3. Kapitel
Von Herrschaften gemischter Art.
Das fünfzehnte Jahrhundert war gleichsam das Kindheitsalter der Kunst. Lorenzo der Medizeer erweckte sie in Italien durch seinen Schutz zu einem neuen Leben, doch war die Lebenskraft dieser Künste und Wissenschaften zu den Tagen Ma-chiavells noch zart, als wären sie eben von langem Siechtum erstanden. Philosophie und Geometrie waren wenig oder gar nicht vorangekommen, ein folgerichtiges Denken, wie man's in unsern Tagen übt, noch in weitem Felde. Selbst die Gelehrten erlagen dem Zauber jeder glanzvollen äußeren Erscheinung. Damals gab man dem düsteren Ruhm der Eroberer, ihren Aussehen erregenden Taten, die sich durch ihre Großartigkeit eine gewisse Achtung erzwingen, den Vorzug vor der Milde, der Ge-rechtigkeit, der Gnade und allen Tugenden; heute stellt man die Menschlichkeit höher als alle Eigenschaften eines Eroberers und ist von dem Wahnwitz gehellt, die wilden und grausamen Leidenschaften, die es auf den Umsturz der Welt und die Vernichtung tausendfachen Lebens absehen, noch obenein zu feiern und zu ermutigen. Über allem thront die Gerechtigkeit, vom Heldentum des Eroberers und von seinen kriegerischen Gaben mag man nichts mehr wissen, sobald sie Verderben drohen.
Machiavell mochte, vom Standpunkt seiner Zeit aus, noch sagen, der Eroberungsdrang liege in der Menschennatur, und des Eroberers Ruhm sei erhaben über jeden Zweifel. Wir entgegnen ihm heut: wohl ist der Wunsch, sein Gut zu wahren und auf rechtmäßige Weise zu mehren, der menschlichen Natur eigen, aber die Gier nach immer mehr ist nur das Merkmal ganz niedrig gearteter Seelen; ein Verlangen, sich vom Raube am Nächsten zu vergrößern, wird im Herzen eines anständigen Menschen, der Wert auf die Achtung der Welt legt, nicht so leicht Eingang finden.
Mit der Lehre Machiavells könnte höchstens ein einziger Mensch in der Welt etwas anfangen, der sich dann daran machen müßte, die ganze andere Menschheit auszurauben. Wollten viele Herrennaturen sich als Eroberer auftun, einer dem andern das Seine entreißen — welch ein Drunter und Drüber! Wenn sie, neidisch auf alles, was sie nicht haben, nur daran dächten, alles an sich zu reißen, zu verwüsten, jedem das Seine zu rauben! Schließlich gäb's nur einen Herrn der Welt, den Erben<11> des Besitzes aller, den er freilich nicht länger wahren könnte, als es die Herrschbegier des ersten besten, der da käme, zuließe.
Was kann einen Menschen, frage ich, dazu bringen, seinen Machtbereich erweitern zu wollen? Was kann ihm den Mut geben zu dem Entschlusse, seine Macht zu errichten auf dem Elend und dem Untergange anderer Menschen? Und wie vermag er zu glauben, daß er sich Ruhm und Ehre sichere, indem er nichts als Jammer verbreitet? Neue Eroberungen eines Herrschers machen die Staaten, die er bislang besaß, nicht gesegneter und reicher; nichts haben seine Völker davon, und wenn er sich einbildet, er werde dadurch glücklicher werden, so tauscht er sich. Sein Ehrgeiz wird sich auf diese eine Eroberung nicht beschranken wollen; so wird er unersättlich und damit stets unzufrieden mit sich selber sein. Wieviel große Fürsien lassen durch ihre Heerführer Länder erobern, die sie niemals zu sehen bekommen! So sind das gewissermaßen nur eingebildete Eroberungen, fast ohne jeden Wirklichkeitswert für die, in deren Namen sie geschehen. Auf das Elend von Tausenden läuft's hinaus, um die ausschweifenden Wünsche eines einzigen zu befriedigen — eines einzigen, der oft vielleicht nicht einmal verdient, daß die Welt seinen Namen kennt!
Aber nehmen wir an, dieser Eroberer unterwerfe seiner Herrschaft die ganze Welt: wird er sie darum auch regieren können? Und wär' er ein Fürst, noch so groß, er bleibt ein Wesen von eng begrenztem Wirkungsbereich, ein Atom, ein armselig Geschöpf, das, kaum bemerkbar, an der Erdoberfläche dahinkriecht. Kaum daß er die Namen seiner Länder behält, und all seine Größe wird ihn erst in all seiner Bedürftigkeit bloßstellen.
Auch ist gar nicht die Ausdehnung seines Herrschbereichs des Fürsten Ruhm; der Hängt nicht von einem Mehr oder Minder von Landmeilen ab — das hieße ja Ehre und Würde nach der Zahl der Quadratruten messen.
Ein mannhafter Sinn, ein offener Kopf, Erfahrungsfülle und Macht über die Gemüter, das sind gewiß Züge im Bilde des Eroberers, die auch an sich ihre Bewunderer finden werden; doch mißbrauchen wird solche Gaben nur Herrschbegier und Bosheit des Herzens. Ruhm gewinnt sich allein, wer seine Kräfte daran setzt, daß Recht Recht bleibe, und zum Eroberer nur wird, wenn die Not, nicht aber sein wilder Sinn es gebietet.
Es ist mit dem Kriegshelden wie mit dem Wundarzte: wenn er durch schonungslosen Eingriff ein Menschenleben rettet, schätzt man ihn hoch, verabscheut ihn aber, sobald er durch einen schändlichen Mißbrauch seines Berufes ohne Not dergleichen vornimmt, nur um seine geschickte Hand bewundern zu lassen.
Nein, nicht immer nur auf den eigenen Vorteil soll der Mensch bedacht sein; täten alle so, wo bliebe dann noch die Gesellschaft? Statt seine Sondervorteile hinter dem Gemeinwohl zurücktreten zu lassen, würde das allgemeine Beste ja das Opfer jener werden. Warum nicht lieber einstimmen in diesen köstlichen Einklang, der Reiz und Wärme dem Leben gibt, der Gesellschaft Gedeihen? Warum nicht lieber groß sein,<12> indem man die anderen sich verpflichtet, indem man sie mit Guttat überhäuft? Man soll sich doch stets gegenwärtig halten den Grundsatz: Was du nicht willst, daß man dir tu, das füge keinem andern zu. Dann käme keiner mehr auf den Einfall, sich der Besitztümer des Nächsten zu bemächtigen, wäre jeder mit seinem Glücksstande zufrieden.
Der Wahn von der Erobererherrlichkeit mochte zu Machiavells Zeit allgemein verbreitet sein; für seine Nichtswürdigkeit ist er zuversichtlich allein verantwortlich. Was schlägt er für abscheuliche Mittel zur Behauptung von Eroberungen vor! Bei Licht besehen, ist nicht eins darunter, das vernünftig oder gerecht wäre: „Ausgetilgt den Fürstenstamm, der vor eurer Eroberung an der Herrschaft war!“ so rät dieser Nichtswürdige. Kann man dergleichen Lehren ohne Schauder und Entrüstung lesen? Das heißt mit Füßen treten, was es an Heiligem und Unverletzlichem auf Erden gibt, und von allen Gesetzen gerade das umstürzen, was dem Menschen am höchsten stehen soll; das heißt der nackten Selbstsucht die Wege jedes gewalttätigen Verbrechens bahnen, Verrat, Mord und Totschlag und was es sonst noch Verruchtes auf der Welt gibt, gutheißen.
Wie konnte nur eine Obrigkeit die Veröffentlichung der ruchlosen Staatslehre eines Machiavell zulassen? Wie konnte man diesen fluchwürdigen Verbrecher in der Welt sein Wesen treiben lassen, der jedes Recht auf Besitz und Lebenssicherheit über den Haufen wirft — ein Recht, das den Menschen heilig ist wie keines sonst, das der Gesetzgeber ernst nimmt wie kein zweites, das unverletzlichste nach den Geboten der Menschlichleit. Wie? Wenn ein Ehrgeiziger sich mit bewaffneter Hand der Staaten eines Fürsten bemächtigt hat, soll er das Recht haben, jenen mit Dolch oder Gift aus dem Wege räumen zu lassen? Daß nur der Brauch, den er da aufbringt, sich nicht verhängnisvoll gegen den Eroberer selber kehre! Ein Zweiter, noch ehrgeiziger, noch geschickter denn er, wird Gleiches mit Gleichem vergelten, wird in seine Staaten einbrechen und ihn unter gleichem Rechtsbruch ums Leben bringen, wie er seinen Vorgänger. Welche uferlose Hochflut von Untat, Grausamkeit, Roheit, wobei aller Glaube an die Menschheit verzweifeln möchte! Solch ein Königtum wäre wie ein Reich von Wölfen, dem freilich ein Tiger wie Machiavell als Gesetzgeber geziemte. Gälte nur noch Verbrechen in der Welt, so wäre damit die Ausrottung des Menschengeschlechts gegeben; ohne Herrschaft der Sittlichkeit gibt's keine Sicherheit für Menschen.
Der zweite Grundsatz, den Machiavell aufstellt, heißt: „Ein Eroberer soll seinen Sitz in seinem neuerworbenen Gebiete ausschlagen.“ Darin liegt durchaus keine Härte, in mancher Hinsicht hat der Gedanke sogar etwas für sich; nur muß man bedenken, die Mehrzahl der Staaten der großen Fürsten wird ihrer ganzen Lage nach eine Entfernung des Herrschers aus dem Herzen seines Reiches ohne fühlbare Nachteile für den Staat kaum zulassen; geht doch vom Herrscher alle lebendige Kraft im Staatskörper aus; scheidet er also aus dessen Mittelpunkt, so werden notwendigere weise die Glieder verkümmern.
<13>Ein dritter Grundsatz seiner Staatslehre heißt: „In neueroberten Ländern soll man Siedlungen anlegen, so wird man sich die Treue der neuen Bürger sichern.“ Der Verfasser beruft sich darauf, daß es die Römer so gehalten, und tut sich was darauf zugute, wenn er hier und da in der Geschichte Beispiele ähnlicher Ungerechtigkeiten, wie er sie empfiehlt, vorfindet. Dies Verfahren der Römer war ebenso ungerecht wie alt. Mit welchem Rechte tonnten sie rechtmäßige Besitzer von Haus, Boden und Habe vertreiben? Weil man's straflos tun kann, ist Machiavells Begründung, da die Entrechteten arm und zur Rache zu schwach sind. Welch ein Gedankengang ! Du bist mächtig, deine Untergebenen sind schwach, also kannst du sie ohne Scheu vergewaltigen. So wär's also nur die Furcht, was den Menschen vom Verbrechen abhalten kann — nach Machiavell. Allein kraft welches Rechtes darf sich denn ein Mensch so unbeschränkte Gewalt über seinesgleichen anmaßen, daß er frei mit ihrem Leben und ihrem Eigen schaltet, und wenn's ihn gut dünkt, sie dem Elend preisgibt? Sicherlich, so weit geht auch Erobererrecht nicht. Sind denn die Gemeinschaften nur gebildet und hergerichtet als Opfer für die sinnlose Leidenschaft niedriger Selbstsucht und Ehrgier? Ist diese Welt nur dazu da, die Tollheit und Wut eines entarteten Tyrannen zu sättigen? Kein vernünftiger Mensch wird jemals dergleichen Ansichten behaupten, es müßte ihn denn maßlose Ehrbegier blind machen und in ihm die Helle des gesunden Menschenverstandes und menschlichen Gefühles verdunkeln.
Grundfalsch ist es, daß ein Fürst straflos unrecht tun könne: Mögen seine Untertanen ihn nicht auf der Stelle dafür strafen, mag selbst der Blitz des Himmels ihn nicht zerschmettern, wenn das Maß voll ist — sein Ruf in der Welt wird doch dahin sein, sein Name wird unter denen genannt werden, die der Schrecken der Menschheit heißen, und der Abscheu seiner Untertanen wird seine Strafe sein. Was sind das für politische Grundsätze: nur kein Unrecht halb tun, lieber mit Stumpf und Stiel ein Volk ausrotten, oder wenigstens es so schinden und so gründlich knechten, daß es euch niemals mehr gefährlich sein kann, das letzte Fünkchen der Freiheit zertreten und die Zwingherrschaft bis auf den Eingriff in das Eigen, die Gewalttat bis auf das Leben der Herrscher ausdehnen! Nein, eine größere Abscheulichkeit ist undenkbar. Solche Regeln sind ebenso unwürdig einer gesunden Vernunft wie eines redlichen Herzens. Da ich diesen Punkt im fünften Kapitel des längeren zu widerlegen gedenke13-1, verweise ich den Leser dahin.
Sehen wir nun zu, ob diese Siedlungen, die nach Machiavell dem Fürsten einen solchen Aufwand von Untaten lohnen sollen, wirklich so wertvoll sind, wie der Verfasser behauptet. Entweder schickt man in das neueroberte Land Kolonisten stark an Kopfzahl oder nur schwach. Im ersten Fall wird der eigene Staat bedenklich entvölkert und im eroberten eine große Schar der neuen Untertanen verjagt — das<14> schwächt nur die Kräfte eines Fürsten; denn seine höchste Macht besieht in der großen Zahl derer, die ihm gehorchen. Im anderen Fall wird eine schwache Kopfzahl an Siedlern euch schwerlich für die Sicherheit in dem eroberten Gebiete stehen können, da diese Handvoll Menschen nicht gegen die Eingesessenen aufkommen kann. So werden die, so ihr von Haus und Hof jagt, ins Elend kommen, ohne daß ihr Gewinn davon habt.
Viel besser also, man schickt Truppen in die neu unterworfenen Gebiete; die bringen Zucht und Ordnung mit, drücken die Bevölkerung nicht und fallen auch den Städten, wo man ihnen Standorte anweist, nicht zur Last. Freilich zur Steuer der Wahrheit muß ich hier bemerken: zur Zeit Machiavells waren die Truppen etwas ganz anderes als heutzutage. Die Landesherren unterhielten keine großen Heere, jene Truppen waren meist nur Räuberhaufen, die gemeiniglich nur von Gewalttat und Raub lebten; von Kasernen wußte man noch nichts, ebensowenig von den tausenderlei Dienstvorschriften, die in Friedenszeiten der Frechheit und Liederlichkeit der Soldateska einen Zügel anlegen.
In bedenklichen Fällen, das ist mein Grundsatz, scheinen die glimpflichsten Maßnahmen stets die besten.
„Ein Fürst soll die kleineren Nachbarfürsien an sich ziehen, sich zu ihrem Schirm, Herrn aufwerfen und Zwietracht zwischen ihnen säen; so wird er's in der Hand haben, sie zu erheben oder zu erniedrigen.“ So der vierte Satz Machiavells — fürwahr die Lehre eines Mannes, der glauben möchte, die Welt sei nur für ihn geschaffen. Die frevelhafte Tücke Machiavells erfüllt sein ganzes Werk gleich dem Gestank eines Schindangers, der ringsum die Luft verpestet. Ein anständiger Mensch würde den Mittler spielen unter jenen kleinen Fürsten, ihre Händel gütlich schlichten und sich ihr Vertrauen durch seine Redlichkeit, seine unverkennbare Unparteilichkeit bei ihren Zwistigkeiten und seine völlige Uneigennützigkeit verdienen. Seine Macht gäbe ihm die Stellung eines Vaters unter seinen Nachbarn, nicht ihres Bedrückers, und seine Größe wäre ihr Schutz, nicht aber ihr Verderben.
Freilich, Fürsten, die anderen zum Aufstieg verhelfen wollten, haben damit oft sich selbst ihren Niedergang bereitet; unser Jahrhundert weist hierfür zwei Beispiele auf: das Karls des Zwölften, der Stanislaus auf den Thron von Polen erhob14-1, und ein anderes noch jüngeren Datums14-2.
Mein Schluß lautet demnach: Thronraub verdient niemals Ruhm; Meuchelmord wird zu aller Zeit ein Abscheu des Menschengeschlechtes sein; Herrscher, die sich mit Unrecht und Gewalttat an ihren neuen Untertanen vergehen, werden sich die Herzen aller entfremden, anstatt sie zu gewinnen. Rechtfertigung des Verbrechens ist ein Unding; wer je die Sache des Unrechts führen will, wird ebenso zum Erbarmen<15> schiefe Denkwege wandeln müssen wie Machiavell. Der verdient seine Vernunft zu verlieren und mit seinem Gerede als unzurechnungsfähig dazustehen, der einen so schändlichen Mißbrauch von der Gabe des Denkens wagt, daß er sie gegen das Wohl der Menschheit kehrt. Das heißt, sich mit einer Waffe verwunden, die uns nur zu unserer Verteidigung gegeben ward.
Ich wiederhole, was ich im ersten Kapitel gesagt habe: Die Fürsten sind zu Richtern der Völker geboren; was sie groß macht, hat seinen Ursprung in der Pflege des Rechtes. Niemals dürfen sie also die Grundlage ihrer Macht und die ursprüngliche Bestimmung ihres Amtes verleugnen.
13-1 Vgl. S. 20.
14-1 Stanislaus Leszczynsti war von 1704 bis 1709 und darauf von 1733 bis 1738 nochmals König von Polen.
14-2 Anspielung auf den Polnischen Erbfolgekrieg (1733—1735), der Kaiser Karl dem Sechsten das Herzogtum Lothringen, die Krone von Neapel und Sizilien und einen Teil der Lombardei kostete.