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22. Kapitel

Von den Ratgebern der Fürsten.

Zwei Arten von Fürsten gibt es in der Welt: die einen wollen mit eigenen Augen sehen und die Regierung ihrer Staaten selber in der Hand behalten, die anderen verlassen sich ganz auf die Ehrlichkeit ihrer Minister und lassen sich von denen leiten, die Einfluß auf sie gewonnen haben.

Die Herrscher von der ersten Gattung sind die Seele ihrer Staaten; auf ihnen allein ruht das volle Gewicht der Regierung wie die Welt auf den Schultern des Atlas; sie regeln die äußeren wie die inneren Angelegenheiten, alle Verordnungen, Gesetze, Erlasse gehen von ihnen aus; sie füllen zur selben Zeit das Amt eines JustizMinisters aus, des Oberfeldherrn wie des Finanzministers, kurz, alles, was nur irgend für den Staat von Wichtigkeit sein kann, geht durch ihre Hand. Ihnen stehen zur Seite, nach dem Vorbilde Gottes, dem als die Vollstrecker seines Willens geistige Wesen von höherer Art denn der Mensch gesellt sind, scharfsichtige und arbeitsfrohe Geister, ihre Absichten auszuführen und im einzelnen zu verwirklichen, was sie in großen Zügen entworfen haben; ihre Minister sind eigentlich nur Werkzeuge in der Hand eines weisen und geschickten Meisters.

Die Herrscher der zweiten Gattung sind wie versunken in einen Abgrund von Verschlafenheit und Gleichgültigkeit, weil ihnen der Genius fehlt, oder aus angeborener Trägheit; wie man nun einen Ohnmächtigen durch starke ätherische und balsamische Gerüche wieder ins Leben zurückruft, genau so muß ein Staat, der infolge der Schwäche seines Herrn ohnmächtig darniederliegt, durch den Geist und das Feuer eines Ministers, der fähig ist, die Mängel seines Herrn zu ersetzen, wiederaufgerichtet werden. In diesem Falle ist der Fürst nur das Werkzeug seines Ministers, seine Bedeutung beschränkt sich höchstens darauf, vor dem Volke dem leeren Schemen der Königshoheit sichtbare Gestalt zu geben; seine Person ist für den Staat so entbehrlich, wie die des Ministers unentbehrlich ist. Bringt für den Fürsten der ersten Art die rechte Wahl seiner Minister nur eine Arbeitserleichterung ohne erheblichen Einfiuß auf das Wohl des Volkes, so hängt beim Fürsten der zweiten Gattung geradezu alles von dieser Wahl ab: das Wohl und Wehe des Volkes wie sein eigenes.

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Es ist für einen Fürsten gar nicht so leicht, wie man meint, die Sinnes- und Gemütsart der Männer, die er für seinen Dienst ausersehen, recht zu ergründen; denn so schwer es dem Fürsten gemacht ist, sein inneres Wesen vor den Augen der Welt zu verhehlen93-1, so leicht hat's der einzelne, vor dem Auge des Herrn eine falsche Rolle zu spielen. Mit dem inneren Wesen der Höflinge ist's wie mit dem Gesicht geschminkter Frauen: mit vieler Kunst erreichen sie es, daß einer genau so aussieht wie der andere. Könige sehen die Menschen niemals, wie sie in Wirklichkeit sind, sondern nur so, wie sie erscheinen wollen. Ein Mensch beim Hochamt im Augenblick der Weihe, ein Hofmann bei Hof in der Gegenwart des Fürsten, und derselbe im Freundeskreise — jedesmal wird das ein völlig anderer Mensch sein; der Cato des Hofes gilt als der Anakreon der Stadt; der Weise vor der Öffentlichkeit ist ein Narr daheim, und wer mit lauter Stimme ein großes, prunkendes Wesen von seiner Tugend macht, vernimmt in seinem Innern die leise Stimme seines Gewissens, die ihn schmählich Lügen straft.

Doch hier handelt es sich nur um Verstellung gewöhnlicher Art. Nun laßt aber erst einmal selbstsüchtige, laßt ehrgeizige Zwecke mit dareinreden, laßt sie sich um eine erledigte Stelle drängen mit einer Gier, wie die zahlreiche Freierschar Penelope umwarb! Mit der Habgier eines Höflings wächst seine Dienstbeflissenheit für seinen Fürsten und seine Achtsamkeit auf sich selbst; alle Mittel der Betörung, auf die sein Geist verfällt, sind ihm recht, wenn es gilt, sich angenehm machen; er schmeichelt dem Fürsten, teilt seinen Geschmack, heißt seine Leidenschaften gut — ein Chamäleon, bereit, jede Farbe seiner Umgebung anzunehmen.

Vermochte also Sixtus V. siebenzig Kardinäle, die ihn hätten kennen müssen, über sich zu täuschen, wieviel leichter ist es einem einzelnen gemacht, den prüfenden Blick eines Fürsten zu hintergehen, dem es an der Gelegenheit fehlt, ihn zu ergründen. Ohne Mühe wird ein Fürst von Geist sich ein Urteil bilden über das Genie und die Fähigkeiten seiner Diener; aber fast ein Ding der Unmöglichkeit ist es für ihn, ein rechtes Bild zu gewinnen von dem Grade ihrer Selbstlosigkeit und Treue; besieht doch gewöhnlich darin die ganze Kunst der Minister, ihre Ränke und Schliche vor dem geheimzuhalten, der, wenn er dahinter käme, berechtigt wäre, sie zu bestrafen.

Oft erlebt man's, daß Menschen im Scheine der Untadeligkeit dastehen, nur weil's ihnen an der Gelegenheit fehlte, sich als das Gegenteil zu entpuppen, daß sie aber, kaum daß ihre Tugend auf die ersie Probe gestellt ward, auf alle Ehrbarkeit verzichteten. Ehe Tiberius, Nero, Caligula auf den Thron gelangt waren, wußte in Rom kein Mensch ihnen was Arges nachzusagen; wer weiß, ob nicht ihre Ruchlosigkeit in der Entwicklung steckengeblieben wäre, ohne die Gelegenheit, die ihr Luft machte, die gleichsam den Keim ihrer Niedertracht erst aufgehn ließ.

Es gibt Menschen, bei denen sich eine Fülle von Geist, Weltgewandtheit und Fähigkeiten zu dem schwärzesten, undankbarsten Gemüts gesellt, und wieder andere mit<94> allen Vorzügen des Herzens ohne jene lebendige und glänzende Treffsicherheit, die dem Genie eigen ist. Da haben denn kluge Fürsien gewöhnlich solchen Männern, bei denen die Gemütsseite überwog, den Vorzug gegeben für die Verwendung im Innern des Landes; für ihre auswärtigen Verhandlungen dagegen bedienten sie sich lieber der lebhaften und feurigen Köpfe. Mit gutem Grunde, denk' ich: handelt es sich nur um die Auftechterhaltung von Ordnung und Recht im eigenen Staate, so ist Redlichkeit dafür Bürgschaft genug; gilt's aber, den Nachbar durch Scheingründe hinters Licht zu führen, den Pfad des Ränkespiels zu beschreiten und sogar Bestechungen anzuwenden, wozu Gesandte im Ausland oftmals gezwungen sind, dann ist's mit der Ehrlichkeit nicht getan, das liegt auf der Hand, dann braucht's Witz und Geschmeidigkeit.

Ich meine, ein Fürst kann Treue und Diensteifer gar nicht genug belohnen, eine Erkenntlichkeit, die uns schon unser natürliches Gerechtigkeitsgefühl zum unabweisbaren Bedürfnis macht. Außerdem aber gebietet's den Großen der eigene Nutzen, Dankbarkeit mit ebensoviel Hochherzigkeit zu üben, wie sie mit Milde strafen sollen: kommt ein Minister dahinter, daß die Tugend gar kein so schlechtes Geschäft, so fühlt er sich ganz gewiß nicht mehr auf verbrecherische Streiche angewiesen und wird sich lieber die Wohltaten des eigenen Herrn gefallen lassen als die Bestechungen eines fremden. So begegnen sich hier durchaus die Forderung der Gerechtigkeit und die der Weltklugheit, und wollte einer, statt großmütige Dankbarkeit zu üben, die Zuneigung seiner Minister auf eine gefährliche Probe stellen — ich weiß nicht, was dabei bedenklicher wäre: seine Herzlosigkeit oder sein Unverstand.

Manche Fürsten verfallen wieder in einen anderen Fehler, der ihrem wahren Vorteil genau so zuwiderläuft: sie wechseln ihre Minister mit bodenloser Leichtfertigkeit und ahnden mit übertriebener Härte die geringfügigsten Fehle. Arbeitet ein Minister unmittelbar unter den Augen seines Fürsien, so kann dem Herrn, nach einer geraumen Amtsdauer, unmöglich entgehen, wo jener etwa versagt; je scharfsichtiger er ist, desto leichter kommt er dahinter. Da wird denn ein Herrscher ohne philosophische Besonnenheit gar bald die Geduld verlieren, wird außer sich geraten über die Schwächen seines Beamten, wird ihm seine Gnade entziehen, ihn fallen lassen. Ein Fürst, der tiefer denkt, kennt die Menschen besser, er weiß sie allzumal gezeichnet mit dem Mal der Menschlichkeit, wie es denn nichts Vollkommenes hienieden gibt, er weiß, daß alle wertvollen Eigenschaften gewissermaßen aufgewogen werden durch große Mängel, und daß ein Genie aus dem Guten wie dem Schlechten seinen Vorteil ziehen muß. Aus diesem Grunde behält er lieber, wofern keine Pflichtvergessenheit im Spiel ist, seine Minister mit ihren guten wie ihren schlechten Eigenschaften bei, hält sich lieber an die, die er schon ausgeprobt hat, statt es mit neuen, die er vielleicht fände, zu versuchen; so wird ein Musiker von Verstand sein altes Instrument, dessen Vorzüge und Schwächen ihm geläufig sind, einem neuen von unbekannter Güte vorziehen.


93-1 Vgl. S. 70f.