenehmen Lage des Kanzelredners, der mit seinem Vorrecht, allein in der Gemeinde das Wort zu führen, leichtlich darauf losreden dürfe, ohne Widerspruch befürchten zu müssen; nun, ich verzichte gern auf diesen Vorteil und will in aller Ehrlichkeit die Scheingründe, die die Liebhaber des Weidwerks vorbringen, erörtern. Da heißt's zuerst, die Jagd ist das edelste und älteste Vergnügen der Menschen; die Patriarchen und viele von den großen Männern sind Jäger gewesen; in der Jagd bewähren die Menschen immer noch jene Herrenmacht über die Tiere, die Gott selbst einst Adam verliehen hat. Meinetwegen mag immer die Jagd so alt sein wie die Welt, aber was alt ist, ist doch darum nicht besser. Und wenn große Männer die Jagd geliebt haben, gut, sie hatten eben auch ihre Fehler und Schwächen: so wollen wir uns doch an das halten, was groß an ihnen war, und nicht ihre Mängel nachahmen. Die Patriarchen haben auch gejagt — sie haben auch ihre Schwestern geheiratet, die Vielweiberei war zu ihrer Zeit auch tm Schwang! Die guten Patriarchen und unsere teuren Voreltern rochen eben noch gehörig nach der Barbarei, darin sie staken: es waren grobschlächtige, unwissende Gesellen, Tagediebe, die nicht wußten, wohin mit der vielen, vielen Zeit: um sie totzuschlagen, führten sie ihre Langeweile auf die Jagd, verbrachten in den Wäldern, auf der Wildhatz die Stunden, die sie in Ermangelung geistiger Fähigkeiten nicht im Kreise gescheiter Menschen zuzubringen wußten. Ja, sind das nun nachahmenswerte Muster, soll die Ungeschlachtheit Lehrmeisterin der Lebensart sein? Oder sollen nicht vielmehr aufgeklärte Jahrhunderte anderen zum VorbUde dienen?
Ob Adam die Herrschaft über die Tierwelt empfing oder nicht, ist nicht meine Sorge. Ich weiß nur, daß wir, grausamer und wilder als die Tiere selbst, diese angemaßte Herrschaft recht tyrannisch ausüben. Höchstens dürfte uns doch unsere über-legene Vernunft ein Übergewicht über die Tiere geben; nun, das Hirn derer, die mit Leib und Seele der Jagd ergeben sind, ist meist nur mit Pferden, Hunden und sonstigem Getier ausgefüllt; sie sind meist ungeschliffene Leute und sind ihrer Leidenschaft gewöhnlich mit Haut und Haaren verfallen, was nicht ganz ungefährlich ist, da es naheliegt, daß sie ihre Unempfindlichkeit, die sie beim Tiere an den Tag legen, auch gegen den Menschen erweisen, zum mindesten, daß ihre grausame Gewöhnung, kalten Bluts das Leiden der Kreatur anzusehn, ihr Mitgefühl mit dem<57> Leide von ihresgleichen abstumpft. Das wäre also das gepriesene adlige Vergnügen? Das wäre eine Beschäftigung, eines denkenden Wesens würdig?
Die Jagd stählt aber die Gesundheit, wird man einwenden; die Erfahrung lehrt, daß Jäger zu hohen Jahren kommen; schließlich ist's doch ein unschuldiges Vergnügen und recht geschaffen für hohe Herren: sie können fürstlichen Glanz dabei entfallen, außerdem zerstreut es ihre Sorgen, bietet ihnen in Friedenstagen Bilder des Krieges, und der Fürst lernt auf der Wildbahn das Gelände, Weg und Steg, kurz, sein eigen Land in jeder Hinsicht gründlich kennen.
Nennst du mir die Jagd eine Leidenschaft, so kann ich dich nur beklagen, daß du keine ersprießlichere hast; will dich im übrigen einigermaßen entschuldigen und mich auf den guten Rat beschränken, sie wenigstens an den Zaum zu nehmen, wenn du sie nicht ganz zu unterdrücken vermagst. Nennst du das Weidwerk ein Vergnügen, so antworte ich: Recht so, genieße es, doch ohne Übertreibung; Gott behüte mich, ein Vergnügen zu verdammen! Im Gegenteil! Alle Pforten der Seele möcht' ich auftun, daß die Freude beim Menschen einziehe. Willst du mir aber die Jagd für etwas besonders Gutes und besonders Nützliches ausgeben, so laß dir sagen: Mag dir der Selbstbetrug der Eigenliebe und die Leidenschaft, die lügt, wenn sie zu Worte kommt, auch hundert Gründe einblasen, mit so windigen Gründen speist man mich nicht ab! Schminke auf ein garstiges Gesicht! Du kannst uns nicht überzeugen, so willst du uns dumm machen. Und wenn ein Faulpelz und Nichtstuer es zu hohen Jahren bringt, was hat die Allgemeinheit davon? Wie sagt der Dichter57-1?
„Ein Heldenleben mißt man nach der Zahl Der Jahre nicht!“
Nichts liegt daran, daß ein Mensch den Faden fauler, wertloser Tage bis zu Methusalems Alter hinspinne; nein, je mehr er seine Vernunft gebraucht, je mehr des Vorbildlichen und des Nützlichen er geleistet hat, um so mehr hat er gelebt.
Gerad heraus, die Jagd ist von allen Vergnügungen die, so den Fürsten am allerwenigsten ansieht. Mögen sie Glanz und Pracht anderweitig zum besten geben, wo das Volk etwas davon hat. Sollte der Wildbestand so überHand nehmen, daß der Bauer darunter leidet, so gibt das für Iägersleute einen sehr schönen Auftrag, die mögen die Tiere abschießen. Fürsten haben wirklich andere Obliegenheiten: sie sollen vor allem etwas lernen, sollen Kenntnisse erwerben und die Gewandtheit, zusammenhängend zu denken. Klare und richtige Gedanken verlangt von ihnen ihr Beruf, dafür können sie ihren Geist nicht genug schulen. Da nun aber die Menschen sehr von Gewöhnungen abhängen und die Einwirkung ihres Tuns und Treibens auf ihre Gedankenwelt garnicht abzuschätzen ist, so sollte es eigentlich naheliegen, daß sie die Gesellschaft gebildeter Geister, die ihnen Anmut des inneren Menschen zu geben ver<58>mögen, dem Umgang mit Dummköpfen vorzögen, von denen sie nur Roheit und ungesittetes Gebaren lernen können. Denn wer seinen Geist auf die Höhe bewußter Denktätigkeit eingestellt hat, wie hoch sieht er über denen, die ihre Vernunft der Oberherrschaft der Sinne unterwerfen! Die Tugend des Maßhaltens, eine notwendige Fürsientugend, sucht man beim Jäger vergebens; das allein genügt eigentlich, die Jagd zu einer verwerflichen Sache zu machen.
Um auch allen anderen noch möglichen Einwürfen zu begegnen und auf Machiavell zurückzukommen, muß ich wohl noch bemerken: für einen Feldherrn von Bedeutung ist das Weidwerk durchaus nicht unerläßlich! Gustav Adolf, Lord Marlborough, Prinz Eugen sind allesamt keine Jäger gewesen, und ihnen wird man den Namen hervorragender Männer und fähiger Heerführer wohl nicht absprechen! Will einer gescheite und zuverlässige Beobachtungen über Geländebeschaffenheit anstellen und strategische Erwägungen darüber, so gelingt ihm das viel leichter auf einsamer Streife ohne die Störung durch Feldhühner, Hühnerhunde, Hirsche, die Unruhe einer Meute und das wilde Toben der Jagd. Ein namhafter Fürst, der mit den Kaiserlichen den zweiten Feldzug in Ungarn mitmachte58-1. wäre um ein Haar in die Hände der Türken gefallen, weil er sich auf der Jagd verirrt hatte. Im Heere sollte das Jagen geradezu verboten sein, es hat schon zuviel Unordnung auf den Märschen veranlaßt. Wie viele Offiziere, anstatt bei der Truppe zu bleiben, haben sich schon pflichtwidrig von ihrem Posten entfernt; ganze Abteilungen gerieten aus ähnlichen Ursachen in Gefahr, vom Feinde überrumpelt und aufgerieben zu werden.
Ich komme demnach zu dem Schluß: es ist zwar verzeihlich, wenn ein Fürst auf die Jagd geht, vorausgesetzt, daß es nur selten und zur Erholung von seiner ernsten und manchmal sorgenvollen Tätigkeit geschieht. Eigentlich ist aber die Jagd nur für Leute da, denen sie ihren Beruf, das Mittel ihres Fortkommens bedeutet; sonst sind vernunftbegabte Menschen zum Denken und zum Handeln auf der Welt, und ihr Dasein ist zu kurz bemessen, als daß sie seine kostbaren Augenblicke so sträflich vergeuden dürften.
Oben sagte ich, die erste Fürstenpfiicht sei, des Rechtes zu walten. Die zweite, füge ich hier zu, die gleich hinter jener kommt, besieht im Schutz und der Verteidigung des Staates. Die Herrscher sind verpflichtet, Zucht und Ordnung in den Truppen aufrechtzuerhalten. Für ihre Person liegt ihnen ob, ein ernstes Studium an das Kriegshandwerk zu wenden, denn sie sollen sich auf die Heerführung verstehen; sie sollen imstande sein, Feldstrapazen zu ertragen; sollen wissen, wo und wie man ein Lager anlegt, überall für reichliche Verpflegung sorgen, kluge und gute Dispositionen treffen. Von ihnen verlangt man schnelle und richtige Entschlüsse; in schwierigen Lagen soll ihr Kopf Auskunft und Hilfsmittel bereit haben; aus dem Glück<59> wie aus dem Unglück sollen sie Gewinn schlagen und es niemals an Rat und Voraussicht fehlen lassen. Fürwahr, das heißt viel fordern von der menschlichen Kraft!
Derartige Leistungen darf man sich indessen eher von einem Fürsten versprechen, der die Sorge um die Entwicklung seiner geistigen Fähigkeiten ernst nimmt, als von Leuten, deren Denken immerdar nur am Stoffe haftet, die nur die feineren oder gröberen Antriebe der Sinnlichkeit kennen. Es ist eben mit den geistigen Fähig, leiten ebenso bestellt wie mit den körperlichen: bildet einer seinen Körper im Tanzen aus, so gewinnt er Haltung, Geschmeidigkeit und Gewandtheit; vernachlässigt er ihn, so wird er krumm, büßt seine Anmut ew, wird schwerfällig, unbeholfen und mit der Zeit unfähig zu jeder Kraftleistung.
<60>15. Kapitel
Was dem Menschen, insbesondere aber dem Fürsten, Lob und Tadel schafft.
Maler und Geschichtsschreiber gleichen sich darin, daß sie beide das Bild des Menschen für die ferne Nachwelt festhalten. Das Bild des äußeren Menschen zeichnen die einen, das Bild des inneren Menschen, seine Taten und die Geschichte des menschlichen Geistes die anderen. Wie es nun Maler gibt, deren Pinsel, von der Hand der Grazien geführt, die Schönheitsfehler der Natur ausgleicht. Altersschaden mildert und alles, was ihre Urbilder entstellt, liebevoll abschwächt, so hat an mehr denn einer Stelle die beredte Darstellung von Bossuet und Fléchier Gnade für Recht ergehen lassen, allerhand Menschlichkeiten zurechtgerückt und aus bedeutenden Persönlichkeiten Heldengestalten gemacht. Wie es umgekehrt Maler gibt mit der Neigung, alles von der häßlichen Seite aufzufassen, Maler, die ein Antlitz frisch wie Milch und Blut ins Schmutzfarbene verkehren und die edelsten Umrisse und Züge dermaßen vergröbern, daß in ihrer Wiedergabe einer griechischen Venus oder eines Amorknaben kein Mensch mehr die Spuren der Praxitelischen Meisterhand erkennen würde, so droht dem Geschichtschreiber die gleiche Gefahr vom Parteigeiste. Pater Daniel zeichnet in seiner „Geschichte Frankreichs“ alle Ereignisse völlig schief, sobald die Calvinisten in Frage kommen; und etliche protestantische Darsteller, ebenso umbeherrscht und unweise wie jener würdige Pater, verschmähten es nicht, die Lügen ihrer leidenschaftlichen Voreingenommenheit über das unparteiische Zeugnis zu stellen, das sie der Wahrheit schuldeten, uneingedenk der obersten Pflicht des Historikers: die Tatsachen treu wiederzugeben, ohne Entstellung und Fälschung. Maler einer dritten Gattung haben einen Mischmasch von Geschichte und Trug zuwege gebracht, um Unholde, wie Ausgeburten der Hölle an Häßlichkeit, zur Darstellung zu bringen; als verstünde sich ihr Pinsel nur auf die Erfassung von Teufelsgesichtern, ward ihre Leinwand ein Abbild alles dessen, was die fruchtbarste und zugleich düsterste Einbildungskraft an wilden Nachtstücken von Bildern verdammter und höllischer Geister erschaffen konnte. Was ein Callot und Peter Testa in dieser Art Malerei, das ist Machiavell unter den Schriftstellern. Seine Darstellung macht aus der Welt eine Hölle und teuflische Wesen aus allen Menschen. Man möchte meinen, dieser menschenfeindliche und grillige Staatslehrer wolle das ganze Menschengeschlecht aus Haß gegen die gesamte Gattung verleumden, oder er habe es darauf abgesehen, die Tugend auszurotten, vielleicht, damit alle Bewohner der Erde seinesgleichen würden.
<61>Wenn Machiavell über Tugend spricht, setzt er sich der Gefahr der Lächerlichkeit aus, wie einer, der von Dingen redet, die er nicht versieht, und verfällt obendrein in Übertreibungen, die er an anderen verdammt. Haben einige Darsteller ein allzu rosiges Bild von der Welt entworfen, so ist sie bei ihm ein Abgrund von Niederträchtigkeit. Aus den verkehrten Voraussetzungen seiner Wahnvorstellungen ergeben sich naturgemäß nur falsche Schlußfolgerungen — ohne festen Mittelpunkt läßt sich kein Kreis schlagen, ohne eine erste Grundwahrheit nicht richtig denken.
Die sittlichen Forderungen dieser Staatslehre laufen darauf hinaus: nur an die Lasier halte dich, die dir Vorteil versprechen; andere opfere deinem Machtstreben; der Verruchtheil derWelt passe dich an, willst du anders unfehlbarem Verderben entgehen.
Selbstsucht ist der Schlüssel für dies Gedankengebäude, die Urkraft, wie Descartes' Wirbel und Newtons Schwerkraft. Sie heißt für Machiavell die Seele der Welt, der sich alles beugen muß, bis auf die Regungen des Gemütes. Doch zeugt die Voraussetzung, daß es in des Menschen Macht siehe, diese seine Regungen sich zu geben oder zu nehmen, von einem argen Mangel an Weltkenntnis; beweist doch die ganze Anlage unseres Leibes, daß Freude und Niedergeschlagenheit, Sanftmut wie Zornmütigkeit, Liebe und Gleichgültigkeit, Beherrschtheit wie Maßlosigkeit, mit einem Wort: alle unsere Gemütsregungen lediglich von der Beschaffenheit bestimmter Organe unseres Leibes abhangen, von der mehr oder minder feinen Anlage etlicher Fibern, etlicher Membranen, von der Dick- oder Leichtfiüssigkeit unseres Blutes und der Leichtigkeit oder Trägheit seines Umlaufs, von der Stärke unseres Herzens, der Beschaffenheit unserer Galle, der Größe unseres Magens und dergleichen mehr. Nun frage ich aber: Sind alle diese Teile unseres Leibes wohl imstande, sich den Gesetzen unserer Selbstsucht willig unterzuordnen? Mehr Vernunft hat wohl die Annahme des Gegenteils! Machiavell wird jedenfalls viele Andersgläubige finden, die den Gott Epikurs dem Cäsars vorziehen.
Nein, es gibt nur einen berechtigten Grund für ein vernunftbegabtes Wesen, sich dem wohltuenden Zwange seiner inneren Regungen zu widersetzen: die Einsicht dessen, was zuletzt seinem Besten dient und was dem Gemeinwohl frommt. Diese leidenschaftlichen Regungen erniedrigen unser Wesen, wenn wir uns ihnen wehrlos ausliefern, und richten uns leiblich zugrunde, wenn wir ihre Zügel schleifen lassen; nicht ganz unterdrücken soll man sie, aber meistern und ihnen eine Richtung geben zu Nutz und Frommen der Gesellschaft, einfach, indem man ihnen einen neuen Gegenstand anweist. Sollten wir's auch nie zu einem großen, regelrechten Siege in einem Entscheidungskampfe über sie bringen, der kleinste Vorteil über sie sei uns ein tröstlich Zeichen dafür, daß wir auf dem Wege sind, Herren über uns selbst zu werden.
Ich muß in diesem Kapitel für den Leser noch einen groben Widerspruch Machiavells anstreichen. Im Anfange heißt es: „Eine ganze Welt liegt zwischen dem, was einer tut, und dem, was einer sollte; jeder Mensch, der sein Tun und Lassen danach einrichten wollte, was ihm von dieser Pflicht der Menschen vorschwebt, nicht aber nach<62> dem, was sie in Wirklichkeit sind, der müßte mit Unfehlbarkeit untergehen.“ Der Verfasser hat vielleicht vergessen, wie er sich im sechsten Kapitel ausgelassen hat, wo er sagt: „Da es nun einmal ein Ding der Unmöglichkeit ist, sein Vollkommenheitsbild ganz zu erreichen, so wird ein Kluger sich immer nur ein möglichst hohes Vorbild wählen, damit er, vermag er ihm nicht ganz gleichzukommen, doch zum mim besten den eigenen Leistungen einen Abglanz seiner Größe sichere.“ Machiavell ist zu bedauern um der Unzuverlässigkeit seines Gedächtnisses willen, wenn nicht der Mangel an Zusammenhang und Folgerichtigkeit in seinen Gedanken und Schlüssen noch bedauerlicher ist.
Er geht in seinen Denkfehlern und den Grundsätzen seiner abscheulichen Mißweisheit so weit, zu behaupten, in dieser so ganz verbrecherischen und verderbten Menschenwelt sei für vollkommene Güte keine Lebensmöglichkeit. Einer hat mal gesagt, wenn die Dreiecke sich einen Gott machten, so würde er drei Seiten haben. So ist auch diese niederträchtige und verderbte Welt eine echte Schöpfung Machiavells.
Ein Redlicher kann immerhin überlegenen Geistes sein, voller Umsicht und Vorsicht, das braucht seiner Herzensreinheit keinen Eintrag zu tun. Seine scharfsinnige Voraussicht ist ihm genug, er erkennt, was seine Feinde im Schilde führen, seine Weisheit, nie Rates verlegen, kann ihm stets die Wege weisen, wie er den Schlingen, die ihre Bosheit ihm legt, entgehe. Was heißt das aber schließlich: unter Schurken nicht vollkommen gut sein? Was sonst als selber ein Schurke sein? Wer sich erst darauf einläßt, „nicht vollkommen gut“ sein zu wollen, der wird zuletzt, nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge, eben ein ganzer Bösewicht; das geht wie beim Donaustrom: der wird auch nicht besser bei seiner Weltreise, in der Schweiz fängt er an, in der Tartarei nimmt er sein Ende.
Man lernt, ich gestehe es, ganz neue und besondere Dinge bei Machiavell: Ehe ich den „Fürsten“ gelesen, war ich dumm und ungebildet genug, nicht zu wissen, daß es Fälle gebe, die einem Ehrenmann erlaubten, ein Schuft zu werden. In meiner Beschränktheit hatte ich keine Ahnung davon, daß Leute wie Catilina, Cartouche, Mir-Weis62-1 die vorbildlichen Gestalten für die Welt seien; vielmehr lebte ich mit der Mehrheit der Menschen der Überzeugung, es komme der Tugend zu, Vorbilder abzugeben, dem Laster, sich gefälligst danach zu richten. Muß ich mich allen Ernstes auf ein Für und Wider einlassen? Gründe allen Ernstes dafür beibringen, daß wirklich Tugend allerhand vor dem Lasier voraus hat, ein gütiges Herz vor schadenfroher Bosheit und Edelsinn vor Verrätertücke? Ich denke, wer nur seinen Verstand beieinander hat, der weiß zur Genüge, was sein Bestes erheischt, um zu fühlen, auf welcher von beiden Seiten er am ehesten seine Rechnung findet, und um einen Menschen zu verabscheuen, der bei dieser Frage garnicht einmal einen Zweifel, ein Schwanken kennt, sondern der sich für das Verbrechen entscheidet!
<63>16. Kapitel
Von Freigebigkeit und Kargheit.
Zwei berühmte BUdhauer, Phidias und Alkamenes, schufen jeder ein Athene-standbild; das schönste nach der Wahl der Athener sollte die Spitze einer Säule krönen. Bei der öffentlichen Ausstellung fielen die Stimmen dem Werke des Al-kamenes zu; das andere, hieß es, sei zu plump gearbeitet. Ohne sich durch das Urteil der Menge aus dem Gleichgewicht bringen zu lassen, legte Phidias kühnlich Berufung ein: man solle nur einmal erst beide Bildwerke auf dem hohen Standort, für den sie gemacht seien, aufstellen, und dann entscheiden, welches das schönere sei. Gesagt, getan: bei der Errichtung der beiden Bilder auf der Höhe der Säule ergab sich, daß die Gesetze der Proportion, der richtigen Perspektive, somit die Feinheit der Formengebung von Phidias besser beobachtet waren als von seinem Mitbewerber. Phidias dankte seinen Erfolg dem Studium der Gesetze des Sehens: was für einen hohen Standort bestimmt ist, ist notwendig anderen Regeln unterworfen, als was in Augenhöhe gesehen werden soll.
Aber diese Proportionsregel gilt ebenso streng in Fragen des Staates wie in der Bildhauerei. Auch da heißt es: andere Gebiete, andere Gebote; jede Verallgemeinerung ist nur vom Übel. Was an einem großen Reiche alle Bewunderung verdient, kommt noch lange nicht einem kleinen Staatsgebilde zu; was hier am meisten zur Hebung dient, dort arbeitet es geradezu dem Niedergange vor. Wollte man so grundverschiedene Lebensbedürfnisse einheitlich regeln, es gäbe die seltsamsten Mißgriffe, jedenfalls eine ganz verkehrte Anwendung von Grundsätzen, die an sich gut und heilsam sind. Nehmen wir einmal den Luxus: erwachsen aus dem Überflusse, läßt er den Reichtum durch alle Adern des Staatskörpers rollen und bringt ein weites Königreich zur Blüte; er gibt der Industrie zu leben, er verzehnfacht die Bedürfnisse der Wohlhabenden und Genießenden und schafft gerade damit eine lebendige Verbindung zur Armut und Bedürftigkeit hin. Der Luxus bedeutet für ein großes Reich dasselbe, was die Tätigkeit des Herzens für den menschlichen Körper bedeutet, die das Blut durch die großen Schlagadern treibt bis zu den äußersten Gliedmaßen, von wo aus es die kleinen Venen durchrinnt, die es zum Herzen zurückführen zu erneutem<64> Kreislaufe durch den gesamten Organismus. Verfiele nun ein ungeschickter Staatsmann auf den Gedanken, den Luxus aus einem großen Reiche zu verbannen, die Folge wäre eine bedenkliche Entkräftung und Schwächung dieses Staatskörpers; das Geld, überflüssig geworden, verbliebe in den Truhen der Reichen, der Handel schliefe ein, die Fabriken verfielen aus Mangel an Absatz, die Industrie ginge zugrunde, die reichen Familien blieben andauernd reich, für die Bedürftigen gäb's keine Aussicht, sich jemals aus ihrem Elend emporzuarbeiten.
Derselbe Luxus würde auf der anderen Seite für einen kleinen Staat geradezu ein Fluch sein: die Bürger richten sich durch Aufwand zugrunde, und da mehr Geld aus dem Lande herausströmt als sich durch Eingang ersetzt, so muß der zarte Körper schwindsüchtig werden und schließlich notwendig an Auszehrung eingehen. Es bleibt demnach ein unerläßliches Gebot für jeden Staatsmann, niemals kleine und große Staaten einheitlich zu behandeln, und das ist der grobe Verstoß Machiavells in diesem Kapitel.
Der erste Fehler, den ich tadeln muß: er gebraucht das Wort Freigebigkeit in einem zu unbestimmten Sinne. Es besieht doch ein merklicher Unterschied zwischen einem verschwenderischen und einem freigebigen Menschen. Jener verschleudert sein Gut mit vollen Händen ohne Ordnung und zur Unzeit — ein verdammenswertes Zuviel, eine Art Tollheit, ein Zeichen unklaren Denkens; weshalb ein verständiger Fürst sich vor jeglicher Verschwendung hüten wird. Der Freigebige hingegen ist ein Mann, der das Herz auf dem rechten Fleck hat; ihn leitet in allem die Vernunft, und so bildet die Einnahme den Gradmesser für die Ausgabe; so sehr er sich vernünftiger Wohltätigkeit befleißigt, gerade sein Erbarmen mit dem Elend lehrt ihn, sich einschränken, lehrt ihn das Überflüssige entbehren, damit er anderen hilfreich geben könne. Nur in seinen Mitteln findet seine Herzensgüte ihre Grenze. Das ist nach meiner Überzeugung eine Haupteigenschaft für einen großen Fürsten und für jeden, den seine Geburt zur Hilfeleistung, zur Erleichterung des Elends seiner Nebenmenschen verpflichtet.
Der zweite Fehler, den ich Machiavell vorwerfe, ist eine Verirrung aus angeborener Denkweise. So nenne ich das mangelnde Unterscheidungsvermögen, mit dem er ruhig der Freigebigkeit Fehler anhängt, die der Habsucht eigen: „Um sich den Ruf der offenen Hand zu erhalten, wird ein Fürst“, so meint er, „seine Untertanen mit Steuern überlasten, wird nach Handhaben suchen, ihre Habe für sich einzuziehen, und wird auf alle möglichen unwürdigen Mittel angewiesen sein, seine Truhe zu füllen.“ Das ist der Habsüchtige, wie er im Buche sieht! Vespasian war's, nicht Trajan, der dem römischen Volke Steuern auferlegte. Habsucht ist ein verzehrender Hunger, der nimmer Sättigung findet, ist wie ein Krebsschaden, der vernichtend um sich frißt. Ein Habsüchtiger begehrt nach Reichtümern, neidet sie jedem Besitzer und bringt sie, wenn er kann, in seine Gewalt; Begehrlichkeit ist leicht durch den Köder des Gewinns in Versuchung zu führen, wie denn bei habgierigen Richtern<65> der Verdacht der Bestechung nahe genug liegt. Es ist die Eigentümlichkeit dieses Lasters, die schönsten menschlichen Vorzüge in den Hintergrund zu drängen, sobald es sich ihnen gesellt.
Der Freigebige ist das genaue Gegenstück zum Habsüchtigen. Seine Freigebig, keit beruht auf Güte und Mitgefühl. Seine Wohltätigkeit will den Unglücklichen helfen und beitragen zum Glücke wertvoller Menschen, mit denen es das Schicksal weniger gut meint als die Natur. Ein Fürst von solcher Sinnesart denkt nicht daran, seine Völker zu bedrücken und für seine Vergnügungen auszugeben, was sie mit saurer Müh' erwarben; vielmehr wird sein einziger Gedanke sein, die Quellen ihres Wohlstandes zu mehren. Wo etwa Unrecht und Schädigung vorkommt, geschieht's ohne fein Wissen, sein gütiges Herz treibt ihn nur, allen Völkern seiner Herrschaft jegliches Glück zu schaffen, das ihr Zustand nur immer zuläßt.
Dies ist der landläufige Sinn der Begriffe Freigebigkeit und Geiz. Kleine Fürsten, deren Besitz nur schmal und deren Familie verhältnismäßig groß ist, tun gut, wenn sie ihre Wirtschaftlichkeit getrost bis zu der Grenze treiben, wo ein oberflächlicher Beurteiler sie schon mit Geiz verwechselt. Herrscher, die zwar über einige Staaten gebieten, aber noch nicht zu den großen Fürsten zählen, sehen sich auf eine gewissenhafte Verwaltung ihrer Einkünfte angewiesen und ebenso auf eine vorsichtige Bemessung ihrer Freigebigkeit nach ihrer Leistungsfähigkeit. Doch mit der Macht des Fürsten wächst seine Pflicht, eine offene Hand zu haben.
Vielleicht hält man mir das Beispiel Franz' des Ersten von Frankreich entgegen, dessen alles Maß überschreitende Ausgaben mit an seinem Unglück schuld waren; bekannt ist es ja, daß die Vergnügungen dieses Königs die Mittel verschlangen, die ihm zum Ruhme den Weg hätten bahnen können. Doch dagegen läßt sich zweierlei sagen: erstens war Frankreich zu jenen Zeiten an Machtstellung, Einkünften und Hilfsmitteln bei weitem nicht dem Frankreich von heute zu vergleichen, und zweitens war dieser König schon nicht mehr freigebig, sondern eben ein Verschwender.
Weit entfernt, Ordnungssinn und Genauigkeit bei einem Herrscher zu verurteilen, bin lch der erste, der ihm solches hoch anrechnet. Der Fürst als der Vormund seiner Untertanen hat für die Verwaltung der Staatsgelder aufzukommen, er ist seinen Untertanen dafür verantwortlich und muß, wofern er klug ist, ausreichende Mittel auf Vorrat ansammeln, um in Kriegszeiten die notwendigen Ausgaben bestreiten zu können, ohne genötigt zu sein, den Seinen neue Lasten aufzuerlegen. Soviel Vorsicht und Umsicht in der Verwendung der Staatsgelder geboten ist, wenn das Gemeinwohl es erfordert, ist auch Freigebigkeit und Weitherzigkeit am Platze: dergleichen gibt dem Gewerbefleiß neue Unternehmungslust, sichert immer wieder dem fürstlichen Namen seinen guten Klang und belebt jede Tüchtigkeit.
Zuletzt noch ein Irrtum Machiavells! Ein Irrtum des sittlichen Empfindens. „Freigebigkeit macht arm und somit verächtlich.“ Welch armseliger Gedankengang, welche verkehrten Vorstellungen von dem, was Anerkennung oder Tadel einträgt!<66> Also, Machiavell, die Schätze des Reichen sollen im Urteil der Welt alles andere aufwiegen? Metall, an sich verächtlich, dessen Schätzung eine willkürliche ist, soll aus seinem Besitzer ohne weiteres eine hochlöbliche Persönlichkeit machen? Also nicht der Mensch, der Haufen Goldes ist's, dem man Ehre zollt! Begreift einer, wie eine solche Vorstellung im Hirn eines denkenden Menschen Eingang finden kann? Man kommt zu Reichtum durch Fleiß, durch Erbschaft oder, was bedenklicher, durch Gewaltmittel; alle diese Erwerbungen bleiben außerhalb des eigentlichen Menschen, er besitzt sie und kann sie wieder verlieren. Wie kann man also Dinge von so innerlich verschiedener Art wie Menschenwert und ein elendes Stück Geld in einen Sack tun! Der Herzog von Newcastle, Samuel Bernard66-1 oder Pels66-2 sind durch ihre Reichtümer bekannt; doch Bekanntsein und Geachtetsein sind zweierlei. Der stolze Krösus mit seinen Schätzen, der habgierige Crassus mit seinen Reichtümern wurden vom Volke in dem Glanze ihres Auftretens angestaunt wie Sehenswürdigkeiten; seinem Herzen sagten sie nichts, seine Achtung erwarben sie nicht. Doch der gerechte Aristides und der weise Philopömen66-3, der Marschall Turenne und Catinat66-4, untadelig in ihren Sitten, wie man sich gern die Männer früherer Zeiten denkt, sie waren die Bewunderung ihrer Zeitgenossen und sind das Vorbild der Ehrenmänner aller Zeiten — und sie lebten in Einfachheit und Uneigennützigkeit. Also nicht Macht, Stärke und Reichtum gewinnen die Herzen, sondern diese werbende Macht bleibt den persönlichen Eigenschaften vorbehalten, der Güte, der Tugend. Also können auch Armut und Bedürftigkeit niemals den Menschenwert herabsetzen, ebensowenig wie äußere Vorteile das Lasier zu adeln oder zu Ehre zu bringen imstande sind.
Die Masse und die Bedürftigen hegen eine gewisse Achtung vor dem Reichtum, gerade weil sie ihn nicht kennen, nichts von ihm wissen. Dagegen wer selber etwas hat und dazu denkt wie ein vernünftiger Mensch, der fühlt eine überlegene Verachtung gegenüber allem, was von Glückes oder Zufalls Gnaden ist; da sie selber die Güter dieser Welt besitzen, so kennen sie um so besser deren inneren Unwert und Nichtigkeit.
Nicht verblüffen soll man die Welt, ihre Achtung nicht durch Überrumpelung gleichsam an sich reißen; sie redlich zu erwerben, darauf kommt's an.
<67>17. Kapitel
Von Grausamkeit und Milde, und ob es besser ist, geliebt oder gefürchtet zu werden.
Der kostbarste Schatz, der der Hut der Fürsten anvertraut ist, das ist ihrer Untertanen Leben. Ihr Amt gibt ihnen die Vollmacht, zum Tode zu verurteilen oder Gnade an den Schuldigen zu üben, sind sie doch die obersten Gerichtsherren. Ein Wort aus ihrem Munde, und es treten vor sie hin die finsteren Vollstrecker des Todes und der Vernichtung; ein Wort aus ihrem Munde, und es eilen dahin die Boten ihrer Gnade, die Retter in der Not mit ihrer Heilsbotschaft. Wieviel Besonnenheit, Voraussicht und Weisheit gehört aber zu einer so unbeschränkten Machtvollkommenheit, soll jeder Mißbrauch verhütet werden!
Tyrannen zählen ein Menschenleben nicht. Ihr Glück hat sie ja so hoch hinaufgetragen, nun fühlen sie das Leid da unten, das ihnen unbekannt bleibt, nicht mehr mit. Sie sind den Kurzsichtigen gleich, die nur zwei Schritte weit sehen können: sie sehen nur sich selbst, von der übrigen Menschheit nehmen sie nichts wahr. Vielleicht, wenn einmal das Entsetzen, das ihre eigenen Bluturteile wecken, an ihr eigenes Empfinden rühren könnte, die Grausamkeiten, die in ihrem Namen geschehen, ihren Blicken fern, all die Schrecknisse vor und bei der Hinrichtung eines Unglücklichen — wenn ihnen all das einmal nahe träte, vielleicht, daß ihr Gemüt doch noch nicht so verhärtet wäre, um sich starr der Stimme der Menschlichkeit zu versagen, daß sie in ihrer Kaltblütigkeit doch nicht so ganz aller Natur entfremdet wären, um nicht erschüttert zu werden.
Gute Fürsten fühlen diese unbegrenzte Macht über Leben und Tod auf ihrer Seele als die schwerste Last ihrer Krone. Sie wissen, sie sind selber Menschen, gleich denen, über die sie richten sollen; sie wissen, alles läßt sich wieder gutmachen hienieden, Unbill, Ungerechtigkeit, Kränkung, nur ein übereiltes Todesurteil ist ein Unglück, das nicht ungeschehen zu machen ist. Sie entschließen sich zu solcher Härte nur zur Vermeidung von noch unerfreulicheren, schonungsloseren Maßnahmen, die ihnen nicht erspart bleiben, sofern sie nicht gegebenen Falles fest zufassen; und nur in verzweifelten Fällen greifen sie zu so unseliger Entschließung — wie ein Mensch wohl, trotz zärtlichster Selbstliebe, in die Ablösung eines brandigen Gliedes willigt, um durch diesen schmerzhaften Eingriff wenigstens seinen übrigen Körper zu sichern und zu erhalten. Also nur, wenn dringendste Not es gebietet, darf ein Fürst das Leben<68> eines Untertanen antasten, und er muß sich darum mit peinlichster Besonnenheit und ängstlichster Gewissenhaftigkeit fragen, ob eine solche auch vorliege.
Fragen von solcher ernsten Gewichtigkeit behandelt Machiavell als Geringfügigkeiten; ein Menschenleben gilt ihm nichts, der Nutzen, die einzige Gottheit, die er verehrt, alles. Er gibt der Grausamkeit den Vorzug vor der Gnade und rät jedem Neuling auf der Höhe der Macht, sich weniger als jeder andere Mensch daraus zu machen, als grausam verschrien zu sein. Wie die Helden Machiavells sich von Henkersknechten zum Throne emporführen lassen, so behaupten sie sich dort oben durch rohe Gewalt. Cäsar Borgia, das ist sein Muster für Grausamkeit, an ihn hält er sich, wie Fénelon sich an Telemach hält, wenn er den Weg zur Tugend weisen will.
Machiavell führt noch einige Verse an, die Vergil der Dido in den Mund legt, eine Anführung, die ganz und gar nicht am Platze ist; denn Vergil läßt seine Dido sprechen wie Voltaire die Jokaste in seinem Ödipus. DerDichter leiht eben seinen Gestalten eine Redeweise, wie sie ihrem Wesen entspricht; in einer Abhandlung über Staatsfragen darf man also wirtlich nicht bei der Maßgeblichkeit einer Dido und auch nicht einer Jokaste eine Anleihe machen, hier gilt nur das Vorbild großer und edelgearteter Männer.
Zu einer knappen Antwort an den Verfasser zu kommen, genügt die eine Erwägung: so verhängnisvoll ist die Verkettung verbrecherischer Taten untereinander, daß, sobald einmal die erste geschehen, nun mit Notwendigkeit eine der anderen folgt. So zieht Thronraub Verbannungen, Ächtungen. Gütereinziehungen und Mordtat nach sich. Ich frage: zeugt es nicht von schauriger Härte des Gemütes, von fluchwürdigem Machthunger, alle Untaten, die man zur Behauptung seiner Herrschaft begehen muß, im voraus zu wissen und doch noch nach der Herrschaft zu streben? Ich frage: ist irgendein persönlicher Vorteil in der Welt denkbar, der den Tod Unschuldiger rechtfertigte. Unschuldiger, die nicht so wollen, wie ein Usurpator will? Und welchen Reiz kann eine blutbefleckte Krone haben? Solche Erwägungen werden vielleicht einen Menschen wie Machiavell kalt lassen, doch ich bin überzeugt, nicht die ganze Welt ist so verderbt wie er.
Vor allem gegen die Truppen empfiehlt unser Staatslehrer Härte und stellt der Nachsicht Scipios die Strenge Hannibals gegenüber, stellt sich hierin ganz auf Seite des Karthagers und kommt sogleich zu dem Schluß, Grausamkeit sei die Handhabe der Ordnung und Mannszucht, somit der Siegestaten eines Heeres. Es ist kein ehrlich Spiel von seilen Machiavells, wenn er als Gegenbeispiel zu Hannibal gerade den Scipio wählt, den weichsten und lässigsten in der Heereszucht unter allen römischen Führern: um die blutige Härte in ein günstig Licht zu setzen, stellt er ihr wohlweislich die Schwachheit eines Scipio gegenüber, dabei muß er selber zugeben, daß Cato jenen den Verderber des römischen Soldatengeistes genannt hat. Und so behauptet er, nun wisse er ganz genau, woher die Verschiedenheit der Erfolge der beiden Feldherren; daher weg mit aller Milde, die er nach seiner Art mit den Fehlern verwechselt, zu denen übertriebene Gutherzigkeit ausarten kann!
<69>Ich gebe zu, keine Ordnung im Heerlager ohne Strenge; wie will man sonst lieber, liches Gesindel, Wüstlinge, Verbrecher, Feiglinge, Abenteurer, ungeschlachte und seelenlose Kerle zur Pflichterfüllung anhalten, wenn nicht die Furcht vor Strafen sie in Schranken hält? Was ich hier von Machiavell verlange, ist allein vernünftige Einschränkung. Er muß sich doch sagen, daß der rechte Mann, wenn auch seine GutHerzigkeit ihn zur Milde bestimmt, nichtsdestoweniger, wenn's die Klugheit gebietet, auch mal hart dreinfassen kann; doch mit den strengen Maßnahmen wird er's halten wie der kundige Seemann: erst wenn die letzte Gefahr in Sturmesnöten ihn zwingt, kappt er Mast und Taue seines Fahrzeugs.
Doch Machiavell ist noch nicht am Rande mit seiner Weisheit; ich komme zum verfänglichsten, spitzfindigsten und blendendsten seiner Sätze: ein Fürst tut besser daran, wenn er dafür sorgt, daß man ihn fürchte, als dafür, daß man ihn liebe; die Menschen neigen in ihrer Mehrheit zur Undankbarkeit, zur Veränderung, Verstellung, Feigheit und Habgier; da ist denn, bei der Bosheit und Niedrigkeit der Menschen, art, die Liebe ein gar zu schwächlich Band, das so leicht keinen verpflichtet, wieviel stärker bindet da die Furcht vor Strafe die Leute an ihre Pflicht. Ob einer einem seine Neigung schenken will, das hängt von ihm ab, nicht aber, ob er vor jemand Angst habe; gescheiter also, ein Fürst ist nicht auf den guten Willen anderer ange, wiesen, sondern sieht auf sich allein.
Was ich dagegen zu sagen habe, ist dies: daß es undankbare und daß es heuchlerische Menschen gibt, leugne ich nicht, ebensowenig, daß zu Zeiten mit der Furcht sich sehr viel erreichen läßt. Doch das möchte ich betonen, daß ein König, dessen ganze Staatstunsi nur darauf hinausläuft, daß man ihn fürchte, ein Herr über Sklaven sein wird; großer Leistungen darf er sich von seinen Untertanen nicht versehen, denn was in Furcht und Zagen geschieht, das sah noch immer danach aus. Ein Fürst hingegen, dem es gegeben ward, Liebe zu erwerben, wird wirklich Herr über die Herzen sein, denn seine Untertanen finden sich nur wohlgeborgen unter seiner Herrschaft, und wie reich ist da die Geschichte an Beispielen großartiger, herrlicher Taten, Taten der Liebe und der treuen Anhänglichkeit. Ich füge hinzu, daß es mit der Mode der Aufstände und Revolutionen in unseren Tagen völlig vorbei zu sein scheint; kein Königreich, außer England, wo der König noch den geringsten Anlaß hätte, von seinen Völkern etwas zu fürchten — auch in England nur dann, wenn er selber den Sturm heraufbeschwört.
Ich schließe also damit, daß ein grausamer Herrscher viel eher mit Verrat rechnen muß denn ein milder. Grausamkeit ist unerträglich, und bald wird der Mensch es müde, immer in Angst zu leben; Güte aber ist allezeit liebenswert, und des Liebens wird niemand müde. Zum Heile der Welt wär's darum wünschenswert, die Fürsten wären gut; allzu nachsichtig brauchten sie darum nicht zu sein, damit die Güte stets eine Tugend an ihnen sei und nie eine Schwäche.
<70>18. Kapitel
Inwieweit die Fürsten ihr Wort halten sollen.
Was einmal von Grund aus schlecht ist, wird ewig schlecht bleiben; kein Cicero und kein Demosthenes wird je mit Aufgebot all seiner Redekunst darüber der Welt etwas vormachen; man würde ihrer Redefettigkeit alle Gerechtigkeit widerfahren lassen, doch ihnen ihren kläglichen Mißbrauch verdenken. Des Redners Beruf ist's wohl, die Unschuld vor Bedrückung und Verleumdung in Schutz zu nehmen, Gründe zu erörtern, die einen Entschluß annehmbar machen oder einer Entscheidung das Übergewicht geben über eine andere, darzutun, wie erhaben und schön doch die Tugend, wie verworfen und häßlich das Lasier. Doch geht mir mit einer Redekunst, die dem Gegenteil von alledem dienen soll.
Machiavell, der Menschen bösartigster und ruchlosester, arbeitet in diesem Kapitel mit allen Gründen, soviel seine Tollheit ihm eingibt, um das Lasier zu Ehren zu bringen, doch strauchelt und fällt er auf diesem Schandwege so oft, daß ich mich lediglich an die Stellen zu halten brauche, wo er verunglückt. Das Durcheinander, die Fehlschlüsse in diesem Kapitel sind garnicht zu zählen; es ist wohl im ganzen Buche das Kapitel, wo die Niedertracht der Gesinnung zugleich mit darstellerischer Schwäche ihren Höhepunkt erreicht. Sein Denkvermögen ist so unzulänglich, wie sein sittliches Gefühl verkommen ist.
Dieser Sophist des Verbrechens wagt den Satz: „Ein Fürst vermag die Welt durch Verstellung mit Erfolg zu täuschen.“ Hier soll meine Widerlegung einsetzen.
Wie neugierig die Welt ist, ist bekannt; sie ist ein Wesen, das da alles sieht, alles hört und alles, was es gesehn und gehört hat, um sich herum zum besten gibt. Steckt diese Neubegier ihre Nase in das Tun und Lassen des Bürgers, so ist's zu müßigem Zeitvertreib; macht die Öffentlichkeit sich an die Begutachtung eines Fürsten, wes Geistes Kind er wohl sei, so geschieht's, well es sie ernstlich angeht. Daher denn fürstliche Personen gründlicher als andere Menschen dem Lose, von der Welt beredet und abgeschätzt zu werden, ausgesetzt sind — ein Los, das sie mit den Sternen teilen, auf die ein Heer von Astronomen seine Sextanten und Rohre eingestellt hat. Die Höflinge, die sie aus nächster Nähe beobachten, fangen täglich irgendwas auf; eine Be<71>wegung, ein flüchtig Ausschauen, ein sprechender Blick, und sie sind erkannt, und ihre Völker suchen ihnen bereits durch ihre Vermutungen nahezukommen. Kurz, sowenig die Sonne ihre Flecke, der Mond seine wandelnde Gestalt, der Saturn seine Ringe hehlen kann, ebensowenig ist ein großer Herrscher in der Lage, seine Fehler und seine innerste Wesensart vor so vielen beobachtenden Blicken zu bergen.
Mag gleich die Maske der Verstellung eine geraume Zeit eines Fürsten seelische Mißgestalt verdecken, ohn' Unterlaß kann er unmöglich diese Maske tragen, ab und an muß er sie lüften, sei's auch nur, einmal aufzuatmen — eine Gelegenheit, hinreichend, dem Späher genug zu verraten!
Umsonst, daß Kunst und Heuchelei auf den Lippen dieses Fürsten wohnen, um-sonst all seine List in Reden und Tun; beurteilt doch keiner die Menschen nach dem, was sie reden, es wäre ja das unfehlbarste Mittel der Selbsttäuschung. Ihre Handlungen insgesamt hält man nebeneinander, und daneben hält man dann wieder ihre Reden — vor solcher Prüfung vermag dann keine Falschheit und keine Verstellung zu bestehen.
Nur der spielt seine Rolle gut, der sich gibt, wie er ist. Man muß eben seinem inneren Menschen nach der sein, für den man vor der Welt gelten will. Sonst ist, wer die Leute zu betrügen vermeint, selber der Betrogene.
Sixtus V., Philipp II., Cromwell galten in der Welt als schlau und verschlagen, als heuchlerisch und unternehmend, für tugendhaft hat sie keiner angesehen. Es ist eben ein Ding der Unmöglichkeit, sich ein ander Gesicht zu geben, als man hat; so vermag denn auch kein Fürst, und war' er noch so gewandt, und wär' er in allen Stücken Machiavells gelehrigster Schüler, den Schein edler Eigenschaften, die seinem Wesen fremd sind, seinen Verruchtheiten zu leihen, die diesem Wesen nun einmal entsprechen.
Die Gründe, mit denen Machiavell, der Tugendverderber, den Fürsten Betrug und Heuchelei angelegentlich empfiehlt, haben ebensowenig Hand und Fuß. An den Haaren herbeigezogen und unstatthaft ist die Verwendung der Kentaurensage hier, sie beweist nichts; well der Kentaur halb wie ein Mensch, halb wie ein Pferd gestaltet war, soll daraus folgen, daß Fürsten listig und gewalttätig sein müssen? Man muß schon gesonnen sein, eine förmliche Heilslehre des Verbrechens aufzustellen, wenn man mit so schwächlichen und dazu weit hergeholten Gründen arbeitet.
Nun kommt eine Gedankenfolge, deren Kläglichkeit alles Bisherige noch überbietet. Unser Staatslehrer verlangt von einem Fürsten die Eigenschaften des Löwen und des Fuchses: des Löwen, damit er sich der Wölfe erwehre, des Fuchses wegen dessen Schläue, und er schließt: „Woraus erhellt, daß ein Fürst nicht verpflichtet ist, sein Wort zu halten.“ Eine Schlußfolgerung ohne Ober- und Untersatz! Ein Schüler der zweiten Klasse, der solche Schlüsse bauen wollte, würde von seinem Lehrer gehörig gezüchtigt werden, und unser Doktor des Verbrechens schämt sich nicht, sein ruchlos Lehrstücklein so herzustammeln?
<72>Wollte man in den Gedankenwirrwarr Machiavells etwas wie Sinn und Verstand hineinbringen, auch etwas von der Weise eines anständigen Menschen, so könnte man's etwa solchergestalt wenden: die Welt gleicht einer Spielpartie, da gibt's anständige Spieler, aber auch Gauner, die betrügen. Da muß denn, um nicht betrogen zu werden, ein Fürst, der sich dem Spiele nicht entziehen darf, sich auf sämtliche Falschspielerknisse verstehen, nicht um jemals solche Wissenschaft selber zu üben, sondern nur, um nicht der Angeführte zu sein.
Doch zurück zu den Entgleisungen unseres Staatslehrers. „Weil alle Menschen Schurken sind und euch zu jeder Zeit ihr Wort brechen, so verpflichtet euch nichts, ihnen das eure zu halten.“ Zunächst gibt's da gleich einen Widerspruch, denn we-nig später heißt's, die Heuchler würden immer Menschen finden, die einfältig genug seien, sich täuschen zu lassen. Wie reimt sich das? Alle Menschen sind Schurken, und dabei wollt ihr Einfältige finden, die sich betrügen lassen? Soweit sein Widerspruch. Doch die ganze Betrachtung ist nichts wert; denn daß die Welt nur aus Schurken be-siehe, ist grundfalsch! Man muß schon ein ausgemachter Menschenfeind sein, um sich der Einsicht zu verschließen, daß es in jeglicher Gesellschaft eine ganze Menge Redlicher gibt, daneben die große Zahl derer, die nicht gut und nicht böse sind, und daneben auch einige Lumpe, hinter denen die Gerechtigkeit her ist, und die sie streng bestraft, wenn sie sie faßt. Wenn freilich Machiavell nicht eine ganze Welt der Ruchlosigkeit angenommen hätte, worauf hätte er seine niederträchtige Lehre dann stützen sollen? Man sieht, hatte er sich einmal darauf eingelassen, ein Glaubens- und Lehrgebäude der Schurkerei zu errichten, so war's Ehrensache für ihn, so vorzugehn; und er hielt es für sein gutes Recht, die Menschen hinters Licht zu führen, lehrt er sie doch selber, wie man betrügt.
Wenn wir übrigens die Annahme Machiavells von der Schlechtigkeit der Menschen teilten, so wäre daraus noch lange nicht zu schließen: also müssen wir sie nachahmen. Stiehlt, raubt und mordet Cartouche, so schließe ich daraus: Cartouche ist ein elender Lump, aber doch beileibe nicht, daß ich mich in meinem Wandel nach ihm zu richten hätte! Gäb's auf Erden nicht Ehre und Manneswert mehr, so sagt ein Geschichtschreiber, so müßte man bei den Fürsten doch ihre Spuren noch vorfinden72-1. Doch kurz gesagt, es gibt überhaupt keine Betrachtungsweise, die einen anständigen Menschen im Ernste bestimmen könnte, vom Wege der Pflicht zu weichen.
Wie notwendig das Verbrechen, hat der Verfasser dargelegt, nun will er seine Gläubigen ermuntern durch die Versicherung, wie leicht es sei: „Wer die Kunst der Heuchelei meistert, wird stets Leute finden, die einfältig genug sind, sich anführen zu lassen“ — mit anderen Worten: dein Nachbar ist ein Dummkopf, du hast Witz, also mußt du ihn hineinlegen. Um solcher Schlußfolgerungen willen sind manche der Schüler Machiavells auf dem Richtplatz gehängt und gerädert worden.
<73>Doch genügt's unserem Staatsweisen nicht, die Leichtigkeit des Verbrechens schlecht und recht, nach seiner Art, nachgewiesen zu haben, gleich muß er auch Herausstreichen, wie prächtig weit man mit der Hinterlist kommt. Ärgerlich ist nur, daß es gerade diesem Cäsar Borgia, dem größten Verbrecher, dem hinterlistigsten Verräter, dem Heros Machiavells, in Wirklichkeit ganz gehörig schlecht gegangen ist; er hütet sich auch wohlweislich, in diesem Zusammenhange auf ihn zu kommen. Beispiele brauchte er, doch wo solche hernehmen als aus den Aufzeichnungen der Kriminalrechtsfälle oder der Geschichte der Päpste? So entscheidet er sich für die zweiten und versichert nun, daß Alexander VI., der falscheste und gottloseste Mensch seiner Zeit, mit seinen Schurkereien immer Glück hatte, denn er verstand sich ausgezeichnet auf die Schwäche der Menschen, ihre Leichtgläubigkeit.
Ich möchte die Behauptung wagen, daß es weniger die Leichtgläubigkeit der Menschen gewesen, als vielmehr ganz bestimmte Ereignisse und Umstände, die die päpstlichen Anschläge gelingen ließen, wozu dann der Wettbewerb des französischen und spanischen Machtanspruchs kam, der Zwist und Haß unter den italienischen Familien, die Leidenschaften und die Schwachheit Ludwigs XII. und die Summen, die Seine Heiligkeit zu erpressen gewußt, die ihm ein großes Übergewicht verliehen; all dies sprach mit.
Betrügerei ist sogar ein ausgesprochener politischer Fehler, wenn man darin zu weit geht. Ich berufe mich auf einen großen Meister der Staatskunst, den Kardinal Mazarin; der sagte dem Don Luis de Haro73-1 nach, er leide an einem großen staatsmännischen Fehler, dem, daß er immer Betrüger sei. Derselbe Mazarin wollte einmal zu einer heiklen Verhandlung den Marschall de Fabert verwenden, da erklärte ihm der: „Monseigneur, gestatten Sie, daß ich es ablehne, den Herzog von Savoyen zu betrügen, um so mehr, da es hier nur eine Sache von untergeordneter Bedeutung gilt; man kennt mich in der Welt als Ehrenmann, sparen Sie meinen ehrlichen Namen für eine Gelegenheit auf, wo es sich um das Wohl und Wehe Frankreichs handelt.“
Ich lasse an dieser Stelle die Frage von Ehre und Tugend einmal ganz beiseite, halte mich nur an das, was einem Fürsten frommt, und da sage ich: sie machen ihre Sache spottschlecht, wenn sie Schurken sein wollen und der Welt ein X für ein U machen; einmal gelingt's, damit haben sie aber das Vertrauen aller Fürsten verwirkt.
Eine gewisse Großmacht73-2 legte in einem Manifest bündig die Gründe ihres Vorgehens dar; nachher handelte sie in einer Weise, die ihrer Erklärung ins Gesicht schlug. Ich muß gestehen, derartige Ungeheuerlichkeiten ertöten jegliches Vertrauen; je unmittelbarer die Widersprüche sich folgen, um so gröber wirken sie. Die römische Kirche hat denn auch, um sich derartige Widersprüche zu ersparen, mit großer Weisheit für alle, die sie unter die Heiligen aufzunehmen gedenkt, ein Noviziat von hundert Jahren, von ihrem Tode an gerechnet, angeordnet; auf diese Weise schwindet die Er<74>innerung an ihre Fehler und dummen Streiche mit ihnen. Zeitgenossen, die etwa wider sie Zeugnis ablegen könnten, weilen nicht mehr unter den Lebenden, und das Volk hat nichts mehr einzuwenden gegen die Heiligkeit, die man ihm einreden will.
Doch man verzeihe diese Abschweifung. Im übrigen gebe ich zu, daß es bittere Notwendigkeiten gibt, da ein Fürst wohl oder übel seine Verträge und Bündnisse brechen muß. Doch muß er auch in solcher Zwangslage auf Anstand halten und seine Verbündeten rechtzeitig benachrichtigen; jedenfalls bleibt die Voraussetzung dafür immer: daß das Heil seines Volkes es gebietet und eine ernste Notlage es zur Pflicht macht.
Widersprüche, die sich auf dem Fuße folgen, wie ich sie soeben einer gewissen Macht zum Vorwurf machte, finden bei Machiavell sich in Fülle. In einem und demselben Absatz sagt er an erster Stelle: „Es ist notwendig, daß einer barmherzig, treu, mild, fromm und redlich erscheine, und man soll es auch in Wirklichkeit sein.“ Und bald darauf: „Unmöglich kann ein Fürst all das beobachten, was sonst zu einem Menschen, wie er sein muß, gehört; er muß sich also entschließen, sich danach einzurichten, wie just der Wind weht und das Schicksal gelaunt ist; dabei, soweit es möglich ist, niemals sich vom geraden Wege trennen; zwingt ihn dazu aber die Notwendigkeit, so kann er's ruhig auf den Eindruck eines solchen Seitensprungs ankommen lassen.“
Man muß zugeben, das ist ein haarsträubender Gedankenwust! Wer sich solchen gestalt äußert, der weiß selber nicht, was er sagen will, und ist nicht wert, daß man sich den Kopf zerbricht, um sein Rätsel aufzulösen oder sein Chaos zu lichten.
Noch eine einzige Bemerkung zum Schluß. Beachtenswert ist die Fruchtbarkeit, mit der die Lasier unter den Händen Machiavells sich fortpflanzen. Daß ein Fürst zu seinem Unglück nicht gläubig ist, genügt ihm nicht; er will seinen Unglauben noch mit Scheinheiligkeit krönen. Er meint, ein Fürst könne damit, daß er dem Kardinal Polignac den Vorzug vor Lucrez gibt74-1, dem Volke eher ans Herz greifen als mit aller schlechten Behandlung, die es von ihm erdulden muß. Mancher teilt seine Auffassung; was mich anlangt, so meine ich, bei Verirrungen des Denkens sei Nachsicht am Platze, wofern sie keinen Verderb des Herzens nach sich ziehen, und daß ein Volteinen Fürsien, der nichts glaubt, aber ein Ehrenmann ist und sein Bestes will, eher lieben wird als einen rechtgläubigen Bösewicht. Nicht was die Fürsien denken, macht die Menschen glücklich, sondern was sie leisten.
<75>19. Kapitel
Verachtung und Haß sind vom Übel.
Der Hang zur Systematik bedrohte von jeher das menschliche Denken mit gefährlichen Klippen. Da war einer festgefahren und hatte doch eben noch der Wahrheit beizukommen vermeint, war ganz verliebt gewesen in seinen sinnreichen Einfall, der den Eckstein für das ganze Gebäude abgeben sollte; vorgefaßte Meinungen, und nichts weiter! Und die sind, wie sie auch sein mögen, der Tod für alle Wahrheitsforschung; schließlich hat der kunstreiche Meister des Systems uns einen Roman zum besten gegeben, nicht aber eine Beweisführung.
So ist's mit dem Planetenhimmel der Alten, mit den Wirbeln Descartes' und mit Leibnizens prästabilierter Harmonie — alles Verirrungen des Willens zum System. Diese Denker vermaßen sich, eine Landkarte aufzunehmen, doch das Land kannten sie nicht, gaben sich auch keine Mühe, es kennen zu lernen; sie wußten die Namen einiger Städte, einiger Flüsse und haben ihnen eine Lage angewiesen, wie's ungefähr zu ihrer Vorstellung paßte. Leider trug sich's in der Folge zu, was recht beschämend ward für unsere armen Geographen, daß Neugierige jene so trefflich beschriebenen Länder bereisten; die hatten zwei Führerinnen mit, die eine hieß die Analogie, Erfahrung die andere, und nun fanden sie zu ihrem großen Erstaunen: die Städte, die Ströme lagen ganz wo anders, die Lagen und Entfernungen der Orte stimmten garnicht mit der Anordnung der anderen.
Die Systemwut ist nicht allein das närrische Vorrecht der Philosophen gewesen, auch die Staatslehrer wurden davon ergriffen. Machiavell ist davon mehr denn irgend, einer angesteckt! Er will beweisen: ein Fürst muß böse und betrügerisch sein. Das sind die Einsetzungsworte seiner kläglichen Lehre. Er besitzt die ganze Bösartigkeit der Ungeheuer, die Herkules niederschlug, nur nicht ihre Stärke; so bedarf's auch nicht der Keule des Herkules, um ihn niederzukämpfen. Denn was ist einfacher, natürlicher und angemessener für einen Fürsten als Gerechtigkeit und Güte? Ich sollte meinen, das zu beweisen, braucht man sich nicht eben mit Gründen in Unkosten zu stürzen; jeder ist ohnehin überzeugt davon. Der Staatslehrer, der das Gegenteil behaupten will, hat also von vornherein verspielt. Denn stellt er seine Forderung, grau<76>sam, betrügerisch, verräterisch zu sein, an einen Fürsten, dessen Thron fest sieht, so macht er aus ihm einen Schurken, ohne daß die Sache einen rechten Zweck hat; gedenkt er einen, der erst emporkommt, mit all diesen Lastern auszustatten, zur Befestigung seines Thronraubes, so wird er mit solchen Ratschlägen Herrscher und Freistaaten insgesamt gleichermaßen gegen sich in Harnisch bringen. Denn durch welche Mittel vermag wohl ein Bürger sich zur Herrschaft aufzuschwingen, es sei denn, er stürze einen souveränen Fürsten oder er reiße in einer Republik die Gewalt an sich. Damit also wird er sicherlich bei den Fürsten kein Glück haben! Hätte Machiavell eine Sammlung von Gaunereien als Leitfaden für Straßenräuber verfaßt, weniger Ehre hätte er auch damit sich nicht holen können.
Doch ich wollte ja auf einige verkehrte Betrachtungen und Widersprüche in diesem Kapitel eingehen. Ein Fürst macht sich, nach Machiavell, außer durch rechtswidrige Beraubung seiner Untertanen, durch Angriffe wider die Tugend ihrer Frauen verhaßt. Sicherlich, ein habgieriger Fürst, der kein Recht scheut, der mit grausamer Gewalttätigkeit vorgeht, wird sich seinen Vollem aufs tiefste verhaßt machen, das kann garnicht anders sein; anders sieht das mit den fürstlichen Liebschaften. Julius Cäsar, den man zu Rom den Gatten von allen Frauen und die Frau von allen Gatten nannte, Ludwig XIV., der ein großer Frauenliebhaber war, August II. von Polen, der mit seinen Untertanen ihre Weiber teilte, diese Fürsten waren um ihrer Liebschaften willen durchaus nicht verhaßt; wenn Cäsar ermordet ward, wenn die römische Freiheit ihren Dolch in sein Herz grub, so geschah's, weil er die Alleinherrschaft sich angemaßt, nicht weil er ein Frauenjäger war.
Hält man mir die Vertreibung der römischen Könige entgegen im Anschluß an die Vergewaltigung der Lucretia, so erwidere ich: Nicht die Liebe des jungen Tarquinius zur Lucretia gab das Zeichen zur Erhebung Roms, sondern die Gewalt, die er gebraucht hatte, die im Volke die Erinnerung an frühere von den Tarquiniern verübte Gewaltsireiche wachrief, sodaß es ihnen nunmehr mit dem Gedanken der Rache ernst ward.
Damit will ich nicht etwa dem buhlerischen Treiben der Fürsten das Wort reden, es mag immerhin sittlich verwerflich sein; hier kommt mir's nur darauf an, zu zeigen, daß dadurch noch lein Herrscher Haß auf sich geladen hat. Verliebtheit läßt man bei guten Fürsten als eine Schwäche gelten, wie etwa Leute von Geist unter den Werken Newtons den Kommentar zur Apokalypse betrachten.
Doch das, scheint mir, gibt zu denken, daß unser Doktor, der den Leuten Enthaltsamkeit in der Liebe predigt, Florentiner gewesen. Sollte Machiavell zu all seinen sonstigen edlen Eigenschaften auch noch die besessen haben, daß er Jesuit gewesen?
Nun zu seinen Ratschlägen, wie's die Fürsten anstellen sollen, um sich nicht verächtlich zu machen. Sie sollen nicht launisch und nicht schwankend, nicht feige, weibisch und unentschlossen sein. Sehr richtig; doch er rät weiter, sie sollten ständig auf den Schein der Größe, des Ernstes, des Muts und der Festigkeit halten. Mut —schön;<77> aber warum denn nur der Schein dieser schönen Eigenschaften? Warum soll ein Fürst diese Vorzüge nicht im Ernst besitzen? Wenn das nämlich nicht der Fall ist, wird's mit dem Schein auch sehr übel bestellt sein, man wird den Darsteller bald von seiner Heldenrolle zu unterscheiden wissen.
Machiavell will, ein Fürst solle sich auf keine Weise leiten lassen, niemand dürfe nur auf die Vermutung kommen, als könnte irgendwer hinreichenden Einfluß auf sein Denken besitzen, ihn zu einem Wechsel einer Auffassung zu vermögen. Er hat recht, und doch behaupte ich, es gibt niemanden auf Erden, der sich nicht irgendwie, der eine mehr, der andere weniger, leiten ließe. Von der Stadt Amsterdam erzählt man, sie sei einmal von einer Katze regiert worden. Von einer Katze, fragt ihr? Wie kann eine Katze eine Stadt leiten? Hier, bitte, die Stufenfolge des Einflusses: der erste Bürgermeister der Stadt besaß im Rate die ausschlaggebende Stimme und genoß dort hohes Ansehen. Der hatte eine Frau, deren Ratschlägen er blindlings folgte; eine Dienerin übte unbedingten Einfiuß auf die Gedanken dieser Frau aus und auf die der Dienerin eine Katze. So kam's, daß die Katze die Stadt regierte.
Es gibt indessen Fälle, da es für einen Fürsten nur eine Ehre sein kann, wenn er sein Verhalten ändert; und zur Pflicht wird es allemal da, wo er seiner Fehler inne wird. Ja, wären die Fürsten unfehlbar, wie der Papst sich's einbildet zu sein, dann freilich täten sie gut daran, mit stoischer Beharrlichkeit auf ihrer Meinung zu be-stehen; doch da sie alle Schwachheit der Menschlichkeit teilen, so sollen sie ohn' Unterlaß bedacht sein, sich zu bessern und in ihrem Tun und Lassen zu vervollkommnen. Wir wollen's uns doch gesagt sein lassen, daß übertriebene Festigkeit und Halsstarrigkeit Karl XII. in Bender beinahe den Hals gekostet haben77-1, daß diese unerschütterliche Hartnäckigkeit ihm verderblicher wurde als der Verlust einiger Schlachten.
Ein anderer Irrtum Machiavells: er meint, es werde einem Fürsten niemals an wertvollen Verbündeten fehlen, solange auf seine Heere Verlaß ist. Das ist nur richtig, wenn man hinzufügt: auf seine Heere und auf sein Wort. Denn das Heer liegt in der Hand des Fürsten, und bei dessen Zuverlässigkeit oder Unzuverlässigkeit sieht es, ob er das Bündnis erfüllt und seine Streitmacht in Bewegung setzt.
Hier aber ein Widerspruch in aller Form. Einmal sagt unser Politikus: „Ein Fürst sei bemüht um die Liebe seiner Untertanen, so wird er Verschwörungen vermeiden.“ Und im 17. Kapitel erklärt er: „Der Fürst sehe zu. daß er gefürchtet werde, denn rechnen darf er nur mit dem, was in seiner Gewalt liegt; nicht so verläßlich bestellt ist's mit der Liebe seines Volkes.“ Welches ist denn nun von beiden die wahre Meinung des Verfassers? Er redet die Sprache eines Orakels, man kann sie auslegen wie man will; doch diese Orakelsprache ist, nebenbei gesagt, die Sprache der Spitzbuben.
<78>Allgemein muß ich bei dieser Gelegenheit bemerken, daß Verschwörungen und Mordanschläge in der Welt gar nicht mehr vorkommen: vor dergleichen sind die Fürsten heutzutage sicher, diese Verbrechen haben sich überlebt, sind nicht mehr Mode, und was Machiavell an Gründen dafür anführt78-1, trifft durchaus zu. Allenfalls vermöchte noch irgendein fanatischer Mönch in frommem Eifer eine derartige Untat zu begehen78-2. Unter den richtigen Bemerkungen Machiavells beim Kapitel Verschwörungen ist eine ganz vortrefflich, nur klingt sie in seinem Munde übel; er sagt: „Einen Verschwörer beunruhigt dauernd die Furcht vor den Strafen, die ihm drohen, hinter dem König aber sieht schirmend die Majestät des Reiches und die Hoheit der Gesetze.“ Mich dünkt, es steht unserem Verfasser übel zu Gesicht, von der Hoheit des Gesetzes zu sprechen, ihm, dem Verführer zu Selbstsucht, Grausamkeit, Thronraub und herrischer Willkür. Er hält's wie die Protestanten, die mit den Gründen der Ungläubigen die katholische Verwandlungslehre bekämpfen, um sich dann der gleichen Gründe, mit denen der Katholik das Wunder der Wandlung stützt, im Streite wider den Unglauben zu bedienen. Das nennt man geistige Geschmeidigkeit!
Machiavells Rat also ist, der Fürst solle sich um Liebe bemühen, solle aus diesem Grunde vorsichtig zu Werke gehn und gleichermaßen sich des Wohlwollens der Großen wie des Volkes versichern. Was ihm etwa den Haß der einen oder des anderen zuziehen könnte, das soll er, rät er verständig weiter, auf andere abwälzen und zu diesem Behufe Behörden einsetzen, die da als Richter zwischen dem Volke und den Großen stünden. Als Muster führt er die Regierung von Frankreich an. Man denke: der begeisterte Anwalt der Zwingherrschaft und des Staatsstreiches erwärmt sich für die ehemalige Macht des Parlamentes in Frankreich. Ich meinesteils kenne heutzutage nur ein Land, das mit vorbildlicher Weisheit verwaltet wird, es ist England: dort sieht das Parlament über Volt und König, und der König hat jede Vollmacht zum Guten, doch keine, einen Schaden zu stiften.
Alsdann begegnet Machiavell den vorauszusehenden Einwendungen auf sein Seelengemälde vom Fürsten und verliert sich in eine breite Erörterung der Lebensschicksale der römischen Kaiser von Mark Aurel bis zu den beiden Gordiani78-3. Wir wollen seine Darstellung nachprüfen. Für den häufigen Thronwechsel macht er den Schacher verantwortlich, der mit der höchsten Reichswürde getrieben wurde; und eine ausgemachte Sache ist es, daß seit der Zeit, da diese von den Prätorianern käuflich ausgeboten wurde, kein Herrscher seines Lebens mehr sicher war. Das Kriegervolk verfügte über die Kaiserwürde, und jeder, dem sie zugefallen, mußte es mit dem Leben<79> zahlen, gab er sich nicht zum Schirmherrn für dessen Bedrückungen und zum Werkzeug seiner Gewalttaten her. So wurden denn die guten Kaiser von den Soldaten, die schlechten auf dem Wege der Verschwörung und auf Senatsgebot ums Leben gebracht. Dazu kommt die Leichtigkeit, mit der einer damals von heut auf morgen auf den Thron gelangte: auch das beschleunigte wesentlich die Häufigkeit des Wechsels; Kaisermord war eben in Rom an der Tagesordnung, wie's heut noch in einigen Gegenden von Amerika Brauch ist, daß die Söhne ihre Väter umbringen, wenn sie ihnen zu alt werden. Das ist die Macht des Hergebrachten über den Menschen, vor ihm müssen gegebenenfalls selbst die natürlichsten Regungen verstummen.
Folgende Bemerkung über das Leben des Pertinax will sich nur schlecht mit des Verfassers Lehren im Anfang dieses Kapitels reimen: „Will ein Herrscher unbedingt seine Krone behaupten, so kann er unmöglich in jedem Fall die Grenzen der Gerechtigkeit und Güte innehalten.“ Ich glaube gezeigt zu haben, wie in jenen unseligen Zeiten das Verbrechen ebensowenig wie die Herzensgüte einen Kaiser vor Meuchelmord sichern konnte. Commodus, in allen Stücken der unwürdige Nachfolger des Mark Aurel, zog sich die Verachtung des Volkes wie der Soldaten zu und ward ermordet. Von Severus nachher, am Schluß des Kapitels. Nun zu Caracalla: er konnte sich nur durch seine Grausamkeit erhalten und vergeudete die von seinem Vater aufgehäuften Geldmittel an seine Soldaten, um seine Mordschuld an seinem Bruder Geta in Vergessenheit zu bringen. Stillschweigend übergehe ich Macrinus und Helioga-balus, sie wurden beide getötet und sind keiner Beachtung bei der Nachwelt wert. Gute Eigenschaften besaß ihr Nachfolger Alexander; Machiavell vermeint, er habe sein Leben verloren, weil er ein Weichling gewesen: tatsächlich geschah's nur, weil er den Versuch gewagt, wieder gutzumachen, was die Lässigkeit seiner Vorgänger gründlich an der Heereszucht gesündigt hatte. Kaum hörten die Truppen, die außer Rand und Band waren, daß man ihnen mit Ordnung kommen wolle, als sie sich des Fürsten entledigten. Auf Alexander folgte Maximinus, ein bedeutender Kriegsmann, doch auch er vermochte sich nicht auf dem Throne zu halten. Machiavell führt es auf seine niedrige Herkunft sowie auf seinen überaus grausamen Sinn zurück; das letzte stimmt, doch überschätzt er den Nachteil der niedrigen Geburt; ist man doch gern geneigt, an überragende persönliche Vorzüge zu glauben, wo einer ohne fremde Hilfe, statt der Ahnen nur seinen Eigenwert in die Wagschale werfend, die Höhe gewinnt, ja, ihn darum nur noch höher zu achten, weil er all seinen Glanz nur der eigenen Tüchtigkeit dankt; und oft geschieht's, daß man Menschen von hoher Geburt verachtet, weil ihnen alles Große abgeht, alles, was der Vorstellung von ihrer Vornehmheit entspräche.
Nun zu Severus, der nach Machiavells Ansicht „ein kühner Löwe und zugleich ein schlauer Fuchs“ war. Severus besaß große Eigenschaften; seine Falschheit und Treulosigkeit konnten höchstens bei Machiavell Beifall finden; er wäre im übrigen eine große Herrschernatur gewesen, hätte es ihm nicht an Güte gefehlt. Nebenbei wollen<80> wir uns erinnern, daß Severus beherrscht wurde von seinem Günstling Plautinus, gerade wie Tiberius von Sejan, und daß man deswegen keinen der beiden Fürsten etwa verachtet hat. Einer der beliebten schiefen Gedankengänge des Verfassers ist es, wenn er behauptet, die Welt habe über dem großen Namen dieses Kaisers seine gewaltigen Erpressungen vergessen, sein Name habe ihn gedeckt vor dem Volkshasse. Ich finde, daß umgekehrt die Erpressungen und Ungerechtigkeiten, die die Welt mit ansieht, die bereits erworbene Größe eines Namens vergessen machen. Mag der Leser darüber entscheiden. Wenn Seoerus sich auf dem Throne behauptete, so verdankte er dies auf gewisse Weise dem Kaiser Hadrian, der die militärische Zucht wiederhergestellt hatte; vermochten seine Nachfolger sich nicht zu behaupten, so war Severus mit seiner Vernachlässigung der Disziplin daran schuld. Noch einen großen staatsmännischen Fehler beging Severus: seine Ächtungen trieben die Soldaten aus dem Heere des Pescennius Niger80-1 in Haufen zu den Parthern, denen sie eine kunstgerechte Kriegführung beibrachten, was in der Folge dem Reiche ein fühlbarer Schade werden sollte. Ein besonnener Fürst soll nicht nur seine eigene Regierungszeit vor Augen haben, er soll voraus bedenken, welche Folgen kommende Regierungen von seinen gegenwärtigen Fehlern etwa auszubaden haben.
Wir wollen also nicht vergessen, daß es ein großer Irrtum von Machiavell ist, zu meinen, es habe zu den Zeiten des Severus genügt, die Soldaten mit Vorsicht zu behandeln, um sich obenzuhalten. Die Kaisergeschichte belehrt uns eines anderen. Heutzutage muß ein Fürst gegen alle Stände gleichmäßig auftreten; wollte er Unterschiede machen, so gäb's nur Eifersucht, und er hätte den Schaden davon.
Also dies Machiavellische Vorbild für Thronwerber, Severus, ist genau so ungeeignet, wie das des Mark Aurel segensvoll wäre. Welch ein tolles Nebeneinander aber von Vorbildern: Severus, Cäsar Borgia, Mark Aurel! Das heißt doch Weisheit und lautersten Menschenwert gesellen mit abstoßendster Ruchlosigkeit!
Eine Schlußbemerkung mag ich mir nicht versagen. Trotz aller Grausamkeit und Tücke nahm Cäsar Borgia ein höchst klägliches Ende, indes Mark Aurel, der gekrönte Philosoph, der immer nur gütig, immer sittenrein gewesen, bis an seinen Tod leine Ungunst des Geschickes erfuhr.
<81>20. Kapitel
Ob Festungen und viele andere von den Fürsten getroffene Sicherheitsmaßnahmen nützlich oder schädlich sind.
Das Heidentum stellte den Ianus mit einem Doppelantlitz dar, um sein Wissen um Vergangenheit und Zukunft anzudeuten. In übertragenem Sinne ließe sich dies Götterbildnis auch auf den Fürsienberuf deuten: wie Ianus soll der Fürst zurückschauen auf die Geschichte aller vergangenen Jahrhunderte, heilsame Lehre für sein Verhalten und Denken da zu finden; wie Ianus soll er vorwärts schauen mit durchdringendem Scharfblick, mit jener überlegenen Geistes- und Urteilskraft, die alle innerlichen Zusammenhänge wahrnimmt und in der gegenwärtigen Weltlage künftige Gestaltungen zu lesen weiß.
Unerläßlich für den Fürsten ist's, sich in die Vergangenheit zu versenken: da findet er seine Vorbilder an erlauchten, an lauteren Männern, da ist für ihn die Schule der Weisheit. Zweckdienlich ist's, wenn er sich in die Zukunft vertieft: dort lernt er mit allem Mißgeschick, das er zu fürchten hat, rechnen, mit allen Schicksalsschlägen, vor denen er sich decken muß; dort ist seine Schule der Klugheit. Beide hohe Fähigkeiten sind ein Erfordernis seines Berufes, wie Magnetnadel und Kompaß, die Wegweiser über das Meer, für den Seefahrer unentbehrlich sind.
Ein weiterer Wert geschichtlicher Kenntnisse liegt darin, daß solche uns die Möglichkeiten mehren, uns über uns selber klar zu werden; sie bereichern unser Denken, bieten uns wie im Bilde lebendige Anschauung von des Schicksals Wechselfällen sowie manch wertvolles Beispiel dafür, wie der Mensch sich helfen kann.
So ist auch eindringliches Bedenken der Zukunft von Wert: wir gelangen so zu einiger Fertigkeit im Entziffern der Geheimnisse des Schicksals. Wie wir unser Auge auf jede mögliche Wendung einstellen, rüsten wir uns zugleich auf alles, was bei Eintritt des Ereignisses am klügsten geschieht.
Fünf Fragen legt in diesem Kapitel Machiavell den Fürsten vor, denen sowohl, die in neuem Herrschaftsbesitz sich einrichten wollen, wie denen, deren Fürsorge nur der Befestigung ihres alten Besitzes gilt. Sehen wir zu, was die Klugheit dazu zu<82> sagen hat, wenn sie Vergangenheit und Zukunft zugleich im Auge behält und sich immer dabei innerhalb der Grenzen hält, die ihr Vernunft und Gerechtigkeit ziehen.
Erste Frage: Soll ein Fürst die Völker, die er seiner Herrschaft unterwarf, entwaffnen oder nicht?
Ich antworte darauf, daß seit Machiavell sich in der Kriegführung vieles verändert hat. Heut sind es der Fürsten eigene Armeen, mehr oder minder stark, die ihnen ihr Land verteidigen; einen Trupp bewaffneten Landvolks würde man nicht ernst neh-men, und eine Bürgerwehr gibt's allenfalls noch bei Belagerungen, wo jedoch gemeiniglich die Belagerer nicht dulden, daß die Bürger Soldatendienst tun, und ihnen mit der Androhung rücksichtsloser Beschießung das Handwerk zu legen suchen. Auch sonst ist's wohl ein Gebot der Klugheit, die Bürger einer eroberten Stadt, wenigstens für die erste Zeit, zu entwaffnen, zumal wenn man ihrer Haltung nicht ganz sicher ist. Als die Römer Britannien erobert hatten und das Land, wegen des aufrührerischen und kriegerischen Sinnes jener Stämme, nicht zu Ruhe und Frieden zu bringen vermochten, da gedachten sie ihren männlichen Sinn in Weichlichkeit zu ersticken, ihre kriegerische Wildheit zu dämpfen; es gelang auch so, wie man's zu Rom sich wünschte. Die Korsen sind eine Handvoll Menschen, tapfer und beherzt wie die Engländer, nie würde man sie mit gewaltsamen, höchstens mit gütigen Mitteln bändigen. Um auf dieser Insel die Herrschaft zu behaupten, halte ich's für unerläßlich, daß man den Einwohnern die Waffen nehme und ihre Wehrkraft breche. Da wir gerade von den Korsen reden, sei nebenbei ausgesprochen, welchen Mut, welche Mannhaftigkeit doch Freiheitsliebe den Menschen gibt; daß es darum ein Wagnis ist, sie zu unterdrücken, wie es eine Versündigung ist.
Die zweite Frage unseres Staatslehrers: Wem soll ein Fürst, wenn er eben eines neuen Gebietes Herr geworden, unter seinen neuen Untertanen mehr Vertrauen schenken, denen, die ihm zu seiner Besitzergreifung eine hilfreiche Hand geboten, oder denen, die zu ihrem angestammten Herrn in Treue gestanden und jenem den heftigsten Widerstand entgegengesetzt haben?
Wer durch verräterisches Einverständnis mit etlichen Bürgern eine Stadt in seine Gewalt gebracht hat, würde äußerst unklug handeln, wollte er dem Verräter trauen. Den ehrlosen Streich, den ein solcher zu euren Gunsten verübt, wird er jederzeit für einen andern zu wiederholen bereit sein, es kommt nur auf die Gelegenheit an. Auf der anderen Seite legten die, so sich in Treue für ihren rechtmäßigen Herrn bewährt hatten, damit eine Probe der Zuverlässigkeit ab, mit der sich rechnen läßt, die zu der Annahme berechtigt, sie dürften auch für ihren neuen Gebieter leisten, was sie für den alten geleistet haben, den sie, nur der Not gehorchend, verließen. Doch auch hier wird besonnene Klugheit nicht gleich allzu leichtherzig vertrauen, jedenfalls nicht, ohne Vorsichtsmaßregeln getroffen zu haben.
Doch setzen wir einmal den Fall, geknechtete Völker, die sich gezwungen sähen, das Joch ihres Zwingherrn abzuschütteln, beriefen einen auswärtigen Fürsten zu ihrem<83> Herrn, ohne daß irgendwelche geheimen Umtriebe von dessen Seite vorangegangen wären: hier, meine ich, muß der Fürst das Vertrauen, das man ihm entgegen, bringt, in vollem Maße erwidern. Ließe er's hier, bei diesem Anlaß denen gegenüber, die ihr kostbarstes Eigen in seine Hände legten, daran fehlen, so wäre das ein so würdeloses Stück von Undankbarkeit, daß es seinen Namen schänden müßte. Wilhelm von Oranien83-1 bewahrte bis an sein Lebensende denen, die seinen Händen die Zügel der englischen Herrschaft anvertraut hatten, seine Freundschaft und sein Vertrauen: seine Gegner aber verließen ihre Heimat und schlossen sich dem König Jakob an.
In Wahlkönigtümern, wo die Wahlen zumeist durch Umtriebe zustande kommen und wo der Thron, was man auch dawider sage, käuflich ist, wird der neue Herr nach meiner Ansicht mit Leichtigkeit Mittel und Wege finden, nach seiner Thronbesteigung seine Gegner in gleicher Weise zu erkaufen, wie er die Stimmen seiner Wähler gewonnen hat. Dafür ist das Beispiel Polen. Dort nimmt der Thronschacher so plumpe Formen an, daß der Kauf anscheinend auf offenem Markte vor sich geht, und die offene Hand eines Polenkönigs weiß jede Gegnerschaft aus dem Wege zu räumen; er ist auch in der Lage, die großen Familien sich zu gewinnen: durch Woy-wodschaften, Starosteien und Übertragung sonstiger Ämter. Freilich die Polen haben für Wohltaten ein sehr kurzes Gedächtnis, und so muß man immer wieder nachschütten, sodaß die polnische Republik das reine Danaidenfaß ist: vergeblich wird der freigebigste König seine Wohltaten ausgießen, genug werden sie nie bekommen. Da jedoch ein König von Polen recht viele Gnaden austeilen muß, so spart er mit seinen Mitteln, wenn er nur bei solchen Gelegenheiten seineHand auftut, wo er eine Familie, die er mit Reichtum segnet, wirklich braucht.
Die dritte Frage Machiavells erörtert die Fürsorge um die Sicherheit eines Fürsten in einem Erbreiche: Frommt's ihm mehr, unter seinen Untertanen Eintracht zu fördern oder Uneinigkeit? Diese Frage war vielleicht zur Zeit der Voreltern Machiavells in Florenz angebracht, heutzutage wird sie wohl kein Mensch von staatsmännischer Einsicht in ihrer urwüchsigen Ungeschminktheit zulassen wollen. Ich brauchte ja nur die bekannte hübsche Gleichnisrede des Menenius Agrippa zu wiederholen, mit der er die Eintracht unter dem Römervolke wiederherstellte. Freilich die Freistaaten sind gewissermaßen auf die Erhaltung einer eifersüchtigen Spannung unter ihren Gliedern angewiesen; denn bei völligem Einvernehmen wandelt sich die Form der Regierung in eine Monarchie. Das geht natürlich die einzelnen Bürger nicht an, für sie ist Uneinigkeit nur vom Übel, sondern lediglich solche Persönlichkeiten, die durch leichtgeschlossenes Einvernehmen in die Lage kommen können, sich der höchsten Gewalt zu bemächtigen.
<84>Manche Fürsten halten die Uneinigkeit ihrer Minister für notwendig für ihre Zwecke. Sie vermeinen, sie brauchten sich des Betruges weniger zu versehen von Leuten, die gegenseitiger Haß nötigt, auf ihrer Hut zu sein. Mag immerhin der Haß auf der einen Seite so wünschenswerte Folgen haben, auf der anderen schafft er Wirkungen, die für den Nutzen dieser Fürsten recht bedenklich sind; denn siatt im Dienste des Fürsten zu wetteifern, durchkreuzen manchmal die Minister aus reiner Gehässigkeit die angemessensten, staatsförderlichsten Absichten und Pläne und verquicken mit ihren persönlichen Streitigkeiten die Sache von Fürst und Volk.
Nein, nichts fördert so sehr die Stärke einer Monarchie wie die innige, untrennbare Einheit aller ihrer Teile, und diese zu schaffen soll das Ziel eines weisen Fürsten sein.
Meine Antwort auf die dritte Frage Machiavells kann gewissermaßen zugleich als die Lösung seiner vierten gelten; doch wir wollen in aller Kürze überlegen und entscheiden, ob ein Fürst Parteibildungen, die sich gegen seine eigene Person richten, begünstigen darf oder ob er sich die Freundschaft seiner Untertanen erwerben soll.
Es hieße Ungeheuer in die Welt setzen, eigens um sie zu bekämpfen, wollte man sich Feinde machen, nur um sie zu bestehen. Natürlicher, vernünftiger, menschlicher ist es, sich Freunde zu erwerben. Glücklich die Fürsten, die das Hochgefühl der Freundschaft kennen! Glücklicher noch, die ihrer Völker Liebe und Zuneigung verdienen!
Wir kommen zur letzten Frage Machiavells, nämlich der: Empfiehlt sich für einen Fürsten die Unterhaltung von Festungen und Burgen, oder soll er sie schleifen?
Soweit hierbei kleinere Fürsten in Frage kommen, habe ich meine Meinung wohl schon im zehnten Kapitel gesagt84-1; wie soll's damit ein König halten?
Zu den Zeiten Machiavells war die ganze Welt im Zustande der Gärung, und ein Geist der Empörung und des Aufruhrs herrschte an allen Enden; ringsum nur rebellische Städte, tief aufgewühlte Völker, ringsum nur Anlaß zu Streit und Fehde, für Herrscher wie für Staaten. Dieses ewige Drunter und Drüber überall zwang die Fürsten, in den Städten ihre Burgen anzulegen, um auf diese Weise dem bürgerlichen Unruhgeist eine Faust vorzuhalten und die Leute an ein Bleibendes zu gewöhnen.
Seit jenem rauhen Zeitalter hott man nicht mehr soviel von Aufstand und Empörung, sei's nun, daß die Menschen der wechselseitigen Vernichtung und des Blutvergießens satt wurden, sei's, daß die Vernunft die Oberhand gewann; man möchte behaupten, jener unstete Geist habe sich müde gearbeitet und sei nunmehr zur Ruhe gekommen. Jedenfalls, um heute der Treue von Stadt und Land versichert zu sein, bedarf's keiner Bergfeste mehr.
Anders allerdings sieht's mit den Burgen und Befestigungen, die vor dem äußeren Feinde Schutz bieten und dem Staate eine höhere Sicherheit und Ruhe gewähren sollen. Da stellt sich der Nutzen der Festungen für einen Fürsten gleichwertig neben den des Heeres. Wirft er seine Streitmacht dem Feinde entgegen, so vermag er im<85> Falle einer verlorenen Schlacht diese selbe Streitmacht unter den Schutz der Kanonen seiner Festungen zu retten; während der Feind sich an die Belagerung einer Festung macht, gewinnt er Zeit, wieder zu sich zu kommen und neue Kräfte an sich zu ziehen, die womöglich, wenn er sie nur rechtzeitig zusammenbrachte, den Gegner zur AufHebung der Belagerung zwingen können.
Die letzten Kriege in Brabant, zwischen dem Kaiser und den Franzosen, rückten. fast garnicht vom Flecke; das machte die große Fülle der festen Plätze. Schlachten, in denen hunderttausend andere hunderttausend Mann schlugen, hatten gerade die Einnahme von ein oder zwei Städten zur Folge; im nächsten Feldzuge erschien dann der Gegner, der inzwischen Zeit gehabt, seine Verluste zu ersetzen, mit neuen Streitkräften auf dem Plan, und wieder Hub das Ringen an, ein Ringen um das, was im Vorjahre schon entschieden worden! In Landern mit vielen festen Plätzen werden Heere, die zwei Quadratmeilen bedecken, dreißig Jahre lang Krieg führen können, ohne, im glücklichen Falle, um den Preis von zwanzig Schlachten mehr denn zehn Meilen Landes zu gewinnen.
In offenen Ländern entscheidet dagegen der Ausgang eines Kampfes oder zweier Feldzüge das Glück des Siegers und unterwirft ihm ganze Königreiche. Alexander, Cäsar, Karl XII. dankten ihren Ruhm dem Umstande, daß sie in den Ländern, die sie eroberten, nur wenig befestigte Plätze vorfanden; der Besieger Indiens hatte in all seinen ruhmvollen Feldzügen nur zwei Belagerungen zu unternehmen, der Herr über das Schicksal Polens auch niemals mehr. Prinz Eugen, Villars, Marlborough, der Marschall von Luxemburg waren Feldherren von ganz anderem Schlage als Karl und Alexander; nur litt der Glanz ihrer Erfolge, die, genau genommen, die Leistung gen Alexanders und Karls überstrahlten, etwas darunter, daß sie Festungen zu bezwingen hatten.
Die Franzosen wissen den Wert von Festungen wohl zu würdigen: von Brabant bis zum Dauphine zieht es sich wie eine Doppelkette von befestigten Plätzen. Die französische Grenze gegen Deutschland gleicht dem offenen Rachen eines Löwen, der zwei Reihen drohender und gewaltiger Zähne weist und Miene macht, als wolle er alles verschlingen.
Damit wäre wohl der hohe Wert befestigter Städte zur Genüge dargetan.
<86>21. Kapitel
Wie ein Fürst sich Ruhm erwirbt.
Lärm und Aussehen in der Welt verursachen und sich Ruhm gewinnen — das ist zweierlei. Die große Masse, ein sehr unberufener Richter darüber, wem Ehre gebühre, läßt sich gar leicht betören durch den äußeren Schein alles Großen und Wunderbaren und verwechselt gar zu gern gute Taten und außerordentliche, Reichtum und persönliches Verdienst, blendenden Glanz und innere Gediegenheit. Ganz anders der Maßstab, den aufgeklärte und geistig bedeutende Menschen anlegen, vor denen hält's schwerer zu bestehn; sie zergliedern das Leben der Großen wie ein Anatom eine Leiche und werfen die Frage auf: War, was sie wollten, recht und edel? Waren sie gerechten Sinnes? Was hatte von ihnen die Welt: mehr Segen oder mehr Schaden? Stand ihr Mut unter der Vormundschaft ihrer Weisheit oder war er nur ein Aufwallen ihres erregbaren Blutes? Den Wert des Erreichten bemessen sie nach dem Werte der Beweggründe, nicht aber jene bewegenden Ursachen im Gemüt nach dem Erfolge. Mag das Lasier in den schönsten Schein sich hüllen, sie lassen sich nicht blenden und geben den Preis des Ruhms nur dem Verdienste und dem Manneswert.
Was Machiavell groß und ruhmwürdig nennt, ist genau jener falsche Schimmer, der das Urteil der Masse besticht! Ganz im Geiste des Volkes schreibt er, und zwar des niedrigen, des gemeinen Volkes. Doch für ihn wird es ebenso unmöglich sein, mit dieser gewöhnlichen Denkweise den vornehmen Geschmack eines Mannes von höheren Ehrbegriffen zu treffen, wie es dem Moliere unmöglich war; wer den Misanthrop recht hochstellt, wird den Scapin um so tiefer stellen.
Das vorliegende Kapitel Machiavells enthält Brauchbares und Fehlerhaftes nebeneinander. Ich will zunächst die Verstöße aufweisen, um dann zu unterschreiben, was er an Richtigem und Löblichem vorbringt. Zum Schluß will ich mir erlauben, zu einigen Fragen, die sich ungezwungen hier anschließen, Stellung zu nehmen.
Für alle, die durch große Unternehmungen und seltene, außerordentliche Leistungen sich auszuzeichnen gedenken, stellt der Verfasser als Vorbilder auf: Ferdinand von Aragonien86-1 und Bernhard von Mailand86-2. Er findet das Wunder ohnegleichen in<87> der Kühnheit eines Unternehmens und in der Schnelligkeit seiner Ausführung. Das ist etwas Großes, zugegeben; doch anerkennenswert vermag ich's nur so weit zu nennen, wie der Eroberer in den Grenzen des Rechts bleibt. „Du rühmst dich der Ausrottung der Räuber“, sagten die skythischen Gesandten zu Alexander, „und dabei bist du selber der größte Räuber auf Erden; hast du doch die Völker, die dir erlagen, insgesamt ausgeraubt und geplündert. Bist du ein Gott, so mußt du den Menschen Gutes tun und ihnen nicht entreißen, was sie besitzen; bist du ein Mensch, so vergiß auch niemals, daß du's bist.“
Ferdinand von Aragonien begnügte sich nicht damit, offen und ehrlich das Kriegshandwerk zu treiben, sondern er benutzte als Deckmantel für seine Pläne die Religion. War dieser König wirklich fromm, so beging er eine lästerliche Entweihung des Heiligen, indem er die Sache Gottes zum Vorwand nahm, seinen wilden Leidenschaften zu folgen. War er nicht gläubig, so handelte er gar als Betrüger und Schuft, indem er durch sein heuchlerisches Tun den frommen Glauben des Volkes mißbrauchte zugunsten seines Machthungers.
Gefährlich ist's, wenn ein Fürst seine Untertanen an den Gedanken gewöhnt, daß religiöse Überzeugungen eine gerechte Sache seien, die Waffen dafür zu erheben: das heißt, mittelbar die Klerisei zum Herrn über Krieg und Frieden machen, zum Schiedsrichter über Herrscher und Volk. Verdankte doch das weströmische Reich seinen Fall zum Teil solchen Glaubenskämpfen, und in Frankreich, unter den letzten Valois, erlebte man die unseligen Folgen eines frommen eifernden Wahns. Meines Erachtens verlangt eines Fürsten wohlverstandener VorteU, daß er an den Glauben seiner Völker nicht rühre, im übrigen, soviel in seiner Macht sieht, den Geist der Milde und Duldung in der Geistlichkeit seiner Staaten und bei seinen Untertanen kräftige und erhalte. Solches Bemühen stimmt nicht allein zum Sinne des Evangeliums, das nur Friedfertigkeit, Demut und Bruderliebe predigt, sondern fördert auch des Fürsten eigene Zwecke, da er mit der Ausrottung des falschen Glaubenseifers und des Fanatismus in seinen Landen zugleich den gefährlichsten Stein des Anstoßes aus seinem Wege räumt, die allerbedrohlichste Klippe. Denn wo bleibt alle Treue und aller gute Wille in der Menge, wenn religiöse Leidenschaft und wilde Glaubensbegeisterung ihr Haupt erheben, wenn dem Mörder als Preis seines Verbrechens der Himmel winkt, ihm die Palme des Glaubenszeugen verheißen ist zum Lohn für den Tod durch Henkershand?
So kann denn ein Herrscher gar nicht genug Verachtung bezeigen für die eitlen Zänkereien der Priester, die im Grunde nur ein Streit um Worte sind, und kann garnicht genug darauf bedacht sein, allen Aberglauben und die davon untrennbaren Ausbrüche religiöser Leidenschaft zu ersticken.
An zweiter Stelle führt Machiavell das Beispiel Bernhards von Mailand an zur Beherzigung für die Fürsten, daß sie daran lernen mögen, ihre Belohnungen wie ihre Strafen so ins Werk zu sehen, daß es in die Augen fällt, damit all ihr Tun die<88> Gebärde der Größe trage. Nun, Fürsten von edler Art kommen ohnehin schon zu Glanz und Ansehn, zumal wenn ihre Freigebigkeit, ohne selbstische Zwecke, einfach der Ausdruck ihrer Seelengröße ist. Herzensgüte wird ihnen leichter denn jeder andere Vorzug den Weg zur Größe bahnen. Cicero88-1 sagte zu Cäsar: „Das Größte, was dein Glück dir gegeben, ist die Macht, so vielen Mitbürgern ein Retter zu sein, nichts was deiner Güte würdiger wäre, als der Wille, es zu tun.“ Alle Strafen also, die ein Fürst verhängt, sollten hinter dem Maße der Kränkung, die er erfuhr, zurückbleiben, alle Belohnungen, die er spendet, hinausgehn über die Bedeutung des Dienstes, den er empfing.
Hier aber ein Widerspruch! Unser Doktor verlangt an dieser Stelle vom Fürsten unbedingte Bündnistreue, im achtzehnten Kapitel hat er ihn in aller Form seines Wortes entbunden! Wie ein Wahrsager: zu einem sagt er weiß, zum andern schwarz!
So unrichtig die eben betrachteten Ausführungen Machiavells sind, so zutreffend ist seine Warnung an die Fürsten, sich mit anderen Herrschern, die mächtiger sind als sie, leichtfertig einzulassen, die, anstatt ihnen beizustehn, sie gar erst in den Abgrund stoßen könnten. Das wußte sehr wohl ein großer deutscher Fürst, gleich geachtet bei Freund und Feind. Die Schweden fielen in sein Land zur Zeit, da er mit allen seinen Truppen fern am Niederrhein stand, den Kaiser in seinem Kriege gegen Frankreich zu unterstützen. Seine Minister rieten ihm auf die Kunde von dem überraschenden Einbruch, den russischen Zaren zu Hilfe zu rufen. Der Fürst jedoch, scharfsichtiger als sie, erwiderte, die Moskowiter seien wie die Bären: wehe dem, der sie loskette; einmal freigelassen, seien sie schwer wieder an die Kette zu legen! Hochgemut nahm er das schwere Werk der Vergeltung auf seine eigenen Schultern, und er brauchte es nicht zu bereuen88-2.
Lebte ich im kommenden Jahrhundert, so gäb's sicherlich so mancherlei Betrachtungen, die hier hingehörten, diesen Abschnitt zu erweitern; allein über die Fürsten meiner Zeit sieht mir kein Richteramt zu, man muß auf dieser Welt zur rechten Zeit zu reden und zu schweigen wissen.
Ebenso verständig wie das Bündnisverhältnis behandelt Machiavell die Neutralität. Alte Erfahrung lehrt, daß ein Fürst, der neutral bleibt, dadurch sein Gebiet rücksichtsloser Behandlung durch beide kriegführende Parteien aussetzt; seine Staaten werden das Kriegstheater, stets verliert er nur durch seine neutrale Haltung, ohne je einen greifbaren Vorteil dabei zu gewinnen.
Auf zwiefache Art kann ein Herrscher sich vergrößern: einmal durch Eroberung, wenn ein kriegerischer Fürst mit Waffengewalt die Grenzen seiner Herrschaft erweitert; der andere Weg ist der der rührigen Arbeit, wenn nämlich ein fleißiger Landesherr in seinen Staaten alle Künste und alle Wissenschaften zur Blüte bringt, die ihnen<89> erhöhte Bedeutung und Gesittung geben. Unser Buch enthält von vorn bis hinten nichts als Betrachtungen über jene erste Art der Vergrößerung; reden wir doch auch einmal von der zweiten, die unschuldiger und gerechter ist und dabei ganz so gedeihlich wie jene.
Die für das Leben notwendigsten Fertigkeiten sind die Landwirtschaft, der Handel und der Gewerbefieiß; die Wissenschaften, darinnen der Menschengeist seine höchste Würde offenbart, sind die Geometrie, Philosophie, Astronomie, Redekunst und Poesie, alles schließlich, was man unter dem Namen der schönen Künste versieht.
Wie nun jegliches Land seine eigene Natur hat, so ruht die Stärke des einen in seiner Landwirtschaft, die anderer im Weinbau, hier in den Gewerben, da im Handel; auch gedeihen diese Fertigkeiten in manchem Lande wohl gleichzeitig nebeneinander.
Entscheidet sich nun ein Fürst für diese friedliche und freundliche Form der Machterweiterung, so wird seine nächste Aufgabe sein, sich um die gründliche Kenntnis der Natur seines Landes zu bemühen, um sich darüber klar zu werden, welche von jenen Erwerbsmöglichkeiten dort die aussichtsvollsten und welche demgemäß zu fördern am dringendsten die Pflicht gebietet. Den Franzosen und Spaniern ward das Fehlen des Handels fühlbar, und so sannen sie denn auf Mittel, den der Engländer zu vernichten. Sollte Frankreich damit Glück haben, so würde der Niedergang des englischen Handels seine Machtstellung in viel beträchtlicherem Maße heben, als es die Eroberung von zwanzig Städten und tausend Dörfern vermöchte, und England und Holland, die beiden blühendsten und reichsten Länder der Welt, würden dabei ganz allmählich zugrunde gehn, wie ein Kranker, der an der Schwindsucht oder Auszehrung dahinsiecht.
Die Länder, deren Getreide- und Weinbau all ihren Reichtum darstellt, haben zweierlei zu beobachten: erstens sollen sie alles Land sorglich urbar machen, um jedes Fleckchen Bodens auszunutzen; zweitens sollen sie auf jede Weise bedacht sein, den Absatz zu vergrößern und zu erweitern, ferner ihre Waren wohlfeU zu befördern und deren Preis nach Möglichkeit heraufzuschrauben.
Die Industrie bringt vielleicht jedem Staate am meisten Nutzen und Gewinn; denn sie befriedigt die Bedürfnisse und den Luxus der Einwohner, und auch die Nachbarn sehen sich genötigt, eurem Gewerbefieiß ihren Zoll zu entrichten. So wird auf der einen Seite das Geld im Lande gehalten, auf der anderen muß es hereinströmen.
Stets war's meine Überzeugung, daß der Mangel an diesen Erzeugnissen eine Ursache mehr für die ungeheuren Auswanderungen aus den Nordlanden gewesen ist, so der Goten und der Vandalen, die so häufig die südlichen Länder überschwemmten. In jenen fernen Zeiten kannte man in Schweden, in Dänemark wie im größten Teile von Deutschland von allen Fettigkeiten nur den Ackerbau; der ertragfähige Boden war auf eine bestimmte Anzahl von Eignern verteilt, die ihn bebauten und ihren Unterhalt daraus zogen. Nun ist aber das Menschengeschlecht zu jeder Zeit von<90> besonderer Fruchtbarkeit in jenen kalten Himmelsstrichen gewesen, und so gab's bald doppelt soviel Einwohner im Lande, als der Ackerbau ernähren konnte; da taten sich denn die jüngeren Söhne der Adelsgeschlechter zusammen, wurden notgedrungen zu Glücksrittern, überfielen fremde Länder und warfen da die Besitzer hinaus. In der Geschichte Ost- und Westroms war's denn auch die Regel, daß die Barbarenhorden nichts begehrten als Grund und Boden zur Bebauung, um ihren Lebensunterhalt zu finden. Die Nordlande sind heut nicht weniger dicht bevölkert als dazumal, aber inzwischen hat der Luxus wohlweislich unsere Bedürfnisse vervielfältigt und damit den Anstoß zu gewerblicher Tätigkeit und zu all jenen Fertigkeiten in der Herstellung gegeben, von denen ganze Völker leben können, die sonst ihren Unterhalt auswärts suchen müßten.
Diese verschiedenen Mittel, die einen Staat zur Blüte bringen, sind der fürstlichen Weisheit anvertraute Pfunde; der Fürst soll damit wuchern, soll sie nutzbringend an legen. Das sicherste Kennzeichen dafür, daß ein Land unter weiser Leitung des Glückes, der Wohlhabenheit und Fülle genießt, ist dann das Erwachen der schönen Künste und der Wissenschaften; denn diese Blumen gedeihen nur auf fettem Boden und unter mildem Himmel; bei Trockenheit, beim Ungestüm nördlicher Winde sterben sie hin.
Nichts gibt einem Reiche mehr Glanz, als wenn die Künste unter seinem Schutz erblühen. Das Zeitalter des Perikles dankt seinen Ruhm ebenso dem Phidias, dem Praxiteles und zahlreichen anderen Großen, die damals zu Athen lebten, wie den Schlachten, die dieselben Athener gewannen. Das augusteische ist bekannter durch einen Cicero, Ooid, Horaz und Vergil als durch die Ächtungslisten jenes grausamen Kaisers, der schließlich doch ein gut Teil seines Nachruhms der Leier des Horaz verdankt. Das Jahrhundert des großen Ludwig ist gefeierter um solcher Größen willen wie Corneille, Racine, Molière, Boileau, Descartes, Coypel, Le Brun90-1, Regnaudin90-2, als durch den über alles Maß gelobten Rheinübergang90-3, die Belagerung von Mons90-4, an der Ludwig in Person teilnahm, und die Schlacht bei Turin, die Marsin auf allerhöchsten Befehl den Herzog von Orleans verlieren ließ 90-5.
Die Könige ehren die ganze Menschheit in der Auszeichnung und Belohnung derer, die ihr am meisten Ehre machen; wer wäre das sonst als jene überragenden Geister, die der Vervollkommnung unserer Erkenntnis, dem Dienste der Wahrheit sich weihen, die keinem irdischen Werte nachfragen, um die Fähigkeit des reinen Gedankens zu immer höherer Vollendung zu steigern? Wie die Weisen die Leuchten der Welt sind, so sollten sie eigentlich ihre Gesetzgeber sein.
<91>Glücklich die Herrscher, die selbst diese Wissenschaften pflegen, die da mit Cicero91-1, dem römischen Konsul, dem Befreier seines Vaterlandes, dem Altmeister der Redekunst, denken: „Die Wissenschaft bildet die Jugend heran, gibt den reiferen Jahren seinen schönsten Reiz; dem Glück gibt sie höheren Glanz, dem Unglück Trost; sie macht in unseren vier Wänden, im fremden Hause, auf der Reise, in der Einsamkeit, zu allen Zeiten wie an jedem Orte die Wonne unseres Daseins aus.“
Lorenzo von Medici, der Größte seines Voltes, war für Italien der Friedebringer und zugleich der Erneuerer der Wissenschaften; sein redlicher Sinn gewann ihm das Vertrauen aller Fürsten insgesamt. Mark Aurel, einer der größten Kaiser Roms, vereinte Feldherrnglück mit der Weisheit des Philosophen; er hielt sich in seiner Lebensführung aufs strengste an die Sittenlehre, die er bekannte. Schließen wir mit seinem Wort: „Einem Könige, den Gerechtigkeit leitet, ist die Welt ein Tempel, darinnen die guten Menschen als Priester des Opferdienstes walten.“
<92>22. Kapitel
Von den Ratgebern der Fürsten.
Zwei Arten von Fürsten gibt es in der Welt: die einen wollen mit eigenen Augen sehen und die Regierung ihrer Staaten selber in der Hand behalten, die anderen verlassen sich ganz auf die Ehrlichkeit ihrer Minister und lassen sich von denen leiten, die Einfluß auf sie gewonnen haben.
Die Herrscher von der ersten Gattung sind die Seele ihrer Staaten; auf ihnen allein ruht das volle Gewicht der Regierung wie die Welt auf den Schultern des Atlas; sie regeln die äußeren wie die inneren Angelegenheiten, alle Verordnungen, Gesetze, Erlasse gehen von ihnen aus; sie füllen zur selben Zeit das Amt eines JustizMinisters aus, des Oberfeldherrn wie des Finanzministers, kurz, alles, was nur irgend für den Staat von Wichtigkeit sein kann, geht durch ihre Hand. Ihnen stehen zur Seite, nach dem Vorbilde Gottes, dem als die Vollstrecker seines Willens geistige Wesen von höherer Art denn der Mensch gesellt sind, scharfsichtige und arbeitsfrohe Geister, ihre Absichten auszuführen und im einzelnen zu verwirklichen, was sie in großen Zügen entworfen haben; ihre Minister sind eigentlich nur Werkzeuge in der Hand eines weisen und geschickten Meisters.
Die Herrscher der zweiten Gattung sind wie versunken in einen Abgrund von Verschlafenheit und Gleichgültigkeit, weil ihnen der Genius fehlt, oder aus angeborener Trägheit; wie man nun einen Ohnmächtigen durch starke ätherische und balsamische Gerüche wieder ins Leben zurückruft, genau so muß ein Staat, der infolge der Schwäche seines Herrn ohnmächtig darniederliegt, durch den Geist und das Feuer eines Ministers, der fähig ist, die Mängel seines Herrn zu ersetzen, wiederaufgerichtet werden. In diesem Falle ist der Fürst nur das Werkzeug seines Ministers, seine Bedeutung beschränkt sich höchstens darauf, vor dem Volke dem leeren Schemen der Königshoheit sichtbare Gestalt zu geben; seine Person ist für den Staat so entbehrlich, wie die des Ministers unentbehrlich ist. Bringt für den Fürsten der ersten Art die rechte Wahl seiner Minister nur eine Arbeitserleichterung ohne erheblichen Einfiuß auf das Wohl des Volkes, so hängt beim Fürsten der zweiten Gattung geradezu alles von dieser Wahl ab: das Wohl und Wehe des Volkes wie sein eigenes.
<93>Es ist für einen Fürsten gar nicht so leicht, wie man meint, die Sinnes- und Gemütsart der Männer, die er für seinen Dienst ausersehen, recht zu ergründen; denn so schwer es dem Fürsten gemacht ist, sein inneres Wesen vor den Augen der Welt zu verhehlen93-1, so leicht hat's der einzelne, vor dem Auge des Herrn eine falsche Rolle zu spielen. Mit dem inneren Wesen der Höflinge ist's wie mit dem Gesicht geschminkter Frauen: mit vieler Kunst erreichen sie es, daß einer genau so aussieht wie der andere. Könige sehen die Menschen niemals, wie sie in Wirklichkeit sind, sondern nur so, wie sie erscheinen wollen. Ein Mensch beim Hochamt im Augenblick der Weihe, ein Hofmann bei Hof in der Gegenwart des Fürsten, und derselbe im Freundeskreise — jedesmal wird das ein völlig anderer Mensch sein; der Cato des Hofes gilt als der Anakreon der Stadt; der Weise vor der Öffentlichkeit ist ein Narr daheim, und wer mit lauter Stimme ein großes, prunkendes Wesen von seiner Tugend macht, vernimmt in seinem Innern die leise Stimme seines Gewissens, die ihn schmählich Lügen straft.
Doch hier handelt es sich nur um Verstellung gewöhnlicher Art. Nun laßt aber erst einmal selbstsüchtige, laßt ehrgeizige Zwecke mit dareinreden, laßt sie sich um eine erledigte Stelle drängen mit einer Gier, wie die zahlreiche Freierschar Penelope umwarb! Mit der Habgier eines Höflings wächst seine Dienstbeflissenheit für seinen Fürsten und seine Achtsamkeit auf sich selbst; alle Mittel der Betörung, auf die sein Geist verfällt, sind ihm recht, wenn es gilt, sich angenehm machen; er schmeichelt dem Fürsten, teilt seinen Geschmack, heißt seine Leidenschaften gut — ein Chamäleon, bereit, jede Farbe seiner Umgebung anzunehmen.
Vermochte also Sixtus V. siebenzig Kardinäle, die ihn hätten kennen müssen, über sich zu täuschen, wieviel leichter ist es einem einzelnen gemacht, den prüfenden Blick eines Fürsten zu hintergehen, dem es an der Gelegenheit fehlt, ihn zu ergründen. Ohne Mühe wird ein Fürst von Geist sich ein Urteil bilden über das Genie und die Fähigkeiten seiner Diener; aber fast ein Ding der Unmöglichkeit ist es für ihn, ein rechtes Bild zu gewinnen von dem Grade ihrer Selbstlosigkeit und Treue; besieht doch gewöhnlich darin die ganze Kunst der Minister, ihre Ränke und Schliche vor dem geheimzuhalten, der, wenn er dahinter käme, berechtigt wäre, sie zu bestrafen.
Oft erlebt man's, daß Menschen im Scheine der Untadeligkeit dastehen, nur weil's ihnen an der Gelegenheit fehlte, sich als das Gegenteil zu entpuppen, daß sie aber, kaum daß ihre Tugend auf die ersie Probe gestellt ward, auf alle Ehrbarkeit verzichteten. Ehe Tiberius, Nero, Caligula auf den Thron gelangt waren, wußte in Rom kein Mensch ihnen was Arges nachzusagen; wer weiß, ob nicht ihre Ruchlosigkeit in der Entwicklung steckengeblieben wäre, ohne die Gelegenheit, die ihr Luft machte, die gleichsam den Keim ihrer Niedertracht erst aufgehn ließ.
Es gibt Menschen, bei denen sich eine Fülle von Geist, Weltgewandtheit und Fähigkeiten zu dem schwärzesten, undankbarsten Gemüts gesellt, und wieder andere mit<94> allen Vorzügen des Herzens ohne jene lebendige und glänzende Treffsicherheit, die dem Genie eigen ist. Da haben denn kluge Fürsien gewöhnlich solchen Männern, bei denen die Gemütsseite überwog, den Vorzug gegeben für die Verwendung im Innern des Landes; für ihre auswärtigen Verhandlungen dagegen bedienten sie sich lieber der lebhaften und feurigen Köpfe. Mit gutem Grunde, denk' ich: handelt es sich nur um die Auftechterhaltung von Ordnung und Recht im eigenen Staate, so ist Redlichkeit dafür Bürgschaft genug; gilt's aber, den Nachbar durch Scheingründe hinters Licht zu führen, den Pfad des Ränkespiels zu beschreiten und sogar Bestechungen anzuwenden, wozu Gesandte im Ausland oftmals gezwungen sind, dann ist's mit der Ehrlichkeit nicht getan, das liegt auf der Hand, dann braucht's Witz und Geschmeidigkeit.
Ich meine, ein Fürst kann Treue und Diensteifer gar nicht genug belohnen, eine Erkenntlichkeit, die uns schon unser natürliches Gerechtigkeitsgefühl zum unabweisbaren Bedürfnis macht. Außerdem aber gebietet's den Großen der eigene Nutzen, Dankbarkeit mit ebensoviel Hochherzigkeit zu üben, wie sie mit Milde strafen sollen: kommt ein Minister dahinter, daß die Tugend gar kein so schlechtes Geschäft, so fühlt er sich ganz gewiß nicht mehr auf verbrecherische Streiche angewiesen und wird sich lieber die Wohltaten des eigenen Herrn gefallen lassen als die Bestechungen eines fremden. So begegnen sich hier durchaus die Forderung der Gerechtigkeit und die der Weltklugheit, und wollte einer, statt großmütige Dankbarkeit zu üben, die Zuneigung seiner Minister auf eine gefährliche Probe stellen — ich weiß nicht, was dabei bedenklicher wäre: seine Herzlosigkeit oder sein Unverstand.
Manche Fürsten verfallen wieder in einen anderen Fehler, der ihrem wahren Vorteil genau so zuwiderläuft: sie wechseln ihre Minister mit bodenloser Leichtfertigkeit und ahnden mit übertriebener Härte die geringfügigsten Fehle. Arbeitet ein Minister unmittelbar unter den Augen seines Fürsien, so kann dem Herrn, nach einer geraumen Amtsdauer, unmöglich entgehen, wo jener etwa versagt; je scharfsichtiger er ist, desto leichter kommt er dahinter. Da wird denn ein Herrscher ohne philosophische Besonnenheit gar bald die Geduld verlieren, wird außer sich geraten über die Schwächen seines Beamten, wird ihm seine Gnade entziehen, ihn fallen lassen. Ein Fürst, der tiefer denkt, kennt die Menschen besser, er weiß sie allzumal gezeichnet mit dem Mal der Menschlichkeit, wie es denn nichts Vollkommenes hienieden gibt, er weiß, daß alle wertvollen Eigenschaften gewissermaßen aufgewogen werden durch große Mängel, und daß ein Genie aus dem Guten wie dem Schlechten seinen Vorteil ziehen muß. Aus diesem Grunde behält er lieber, wofern keine Pflichtvergessenheit im Spiel ist, seine Minister mit ihren guten wie ihren schlechten Eigenschaften bei, hält sich lieber an die, die er schon ausgeprobt hat, statt es mit neuen, die er vielleicht fände, zu versuchen; so wird ein Musiker von Verstand sein altes Instrument, dessen Vorzüge und Schwächen ihm geläufig sind, einem neuen von unbekannter Güte vorziehen.
<95>23. Kapitel
Von der Notwendigkeit, die Schmeichler zu fliehen.
Kein Buch über sittliche Fragen, kein geschichtliches Werk, darinnen nicht der Fürsten Schwäche für Schmeichelei scharf gegeißelt würde. Man verlangt von den Königen, daß sie die Wahrheit lieben, daß ihr Ohr sich an die Stimme der Wahrheit gewöhne; und man hat recht damit. Und doch — das ist nun einmal Menschenbrauch — verlangt man damit Dinge, die einander nahezu ausschließen. Da Eigenliebe allem Besten in uns zugrunde liegt, somit auch dem Glücke der Welt, sollen die Fürsten sie in dem Maße besitzen, daß sie ihnen Empfänglichkeit für edlen Ruhm und Schwungkraft zu großen Taten verleiht — gleichzeitig aber erwartet man von ihnen Selbstlosigkeit genug, daß sie gutwillig auf den Lohn ihrer Arbeit verzichten. Also was sie um Anerkennung werben heißt, soll sie gleichzeitig Verachtung der Anerkennung lehren. Das heißt von der Menschennatur viel verlangen! Allenfalls wäre eines geeignet, die Widerstandskraft eines Fürsten gegenüber der Versuchung der Schmeichelei zu stählen: die vorteilhafte Vorstellung der Welt von seiner höheren Natur, die ihn verpflichte, über sich selbst noch mehr Gewalt zu haben als über andere Menschen.
Fürsten ohne Empfindung dafür, wie man über sie denkt, sind von je nur träge Naturen gewesen oder Genüßlinge, versunken in Schlaffheit; nicht mehr wie ein Stück toten, und zwar niedrigen und gemeinen Stoffes, unbeseelt von einer höheren Regung. Gewiß, auch grausame Tyrannen haben ihr Lob gern singen hören; doch das war für sie nur ein Kitzel der Eitelkeit, besser gesagt, ein Lasier mehr. Die Achtung der Menschen wünschten sie sich, kümmerten sich dabei aber nicht um den einzigen Weg, sie zu verdienen. Bei lasterhaften Fürsten ist Schmeichelei ein tödlich Gift, das die Keime ihrer Verderbtheit nur noch mehr wuchern läßt; bei verdienstvollen Fürsten gleicht sie dem Rost, der mit seinem Ansatz den Glanz ihres Ruhmes mindert. Einen feinfühligen Menschen empört grobe Schmeichelei, er weist den Lobhudler seines Weges, der ihm tölpelhaft seinen Weihrauch ins Gesicht streut. Man muß schon einen unendlich hohen Glauben an sich selbst besitzen, schon mehr einen Aberglauben, um<96> übertriebenes Lob ertragen zu können. Diese Art Lob haben die großen Männer am wenigsten zu fürchten, da es nicht die Sprache innerer Überzeugung ist.
Noch eine andere Schmeichelei gibt's, die, die sich sophistisch zum Anwalt unserer Fehler und Lasier macht. Ihre Redekünste mildern und beschönigen alles Schlechte an ihrem Opfer und erheben es, auf diesem Umwege, zu einem Bilde der Vollkommenheit. Sie weiß für jegliche Leidenschaft eine Rechtfertigung, putzt Grausamkeit heraus, bis sie aussieht wie Gerechtigkeit, verleiht der Verschwendung täuschende Ähnlichkeit mit der Freigebigkeit, deckt über Ausschweifungen das Mäntelchen der Kurzweil und der Unterhaltung. Sie bauscht besonders gern die Laster der anderen auf, um denen ihres Helden daraus ein Ehrenmal zu errichten; sie entschuldigt alles, rechtfertigt alles.
Die Mehrzahl der Menschen fällt auf diese Art Schmeichelei herein, die ihre Nei-gungen, ihren Geschmack rechtfertigt. Man muß mit beherzter Hand die Sonde tief in seine Wunden eingeführt haben, um sie recht zu erkennen, muß stark genug sein, sich selber Fehler einzugestehen, die gebessert sein wollen, um gleichzeitig dem schmeichlerischen Fürsprecher unserer Leidenschaften zu widerstehen und wider sich selber anzukämpfen. Es gibt indessen Fürsten, die genügend Reife und Vollwert besitzen, um für diese Gattung von Schmeichelei nur Verachtung zu empfinden; ihrem scharfen Blick entgeht die Giftnatter unter der Blumenhülle nicht. Geborene Feinde der Lüge, ertragen sie diese auch da nicht, wo sie sich etwa in ihrer Eigenliebe angenehm berührt, in ihrer Eitelkeit gestreichelt fühlen.
Doch wenn sie die Lüge hassen, so lieben sie die Wahrheit, und sie können denen nicht ernstlich böse sein, die ihnen was Gutes nachsagen, von dem sie selbst überzeugt sind. Schmeichelei, die sich an Tatsächliches hält, ist eben die feinste von allen; da bedarf's eines äußerst feinen Unterscheidungsvermögens, um das leise aufgetragene Mehr oder Minder wahrzunehmen. Diese Schmeichelei wird nicht einem Könige Poeten in die Laufgräben mitgeben als Zeugen und Berichterstatter seiner Tapferkeit, sie wird sich auch hüten, Opernprologe, von Überschwenglichkeiten strotzend, abzufassen, oder abgeschmackte Widmungen und kriecherische Episteln; sie wird auch einem wirklichen Helden nicht mit der Herzählung seiner Siegestaten in den Ohren liegen — nein, diese wird die Miene des aufrichtigen Gefühls zur Schau tragen, wird mit gutem Geschmack lange Umschweife meiden und alle Vorzüge eines Epigramms besitzen. Wie könnte ein großer Mann, ein Held, ein geistvoller Fürst es übel vermerken, wenn ein Freund in der Lebendigkeit seiner ehrlichen Wallung sich ein Wort von ungefähr entschlüpfen läßt, was obenein die Wahrheit ist? Darüber sich zu ärgern, das wäre doch ein Zeichen einer geradezu engherzigen Bescheidenheit. Schließlich darf man wohl ein Lob hinnehmen, wie es gemeint ist.
Fürsten, die, ehe sie Könige wurden, schlichte Menschen waren, können sich in der Erinnerung an das, was sie einst gewesen, leichter der Gewöhnung an die Kost der Schmeichelei entziehen. Die, so ein Leben lang Herren geheißen, haben sich von jeher <97>vom Weihrauch gesättigt wie die Götter, sie würden an Entkräftung hinsterben, sollten sie einmal ohne Lobeserhebungen auskommen.
Es wäre nach alledem, meiner Ansicht nach, gerechter, wenn man die Könige beklagte, als daß man sie verdammt: die Schmeichler und noch mehr denn sie die Verleumder find's, die Verdammung und den Haß der Welt verdienen, ebenso wie jeder, der's mit den Fürsten so wenig redlich meint, daß er ihnen die Wahrheit vorenthält.
<98>24. Kapitel
Warum die Fürsien Italiens ihre Herrschaft einbüßten.
Die Sage von Kadmus, der die Zähne des Drachen aussäte, den er erlegt hatte, woraus dann ein Volt von Kriegern aufsproßte, die sich gegenseitig hinmordeten, paßt ganz und gar zum Gegenstand dieses Kapitels. Diese sinnreiche Sage ist ein Sinnbild für der Menschen Ehrbegier, Grausamkeit und Tücke, die ihnen zuletzt stets zum Verderben werden. Derart war der schrankenlose Ehrgeiz der italienischen Fürsten und ihre Grausamkeit, die sie zum Schrecknis des Menschengeschlechts machten; derart waren die Treulosigkeiten und Verrätereien, die sie wechselseitig aneinander begingen, all ihrem Glücke zum Verderb. Man lese die Geschichte Italiens vom Ende des 14. bis zum Anfang des 15. Jahrhunderts: da gibt's nichts als blutige Greuel, Aufstände, Gewalttaten, Bünde zu gegenseitiger Vernichtung, Thronraub, Meuchelmord, mit einemWorte, einen ungeheuren Knäuel von Untaten; schon die Vorstellung davon macht einen schaudern.
Wer sich, nach dem Vorgang Machiavells, unterfinge. Recht und Menschlichkeit über den Haufen zu rennen, der würde damit den Umsturz der ganzen Welt verschulden: keiner würde sich mehr an dem Seinen genügen lassen, jeder dem Nächsten sein Eigen neiden, und da nichts ihm Halt geböte, wären die abscheulichsten Mittel recht, seine Gier zu sättigen. Hätte der Eine des Nachbarn Besitz verschlungen, flugs käme der Zweite, ihn wieder hinauszuwerfen; keine Sicherheit gäb's für den einzelnen mehr, und das Recht des Stärkeren wäre allein Gesetz auf Erden, eine Sintflut von Verbrechen schüfe aus diesem Erdteil eine wüste und traurige Ode.
Einzig ihr Unrecht und ihre Barbarei brachten die italienischen Fürsten um ihre Staaten, genau wie die Mißlehre Machiavells unrettbar jeden verderben müßte, der töricht genug wäre, ihr zu folgen.
Daß ich nichts unterschlage: auch die Feigheit des einen oder anderen mag zu gleichem Teile mit ihrer Nichtswürdigkeit zu ihrem Untergang mitgeholfen haben; jedenfalls verderbte die Könige von Neapel ihre Schwäche. Aber, davon abgesehen, krame mir einer an Staatsweisheit aus, soviel er will, an Gründen, Systemen, Beispielen, allen sophistischen Spitzfindigkeiten, zuletzt kommt keiner darum herum, die<99> Forderung von Recht und Gerechtigkeit anzuerkennen, wenn er nicht mit dem gesunden Menschenverstand in Widerstreit geraten will. Machiavell selbst bringt nichts als ein jammervolles Zeug zustande, wenn er andere Lehren aufstellen will, und wie er's auch anfängt, die Wahrheit hat er nicht unter seine Grundsätze zu beugen vermocht. Der Anfang dieses Kapitels ist böse für unseren Politikus: seine schnöde Grundsatzlosigkeit hat ihn da in ein Labyrinth verlockt, aus dem sein Geist vergehlich den Ausweg an einem Ariadnefaden sucht.
Ganz bescheiden frage ich Machiavell, was er wohl mit folgenden Worten sagen wolle: „Wenn man an einem neuen, eben emporgestiegenen Herrscher, also einem Usurpator, Klugheit wahrnimmt und Verdienst, so wird man sich williger an ihn anschließen als an einen Herrn, der seine hohe Stellung lediglich seiner Geburt verdankt. Der Grund: alle Gegenwart spricht uns stärker an als das Vergangene; findet man bei ihr sein Genügen, sucht man nicht mehr in der Weite.“
Traut Machiaoell einem ganzen Volke zu, es werde unter zweien gleich tapferen und geistvollen Männern dem Usurpator den Vorzug geben vor dem rechtmäßigen Fürsten? Oder aber schwebt ihm ein Herrscher ohne persönlichen Wert vor und demgegenüber ein Räuber voller Heldensinn und hohen Gaben? Die erste Annahme kann unmöglich die unseres Verfassers sein, sie würde den einfachsten Gesehen des gesunden Denkens widersprechen: das hieße eine Wirkung ohne Ursache, eine solche Vorliebe eines Volkes für einen Menschen, der durch Gewalttat sich zu seinem Herrn aufwirft und im übrigen nicht den geringsten persönlichen Vorzug vor dem angestammten Herrscher voraus hat. Mag sich Machiavell auf alle kunstgerechten Schlüsse der Sophistik stützen, meinetwegen auf Buridans Esel99-1, die große Frage bleibt ungelöst.
Ebensowenig kann aber die zweite Annahme in Betracht kommen, denn sie wäre ebenso gedankenlos wie die erste. Mögt ihr einem Usurpator sonstwelche Eigenschaften zubilligen, der Gewaltstreich, durch den er seine Herrschaft aufgerichtet, bleibt ein Rechtsbruch, das müßt ihr zugeben! Was darf man sich also von einem Menschen, der sich mit einem Verbrechen einführt, weiter versprechen als eine Herrschaft der Gewalt und Willkür? Man denke sich einen jungen Ehemann, dem sein Weib am Hochzeitstage Hörner aufsetzt: ob er sich nach dem Pröbchen von der Treue seiner Neuvermählten allzuviel Gutes versprechen wird?
Machiavell fällt in aller Form in diesem Kapitel über seine eigenen Grundsätze ein Verdammungsurteil. Klar spricht er's aus: ohne des Volkes Liebe, ohne die Zuneigung der Großen, ohne ein geschultes Heer ist's einem Fürsten unmöglich, sich auf dem Throne zu behaupten. Die Wahrheit scheint ihm wider Willen diese Huldigung abzuzwingen, wie Ähnliches die Theologen von den gefallenen Engeln versichern, die, wenn auch mit Zähneknirschen, den Herrn bekennen müssen.
<100>Der Widerspruch steckt da: will ein Fürst die Zuneigung des Volkes und seiner Großen gewinnen, bedarf er dazu ein redlich TeU an Rechtschaffenheit und Manneswert; menschlich gesonnen muß er sein und wohltätig, und muß mit diesen Herzensgaben die Fähigkelten vereinen, die mühseligen Pflichten seines Amtes mit Weisheit zu versehen, auf daß man Vertrauen zu ihm haben könne. Nun nehme man da, gegen die Eigenschaften, die Machiavell seinem Fürsten verleiht! Welch ein Widerspruch! Mit solchen Eigenschaften, wie er sie in seinem Buche lehrt, gewinnt man keine Herzen: mit Ungerechtigkeit, Grausamkeit, Ehrbegier und einem Sinn, der nur von der Sorge um Machterweiterung erfüllt ist.
Damit wäre denn dieser Staatslehrer entlarvt, den sein Jahrhundert als einen Großen bewunderte, den viele Minister in seiner Gefährlichkeit erkannt haben, um ihm dann doch zu folgen, dessen Schandlehre man Fürsten in die Hand gab, dem bislang noch niemand gebührend geantwortet hat, ja in dessen Bahnen noch heut so mancher Staatsmann sich bewegt, so sehr er sich auch gegen solchen Vorwurf verwahren wird.
Glücklich der, dem es gelänge, den Machiavellismus von Grund aus in der Welt zu vernichten! Seinen Mangel an Folgerichtigkeit habe ich aufgewiesen; nun liegt's den Gebietern dieser Erde ob, der Welt das Vorbild der Untadeligkeit zu geben. Ich wage die Behauptung, daß es ihre Pflicht sei, die Öffentlichkeit zu hellen von der irrigen Vorstellung, die sie sich von der Staatskunst macht: Staatskunst ist im Grunde nichts als die Summe tiefster fürstlicher Einsicht. Gemeiniglich aber sieht sie in dem Verdacht, als wäre sie das Hand- und Lehrbuch aller Schurkerei und Rechtswidrigkeit. An den Fürsten ist es, die Spitzfindigkeiten und die Falschheit aus den Verträgen zu verbannen und der Redlichkeit und Lauterkeit, die, die Wahrheit zu sagen, aus dem Fürstenkreise gewichen sind, wieder zu neuem Leben zu verhelfen. An ihnen ist es, zu zeigen, daß sie auf die Provinzen des Nachbarn ebensowenig neidisch sind, wie sie eifersüchtig über die Erhaltung der eigenen Staaten wachen. Achtung bringt man den Herrschern entgegen, so Willis die Pflicht, ja, so muß es sein; aber man würde sie lieben, wären sie weniger auf Vergrößerung ihrer Herrschaft bedacht, dafür aber um so angelegentlicher auf ein gedeihlich Regiment. Das eine ist das Spiel einer Einbildungskraft, die nicht zur Ruhe kommen will, das andere ist das Kennzeichen gerechten Sinnes, der das Echte zu ergreifen weiß, den festen Boden der Pflicht dem Schimmer von Luftschlössern vorzieht. Der Fürst, der alles sein nennen möchte, ist wie ein Magen, der gefräßig sich mit Fleisch überlädt, ohne zu bedenken, daß er es nicht verdauen kann; beschränkt er sich darauf, ein wackres Regiment zu führen, gleicht er dem Manne, der mit Maßen ißt und dessen Magen gut verdaut.
<101>25. Kapitel
Welchen Einfluß das Glück auf die menschlichen Angelegenheiten hat und wie dem Unglück vorzubeugen ist.
Die Frage der menschlichen Willensfreiheit ist eine von jenen, daran die Philosophie sich zuschanden denkt, die außerdem so manchen Fluch aus der GottesMänner geweihtem Munde gekostet hat. Die Bekenner der Willensfreiheit machen geltend: sind die Menschen unfrei, so wirkt Gott in ihnen; mithin ist es Gott, der mittelbar durch sie Morde, Diebstähle und überhaupt alle Verbrechen verübt, was doch in offenem Widerspruch stünde zu seiner Helligkeit; zweitens aber: ist das höchste Wesen der Vater der Lasier und der Urheber aller begangenen Verbrechen, so wird man die Schuldigen nicht mehr bestrafen können, so wird's überhaupt weder Tugend noch Laster mehr geben in der Welt. Man kann dies schreckliche Dogma also nicht zu Ende denken, ohne all der Widersprüche inne zu werden; so bleibt wohl nichts übrig als die Entscheidung für die Willensfreiheit.
Die Anhänger der unbedingten Notwendigkeit hingegen sagen, es würde ja um Gott schlimmer stehen als um einen blinden Handwerker, der sein Wert im Finstern schafft, sollte er nach Erschaffung seiner Welt nicht gewußt haben, was sich nun in ihr zutragen solle. Ein Uhrmacher, sagen sie, kennt den Gang des kleinsten Rädchens einer Uhr, denn er weiß ja, welche Bewegung er ihm verlieh, weiß, zu welchem Zwecke er's bestimmte; da sollte Gott, dies Wesen von unendlicher Weisheit, nur der neugierige, ohnmächtige Zuschauer zu allem Tun der Menschen sein? Wie wäre wohl derselbe Gott, dessen Werke alle das Gepräge wohlbedachter Ordnung an sich tragen, also, daß sie alle ganz bestimmten, unwandelbaren Gesetzen unterworfen sind, wie wäre er wohl dazu gekommen, allein den Menschen sich der Unabhängigkeit und Freiheit erfreuen zu lassen? Dann wäre nicht die Vorsehung Leiterin der Weltgeschicke, sondern die Laune des Menschen. Läuft's also einmal hinaus auf die Wahl, ob der Schöpfer oder das Geschöpf ein willenlos Bewegtes sei, so wird die Vernunft solches wohl eher dem Wesen zutrauen, dem Schwachheit innewohnt, nicht aber dem, das der Inbegriff der Macht ist. So wären denn die Vernunft sowie alle Regungen der<102> Menschenbrust die unsichtbaren Fäden, daran die Hand der Vorsehung unser Geschlecht gängelt, daß es mittue an den Geschehnissen, deren Eintreten der Ratschluß der ewigen Weisheit bestimmt hat, und jeder einzelne sein Geschick erfülle.
So gerät man, der Charybdis zu entgehen, in gefährliche Nähe der Skylla, und so stoßen die Philosophen einander abwechselnd in den Abgrund des Unsinns, indes die Streiter des Herrn im Finstern herumfuchteln und fromm in Bruderliebe und Glaubenseifer sich verfluchen. Die Kriegführung zwischen diesen beiden Lagern gemahnt etwa an die der Karthager und Römer: drohte das Erscheinen der römischen Truppen in Afrika, so trug man die Brandfackel des Krieges nach Italien; wollte man zu Rom den gefürchteten Hannibal sich vom Halse schaffen, so schickte man Scipio an der Spitze der Legionen hinüber, Karthago zu belagern. PHUosophen, Gottesgelahrte und die Mehrzahl der Ritter vom Für und Wider sind Kämpfernaturen nach französischer Art: schneidig im Angriff, sind sie verloren, sobald sie auf Abwehr angewiesen sind. Das hat einen witzigen Kopf zu der Bemerkung veranlaßt, Gott sei der Vater aller Sekten; denn er habe allen gleiche Waffen, eine schwache wie eine starke Seite gegeben.
Dies Entweder — Oder: Willensfreiheit oder Prädestination, verpflanzt nun Machiavell aus der Metaphysik in die Betrachtung des Staates. Damit gerät er auf einen fremden Boden, der ihm nichts zu bieten hat; denn statt sich darüber den Kopf zu zerbrechen, ob wir frei oder unfrei sind, ob Glück oder Zufall eine Macht bedeuten oder nicht, kommt's in den Fragen des Staates eigentlich nur darauf an, daß einer seinen Scharfblick übe und seine Umsicht erweitere.
Glück und Zufall sind Worthülsen ohne Sinngehalt; sie stammen aus dem Hirn der Poeten, verdanken ihren Ursprung, allem Anschein nach, der tiefen Unwissenheit, in der die Welt hindämmerte, als sie den Erscheinungen, deren Ursache ihr dunkel war, aufs Geratewohl einen Namen gab.
Was im Volksmunde Cäsars Glück heißt, sind im Grunde nur die in der Weltläge gegebenen Bedingungen, die den Plänen dieses ehrgeizigen Mannes entgegenkamen. Und das sogenannte Mißgeschick des Cato besieht in den unvermuteten Unfällen, die ihm widerfuhren, jenen Schicksalsschlägen, bei denen Ursache und Wirkung so schnell einander folgten, daß es für seine Klugheit kein Voraussehen noch Vorbeugen gab.
Der Begriff Zufall läßt sich am besten durch das Würfelspiel erläutern. Da nennt man's auch Zufall, wenn mein Wurf zwölf und nicht sieben Augen gibt. Wollte man dies Ergebnis nach seinen natürlichen Ursachen zerlegen, so wäre da eine Fülle von Einzelheiten wohl zu beachten: in welcher Weise wurden die Würfel in den Becher hineingetan, wie waren die Bewegungen der Hand — mehr oder weniger kräftig, mehr oder weniger häufig —, die die Würfel im Becher durcheinanderschüttelten, ihnen eine schnellere oder langsamere Bewegung verliehen, als sie über den Tisch rollten? Das Zusammenwirken all dieser Ursachen heißen wir Zufall! Freilich, eine derartige<103> Untersuchung, zu der es erforderlich ist, auf tausenderlei einzugehen, verlangt einen philosophischen und aufmerkenden Geist, solche Vertiefung ist aber nicht jedermanns Sache, und so spart man sich lieber die Mühe. Und ich gebe zu, leichteren Kaufs kommt man schon davon, begnügt man sich mit einem Namen, der eigentlich nichts besagt. So kommt's, daß von der ganzen heidnischen Götterwelt allein Glück und Zufall uns geblieben sind. Nun, immerhin hat's etwas für sich: die Toren sehen ja gern die Ursache ihres Mißgeschicks in der Feindseligkeit des Glückes, und auf der anderen Seite erheben die, so ohne besonderes Verdienst in der Welt vorankommen, gern das blinde Schicksal zur Gottheit, deren Weisheit und Gerechtigkeit aller Bewunderung wert seien.
Solange wir nun Menschen sind, das heißt äußerst bedingte Wesen, werden wir niemals ganz erhaben sein über das, was man Schicksalsfügungen nennt. Wir müssen mit Weisheit und Klugheit das Mögliche dem Zufall, der Stunde entreißen; nur ist unser Sehfeld zu beengt, um alles wahrzunehmen, und unser Denkvermögen zu beschränkt, um alles in die gehörige Beziehung zu bringen. All unsere Unzulänglichkeit aber gibt uns kein Recht, das bescheidene Maß an Kräften, das einmal unser ist, brachliegen zu lassen. Im Gegenteil! Wir sollen herausholen, soviel wir nur vermögen, und darum, well wir nun mal keine Götter sind, unser Wesen nicht gleich auf den Standpunkt des Viehes herabsinken lassen. Tatsächlich gehörte nicht weniger als göttliche Allwissenheit dazu, wollte der Mensch das tausendfach verschlungene Gewebe verborgener Ursachen übersehen und bei jedem Geschehen dem letzten, unscheinbarsten Warum nachgehen, um auf diesem Wege zu richtigen Berechnungen für die Zukunft zu gelangen.
Hier zwei Begebenheiten zum Beweise, daß es keiner Menschenwelsheit gegeben ist, alles und jedes vorauszusehen. Die erste der Überfall Cremonas durch Prinz Eugen103-1. Das Unternehmen war mit aller erdenkbaren Umsicht angelegt und wurde mit großartigstem Schneid angepackt. Was brachte den Plan zum Scheitern? Der Prinz schaffte sich gegen Morgen Eingang in die Stadt durch einen unterirdischen Gang, den ihm nach geheimer Abrede ein Priester öffnete. Unfehlbar hätte er sich zum Herrn der Stadt gemacht, wären nicht zwei Umstände, die er unmöglich voraussehen konnte, dazwischengetreten. Erstens stand zufällig ein Regiment Schweizer, das gerade am selben Morgen exerzieren sollte, unter Gewehr und leistete ihm Widerstand, bis die ganze Garnison auf den Beinen war. Zweitens traf sich's, daß der Führer, der den Herzog von Vaudemont zu einem anderen Stadttor, auf dessen Einnahme es ankam, hingeleiten sollte, den Weg verfehlte, und so kam diese Abteilung zu spät an. Ich glaube, selbst die begeisterungtaumelnde Priesterin von Delphi hätte auf ihrem heiligen Dreifuß mit allen Geheimnissen ihrer Kunst diese Zwischenfälle nicht voraussehen können.
<104>Mein zweites Beispiel ist der Sonderfriede, den die Engländer gegen Schluß des Spanischen Erbfolgekrieges mit Frankreich schlossen104-1. Weder die Minister Kaiser Josephs I. noch die größten PHUosophen noch die gewiegtesten Staatsmänner hätten ahnen können, daß ein Paar Handschuhe das Schicksal Europas umgestalten würden, was doch buchstäblich, wie man sehen wird, eintraf.
Lady Marlborough bekleidete die Würde einer Oberhofmeisterin der Königin Anna in London, indes ihr Gemahl in den Feldzügen in Brabant eine doppelte Ernte einheimste, an Lorbeeren und an Reichtümern. Die Herzogin gab durch die Gunst, deren sie genoß, der Partei des Kriegshelden einen Rückhalt, und dieser wiederum dem Kredit seiner Gattin durch seine Siege. Ihre Gegenpartei, die Torys, die den Frieden wünschte, war, solange diese Herzogin bei der Königin allmächtig war, völlig machtlos. Ein Nichts war der Anlaß, daß sie diese Gunst verwirkte. Die Königin hatte Handschuhe bei ihrer Händlerin bestellt, desgleichen auch die Herzogin zur selben Zeit; in ihrer Ungeduld drängte sie die Frau, sie vor der Königin zu bedienen. Indessen verlangte Anna nach ihren Handschuhen; eine Palastdame104-2, die der Lady Mariborough feind war, hinterbrachte der Königin, was sich zugetragen hatte, und wußte die Sache so böswillig auszubeuten, daß die Königin von Stund an in der Herzogin eine Favoritin sah, deren Anmaßung nicht mehr zu ertragen sei. Die Handschuh-macherin goß vollends Öl ins Feuer, indem sie der Fürstin einen nach Kräften mit Bosheit getränkten Bericht der Handschuhgeschichte lieferte. Dieser geringfügige Anlaß reichte hin, alle Geister in Gärung zu bringen und alles zu zeitigen, was zu einer regelrechten Ungnade gehört. Die Torys, an ihrer Spitze der Marschall Tallard104-3, machten sich den Vorfall in jeder Weise zunutze, er wurde ein Trumpf in ihrem Spiel. Die Herzogin von Marlborough fiel kurz darauf in Ungnade, mit ihr hatte die Partei der Whigs ausgespielt und damit die der Verbündeten und des Kaisers. So ist's mit den ernstesten Dingen der Welt ein Spiel, die Vorsehung lacht der menschlichen Weisheit und menschlichen Größe; Albernheiten, Lächerlichkeiten geben dem Schicksal der Staaten, ganzer Königreiche oft eine Wendung. In diesem Falle retteten kleinliche Frauenzimmerhändel Ludwig XIV. aus einer Lage, aus der ihm vielleicht all seine Weisheit, Wehrkraft und Macht nicht hätten heraushelfen können, und zwangen die Verbündeten, Frieden zu schließen, ob sie wollten oder nicht.
Derartige Dinge begeben sich wohl, doch ich gestehe, selten genug, jedenfalls reicht ihr Gewicht nicht hin, der menschlichen Klugheit und Geistesschärfe ihren Wert zu nehmen. Es ist damit wie mit Krankheiten, die zuzeiten einmal die Gesundheit eines<105> Menschen stören, ohne ihn doch ernstlich im lebenslänglichen Genuß seiner kräftigen Natur zu beeinträchtigen.
Es bleibt also durchaus geboten, daß, wer die Welt regieren soll, seinen Scharfsinn und seine Klugheit ausbilde. Damit ist's aber noch nicht getan: wer das Glück fesseln will, muß lernen, mit seinem Temperament sich in den Wandel der Verhältnisse zu schicken, was recht schwer ist.
Im großen und ganzen habe ich nur zwei Arten von Temperamenten im Auge, das einer rasch zugreifenden Lebhaftigkeit und das einer sorglich Umschau haltenden Bedächtigkeit. Diese seelischen Veranlagungen sind ihrerseits in der körperlichen Anlage begründet, und so ist es nahezu ein Ding der Unmöglichkeit, daß ein Fürst so unbedingt Herr über sich selber sei, um wie ein Chamäleon jede Farbe anzunehmen. Da gibt's nun Zeitalter, die kommen der Ruhmbegier der Eroberernaturen zustatten, jener verwegenen und unternehmenden Menschen, die geboren scheinen, zu handeln und außerordentliche Umwälzungen in der Welt zu wirken. Revolutionen und Kriege sind ihnen Lebensluft, vor allem schafft ihnen der Ränkegeisi, ein Geist des Mißtrauens, der die Fürsten entzweit, Gelegenheit zur Entfaltung ihrer gefährlichen Gaben; kurz, alle äußeren Umstände, die so unruhigen und unternehmungslustigen Köpfen wesensoerwandt sind, erleichtern ihren Erfolg.
Zu anderen Zeiten scheint die Welt, minder bewegt, mehr nach einer milden Herr, schaft zu verlangen, wo es dann nur der Klugheit und Umsicht bedarf. Da waltet im Leben der Völker eine Art glücklicher Windstille, wie sie gern dem Sturme folgt. In solchen Zeitläuften erzielen Verhandlungen größere Erfolge als Schlachten, da muß denn die Feder erwirken, was der Degen nicht gewinnen kann.
Um aus jeder Gestaltung der Verhältnisse Nutzen zu ziehen, soll der Fürst lernen, sich in die Zeit zu schicken, wie ein gewandter Schiffer alle Segel aufsetzt, wenn die Winde ihm günstig sind, oder beim Winde segelt oder sie einzieht, sowie grobes Wetter ihn dazu nötigt, nur bemüht, sein Fahrzeug in den ersehnten Hafen zu steuern, ganz gleich, ob so oder so.
Ein Feldherr, der verstünde, im rechten Augenblick bedächtig und dann wieder wagemutig zu sein, wäre fast unbezwingbar. Er würde gegebenen Falles den Krieg in die Länge ziehen können, sobald er mit einem Feinde zu tun hätte, dem's an Mitteln gebräche, einen langen, kostspieligen Krieg durchzuhalten, oder sobald auf der Gegenseite Verpflegungsmangel und Futternot einträten. Fabius setzte Hannibal matt durch seine Bedächtigkeit; der Römer kannte Karthagos Geld- und Rekrutennot sehr genau, da genügte es ihm, dessen Heer kampflos dahinschmelzen zu lassen, seinen Erschöpfungstod gleichsam ruhig abzuwarten. Hannibals Heil dagegen war der Kampf; all seine Macht lag in der Gunst des Augenblicks, dem galt es mit Geistesgegenwart jeden erdenklichen Gewinn zu entreißen, um ihr Dauer und Bestand zu geben durch das Entsetzen, das die blendende Waffentat verbreitet, und durch die neuen Hilfsquellen, die die Eroberung erschließt.
<106>Hätten im Jahre 1704 der Kurfürst von Bayern und Marschall Tallard Bayern nicht verlassen, um bis Blindheim und Höchstädt vorzugehen, sie wären die Herren von ganz Schwaben geblieben. Denn das Heer der Verbündeten konnte sich aus Mangel an Lebensmitteln in Bayern nicht halten und hätte sich bis zum Main zurückziehen und auflösen müssen. Es war also Mangel an Umsicht zur rechten Stunde, wenn der Kurfürst sein Schicksal, das ganz und gar nur bei ihm stand, der Entscheidung einer Schlacht anvertraute, einer Schlacht, die ewig denkwürdig und ruhmvoll für den deutschen Namen sein wird. Diese Unklugheit rächte sich durch die gänzliche Niederlage der Franzosen und Bayern106-1 und den Verlust Bayerns und alles Landes zwischen Oberpfalz und Rhein.
Die Verwegenheit hat gewiß etwas Besiechendes, was packt und blendet; aber sie hat nur eine schöne Außenseite, innerlich ist sie an Gefahren trächtig. Die Klugheit ist weniger lebendig an Gebärde, weniger glanzvoll in der Erscheinung, aber sie schreitet festen Fußes ihren Weg ohne Wanken. Von den Wagemutigen, die untergingen, spricht man nicht, nur von solchen, denen das Glück hold war — wie's auch mit Träumen und Vorhersagungen geht: auftausend falsche, die vergessen wurden, kommt eine ganz verschwindende Zahl solcher, die eintrafen, und deren erinnert man sich. Die Welt sollte eben alles Geschehen nach dem bewerten, was es herbeigeführt hat, nicht aber umgekehrt.
Ich schließe also: ein Volt setzt mit einem Fürsten von kühner Sinnesart viel aufs Spiel und sieht sich von ständiger Fährnis bedroht; ein umsichtiger Fürst hingegen, mag er auch zu großen Taten nicht berufen sein, bringt doch von Natur Gaben mit, die ihn mehr als jenen befähigen, ein Segen für die Völker unter seinem Zepter zu sein. Sind Eroberungen die Stärke der Wagemutigen, so ist die Stärke der Klugen die Erhaltung des Erworbenen.
Damit der eine wie der andere ein großer Mann werden, müssen beide im rechten Augenblick zur Welt kommen, sonst bringen ihre Gaben ihnen mehr Unsegen als Glück. Jeder Mensch von Nachdenken, vornehmlich jeder, den der Himmel zum Herrn über andere bestimmt hat, sollte sich einen Lebensplan zurechtlegen, ebenso durchdacht und geschlossen wie ein mathematischer Beweis. Wer sich getreulich an ein solches System hielte, hätte darin die Handhabe folgerechten und allezeit ziel, sicheren Handelns. Auf diese Weise wäre einer imstande, jeglicher Gestaltung der Dinge und jedem Ereignis das abzugewinnen, was ihm auf seinem Wege zum Ziel weiterhülfe, sodaß alles zur Ausführung seines Planes dienen müßte.
Wo aber sind die Fürsten, von denen wir so viele seltene Gaben verlangen? Es sind eben nur Menschen, und mit Recht wird man gestehen müssen, daß es ihnen, wie sie einmal geschaffen sind, schlechthin unmöglich ist, allen ihren Pflichten gerecht<107> zu werden. Eher fände einer den Phönix, von dem die Poeten erzählen, oder das letzte Grundprinzip aller Dinge, nach dem die Metaphysik sucht, als den Menschen Platos. Es ist billig, daß die Völker sich am Ringen ihrer Fürsten nach Vollkommenheit genug sein lassen. Am weitesten in diesem Streben werden die Fürsten kommen, die sich vom Fürstenbilde Machiavells mehr denn die anderen entfernen. Es ist nur recht und billig, daß man ihre Mängel sich gefallen lasse, wenn sie von Vorzügen des Herzens und redlichem Wollen aufgewogen werden — immer in dem Bewußtsein, daß es Vollkommenes in der Welt überhaupt nicht gibt und Irttum und Schwachheit aller Menschen Erbteil sind. Am glücklichsten ist das Land, wo gegenseitige Nachficht zwischen Herrscher und Untertanen waltend, über die Gesellschaft jene Stimmung liebenswürdiger Milde ausgießt, ohne die das Dasein zur schweren Bürde wird und die Welt aus einem Schauplatz der Freude ein Tal der Bittemisse.
<108>26. Kapitel
Über verschiedene Arten diplomatischer Verhandlungen und gerechte Ursachen zum Kriege.
Wir sahen, mit welchen Mitteln trüglicher Darstellung Machiavell in diesem Werke versucht, uns etwas vorzumachen, uns Verbrechernaturen als große Persönlichkeiten aufzuschwatzen.
Ich habe mich meinerseits bemüht, ihn zu widerlegen und die Welt, in der einem so oft ganz irrige Vorstellungen von der Staatskunst der Fürsten begegnen, eines Besseren zu belehren. Da wies ich nach, daß es nur eine Fürsienweisheit gibt: sein Bestes zu tun und im Staate möglichst der Vollkommenste zu sein; daß des Fürsten eigenster Vorteil ein Leben nach Recht und Gerechtigkeit von ihm erfordere, damit ihm die peinliche Zwangslage erspart bleibe, an anderen verdammen zu müssen, was er sich selber als ein gutes Recht nachgesehen. Mit glanzvollen Großtaten, die doch nur der Sättigung der Ehr- und Ruhmsucht dienen, ist gar nichts getan; jede Leistung für das Glück der Menschheit, jede Leistung, die drohendem Verderben vorbeugt, sieht unendlich höher an Wert. Darin erkannte ich das einzige Mittel für einen Herrscher, seinen Namen und Ruf auf Felsengrund zu bauen und sich's redlich zu verdienen, daß sein Ruhm ungetrübt und unverdunkelt bis auf die fernste Nachwelt komme.
Nun will ich hier zwei Betrachtungen anschließen; die eine betrifft die Arten diplomatischer Verhandlung, die andere gilt der Frage: wie sieht wohl für einen Herrscher ein vollwichtiger Anlaß aus, um sich auf einen offenen Krieg einzulassen?
Gesandte, die von ihren Fürsten an fremden Höfen gehalten werden, sind privilegierte Spione zur Überwachung des Königs, bei dem sie wellen. Ihre Aufgabe ist, hinter dessen Absichten zu kommen, jeden seiner Schritte aufzuklären, all seinen Handlungen auf den Grund zu gehen, um den eigenen Herrn auf dem Laufenden zu halten und ihn, sobald sie etwas wittern, was dem Vorteil des Gebieters Antrag tun könnte, rechtzeitig zu benachrichtigen. Ein Hauptgegensiand ihrer Sendung ist die Pflege des freundschaftlichen Einvernehmens zwischen den Herrschern; freilich sind sie nur zu oft, statt Meister der Friedenskunst, Werkzeuge des Krieges. Sie wissen mit dem Köder der Bestechung die geheiligtesten Bande des Geheimnisses zu lösen; sie<109> sind geschmeidig, gefällig, geschickt und verschlagen. Ihre Eigenliebe geht Hand in Hand mit ihrer Pflicht, und so dienen sie ihrem Herrn mit ganzer Hingebung.
Vor den Bestechungsversuchen und Kunstgriffen dieser Spione sollen Fürsten ja auf der Hut sein. Unbedingt muß die Regierung auf jeden ihrer Schritte ein Auge haben und über sie unterrichtet sein, um jede ihrer Maßregeln vorweg erraten und ihren gefährlichen Folgen zuvorkommen zu können, auch jedes Geheimnis vor den Augen dieser Luchse hüten, dessen Offenbarung die Klugheit verbietet. Ins Unberechenbare aber wächst ihre immer vorhandene Gefährlichkeit mit der wachsenden Wichtigkeit ihres Auftrags, alsdann können die Fürsten gar nicht streng genug das Verhalten ihrer eigenen Staatsdiener im Auge behalten, ob nicht etwa bereits ein Danae-Regen ihre Tugendsirenge gebrochen hat.
In Zeiten ernster Entscheidungen, wo es sich um Verträge und Bündnisse handelt, muß eines Herrschers Klugheit ganz besonders auf der Hut sein. Da soll er die Vertragspflichten, die er auf sich nehmen will, nach ihrer Tragweite in jeder Richtung prüfend zergliedern, ob ihre Erfüllung nicht etwa das Maß seiner Kräfte übersteige; da soll er sich die Verträge, die man ihm unterbreitet, ja nach allen Seiten genau auf ihre möglichen Folgen ansehen, ob hier auch eine Grundlage gefunden ist für seiner Völker Wohlergehen, ihren tatsächlichen Nutzen, oder ob sich's hier nur um einen Notbehelf des Augenblicks handelt, ein Machwerk der berechnenden List fremder Herrscher. Zu allen diesen Vorsichtsmaßregeln gehört aber auch eine gewissenhafte Prüfung aller Ausdrücke; da muß der Wortklauber von Grammatiker den Vortritt haben vor dem gewiegten Staatsmanne, damit Geist und Wortlaut des Vertrages leine falsche Auslegung erfährt. Soviel ist gewiß, auch Große haben noch nie die Zeit bedauert, die sie an ein Wägen vorm Wagen gewandt haben, weil sie in der Folge die Verbindlichkeiten, die sie eingegangen waren, nicht zu bereuen brauchten; zum mindesten hat, wer keinen Rat höherer Einsicht unberücksichtigt ließ, sich weniger Vorwürfe zu machen als der, der mit Feuer einen Entschluß faßte, um ihn mit Übereilung auszuführen.
Nicht alle Verhandlungen liegen in den Händen beglaubigter Gesandter; oft schickt man auch Leute ohne amtliche Eigenschaft an einen dritten Ort, um dort in völlig unverdächtiger Weise Vorschläge zu machen. Auf diese Art kamen die Präliminarien zum letzten Frieden zwischen dem Kaiser und Frankreich109-1 zustande, ohne Vorwissen des Reichs und der Seemächte. Bei einem am Rhein angesessenen Reichsgrafen ward dies Abkommen getroffen.
Viktor Amadeus109-2, gewandt und gewitzigt wie kein Fürst seiner Zeit, verstand sich ganz unvergleichlich auf die Kunst, seine Absichten in Dunkel zu hüllen. Mehr als einmal täuschte er die Welt mit seinen listigen Anschlägen, unter anderem, als der<110> Marschall Catinat in einer Mönchskutte und unterm Scheine priesterlicher Bemühung ums ewige Heil dieser Königsseele ihn der Partei des Kaisers abwendig und zu einem Anhänger der Sache Frankreichs machte. Die Verhandlung, immer unter vier Augen, ward mit solchem Geschick geführt, daß das neue Bündnis zwischen Frankreich und Sardinien den Staatsmännern jener Tage sich als eine unerwartete, unerhörte Erscheinung darstellte.
Dies Beispiel führe ich nicht etwa an, um das Verhalten von Viktor Amadeus zu rechtfettigen; meine Feder verzeiht einem Könige so wenig Falschheit, wie sie einem Bürger Untreue nachsieht; ich will lediglich darauf hinweisen, was geräuschlose Zurückhaltung und Gewandtheit unter Umstanden wert ist — Voraussehung bleibt dabei immer, daß unsere Zwecke nicht unwürdig und unredlich sind.
So gilt denn als allgemeine Regel, daß Fürsten für schwierige Verhandlungen die überlegensten Köpfe auswählen sollen, Männer, die nicht nur über die nötige Verschlagenheit und Geschmeidigkeit verfügen, um sich überall leicht Eingang zu schaffen, sondern auch den rechten Blick haben, um die Geheimnisse des Herzens aus dem Auge abzulesen, verstohlene Absichten der anderen aus ihren Gebärden, aus ihren scheinbar unverfänglichsten Handlungen, damit ihrem Spürsinne nichts entgehe und alles vor der Überlegenheit ihres Verstandes offen daliege.
Nur insoweit sollten Herrscher von Listen und Kunstgriffen Gebrauch machen, wie eine eben umschlossene Stadt sich der Leuchtkugeln bedient, das heißt, nur um die Pläne ihrer Feinde zu entdecken. Wenn sie im übrigen offen und aufrichtig vorgehen, werden sie unfehlbar das Vertrauen Europas gewinnen und ihr Gedeihen finden ohne schändliche Mittel, zu Macht und Bedeutung gelangen lediglich durch das, was sie persönlich wert sind. Alle Verhandlungen von Staat zu Staat haben naturgemäß nur einen Endzweck: das ist der Friede und das Wohlergehen des Landes. In diesem Mittelpunkt müssen alle Wege der Staatskunst immer wieder zusammenlaufen.
Die Ruhe Europas ist in erster Linie bedingt durch die Erhaltung jenes weisen Gleichgewichts, das darin besieht, daß dem Übergewichte einzelner Herrscher die vereinigten Kräfte der anderen Mächte die Wage halten. Jede Störung dieses Gleich, gewichtes beschwört die Gefahr einer allgemeinen Umwälzung herauf und des Emporkommens einer neuen Monarchie auf den Trümmern der Fürstentümer, die ihre Uneinigkeit schwach und kraftlos machte.
So scheint es eine Lebensfrage für die Fürsien Europas, niemals die Verhandlungen, Verträge und Bündnisse aus den Augen zu verlieren, durch die die Aufrechterhaltung eines gewissen Gleichgewichts unter den machtvollsten Herrschern ermöglicht wird, und ängstlich alles zu vermeiden, was das Unkraut der Zwietracht zwischen ihnen aussäen könnte; denn früher oder später würde es sich zu ihrem Verderben auswachsen. Ausgesprochene Vorliebe und Abneigung für und wider die eine oder andere Nation, Vorurteile nach Frauenweise, Zank und Händel der einzelnen, Neine Sonderzwecke, Belanglosigkeiten dürfen niemals den Blick eines Mannes<111> trüben, der ganzen Völkern ein Führer ist. Da heißt's, den Blick aufs Ganze richten und der Hauptsache ohne Zaudern Nebendinge zum Opfer bringen. Große Fürsten haben noch stets ihr eigenes Ich hinter dem einen Gedanken an das Staatswohl zurücktreten lassen; daß sie jeder Voreingenommenheit sich mit Gewissenhaftigkeit entledigt haben, um ihrer eigentlichen Aufgabe um so ungetellter zu gehören, versieht sich dabei von selbst. Die Abneigung der Nachfolger Alexanders, sich gegen die Römer zu verbünden, erinnert an den Widerwillen mancher Leute gegen den Aderlaß; dabei kann eine Versäumnis ein hitzig Fieber oder Blutspeien zur Folge haben, wo dann oft gar kein Mittel mehr hilft. So ist in Staatsfragen ein unparteiischer, von keinem Vorurteil beirrter Geist ebenso vonnöten wie in der Rechtsprechung: hier, um auf Schritt und Tritt dem Gebot der Weisheit treu zu bleiben, dort, um niemals wider das Gebot der Gerechtigkeit zu verstoßen.
Glücklich wäre die Welt daran, bedürfte es keiner anderen Mittel als der Verhandlungen, um dafür zu sorgen, daß Recht Recht bleibe, und um den Frieden unter den Völkern immer wieder herzustellen. Dann gäb's an Stelle der Waffen Gründe und Gegengründe, statt der Halsabschneidereien einen Austrag zwischen den Meinungen hüben und drüben. Es ist eine traurige Notwendigkeit, daß Fürsten sich einen letzten Weg offenhalten müssen, einen Weg, viel grausamer, verhängnisvoller und hassenswerter; es gibt Umstände, da muß Waffengewalt die Freiheit der Völker wider die Unterdrückung durch Unrecht schirmen, Fälle, da wir im guten nichts ausrichten und der Unbilligkeit abtrotzen müssen, was sie uns weigert, Fälle, da die Fürsien, die geborenen Schiedsrichter der Völkerzwisie, diese nicht anders zu schlichten wissen als im Messen ihrer Kräfte, indem sie ihre Sache dem Schlachtenlos anheimstellen. In solchen Fällen wird zur Wahrheit, was so gewagt klingt: ersi ein guter Krieg schafft und sichert einen guten Frieden.
Wir wollen uns nunmehr die Frage vorlegen, wann ein Herrscher einen Krieg verantworten kann, ohne sich Vorwürfe machen zu müssen über seiner Untertanen vergossenes Blut, wann es ohne zwingende Notwendigkeit und wann es aus Eitelkeit und Hoffahrt geschieht.
Von allen Kriegen die gerechtesten und unvermeidlichsten sind die Verteidigungskriege, sobald Feindseligkeiten ihrer Gegner die Fürsien zu wirksamen Gegenmaßregeln wider ihre Angriffe zwingen und sie Gewalt mit Gewall abwehren müssen. Dann liegt in der Stärke ihres Armes aller Schutz wider die nachbarliche Begehrlichkeit, und alle Bürgschaft für die Ruhe ihrer Untertanen in der Tapferkeit der Truppen: und genau wie der im Recht ist, der einen Dieb, den er just beim Einbruch ertappt, aus dem Hause jagt, so ist's eine Tat im Namen des Rechtes, wenn ein Großer oder ein König mit Waffengewalt einen Usurpator zwingt, aus seinen Staaten zu weichen.
Nicht weniger wohlbegründet als die genannten Kriege sind solche, mit denen ein Herrscher bestimmte Rechte oder bestimmte Ansprüche, die man ihm bestreiten will,<112> behauptet. Über Königen gibt's keinen Gerichtshof mehr, keine Obrigkeit hat über ihre Händel ein Urteil zu fällen, so muß denn das Schwert über ihre Rechte und die Stichhaltigkeit ihrer Beweismittel entscheiden. Das ist die Art, wie Fürsten ihren Rechtsstreit führen: mit den Waffen in der Hand; so zwingen sie, wenn's ihnen gelingt, ihre Neider, der Gerechtigkeit ihrer Sache die Bahn freizugeben. So dienen denn solche Kriege der Erhaltung des Rechtszustandes in der Welt und der Verhütung der Völkerknechtung: das heiligt ihre Anwendung, ja macht sie unerläßlich.
Auch Angriffskriege gibt's, die ihre Rechtfertigung in sich tragen, ebenso wie die eben besprochenen: es sind das die vorbeugenden Kriege, wie sie Fürsten wohlweislich dann unternehmen, wenn die Riesenmacht der größten europäischen Staaten alle Schranken zu durchbrechen und die Welt zu verschlingen droht. Man sieht ein Unwetter sich zusammenziehen, allein vermag man's nicht zu beschwören, da vereinigt man sich mit allen den Mächten, die gemeinsame Gefahr zu Schicksalsgefährten macht. Hätten sich gegen die Römermacht alle übrigen Völker zusammengetan, niemals hätte die so viele große Reiche zu stürzen vermocht; eine mit Weisheit entworfene Bundesgenossenschaft und ein Krieg, mit frischem Mut unternommen, hätten all jenen Plänen des Machthungers, deren Durchführung die Welt in Ketten schlug, vor der Zeit ein Ende bereitet.
Klugheit empfiehlt immer die Wahl des kleineren Übels und ein Handeln, solange man seines Handelns Herr ist. Besser also, zum Angriffskriege schreiten, solange man noch zwischen Ölzweig und Lorbeer zu wählen hat, als bis zu dem Zeitpunkt warten, wo alles so verzweifelt sieht, daß eine Kriegserklärung nur noch einen Aufschub der völligen Knechtung und des Unterganges um Augenblicke bedeutet. So quälend die Lage für einen Fürsien ist, ihm bleibt nichts Besseres, als seine Kräfte zu gebrauchen, bevor ihm die feindlichen Maßnahmen die Hände binden und ihm die Freiheit zu handeln nehmen.
Auch ein Bundesverhältnis kann Fürsien in die Kriege ihrer Verbündeten hineinziehen, wenn sie diesen die vertragsmäßig festgesetzten Hilfstruppen zuführen. Da Fürsten nun einmal nicht ohne Allianzen bestehen können, weU nur selten oder nie sich einer aus eigener Kraft zu halten vermag, so verpflichten sie sich zu gegenseitiger Hilfeleistung in der Not, zu wechselseitiger Stellung von Hilfstruppen in ganz bestimmter Zahl, eine Maßnahme, die der Erhaltung ihrer Stellung wie ihrer Sicherheit gleichermaßen dient. Erst der Gang der Ereignisse entscheidet darüber, wer von den Bundesgenossen die Vorteile ihres Verhältnisses genießt. Aber da die Gelegenheit, die heute dem einen Teilnehmer gewogen ist, morgen bei veränderter Sachlage dem hold sein kann, der die Hilfstruppen stellt, so ist es ein Gebot fürstlicher Weisheit, die Vertragspflicht heilig zu halten und sie mit peinlicher Sorgfalt zu erfüllen, um so mehr, als es im Interesse der Völker liegt, daß die Schutzmacht der Herrscher durch solche Bündnisse verstärkt und dadurch den Feinden furchtbarer gemacht wird.
<113>So sind denn also alle Kriege, die, nach strenger Prüfung, der Abwehr eines Usur pators, der Aufrechterhaltung wohlverbriefter Rechte, der Sicherung der Freiheit der Welt, der Notwehr wider Bedrückung und Gewalttat durch die Ehrgeizigen dienen, in Übereinstimmung mit den Forderungen des Rechtes und der Billigkeit. Beginnt ein Landesherr einen Krieg von dieser Art, so ist er unschuldig an allem vergossenen Blut: er befand sich in der Zwangslage, zu handeln, und unter solchen Umständen ist der Krieg ein geringeres Übel als der Friede.
Der Gegenstand bringt mich von selbst auf die Fürsten, die mit dem Blute ihrer Untertanen einen niederträchtigen Schacher treiben. Ihre Truppen gehören dem Meistbietenden. Das ist die reine Versteigerung, wo die, die in Form von Subsidien das größte Angebot machen, die Soldaten dieser unwürdigen Landesfürsten zur Schlachtbank führen. Erröten müßten sie ob ihrer Verkommenheit, das Leben von Menschen zu verkaufen, die sie landesväterlich beschützen sollten! Diese kleinen Tyrannen sollten die Stimme der Menschlichkeit hören, die einen solchen grausamen Mißbrauch der Macht verabscheut, die ihnen darum auch jede Würdigkeit abspricht, eine höhere Stufe einzunehmen und eine Krone zu tragen.
Über Religionskriege habe ich im einundzwanzigsten Kapitel zur Genüge meine Meinung geäußert113-1. Hier nur so viel, daß ein Herrscher alles daransetzen soll, sie zu vermeiden; zum mindesten sei er klug genug, die Fragestellung zu ändern, so wird er wenigstens die giftige Erbitterung und schonungslose Roheit etwas mildern, die von jeher die unzertrennlichen Begleiter aller Parteihändel und Glaubensstreitigkeiten gewesen sind. Im übrigen ist kein Wort zu scharf für den verbrecherischen Mißbrauch, der sich für jegliches Tun der Worte: Gerechtigkeit und Billigkeit anmaßt, der sich der gottlosen Lästerung nicht schämt und mit seinem abscheulichen Machtstreben sich hinter den Namen des Höchsten steckt. Es gehört eine grenzenlose Verruchtheit dazu, die Welt mit so dreistem Vorgeben betrügen zu wollen. Die Fürsten sollten wirklich mit dem Blute ihrer Völker einigermaßen haushälterisch umgehen und nicht durch unsinnigen Mißbrauch der Tapferkeit ihrer Krieger deren Leben verschleudern.
Der Krieg ist ein solcher Abgrund des Jammers, sein Ausgang so wenig sicher und seine Folgen für ein Land so verheerend, daß sich's die Landesherren gar nicht genug überlegen können, ehe sie ihn auf sich nehmen. Ich rede garnicht von all der Unbill und allen Gewalttaten, die sie an ihren Nachbarn begehen, ich beschränke mich nur auf das UnheU, das über ihre eigenen Untertanen hereinbricht.
Ich bin überzeugt, sähen die Könige einmal ein schonungsloses Bild von all dem Elend des Volkes, es griffe ihnen ans Herz. Doch ihre Einbildungskraft ist nicht lebendig genug, sich all die Leiden, die an ste in ihrer Stellung gar nicht herankommen, in ihrer wahren Gestalt vorzustellen. Man sollte einem Herrscher, den feuriger<114> Ehrgeiz zum Kriege treibt, all das Verhängnis in seiner Gefolgschaft, das seine Untertanen auszubaden haben, einmal vor die Augen rücken: die Steuerlast, unter der das Voll erliegt, die Aushebungen, die einem Lande seine gesamte Jugend hinwegnehmen, in den Heeren die ansteckenden Seuchen, wo Tausende elendiglich zugrunde gehen; diese mörderischen Belagerungen, die noch grausameren Schlachten, die Verwundeten, Verkrüppelten, die mit ihren Gliedern das letzte Mittel, ihr Dasein zu fristen, einbüßen; all die Waisen, denen das feindliche Eisen die genommen hat, die sie vor Todesgefahr zu decken wußten, sie, die nun ihrem Fürsten der Kinder Leben, alles, was die nährte und erhielt, zum Opfer gebracht haben; soviel dem Staate wertvolles Leben geerntet, ehe es reif ward! Kein Tyrann hat noch je solche Schrecknisse kalten Blutes zu begehen vermocht. Ein Fürst, der einen ungerechten Krieg anfängt, ist grausamer denn ein Tyrann. Er bringt seiner ungebärdigen Leidenschaft das Leben, das Glück, die Gesundheit von Tausenden zum Opfer, die er beschützen und glücklich machen müßte, anstatt sie so leichtherzig den bittersten Heimsuchungenvor denen die Menschheit zu bangen hat, preiszugeben. Genug, die Walter und Herren der Welt können nicht vorsichtig und umsichtig genug jeden ihrer Schritte bedenkenkönnen nicht sparsam genug mit dem Leben der Ihren geizen; denn jene sind ja nicht ihre Hörigen, sie sollen ihresgleichen in ihnen sehen, in gewissem Sinne ihre Gebieter. Ehe ich schließe, eine Bitte an die fürstlichen Leser: keiner darf sich durch die Freiheit, mit der ich hier zu ihm sprach, gekränkt fühlen. Aufrichtigen Herzens, ohne je, mandem zu schmeicheln, nur der Wahrheit die Ehre zu geben, das war mein Bestreben. Ich habe von den jetzt regierenden Fürsien eine zu hohe Meinung, um sie nicht für würdig zu halten, die Wahrheit anzuhören. Vor Unmenschen, Tyrannen, vor einem Tiberius, einem Borgia muß man mit ihr zurückhalten; sie schlüge ihren Verbrechen, ihrer Schurkerei allzu grob ins Angesicht. Dank sei dem Himmel, unter den Herrschern Europas findet sich kein einziger Unhold dieser Art. Doch das wissen wir, wie sie selber auch, daß sie über Menschenschwachheit keineswegs erhaben sind, und das schönste Lob ist^s für sie, wenn ich sage: vor ihnen darf man kühnlich alle Schuld der Könige geißeln, jeglichen Verstoß wider die Gerechtigkeit und wider menschliches Empfinden.
103-1 Am 1. Februar 1702.
104-1 Es handelt sich um das Präliminar-Abkommen vom Oktober 1711, das dann durch den Frieden von Utrecht 1713 definitiv bestätigt wurde.
104-2 Anna Masham.
104-3 Der französische Marschall Graf Camille Tallard war in der Schlacht bei Höchstädt (vgl. S. 106) gefangen und darauf nach London gebracht worden. Seine Erwähnung in diesem Zusammenhange erklärt sich dadurch, daß Friedrich in dem ersten, noch nicht veröffentlichten Entwurf des „Antimachiavell“ gesagt hatte, jene Palastdame, Lady Masham, habe auf Seite der Torys gestanden und sei „überdies von Marschall Tallard geWonnen worden“. Diese Angabe blieb dann in der obigen Fassung fort.
106-1 Am 13. August 1704 schlugen Prinz Eugen und Marlborough den Kurfürsten Maximilian Emanuel und die Franzosen unter Tallard bei Höchsiädt und Blindheim.
109-1 Der Wiener Präliminarvertrag vom Oktober 1735, der dem Polnischen Erbfolgelrieg ein Ende setzte und durch den Wiener Frieden von 1738 definitiv bestätigt wurde. Die Verhandlungen gingen durch die Hand des Grafen von Neuwied.
109-2 Viktor Amadeus II. (vgl. S. 43).
113-1 Vgl. S. 87.
13-1 Vgl. S. 20.
14-1 Stanislaus Leszczynsti war von 1704 bis 1709 und darauf von 1733 bis 1738 nochmals König von Polen.
14-2 Anspielung auf den Polnischen Erbfolgekrieg (1733—1735), der Kaiser Karl dem Sechsten das Herzogtum Lothringen, die Krone von Neapel und Sizilien und einen Teil der Lombardei kostete.
16-1 Heinrich III. († 1589), Heinrich IV. († 1610).
18-1 Gemeint sind vor allem die Unruhen der Fronde während der Minderjährigkeit König Ludwigs XIV.
18-2 Dieser offen gegen die französische Politik und ihren Leiter, Kardinal Fleury, gerichtete Absatz ist in der zur Veröffentlichung gelangten Fassung des Antimachiavell fortgeblieben.
19-1 Fénelon.
21-1 Vgl. S. 12.
23-1 Hieron II., König von Syrakus (306—215).
23-2 Seit Anfang des 17. Jahrhunderts hatten die Jesuiten in Paraguay ein theokratisch geordnetes Staatswesen geschaffen.
23-3 Durch einen Volksaufstand am 7. Juli 1647 wurde der Fischer Masaniello Herr von Neapel, siel aber schon am 16. Juli durch Mörderhand.
24-1 Heinrich I. von Lothringen, Herzog von Guise, der Stifter der heiligen Liga gegen König Heinrich III. von Frankreich und auf Befehl des Königs 1588 umgebracht.
24-2 Machiavell hatte die Behauptung aufgestellt, daß nichts größere Schwierigkeiten in der Ausführung biete und von zweifelhafterem Erfolge sei, als sich zum Haupt einer neuen Staatsordnung zu machen, daß die Anwendung von Gewalt indessen fast stets zum Erfolge führe. „Daher haben alle bewaffneten Propheten den Sieg davongetragen, die unbewaffneten aber sind zugrunde gegangen.“
26-1 In seiner 1699 veröffentlichten Schrift „Abenteuer Telemachs“.
27-1 Giovanni († 1497).
27-2 Lucrezia.
27-3 Vanozza de Catanei.
27-4 Guidobaldo von Montefeltro.
29-1 August II.(† 1733).
30-1 Graf Horn wurde nach dem Verlust seines Vermögens 1568 mit dem Grafen Egmont in Brüssel hingerichtet.
30-2 Bossuet.
30-3 Fléchier.
30-4 Der jüngere Plinius.
30-5 Julius II. (1503—1513).
30-6 König Johann von Navarra (1484—1516).
32-1 Die „Odes philippiques“ von Joseph de La Grange-Chancel (1677—1758) waren gegen den Regenten Herzog Philipp von Orleans gerichtet.
32-2 Tyrann von Syrakus (361—289).
32-3 Gestalten des französischen Ritterromans „Amadis“.
33-1 Quintus Curtius Rufus war der Verfasser der „Historiae Alexandri Magni“.
33-2 Stanislaus Leszczynski (vgl. S. 14).
33-3 Statt des Inderfürsien Porus ist Abdolonymos, König von Sidon, gemeint.
33-4 „Voleurs et des tours de geux“ — wie Voltaire den Titel angibt — von Legrand und Riccoboni. Cartouche ward 1721 in Paris hingerichtet.
34-1 Archagathos.
35-1 Dionysius I., Tyrann von Syrakus (431—367).
35-2 Iwan IV., der Schreckliche (1533—1584).
39-1 Vgl. Bd. II, S. 28.
42-1 Herzog Ernst August von Sachsen-Weimar, dessen Truppen Friedrich 1730 im Lager von Mühl, berg gesehen hatte.
43-1 Viktor Amadeus II., König von Sardinien (1666—1732).
43-2 Vielmehr Salmoneus, König von Elis.
45-1 Vgl. Boileau-Despreaux, Sat. IX:
Qui méprise Cotin, n'estime point son roi
Et n'a, selon Cotin, ni Dieu ni foi ni loi.
48-1 Gemeint ist der König von Preußen.
49-1 Vgl. Bd. II, S. 32.
52-1 Im Spanischen Erbfolgelrieg.
52-2 Die Könige von Dänemark, Preußen und Zar Peter der Große.
52-3 Stanislaus Leszczynski (vgl. S. 14).
53-1 Machiavell zog aus dem Gleichnis von Davids Weigerung, die Waffen Sauls anzulegen, den Schluß: „Fremde Waffen fallen ab oder sie sind zu schwer oder sie erdrosseln dich.“
53-2 Vgl. S. 23.
57-1 Vgl. Jean Baptiste Rousseau, Oden, Buch II, Ode X.
58-1 Großherzog Franz Stephan von Toskana geriet auf der Jagd bei Kolar in Serbien 1737 beinahe in türkische Gefangenschaft.
62-1 Mir-Weis ermordete 1709 den Fürsten von Candahar und bemächtigte sich des Thrones, den er bis zu seinem Tode (1717) innehatte.
66-1 Bankier in Paris.
66-2 Bankier in Amsterdam.
66-3 PHUopömen, griechischer Feldherr, Haupt des Achäischen Bundes (253—183).
66-4 Heinrich de la Tour d'Auvergne, Vicomte Turenne († 1675) und Nicolas de Catinat († 1712), französische Feldherren.
72-1 Dieses Wort wird Johann II., dem Guten, König von Frankreich, zugeschrieben.
73-1 Spanischer Staatsmann.
73-2 Gemeint ist Kaiser Karl VI.
74-1 Der Kardinal Melchior von Polignac war der Verfasser eines lateinischen Gedichtes „Der Antilucrez“.
77-1 Während Karl XII. in Bender vergeblich die Türken zum Kampfe gegen Rußland zu bestimmen suchte, ging ein Stück seines Reiches nach dem anderen verloren.
78-1 Machiavell führte aus, daß in den wohlgeordneten und gut regierten Staaten seiner Zeit zahllose gute Einrichtungen beständen, die die Sicherheit und Freiheit der Fürsten schirmten, indem sie einerseits den Ehrgeiz und Übermut der Großen in Zaum hielten und andrerseits das Volk zufriedenstellten.
78-2 Vgl. S. 16.
78-3 Die im folgenden aufgeführten römischen Kaiser sind Mark Aurel (161—180), Commodus (180—192), Pertinax (193), Septimius Severus (193—211), Caracalla (211—217), Macrinus (217), Heliogabalus (218—222), Alexander Severus (222—235), Maximinus (235—238), Gordianus I. und Gordianus II. (237).
80-1 Pescennius Niger machte dem Kaiser Septimius Severus die Herrschaft im Osten streitig.
83-1 Wilhelm III., Prinz von Oranien, Erbstatthalter der Niederlande, seit 1689 nach Vertreibung König Jakobs II. König von England († 1702).
84-1 Vgl. S. 42.
86-1 Ferdinand der Katholische, König von Spanien (1479—1516).
86-2 Bernhard Visconti, Herr von Mailand (1354—1385).
88-1 pro Ligario, cap. 12.
88-2 Hier liegt ein Irrtum vor, da Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst, Rußland, wenngleich erfolglos, um Unterstützung bat. Durch den Sieg bei Fehrbellin am 28. Juni 1675 zwang er die Schweden zum Rückzug.
9-1 Herzog Leopold († 1729), vermählt mit Elisabeth Charlotte von Orleans, war der Vater von Kaiser Franz I., dem Gemahl Maria Theresias, der 1736 Lothringen gegen das Großherzogtum Toskana vertauschen mußte.
90-1 Noël Coypel (1628—1707) und Charles le Brun (1619—1690), französische Maler.
90-2 Thomas Regnaudin (1627—1706), französischer Bildhauer.
90-3 Der Übergang über den Niederrhein bei Tolhuys 1672 bei Beginn des Feldzugs gegen Holland, der den Franzosen den Weg in die nieder, ländische Republik öffnete.
90-4 Die Einnahme von Mons erfolgte am 9. April 1691.
90-5 Durch die Weigerung des Marschalls von Frankreich, Graf Ferdinand Marsin, dem Feinde, der zum Entsatz von Turin herbeieilte, entgegenzugehen, wie der Herzog Philipp von Orleans es wollte, ging die Schlacht bei Turin (7. September 1706) für die Franzosen verloren.
91-1 pro Archia poeta, cap. 7.
93-1 Vgl. S. 70f.
99-1 Der französische Philosoph Jean Buridan aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts bediente sich des Beispiels von dem Esel zwischen zwei Heubündeln, der starb, da er sich für keines der beiden zu entscheiden vermochte.