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16. Kapitel

Von Freigebigkeit und Kargheit.

Zwei berühmte BUdhauer, Phidias und Alkamenes, schufen jeder ein Athene-standbild; das schönste nach der Wahl der Athener sollte die Spitze einer Säule krönen. Bei der öffentlichen Ausstellung fielen die Stimmen dem Werke des Al-kamenes zu; das andere, hieß es, sei zu plump gearbeitet. Ohne sich durch das Urteil der Menge aus dem Gleichgewicht bringen zu lassen, legte Phidias kühnlich Berufung ein: man solle nur einmal erst beide Bildwerke auf dem hohen Standort, für den sie gemacht seien, aufstellen, und dann entscheiden, welches das schönere sei. Gesagt, getan: bei der Errichtung der beiden Bilder auf der Höhe der Säule ergab sich, daß die Gesetze der Proportion, der richtigen Perspektive, somit die Feinheit der Formengebung von Phidias besser beobachtet waren als von seinem Mitbewerber. Phidias dankte seinen Erfolg dem Studium der Gesetze des Sehens: was für einen hohen Standort bestimmt ist, ist notwendig anderen Regeln unterworfen, als was in Augenhöhe gesehen werden soll.

Aber diese Proportionsregel gilt ebenso streng in Fragen des Staates wie in der Bildhauerei. Auch da heißt es: andere Gebiete, andere Gebote; jede Verallgemeinerung ist nur vom Übel. Was an einem großen Reiche alle Bewunderung verdient, kommt noch lange nicht einem kleinen Staatsgebilde zu; was hier am meisten zur Hebung dient, dort arbeitet es geradezu dem Niedergange vor. Wollte man so grundverschiedene Lebensbedürfnisse einheitlich regeln, es gäbe die seltsamsten Mißgriffe, jedenfalls eine ganz verkehrte Anwendung von Grundsätzen, die an sich gut und heilsam sind. Nehmen wir einmal den Luxus: erwachsen aus dem Überflusse, läßt er den Reichtum durch alle Adern des Staatskörpers rollen und bringt ein weites Königreich zur Blüte; er gibt der Industrie zu leben, er verzehnfacht die Bedürfnisse der Wohlhabenden und Genießenden und schafft gerade damit eine lebendige Verbindung zur Armut und Bedürftigkeit hin. Der Luxus bedeutet für ein großes Reich dasselbe, was die Tätigkeit des Herzens für den menschlichen Körper bedeutet, die das Blut durch die großen Schlagadern treibt bis zu den äußersten Gliedmaßen, von wo aus es die kleinen Venen durchrinnt, die es zum Herzen zurückführen zu erneutem<64> Kreislaufe durch den gesamten Organismus. Verfiele nun ein ungeschickter Staatsmann auf den Gedanken, den Luxus aus einem großen Reiche zu verbannen, die Folge wäre eine bedenkliche Entkräftung und Schwächung dieses Staatskörpers; das Geld, überflüssig geworden, verbliebe in den Truhen der Reichen, der Handel schliefe ein, die Fabriken verfielen aus Mangel an Absatz, die Industrie ginge zugrunde, die reichen Familien blieben andauernd reich, für die Bedürftigen gäb's keine Aussicht, sich jemals aus ihrem Elend emporzuarbeiten.

Derselbe Luxus würde auf der anderen Seite für einen kleinen Staat geradezu ein Fluch sein: die Bürger richten sich durch Aufwand zugrunde, und da mehr Geld aus dem Lande herausströmt als sich durch Eingang ersetzt, so muß der zarte Körper schwindsüchtig werden und schließlich notwendig an Auszehrung eingehen. Es bleibt demnach ein unerläßliches Gebot für jeden Staatsmann, niemals kleine und große Staaten einheitlich zu behandeln, und das ist der grobe Verstoß Machiavells in diesem Kapitel.

Der erste Fehler, den ich tadeln muß: er gebraucht das Wort Freigebigkeit in einem zu unbestimmten Sinne. Es besieht doch ein merklicher Unterschied zwischen einem verschwenderischen und einem freigebigen Menschen. Jener verschleudert sein Gut mit vollen Händen ohne Ordnung und zur Unzeit — ein verdammenswertes Zuviel, eine Art Tollheit, ein Zeichen unklaren Denkens; weshalb ein verständiger Fürst sich vor jeglicher Verschwendung hüten wird. Der Freigebige hingegen ist ein Mann, der das Herz auf dem rechten Fleck hat; ihn leitet in allem die Vernunft, und so bildet die Einnahme den Gradmesser für die Ausgabe; so sehr er sich vernünftiger Wohltätigkeit befleißigt, gerade sein Erbarmen mit dem Elend lehrt ihn, sich einschränken, lehrt ihn das Überflüssige entbehren, damit er anderen hilfreich geben könne. Nur in seinen Mitteln findet seine Herzensgüte ihre Grenze. Das ist nach meiner Überzeugung eine Haupteigenschaft für einen großen Fürsten und für jeden, den seine Geburt zur Hilfeleistung, zur Erleichterung des Elends seiner Nebenmenschen verpflichtet.

Der zweite Fehler, den ich Machiavell vorwerfe, ist eine Verirrung aus angeborener Denkweise. So nenne ich das mangelnde Unterscheidungsvermögen, mit dem er ruhig der Freigebigkeit Fehler anhängt, die der Habsucht eigen: „Um sich den Ruf der offenen Hand zu erhalten, wird ein Fürst“, so meint er, „seine Untertanen mit Steuern überlasten, wird nach Handhaben suchen, ihre Habe für sich einzuziehen, und wird auf alle möglichen unwürdigen Mittel angewiesen sein, seine Truhe zu füllen.“ Das ist der Habsüchtige, wie er im Buche sieht! Vespasian war's, nicht Trajan, der dem römischen Volke Steuern auferlegte. Habsucht ist ein verzehrender Hunger, der nimmer Sättigung findet, ist wie ein Krebsschaden, der vernichtend um sich frißt. Ein Habsüchtiger begehrt nach Reichtümern, neidet sie jedem Besitzer und bringt sie, wenn er kann, in seine Gewalt; Begehrlichkeit ist leicht durch den Köder des Gewinns in Versuchung zu führen, wie denn bei habgierigen Richtern<65> der Verdacht der Bestechung nahe genug liegt. Es ist die Eigentümlichkeit dieses Lasters, die schönsten menschlichen Vorzüge in den Hintergrund zu drängen, sobald es sich ihnen gesellt.

Der Freigebige ist das genaue Gegenstück zum Habsüchtigen. Seine Freigebig, keit beruht auf Güte und Mitgefühl. Seine Wohltätigkeit will den Unglücklichen helfen und beitragen zum Glücke wertvoller Menschen, mit denen es das Schicksal weniger gut meint als die Natur. Ein Fürst von solcher Sinnesart denkt nicht daran, seine Völker zu bedrücken und für seine Vergnügungen auszugeben, was sie mit saurer Müh' erwarben; vielmehr wird sein einziger Gedanke sein, die Quellen ihres Wohlstandes zu mehren. Wo etwa Unrecht und Schädigung vorkommt, geschieht's ohne fein Wissen, sein gütiges Herz treibt ihn nur, allen Völkern seiner Herrschaft jegliches Glück zu schaffen, das ihr Zustand nur immer zuläßt.

Dies ist der landläufige Sinn der Begriffe Freigebigkeit und Geiz. Kleine Fürsten, deren Besitz nur schmal und deren Familie verhältnismäßig groß ist, tun gut, wenn sie ihre Wirtschaftlichkeit getrost bis zu der Grenze treiben, wo ein oberflächlicher Beurteiler sie schon mit Geiz verwechselt. Herrscher, die zwar über einige Staaten gebieten, aber noch nicht zu den großen Fürsten zählen, sehen sich auf eine gewissenhafte Verwaltung ihrer Einkünfte angewiesen und ebenso auf eine vorsichtige Bemessung ihrer Freigebigkeit nach ihrer Leistungsfähigkeit. Doch mit der Macht des Fürsten wächst seine Pflicht, eine offene Hand zu haben.

Vielleicht hält man mir das Beispiel Franz' des Ersten von Frankreich entgegen, dessen alles Maß überschreitende Ausgaben mit an seinem Unglück schuld waren; bekannt ist es ja, daß die Vergnügungen dieses Königs die Mittel verschlangen, die ihm zum Ruhme den Weg hätten bahnen können. Doch dagegen läßt sich zweierlei sagen: erstens war Frankreich zu jenen Zeiten an Machtstellung, Einkünften und Hilfsmitteln bei weitem nicht dem Frankreich von heute zu vergleichen, und zweitens war dieser König schon nicht mehr freigebig, sondern eben ein Verschwender.

Weit entfernt, Ordnungssinn und Genauigkeit bei einem Herrscher zu verurteilen, bin lch der erste, der ihm solches hoch anrechnet. Der Fürst als der Vormund seiner Untertanen hat für die Verwaltung der Staatsgelder aufzukommen, er ist seinen Untertanen dafür verantwortlich und muß, wofern er klug ist, ausreichende Mittel auf Vorrat ansammeln, um in Kriegszeiten die notwendigen Ausgaben bestreiten zu können, ohne genötigt zu sein, den Seinen neue Lasten aufzuerlegen. Soviel Vorsicht und Umsicht in der Verwendung der Staatsgelder geboten ist, wenn das Gemeinwohl es erfordert, ist auch Freigebigkeit und Weitherzigkeit am Platze: dergleichen gibt dem Gewerbefleiß neue Unternehmungslust, sichert immer wieder dem fürstlichen Namen seinen guten Klang und belebt jede Tüchtigkeit.

Zuletzt noch ein Irrtum Machiavells! Ein Irrtum des sittlichen Empfindens. „Freigebigkeit macht arm und somit verächtlich.“ Welch armseliger Gedankengang, welche verkehrten Vorstellungen von dem, was Anerkennung oder Tadel einträgt!<66> Also, Machiavell, die Schätze des Reichen sollen im Urteil der Welt alles andere aufwiegen? Metall, an sich verächtlich, dessen Schätzung eine willkürliche ist, soll aus seinem Besitzer ohne weiteres eine hochlöbliche Persönlichkeit machen? Also nicht der Mensch, der Haufen Goldes ist's, dem man Ehre zollt! Begreift einer, wie eine solche Vorstellung im Hirn eines denkenden Menschen Eingang finden kann? Man kommt zu Reichtum durch Fleiß, durch Erbschaft oder, was bedenklicher, durch Gewaltmittel; alle diese Erwerbungen bleiben außerhalb des eigentlichen Menschen, er besitzt sie und kann sie wieder verlieren. Wie kann man also Dinge von so innerlich verschiedener Art wie Menschenwert und ein elendes Stück Geld in einen Sack tun! Der Herzog von Newcastle, Samuel Bernard66-1 oder Pels66-2 sind durch ihre Reichtümer bekannt; doch Bekanntsein und Geachtetsein sind zweierlei. Der stolze Krösus mit seinen Schätzen, der habgierige Crassus mit seinen Reichtümern wurden vom Volke in dem Glanze ihres Auftretens angestaunt wie Sehenswürdigkeiten; seinem Herzen sagten sie nichts, seine Achtung erwarben sie nicht. Doch der gerechte Aristides und der weise Philopömen66-3, der Marschall Turenne und Catinat66-4, untadelig in ihren Sitten, wie man sich gern die Männer früherer Zeiten denkt, sie waren die Bewunderung ihrer Zeitgenossen und sind das Vorbild der Ehrenmänner aller Zeiten — und sie lebten in Einfachheit und Uneigennützigkeit. Also nicht Macht, Stärke und Reichtum gewinnen die Herzen, sondern diese werbende Macht bleibt den persönlichen Eigenschaften vorbehalten, der Güte, der Tugend. Also können auch Armut und Bedürftigkeit niemals den Menschenwert herabsetzen, ebensowenig wie äußere Vorteile das Lasier zu adeln oder zu Ehre zu bringen imstande sind.

Die Masse und die Bedürftigen hegen eine gewisse Achtung vor dem Reichtum, gerade weil sie ihn nicht kennen, nichts von ihm wissen. Dagegen wer selber etwas hat und dazu denkt wie ein vernünftiger Mensch, der fühlt eine überlegene Verachtung gegenüber allem, was von Glückes oder Zufalls Gnaden ist; da sie selber die Güter dieser Welt besitzen, so kennen sie um so besser deren inneren Unwert und Nichtigkeit.

Nicht verblüffen soll man die Welt, ihre Achtung nicht durch Überrumpelung gleichsam an sich reißen; sie redlich zu erwerben, darauf kommt's an.


66-1 Bankier in Paris.

66-2 Bankier in Amsterdam.

66-3 PHUopömen, griechischer Feldherr, Haupt des Achäischen Bundes (253—183).

66-4 Heinrich de la Tour d'Auvergne, Vicomte Turenne († 1675) und Nicolas de Catinat († 1712), französische Feldherren.