7. Kapitel
Von neuen Fürstentümern, die fremder Hilfe und dem Glück zu verdanken sind.
Schriftsteller hat es schwer, will er uns nicht dahinterkommen lassen, wes Geistes Kind er ist; bei dem vielen Reden und der Verschiedenheit seiner Gegenstände wird ihm notwendigerweise immer wieder hier und da ein unbedachtes Wort entschlüpfen, wodurch ganz in der Stille ein Bild seines inneren Menschen zustande kommt.
Vergleichen wir Fénelons Fürsten26-1 mit dem Machiavells, so haben wir dort das Seelengemälde eines Ehrenmannes voll Güte, Gerechtigkeit und Billigkeit, kurz alle menschlichen Vorzüge in großartigster Vollendung, als wäre es eines jener rein geistigen Wesen, deren Weisheit, sagt man, zur Hüterin der Weltordnung berufen ist. Auf der andern Seite haben wir verbrecherische Gesinnung, Schurkerei, Tücke, Verrat und jede Ruchlosigkeit, mit einem Wort einen Unhold, wie ihn kaum die Hölle hervorbrächte. Fühlen wir uns bei Fenelons „Telemach“ den Engeln wesensverwandt, so scheint die Menschennatur, liest man den „Fürsten“ Machiavells, den Höllengeistern nicht allzu fern zu siehn. Cäsar Borgia oder der Herzog von Valentinois, das ist das<27> Urbild, nach dem der Verfasser seinen Fürsten gestaltet, solch ein Muster mutet er schamlos denen zu, die es mit Hilfe ihrer Freunde oder ihrer Waffen in der Welt zu etwas bringen. Es ist also durchaus erforderlich, uns diesen Cäsar Borgia einmal näher anzusehen, damit wir uns eine Vorstellung machen können von dem Helden und seinem Verherrlicher.
Es gibt kein Verbrechen, das Cäsar Borgia nicht begangen hätte, keine Gemeinheit, für die er nicht das Beispiel gegeben, keine erdenkbare Untat, deren er sich nicht schuldig gemacht hätte. Er ließ seinen Bruder27-1 ermorden, der seinem Streben nach Ruhm in der Welt im Wege stand sowie seiner Liebe zu seiner Schwester27-2. Die Schweizer des Papstes ließ er niedermetzeln aus Rache, weil einige von ihnen seine Mutter27-3 beleidigt hatten. Zahllose Kardinäle, zahllose Reiche plünderte er aus, um seine Habgier zu sättigen. Die Romagna entriß er dem Herzog von Urbino27-4, ihrem rechtmäßigen Besitzer; seinen Statthalter, den grausamen d'Orco, ließ er aus dem Wege räumen; schmählichen Verrat beging er zu Sinigaglia an einer Anzahl von Fürsten, deren Leben, wie er meinte, seinen Zwecken im Wege stand; eine venezianische Dame ließ er ertränken, nachdem er sie geschändet hatte. Wieviel Grausamkeiten wurden nicht auf seinen Befehl begangen! Wer vermöchte die ganze Fülle seiner Verbrechen zu zählen? So sieht der Mann aus, den Machiavell allen großen Geistern seiner Zeit und den Helden des Altertums vorzieht; sein Leben und seine Taten hält er als würdiges Muster denen vor, die ihr Glück emporhebt.
Ich wage es, die Partei der Menschlichkeit gegen den zu ergreifen, der es auf ihren Verderb abgesehen hat, muß aber bei meinem Kampfe wider Machiavell doch noch auf mehr Einzelheiten eingehn, damit seine Gesinnungsgenossen keine Ausflüchte mehr finden, hinter denen sie immer noch ihre Bosheit verschanzen könnten.
Cäsar Borgia gründete den Plan seiner Größe auf die Uneinigkeit der italienischen Fürsten; er beschloß, sie gegeneinander aufzuhetzen, um sich an das zu halten, was für ihn dabei abfiel. Das gab dann einen ganzen Knäuel scheußlicher Untaten. Für Borgia gab's kein Unrecht, wenn seine Ehrsucht das Wort hatte; so mußte ein Sturz den andern nach sich ziehen. Um meine Hand auf das Eigen meiner Nachbarn legen zu können, muß ich sie schwächen; um sie zu schwächen, muß ich sie widereinander aufbringen — Schurkenlogik.
Borgia wollte sich einen Beistand sichern; also mußte Alexander VI. dem König Ludwig XII. einen Ehedispens gewähren, damit der ihm Hilfe leiste. Das ist die Art der Kirchenherren, mit der Welt ihren Spott zu treiben: nur ihrem Eigennutz gehen sie nach, wenn sie des Himmels beflissene Diener scheinen. War die Ehe Ludwigs XII. danach, daß sie getrennt werden mußte, so hätte der Papst sie trennen müssen, ohne daß die Politik dabei mitsprach; brauchte sie nicht gelöst zu werden, so hätte auch nichts das Haupt der Kirche, den Statthalter Christi, dazu bestimmen dürfen.
<28>Borgia brauchte Kreaturen, darum bestach er die Urbinaten mit Geschenken und Zuwendungen. Wer Besiechungsgelder anbietet, macht sich gewissermaßen ebenso schuldig wie der, der sie nimmt, spielt er doch die Rolle des Versuchers; ohne seine Versuchung gibt's für den andern kein Erliegen. Doch suchen wir nicht erst nach Verbrechen bei Borgia, lassen wir ihm seine Bestechungen hingehn, sei es auch nur, well sie einige trügerische Ähnlichkeit mit Wohltaten haben, freilich mit dem Unterschiede, daß der Bestechende mit seiner Guttat seinen Vorteil sucht, während ein rechter Wohltäter nur der andern Bestes im Auge hat. Borgia wollte sich einiger Fürsten aus dem Hause von Urbino entledigen, des Vitellozzo, des Oliverotto da Fermo und anderer. Machiavell nennt das: er war so klug, sie nach Sinigaglia zu entbieten, wo er sie verräterisch umbringen ließ.
Den Glauben der Menschheit täuschen, der eigenen Niedertracht ein Mäntelchen umhängen, sich gemeiner List bedienen, Verrat üben, Meineid begehn und morden, für all dergleichen hat unser Doktor der Schurkerei den Namen: Klugheit. Doch ich spreche mit ihm nicht von Religion noch von Sittlichkeit, bleiben wir ganz einfach bei der Frage des Nutzens; das soll mir genügen, ihn zu widerlegen. Ich frage, zeugt es wirklich von Klugheit, den Menschen Beweise dafür zu liefern, daß es einem nicht darauf ankommt, gegen Treu und Glauben zu sündigen, meineidig zu werden? Wirfst du Treu und Glauben und den Eid über den Haufen, welche Bürgschaften bleiben dir für die Treue der Menschen? Stößt du den Eidschwur um, durch welche Macht gedenkst du Untertanen und Völker zu binden, daß sie deine Herrschaft achten? Wenn du Treu und Glauben den Garaus machst, woher das Vertrauen nehmen zu irgendeiner Seele und den Mut, auf irgendein Versprechen, das euch gegeben wird, zu bauen? Geht ihr voran mit dem Beispiel des Verrates — an Verrätern, die es euch nachmachen, wird es niemals fehlen; geht ihr voran mit dem Beispiel der Treulosigkeit — was glaubt ihr, wie viele Treulose euch's heimzahlen werden! Lehret ihr Mord, so zittert, daß einer eurer Schüler sein Probestück an euch vollziehe! So daß auf diese Weise euch nichts bleibt als der Vorzug, den Altmeisier des Verbrechens abzugeben und die Ehre des Wegweisers für andere Unholde, gleich entartet wie ihr. So kommt das Lasier zu Fall und bedeckt mit Schmach, die sich ihm hin, geben, bereitet ihnen Schaden und Fährnis. Ein Fürst wird aber niemals ein Sonderrecht auf das Verbrechen haben und daher auch niemals sich der Straflösigkeit für seine Verruchtheit erfreuen. Das Verbrechen gleicht einem Felsen, von dem ein Teil sich löst, der nun auf seinem Wege alles zerschmettert, um schließlich durch sein eigen Gewicht zu zerschellen. Welch ein abscheulicher Wahn, welche Verirrung des Denkens kann Machiavell an Lehren Geschmack finden lassen, die in ihrer abscheulichen Verderbtheit der Menschheit ins Gesicht schlagen?
Borgia setzte den grausamen d'Orco zum Statthalter in der Romagna ein, um Unruhe, Raub und Mord, die dort ins Kraut schossen, zu unterdrücken. Welch kläglicher Widerspruch! Borgia hätte erröten müssen, wenn er an anderen Lasier be<29>strafte, die er an sich selbst duldete. Konnte er, der gewalttätigste aller Usurpatoren, der falscheste unter allen Meineidigen, von allen Mördern und Giftmischern der Grausamsie, konnte er Schurken und Verbrecher bestrafen, die mit ihren schwachen Kräften dem Beispiel ihres neuen Herrn und Meisters nur nachstümperten?
Der König von Polen29-1, dessen Tod jüngst soviel Wirren in Europa zur Folge hatte, handelte da viel folgerichtiger und vornehmer gegen seine sächsischen Untertanen. Die sächsischen Gesetze bestraften jeden Ehebrecher mit Enthauptung. Ich will nicht den Ursprung jenes barbarischen Gesetzes untersuchen, das mehr nach italienischer Eifersucht aussieht als nach duldsamer deutscher Art. Ein Unglücklicher, den Liebesleidenschaft dahin gebracht hatte, der Sitte und dem Gesetz zu trotzen, war dem Urteil verfallen, und August sollte das Todesurteil unterzeichnen; für die Stimme der Menschlichkeit ebenso empfänglich wie für die Regungen der Liebe, begnadigte er den Schuldigen und hob ein Gesetz auf, das jedesmal, so oft er ein derartiges Urteil Unterzeichnen mußte, stillschweigend ihn selber verdammt hätte. Seitdem genoß in Sachsen die Galanterie das Vorrecht der Straflosigkeit.
Das Verhalten dieses Königs zeugte von Menschlichkeit und einem fühlenden Her, zen, das Cäsar Borgias von einer ruchlosen Tyrannenseele. Der eine, ein Vater seiner Völker, übte Nachsicht mit jenen Schwächen, die nun einmal, das wußte er, zur Menschennatur gehören; der andere, immer hart, immer blutdürstig, ahndete an seinen Untertanen die Lasier, von denen er fürchten mußte, daß sie seinen eigenen nur zu ähnlich sähen. Der eine konnte den Anblick seiner eigenen Schwächen ertragen, der andere wagte es nicht, seinen Verbrechen ins Gesicht zu sehen. Borgia läßt den grausamen d'Orco in Stücke hauen, der ein williger Diener all seiner Absichten gewesen ist, um sich das Volt zu gewinnen, indem er das Werkzeug seiner barbarischen Grausamkeit büßen läßt. Die Last der Tyrannei drückt niemals wuchtiger als dann, wenn der Tyrann sich ins Kleid der Unschuld hüllen will und die Bedrückung unter dem Deckmantel der Gesetzlichkeit geschieht. Der Tyrann gönnt dem Volke nicht einmal den schwachen Trost, daß er sein Unrecht einsehe; um den eigenen Greueltaten ein harmloseres Gesicht zu geben, müssen andere die Schuld daran auf sich nehmen, die Strafe dafür erleiden — als sähe man einen Mordbuben, der das Werkzeug seiner wilden Tat in die Flammen wirft, im Wahn, er könne so die Leute hinters Licht führen, sodaß sie ihn freisprechen. Das ist das Schicksal, auf das die unwürdigen Helfer fürstlichen Verbrechens gefaßt sein mögen: ob sie auch, solange man ihrer bedarf, belohnt werden, früher oder später fallen sie einmal als Opfer ihrer Herren — gleichzeitig übrigens eine Lehre für die, die leichtherzig Schurken wie Cäsar Borgia vertrauen, und für die, so sich rückhaltlos und ohne jedes sittliche Bedenken dem Dienst ihrer Herrscher hingeben. So trägt das Verbrechen stets den Keim der Strafe in sich.
<30>Borgia griff mit seiner sorgenden Voraussicht bis über den Tod seines Vaters, des Papstes, hinaus und machte sich daran, alle die, denen er ihre Habe geraubt hatte, aus dem Wege zu räumen, auf daß der neue Papst sich ihrer nicht gegen ihn bedienen könne. So türmt sich Verbrechen auf Verbrechen: um seine Aufwendungen zu bestreiten, bedarf es großer Mittel; um diese zu bekommen, muß man die rechtmäßigen Besitzer ausrauben; um den Raub in Sicherheit zu genießen, müssen sie aus der Welt geschafft werden. Graf Horn30-1 hätte, als er hingerichtet wurde, ein Lied davon singen können. Mit den Untaten ist es wie mit einem Rudel von Hirschen: sobald einer durch die Lappen geht, folgen alle andern nach. Hütet euch also vorm ersten Schritt.
Um etliche Kardinäle zu vergiften, ladet Borgia sie bei seinem Vater zu Tisch. Der Papst und er genießen versehentlich von jenem Trank, Alexander VI. stirbt daran, und Borgia kommt glücklich davon, um ein jammervolles Leben weiterzu-schleppen — ein wohlverdienter Lohn für Giftmischer und Mörder.
Das wäre also die Klugheit, die Weisheit, die Geschicklichkeit und die menschliche Tüchtigkeit, die Machiavell nicht genug loben kann. Der berühmte Bischof von Meaux30-2, der gefeierte Bischof von Nimes30-3, der beredte Verherrlicher Trajans30-4 konnten ihre Helden nicht besser Herausstreichen als Machiavell seinen Cäsar Borgia. Wenn's bei diesem Preislied eine Ode gegolten hätte, eine rhetorische Figur, so würde man vielleicht seine findige Kunst bewundern, wenn man auch die Wahl ihres Gegenstandes mißbilligte; aber nein, es handelt sich um eine Staatslehre, die auf die fernste Nachwelt kommen soll, ein höchst ernst gemeintes Werk, in dem Machiavell sich nicht entblödet, das scheußlichste Ungeheuer, das je die Hölle auf die Erde gespieen hat, mit Lob zu verherrlichen. Das heißt doch, sich kaltblütig dem Hasse des Menschengeschlechtes und dem Abscheu aller Redlichen bloßstellen.
Cäsar Borgia wäre nach dem Urteil Machiavells vollkommen gewesen, hätte er nicht zur Papstwahl des Kardinals von San Pietro ad vincula30-5 seine Zustimmung gegeben; „denn“, sagt er, „bei den großen Männern können Wohltaten in der Gegenwart niemals Unbilden der Vergangenheit ungeschehen machen“. Mein Begriff eines großen Mannes deckt sich keineswegs mit dem des Verfassers. Alle rechtlich Denkenden würden wohl für immer für den Namen eines Großen danken, wenn er nur durch Rachgier, Undank und Falschheit zu verdienen wäre. Die Mühen und Sorgen Cäsar Borgias um Erweiterung seiner Macht und seines Ansehens fanden schlimmen Lohn: nach dem Tode des Papstes büßte er die Romagna und all seine Güter ein, mußte zum König von Navarra30-6 nach Spanien flüchten, wo er durch einen jener verräterischen Streiche, wie er sie so gern im Laufe seines Lebens geübt hatte, umkam.
<31>So wurde diese große Fülle von ehrgeizigen Plänen, klug erdachten und geheimgehaltenen Entwürfen zunichte. So wurde diese Fülle von Kämpfen, Mordtaten, Grausamkeiten, Meineiden und Treulosigkeiten gegenstandslos. Wie oft hatte sich Borgia aus eigener Lebensgefahr, aus arger Klemme und Verlegenheit mit Glück wieder herausgezogen. All das förderte nun sein Geschick keinen Deut, machte dafür seinen Sturz nur noch gewaltiger, noch mehr in die Augen fallend — der Fluch der Ehrsucht. Dieser Truggeist verheißt Güter, die er gar nicht zu vergeben, gar nicht zu eigen hat. Der Ehrsüchtige gleicht einem Tantalus, der mitten im Wasser stehend, nie seinen Durst löschen kann und niemals löschen wird.
Ist es der Ruhm, dem ein Ehrgeiziger nachstrebt? Wahrlich nein! Ein Trugbild des Ruhmes ist es, hinter dem er herläuft, wo sogar der echte nur wie ein Wölkchen Rauches ist. Verlieren sich doch die großen Männer unserer Tage unter der unendlichen Menge derer, die Großes geleistet, Heldenwerk vollbracht haben, so wie das Wasser kleiner Flußläufe, das man sieht, solang sie in ihrem Bette rinnen, das aber unserm Auge entschwindet, sobald es an der Mündung sich unter die Fluten eines unermeßlichen Weltmeeres mischt.
So ist also Glück das Endziel der Ehrsucht? Das wird sie noch weniger erjagen als den Ruhm. Mit Stacheln und Dornen ist ja ihr Weg besät, Sorgen, Kummer und endlose Mühsal sind ihr zugedacht. Das rechte Glück gehört von Hause aus so wenig zum Menschengeschick wie der Leib Hektors an den Wagen des Achill. Glück gibt's für den Menschen nur in seiner eigenen Brust, und nur Weisheit vermag da diesen Hort zu heben.
26-1 In seiner 1699 veröffentlichten Schrift „Abenteuer Telemachs“.
27-1 Giovanni († 1497).
27-2 Lucrezia.
27-3 Vanozza de Catanei.
27-4 Guidobaldo von Montefeltro.
29-1 August II.(† 1733).
30-1 Graf Horn wurde nach dem Verlust seines Vermögens 1568 mit dem Grafen Egmont in Brüssel hingerichtet.
30-2 Bossuet.
30-3 Fléchier.
30-4 Der jüngere Plinius.
30-5 Julius II. (1503—1513).
30-6 König Johann von Navarra (1484—1516).