Instruktion für den Major Graf Borcke204-1
(24. September 1751)
Ich vertraue Ihnen die Erziehung meines Neffen an, des präsumptiven Erben der Krone. Da es etwas ganz anderes ist, einen Bürgersohn wohl zu erziehen oder aber jemand, der Staaten zu regieren bestimmt ist, so gebe ich Ihnen hier eine Instruktion über alles, was Sie beobachten sollen.
Erstens über die Lehrer:
Mein Neffe soll die alte Geschichte durchgehen, die verschiedenen Monarchien, die aufeinander folgten, kennen lernen, von der griechischen Geschichte namentlich das, was in den Kriegen des Artaxerxes, Philipps und Alexanders geschah. Von der römischen Geschichte die Zeit der Punischen Kriege und Cäsars. Sein Gedächtnis braucht nicht mit den Namen der Fürsienreihen ermüdet zu werden, wenn er nur die Namen der hervorragenden Männer lernt, die in ihrem Vaterland eine große Rolle gespielt haben.
Es genügt nicht, ihm die Geschichte beizubringen wie einem Papagei. Die beste Verwertung der alten Taten ist: sie mit den modernen zu vergleichen, die Ursachen zu entwickeln, aus denen die Umwälzungen hervorgingen, und zu zeigen, wie gemeinhin das Lasier bestraft und die Tugend belohnt wird. Man muß ihn ferner darauf aufmerksam machen, daß die alten Geschichtsschreiber sich nicht immer an die Wahrheit halten, daß man also prüfen und urteilen muß, ehe man glaubt. Der wesentlichste, unerläßlichste Teil der Geschichte beginnt bei Karl dem Großen und endet in unseren Tagen. Unter Geschichte versiehe ich dabei die europäische. Man sorge, daß er sie aufmerksam studiere. Doch verweile man nur bei den Hauptgeschehnissen und gehe bloß beim Dreißigjährigen Krieg näher aufs einzelne ein. Daß er die Geschichte seines Hauses lerne, versteht sich von selbst.
<205>Beim Unterricht in der Erdkunde ist es notwendig, daß ihm ein Begriff von den Staaten und ihrer Regierungsform gegeben wird. Da dieses Studium sehr gut zu dem der Geschichte paßt, so kann man ihn, wenn das eine an der Reihe ist, gleichzeitig auch im andern unterweisen.
Nach einiger Zeit wird man ihm einen kleinen Kursus in Logik zumuten können. Der muß frei von Pedanterie sein und gerade so weit reichen, daß er selber unterscheiden lernt, wo bei einem falschen Schluß der Fehler liegt und worin eine Behauptung nicht richtig ist. Danach kann man ihn die Redner lesen lassen, Cicero, Demosthenes, auch etliche Tragödien von Racine usw.
Wenn er ein paar Jahre älter ist, mag man ihm im Abriß die Lehren der Philosophen und der verschiedenen Religionen vorführen, ohne ihm Haß gegen eine von ihnen einzuflößen. Man lasse ihn erkennen, wie alle Gott anbeten, nur auf unterschiedliche Weise. Für den Geistlichen, der ihn unterrichtet, braucht er keine übertriebene Ergebenheit zu haben und braucht nicht zu glauben, was er nicht vorher geprüft hat.
Dabei komme ich auf die katholische Religion. Sie ist in Schlesien, in den klevischen Herzogtümern und anderwärts ziemlich verbreitet. Wenn aus dem Knaben ein fanatischer Calvinist würde, so wäre alles umsonst gewesen. Es ist vielmehr durchaus nötig, daß der Geistliche es sich versagt, in frommem Eifer die Papisten zu schmähen. Dagegen soll der Erzieher seinem Schüler auf geschickte Art ein Gefühl dafür erwecken, daß es wegen der Glaubensverfolgungen und des päpstlichen Ehrgeizes nichts Gefährlicheres gibt, als wenn die Katholiken in einem Staat obenauf sind, und daß ein protestantischer Fürst weit mehr Herr in seinem Hause ist als ein katholischer.
Es versteht sich von selbst, daß mein Neffe lesen, schreiben, rechnen lernt; ich übergehe daher diese Punkte. Für die Fortifikationslehre ist er noch zu jung; damit hat es Zeit, bis er zehn oder elf Jahre zählt.
Die Leibesübungen, wie Tanzen, Fechten und Reiten, können nachmittags, nach der Mahlzeit, betrieben werden. Hat der Junge Lust, Latein oder Polnisch oder Italienisch zu lernen, so soll es in seinem Belieben stehen. Gibt er aber keine Neigung dafür zu erkennen,'so soll man ihn nicht dazu drängen, ebensowenig zur Musik.
Soviel über seine Studien und Übungen. Ihre Hauptkunst wird darauf hinauslaufen müssen, daß er all das mit Lust und Liebe anpackt, daß die Pedanterie den Studien fernbleibt, damit er ihnen Geschmack abgewinne. Aus diesem Grunde darf, zumal im Anfang, ein vernünftiges Maß nicht überschritten werden.
Wir kommen nunmehr zum größten und wesentlichsten Teil der Erziehung, zur sittlichen Ausbildung. Weder Sie noch alle Mächte der Welt könnten den Charakter eines Kindes ändern. Erziehung vermag nur das Ungestüm der Leidenschaften zu mäßigen. Behandeln Sie meinen Neffen wie einen Bürgersohn, der seinen Weg machen soll. Sagen Sie ihm, daß jedermann ihn verachtet, wenn er Fehler hat oder<206> nichts lernt. Führen Sie ihm das Beispiel des Markgrafen von Schwebt und des Markgrafen Heinrich206-1 vor Augen. Man soll ihm nichts in den Kopf setzen, sondern ihn ganz schlicht aufziehen. Gegen alle Welt soll er höflich sein; begeht er eine Grobheit gegen jemand, so soll der sie auf der Stelle erwidern. Er muß lernen, daß alle Menschen gleich sind und hohe Geburt nur Chimäre ist, wenn nicht das Verdienst hinzukommt. Lassen Sie ihn allein mit den Leuten sprechen, damit er völlig unbefangen werde. Was liegt daran, wenn er blindlings drauflosschwatzt? Man weiß ja, es ist ein Kind. Bei seiner ganzen Erziehung wirken Sie mit aller Kraft dahin, daß er selbständig handle und sich keinesfalls an fremde Führung gewöhne. Seine Dummheiten sollen ihm ebenso gehören wie seine guten Handlungen.
Von der größten Bedeutung ist es, daß ihm Neigung zum Militär beigebracht werde. Deshalb müssen Sie selbst und andere ihm bei jeder Gelegenheit sagen, daß ein Mann von hoher Abkunft, der nicht Soldat ist, nur ein elender Kerl ist. So oft er nur will, soll er Truppen zu sehen bekommen. Man kann ihm auch die Kadetten zeigen und mit der Zeit fünf oder sechs von ihnen kommen lassen, damit sie mit ihm exerzieren. Doch soll das eine Unterhaltung sein, nicht eine Pflicht; denn die große Kunst besteht darin, ihm Geschmack an diesem Handwerk beizubringen, und es hieße alles verderben, wenn man ihn langweilte oder abschreckte. Mit jedem soll er sprechen, mit Kadetten, Soldaten, Bürgern, Offizieren; so wird er ein sicheres Auftreten erlangen.
Vor allem soll er zur Anhänglichkeit an dies sein Land begeistert werden. Niemand darf mit ihm andere als gut patriotische Reden führen. Bei Gegenständen und Unterredungen jeder Art kann man ein paar moralische Bemerkungen einfiechten, die darauf ausgehen, ihm Menschlichkeit, Güte und alle Anschauungen zu predigen, die einem Manne von Ehre und vornehmlich einem Fürsten wohl anstehen.
Ich will, daß er, wenn er älter wird, mit dem Dienst als Leutnant beginnt, um dann alle Grade zu durchlaufen. Es soll also in ihm kein Dünkel großgezogen werden. Die Offiziere, die mit ihm speisen, sollen ihn angreifen und necken, damit er keck und fröhlich werde. Möglichst oft soll er Gesellschaft um sich haben. Wenn er Lust hat, in seinen Erholungsstunden mit Kindern seines Alters zusammenzusein, so kann das nichts schaden. Et ist ein wenig schweigsam; Anregung tut ihm recht not. Wollen Sie sich deshalb angelegen sein lassen, daß er so heiter wie möglich werde. Bei jedem Anlaß wollen Sie ihm die schuldige Verehrung und Liebe für Vater und Mutter, Achtung gegen die Verwandten einprägen. Sobald Sie ihn näher kennen, müssen wir zu erfahren suchen, welches seine Hauptneigung ist. Gott behüte uns davor, sie ausrotten zu wollen! Aber bemühen wir uns, sie einzudämmen. Wenn er sich selbst überlassen ist, soll er doch nichts tun, ohne einen Grund dafür anzugeben.<207> Eine Ausnahme machen nur die Stunden der Erholung. Ist er lenksam, so seien Sie freundlich. Ist er störrisch, so bieten Sie die ganze Autorität auf, die Ihnen zusieht; bestrafen Sie ihn dann, indem Sie ihm den Degen wegnehmen, ihn in Arrest setzen und ihn immer tunlichst bei der Ehre packen. Bis jetzt erscheint er sehr zart, aber mit dem Älterwerden wird er sich schon kräftiger entwickeln.
Allwöchentlich wollen Sie seinem Vater, mir allmonatlich über sein Bettagen berichten. In außerordentlichen Fällen können Sie sich stets an mich wenden. Verzärteln Sie ihn nicht durch allzu umständliche Sorge um seine Gesundheit oder durch die Angst, es könnte ihm ein Unglück zustoßen. Man muß ihn sorgsam behüten, doch braucht er nichts davon zu merken; das würde ihn weichlich, schüchtern und ängstlich machen. Seine Tageseinteilung kann mein Bruder regeln, wie er es für richtig hält, und Sie können danach Ihre Maßnahmen treffen.
Diese Instruktion gilt nur bis zum Alter von zehn oder zwölf Jahren. Dann werden Sie eine neue erhalten, die den Fortschritten meines Neffen, seinem Alter und den Umständen angemessen ist.
204-1 Graf Adrian Heinrich Borcke bekleidete von 1751 bis 1764 die Stelle eines Gouverneurs bei dem nachmaligen Könige Friedrich Wilhelm II. (geb. 25. September 1744), dem ältesten Sohne des Prinzen August Wilhelm († 1758) und der Prinzessin luise Amalie, einer Schwester der Königin Elisabeth Christine. Vgl. für das Folgende S. 187 ff.
206-1 Von der Schwedter Nebenlinie des Hauses Brandenburg genoß allein Markgraf Karl die Achtung des Königs.