23. Kapitel
Von der Notwendigkeit, die Schmeichler zu fliehen.
Kein Buch über sittliche Fragen, kein geschichtliches Werk, darinnen nicht der Fürsten Schwäche für Schmeichelei scharf gegeißelt würde. Man verlangt von den Königen, daß sie die Wahrheit lieben, daß ihr Ohr sich an die Stimme der Wahrheit gewöhne; und man hat recht damit. Und doch — das ist nun einmal Menschenbrauch — verlangt man damit Dinge, die einander nahezu ausschließen. Da Eigenliebe allem Besten in uns zugrunde liegt, somit auch dem Glücke der Welt, sollen die Fürsten sie in dem Maße besitzen, daß sie ihnen Empfänglichkeit für edlen Ruhm und Schwungkraft zu großen Taten verleiht — gleichzeitig aber erwartet man von ihnen Selbstlosigkeit genug, daß sie gutwillig auf den Lohn ihrer Arbeit verzichten. Also was sie um Anerkennung werben heißt, soll sie gleichzeitig Verachtung der Anerkennung lehren. Das heißt von der Menschennatur viel verlangen! Allenfalls wäre eines geeignet, die Widerstandskraft eines Fürsten gegenüber der Versuchung der Schmeichelei zu stählen: die vorteilhafte Vorstellung der Welt von seiner höheren Natur, die ihn verpflichte, über sich selbst noch mehr Gewalt zu haben als über andere Menschen.
Fürsten ohne Empfindung dafür, wie man über sie denkt, sind von je nur träge Naturen gewesen oder Genüßlinge, versunken in Schlaffheit; nicht mehr wie ein Stück toten, und zwar niedrigen und gemeinen Stoffes, unbeseelt von einer höheren Regung. Gewiß, auch grausame Tyrannen haben ihr Lob gern singen hören; doch das war für sie nur ein Kitzel der Eitelkeit, besser gesagt, ein Lasier mehr. Die Achtung der Menschen wünschten sie sich, kümmerten sich dabei aber nicht um den einzigen Weg, sie zu verdienen. Bei lasterhaften Fürsten ist Schmeichelei ein tödlich Gift, das die Keime ihrer Verderbtheit nur noch mehr wuchern läßt; bei verdienstvollen Fürsten gleicht sie dem Rost, der mit seinem Ansatz den Glanz ihres Ruhmes mindert. Einen feinfühligen Menschen empört grobe Schmeichelei, er weist den Lobhudler seines Weges, der ihm tölpelhaft seinen Weihrauch ins Gesicht streut. Man muß schon einen unendlich hohen Glauben an sich selbst besitzen, schon mehr einen Aberglauben, um<96> übertriebenes Lob ertragen zu können. Diese Art Lob haben die großen Männer am wenigsten zu fürchten, da es nicht die Sprache innerer Überzeugung ist.
Noch eine andere Schmeichelei gibt's, die, die sich sophistisch zum Anwalt unserer Fehler und Lasier macht. Ihre Redekünste mildern und beschönigen alles Schlechte an ihrem Opfer und erheben es, auf diesem Umwege, zu einem Bilde der Vollkommenheit. Sie weiß für jegliche Leidenschaft eine Rechtfertigung, putzt Grausamkeit heraus, bis sie aussieht wie Gerechtigkeit, verleiht der Verschwendung täuschende Ähnlichkeit mit der Freigebigkeit, deckt über Ausschweifungen das Mäntelchen der Kurzweil und der Unterhaltung. Sie bauscht besonders gern die Laster der anderen auf, um denen ihres Helden daraus ein Ehrenmal zu errichten; sie entschuldigt alles, rechtfertigt alles.
Die Mehrzahl der Menschen fällt auf diese Art Schmeichelei herein, die ihre Nei-gungen, ihren Geschmack rechtfertigt. Man muß mit beherzter Hand die Sonde tief in seine Wunden eingeführt haben, um sie recht zu erkennen, muß stark genug sein, sich selber Fehler einzugestehen, die gebessert sein wollen, um gleichzeitig dem schmeichlerischen Fürsprecher unserer Leidenschaften zu widerstehen und wider sich selber anzukämpfen. Es gibt indessen Fürsten, die genügend Reife und Vollwert besitzen, um für diese Gattung von Schmeichelei nur Verachtung zu empfinden; ihrem scharfen Blick entgeht die Giftnatter unter der Blumenhülle nicht. Geborene Feinde der Lüge, ertragen sie diese auch da nicht, wo sie sich etwa in ihrer Eigenliebe angenehm berührt, in ihrer Eitelkeit gestreichelt fühlen.
Doch wenn sie die Lüge hassen, so lieben sie die Wahrheit, und sie können denen nicht ernstlich böse sein, die ihnen was Gutes nachsagen, von dem sie selbst überzeugt sind. Schmeichelei, die sich an Tatsächliches hält, ist eben die feinste von allen; da bedarf's eines äußerst feinen Unterscheidungsvermögens, um das leise aufgetragene Mehr oder Minder wahrzunehmen. Diese Schmeichelei wird nicht einem Könige Poeten in die Laufgräben mitgeben als Zeugen und Berichterstatter seiner Tapferkeit, sie wird sich auch hüten, Opernprologe, von Überschwenglichkeiten strotzend, abzufassen, oder abgeschmackte Widmungen und kriecherische Episteln; sie wird auch einem wirklichen Helden nicht mit der Herzählung seiner Siegestaten in den Ohren liegen — nein, diese wird die Miene des aufrichtigen Gefühls zur Schau tragen, wird mit gutem Geschmack lange Umschweife meiden und alle Vorzüge eines Epigramms besitzen. Wie könnte ein großer Mann, ein Held, ein geistvoller Fürst es übel vermerken, wenn ein Freund in der Lebendigkeit seiner ehrlichen Wallung sich ein Wort von ungefähr entschlüpfen läßt, was obenein die Wahrheit ist? Darüber sich zu ärgern, das wäre doch ein Zeichen einer geradezu engherzigen Bescheidenheit. Schließlich darf man wohl ein Lob hinnehmen, wie es gemeint ist.
Fürsten, die, ehe sie Könige wurden, schlichte Menschen waren, können sich in der Erinnerung an das, was sie einst gewesen, leichter der Gewöhnung an die Kost der Schmeichelei entziehen. Die, so ein Leben lang Herren geheißen, haben sich von jeher <97>vom Weihrauch gesättigt wie die Götter, sie würden an Entkräftung hinsterben, sollten sie einmal ohne Lobeserhebungen auskommen.
Es wäre nach alledem, meiner Ansicht nach, gerechter, wenn man die Könige beklagte, als daß man sie verdammt: die Schmeichler und noch mehr denn sie die Verleumder find's, die Verdammung und den Haß der Welt verdienen, ebenso wie jeder, der's mit den Fürsten so wenig redlich meint, daß er ihnen die Wahrheit vorenthält.