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Die Werke Friedrichs des Großen
In deutscher Übersetzung
Zehn Bände
Mit Illustrationen
von Adolph v. Menze
Verlag von Reimar Hobbing in Berlin
1913

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Die Werke Friedrichs des Großen
Siebenter Band
Antimachiavell und Testamente
Herausgegeben von Gustav Berthold Volz
deutsch von
Eberhard König, Friedrich v. Oppeln Bronikowski, Willy Rath
Verlag von Reimar Hobbing in Berlin
1 9 1 3

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Einleitung des Herausgebers

Gedanken Friedrichs über Fürst und Staat sind das Band, das die folgenden Abhandlungen zu einer inneren Einheit verknüpft.

Die Reihe der Schriften eröffnet der „Antimachiavell“. Über den Ursprung dieses Werkes sind wir nur unzulänglich unterrichtet. Die erste Erwähnung Machiavells findet sich in einem Briefe des Kronprinzen Friedrich an Voltaire vom 31. März 1738, wo er energisch Einspruch dagegen erhebt, daß Voltaire diesem „schlechten Menschen“ in seinem „Zeitalter Ludwigs XIV.“ eine Stelle unter den übrigen großen Männern seiner Zeit eingeräumt habe: „Wer“, so erklärt er, „Treubruch, Bedrückung, Begehung von Ungerechtigkeiten lehrt, wäre er auch sonst der begabteste Mensch, darf niemals einen Platz einnehmen, der einzig und allein der Tugend und rühmlichen Talenten vorbehalten bleibt.“

Fast ein Jahr verstrich. Da, am 22. März 1739, schreibt Friedrich dem Franzosen ganz unvermittelt, mitten aus anderen literarischen Plänen heraus, daß er an die Abfassung eines Werks über den „Fürsten“ von Machiavell denke; freilich sei alles noch in chaotisches Dunkel gehüllt. Von Mitte Mai ab hören wir dann von seinen Vorstudien; er treibt eifrige Lektüre, liest frühere Streitschriften gegen den Florentiner. Einen wertvollen Fingerzeig für Entstehung und Tendenz des Werkes bietet das Bekenntnis vom 26. Juni: „Was ich gegen den Machiavellismus im Sinne habe, ist eine Folge der Henriade. Nach den großen Gedanken Heinrichs IV. schmiede ich den Blitz, der Cäsar Borgia zerschmettern wird.“ In der Korrespondenz mit Voltaire läßt sich der Werdegang des Werkes verfolgen. Anfang November war die erste Niederschrift vollendet. Unverzüglich ging Friedrich an die Umarbeitung des Entwurfes, um dem Werke, wie er sagte, eine würdige Form zu geben, damit es vor der Nachwelt bestehen könnte. Man sieht: es ist zur Veröffentlichung bestimmt; doch sein Name, so wünscht der hohe Verfasser, soll ungenannt bleiben. Voltaires Aufgabe wird es nun, das Zensorenamt, das sich auf Inhalt und äußere Form erstreckt, zu üben. Im April 1740 überantwortet Friedrich ihm die Schrift zur Drucklegung in Holland. Zwei Ausgaben erscheinen, die eine bei van Duren, dem Vol<VI>taire das Manuskript sandte. Die andere veranstaltete der Franzose selberVI-1, nachdem er die Abhandlung einer neuen Umarbeitung unterzogen hatte. Diese fand aber so wenig den Beifall Friedrichs, daß er daran dachte, eine neue Ausgabe unter seinen eigenen Augen herstellen zu lassen. Da starb Kaiser Karl VI. Sofort ließ er seine literarischen Pläne fallen. „Der Tod des Kaisers“, so schrieb er am 28. Oktober 1740 an den Grafen Algarotti, „macht aus mir einen sehr schlechten Textverbesserer. Er ist verhängnisvoll für mein Buch, vielleicht aber glorreich für mich selbst.“ Damit war der „Antimachiavell“ für den König abgetan.

Wie stellte sich nun Friedrich zu der Schrift des Florentiners, der das Wesen der politischen Macht ergründen, der die Grundsätze festlegen will, wie Fürsten Staaten erwerben und sich in ihrem Besitz behaupten sollen? Ihm lag es fern, das Buch auf die Zustände von Italien, auf die besonderen Umstände zurückzuführen, aus denen es hervorgegangen war. Er sah in der Schrift nur einen politischen Katechismus voller Ruchlosigkeit, dem er nun nach dem treffenden Worte Voltaires einen „Katechismus der Tugend“ entgegensetzte; denn der „Antimachiavell“ ist ein philosophisch, moralischer Traktat. Will Machiavell keine Moral in der Politik gelten lassen, so er, klärt der Prinz, daß es für ihn keine doppelte Moral gäbe. Friedrich wird nicht müde, ihm immer wieder in heftigen Anklagen, pathetischen Deklamationen seine sittliche Verkommenheit vorzuwerfen. Erst im letzten Drittel gewinnt die Schrift einen an, deren Charakter. Da entwirft Friedrich das Idealbild des Herrschers, wie es ihm vorschwebt, ein Bild der Pflichten, die der Fürst auf sich zu nehmen hat, gleichsam das Programm, das er dann selbst während seiner Regierung zu verwirklichen strebte.

Wieweit der „Antimachiavell“ von fremden Gedanken beeinflußt ist, bedarf im einzelnen noch der genaueren Untersuchung. So viel ist jedoch gewiß, daß Friedrich im Bannkreis der Aufklärungsphilosophie mit ihren Humanitätsidealen sieht, daß ferner vor allem drei Männer, drei Schriften tief auf ihn eingewirkt haben. Von Voltaire und seinem Heldengedichte, der „Henriade“, hörten wir schon. Die beiden anderen Persönlichkeiten sind Kaiser Mark Aurel und dessen „Selbsibetrachtungen“, sowie Fénelon mit seinem Fürstenspiegel, den „Abenteuern des Telemach“, auf die wiederholt direkt Bezug genommen wirdVI-2. Trotz dieser Einschränkung bleibt der „Antimachiavell“ ein hervorragendes Dokument für die Geisiesentwicklung Friedrichs.

Aus diesem Gesichtspunkte war es geboten, für die Übertragung auf die ersten eigenhändigen Niederschriften zurückzugehen, die der Voltaireschen Feile noch ganz entbehren. Eine Ausnahme macht allein das zweite Kapitel, dessen frühere Fassungen uns nicht erhalten sind. Aus dem gleichen Grunde durfte von der Gegenüberstellung<VII> mit dem „Fürsten“, wie Friedrich sie für seine Ausgabe plante, Abstand genommen werden. Denn der „Antimachiavell“ ist eine Bekenntnisschrift, nicht eine „Widerlegung“ (Réfutation), mochte auch dieser Titel über den ersten Fassungen seines Buches stehen. Bei der Wahl der Überschrift war für uns maßgebend, daß das Werk unter diesem Titel der Öffentlichkeit übergeben wurde und seinen Weltruf erlangte. Zum Zweck der leichteren Orientierung sind endlich die Überschriften der ersten 25 Kapitel aus dem „Fürsten“ übernommen, während die des Schlußkapitels von dem Prinzen selber herrührt.

Das gewaltige Gegenstück zu Friedrichs Iugendschrift bildet das „Politische Testament“, das der gereifte König auf der Höhe seines Lebens verfaßte. Begonnen im AprU, ward es im Juli 1752 vollendet und am 27. August noch mit einem kurzen Nachtrag (S. 193) versehen. Überwiegt im „Antimachiavell“ die theoretische Betrachtung, so sind die Lehren des Testaments auf reichste staatsmännische Erfahrung gegründet.

Auch das Testament enthält eine eingehende Darstellung der Pflichten des Fürsten, des Herrschers über Preußen. Ein besonderes Kapitel ist der Vorbereitung auf diesen hohen Beruf, der Prinzenerziehung, gewidmet. Darüber hinaus aber entwirft Friedrich ein erschöpfendes Bild von der preußischen Monarchie, von der Organisation der staatlichen Verwaltung, wie von der Struktur des wirtschaftlichen Lebens. Er führt seinen Nachfolger auf alle Gebiete der Staatsverwaltung, jedes einzelne im besonderen schildernd und zugleich den großen inneren Zusammenhang der verschiedenen Teile untereinander aufdeckend. Er erläutert seine Finanz- und Wirtschaftspolitik, die auf merkantilistischen Grundsätzen beruht. Er zeigt, wie die ständische Gliederung des Volkes zur Grundlage einer politischen Arbeitsteilung gemacht ist, bei der die staatlichen Aufgaben auf die verschiedenen Klassen verteilt werden. Er entwickelt die Grundzüge des Heerwesens und der auswärtigen Politik, die im Mittelpunkt seiner Interessen sieht. Denn der politische Machtgedanke beherrscht das Testament. Die Wehrhaftigkeit und die Größe Preußens sind das Ziel, dem Preußens Herrscher nachzugehen haben, dem alle Zweige der Staatsverwaltung dienen müssen.

Dem ersten folgte zu Ende des Jahres 1768 ein zweites Politisches Testament. Weist es auch manchen Unterschied auf, der durch die veränderten Zeitumstände und durch neue Erfahrungen des Königs bedingt wurde, so blieben sich doch Geist und Grundzüge seines politischen Systems im wesentlichen gleich.

Von beiden Testamenten fehlt bisher eine vollständige Ausgabe. Bei dem von 1752 ist es der Abschnitt über die auswärtige Politik, von dem bisher nur Bruchstücke an die Öffentlichkeit gedrungen sind. Und auch bei diesen liegt es so, daß wir nur einzelne Teile im Wortlaut des französischen Originals kennen, andere nur in mehrfach nicht einwandfreier deutscher Übersetzung, die wir dennoch übernehmen mußten, wie sie war, endlich noch andere Partien, die durch eckige Klammern gekennzeichnet<VIII> wurden, nur dem Inhalt nach. Immerhin sind in diesen Bruchstücken die wesentlichen und entscheidenden Gedanken dieses Abschnitts enthalten. Weit ungünstiger sieht es um das Testament von 1768; denn von ihm sind überhaupt nur Fragmente bekanntVIII-1. Aus diesem Grunde mußten wir uns darauf beschränken, einige der wesentlichsten Stücke in Fußnoten anzuführen, doch bieten diese Proben bereits die Möglichkeit zur Vergleichung beider Testamente.

Die meisten Abhandlungen der folgenden Gruppe, die unter dem Namen „Politische Schriften“ zusammengefaßt sind, stehen mit den Politischen Testamenten von 1752 und 1768 in engstem inneren Zusammenhang. So enthält schon der Jugend-brief an den Kammerjunker von Natzmer von 1731 ein erstes politisches Programm für die Vergrößerung Preußens, an das der Abschnitt über die auswärtige Politik im Testament von 1752 gleichsam anknüpft. Der für den Herzog Karl Eugen von Württemberg verfaßte „Fürsienspiegel“ berührt sich auf das stärkste mit der Erörterung der Pflichten des Herrschers. Die Instruktionen für Borcke und Behnisch ergänzen die Ausführungen über die Prinzenerziehung.

Unmittelbar für den Thronfolger sind die nächsten drei Abhandlungen bestimmt. Denn der „Abriß der preußischen Regierung“ von 1776 enthält nichts anderes als eine knappe Zusammenfassung der Grundgedanken der Politischen Testamente. Den Anstoß zur Abfassung dieser Schrift scheint die schwere Erkrankung des Königs im Winter 1775/76 gegeben zu haben, da ein Gichtanfall dem anderen folgte und die Befürchtung eines nahen Endes bestand. Dachte Friedrich doch auch damals ernstlich daran, im Falle seines Todes seinen Bruder, den Prinzen Heinrich, mit einer Art vormundschaftlichen Regierung für den Thronfolger zu betrauen. Nur auf einzelne Kapitel, auf die auswärtige Politik und die Finanzverwaltung, beziehen sich hingegen die „Betrachtungen über den politischen Zustand Europas“ vom 9. Mai 1782, die durch die Zeitumstände veranlaßt worden sind, wie die „Betrachtungen über die preußische Finanzverwaltung“ vom 20. Oktober 1784. Beide Aufzeichnungen schließen mit einem dringlichen Appell an das Pflichtgefühl des Thronerben.

Allgemeinerer Art endlich sind die drei letzten Schriften dieser Gruppe: „Regierungsformen und Herrscherpflichten“ von 1777 und die gegen den französischen philosophischen Schriftsteller Baron Holbach und seine materialistische Weltanschauung gerichteten Streitschriften von 1770: „Kritik der Abhandlung „Über die Vorurteile“ “ und „Kritik des „Systems der Natur““, in denen Friedrich als Verteidiger der festen monarchischen Ordnung in Europa auftritt.

Den Beschluß des vorliegenden Bandes bilden die persönlichen Testamente des Königs. Das Hauptinteresse unter ihnen beanspruchen das vom 11. Januar 1752 mit seinem Kodizill vom 28. November 1757 und das vom 8. Januar 1769. Sie bilden ewmal die Ergänzung der Politischen Testamente von 1752 und 1768. Zwei<IX>tens aber sind sie von besonderer Bedeutung durch die Auffassung des Herrscherzamtes, zu der sich der König in ihnen bekennt. Wir kommen darauf zurück.

Zunächst eine allgemeine Bemerkung über Friedrichs Auffassung von Fürst und Staat. Überall dort, wo er von dem Ursprung der Staaten und der Quelle der Herrschergewalt spricht, dürfen wir nicht vergessen, daß er noch auf dem Boden der Lehre des älteren Naturrechts sieht. Diese geht von dem Individuum aus. Nach ihr setzt sich der Staat aus den einzelnen Individuen zusammen, die in ihm vereinigt sind. Ein erster Vertrag begründet die Rechtsordnung. Erst durch einen zweiten, den Unterwerfungsvertrag, wird das obrigkeitliche Verhältnis geschaffen, das den Staat ausmacht. Die Obrigkeit erhält damit lediglich die Funktion, den Gesetzen zur Herrschaft zu verhelfen und für die höchste Steigerung des Gemeinwohls zu wirken. „Ihr Existenzrecht“, um mit Dilthey zu reden, „ruht darin, wie sie die Gesetze schützt, die Justiz übt, die guten Sitten erhält und den Staat nach außen verteidigt.“ Da aber dieser Rechtsstaat zugleich Wohlfahrtsstaat ist, muß das Interesse der Obrigkeit mit dem Wohl des Ganzen zusammenfallen.

Der Fürst ist also nach Friedrichs Anschauung nur der Träger einer Funktion oder — wie er sich ausdrückt — „der erste Diener des Staates“. Er bedient sich dafür verschiedener Wendungen: neben „serviteur“ sagt er auch „domestique“, „magistrat“ oder „ministre“IX-1.

Diese Auffassung von den Regentenpflichten findet sich bereits im Altertum. Auch die Formulierung des antiken Gedankens begegnet schon lange vor Friedrichs Zeiten, bei Dante, Hobbes, die von einem „minister omnium“ und „minister multi-tudinis“ sprechen. König Jakob I. von England nannte sich in einer Rede vor dem Parlament (1604) den „größten Diener des Staates“. Swift bezeichnet den Herrscher ähnlich als „größten Diener des Volkes“, Fenelon ihn in seinem „Telemach“ als „Sklaven des Staates“. Massillon spricht in seinen Fastenpredigten (1718) von ihm als „Diener und Hüter des Gesetzes“, und Bolingbroke gebraucht die Wendung: „der erste Diener des Volkes“.

Wir wissen nicht, welche von diesen Ausdrücken Friedrich gekannt hat. Aber welche Fassung ihm auch vorgeschwebt haben mag, als er das Wort vom „ersten Diener des Staates“ schrieb, von entscheidender Bedeutung ist die Tatsache, daß er in ihm die Maxime seines Handelns sah. Das lehren nun im besonderen seine persönlichen Testamente. Da sehen wir, daß bei ihm nicht mehr die patriarchalische Auffassung des Königtums gilt, wie sie sewe Vorgänger auf dem Throne beherrschte, die Land<X> und Leute noch als fideikommissarischen Besitz des Hauses betrachteten. Friedrich scheidet vielmehr scharf zwischen dem Vermögen des Fürsten und dem „Eigentum des Staates“, zwischen staatlicher Sukzession und privatrechtlicher Erbfolge: nur auf den Allodialbesitz, aber nicht auf die Regierungsnachfolge bezieht sich die Erbesemsetzung. Zum erstenmal erfolgt damit in den Testamenten eines preußischen Herrschers, wie H. von Caemmerer in seinen Ausführungen über das Testament vom II. Januar 1752 feststellt, „die Anerkennung einer von der Person des Regierenden unterschiedenen Staatsgewalt“ — eine Auffassung, die eben in dem Worte von dem Fürsten als ersien Diener des Staates ihre klassische Prägung erhalten hat.

Die Übertragung des „Antimachiavell“ ist von Eberhard König besorgt worden, die des Politischen Testamentes von 1752, des Jugendbriefes an Natzmer, der Insiruktion für Behnisch, des „Abrisses der preußischen Regierung“ von 1776, sowie der persönlichen Tesiamente siammt von Friedrich von Oppeln-Bronikowski, die der übrigen Abhandlungen dieses Bandes von Willy Rath.

Der französische Text, der den Übersetzungen zugrunde liegt, ist gedruckt in den „Œuvrez de Frédéric le Grand“ (Bd. 6: Testament vom 8. Januar 1769; Bd. 8: AntimachiavellX-1; Bd. 9: Fürsienspiegel, Instruktion für Borcke, Abriß der preußischen Regierung, Regierungsformen und Herrscherpflichten, die Kritiken der Abhandlung „Über die Vorurteile“ und des „Systems der Natur“; Bd. 16: Schreiben an Natzmer; Bd. 26: das an August Wilhelm von 1741), in der „Politischen Cor-respondenz Friedrichs des Großen“ (Bd. 1: Schreiben an Podewils von 1741; Bd. 14: Instruktion für Finckensiein von 1757; Bd. 16: Testament vor Leuthen; Bd. 17: Schreiben an Prinz Heinrich nebst Ordre an die Generale von 1758), im Hohenzollern-Iahrbuch (Bd. 5: Instruktion für Behnisch; Bd. 15: Testament vom 11. Januar 1752), in der Historischen Zeitschrift (Bd. 60: die „Betrachtungen“ von 1782 und 1784). Für das Politische Testament von 1752 ist zugrunde gelegt die Zusammenstellung von G. Küntzel („Die Politischen Tesiamente der Hohenzollern“, Bd. 2; Leipzig und Berlin 1911), für das von 1768 die von E. Krielke (Konservative Monatsschrift, Jahrgang 69).

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Der Antimachiavell

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Vorwort

Der „Fürst“ von Machiavell bedeutet auf dem Gebiete der Moral, was Spinozas Wert für den Glauben bedeutet: Spinoza untergrub die Grundlagen des Glaubens, indem er nichts Geringeres anstrebte als einen Umsturz des Gebäudes der Religion: Machiavell pflanzte den Keim des Verderbens in das staatliche Leben und unternahm es, die Vorschriften gesunder Sittlichkeit zu zerstören. Waren die Irrtümer des einen nur Verirrungen des Denkens, so hatten die des andern ihre Bedeutung für das Leben selbst. Und doch! Gegen Spinoza haben die Glaubenshüter Sturm geläutet und zu den Waffen gerufen, sein Buch hat man in aller Form widerlegt, die Gottheit wider seine Angriffe behauptet — Machiavell ward kaum von einigen Moralisten umplänkelt und hat sich, ihnen zum Trotz und trotz seiner verhängnisvollen Lehre, auf dem Lehrstuhl der Staatskunsi behauptet bis in unsre Tage.

Ich wage es, die Verteidigung der Menschlichkeit aufzunehmen wider ein UngeHeuer, das sie verderben will, und so habe ich, sonder Scheu, was ich über dieses Buch zu sagen habe, jedem Kapitel gegenübergestellt, auf daß jedesmal unmittelbar neben dem Gifte das Gegengift bei der Hand sei.

Von jeher sah ich im „Fürsten“ Machiavells eins der gefährlichsten unter allen Büchern von Weltverbreitung. Naturgemäß wird es den Männern fürstlichen Standes, wird es allen, die Sinn für Fragen der Staatskunst haben, in die Hände fallen; und gehört nur wenig dazu, daß ein junger Mann, von Ehrgeiz beseelt und dabei an Gemüt und Urteil noch zu unfertig, um Gut und Böse zu unterscheiden, durch Grundsätze, die seinen ungestümen Leidenschaften schmeicheln, Schaden nehme, so muß man jedes Buch, von dem dergleichen Wirkung zu erwarten ist, für einen Unsegen, für einen Schädling am Wohle der Menschheit ansehen.

Doch ist es schon schlimm, den arglosen Sinn eines einzelnen zu verführen, dessen Einwirkung auf das Wohl und Wehe der Welt unerheblich ist, wieviel schlimmer ist es, dem Denken der Fürsten eine verderbliche Richtung zu geben, die berufen sind, Führer der Völker zu sein, Verweser des Rechts, Vorbilder darin für ihre Untertanen, sichtbare Abbilder der Gottheit, die ja erst ihre seelischen Eigenschaften, ihr innerer Wert zu Königen machen, viel mehr denn ihre Standeshoheit und ihre Macht.

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Die Überschwemmungen, die ganze Landstriche verwüsten, der zündende Blitz, der Städte in Asche wandelt, der Gifthauch der Pest, der Provinzen entvölkert — sie sind der Welt nicht so verhängnisvoll wie die schlechte Moral, wie die zügellosen Leidenschaften der Könige. Denn wie die Macht, Gutes zu tun, wofern sie dazu gewillt sind, in ihre Hand gegeben ist, gleichermaßen sieht es bei ihnen, Böses auszuüben, wenn sie es wollen. Ein Jammer ist's aber um das Los der Völker, alles vom Mißbrauch der Herrschermacht fürchten zu müssen: wenn all ihre Habe der Gier des Fürsten, ihre Freiheit seinen Launen, ihre Ruhe seinem Ehrgeiz, ihre Sicherheit seiner Tücke, ihr Leben seiner Grausamkeit ausgeliefert ist! Wohlan, da haben wir das Bild eines Reiches unter einem politischen Ungeheuer von jenem Schlage, wie Machiavell es zu züchten sich anheischig macht!

Gesetzt aber meinetwegen, das Gift des Autors fände seinen Weg nicht bis in Throneshöhe — ich behaupte: Solange Machiavell und Cäsar Borgia auch nur einen einzigen Jünger werben können, haben wir allen Grund, solch ein Schandbuch mit Entrüstung abzulehnen. Mancher hat gemeint, Machiavell habe weniger geschildert, wie's die Fürsten halten sollen, als wie sie's in Wirklichkeit treiben, eine Meinung, die um einer gewissen Wahrscheinlichkeit willen Anklang fand, sodaß man's bei solcher Verkehrtheit bewenden ließ, weil sie etwas Bestechendes hatte, und sie immer aufs neue vorbrachte, weil sie einmal ausgesprochen war.

Sei mir's denn vergönnt, die Sache der Fürsien wider ihre Verleumder zu führen, sie von der abscheulichsten Anklage zu reinigen, sie, deren Amt einzig und allein Arbeit zum Wohle der Menschheit ist.

Unzweifelhaft gründen sich derartige Beurteilungen von Fürsten auf das Beispiel des einen oder anderen Herrschers von übler Art, wie Machiavell solche anführt, auf die Geschichte der kleinen italienischen Gewalthaber seiner Tage und das Leben etlicher Tyrannen, die nach solchen bedenklichen Staatslehren verfahren sind. Demgegenüber erinnere ich, daß es in jeglichem Lande anständige Leute und schlimme Gesellen gibt, wie man wohl in jeder Familie neben Wohlgewachsenen Bucklige, Blinde oder Lahme findet; genau so gab's jederzeit und wird's jederzeit unter den Fürsien Mißgeburten geben, unwürdige Träger dieses heiligen Namens. Hinzufügen könnte ich, daß, bei der ungeheuren Macht der Versuchung da oben auf dem Throne, mehr denn der landläufige Menschenwert dazu gehört, dagegen fest zu bleiben; kein Wunder also, daß man so wenig gute Fürsten findet. So schnellfertige Beurteiler sollten doch daran denken, daß es neben Gestalten wie Caligula und Tiberius auch Herrscher wie Titus, Trajan und die Antonine gibt; so wäre es denn eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, einer Gesamtheit die Sünden von etlichen ihrer Glieder zur Last zu legen.

Möge die Weltgeschichte nur die Namen der guten Fürsten aufbewahren und die der anderen dem Untergange anheimgeben samt ihrer Faulheit und ihrem Unrecht. Was dabei die Bücher der Geschichte an Umfang verlörm, gewänne die Sache der<5> Menschheitveredlung; die Ehre eines Fortlebens in der Erinnerung wäre erst der angemessene Lohn für hohen persönlichen Wert. Das Buch Machiavells vermöchte nicht fürderhin seine vergiftende Wirkung auf die, die über Staatsftagen Belehrung suchen, auszuüben, nur Verachtung wäre sein Teil für all die kläglichen Widersprüche, in denen er ständig mit sich selber liegt, und man würde sehen, daß eine echte Staatskunsi der Könige auf der Grundlage von Gerechtigkeit und Güte doch etwas anderes ist als jenes zerfahrene Lehrgebäude voller Grauen und Falschheit, das Machiavells Dreistigkeit der Öffentlichkeit zu bieten gewagt hat.

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1. Kapitel

Von den Arten der Herrschaft und den Mitteln, zur Herrschaft zu gelangen.

Wer zu klarer Einsicht gelangen will, muß zunächst die Wesensart seines Gegenstandes ergründen, er muß zurückgreifen auf den Ursprung der Erscheinungen, um nach Möglichkeit ihre Anfänge und deren Gesetze zu erkennen; von da aus ist es leicht, ihre Entwicklungsstufen sowie alle denkbaren Folgerungen herzuleiten.

Statt die verschiedenen Arten der Staaten zu beschreiben, wäre es meines Erachtens Machiavells Aufgabe gewesen, dem Ursprung der Fürsten und der Quelle ihrer Herrschergewalt nachzugehn, zu erörtern, was wohl freie Menschen bestimmen konnte, sich selber Herren zu geben.

Allerdings wunderlich genug hätten sich in einem Werke, das so recht ein Dogmen- und Lehrbuch tyrannischer Ruchlosigkeit abgeben sollte, Betrachtungen ausgenommen, die geeignet gewesen waren, allen Tyrannenrechten den Boden zu entziehen. Es wäre eine harte Zumutung für Machiavell gewesen, ausführen zu müssen: um ihrer Ruhe, um ihrer Erhaltung willen haben es die Völker für nötig befunden, Richter zu haben, die ihren Hader schlichten, Schirmherren, die ihren Besitz wider die Neider decken, Fürsten, die die Interessen aller, so mannigfaltig sie sind, zusammen, fassen könnten zu einem großen Gesamtinteresse, und die Völker haben aus ihrer Mitte die Männer ausgewählt, die sie für die weisesten, gerechtesten, uneigennützigsten, menschlichsten und tapfersten hielten, über sie Herren zu sein und die drückende Last der Geschäfte ihnen abzunehmen.

Also, Wahrung des Rechtes, hätte man ihm vorgehalten, ist demnach eines Herrschers erste Obliegenheit. Über alles soll ihm seiner Völker Wohlfahrt gehn. Ihres Gedeihens oder Behagens Mehrer oder auch Begründer hätte er demnach zu sein. Aber was sollen dann all diese Begriffe Eigennutz, Hoheit, Ehrgeiz, Despotismus? So läuft's also darauf hinaus, daß der Herrscher, weit entfernt, der unumschränkte Gebieter über seine Untertanen zu sein, nur ihr erster Diener ist, das Werkzeug ihres Glückes, wie jene das Werkzeug seines Ruhmes. Nein, der Verfasser fühlte wohl: bei einem Eingehn auf Betrachtungen solcher Art war wenig Ehre für ihn zu holen, diese Erörterung konnte höchstens die Zahl der kläglichen Widersprüche mehren, daran seine Staatslehre krankt.

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Machiavells Grundsätze widersprechen ebenso gesunden sittlichen Begriffen wie eines Descartes Lehrgebäude dem Newtons. Dem kartesianischen Wirbel entspricht hier der alles wirkende Eigennutz. Dieses Staatslehrers Grundsätze sind ebenso verderbt, wie die Gedanken jenes Philosophen oberflächlich sind. Nichts kommt der Frechheit gleich, mit der dieser Schandpolitiker Anweisung zu den abscheulichsten Verbrechen gibt; ging's nach ihm, so stünde die empörendste Ungerechtigkeit in allen Ehren, sobald Selbstsucht und Ehrgeiz dahinterstehn. Untertanen sind Hörige, deren Leben und Tod ohne Einschränkung vom Willen des Fürsten abhangen, ungefähr wie die Schafe in der Hand des Züchters, dessen Zwecken ihre Milch dient und ihre Wolle, und der sie auch wohl abschlachten läßt, wenn's ihm paßt.

Meine Aufgabe ist's, jene irrigen und heUlosen Grundsätze im einzelnen zu widerlegen. Doch sei dies jeglichem Kapitel im besonderen vorbehalten, wie sein Gegenstand es mit sich bringt.

Aber so viel schon hier im allgemeinen: nach meinen Ausführungen über den Ursprung der Fürsten erscheint das Tun eines Usurpators noch empörender, als wenn man nur die Gewalttat als solche im Auge hat: er schlägt eben der Meinung und Absicht der Völker ins Gesicht, die einen Herren über sich gesetzt haben lediglich, damit der ihnen Schirm und Schutz sei, die nur unter dieser Bedingung sich ihm unterworfen haben! Während, wenn sie dem Zwingherrn gehorchen, sie damit sich selbst und ihre Habe preisgeben, um die Gier und die Laune eines oft grausamen und immer verabscheuten Tyrannen zu befriedigen.

Es gibt also nur drei Wege, auf rechtmäßige Weise Herr über ein Land zu werden: durch Erbfolge, durch Wahl durch die Völker, die zur Wahl ermächtigt sind, oder durch Eroberungen von feindlichen Provinzen in einem rechtmäßig unternommenen Kriege.

Ich bitte meine Leser, diese Bemerkungen über das erste Kapitel Machiavells nicht zu vergessen; sie sind gleichsam der Angelpunkt für alle meine folgenden Betrachtungen.

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2. Kapitel

Von den erblichen Fürstentümern.

Menschen haben vor allem, was da alt ist, eine an Aberglauben grenzende Ehrfurcht; kommt zu dieser Macht des Alten über das Menschengemüt noch das Gewicht ererbten Rechtes, so gibt's kein unzerbrechlicher Joch, keins, das sich leichter trüge. So liegt mir's denn auch fern, Machiavell zu bestreiten, was ein jeder ihm zugestehen wird, daß sich ein Erbreich am leichtesten regiert.

Hinzufügen will ich hier noch, daß die erblichen Fürsten ihre innige Verbindung mit des Reiches mächtigsten Geschlechtern in ihrem Besitze sichert; verdankt doch deren Mehrzahl erst dem Herrscherhause alles, was sie haben und sind. So ist ihr Geschick untrennbar von dem des Fürsten, mit ihm stehen und fallen sie.

Heutzutage haben die zahlreichen Truppen, die starken Heere, die die Fürsten in Kriegs- und Friedenszeiten unterhalten, auch ihren wesentlichen Anteil an der Sicherung der Staaten: sie halten den Ehrgeiz der Nachbarfürsien in Schach, wie nackte Schwerter, die die Klinge der Gegner in die Scheide bannen.

Aber mit Machiavells „ordinaria industria“, die er vom Fürsten verlangt, ist's nicht getan; er soll darauf sinnen, wie er sein Volk glücklich mache, das ist meine Forderung! Ein zufriedenes Volk wird niemals an Aufruhr denken, ein glückliches Volt bangt vor dem Verlust seines Herrschers, der zugleich sein Wohltäter ist, mehr als dieser selbst vor einer Einbuße seiner Macht. Nie hätten sich die Holländer gegen die Spanier erhoben, hätte nicht die Gewaltherrschaft der Spanier so alles Maß überschritten, daß die Holländer gar nicht mehr unglücklicher werden konnten.

Die Königreiche Neapel und Sizilien sind mehr denn einmal aus den Händen der Spani,er in die des Kaisers übergegangen, und umgekehrt; die Eroberung war jedesmal ein Kinderspiel, da die Herrschaft des einen wie der andern unerträglich war und diese Völker stets in dem neuen Herrn den Befreier erhofften.

Mit diesen Neapolitanern vergleiche man die Lothringer. Als sie zum Wechsel ihres Herrscherhauses gezwungen wurden, war ganz Lothringen untröstlich; sie beklagten den Verlust der Nachkommen jener Herzöge, die seit so vielen Jahrhunderten dieses blühende Land besessen hatten, darunter Herrschergestalten, die ihre Güte zu<9> Vorbildern für Könige machen konnte. Das Gedächtnis eines Herzogs Leopold9-1 war den Lothringern so teuer, daß das Volk, als dessen Witwe Luneville verlassen mußte, vor ihrem Wagen sich auf die Knie warf und man immer wieder die Pferde anhalten mußte; man hörte nur Laute der Klage und sah nur Tränen.

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3. Kapitel

Von Herrschaften gemischter Art.

Das fünfzehnte Jahrhundert war gleichsam das Kindheitsalter der Kunst. Lorenzo der Medizeer erweckte sie in Italien durch seinen Schutz zu einem neuen Leben, doch war die Lebenskraft dieser Künste und Wissenschaften zu den Tagen Ma-chiavells noch zart, als wären sie eben von langem Siechtum erstanden. Philosophie und Geometrie waren wenig oder gar nicht vorangekommen, ein folgerichtiges Denken, wie man's in unsern Tagen übt, noch in weitem Felde. Selbst die Gelehrten erlagen dem Zauber jeder glanzvollen äußeren Erscheinung. Damals gab man dem düsteren Ruhm der Eroberer, ihren Aussehen erregenden Taten, die sich durch ihre Großartigkeit eine gewisse Achtung erzwingen, den Vorzug vor der Milde, der Ge-rechtigkeit, der Gnade und allen Tugenden; heute stellt man die Menschlichkeit höher als alle Eigenschaften eines Eroberers und ist von dem Wahnwitz gehellt, die wilden und grausamen Leidenschaften, die es auf den Umsturz der Welt und die Vernichtung tausendfachen Lebens absehen, noch obenein zu feiern und zu ermutigen. Über allem thront die Gerechtigkeit, vom Heldentum des Eroberers und von seinen kriegerischen Gaben mag man nichts mehr wissen, sobald sie Verderben drohen.

Machiavell mochte, vom Standpunkt seiner Zeit aus, noch sagen, der Eroberungsdrang liege in der Menschennatur, und des Eroberers Ruhm sei erhaben über jeden Zweifel. Wir entgegnen ihm heut: wohl ist der Wunsch, sein Gut zu wahren und auf rechtmäßige Weise zu mehren, der menschlichen Natur eigen, aber die Gier nach immer mehr ist nur das Merkmal ganz niedrig gearteter Seelen; ein Verlangen, sich vom Raube am Nächsten zu vergrößern, wird im Herzen eines anständigen Menschen, der Wert auf die Achtung der Welt legt, nicht so leicht Eingang finden.

Mit der Lehre Machiavells könnte höchstens ein einziger Mensch in der Welt etwas anfangen, der sich dann daran machen müßte, die ganze andere Menschheit auszurauben. Wollten viele Herrennaturen sich als Eroberer auftun, einer dem andern das Seine entreißen — welch ein Drunter und Drüber! Wenn sie, neidisch auf alles, was sie nicht haben, nur daran dächten, alles an sich zu reißen, zu verwüsten, jedem das Seine zu rauben! Schließlich gäb's nur einen Herrn der Welt, den Erben<11> des Besitzes aller, den er freilich nicht länger wahren könnte, als es die Herrschbegier des ersten besten, der da käme, zuließe.

Was kann einen Menschen, frage ich, dazu bringen, seinen Machtbereich erweitern zu wollen? Was kann ihm den Mut geben zu dem Entschlusse, seine Macht zu errichten auf dem Elend und dem Untergange anderer Menschen? Und wie vermag er zu glauben, daß er sich Ruhm und Ehre sichere, indem er nichts als Jammer verbreitet? Neue Eroberungen eines Herrschers machen die Staaten, die er bislang besaß, nicht gesegneter und reicher; nichts haben seine Völker davon, und wenn er sich einbildet, er werde dadurch glücklicher werden, so tauscht er sich. Sein Ehrgeiz wird sich auf diese eine Eroberung nicht beschranken wollen; so wird er unersättlich und damit stets unzufrieden mit sich selber sein. Wieviel große Fürsien lassen durch ihre Heerführer Länder erobern, die sie niemals zu sehen bekommen! So sind das gewissermaßen nur eingebildete Eroberungen, fast ohne jeden Wirklichkeitswert für die, in deren Namen sie geschehen. Auf das Elend von Tausenden läuft's hinaus, um die ausschweifenden Wünsche eines einzigen zu befriedigen — eines einzigen, der oft vielleicht nicht einmal verdient, daß die Welt seinen Namen kennt!

Aber nehmen wir an, dieser Eroberer unterwerfe seiner Herrschaft die ganze Welt: wird er sie darum auch regieren können? Und wär' er ein Fürst, noch so groß, er bleibt ein Wesen von eng begrenztem Wirkungsbereich, ein Atom, ein armselig Geschöpf, das, kaum bemerkbar, an der Erdoberfläche dahinkriecht. Kaum daß er die Namen seiner Länder behält, und all seine Größe wird ihn erst in all seiner Bedürftigkeit bloßstellen.

Auch ist gar nicht die Ausdehnung seines Herrschbereichs des Fürsten Ruhm; der Hängt nicht von einem Mehr oder Minder von Landmeilen ab — das hieße ja Ehre und Würde nach der Zahl der Quadratruten messen.

Ein mannhafter Sinn, ein offener Kopf, Erfahrungsfülle und Macht über die Gemüter, das sind gewiß Züge im Bilde des Eroberers, die auch an sich ihre Bewunderer finden werden; doch mißbrauchen wird solche Gaben nur Herrschbegier und Bosheit des Herzens. Ruhm gewinnt sich allein, wer seine Kräfte daran setzt, daß Recht Recht bleibe, und zum Eroberer nur wird, wenn die Not, nicht aber sein wilder Sinn es gebietet.

Es ist mit dem Kriegshelden wie mit dem Wundarzte: wenn er durch schonungslosen Eingriff ein Menschenleben rettet, schätzt man ihn hoch, verabscheut ihn aber, sobald er durch einen schändlichen Mißbrauch seines Berufes ohne Not dergleichen vornimmt, nur um seine geschickte Hand bewundern zu lassen.

Nein, nicht immer nur auf den eigenen Vorteil soll der Mensch bedacht sein; täten alle so, wo bliebe dann noch die Gesellschaft? Statt seine Sondervorteile hinter dem Gemeinwohl zurücktreten zu lassen, würde das allgemeine Beste ja das Opfer jener werden. Warum nicht lieber einstimmen in diesen köstlichen Einklang, der Reiz und Wärme dem Leben gibt, der Gesellschaft Gedeihen? Warum nicht lieber groß sein,<12> indem man die anderen sich verpflichtet, indem man sie mit Guttat überhäuft? Man soll sich doch stets gegenwärtig halten den Grundsatz: Was du nicht willst, daß man dir tu, das füge keinem andern zu. Dann käme keiner mehr auf den Einfall, sich der Besitztümer des Nächsten zu bemächtigen, wäre jeder mit seinem Glücksstande zufrieden.

Der Wahn von der Erobererherrlichkeit mochte zu Machiavells Zeit allgemein verbreitet sein; für seine Nichtswürdigkeit ist er zuversichtlich allein verantwortlich. Was schlägt er für abscheuliche Mittel zur Behauptung von Eroberungen vor! Bei Licht besehen, ist nicht eins darunter, das vernünftig oder gerecht wäre: „Ausgetilgt den Fürstenstamm, der vor eurer Eroberung an der Herrschaft war!“ so rät dieser Nichtswürdige. Kann man dergleichen Lehren ohne Schauder und Entrüstung lesen? Das heißt mit Füßen treten, was es an Heiligem und Unverletzlichem auf Erden gibt, und von allen Gesetzen gerade das umstürzen, was dem Menschen am höchsten stehen soll; das heißt der nackten Selbstsucht die Wege jedes gewalttätigen Verbrechens bahnen, Verrat, Mord und Totschlag und was es sonst noch Verruchtes auf der Welt gibt, gutheißen.

Wie konnte nur eine Obrigkeit die Veröffentlichung der ruchlosen Staatslehre eines Machiavell zulassen? Wie konnte man diesen fluchwürdigen Verbrecher in der Welt sein Wesen treiben lassen, der jedes Recht auf Besitz und Lebenssicherheit über den Haufen wirft — ein Recht, das den Menschen heilig ist wie keines sonst, das der Gesetzgeber ernst nimmt wie kein zweites, das unverletzlichste nach den Geboten der Menschlichleit. Wie? Wenn ein Ehrgeiziger sich mit bewaffneter Hand der Staaten eines Fürsten bemächtigt hat, soll er das Recht haben, jenen mit Dolch oder Gift aus dem Wege räumen zu lassen? Daß nur der Brauch, den er da aufbringt, sich nicht verhängnisvoll gegen den Eroberer selber kehre! Ein Zweiter, noch ehrgeiziger, noch geschickter denn er, wird Gleiches mit Gleichem vergelten, wird in seine Staaten einbrechen und ihn unter gleichem Rechtsbruch ums Leben bringen, wie er seinen Vorgänger. Welche uferlose Hochflut von Untat, Grausamkeit, Roheit, wobei aller Glaube an die Menschheit verzweifeln möchte! Solch ein Königtum wäre wie ein Reich von Wölfen, dem freilich ein Tiger wie Machiavell als Gesetzgeber geziemte. Gälte nur noch Verbrechen in der Welt, so wäre damit die Ausrottung des Menschengeschlechts gegeben; ohne Herrschaft der Sittlichkeit gibt's keine Sicherheit für Menschen.

Der zweite Grundsatz, den Machiavell aufstellt, heißt: „Ein Eroberer soll seinen Sitz in seinem neuerworbenen Gebiete ausschlagen.“ Darin liegt durchaus keine Härte, in mancher Hinsicht hat der Gedanke sogar etwas für sich; nur muß man bedenken, die Mehrzahl der Staaten der großen Fürsten wird ihrer ganzen Lage nach eine Entfernung des Herrschers aus dem Herzen seines Reiches ohne fühlbare Nachteile für den Staat kaum zulassen; geht doch vom Herrscher alle lebendige Kraft im Staatskörper aus; scheidet er also aus dessen Mittelpunkt, so werden notwendigere weise die Glieder verkümmern.

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Ein dritter Grundsatz seiner Staatslehre heißt: „In neueroberten Ländern soll man Siedlungen anlegen, so wird man sich die Treue der neuen Bürger sichern.“ Der Verfasser beruft sich darauf, daß es die Römer so gehalten, und tut sich was darauf zugute, wenn er hier und da in der Geschichte Beispiele ähnlicher Ungerechtigkeiten, wie er sie empfiehlt, vorfindet. Dies Verfahren der Römer war ebenso ungerecht wie alt. Mit welchem Rechte tonnten sie rechtmäßige Besitzer von Haus, Boden und Habe vertreiben? Weil man's straflos tun kann, ist Machiavells Begründung, da die Entrechteten arm und zur Rache zu schwach sind. Welch ein Gedankengang ! Du bist mächtig, deine Untergebenen sind schwach, also kannst du sie ohne Scheu vergewaltigen. So wär's also nur die Furcht, was den Menschen vom Verbrechen abhalten kann — nach Machiavell. Allein kraft welches Rechtes darf sich denn ein Mensch so unbeschränkte Gewalt über seinesgleichen anmaßen, daß er frei mit ihrem Leben und ihrem Eigen schaltet, und wenn's ihn gut dünkt, sie dem Elend preisgibt? Sicherlich, so weit geht auch Erobererrecht nicht. Sind denn die Gemeinschaften nur gebildet und hergerichtet als Opfer für die sinnlose Leidenschaft niedriger Selbstsucht und Ehrgier? Ist diese Welt nur dazu da, die Tollheit und Wut eines entarteten Tyrannen zu sättigen? Kein vernünftiger Mensch wird jemals dergleichen Ansichten behaupten, es müßte ihn denn maßlose Ehrbegier blind machen und in ihm die Helle des gesunden Menschenverstandes und menschlichen Gefühles verdunkeln.

Grundfalsch ist es, daß ein Fürst straflos unrecht tun könne: Mögen seine Untertanen ihn nicht auf der Stelle dafür strafen, mag selbst der Blitz des Himmels ihn nicht zerschmettern, wenn das Maß voll ist — sein Ruf in der Welt wird doch dahin sein, sein Name wird unter denen genannt werden, die der Schrecken der Menschheit heißen, und der Abscheu seiner Untertanen wird seine Strafe sein. Was sind das für politische Grundsätze: nur kein Unrecht halb tun, lieber mit Stumpf und Stiel ein Volk ausrotten, oder wenigstens es so schinden und so gründlich knechten, daß es euch niemals mehr gefährlich sein kann, das letzte Fünkchen der Freiheit zertreten und die Zwingherrschaft bis auf den Eingriff in das Eigen, die Gewalttat bis auf das Leben der Herrscher ausdehnen! Nein, eine größere Abscheulichkeit ist undenkbar. Solche Regeln sind ebenso unwürdig einer gesunden Vernunft wie eines redlichen Herzens. Da ich diesen Punkt im fünften Kapitel des längeren zu widerlegen gedenke13-1, verweise ich den Leser dahin.

Sehen wir nun zu, ob diese Siedlungen, die nach Machiavell dem Fürsten einen solchen Aufwand von Untaten lohnen sollen, wirklich so wertvoll sind, wie der Verfasser behauptet. Entweder schickt man in das neueroberte Land Kolonisten stark an Kopfzahl oder nur schwach. Im ersten Fall wird der eigene Staat bedenklich entvölkert und im eroberten eine große Schar der neuen Untertanen verjagt — das<14> schwächt nur die Kräfte eines Fürsten; denn seine höchste Macht besieht in der großen Zahl derer, die ihm gehorchen. Im anderen Fall wird eine schwache Kopfzahl an Siedlern euch schwerlich für die Sicherheit in dem eroberten Gebiete stehen können, da diese Handvoll Menschen nicht gegen die Eingesessenen aufkommen kann. So werden die, so ihr von Haus und Hof jagt, ins Elend kommen, ohne daß ihr Gewinn davon habt.

Viel besser also, man schickt Truppen in die neu unterworfenen Gebiete; die bringen Zucht und Ordnung mit, drücken die Bevölkerung nicht und fallen auch den Städten, wo man ihnen Standorte anweist, nicht zur Last. Freilich zur Steuer der Wahrheit muß ich hier bemerken: zur Zeit Machiavells waren die Truppen etwas ganz anderes als heutzutage. Die Landesherren unterhielten keine großen Heere, jene Truppen waren meist nur Räuberhaufen, die gemeiniglich nur von Gewalttat und Raub lebten; von Kasernen wußte man noch nichts, ebensowenig von den tausenderlei Dienstvorschriften, die in Friedenszeiten der Frechheit und Liederlichkeit der Soldateska einen Zügel anlegen.

In bedenklichen Fällen, das ist mein Grundsatz, scheinen die glimpflichsten Maßnahmen stets die besten.

„Ein Fürst soll die kleineren Nachbarfürsien an sich ziehen, sich zu ihrem Schirm, Herrn aufwerfen und Zwietracht zwischen ihnen säen; so wird er's in der Hand haben, sie zu erheben oder zu erniedrigen.“ So der vierte Satz Machiavells — fürwahr die Lehre eines Mannes, der glauben möchte, die Welt sei nur für ihn geschaffen. Die frevelhafte Tücke Machiavells erfüllt sein ganzes Werk gleich dem Gestank eines Schindangers, der ringsum die Luft verpestet. Ein anständiger Mensch würde den Mittler spielen unter jenen kleinen Fürsten, ihre Händel gütlich schlichten und sich ihr Vertrauen durch seine Redlichkeit, seine unverkennbare Unparteilichkeit bei ihren Zwistigkeiten und seine völlige Uneigennützigkeit verdienen. Seine Macht gäbe ihm die Stellung eines Vaters unter seinen Nachbarn, nicht ihres Bedrückers, und seine Größe wäre ihr Schutz, nicht aber ihr Verderben.

Freilich, Fürsten, die anderen zum Aufstieg verhelfen wollten, haben damit oft sich selbst ihren Niedergang bereitet; unser Jahrhundert weist hierfür zwei Beispiele auf: das Karls des Zwölften, der Stanislaus auf den Thron von Polen erhob14-1, und ein anderes noch jüngeren Datums14-2.

Mein Schluß lautet demnach: Thronraub verdient niemals Ruhm; Meuchelmord wird zu aller Zeit ein Abscheu des Menschengeschlechtes sein; Herrscher, die sich mit Unrecht und Gewalttat an ihren neuen Untertanen vergehen, werden sich die Herzen aller entfremden, anstatt sie zu gewinnen. Rechtfertigung des Verbrechens ist ein Unding; wer je die Sache des Unrechts führen will, wird ebenso zum Erbarmen<15> schiefe Denkwege wandeln müssen wie Machiavell. Der verdient seine Vernunft zu verlieren und mit seinem Gerede als unzurechnungsfähig dazustehen, der einen so schändlichen Mißbrauch von der Gabe des Denkens wagt, daß er sie gegen das Wohl der Menschheit kehrt. Das heißt, sich mit einer Waffe verwunden, die uns nur zu unserer Verteidigung gegeben ward.

Ich wiederhole, was ich im ersten Kapitel gesagt habe: Die Fürsten sind zu Richtern der Völker geboren; was sie groß macht, hat seinen Ursprung in der Pflege des Rechtes. Niemals dürfen sie also die Grundlage ihrer Macht und die ursprüngliche Bestimmung ihres Amtes verleugnen.

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4. Kapitel

Warum das Reich des Darius nach dem Tode seines Eroberers Alexander nicht wider dessen Nachfolger sich erhob.

Den Geist der einzelnen Völker zu verstehen, braucht man sie nur nebeneinander zu betrachten, wie Machiavell in diesem Kapitel die Türken und die Franzosen, Völker, die sich in Gebräuchen, Sitten und Anschauungen außerordentlich unterscheiden. Warum ist die Eroberung des Türkenreiches so schwer, fragt er, ihre Behauptung aber so leicht? Ebenso führt er aus, was alles eine mühelose Unterjochung Frankreichs begünstige, was dann aber dauernd die Ruhe des Besitzers bedrohe, weil Aufruhr ohne Ende das Land erfülle.

Der Autor sieht die Dinge nur von einer Seite an: er hält sich lediglich an die Verfassung der Regierungen und scheint zu glauben, die Macht des türkischen und persischen Reiches beruhe nur auf der Oberherrlichkeit eines einzelnen Hauptes über knechtisch unterjochte Völker, well er nur die Vorstellung eines festgegründeten, uneingeschränkten Despotismus kennt, als des sichersten Mittels für einen Fürsten, ungestört zu herrschen und seinen Feinden kraftvoll zu widerstehen.

Zu Machiavells Zeiten sah man freilich in dem Hochadel und den Edelleuten Frankreichs gleichsam kleine Herrscher, in gewissem Sinne Teilhaber an der Fürstengewalt, was Anlaß zu allerhand Spaltungen, zu starken Parteibildungen schuf und häufigen Empörungen Nahrung gab. Und doch weiß ich nicht, ob der Großherr nicht eher der Gefahr einer Entthronung ausgesetzt ist als ein König von Frankreich. Der Unterschied zwischen ihnen ist nur der: ein Türkenkaiser wird gewöhnlich von den Ia-nitscharen erdrosselt, während die Könige Frankreichs, die umgekommen sind16-1, gewohntermaßen von Mönchen umgebracht wurden. Doch Machiaoell spricht in diesem Kapitel mehr von Umwälzungen im allgemeinen als von Einzelfällen; er hat in der Tat einige Triebfedern in dem höchst kunstreich gebauten Uhrwerk herausgefunden, doch spricht er nur als Mann der Staatskunst. Vielleicht, daß der Philosoph das eine oder andere hinzufügen kann.

Die Unterschiede der Himmelsstriche, der Ernährung und Erziehung schassen eine völlige Ungleichheit in Lebensart und Denkweise, daher denn ein Wilder aus Amerika <17>ganz anders handelt, als ein gebildeter Chinese; daher denn das Temperament eines Engländers, tief wie Seneka, aber grillenhaft, etwas ganz anderes ist als der Mut und lächerlich-dumme Stolz eines Spaniers; daher denn ein Franzose mit einem Holländer so wenig Verwandtschaft hat wie die Lebhaftigkeit eines Affen mit der Schwerfälligkeit einer Schildkröte.

Von jeher erkannte man als die Seele der orientalischen Menschheit den Sinn der Beharrung bei der Lebensweise und den Sitten der Vorzeit, wovon sie niemals abgeht. Ihre Glaubenslehre, eine andere als die der Europäer, verpflichtet sie obendrein, niemals eine Unternehmung von sogenannten Ungläubigen zum Nachteil ihrer angestammten Herren zu begünstigen und gewissenhaft jeglichen Eingriff in ihren Glauben, jeglichen Umsturz ihrer Regierung zu verhüten. Auf diese Weise sichert die Sinnlichkeit ihrer Glaubensvorstellungen und die Unwissenheit, die nicht zuletzt sie so unverbrüchlich an ihren alten Sitten festhalten läßt, den Thron ihrer Herren wider die Begehrlichkeit der Eroberer. Ihre Denkweise verbürgt zuverlässiger die Dauer ihrer mächtigen Monarchie als ihre Staatsleitung.

Im Gegensatz zum Moslem ist die so völlig anders geartete seelische Veranlagung des französischen Volles ganz und gar oder mindestens zum guten Teil der Grund für die häufigen Umwälzungen in diesem Reiche: Leichtes Blut, unbeständiger Sinn war jederzeit ein Grundzug dieses liebenswürdigen Voltes. Die Franzosen sind unruhige und wilde Köpfe; gar bald langweilt sie, was den Reiz der Neuheit verlor; ihre Lust an der Veränderung hat vor den ernstesten Dingen noch nicht haltgemacht. Es scheint, als hätten es jene Kardinäle, die dort nacheinander, bald gehaßt, bald verehrt, das Reich lenkten, auf der einen Seite, bei der Niederwerfung der großen Herren, mit Machiavell gehalten, auf der andern Seite aber in ihrer Kenntnis der Volksseele es verstanden, die häufigen Stürme abzuwenden, die dem Throne der Herrscher immer wieder von der Untertanen leichtfertigem Sinne drohten.

Richelieu kannte nur ein Ziel seiner Politik: Niederwerfung der Großen, um die Königsmacht zu heben und sie zur Grundlage des Despotismus zu machen. Das gelang ihm in so hohem Maße, daß in diesem Augenblicke in Frankreich nur noch Spuren der alten Macht des Adels übrig sind und aller jener Standesvorrechte, die nach Ansicht der Könige der Hochadel des öfteren mißbrauchte.

Der Kardinal Mazarin trat in seines Vorgängers Fußtapfen. Trotz allem Widerstand, den er erfuhr, hatte er doch eine glückliche Hand und raubte obenein noch dem Parlamente seine alten Vorrechte, sodaß heutzutage das Ansehen dieser würdigen Körperschaft nur noch ein Schatten von ehedem ist; es ist ein Scheinwesen geworden, manchmal bildet sich's wohl ein, es könnte eines Tages noch einmal ein lebendiges Gebilde vorstellen, muß aber solchen Wahn regelmäßig bitter bereuen.

Die gleiche Politik, die jene beiden großen Staatsmänner zur Errichtung eines unbeschränkten Despotismus in Frankreich führte, gab ihnen das geschickte Mittel an die Hand, den leichtfertigen und unbeständigen Sinn der Nation, um ihre Gefähr<18>lichkeit zu mindern, ständig angenehm zu beschäftigen; tausend Nichtigkeiten, tausend Tändeleien und Vergnügungen mußten die Gedanken der Franzosen ablenken, und siehe, dieselben Menschen, die gegen Cäsar sich erhoben, unter den Valois die Fremden zu ihrer Hilfe ins Land gerufen hatten, die sich gegen Heinrich IV. verbündet, unter der Vormundschaftsregierung Verschwörungen angezettelt hatten18-1, diese selben Franzosen wußten in unsern Tagen nichts Gescheiteres, als in der Modejagd mitzurennen, mit großer Geflissenheit ihren Geschmack zu ändern, heute zu verachten, was sie gestern bewundert hatten, ihre Untreue und ihren Leichtsinn in all ihrem Tun an den Tag zu legen, ob sich's um ihre Geliebte handelte, ihren Aufenthalt, ihre Vergnügungen, ihre Ansichten oder Narrheiten — nur immer etwas Neues! Damit noch nicht genug. Auch starke Heere und Festungen in großer Zahl sichern jetzt den Herrschern Frankreichs für immer ihre Königsgewalt, sie haben nichts mehr zu fürchten, nichts von inneren Kriegen, nichts von etwaigen Erobererzügen ihrer Nachbarn.

Es ist anzunehmen, daß die französische Regierung, da sie mit einem Teil der Grundsätze Machiavells soviel Glück gehabt hat, auf so gedeihlichem Wege nicht stehenbleiben und nicht verfehlen wird, alle seine Lehren in Anwendung zu bringen. Am Erfolge braucht man nicht zu zweifeln angesichts der Einsicht und Geschicklichkeit des Ministers, der augenblicklich am Ruder ist18-2.

Doch hören wir lieber auf, sagte der Pfarrer von Colignac, damit wir keine Dummheiten sagen.

<19>

5. Kapitel

Wie Städte oder Fürstentümer zu beherrschen sind, die vor ihrer Eroberung nach eigenen Gesetzen lebten.

Der Mensch ist ein vernünftiges, zweibeiniges Wesen ohne Federn — so hat die Schulweisheit einmal über unsere Art entschieden. Für den einen oder andern mag's mit dieser Begriffsbestimmung seine Richtigkeit haben; für die große Mehrheit trifft sie durchaus nicht zu, denn vernünftig ist nur eine kleine Minderzahl, und selbst diese vielleicht in einer Hinsicht nur; in zahllosen anderen Fällen ist das Gegenteil richtig. Der Mensch, kann man allenfalls sagen, ist ein Lebewesen, das Gedanken faßt und Gedanken verkettet. Das gilt allgemein für das ganze Geschlecht. Hierin treffen sich der Weise wie der Schwachkopf, der, welcher hohe, wie der, welcher niedrige Gedanken in sich hegt, der Freund der Menschlichkeit wie ihr Widersacher, der ehrwürdige Erzbischof von Cambrai19-1 und der nichtswürdige Florentiner Politikus.

Hat jemals Machiavell sich der Vernunft entschlagen, beim Denken vergessen, was er seiner Gattung schuldig ist, so ist's in diesem Kapitel: drei Wege schlägt er da dem Fürsten vor, einen freien republikanischen Staat, den er erobert hat, zu behaupten.

Der erste gewährt dem Fürsien gar keine Sicherheit; auf den zweiten könnte höchstens ein Irrsinniger verfallen; der dritte, nicht ganz so übel wie die zwei andern, hat gleichwohl seine Bedenken.

Warum überhaupt diesen Freistaat mit Waffengewalt einnehmen? Warum durchaus das ganze Menschengeschlecht in Ketten werfen, freie Menschen in Knechtschaft beugen? Nur damit ja die ganze bewohnte Welt eures ungerechten und boshaften Sinnes inne werde; nur damit eine Machtordnung, die für das Glück der Bürger da war, eurer Selbstsucht gefügig gemacht werde! An solchen abscheulichen Grundsätzen müßte unfehlbar die ganze Welt zugrunde gehen, sofern sie viele Bekenner fänden. Jeder ist sich wohl zur Genüge darüber klar, wie Machiavell wider die Gebote der Sittlichkeit frevelt. Wie er sich an aller Vernunft und Klugheit versündigt, wollen wir jetzt sehen.

„Man bringt einen Freistaat nach seiner Eroberung in Botmäßigkeit, indem man eine beschränkte Anzahl von Männern als Obrigkeit und als die Hüter eurer Ober<20>Hoheit einsetzt.“ Schon diese erste Regel des Staatslehrers würde dem Fürsten nichts weniger als die geringste Sicherheit einbringen. Denn es ist nicht ersichtlich, wie ein Freistaat, den einzig und allein ein Häuflein von Anhängern des neuen Gebieters im Zaume hält, dazu kommen sollte, ihm Treue zu bewahren. Naturgemäß wird seine alte Freiheit ihm lieber sein als die Knechtschaft, und er wird sich der Gewalt des Zwingherrn zu entziehen suchen; der Aufruhr wird nicht länger als bis zur ersten günstigen Gelegenheit auf sich warten lassen.

„Kein zuverlässigeres Mittel, einen freien Staat, den man in seine Gewalt gebracht hat, zu behaupten, als seine Zerstörung.“ Allerdings das sicherste Mittel, keinen Aufruhr befürchten zu müssen! Vor Jahren beging ein Engländer in London die Narrheit, sich zu töten; man fand auf seinem Tische einen Zettel, auf dem er sein befremdliches Tun damit rechtfertigte, er habe sich das Leben genommen, um niemals krank zu werden. Ich weiß nicht, ob das Heilmittel nicht schlimmer war als das Leiden. Von Menschlichkeit spreche ich hier nicht mit einem Scheusal wie Machiavell, das hieße den ehrwürdigen Namen einer Tugend, in der das Glück der Menschheit ruht, entweihen. Man braucht nicht die Religion noch die Moral zu bemühen, mit seinen eigenen Waffen kann man Machiavell in die Enge treiben, eben mit jener Selbstsucht, die ja die Seele seines Buches ist, der Abgott seiner verbrecherischen Staatsweisheit, der einzige Gott, den er anbetet.

Also du meinst, Machiavell, ein Fürst, der sich des gesicherten Besitzes seiner Eroberung freuen will, müsse sein neues Gebiet verwüsten? Aber antworte mir: zu welchem Ende hat er wohl diese Eroberung unternommen? Du wirst sagen: seine Macht zu erweitern, sich selbst gefürchteter zu machen. Das wollte ich hören, um dir zu beweisen, daß er, wofern er dir folgt, das genaue Gegenteil erreicht; denn er richtet sich zugrunde mit dieser Eroberung und richtet in der Folge das einzige Land zugrunde, das ihn für seine Verluste entschädigen könnte. Du wirst mir zugeben: ein Land, verheert, ausgeplündert, seiner Einwohner, alles Lebens, aller Ortschaften, mit einem Wort: alles dessen, was erst einen Staat ausmacht, beraubt — ein Land in solchem Zustande dürfte kaum fähig sein, einem Fürsten eine mächtige und gebietende Stellung zu gewähren. Ich denke mir einen Monarchen, der etwa die weiten Einöden von Libyen und Barka sein nennt, durchaus nicht als so furchtbaren Gebieter, und eine Million Panther, Löwen und Krokodile wiegt nicht eine Million von Untertanen auf, reiche Städte, brauchbare Häfen voller Schisse, betriebsame Bürger, Truppen und was sonst ein wohlbevölkertes Land hervorbringt.

Darüber gibt's nur eine Meinung, daß die Stärke eines Staates nicht in der Ausdehnung seiner Grenzen, sondern in seiner Bewohnerzahl beruht. Vergleicht nur Holland und Rußland! Dort ein paar sumpfige und unfruchtbare Eilande, die aus dem Schoße des Ozeans aufsteigen, ein Neiner Freistaat von ganzen 48 Metten in der Länge und 40 in der Breite. Aber dieser kleine Körper ist ganz Nerv, ein zahlloses Volk wohnt da, und dieses fleißige Volk ist überaus mächtig und reich. Das<21> Joch der spanischen Herrschaft, die seinerzeit die mächtigste Monarchie Europas war, hat es abgeschüttelt. Der Handel dieser Republik reicht bis an die Grenzen der Erde, sie behauptet ihren Rang unmittelbar hinter den Großmächten und vermag in Kriegszeiten ein Heer von 100 000 Streitern zu unterhalten, ungerechnet eine zahlreiche, wohlgerüstete Flotte.

Nun werfen wir im Gegensatz dazu den Blick auf Rußland: da breitet sich vor uns ein unermeßliches Land aus, eine Welt, dem Chaos des ersten Schöpfungstages ähnlich; das Land begrenzt auf der einen Seite die Große Tartarei und Indien, auf der andern das Schwarze Meer und Ungarn, auf der europäischen Seite reichen seine Grenzen bis Polen, Litauen und Kurland, Schweden begrenzt es im Norden. Rußland mag wohl 300 deutsche Meilen in der Breite und mehr als das gleiche in der Länge messen. Das Land ist reich an Getreide und bringt alles, was zum Leben nötig ist, hervor; zumal in der Gegend von Moskau und auf der Seite der Kleinen Tartarei. Und doch, so reich begünstigt es ist, es zählt gutgerechnet nur 15 Millionen Einwohner. Diese jüngst noch barbarische Nation, die jetzt in Europa eine Rolle zu spielen beginnt, vermag zu Wasser und zu Lande keine größere Streitmacht aufzubringen als Holland und bleibt an Reichtum und Hilfsquellen weit hinter ihm zurück.

Eines Staates Stärke beruht also nicht auf der Ausdehnung seiner Landesgrenzen, nicht auf dem Besitz einer weiten Einöde oder einer ungeheuren Wüste, sondern im Reichtum seiner Einwohner und in ihrer Anzahl; darum liegt es im Interesse eines Herrschers, die Bevölkerungszahl zu heben und das Land zur Blüte zu bringen, nicht aber es zu verwüsten und zugrunde zu richten. Muß man sich über die Bosheit Machiavells entsetzen, so kann er einem als Denker leid tun; er hätte besser getan, vernünftig denken zu lernen, als seine ungeheuerliche Staatslehre zum besten zu geben.

„Ein Fürst soll in einem neueroberten Freistaat seinen Sitz nehmen“ — lautet die dritte Regel des Verfassers. Sie ist glimpflicher als die andern, doch wies ich im dritten Kapitel21-1 auf mögliche Schwierigkeiten hin.

Meine Meinung ist: ein Fürst, der über einen Freistaat Herr geworden — wobei ich gerechte Gründe für seinen Feldzug voraussetze —, sollte sich damit bescheiden, dem Staate eine Buße aufzuerlegen, und ihm dann seine Freiheit wiedergeben. Freilich werden nur wenige so denken; wer darüber eine andere Auffassung hat, der mag sich seinen Besitz sichern, indem er starke Garnisonen in die Hauptplätze des neuen Gebietes legt und im übrigen das Volk seine Freiheit genießen läßt.

Was sind wir doch für Narren! Alles möchten wir erobern, als hätten wir die Zeit dazu, alles zu besitzen, als wäre unserer Daseinsdauer kein Ziel gesetzt. Unsere Lebenszeit geht zu schnell dahin, und oft glaubt man, für sich selbst zu arbeiten, und arbeitet doch nur für unwürdige oder undankbare Erben.

<22>

6. Kapitel

Von neuen Herrschaften, die Waffengewalt und Tapferkeit gründete.

Wären die Menschen ohne Leidenschaft, so möchte es Machiavell wohl hingehen, wollte er ihnen welche einflößen, wie ein zweiter Prometheus, der das Himmelsfeuer raubt, um Automaten ohne Gefühl und ohne Fähigkeit, zu Nutz und Frommen der Menschheit zu wirken, eine Seele zu geben. Dem ist aber nicht so, denn ohne Leidenschaften ist kein Mensch; und sie haben alle ihr Gutes für die Menschheit, solange sie in ihren Grenzen bleiben, aber schädlich, ja vernichtend werden sie, sobald sie zügellos walten dürfen.

Von allen Regungen, die mit herrischer Gewalt unserer Seele zusetzen, ist keine verhängnisvoller, keine dem Gedanken der Menschlichkeit fremder, keine bedenklicher für die Ruhe der Welt denn maßlose Ehrsucht, ausschweifende Begier nach falschem Ruhme.

Hat ein Bürger das Unglück, mit solchem Hang geboren zu sein, so ist er mehr noch ein armer Teufel denn ein Narr. Ohne der Gegenwart recht inne zu werden, lebt er nur in Zukunfttagen; unablässig nährt ihn seine Einbildung mit unklaren Zukunftsvorstellungen, und da seine unselige Leidenschaft keine Grenzen kennt, kann nichts in der Welt ihm Genüge geben, und seine Ehrbegier würzt ihm all seine Freuden mit bitterem Wermut.

Ein Fürst in der gleichen Seelenverfassung ist zum mindesten ebenso traurig dran wie ein Bürger; ist doch seine Tollheit, well er höher sieht, nur um so schwärmerischer, unheilbarer, unstillbarer. Lebt die Leidenschaft des Bürgers vom Gedanken an Ansehen und Ehren, so hungert die Ehrbegier des Monarchen nach Provinzen und Kronen. Nun ist's aber noch leichter, zu Ämtern und Ehrenstellen zu gelangen als Reiche zu erobern, und so gibt's für jenen Bürger wohl noch eher einmal eine Erfüllung als für den Fürsten.

Wieviel jener unsteten und unruhigen Geister begegnen einem im Leben, deren unersättlicher Machthunger die Welt auf den Kopf stellen möchte, Gemüter, darein die Liebe zu einem falschen und eitlen Ruhm nur allzu tief ihre Wurzeln gesenkt hat! Solche Menschen sind die reinen Brandfackeln, man sollte sie sorgfältig löschen,<23> jedoch bei ihrer Feuergefährlichkeit beileibe nicht schütteln und anfachen. Für ihresgleichen sind Machiavells Lehren um so gefährlicher, weil sie ihren Leidenschaften schmeicheln und sie auf Gedanken bringen, die sie vielleicht ohne seine Hilfe nicht aus dem eigenen Innern geschöpft hätten.

Machiavell hält ihnen die Beispiele von Moses, Cyrus, Romulus, Theseus und Hieron23-1 vor; mit Leichtigkeit ließe sich die Reihe erweitern durch die Stifter von Sekten, wie Mohammed und William Penn; und mögen mir's die Herren Jesuiten von Paraguay23-2 gestatten, ihnen hier ein Plätzchen anzubieten, das für sie nur eine Ehre sein kann, da es sie in die Reihe der Helden versetzt.

Die Unehrlichkeit, mit der der Verfasser hier zu Werke geht, verdient eine Kennzeichnung; es ist gut, alle Schliche und Listen des nichtswürdigen Verführers aufzudecken.

Ein Redlicher stellt seinen Gegenstand nicht ausschließlich unter einem einzigen Gesichtspunkte dar, er macht vielmehr alle Seiten der Sache sichtbar, auf daß dem Leser die Wahrheit ja nicht verschleiert werde, und sollte sie auch des Darstellers eigenen Voraussetzungen widerstreiten. Machiavell zeigt den Ehrgeiz, im Gegensatz zu jenem Redlichen, nur von seiner lichtesten Seite; es sieht damit wie mit einem geschminkten Gesicht, das er nur am Abend bei Kerzenlicht sehen läßt, während er es ängstlich vor den Strahlen der Sonne birgt: er spricht nur von den Ehrsüchtigen, denen das Glück hold gewesen, bewahrt aber ein tiefes Schweigen über alle, die ihrer Leidenschaft zum Opfer gefallen sind; ungefähr wie's in den Nonnenklöstern Brauch ist, wo man den jungen Mädchen bei ihrer Aufnahme alle Süßigkeiten des Himmels im voraus zu kosten gibt, ohne ihnen ein Wort zu sagen von der bitteren Pein, die man noch in dieser Welt ihnen zugedacht hat. Das heißt der Welt Sand in die Augen streuen, auf Betrug ausgehen, und es läßt sich nicht in Abrede stellen, Machiavell spielt in diesem Kapitel die traurige Rolle eines Marktschreiers des Verbrechens.

Wenn er vom Führer, Fürsten und Gesetzgeber der Juden spricht, von dem Befreier der Griechen, vom Eroberer des Mederlandes, von dem Gründer Roms — alles Männer, deren Streben der Erfolg krönte, warum führt er nicht auch das Beispiel gewisser Parteihäupter an, die ein schlimmes Ende nahmen, und zeigt so, daß der Ehrgeiz zwar einige wenige emporträgt, die Mehrzahl aber ins Verderben stürzt? So ließe sich dem Glück des Moses das Unglück jener ersten Gotenvölker gegenüberstellen, die das Römerreich verheerten, dem Erfolge des Romulus der Untergang Masaniellos, des neapolitanischen Schlächters, den seine Verwegenheit bis zur Königswürde emporhob und der dann das Opfer seines Verbrechens wurde23-3; dem gekrönten Ehrgeiz Hierons der bestrafte Ehrgeiz Wallensteins; neben den blutigen<24> Thron Cromwells, der seinen König mordete, ließe sich wohl der umgestürzte des stolzen Guisen setzen, der in Blois ermordet ward24-1. So würde das Gegengift, unmittelbar auf das Gift verabreicht, dessen gefährlichen Wirkungen zuvorkommen, wie Achills Lanze, die verwundet, aber auch heilt.

Übrigens scheint mir's recht unüberlegt von Machiavell, Moses mit Romulus, Cyrus und Theseus zusammenzustellen. Entweder handelte Moses unter höherer Eingebung oder nicht. Im letzteren Fall kann man Moses nur als einen Erzschurken, Gauner und Betrüger ansehen, der sich Gottes bediente wie ein Dichter des Deus ex machina, der den Knoten lösen muß, wenn der Verfasser keinen Ausweg weiß. Moses war im übrigen so ungeschickt, daß er das jüdische Volk 40 Jahre lang einen Weg führte, den es bequem in sechs Wochen hätte zurücklegen können; von der geistigen Höhe der Ägypter hat er sich sehr wenig angeeignet und sieht somit in dieser Hinsicht tief unter Romulus und Theseus und den andern Heroen. Handelte aber Moses unter der Eingebung Gottes, so kann man eben nur das blinde Werkzeug der göttlichen Allmacht in ihm sehen, und dann blieb der Führer der Juden weit hinter dem Gründer des Römerreiches, hinter dem Perserkönig und dem griechischen Helden zurück, die durch ihren Eigenwert und eigene Kraft Bedeutenderes leisteten als jener unter dem unmittelbaren Beistande Gottes.

Geisteskraft, Mut, Gewandtheit und Haltung — all dessen bedarf es in hohem Maße, um es den Genannten gleichzutun, das gebe ich im allgemeinen vorurteilslos zu. Doch kommt ihnen darum ein höherer Menschenwert zu? Tapferkeit und Gewandtheit finden sich gleichermaßen bei dem Räuber auf der Landstraße wie bei Helden; der Unterschied ist nur, daß der Eroberer ein erlauchter Räuber ist, der durch die Erheblichkeit seiner Taten Eindruck macht und durch seine Machtmittel sich Achtung erzwingt, während der Durchschnittsspitzbube ein namenloser Wicht ist, um so verachteter, je verworfener er ist. Der eine erntet Lorbeeren als Preis seiner Gewalttaten, der andere endet am Galgen. So beurteilen wir die Dinge niemals nach ihrem wirklichen Werte, well undurchdringliche Wolken unser Auge umlagern; hier bewundern wir, was wir dort tadeln, ein Missetäter braucht nur erlauchter Herkunft zu sein, und er kann auf den Beifall der meisten Menschen zählen.

Es ist zwar richtig, daß jeder Neuerung, die einer in die Welt einführen will, sich immer wieder tausend Hindernisse in den Weg stellen werden, und daß darum ein Prophet an der Spitze eines Heeres mehr Jünger gewinnen wird, als wenn er nur mit rein geistigen Waffen kämpfte24-2. Beweis: das Christentum — solange es sich nur<25> auf seine Lehre stützte, war es schwach und unterdrückt; erst als es viel Blut hatte stießen machen, breitete es sich in Europa aus. Ebenso richtig aber ist die andere Beobachtung, daß Lehren und Neuerungen manchmal fast mühelos ihren Weg finden. Wieviel Religionen, wieviel Sekten fanden mit unglaublicher Leichtigkeit ihre Aufnahme! Nichts schafft neuen Gedanken so leicht Nachdruck als der Fanatismus, und mir scheint, als hätte Machiavell über diesen Gegenstand allzu vorschnell abgeurteilt.

Schließlich noch einige Betrachtungen zu dem Beispiel des Hieron von Syrakus, das Machiavell für die anzieht, die mit Hilfe ihrer Freunde und ihrer Truppen emporkommen. Hieron traute seinen Freunden und seinen Kriegern, die ihm mit zu seinem Ziele verholfen hatten, nicht mehr und schloß lieber neue Freundschaften und hob neue Truppen aus. Machiavell und allen Undankbaren zum Trotz behaupte ich, daß das eine elende Politik war, und daß Hieron klüger daran getan hätte, sich auf Truppen von bewährter Tapferkeit, auf Freunde von bewährter Treue zu verlassen, als auf Unbekannte, deren man niemals sicher ist. Ich überlasse es dem Leser, diesen Gedankengang weiterzuführen; jeder, der Undankbarkeit verabscheut und das Glück der Freundschaft kennt, wird hierbei nicht um Stoff verlegen sein.

Indessen möchte ich den Leser auf die Doppeldeutigkeit der Ausdrucksweise Machiavells aufmerksam machen. Man lasse sich nichts vormachen, wenn er sagt: „Was hilft aller persönliche Wert, wenn's an der Gelegenheit fehlt?“ Das bedeutet im Munde dieses Buben: ohne die Gunst der Umstände können auch Schurken und Abenteurer mit ihren Talenten nichts anfangen. Die Dunkelheiten dieses verächtlichen Schreibers versieht nur, wer den geheimen Sinn seiner Verbrechersprache deutet.

Ich meine, ganz allgemein gesprochen — um mit diesem Kapitel zu Ende zu kommen —: für einen Bürger ist die einzige Gelegenheit, ohne Verbrechen nach dem Höchsten zu streben, wenn er in einem Wahlkönigreiche geboren ist oder wenn ein unterdrücktes Volt ihn zu seinem Befreier ausruft. Ein Ruhm ohnegleichen wäre es, ein Volk erretten und ihm dann die Freiheit wiedergeben! Doch wir wollen keine Menschenbildnisse entwerfen nach dem Vorbilde Corneillescher Helden. Bescheiden wir uns mit Racineschen, schon das ist viel.

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7. Kapitel

Von neuen Fürstentümern, die fremder Hilfe und dem Glück zu verdanken sind.

Schriftsteller hat es schwer, will er uns nicht dahinterkommen lassen, wes Geistes Kind er ist; bei dem vielen Reden und der Verschiedenheit seiner Gegenstände wird ihm notwendigerweise immer wieder hier und da ein unbedachtes Wort entschlüpfen, wodurch ganz in der Stille ein Bild seines inneren Menschen zustande kommt.

Vergleichen wir Fénelons Fürsten26-1 mit dem Machiavells, so haben wir dort das Seelengemälde eines Ehrenmannes voll Güte, Gerechtigkeit und Billigkeit, kurz alle menschlichen Vorzüge in großartigster Vollendung, als wäre es eines jener rein geistigen Wesen, deren Weisheit, sagt man, zur Hüterin der Weltordnung berufen ist. Auf der andern Seite haben wir verbrecherische Gesinnung, Schurkerei, Tücke, Verrat und jede Ruchlosigkeit, mit einem Wort einen Unhold, wie ihn kaum die Hölle hervorbrächte. Fühlen wir uns bei Fenelons „Telemach“ den Engeln wesensverwandt, so scheint die Menschennatur, liest man den „Fürsten“ Machiavells, den Höllengeistern nicht allzu fern zu siehn. Cäsar Borgia oder der Herzog von Valentinois, das ist das<27> Urbild, nach dem der Verfasser seinen Fürsten gestaltet, solch ein Muster mutet er schamlos denen zu, die es mit Hilfe ihrer Freunde oder ihrer Waffen in der Welt zu etwas bringen. Es ist also durchaus erforderlich, uns diesen Cäsar Borgia einmal näher anzusehen, damit wir uns eine Vorstellung machen können von dem Helden und seinem Verherrlicher.

Es gibt kein Verbrechen, das Cäsar Borgia nicht begangen hätte, keine Gemeinheit, für die er nicht das Beispiel gegeben, keine erdenkbare Untat, deren er sich nicht schuldig gemacht hätte. Er ließ seinen Bruder27-1 ermorden, der seinem Streben nach Ruhm in der Welt im Wege stand sowie seiner Liebe zu seiner Schwester27-2. Die Schweizer des Papstes ließ er niedermetzeln aus Rache, weil einige von ihnen seine Mutter27-3 beleidigt hatten. Zahllose Kardinäle, zahllose Reiche plünderte er aus, um seine Habgier zu sättigen. Die Romagna entriß er dem Herzog von Urbino27-4, ihrem rechtmäßigen Besitzer; seinen Statthalter, den grausamen d'Orco, ließ er aus dem Wege räumen; schmählichen Verrat beging er zu Sinigaglia an einer Anzahl von Fürsten, deren Leben, wie er meinte, seinen Zwecken im Wege stand; eine venezianische Dame ließ er ertränken, nachdem er sie geschändet hatte. Wieviel Grausamkeiten wurden nicht auf seinen Befehl begangen! Wer vermöchte die ganze Fülle seiner Verbrechen zu zählen? So sieht der Mann aus, den Machiavell allen großen Geistern seiner Zeit und den Helden des Altertums vorzieht; sein Leben und seine Taten hält er als würdiges Muster denen vor, die ihr Glück emporhebt.

Ich wage es, die Partei der Menschlichkeit gegen den zu ergreifen, der es auf ihren Verderb abgesehen hat, muß aber bei meinem Kampfe wider Machiavell doch noch auf mehr Einzelheiten eingehn, damit seine Gesinnungsgenossen keine Ausflüchte mehr finden, hinter denen sie immer noch ihre Bosheit verschanzen könnten.

Cäsar Borgia gründete den Plan seiner Größe auf die Uneinigkeit der italienischen Fürsten; er beschloß, sie gegeneinander aufzuhetzen, um sich an das zu halten, was für ihn dabei abfiel. Das gab dann einen ganzen Knäuel scheußlicher Untaten. Für Borgia gab's kein Unrecht, wenn seine Ehrsucht das Wort hatte; so mußte ein Sturz den andern nach sich ziehen. Um meine Hand auf das Eigen meiner Nachbarn legen zu können, muß ich sie schwächen; um sie zu schwächen, muß ich sie widereinander aufbringen — Schurkenlogik.

Borgia wollte sich einen Beistand sichern; also mußte Alexander VI. dem König Ludwig XII. einen Ehedispens gewähren, damit der ihm Hilfe leiste. Das ist die Art der Kirchenherren, mit der Welt ihren Spott zu treiben: nur ihrem Eigennutz gehen sie nach, wenn sie des Himmels beflissene Diener scheinen. War die Ehe Ludwigs XII. danach, daß sie getrennt werden mußte, so hätte der Papst sie trennen müssen, ohne daß die Politik dabei mitsprach; brauchte sie nicht gelöst zu werden, so hätte auch nichts das Haupt der Kirche, den Statthalter Christi, dazu bestimmen dürfen.

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Borgia brauchte Kreaturen, darum bestach er die Urbinaten mit Geschenken und Zuwendungen. Wer Besiechungsgelder anbietet, macht sich gewissermaßen ebenso schuldig wie der, der sie nimmt, spielt er doch die Rolle des Versuchers; ohne seine Versuchung gibt's für den andern kein Erliegen. Doch suchen wir nicht erst nach Verbrechen bei Borgia, lassen wir ihm seine Bestechungen hingehn, sei es auch nur, well sie einige trügerische Ähnlichkeit mit Wohltaten haben, freilich mit dem Unterschiede, daß der Bestechende mit seiner Guttat seinen Vorteil sucht, während ein rechter Wohltäter nur der andern Bestes im Auge hat. Borgia wollte sich einiger Fürsten aus dem Hause von Urbino entledigen, des Vitellozzo, des Oliverotto da Fermo und anderer. Machiavell nennt das: er war so klug, sie nach Sinigaglia zu entbieten, wo er sie verräterisch umbringen ließ.

Den Glauben der Menschheit täuschen, der eigenen Niedertracht ein Mäntelchen umhängen, sich gemeiner List bedienen, Verrat üben, Meineid begehn und morden, für all dergleichen hat unser Doktor der Schurkerei den Namen: Klugheit. Doch ich spreche mit ihm nicht von Religion noch von Sittlichkeit, bleiben wir ganz einfach bei der Frage des Nutzens; das soll mir genügen, ihn zu widerlegen. Ich frage, zeugt es wirklich von Klugheit, den Menschen Beweise dafür zu liefern, daß es einem nicht darauf ankommt, gegen Treu und Glauben zu sündigen, meineidig zu werden? Wirfst du Treu und Glauben und den Eid über den Haufen, welche Bürgschaften bleiben dir für die Treue der Menschen? Stößt du den Eidschwur um, durch welche Macht gedenkst du Untertanen und Völker zu binden, daß sie deine Herrschaft achten? Wenn du Treu und Glauben den Garaus machst, woher das Vertrauen nehmen zu irgendeiner Seele und den Mut, auf irgendein Versprechen, das euch gegeben wird, zu bauen? Geht ihr voran mit dem Beispiel des Verrates — an Verrätern, die es euch nachmachen, wird es niemals fehlen; geht ihr voran mit dem Beispiel der Treulosigkeit — was glaubt ihr, wie viele Treulose euch's heimzahlen werden! Lehret ihr Mord, so zittert, daß einer eurer Schüler sein Probestück an euch vollziehe! So daß auf diese Weise euch nichts bleibt als der Vorzug, den Altmeisier des Verbrechens abzugeben und die Ehre des Wegweisers für andere Unholde, gleich entartet wie ihr. So kommt das Lasier zu Fall und bedeckt mit Schmach, die sich ihm hin, geben, bereitet ihnen Schaden und Fährnis. Ein Fürst wird aber niemals ein Sonderrecht auf das Verbrechen haben und daher auch niemals sich der Straflösigkeit für seine Verruchtheit erfreuen. Das Verbrechen gleicht einem Felsen, von dem ein Teil sich löst, der nun auf seinem Wege alles zerschmettert, um schließlich durch sein eigen Gewicht zu zerschellen. Welch ein abscheulicher Wahn, welche Verirrung des Denkens kann Machiavell an Lehren Geschmack finden lassen, die in ihrer abscheulichen Verderbtheit der Menschheit ins Gesicht schlagen?

Borgia setzte den grausamen d'Orco zum Statthalter in der Romagna ein, um Unruhe, Raub und Mord, die dort ins Kraut schossen, zu unterdrücken. Welch kläglicher Widerspruch! Borgia hätte erröten müssen, wenn er an anderen Lasier be<29>strafte, die er an sich selbst duldete. Konnte er, der gewalttätigste aller Usurpatoren, der falscheste unter allen Meineidigen, von allen Mördern und Giftmischern der Grausamsie, konnte er Schurken und Verbrecher bestrafen, die mit ihren schwachen Kräften dem Beispiel ihres neuen Herrn und Meisters nur nachstümperten?

Der König von Polen29-1, dessen Tod jüngst soviel Wirren in Europa zur Folge hatte, handelte da viel folgerichtiger und vornehmer gegen seine sächsischen Untertanen. Die sächsischen Gesetze bestraften jeden Ehebrecher mit Enthauptung. Ich will nicht den Ursprung jenes barbarischen Gesetzes untersuchen, das mehr nach italienischer Eifersucht aussieht als nach duldsamer deutscher Art. Ein Unglücklicher, den Liebesleidenschaft dahin gebracht hatte, der Sitte und dem Gesetz zu trotzen, war dem Urteil verfallen, und August sollte das Todesurteil unterzeichnen; für die Stimme der Menschlichkeit ebenso empfänglich wie für die Regungen der Liebe, begnadigte er den Schuldigen und hob ein Gesetz auf, das jedesmal, so oft er ein derartiges Urteil Unterzeichnen mußte, stillschweigend ihn selber verdammt hätte. Seitdem genoß in Sachsen die Galanterie das Vorrecht der Straflosigkeit.

Das Verhalten dieses Königs zeugte von Menschlichkeit und einem fühlenden Her, zen, das Cäsar Borgias von einer ruchlosen Tyrannenseele. Der eine, ein Vater seiner Völker, übte Nachsicht mit jenen Schwächen, die nun einmal, das wußte er, zur Menschennatur gehören; der andere, immer hart, immer blutdürstig, ahndete an seinen Untertanen die Lasier, von denen er fürchten mußte, daß sie seinen eigenen nur zu ähnlich sähen. Der eine konnte den Anblick seiner eigenen Schwächen ertragen, der andere wagte es nicht, seinen Verbrechen ins Gesicht zu sehen. Borgia läßt den grausamen d'Orco in Stücke hauen, der ein williger Diener all seiner Absichten gewesen ist, um sich das Volt zu gewinnen, indem er das Werkzeug seiner barbarischen Grausamkeit büßen läßt. Die Last der Tyrannei drückt niemals wuchtiger als dann, wenn der Tyrann sich ins Kleid der Unschuld hüllen will und die Bedrückung unter dem Deckmantel der Gesetzlichkeit geschieht. Der Tyrann gönnt dem Volke nicht einmal den schwachen Trost, daß er sein Unrecht einsehe; um den eigenen Greueltaten ein harmloseres Gesicht zu geben, müssen andere die Schuld daran auf sich nehmen, die Strafe dafür erleiden — als sähe man einen Mordbuben, der das Werkzeug seiner wilden Tat in die Flammen wirft, im Wahn, er könne so die Leute hinters Licht führen, sodaß sie ihn freisprechen. Das ist das Schicksal, auf das die unwürdigen Helfer fürstlichen Verbrechens gefaßt sein mögen: ob sie auch, solange man ihrer bedarf, belohnt werden, früher oder später fallen sie einmal als Opfer ihrer Herren — gleichzeitig übrigens eine Lehre für die, die leichtherzig Schurken wie Cäsar Borgia vertrauen, und für die, so sich rückhaltlos und ohne jedes sittliche Bedenken dem Dienst ihrer Herrscher hingeben. So trägt das Verbrechen stets den Keim der Strafe in sich.

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Borgia griff mit seiner sorgenden Voraussicht bis über den Tod seines Vaters, des Papstes, hinaus und machte sich daran, alle die, denen er ihre Habe geraubt hatte, aus dem Wege zu räumen, auf daß der neue Papst sich ihrer nicht gegen ihn bedienen könne. So türmt sich Verbrechen auf Verbrechen: um seine Aufwendungen zu bestreiten, bedarf es großer Mittel; um diese zu bekommen, muß man die rechtmäßigen Besitzer ausrauben; um den Raub in Sicherheit zu genießen, müssen sie aus der Welt geschafft werden. Graf Horn30-1 hätte, als er hingerichtet wurde, ein Lied davon singen können. Mit den Untaten ist es wie mit einem Rudel von Hirschen: sobald einer durch die Lappen geht, folgen alle andern nach. Hütet euch also vorm ersten Schritt.

Um etliche Kardinäle zu vergiften, ladet Borgia sie bei seinem Vater zu Tisch. Der Papst und er genießen versehentlich von jenem Trank, Alexander VI. stirbt daran, und Borgia kommt glücklich davon, um ein jammervolles Leben weiterzu-schleppen — ein wohlverdienter Lohn für Giftmischer und Mörder.

Das wäre also die Klugheit, die Weisheit, die Geschicklichkeit und die menschliche Tüchtigkeit, die Machiavell nicht genug loben kann. Der berühmte Bischof von Meaux30-2, der gefeierte Bischof von Nimes30-3, der beredte Verherrlicher Trajans30-4 konnten ihre Helden nicht besser Herausstreichen als Machiavell seinen Cäsar Borgia. Wenn's bei diesem Preislied eine Ode gegolten hätte, eine rhetorische Figur, so würde man vielleicht seine findige Kunst bewundern, wenn man auch die Wahl ihres Gegenstandes mißbilligte; aber nein, es handelt sich um eine Staatslehre, die auf die fernste Nachwelt kommen soll, ein höchst ernst gemeintes Werk, in dem Machiavell sich nicht entblödet, das scheußlichste Ungeheuer, das je die Hölle auf die Erde gespieen hat, mit Lob zu verherrlichen. Das heißt doch, sich kaltblütig dem Hasse des Menschengeschlechtes und dem Abscheu aller Redlichen bloßstellen.

Cäsar Borgia wäre nach dem Urteil Machiavells vollkommen gewesen, hätte er nicht zur Papstwahl des Kardinals von San Pietro ad vincula30-5 seine Zustimmung gegeben; „denn“, sagt er, „bei den großen Männern können Wohltaten in der Gegenwart niemals Unbilden der Vergangenheit ungeschehen machen“. Mein Begriff eines großen Mannes deckt sich keineswegs mit dem des Verfassers. Alle rechtlich Denkenden würden wohl für immer für den Namen eines Großen danken, wenn er nur durch Rachgier, Undank und Falschheit zu verdienen wäre. Die Mühen und Sorgen Cäsar Borgias um Erweiterung seiner Macht und seines Ansehens fanden schlimmen Lohn: nach dem Tode des Papstes büßte er die Romagna und all seine Güter ein, mußte zum König von Navarra30-6 nach Spanien flüchten, wo er durch einen jener verräterischen Streiche, wie er sie so gern im Laufe seines Lebens geübt hatte, umkam.

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So wurde diese große Fülle von ehrgeizigen Plänen, klug erdachten und geheimgehaltenen Entwürfen zunichte. So wurde diese Fülle von Kämpfen, Mordtaten, Grausamkeiten, Meineiden und Treulosigkeiten gegenstandslos. Wie oft hatte sich Borgia aus eigener Lebensgefahr, aus arger Klemme und Verlegenheit mit Glück wieder herausgezogen. All das förderte nun sein Geschick keinen Deut, machte dafür seinen Sturz nur noch gewaltiger, noch mehr in die Augen fallend — der Fluch der Ehrsucht. Dieser Truggeist verheißt Güter, die er gar nicht zu vergeben, gar nicht zu eigen hat. Der Ehrsüchtige gleicht einem Tantalus, der mitten im Wasser stehend, nie seinen Durst löschen kann und niemals löschen wird.

Ist es der Ruhm, dem ein Ehrgeiziger nachstrebt? Wahrlich nein! Ein Trugbild des Ruhmes ist es, hinter dem er herläuft, wo sogar der echte nur wie ein Wölkchen Rauches ist. Verlieren sich doch die großen Männer unserer Tage unter der unendlichen Menge derer, die Großes geleistet, Heldenwerk vollbracht haben, so wie das Wasser kleiner Flußläufe, das man sieht, solang sie in ihrem Bette rinnen, das aber unserm Auge entschwindet, sobald es an der Mündung sich unter die Fluten eines unermeßlichen Weltmeeres mischt.

So ist also Glück das Endziel der Ehrsucht? Das wird sie noch weniger erjagen als den Ruhm. Mit Stacheln und Dornen ist ja ihr Weg besät, Sorgen, Kummer und endlose Mühsal sind ihr zugedacht. Das rechte Glück gehört von Hause aus so wenig zum Menschengeschick wie der Leib Hektors an den Wagen des Achill. Glück gibt's für den Menschen nur in seiner eigenen Brust, und nur Weisheit vermag da diesen Hort zu heben.

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8. Kapitel

Von denen, die durch Verbrechen zur Herrschaft gelangten.

Die „Philippika“ von La Grange32-1 gelten für eine der schonungslosesten Schmähschriften, die je verfaßt sind, und nicht mit Unrecht. Meine Einwendungen indessen gegen Machiavell haben mehr Wucht als die Angriffe La Granges, ist doch sein Pamphlet gegen den Regenten von Frankreich im Grunde nur eitel Verleumdung; was ich aber gegen Machiavell vorbringe, sind Wahrheiten. Ich bediene mich ja zu seiner Widerlegung seiner eigenen Worte. Was könnte ich Ungeheuerlicheres von ihm aussagen, als daß er Regeln aufstelle „für die, die durch Verbrechen zur Herrschaft gelangen“? So seine Überschrift zu dem vorliegenden Kapitel!

Wenn Machiavell in einem Verbrecherseminar Lehrvorträge hielte, wenn er in einer Hochschule für Verrat ein Lehrgebäude der Treulosigkeit entwerfen wollte, dann wäre eine Behandlung solchen Stoffes nicht allzu verwunderlich. Nun aber spricht er zu der Gesamtheit der Menschen; denn ein Autor, der seine Arbeit drucken läßt, wendet sich an die Welt und vorzugsweise an diejenigen, welche die Besten sein sollen, da sie zu Herrschern über andere berufen sind. Kann's da also eine schändlichere, unverschämtere Zumutung geben, als solchen Lesern gute Lehren zu erteilen über Verrat, Falschheit, Meuchelmord und sonstige Untaten? Zum Wohle der Menschheit wäre es vielmehr wünschenswert, daß Erscheinungen wie ein Agathokles32-2 und Oliverotto da Fermo, die Machiavell mit Behagen anführt, ein für allemal unmöglich wären, oder daß man wenigstens ihr Andenken für immerdar aus dem Gedächtnis der Menschen tilgte.

Nichts wirkt verführerischer als das schlechte Beispiel. Das Leben eines Agathokles oder Oliverotto da Fermo ist geeignet, in einem Menschen mit dem dunklen Hang zum Verbrechen diesen gefährlichen Samen, den er ahnungslos in seinem Innern birgt, zur Entwicklung zu bringen. Wie viele junge Leute haben sich durch das Lesen von Romanen ihr Vorstellungsleben verderbt und sehen nur noch, denken nur noch wie Gandalin und Medor32-3. Es gibt in der Gedankenwelt etwas Ansteckendes, wenn ich mich so ausdrücken darf, was sich überträgt von Geist zu Geist. So führte <33>Karl XII., dieser ganz außerordentliche Mensch, dieser Abenteurerkönig, der wie eine Gestalt aus der alten Ritterzeit anmutet, dieser fahrende Recke, dessen große Eigenschaften alle in ihrer Steigerung ins Maßlose zu Lastern entarteten — so führte er von zartester Kindheit an die Lebensbeschreibung Alexanders des Großen bei sich, und viele, die diesen Alexander des Nordens näher gekannt haben, versichern, daß eigentlich Quintus Curtius33-1 Polen verwüstet habe, daß Stanislaus33-2 König ward nach dem Vorgange von Porus33-3, und daß die Niederlage von Pultawa eigentlich eine Schlacht von Arbela werden sollte.

Darf ich wohl nach so erhabenem Beispiel herabsteigen zu niedriger Geartetem? Ich meine freilich, in der Geschichte des menschlichen Geistes sind, philosophisch betrachtet, wenn man absieht von den Verschiedenheiten der Geschicke und des Standes, die Könige auch nichts anderes als Menschen und alle Menschen sich gleich, handelt sich's doch hier nur im allgemeinen um bestimmte Eindrücke und Einflüsse von außen her auf das menschliche Gemüt.

Ganz England weiß, was sich in London vor etlichen Jahren zutrug. Man gab ein sehr mäßiges Lustspiel mit dem Titel „Cartouche“33-4, in dem einige gewitzte Streiche und Gaunerstücke des berüchtigten Diebes vorgeführt wurden. Nach dem Schluß des Schauspiels entdeckten viele Leute, daß ihnen Ringe, Tabaksdosen oder Uhren fehlten. So schnell hatte Cartouche Schule gemacht, daß seine Lehren noch im Zuschauerraum zur Tat wurden und die Polizei sich veranlaßt sah, die gar zu gefährliche Aufführung dieses Lustspiels zu untersagen. Dies beweist wohl zur Genüge, wie verderblich böse Beispiele sein können und daß man bei der Aufstellung von VorbUdern gar nicht genug Umsicht und Klugheit walten lassen kann.

Machiavell erörtert zunächst die Ursachen der auffallenden Erscheinung, daß bei all ihren Grausamkeiten Agathokles und Fermo sich doch in ihren Staaten halten konnten, und erblickt sie darin, daß sie ihre Bluttaten zum rechten Zeitpunkte verübt hätten. Also Barbarei mit Bedacht und Tyrannei nach allen Regeln der Kunst heißt bei unserm Schandpolitiker: alle Gewalttaten und Verbrechen, die man für seine Zwecke erforderlich erachtet, auf einmal und auf einen Schlag erledigen.

Laßt hinmorden, wer euch verdächtig ist, die, denen ihr nicht traut und wer sich offen für euren Feind erklärt, aber säumet niemals mit eurer Rache! Taten wie die Sizilianische Vesper, Taten wie das grausige Blutbad der Bartholomäusnacht, wo Greuel geschahen, über die die Menschheit erröten muß, heißt Machiavell gut. Dem entmenschten Unhold bedeuten diese Greuel gar nichts; die Hauptsache: daß die Art ihrer Ausführung auf das Volk den rechten Eindruck mache und ihm einen heilsamen Schrecken einjage im Augenblicke, da der Schlag fällt. Und der Grund da<34>für: die Bilder solcher Vorgänge verblassen leichter im Bewußtsein der Menge als der Eindruck fürstlicher Gewalttaten, der sich immer wieder erneut, Gewalttaten, die ihr ganzes Leben hindurch den Ruf von ihrer Roheit, ihrer Barbarei wach halten — als wäre es nicht ebenso verwerflich und abscheulich, tausend Menschen an einem Tage umzubringen oder sie in längeren Zeiträumen erwürgen zu lassen! Die entschlossene, rasch zugreifende Wildheit der ersteren verbreitet in höherem Grade Schrecken und Furcht; die Gemeinheit der zweiten, die langsamer und berechneter ihren Weg geht, stößt dagegen mehr Abscheu und Entsetzen ein. An des Kaisers Augustus Leben hätte Machiavell erinnern sollen, der noch triefend vom Blute der Bürger, noch im Schmutze der Niedertracht seiner Proskriptionen den Thron bestieg, aber dann nach dem Rat Mäcens und Agrippas auf die Zeit der Bluttaten eine Zeit der Gnade folgen ließ, sodaß es von ihm hieß, er hätte entweder niemals geboren werden oder niemals sterben sollen. Vielleicht war es nicht nach dem Geschmack Machiavells, daß Augustus' Herrschaft besser endete, als sie begonnen, und er hat ihn aus diesem Grunde nicht für würdig befunden des Platzes unter seinen Großen.

Welch ein Abgrund, die Staatslehre dieses Autors! Mag's den Umsturz der Welt kosten: der Vorteil eines einzigen gilt! Seine Ehrgier braucht nur zu wählen, welche Niedertracht ihr recht ist, sie allein entscheidet, ob's in Gutem gehn soll, ob auf dem Wege des Verbrechens. Pfui über die Bedachtsamkeit eines Ungeheuers, das nur sich kennt, nur sich liebt in der weiten Welt und jegliche Pflicht der Gerechtigkeit und Menschlichkeit mit Füßen tritt, hingerissen vom Wahnwitz seiner zügellosen Launen!

Doch damit ist's nicht getan, die haarsträubenden sittlichen Begriffe Machiavells zurückzuweisen; auch der Entstellung und Unehrlichkeit haben wir ihn obenein zu überführen.

Falsch ist zunächst die Angabe Machiavells, Agathotles habe in Frieden die Frucht seiner Verbrechen genossen: er hat fast beständig mit den Karthagern im Kriege gelegen, wurde sogar gezwungen, sein Heer w Afrika zu verlassen, das dann nach seinem Abgang seine Kinder niedermachte, und starb selbst an einem Gifttrank, den sein Enkel34-1 ihm reichte. Oliverotto da Fermo fand sein Ende durch den Verrat des Borgia — ein wohlverdienter Lohn seiner Untaten; und dieser sein Fall, der ihn schon ein Jahr nach seiner Erhebung ereilte, scheint in seiner Beschleunigung nur der Strafe zuvorgekommen zu sein, die ihm der Haß des Volkes zugedacht hatte.

Dieses letzte Beispiel also hätte sich der Autor schenken können, es beweist nichts. Denn das Verbrechen soll ja vom Glück begünstigt werden; wo fände sonst Machiavell einen vernünftigen Grund, sich zu seinem Anwalt zu machen, oder wenigstens ein Beweismittel, das sich hören ließe?

Doch nehmen wir einmal an, ein Verbrechen ließe sich in voller Sicherheit ausführen und ein Tyrann wäre in der Lage, ungestört sein ruchloses Wesen zu treiben:<35> selbst wenn er nicht vor einem Ende mit Schrecken zittert, so wird es dasselbe Elend für ihn sein, sich als den Schandfleck des Menschengeschlechtes fühlen zu müssen; das Zeugnis seines Gewissens in seiner Brust, die mächtige Stimme, die auf den Thronen der Könige wie auf dem Richtersitz der Tyrannen laut wird, wird er nie zum Schweigen bringen; nie wird er der unseligen Umdüsterung des Gemütes sich entwinden können, seine erregte Einbildungskraft wird ihm aus ihren Gräbern die blutigen Schatten derer erstehen lassen, die seine Grausamkeit dort hinabgeschickt, und er wird sich sagen: nur darum dieser Bruch mit den Naturgesetzen, damit jene seine Henker werden auf dieser Welt und die eigenen Rächer ihres jammervollen Endes.

Man lese nur das Leben eines Dionysius35-1 nach, eines Tiberius, Nero, Ludwig XI., Iwan Wassiljewitsch35-2, und man wird sich überzeugen, daß diese Ungeheuer, ebenso kranken Hirnes wie verwilderten Gemütes, den denkbar unseligsten und traurigsten Tod gefunden haben. Der Grausame ist seiner Natur nach von menschenfeindlichem, schwarzgalligem Geblüte; kämpft er nicht von Jugend auf gegen diese unglückselige Veranlagung an, so muß er notwendigerweise im Fühlen und Denken verwildern. Selbst wenn es also keine Gerechtigkeit auf Erden und keine Gottheit im Himmel gäbe, ja dann erst recht wären die Menschen auf das Gute angewiesen; denn in ihm allein besitzen sie, was sie eint, was zu ihrer Erhaltung schlechthin unerläßlich ist, während das Laster ihnen nur Unheil und Verderben bringen kann.

Machiavell hat weder Herz noch Redlichkeit noch gesundes Denken. Die Verwerflichkeit seiner Grundsätze und seinen Mangel an Redlichkeit hab' ich an seinen Beispielen aufgezeigt. Jetzt will ich ihn grober und handgreiflicher Widersprüche überführen. In folgendem mag sein unerschrockenster Erklärer und spitzfindigster Aus, leger es versuchen, Machiavell mit Machiavell zu reimen. In vorliegendem Kapitel sagt er: „Agathokles behauptete seine Höhe mit dem Mute eines Helden, indessen darf man den Mordtaten und Verrätereien, die er begangen hat, nicht den Namen der Tugend geben.“ Und im siebenten Kapitel sagt er von Cäsar Borgia, er habe die Gelegenheit, sich der Orsini zu entledigen, abgewartet und mit Umsicht wahrgenommen. Ebenda: „Wenn man im großen und ganzen alle Taten Borgias durchgeht, so ist es schwer, sie zu tadeln.“ Und an derselben Stelle: „Er konnte nicht anders handeln, als er tat.“ Da darf ich wohl den Verfasser fragen: Worin unterscheidet sich denn Agathokles von Cäsar Borgia? Ich sehe hüben und drüben die gleichen Verbrechen, die gleiche Gemeinheit. Bei einer Nebeneinanderstellung käme man wirklich in Verlegenheit, zu entscheiden, wer von beiden der größere Schandbube war.

Die Wahrheit zwingt indes von Zeit zu Zelt unfern Machiavell zu Bekenntnissen, die eine Art Ehrenerllärung an die Tugend in sich schließen. Er kann sich eben dem nicht entziehen, was klar ist wie der Tag, und so führt er aus: „Ein Fürst soll sich in seinem Verhalten immer gleich bleiben, damit er nicht in Zeiten der Not sich zu<36> Zugeständnissen nach dem Herzen seiner Untertanen gezwungen sehe; denn in diesem Falle würde seiner erpreßten Güte kein Verdienst zukommen, und seine Völker würden ihm dafür keinen Dank wissen.“ Also Grausamkeit und die Kunst, die Welt in Schrecken zu halten, sind wohl doch nicht der Staatsweisheit letzter Schluß, Freund Machiavell, wie du uns einreden willst; mußt du doch selber zugeben, daß die Kunst, die Herzen zu gewinnen, für eines Fürsten Sicherheit und seiner Untertanen Anhänglichkeit die zuverlässigste Grundlage bietet. Mehr verlange ich nicht, dies Zugeständnis aus dem Munde meines Feindes muß mir genügen.

Es zeugt jedenfalls von geringer Selbstachtung und von ebensowenig Achtung vor dem Leser, ein formloses Werk, ohne Zusammenhang, ohne Ordnung und voller Widersprüche abzufassen und in die Welt zu schicken. Wenn wir ganz absehen von dem verderblichen sittlichen Standpunkt dieses Buches, kann der „Fürst“ Machiavells seinem Verfasser nur Verachtung eintragen; er ist wüst wie ein Traum mit einer wilden, drängenden Gedankenflucht, oder wie die Anfälle eines Hirnwütigen, der dann und wann einen lichten Augenblick hat.

So lohnt die Ruchlosigkeit denen, die, allem Guten zum Hohn, es mit dem Verbrechen halten; mögen sie der Strenge der Gesetze entrinnen, sie kommen um Urteil und Verstand, wie Machiavell.

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9. Kapitel

Der Volksfürst.

Kein Gefühl gehört so unzertrennlich zu unserm Wesen wie das der Freiheit; vom Höchstgesitteten bis zum Barbaren tiefsten Tiefstandes sind alle Menschen gleichermaßen davon durchdrungen; geboren ohne Ketten, wollen wir auch leben ohne Zwang, wollen nur auf uns selber stehn, ohne uns fremden Launen zu unterwerfen. Dieser Geist stolzer Unabhängigkeit hat der Welt viele große Männer geschenkt, er hat auch jene Staatsgebilde geschaffen, die man Freistaaten nennt, die vermöge weiser Gesetze des Bürgers Freiheit gegen jegliche Unterdrückung beschützen und unter den Gliedern des freien Staates eine Art von Gleichheit aufrichten, wodurch sie dem Naturzustande äußerst nahe kommen.

Machiavell erteilt im vorliegenden Kapitel denen gute und ausgezeichnete Lehren, denen der Beistand der Häupter eines Freistaates oder des Volkes zur höchsten Macht verhilft. Das gibt mir Anlaß zu zwei Erwägungen; eine liegt auf politischem, die andere auf sittlichem Gebiete.

Mögen auch für solche, die wirklich dank der Gunst ihrer Mitbürger zu solcher Höhe gelangen, die Lehren des Verfassers recht am Platze sein, gleichwohl will mir scheinen, als wären die Beispiele für einen derartigen Aufstieg recht dünn gesät in der Geschichte. Der republikanische Geist, der bis zum äußersten eifersüchtig über seine Freiheit wacht, ist sofort mit seinem Argwohn bei der Hand gegen alles, was ihm mit Fesselung droht, und bäumt sich auf gegen die bloße Vorstellung eines Herrn. Völker, die das Joch ihrer Zwingherrn abgeworfen haben, sich einer glücklichen Unabhängigkeit zu erfreuen, kennt man in Europa etliche, aber es gibt kein Beispiel dafür, daß freie Völker sich freiwilliger Knechtschaft unterworfen hätten.

So manche Freistaaten sind im Lauf der Zeiten wieder in Despotismus zurückgefallen, ein Unglück, das unvermeidlich scheint, auf das alle derartigen Staaten gefaßt sein müssen, eine Folge des ewigen Wechsels, des Auf und Nieder in allen Dingen dieser Welt. Wie sollte ein Freistaat auch auf ewige Dauer den Kräften Widerstand leisten, die seine Freiheit untergraben? Wie vermöchte er auf die Dauer das Emporstreben der Großen niederzuhalten, das er selbst in seinem Schoße gedeihen<38> läßt? Jenen Ehrgeiz, der immer wieder von neuem wächst und niemals ausstirbt? Wie vermöchte er auf die Dauer alle Verführungskünste und geheimen Ränke seiner Nachbarn zu überwachen, sowie den Niedergang und Verfall in seiner eigenen Mitte, solange nun einmal die Selbstsucht unter Menschen allmächtig ist? Wie darf er hoffen, immer nur siegreich aus allen Kriegen, die es zu bestehen gilt, hervorzugehen? Wie vermöchte er allen Umständen, die seine Freiheit bedrohen, all jenen gefährlichen und entscheidenden Augenblicken, all jenen Zufälligkeiten vorzubeugen, die der Unternehmungslust und dem Wagemut eine Hand bieten? Seine Streitkräfte brauchen nur von schlaffen und zagen Heerführern befehligt zu sein, und schon ist er die Beute seiner Feinde; andrerseits werden tapfere und beherzte Leute an der Spitze seiner Truppen in Friedenszeiten nicht minder unternehmungslustig sein als in Kriegszeiten. Die Mängel seiner Verfassung werden jeden Freistaat früher oder später zu Fall bringen.

Sind aber Bürgerkriege schon für eine Monarchie verhängnisvoll, so erst recht für einen freien Staat. Es ist eine Krankheit, die ihm unbedingt tödlich ist. Ein Bürgerkrieg war es, der einem Sulla die Möglichkeit gab, die Diktatur in Rom in den Händen zu behalten, einem Cäsar, sich zum Herren aufzuschwingen vermöge der Waffen, die man ihm anvertraut hatte, und einem Cromwell, die Stufen zum Throne hinanzusteigen.

Fast alle Freistaaten haben sich aus der tiefsten Tiefe der Tyrannis zum Gipfel der Freiheit erhoben, und fast alle sind sie wieder zurückgesunken von dieser Freiheit in die Knechtschaft. Dieselben Athener, die zu Zeiten des Demosthenes für Philipp von Mazedonien nur Beschimpfungen hatten, krochen vor Alexander; dieselben Römer, denen nach Vertreibung der Könige alles Königtum ein Abscheu war, ließen sich geduldig nach den Umwälzungen einiger Jahrhunderte alle Grausamkeiten ihrer Kaiser bieten, und dieselben Engländer, die ihren ersten Karl zum Tode verdammten, well er sich an ihren Rechten versündigt hatte, beugten ihren steifen Nacken unter das stolze Joch ihres Protektors. Also nicht nach eigener Wahl haben sich jene Freistaaten ihre Herren ernannt, sondern unternehmende Männer waren es, die, getragen von der Gunst der Umstände, jene wider ihren Willen und gewaltsam sich unterworfen haben.

Wie der einzelne Mensch geboren wird, eine Zeitlang lebt und an einer Krankheit oder vor Alter stirbt, ebenso bilden sich Freistaaten, blühen etliche Jahrhunderte und gehen endlich zugrunde durch den Wagemut eines Bürgers oder durch die Waffen ihrer Feinde. Jedem Ding ist seine Frist bemessen, auch alle Reiche, auch die größten Monarchien haben nur ihre bestimmte Dauer, und nichts gibt's auf Erden, das nicht dem Gesetze des Wandels und Verfalls unterworfen wäre. Der Despotismus versetzt der Freiheit den Todesstoß und setzt früher oder später dem Geschick eines freien Staates sein Ziel; der eine Staat behauptet sich länger als der andere, je nach der Fülle an Lebenskraft, die ihm innewohnt. Soweit es in seiner<39> Macht sieht, schiebt er den letzten Augenblick hinaus und nimmt, sein Dasein zu fristen, jedes Mittel wahr, das ihm die Weisheit rät, und doch muß er zuletzt den ewigen, unveränderlichen Gesetzen des Lebens weichen und zugrunde gehen, wenn die Verkettung der Geschehnisse sein Ende mit sich bringt.

Im übrigen darf man Menschen, die wissen, was glücklich sein heißt, und die es sein wollen, nicht mit dem Vorschlage kommen, auf Freiheit zu verzichten.

Niemals wird man einen Republikaner, einen Cato oder Lyttelton39-1 davon überzeugen, daß das Königtum die beste Staatsform sei, unter der Voraussetzung, daß ein König sich's zur Aufgabe gemacht habe, seine Pflicht zu erfüllen; denn sein Wille sowie seine Machtfülle verleihen seiner guten Absicht wirksame Kraft. Zugegeben, wird er sagen, doch wo diesen Phönix unter den Fürsten finden? Das ist ja wie der Platonische Idealmensch, wie die Mediceische Venus, die ein Bildner nach vierzig verschiedenen Schönheiten formte, und die in Wirklichkeit nie existierte als eben in Marmor. Wir wissen doch, wessen wir uns zu der menschlichen Natur zu versehen haben und daß es nur wenige solcher Ausbünde von Tugend gibt, die der unbeschränkten Freiheit, ihren Herzenswünschen Genüge zu schaffen, die den Verführrungen des Thrones zu widerstehen vermöchten. Eure metaphysische Monarchie, wenn dergleichen möglich wäre, wäre freilich ein Paradies auf Erden, allein der Despotismus, wie er nun einmal in Wirklichkeit ist, macht mehr oder minder aus dieser Welt eine wahre Hölle.

Meine zweite Betrachtung gilt dem sittlichen Standpunkt Machiavells. Ich kann ihm den Vorwurf nicht ersparen, daß für ihn die Selbstsucht die einzige treibende Kraft im Guten wie im Bösen ist. Gewiß, nach der landläufigen Meinung spielt die Selbstsucht in einer despotischen Staatsordnung eine vorwiegende Rolle, Gerechtigkeit und Redlichkeit gar keine; doch man sollte endlich für immer aufräumen mit dieser abscheulichen Staatslehre, die die Grundsätze einer gesunden und lauteren Sittlichkeit nicht anerkennen will. Ging's nach Machiavell, so geschähe alles in der Welt nur aus Selbstsucht, wie die Jesuiten die Liebe Gottes ausschalten und die Menschheit einzig durch die Furcht vor dem Teufel retten wollen. Das Gute sollte die einzige Triebfeder unseres Tuns sein, denn was ist das Gute anderes als das Vernünftige? Tugend und Vernunft sind eins nicht denkbar ohne das andere und müssen es auch im Leben bleiben als Voraussetzung folgerichtigen Handelns. Seien wir also vernünftige Wesen; dies bißchen Vernunft ist's ja, was uns von den Tieren unterscheidet, und nur die Güte bringt uns dem unendlich gütigen Wesen näher, dem wir unser Dasein danken.

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10. Kapitel

Wie die Kräfte der verschiedenen Fürstentümer zu bewerten sind.

Seit den Tagen, da Machiavell seinen „Fürsten“ schrieb, hat sich die Welt schier bis zur Unkenntlichkeit verändert. Künste und Wissenschaften, die damals eben aus ihrer Asche wiederzuerstehen begannen, trugen noch alle Merkmale des Barbarentums an sich, darein sie die Einführung des Christentums, die häufigen Goten-einfälle in Italien und eine Folge grausamer und blutiger Kriege versenkt hatten. Heutzutage haben fast alle Völker ihre alten Gewohnheiten gegen neue eingetauscht, schwache Fürsten sind zur Macht gelangt, die Künste haben sich vervollkommnet, und Europa zeigt ein völlig verändertes Gesicht gegen die Tage Machiavells.

Käme heut ein Philosoph aus jenen fernen Zeiten wieder auf die Welt, er würde sich wie ein Narr vorkommen in seiner Unwissenheit; unverständlich wäre ihm die neue Gedankenwelt bis auf ihre Ausdrucksweise. Himmel und Erde wären ihm neu. An Stelle der Untätigkeit, der Ruhe, die er unserm Erdball eigen glaubte, sähe er die Welt und alle Gestirne unterworfen den Gesetzen der Bewegung und der Anziehung, sähe jene in verschiedenen Ellipsen um die Sonne kreisen, diese selber um ihre eigene Achse. An Stelle der hochtrabenden, wunderlichen Redensarten, deren aufgeblasener Schwulst mit seiner Undurchsichtigkeit den Unsinn seiner Gedanken umhüllen mußte, die nur seine dünkelhafte Unwissenheit verbargen, würde man ihn schlicht und klar die Wahrheit und den Augenschein der Tatsachen sehen lehren, und statt der traurigen Fabeleien der Naturlehre seiner Zeit böte man ihm Erfahrungen dar, ebenso zuverlässige wie erstaunliche.

Erschiene heut ein tüchtiger Feldherr Ludwigs XII. wieder, er würde sich nirgends auskennen: Feldzüge sähe er unternommen mit Hilfe von zahllosen Heeren, deren Unterhalt allein im Felde bei ihrer großen Zahl oft ein Ding der Unmöglichkeit ist, und doch unterhalten die Fürsten diese Streitmacht in Friedenszeiten wie im Kriege; demgegenüber genügte zu seiner Zeit für die entscheidenden Schläge und für alle großen Unternehmungen eine Handvoll Menschen, die nach Beendigung des Feldzugs verabschiedet wurden. An Stelle der eisernen Harnische, der Lanzen und Musketen, deren Handhabung ihm geläufig war, fände er Uniformen, fände er Gewehre<41> und Bajonette vor, dazu eine neue Kriegskunst, zahllose mörderische Erfindungen für Angriff und Verteidigung fester Plätze und ein ausgebildetes Verfahren der Truppenverpfiegung, heut so notwendig wie seinerzeit die Kunst, den Feind zu besiegen.

Was aber würde erst Machiavell selbst sagen, sähe er die Neugestaltung der europatschen Machtverhältnisse, so viele große Fürsten, die damals in der Welt nichts bedeuteten und heut eine Rolle spielen, die Macht der Könige fest gegründet, die Art, wie die Herrscher ihre Verhandlungen führen, diese bevollmächtigten Spione, die man wechselseitig an allen Höfen unterhält, und dies Gleichgewicht Europas, das auf dem Bündnis einiger bedeutender Fürsten wider ehrgeizige Störenfriede ruht, einem Bunde, den Weisheit schuf, der die Gleichheit aufrechterhält und der zum Zwecke nur den Weltfrieden hat.

All diese Errungenschaften schufen einen so durchgreifenden Wandel im ganzen wie im einzelnen, daß nun die meisten der Gedanken Machiavells auf unser heutiges Staatsleben gar keine Anwendung mehr finden und entwertet sind. Das erhellt im besonderen aus diesem Kapitel hier. Dafür einige Beispiele.

Machiavell nimmt an: „Ein Fürst mit ausgedehntem Gebiete, zudem mit GeldMitteln und Truppen wohlausgerüstet, kann sich ohne die Unterstützung irgendeines Verbündeten, aus eigener Kraft wider die Angriffe seiner Feinde behaupten.“

Das möcht' ich in aller Bescheidenheit bestreiten, vielmehr die Behauptung wagen, daß ein Fürst, mag er noch so achtunggebietend sein, auf sich selbst gestellt, starken Gegnern nicht gewachsen ist, daß er notwendigerweise der Hilfe eines Verbündeten bedarf. Wenn schon der größte, wehrhafteste und mächtigste Fürst Europas, wenn ein Ludwig XI V. drauf und dran war, im Spanischen Erbfolgekriege zu erliegen, und aus Mangel an Verbündeten dem furchtbaren Bunde der zahllosen Könige und Fürsten, der ihn erdrücken wollte, kaum noch zu widerstehen vermochte, wieviel weniger kann jeder andere Fürst, der ihm nicht zu vergleichen ist, in Vereinzelung, ohne zuverlässige und starke Bundesgenossenschaft verharren, wenn er nicht alles aufs Spiel setzen will!

Man meint, und jeder spricht es nach, ohne es recht zu bedenken, Verträge seien eigentlich ohne Wert, sie würden doch fast niemals in all ihren Abmachungen innegehalten, man sei in unserm Jahrhundert darin noch gewissenloser als in jedem andern. Wer so denkt, dem entgegne ich: Zweifellos finden sich in alter und sogar in neuester Zeit Beispiele von Fürsten, die ihre Verpflichtungen nichts weniger als ernst genommen haben. Und doch ist es vorteilhaft, Verträge zu schließen; denn zum mindesten habt ihr so viel Feinde weniger, als ihr Verbündete gewinnt, und leisten sie euch sonst keine Hilfe, so nötigt ihr sie doch immerhin zur Beobachtung unbedingter Neutralität.

Machiavell spricht dann von den „principini“, jenen Duodezfürsten, die bei der Kleinheit ihrer Staaten kein Heer ins Feld schicken können; denen macht er die Befestigung ihrer Hauptstadt zur dringenden Aufgabe, damit sie sich im Kriegsfalle dort mit ihren Truppen einschließen können.

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Diese Art Fürsten sind eigentlich nur Zwitterwesen zwischen Herrscher und Privatmann, ihre Gebieterrolle können höchstens ihre Bedienten ernst nehmen. Ihnen wüßt' ich keinen bessern Rat zu geben, als die grenzenlose Meinung von ihrer Größe, die ungeheure Verehrung für ihr altes, erlauchtes Geschlecht und den heiligen Eifer für ihren Wappenschild etwas herabzusiimmen. Besser täten sie nach der Ansicht gescheiter Leute, wenn sie sich begnügten, als wohlhabende Privatleute in der Welt aufzutreten, endlich einmal von den Stelzen, auf denen ihr Dünkel einherschreitet, herabzusteigen und allerhöchstens eine ausreichende Schloßwache gegen die Spitzbuben zu halten, vorausgesetzt, daß sie genügend Hungerleider für einen derartigen Posten auftreiben können. Im übrigen mögen sie ihre Wälle und Mauern und was sonst ihrem Herrensitz das Aussehen eines befestigten Platzes geben kann, abtragen.

Meine Gründe sind die: die Mehrzahl dieser kleinen Fürsien, namentlich in Deutschland, richtet sich zugrunde durch die Aufwendungen, zu denen ihr trunkener Größenwahn sie verführt, die in so gar keinem Verhältnis zu ihrem Einkommen stehen; die Ehre ihres Hauses hochzuhalten, sinken sie immer tiefer, aus Eitelkeit geraten sie auf den Weg zum Elend und zum Armenhaus. Noch der allerjüngste Sproß einer apa-nagierten Linie hält sich in seiner Einbildung für einen kleinen Ludwig XIV.: er baut sein Versailles, küßt seine Maintenon und hält sich seine Armee.

Es gibt heut tatsächlich einen apanagierten Fürsten eines großen Hauses in Deutsch, land42-1, der in verschmitztem Großmachtgebaren peinlich alle Truppengattungen, die sich für einen richtigen König gehören, in Sold hat, aber freilich in so verkleinertem Maßstabe, daß ein Mikroskop nötig ist, jede Gattung insbesondere wahrzunehmen; seine Kriegsmacht würde vielleicht ausreichen, im Theater von Verona eine Schlacht aufzuführen, aber mehr dürft ihr nicht von ihr verlangen.

Zweitens habe ich für einen kleinen Fürsten die Befestigung seiner Residenz unzweckmäßig genannt, aus einem sehr einfachen Grunde: mit dem Fall einer Belagerung durch ihresgleichen haben sie nicht zu rechnen, mächtigere Nachbarfürsien würden sich sofort in ihre Streitigkeiten mischen und ihnen eine Vermittlung anbieten, deren Ablehnung nicht in ihrer Macht liegt. So machen, ohne alles Blutvergießen, zwei Federstriche ihren kleinen Händeln ein Ende. Zu welchem Ende also Festungen? Und vermöchten sie auch eine Belagerung, so langwierig wie die von Troja, von seiten ihrer kleinen Gegner auszuhalten, einer wie der von Jericho, durch die Kriegsmacht eines Königs oder sonst eines mächtigen Monarchen, wären sie nicht gewachsen. Wenn schließlich in ihrer Nachbarschaft sich ein ernster Krieg abspielen sollte, so sieht es nicht in ihrer Macht, neutral zu bleiben, wenn sie nicht ihren völligen Untergang wagen wollen; schlagen sie sich aber auf die Seite einer der kriegführenden Mächte, so wird aus ihrer Hauptstadt ein Waffenplatz in der Hand dieses Fürsten.

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Viktor Amadeus43-1, der doch an Macht den Neinen Fürsten der eben besprochenen Art immer noch unendlich überlegen war, machte mit seinen Festungen in allen Kriegen Italiens sehr traurige Erfahrungen. Turin selber mußte sich's gefallen lassen, in schnellem Wechsel bald französisch, bald kaiserlich zu heißen.

Der Vorteil der offenen Städte ist der, daß in Kriegszeiten kein Mensch sich um sie kümmert, daß man sie für wertlos betrachtet und so ihren Besitzer ungeschoren läßt.

Das Bild Machiavells von der Bedeutung der deutschen Reichsstädte paßt garnicht mehr auf die Gegenwart. Mit einem Kanonenschuß oder auch nur einer einzigen Aufforderung wäre der Kaiser Herr einer solchen Stadt. Sie sind alle schlecht befestigt, meist mit alten Mauern unter der Deckung dicker Türme hier und da, umzogen von Gräben, die fast ganz von nachgestürztem Erdreich ausgefüllt sind. Ihre Besatzung ist gering, und die wenige, die sie sich leisten, ohne Kriegszucht; ihre Offiziere sind entweder der Auswurf von Deutschland oder alte Leute, die nicht mehr dienstfähig sind. Einige dieser Reichsstädte besitzen eine leidliche Artillerie, doch gegen den Kaiser würden sie nicht aufkommen, der es liebt, sie recht oft ihre Ohnmacht fühlen zu lassen.

Mit einem Worte: Krieg führen, Schlachten schlagen, Festungen berennen oder verteidigen ist einzig und allein Sache großer Fürsten; wer ohne die dazu nötigen Mittel ihnen das nachmachen will, setzt sich der Lächerlichkeit aus wie Domitian43-2, der den Lärm des Donners nachahmte und das römische Volk glauben machen wollte, er sei Jupiter.

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11. Kapitel

Von den geistlichen Herrschaften.

Stets fand ich es höchst sonderbar, daß die Leute, die sich die Nachfolger der Apostel nennen, das heißt die Nachfolger von Bettlern und Predigern der Demut und Buße, große Glücksgüter besaßen, sich nicht genug tun konnten in üppigem Lebensbehagen und dabei Ämter bekleideten, die mehr der weltlichen Eitelkeit und der Prunksucht der Großen angestanden hätten, als daß sie die Gedanken von Männern hätten ausfüllen dürfen, deren Aufgabe es ist, die Nichtigkeit des Menschenlebens zu erwägen und über ihr Seelenheil zu sinnen. Und doch ist's Tatsache, daß die Geistlichkeit der römischen Kirche ungeheuer begütert ist, daß da Bischöfe den Rang souveräner Fürsten einnehmen und daß die weltliche und geistliche Macht des ersten Bischofs der Christenheit ihn in gewisser Weise zum Schiedsrichter über Könige erhebt und als Vierten der heUigen Dreieinigkeit beigesellt.

Die Kirchenlehrer oder Theologen wissen peinlicher als jeder andere zu scheiden, was der Seele ist und was des Leibes, aber wo ihr Machtstreben in Frage kommt, da müßte man sie mit ihren eigenen Waffen bekämpfen. Euer priesterlich Amt, zu dem ihr berufen seid, könnte man ihnen vorhalten, bindet euch ganz an das Geistige — wie konntet ihr dies so gröblich mit dem Weltlichen vermengen? Eure Lehre unterscheidet doch sonst so scharfsinnig, wenn es sich um den Geist handelt, den ihr nicht kennt, und das Irdische, das ihr sehr wenig kennt — wie kommt es denn, daß ihr diese Unterscheidungen verwerft, sobald euer Eigennutz in Frage sieht? Daher kommt's, well diese Herren sich wenig Sorgen machen um ihr unverständliches ftommes Kauderwelsch, um so mehr aber um die Größe ihrer Einkünfte: daher kommt es, well die Führung ihres Denkens zwar sich in den Bahnen der Strenggläubigkeit bewegen muß, die Führung ihres Lebens aber in den Bahnen ihrer Leidenschaften wandelt, und well nun einmal die greifbaren Dinge der Natur das Übergewicht haben über das Gedankliche, in demselben Maße, wie das wirkliche Glück dieser Welt über das Jenseitsglück.

Diese erstaunliche Macht der Geistlichkeit ist der Gegenstand des vorliegenden Kapitels, ebenso alle Fragen ihrer weltlichen Herrschaft.

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Machiavell findet, daß die Kirchenfürsten besonders glücklich daran sind, weil sie weder die Aufruhrgelüsie ihrer Untertanen noch das Machtbegehren ihrer Nachbarn zu fürchten haben. Der ehrfurchtgebietende und entwaffnende Name Gottes gewährt ihnen eine Deckung gegen jeden Widersacher ihrer selbstsüchtigen Zwecke und ihrer Größe; die Fürsten, die sie angreifen möchten, fürchten das Schicksal der Titanen, die Völker, die ihnen den Gehorsam kündigen möchten, fürchten den Fluch des Gottesfrevels. Die fromme Politik dieser Art Herrscher befleißigt sich, der Welt einzuschärfen, was Despréaux45-1 so hübsch in dem Verse ausdrückt:

Wer Herrn Colin nicht liebt und ehrt,
Hält weder Gott noch König wert.

Das Erstaunlichste ist, daß diese Fürsten Dumme genug finden, die in leichtgläubigem Vertrauen auf die Redlichkeit jener ohne jede weitere Prüfung sich an das halten, was die geistlichen Herren für richtig finden, ihnen einzureden. Dabei ist es Tatsache, daß es in keinem Lande mehr von Bettlern wimmelt als in Krummstabländern, wo man stets ein erschütterndes Bild alles menschlichen Jammers beieinander sehen kann. Es sind aber nicht etwa jene Armen, die die Freigebigkeit und die Almosenspenden der Fürsten ins Land ziehen, nicht etwa jenes Geschmeiß, das sich an den Reichtum heftet und hinter der Üppigkeit einherkriecht, sondern es sind arme Teufel von Hungerleidern, die die Barmherzigkeit ihrer Bischöfe um ihre Lebensnotdurft bringt, um dem Sittenverderb und den Mißbräuchen zu steuern, die das Volk gemeiniglich mit dem Überflüsse treibt. Man denkt bei den Grundsätzen dieser geistlichen Herrn an die Gesetze Spartas, das den Gebrauch des Geldes verbot; allerdings mit dem Unterschiede, daß die Herren Prälaten den Gebrauch der guten Dinge, die sie scheinheilig ihren Untertanen wegnehmen, sich selber vorbehalten. Selig sind, die da arm sind, sagen sie, denn sie werden das Himmelreich ererben; und da sie nun wollen, daß alle Welt errettet werde, tragen sie Sorge, alle Welt an den Bettelstab zu bringen. O der Frömmigkeit der Kirchenherren! Wie weit erstreckt sich doch ihre weise Fürsorge:

Nichts müßte erbaulicher sein als die Geschichte der Häupter der Kirche oder der Statthalter Jesu Christi. Man setzt voraus, hier Muster untadeliger und reiner Sitten zu finden. Weit gefehlt! Hier gibt's nur Unzucht, Schandtaten und peinlichen Anstoß ohne Ende; man kann das Leben der Päpste nicht lesen ohne Abscheu vor ihrer Grausamkeit und Falschheit. Man sieht im großen und ganzen nur ihren Ehrgeiz am Werke, ihre weltliche Macht und ihr Ansehen zu steigern; ihre schmutzige Habgier, bestrebt, große Güter unter rechtswidrigen und unanständigen Vorwänden ihrer Sippe zu sichern, um ihre Neffen, ihre Liebsten oder ihre Bastarde zu bereichern.

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Wer nicht weiter drüber nachdenkt, mag's befremdlich finden, daß die Völker so gelehrig und geduldig die Bedrückungen durch derartige Herrscher sich gefallen lassen, daß sie blind scheinen für die entwürdigenden Lasier und Ausschweifungen der Geistlichkeit, und daß sie von einem geschorenen Haupte hinnehmen, was sie von einem lorbeergekrönten nimmermehr ertragen würden. Diese Erscheinung verliert an Befremdlichkeit für jeden, der die Macht des Aberglaubens über die Dummheit, der die Macht des Glaubenseifers über das Menschengemüt richtig einschätzt; ein solcher weiß, die Religion ist ein altes Werkzeug, das nie sich abnutzen wird, das von jeher seinen Dienst getan, wenn es galt, sich der Treue der Völker zu versichern und der Ungebärdigkeit der menschlichen Denkkraft einen Zaum anzulegen; ein solcher weiß, wie dieser Wahn den Hellsten Blick zu trüben vermag, und daß nichts der siegenden Gewalt derer gleichkommt, die für ihr Machtbestreben Himmel und Hölle, Gott und Teufel einzusetzen wissen. So ist es Tatsache, daß selbst die wahre Religion, die lauterste Quelle alles dessen, was wir gut nennen, durch einen beklagenswerten Mißbrauch zum Ursprung aller unsrer Leiden wird.

Der Verfasser bemerkt mit gesundem Urteil, was am meisten zur Erhöhung des Heiligen Stuhles beigetragen hat, und sieht die Hauptursache in der geschickten Haltung des Papstes Alexander VI., gerade jenes Priesters, dessen Grausamkeit und Ehrgeiz jedes Maß überstieg, dessen richterliches Walten nur eitel Tücke war. Es wäre also nahezu Lästerung, wollte man das Gebäude, das dieser Priester in seinem Machtstreben getürmt hat, mit dem Werke Gottes verwechseln. Der Himmel konnte unmittelbar keinen Teil haben an der Aufrichtung dieser weltlichen Macht, sie ist nur die Schöpfung eines arg entarteten Bösewichts. So wird es sich immer empfehlen, bei den Herren der Kirche, welchen Rang sie auch immer bekleiden mögen, sorglichst zu unterscheiden zwischen dem Vermittler des Gotteswortes, soweit er sein Amt der Verkündung göttlicher Weisung ausübt, und zwischen dem verderbten Menschen, der nur an die Sättigung seiner Leidenschaften denkt.

Eine Lobrede auf Leo X. beschließt das Kapitel; doch da Machiavell dieses Papstes Zeitgenosse ist, wiegt sie gar leicht. Jegliches Lob eines Untertanen für seinen Herrn, eines Schriftstellers für einen Fürsten gerät nun einmal, was man auch einwenden möge, in gar zu bedenkliche Nähe der Schmeichelei. Über unfern Wandel kann nur die Nachwelt zu Gericht sitzen, die ohne jede Leidenschaft und selbstlos richtet. Machiavell war der letzte, in den Fehler der Schmeichelei zu verfallen, er, der durchaus lein berufener Richter über wahres Verdienst ist; weiß er doch nicht einmal, was Tugend ist. Und ob es wünschenswerter gewesen wäre, von ihm gelobt oder getadelt zu werden, weiß ich nicht und stelle die Frage dem Leser anheim, er kann darüber entscheiden.

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12. Kapitel

Von den verschiedenen Arten der Streitkräfte und von den Söldnern.

Die Welt bietet aller Enden das Schauspiel großer Mannigfaltigkeit. Die Frucht, barkeit der Natur gefällt sich darin, in ein und derselben Gattung die verschiedensien Spielarten hervorzubringen. Das gilt nicht nur bei den Pflanzen, Tieren, Landschaften, für die Züge, Hautfarbe, Gesichtsbildung und Körperbeschaffenheit der Menschen; diese schöpferische Tätigkeit der Natur ist so umfassend, so ausnahmslos, daß sie sich noch bis auf die Lebensbedingungen der Reiche und Monarchien erstreckt; ich versiehe darunter im allgemeinen ihre Ausdehnung, Bevölkerungszahl, ihre Lage im Hinblick auf Nachbarn und Handel, ihre Gewohnheiten, Gesetze, ihre starken und schwachen Seiten, ihre Reichtümer und Hilfsquellen.

Diese Verschiedenheiten der Bedingungen sind für die Staatsleitung äußerst fühlbar, vertausendfachen sich, wenn man auf die Einzelheiten eingeht; genau wie die Ärzte kein Geheimmittel, kein Allheilmittel für jegliches Leiden, keine Arznei besitzen, die ohne Unterschied für jede Natur paßt, so vermag auch der erfahrenste und geschickteste Staatsmann leine allgemein gültigen Regeln der Staatskunst aufzustellen, die eine Anwendung auf alle Regierungsformen und jedes Land in seiner Besonderheit zuließen.

Diese Betrachtung führt mich ungezwungen zu einer Prüfung der Ansichten Machiavells über Ausländertruppen und Söldnerwirtschaft. Der Verfasser verwirft ihre Verwendung durchaus und stützt sich dabei auf Beispiele, die erwiesen hätten, daß gewisse Staaten von ihrer Verwendung mehr Nachteil als nennenswerte Hilfe gehabt hätten.

Sicher ist's im allgemeinen und Erfahrung hat's bestätigt, daß die besten Streitkräfte eines jeglichen Staates aus Landeskindern bestehen. Diese Auffassung läßt sich belegen durch das Beispiel des heldenhaften Widerstandes des Leonidas in den Thermopylen, und wiederum durch die kriegerische Minderwertigkeit der Lazedämonier unter den anderen Griechen, in der Zeit, als sie ihre Sklaven für sich in den Kampf schickten, sowie auch durch die erstaunlichen Fortschritte des Römerreichs, als die Legionen noch aus Bürgern Roms bestanden. Es war also das Volk, das den<48> Erdkreis der Herrschaft dieser großartigen und stolzen Republik unterwarf, kein Heer von Fremdlingen. Dieser Satz Machiavells trifft demnach wohl zu für alle Völker von hinlänglichem Volksreichtum, um für ihre Verteidigung eine ausreichende Zahl von Streitern zu stellen. Auch ich bin überzeugt, wie der Verfasser, daß ein Reich mit Söldnern übel beraten isi, daß die Treue und Herzhaftigkeit von Landeskindern solchen weit überlegen ist. Vor allem aber ist's höchst bedenklich, die Untertanen in schlaffe Tatenlosigkeit, durch faule Üppigkeit in Unmännlichkeit versinken zu lassen, während zur selben Zeit die Nachbarn in Mühsal und Kampf sich zu Kriegern stählen.

Mehr als einmal hat man die Beobachtung gemacht, daß Staaten, die aus Bürgerkriegen hervorgingen, äußeren Feinden gegenüber eine außerordentliche Überlegenheit mitbrachten, denn im Bürgerkriege isi jeder mit der Waffenführung vertraut, da gilt keine Gunst, sondern nur was einer leistet; die Gewöhnung macht beim Menschen, der ein Gewohnheitstier isi, eben alles aus.

Indessen gibt es doch Fälle, die eine Ausnahme von jener Regel zu fordern scheinen. Bringen Königreiche oder sonstige Staaten nicht genügend Menschen hervor, wie ein Heer oder der Kriegsverbrauch verlangt, so bleibt notgedrungen nichts übrig als die Aushilfe durch Söldnertruppen; es gibt dann eben kein anderes Mittel, den Mangel auszugleichen.

In solchem Falle gibt's ja auch Auswege, den Schwierigkeiten zu begegnen und dem, was diese Art von Krlegsvolt auch für Machiavell zu wünschen übrig läßt, abzuhelfen: man braucht sie nur sorgfältig unter die Einheimischen zu mischen, so wird man jede bedrohliche Absonderung verhüten und sie gleichzeitig in die einheitliche Ordnung, Zucht und Treue eingewöhnen; hauptsächlich achte man darauf, daß die Fremden den Einheimischen an Zahl nicht über den Kopf wachsen.

Die Streitmacht eines Königs im Norden48-1 setzt sich aus solchen gemischten Truppen zusammen, und er sieht darum um nichts weniger machtvoll und ehrfurchtgebietend da. Die Mehrzahl der europäischen Truppen besieht in solcher Weise aus Landeskindern und Söldnern; die Leute, die das Land bebauen und die die Städte bewohnen, zahlen nur eine bestimmte Abgabe zum Unterhalt ihrer Verteidiger, sie selbst ziehen nicht mehr ins Feld. Die Soldateska besieht aus der Hefe des Volkes, aus Taugenichtsen, die die Müßigkeit der Arbeit vorziehen, aus Wüstlingen, die unter den Fahnen ein freies Leben und ungestraftes Treiben suchen, aus ungeratenen Söhnen, wilden Gesellen, die aus Lust an der Ungebundenheit Handgeld nehmen, und die, da sie einzig aus Leichtsinn dienen, zu ihrem Kriegsherrn ebensowenig ein innerliches Verhältnis haben wie Ausländer. Was waren gegen diese Truppen jene Römerkrieger, die den Erdkreis unterwarfen! All diese Fälle von Fahnenflucht, die heutzutage in jedem Heere an der Tagesordnung sind, waren den<49> Römern ein unbekanntes Ding; diese Männer, die für Frau und Kinder stritten, für ihre Hausgötter, für die römische Bürgerschaft und für alles, was ihnen das Teuerste im Leben hieß, sie dachten freilich nicht daran, so hohe Werte auf einmal durch feige Fahnenflucht preiszugeben.

Was den großen Fürsten Europas ihre Sicherheit verbürgt, das ist die ungefähre Gleichartigkeit und Gleichwertigkeit ihrer Streitkräfte; es gibt in dieser Hinsicht nichts, was der eine vor anderen voraus hätte. Nur die schwedischen Truppen sind gleichzeitig Bürger, Bauern und Soldaten49-1, so bleibt denn auch, wenn sie ins Feld rücken, niemand im Innern zur Bestellung des Bodens zurück. Daher ist ihre Macht denn auch in keiner Weise bedrohlich, denn sie können auf die Dauer nichts ausrichten, ohne sich selbst mehr zu schädigen als ihre Feinde.

Soviel über die Söldner. Die Ansichten Machiavells über die Pflichten eines großen Fürsten als Kriegsherrn teile ich durchaus. In der Tat, alles, aber auch alles verpflichtet ihn, die Führung seiner Truppen auf sich zu nehmen und der Erste zu sein in seinem Heere wie in seinem Hoflager. Sein eigener Vorteil, seine Pflicht, sein Ruhm, alles gebietet ihm dies. Er ist das Haupt der Justiz, in gleicher Weise ist er der Schirmherr und der Verteidiger seiner Völker. Diese Landesverteidigung ist eine der wichtigsten Aufgaben seines Amtes, aus diesem Grunde darf er sie keinem anvertrauen als sich selbst. Sein Vorteil scheint unabweislich seine persönliche Anwesenheit beim Heere zu erheischen, da alle Befehle von ihm ausgehen und auf diese Weise Gedanke und Tat in der denkbarsten Unmittelbarkeit einander folgen. Außerdem macht die ehrfurchtgebietende Gegenwart des Fürsten allen Reibereien unter den Generalen, die ein Fluch für das Heer, ein fühlbarer Schaden für den Kriegsherrn sind, ein Ende. Sie bringt größere Ordnung in alles, was das Magazinwesen, die Versorgung mit Munition und allem Kriegsbedarf angeht; was wäre ohne solche Ordnung Cäsar selbst an der Spitze von 100 000 Streitern? wo blieben ohne sie seine Erfolge, seine Heldentaten? Der Fürst ist's, der eine Schlacht schlagen läßt; so ist's auch seine Sache, ihren Gang zu bestimmen, durch seine Gegenwart seinen Truppen den Geist zuversichtlicher Kampfesfreudigkeit mitzuteilen; an ihm ist's, zu zeigen, wie der Sieg seine Unternehmungen stetig krönt, wie er das Glück durch Klugheit an sich fesselt, und ein leuchtendes Beispiel ihnen zu geben, wie man furchtlos der Gefahr und selbst dem Tode trotzt, wenn Pflicht, wenn Ehre und unsterblicher Nachruhm es gebieten.

Welch ein Ruhm für einen Fürsten, der mit Gewandtheit, mit Klugheit und tapferem Herzen seine Staaten vor dem Einbruch der Feinde deckt, durch Kühnheit und Geschicklichkeit über alle machtvollen Anschläge der Gegner triumphiert und durch seine Festigkeit, Besonnenheit und durch seine kriegerische Überlegenheit sein gutes Recht glücklich behauptet, das ihm ungerechte Anmaßung bestreiten will.

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Alle diese Gründe zusammen, scheint mir, müssen den Fürsten verpflichten, die Führung seiner Truppen selbst zu übernehmen und alle Not und Fährnis, der er sie aussetzt, mit ihnen zu teilen.

Nun wird man einwenden, nicht jeder ist ein geborener Soldat, und viele Fürsten haben weder das Talent noch die Erfahrung, die zur Führung einer Armee gehören. Das gebe ich freilich zu, und doch soll dieser Einwurf nicht allzusehr mich in Verlegenheit setzen. Gewiegte Generale gibt's jederzeit in einem Heere, da hat der Fürst nur deren Ratschläge zu befolgen. Der Krieg wird dann doch immer einen glücklicheren Verlauf nehmen, als wenn der Feldherr von einem Ministerrat bevormundet wird, der, fern der Armee, gar nicht imstande ist, die Kriegslage zu beurteilen, und der oftmals schon dem geschicktesten General jede Möglichkeit benommen hat, zu zeigen, was er kann.

Ein Satz Machiavells befremdet mich; bei ihm muß ich, ehe ich schließe, noch verweilen. Er schreibt: „Die Venezianer trauten dem Herzog von Carmagnola, der ihre Truppen befehligte, nicht; darum mußten sie ihn aus der Welt verschwinden lassen.“ Offen gestanden, das versiehe ich nicht; was heißt das: gezwungen sein, jemand aus dieser Welt verschwinden zu lassen? Er müßte dann meinen, durch Verrat, Gift, Meuchelmord, jedenfalls, ihn ums Leben bringen. So glaubt unser Doktor der höheren Verbrecherkunsi, er dürfe nur die Ausdrücke mildern, so bekämen die schwärzesten und belastendsten Untaten ein harmloses Ansehen.

Die Griechen sprachen in solchen Umschreibungen gern vom Tode, da sie ohne geheimes Grauen nicht alle Schrecken der Vernichtung ertragen konnten. Machiavell umschreibt das Verbrechen, da sein Herz sich gegen sein Denken auflehnt und dies gewissermaßen die fluchwürdige Gesinnung seiner Lehre nicht so ungar zu verdauen vermag.

Traurig genug, wenn man errötet, sich anderen in seiner wahren Gestalt zu zeigen, und der Selbstprüfung ängstlich aus dem Wege gehen muß!

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13. Kapitel

Von Hilfstruppen, Volksheeren und Truppen gemischter Art.

Unter allen Philosophen des Altertums waren unbestritten die tiefsten, die besonnensten und maßvollsten die der neueren Akademie; vorsichtig in ihren Entscheidungen, überstürzten sie sich niemals mit Ja oder Nein, gaben ihr Urteil nicht dem Irrtum einer Voreingenommenheit gefangen, noch der Aufwallung ihres Blutes. Es wäre zu wünschen gewesen, daß Machiavell von der maßvollen Art dieser Philosophenschule etwas angenommen hätte, statt sich den unberechenbaren Anwandlungen seiner Einbildungskraft zu überlassen, die ihn nur zu oft vom Wege des vernünftigen Denkens abirren ließen.

Den Gipfel der Übertreibung erreicht seine Behauptung, ein kluger Prinz würde lieber mit seinen eigenen Truppen untergehn, als mit fremden HUfsvölkern siegen. Weiter läßt sich die Überspanntheit nicht treiben, und ich behaupte, seit die Welt sieht, ist kein größerer Unsinn ausgesprochen worden als der Satz, der „Fürst“ von Machiavell sei ein gutes Buch. Wenn der Verfasser sich zu solchen Gewagtheiten versteigt, kann er wenig Ehre damit einlegen; dieser Satz widerspricht ebenso aller StaatsVernunft wie aller einfachen Erfahrung. Wo ist der Herrscher, der nicht die Erhaltung seines Staates dessen Untergange vorzöge, ohne viel nach den Mitteln oder nach den Personen zu fragen, denen er sich dabei verpflichten könnte? Ein Ertrinkender, denk' ich, wird wohl kaum ein Ohr haben für lange Reden, es sei doch seiner unwürdig, seine Lebenserhaltung andern als sich selber zu schulden, und es sei seine Pflicht, lieber unterzugehn als den von fremder Hand ihm hingehaltenen rettenden Strick oder Stock zu fassen. Die Erfahrung lehrt uns, daß des Menschen erste Sorge seiner Erhaltung, die zweite seinem Wohlbefinden gilt. Damit ist der großartig klingende Fehlschluß des Verfassers schon hinfällig.

Geht man diesem Satze Machiavells aber auf den Grund, so stößt man nur auf verkappte Eifersucht, die der unwürdige Verführer gar zu gern den Fürsten einflößen möchte; und dabei war gerade diese Eifersucht zu jeder Zeit ihr Verderb: Eifersucht auf ihre Generale oder auf Bundesgenossen, die ihnen zu Hilfe eUten, deren Eintreffen sie nicht abwarten wollten, aus Furcht, mit anderen ihren Ruhm teilen zu müssen. Auf diese Weise sind zahllose Schlachten verloren gegangen, und kleinliche Eifersüchteleien haben oftmals den Fürsten empfindlichere Nackenschläge eingetragen als die überlegene Zahl und sonstige Vorteile des Gegners.

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Der Neid ist eins der schädlichsten Laster für die Gesellschaft, bei Fürsten aber hat er noch ganz andere Folgen als bei Bürgersleuten. Ein Staat mit einem Fürsten an der Spitze, der auf seine Untertanen neidisch ist, wird nur zaghafte Bürger hervorbringen, niemals tüchtige Leute, die großer Leistungen fähig wären. Neidische Fürsten ersticken im Keime jene großen Begabungen, die der Himmel für glänzende Leistungen geschaffen zu haben scheint; von daher schreibt sich der Verfall der Reiche und schließlich ihr völliger Sturz. Das oströmische Reich verdankte seinen Untergang ebenso der Eifersucht der Kaiser auf die glücklichen Erfolge ihrer Heerführer, wie der religiösen Engherzigkeit der letzten Fürsten auf jenem Throne; statt die geschickten Feldherren für ihre Verdienste zu belohnen, wurden sie bestraft für ihre Erfolge, und die wenig erfahrenen Truppenführer beschleunigten dann den Niedergang des Staates. Der Fall dieses Reiches war unausbleiblich.

Vaterlandsliebe vor allem soll den Fürsten beseelen, und sein ganzes Sinnen und Trachten soll einzig und allein daraufausgehen, Nützliches und Großes für das Wohl des Staates zu wirken. Diesem Ziel soll er seine Eigenliebe und all seine Leidenschaften zum Opfer bringen, jeden Beistand in Rat und Tat annehmen, alle bedeutenden Persönlichkeiten, die er nur findet, heranziehen, mit einem Wort, alles sich zunutze machen, was irgend sein schönes Werk, die Arbeit am Wohlergehen seiner Untertanen, zu fördern verspricht.

Die Mächte, die gemischter Truppen oder der HUfsvölker entraten können, tun wohl daran, sie aus ihren Heeren auszuschließen; da aber nur wenige der europäischen Fürsten in dieser günstigen Lage sind, so meine ich, dürfen sie's wohl unbedenklich mit Hilfstruppen wagen, solange die einheimischen an Zahl ihnen überlegen sind.

Machiavell schrieb nur für Neine Fürsien. Sein Wert ist nur eine Sammlung von Stegreifeinfällen über den Staat; fast kein Satz, wo der Verfasser nicht die Erfahrung gegen sich hätte. Ich könnte eine Unmenge von Beispielen nennen für glück, liche Erfolge von Heeren, die aus Hilfstruppen bestanden, und für treffliche Dienste, die sie Fürsten geleistet haben. Mit solchen Hilfstruppen wurden die Kriege in Bra-bant, am Rhein und in Italien geführt, schlug der Kaiser im Bunde mit dem Reiche, mit England und Holland die Franzosen, verjagte sie aus Deutschland und Italien und setzte sie in Flandern matt52-1. Ebenso waren es gemischte Truppen, Truppen dreier Kriegsherren, zusammengebracht durch ein Bündnis, denen der Feldzug der drei nordischen Könige52-2 wider Karl XII. anvertraut war, und es gelang ihnen doch, jenem einen Teil seiner deutschen Gebiete zu entreißen. Im Kriege vom Jahre 1734, den Frankreich unter dem Verwande der Verteidigung der Rechte jenes immer wieder gewählten und immer wieder entthronten Königs von Polen52-3 begann, gelang einer gemischten Streitmacht von Franzosen und Savoyarden die Einnahme von Mailand sowie des größten Teils der Lombardei.

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Was bleibt Machiavell nach so vielen Gegenbeispielen? Sein geistvolles Gleichnis von den Waffen Sauls, die David, da er wider Goliath auszog, ihrer Schwere wegen zurückwies53-1, ist Schaumschlägerei, nichts weiter. Gewiß kommt's vor, daß die Hilfsvölker einem Fürsten lästig fallen; aber nimmt man dergleichen nicht gern in Kauf, wenn man Städte und Provinzen dabei gewinnt?

Bei dieser Gelegenheit verspritzt Machiavell sein ganzes Gift gegen die Schweizertruppen in französischen Diensten. Ich muß für diese wackern Truppen ein Wörtchen einlegen, denn ohne Zweifel haben die Franzosen mit ihrer Hilfe mehr denn eine Schlacht gewonnen und danken ihnen hervorragende Dienste; wollte Frankreich die Schweizer und die Deutschen, die bei seinen Fußtruppen stehen, verabschieden, so wären seine Heere gleich viel weniger gefürchtet.

Soviel von Irrtümern des Verstandes, nun zu denen des sittlichen Gefühls. Die schlechten Beispiele, die Machiavell den Fürsten vorhält, gehören zu jenen Nichtswürdigkeiten, die man ihm nicht hingehen lassen darf. So führt er hier den Hieron von Syrakus53-2 an, der, schwankend zwischen der gleich gefährlichen Wahl, ob er seine Truppen beibehalten oder entlassen sollte, sie abschlachten ließ. Dergleichen empört uns, wenn wir in der Geschichte darauf stoßen, aber entrüstet sind wir, müssen wir's in einem Buche zur Belehrung der Fürsten lesen. Grausamkeit und Barbarei strafen sich bei Bürgern gewöhnlich selbst und sind daher für die meisten ein Abscheu. Fürsten, die an ihrem Platze von der Vorsehung den Schicksalen gewöhnlicher Menschen entrückt sind, haben von sich aus nicht so lebhafte Abneigung dagegen, weil sie die Folgen weniger zu befürchten haben; also sollte man gerade allen denen, die zu Herren über andere Menschen bestimmt sind, mit allem Nachdruck einen Widerwillen einprägen gegen jeden Mißbrauch, den sie mit ihrer unbeschränkten Macht begehen könnten.

Derselbe Machiavell, der es in diesem Kapitel ausspricht: „Nichts ist so hinfällig als Ansehen und Name, wenn sie nicht auf den eigenen sittlichen Wert gegründet sind“, muß es heut an sich selbst erfahren, daß sein guter Ruf, der auf schwachen Füßen stand, jetzt ganz dahin ist; mochte bei seinen Lebzeiten sein Geist Verehrer finden, so ist Verachtung nach seinem Tode sein Lohn um seiner Schlechtigkeit willen. Die Welt läßt sich eben nur für eine Weile etwas vormachen; sie weiß die Ehre der Menschen gar trefflich abzuwägen. Läßt sie auch manchmal eine Zeitlang Gnade für Recht ergehen, so gilt das nicht für immer, und sie sitzt dann über den Menschen nach seinem Tode, welchen Rang er auch im Leben bekleidet habe, mit derselben Strenge zu Gericht, die in der Vorzeit über die alten Könige von Ägypten nach ihrem Tode erging. Willst du dir also einen guten Ruf in der Welt sichern, so gibt es nur ein zuverlässiges und untrügliches Mittel: sei in Wahrheit so, wie du in den Augen der Welt scheinen willst.

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14. Kapitel

Worauf der Fürst im Kriegswesen zu sehen hat.

Jede Berufsart hat ihre eigene Pedanterie, eine Folge der übereifrigen und einseitigen Hingabe an sie; sie führt zu Übertreibungen und setzt ihre Träger der Lächerlichkeit aus. Mit nachsichtigen Augen betrachten wir jene Arbeiter der Gelehrtenrepublik, die sich im Weisheitssiaube des Altertums, im Dienste der Fortschritte der Wissenschaft eingraben, die aus diesem Dunkel heraus sozusagen ihr Licht über das Menschengeschlecht leuchten lassen, die ihr Leben zubringen mit den Toten und den Schriftstellern der alten Welt, die sie aus dem Grunde kennen, zu Nutz und Frommen der Lebenden, der Menschen ihrer Zeit, die sie herzlich wenig kennen.

Diese Kleinmeisterei, die man sich, bis zu einem gewissen Grade, bei Gelehrten ersten Ranges gefallen läßt, weil ihre Tätigkeit sie hindert, sich umzutun in der Zeit und unter Menschen, die ihnen einigen Schliff geben könnten — diese Art wird ganz unerträglich bei Kriegsleuten, und zwar aus dem entgegengesetzten Grunde.

Ein Soldat wird zum Pedanten, wenn er auf Kleinlichkeiten versessen ist, wenn er in Maulheldentum und Donquichotterie verfällt. Diese Fehler machen ihn in seinem Berufe ebenso lächerlich, wie den Mann der Wissenschaft seine siubenhockerische Welt, fremdheit.

Machiavell setzt in seiner Begeisterung seinen Fürsten dieser Lächerlichkeit aus: er versielgt sich bis zu der Forderung, sein Fürsi müsse ganz und gar nur Soldat sein, und macht so einen richtigen Don Quijote aus ihm, der nichts denkt und träumt<55> als Schlachtfelder, Verschanzungen, Belagerung von festen Plätzen, Schlachtordnungen, Angriffe, Stellungen und Befestigungen. Ein Wunder nur, daß der Verfasser nicht darauf verfällt, ihn mit Suppen in Gestalt von Außengräben, Pasteten in Bombenform und Torten in Form von Bastionen füttern zu lassen, und daß er ihn nicht wider Windmühlen, Schafherden und Strauße anrennen läßt, wie der liebenswürdige Phantast Miguel Cervantes.

Solche Entgleisungen gibt's, sobald man sich von der Mittelstraße der Besonnenheit verliert, die auf sittlichem Gebiete das gleiche bedeutet wie in der Mechanik der Schwerpunkt.

Ein Fürst erfüllt nur die eine Hälfte seiner Bestimmung, wenn er sich bloß dem Kriegshandwerk widmet; es ist geradezu verkehrt, daß er nichts als Soldat sein soll. Man erinnere sich meiner Ausführungen über den Ursprung der Fürsten im ersten Kapitel dieses Buches: Fürsten sind in erster Ltnie Richter; sind sie Feldherren, so sind sie's im Nebenamt. Machiavell gleicht den Göttern Homers, die stark, wehrhaft und machtvoll sind, niemals aber gerecht und billig. Nicht einmal das Abc der Gerechtigkeit kennt er, nur Selbstsucht und Gewalt.

Die Gedanken unseres Verfassers kriechen alle am Boden, sein beschränktes Vorstellungsvermögen umfaßt nur Rücksichten, wie sie den Machtbedürfnissen kleiner Fürsten entsprechen. Nichts Kümmerlicheres zum Beispiel als seine Gründe, mit denen er den Fürsten das Weidwerk ans Herz legt: sie würden auf diese Weise die Bodenbeschaffenheit und die gangbaren Straßen ihres Landes kennen lernen! Man denke sich einen König von Frankreich oder einen Kaiser solchermaßen um die Geländekenntnis innerhalb ihrer Staaten bemüht: sie brauchten ebensoviel Zeit, mit ihren Jagden herumzukommen, wie der Ablauf eines Sonnenjahres beträgt.

Man gestatte mir hier, bei einer Abschweifung auf das Weidwerk etwas zu verwetten; die Sache verdient es vielleicht, ist doch diese Kurzweil fast beim ganzen Adel und Hochadel und bei den Königen Gegenstand leidenschaftlicher Beliebtheit. Die meisten Könige und Fürsien bringen dreiviertel ihrer Lebenszeit damit zu, die Wälder zu durchstreifen, das Wild zu Hetzen und zu erlegen. Sollte dieses Buch in ihre Hände fallen, obwohl ich nicht eingebildet genug bin, ihnen zugunsten meiner Schriftsiellerei ein Opfer an ihrer Zeit zuzumuten, die dem Wohle der Menschheit gehört, dann bitte ich sie, meiner Wahrheitsliebe zugute halten zu wollen, wenn meine Ansichten vielleicht den ihrigen zuwiderlaufen. Schmeichlerische Lobreden zu verfassen isi nicht meine Sache, meine Feder ist nicht käuflich; meine Absicht bei diesem Werke ist allein, mir selbst Befriedigung zu verschaffen, indem ich mit aller denkbaren Freiheit die Wahrheiten, von denen ich überzeugt bin, oder Dinge, die mir vernünftig erscheinen, ausspreche. Isi nach alledem ein Leser von so verderbtem Geschmack, daß er die Wahrheit nicht liebt oder nicht verträgt, was seiner Denkweise widerstreitet, so braucht er ja mein Buch nur in die Ecke zu werfen; niemand wird ihn zum Lesen zwingen.

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Ich kehre zu meinem Gegenstand zurück. Das Weidwerk ist einer jener sinnlichen Genüsse, die dem Leibe stark zu schaffen machen, dem Geiste aber nichts geben: eine Leibesübung und Gewandtheit im Morden des Wildes, eine fortgesetzte Zerstreuung, ein geräuschvolles Vergnügen, das die innere Leere ausfüllt, die Seele aber für jeden anderen Gedanken unempfänglich macht; ein brennendes Verlangen, irgendein Stück Rotwild zu Hetzen, und dann die grausame und blutige Genugtuung, es zur Strecke zu bringen; mit einem Wort, ein Vergnügen, das den Leib stählt, den Geist brach und ungepflegt läßt. Die Jäger werden mir sicherlich vorwerfen, ich nähme die Dinge zu streng, spielte den gar zu unerbittlichen Kritiker und befände mich in der angenehmen Lage des Kanzelredners, der mit seinem Vorrecht, allein in der Gemeinde das Wort zu führen, leichtlich darauf losreden dürfe, ohne Widerspruch befürchten zu müssen; nun, ich verzichte gern auf diesen Vorteil und will in aller Ehrlichkeit die Scheingründe, die die Liebhaber des Weidwerks vorbringen, erörtern. Da heißt's zuerst, die Jagd ist das edelste und älteste Vergnügen der Menschen; die Patriarchen und viele von den großen Männern sind Jäger gewesen; in der Jagd bewähren die Menschen immer noch jene Herrenmacht über die Tiere, die Gott selbst einst Adam verliehen hat. Meinetwegen mag immer die Jagd so alt sein wie die Welt, aber was alt ist, ist doch darum nicht besser. Und wenn große Männer die Jagd geliebt haben, gut, sie hatten eben auch ihre Fehler und Schwächen: so wollen wir uns doch an das halten, was groß an ihnen war, und nicht ihre Mängel nachahmen. Die Patriarchen haben auch gejagt — sie haben auch ihre Schwestern geheiratet, die Vielweiberei war zu ihrer Zeit auch tm Schwang! Die guten Patriarchen und unsere teuren Voreltern rochen eben noch gehörig nach der Barbarei, darin sie staken: es waren grobschlächtige, unwissende Gesellen, Tagediebe, die nicht wußten, wohin mit der vielen, vielen Zeit: um sie totzuschlagen, führten sie ihre Langeweile auf die Jagd, verbrachten in den Wäldern, auf der Wildhatz die Stunden, die sie in Ermangelung geistiger Fähigkeiten nicht im Kreise gescheiter Menschen zuzubringen wußten. Ja, sind das nun nachahmenswerte Muster, soll die Ungeschlachtheit Lehrmeisterin der Lebensart sein? Oder sollen nicht vielmehr aufgeklärte Jahrhunderte anderen zum VorbUde dienen?

Ob Adam die Herrschaft über die Tierwelt empfing oder nicht, ist nicht meine Sorge. Ich weiß nur, daß wir, grausamer und wilder als die Tiere selbst, diese angemaßte Herrschaft recht tyrannisch ausüben. Höchstens dürfte uns doch unsere über-legene Vernunft ein Übergewicht über die Tiere geben; nun, das Hirn derer, die mit Leib und Seele der Jagd ergeben sind, ist meist nur mit Pferden, Hunden und sonstigem Getier ausgefüllt; sie sind meist ungeschliffene Leute und sind ihrer Leidenschaft gewöhnlich mit Haut und Haaren verfallen, was nicht ganz ungefährlich ist, da es naheliegt, daß sie ihre Unempfindlichkeit, die sie beim Tiere an den Tag legen, auch gegen den Menschen erweisen, zum mindesten, daß ihre grausame Gewöhnung, kalten Bluts das Leiden der Kreatur anzusehn, ihr Mitgefühl mit dem<57> Leide von ihresgleichen abstumpft. Das wäre also das gepriesene adlige Vergnügen? Das wäre eine Beschäftigung, eines denkenden Wesens würdig?

Die Jagd stählt aber die Gesundheit, wird man einwenden; die Erfahrung lehrt, daß Jäger zu hohen Jahren kommen; schließlich ist's doch ein unschuldiges Vergnügen und recht geschaffen für hohe Herren: sie können fürstlichen Glanz dabei entfallen, außerdem zerstreut es ihre Sorgen, bietet ihnen in Friedenstagen Bilder des Krieges, und der Fürst lernt auf der Wildbahn das Gelände, Weg und Steg, kurz, sein eigen Land in jeder Hinsicht gründlich kennen.

Nennst du mir die Jagd eine Leidenschaft, so kann ich dich nur beklagen, daß du keine ersprießlichere hast; will dich im übrigen einigermaßen entschuldigen und mich auf den guten Rat beschränken, sie wenigstens an den Zaum zu nehmen, wenn du sie nicht ganz zu unterdrücken vermagst. Nennst du das Weidwerk ein Vergnügen, so antworte ich: Recht so, genieße es, doch ohne Übertreibung; Gott behüte mich, ein Vergnügen zu verdammen! Im Gegenteil! Alle Pforten der Seele möcht' ich auftun, daß die Freude beim Menschen einziehe. Willst du mir aber die Jagd für etwas besonders Gutes und besonders Nützliches ausgeben, so laß dir sagen: Mag dir der Selbstbetrug der Eigenliebe und die Leidenschaft, die lügt, wenn sie zu Worte kommt, auch hundert Gründe einblasen, mit so windigen Gründen speist man mich nicht ab! Schminke auf ein garstiges Gesicht! Du kannst uns nicht überzeugen, so willst du uns dumm machen. Und wenn ein Faulpelz und Nichtstuer es zu hohen Jahren bringt, was hat die Allgemeinheit davon? Wie sagt der Dichter57-1?

„Ein Heldenleben mißt man nach der Zahl Der Jahre nicht!“

Nichts liegt daran, daß ein Mensch den Faden fauler, wertloser Tage bis zu Methusalems Alter hinspinne; nein, je mehr er seine Vernunft gebraucht, je mehr des Vorbildlichen und des Nützlichen er geleistet hat, um so mehr hat er gelebt.

Gerad heraus, die Jagd ist von allen Vergnügungen die, so den Fürsten am allerwenigsten ansieht. Mögen sie Glanz und Pracht anderweitig zum besten geben, wo das Volk etwas davon hat. Sollte der Wildbestand so überHand nehmen, daß der Bauer darunter leidet, so gibt das für Iägersleute einen sehr schönen Auftrag, die mögen die Tiere abschießen. Fürsten haben wirklich andere Obliegenheiten: sie sollen vor allem etwas lernen, sollen Kenntnisse erwerben und die Gewandtheit, zusammenhängend zu denken. Klare und richtige Gedanken verlangt von ihnen ihr Beruf, dafür können sie ihren Geist nicht genug schulen. Da nun aber die Menschen sehr von Gewöhnungen abhängen und die Einwirkung ihres Tuns und Treibens auf ihre Gedankenwelt garnicht abzuschätzen ist, so sollte es eigentlich naheliegen, daß sie die Gesellschaft gebildeter Geister, die ihnen Anmut des inneren Menschen zu geben ver<58>mögen, dem Umgang mit Dummköpfen vorzögen, von denen sie nur Roheit und ungesittetes Gebaren lernen können. Denn wer seinen Geist auf die Höhe bewußter Denktätigkeit eingestellt hat, wie hoch sieht er über denen, die ihre Vernunft der Oberherrschaft der Sinne unterwerfen! Die Tugend des Maßhaltens, eine notwendige Fürsientugend, sucht man beim Jäger vergebens; das allein genügt eigentlich, die Jagd zu einer verwerflichen Sache zu machen.

Um auch allen anderen noch möglichen Einwürfen zu begegnen und auf Machiavell zurückzukommen, muß ich wohl noch bemerken: für einen Feldherrn von Bedeutung ist das Weidwerk durchaus nicht unerläßlich! Gustav Adolf, Lord Marlborough, Prinz Eugen sind allesamt keine Jäger gewesen, und ihnen wird man den Namen hervorragender Männer und fähiger Heerführer wohl nicht absprechen! Will einer gescheite und zuverlässige Beobachtungen über Geländebeschaffenheit anstellen und strategische Erwägungen darüber, so gelingt ihm das viel leichter auf einsamer Streife ohne die Störung durch Feldhühner, Hühnerhunde, Hirsche, die Unruhe einer Meute und das wilde Toben der Jagd. Ein namhafter Fürst, der mit den Kaiserlichen den zweiten Feldzug in Ungarn mitmachte58-1. wäre um ein Haar in die Hände der Türken gefallen, weil er sich auf der Jagd verirrt hatte. Im Heere sollte das Jagen geradezu verboten sein, es hat schon zuviel Unordnung auf den Märschen veranlaßt. Wie viele Offiziere, anstatt bei der Truppe zu bleiben, haben sich schon pflichtwidrig von ihrem Posten entfernt; ganze Abteilungen gerieten aus ähnlichen Ursachen in Gefahr, vom Feinde überrumpelt und aufgerieben zu werden.

Ich komme demnach zu dem Schluß: es ist zwar verzeihlich, wenn ein Fürst auf die Jagd geht, vorausgesetzt, daß es nur selten und zur Erholung von seiner ernsten und manchmal sorgenvollen Tätigkeit geschieht. Eigentlich ist aber die Jagd nur für Leute da, denen sie ihren Beruf, das Mittel ihres Fortkommens bedeutet; sonst sind vernunftbegabte Menschen zum Denken und zum Handeln auf der Welt, und ihr Dasein ist zu kurz bemessen, als daß sie seine kostbaren Augenblicke so sträflich vergeuden dürften.

Oben sagte ich, die erste Fürstenpfiicht sei, des Rechtes zu walten. Die zweite, füge ich hier zu, die gleich hinter jener kommt, besieht im Schutz und der Verteidigung des Staates. Die Herrscher sind verpflichtet, Zucht und Ordnung in den Truppen aufrechtzuerhalten. Für ihre Person liegt ihnen ob, ein ernstes Studium an das Kriegshandwerk zu wenden, denn sie sollen sich auf die Heerführung verstehen; sie sollen imstande sein, Feldstrapazen zu ertragen; sollen wissen, wo und wie man ein Lager anlegt, überall für reichliche Verpflegung sorgen, kluge und gute Dispositionen treffen. Von ihnen verlangt man schnelle und richtige Entschlüsse; in schwierigen Lagen soll ihr Kopf Auskunft und Hilfsmittel bereit haben; aus dem Glück<59> wie aus dem Unglück sollen sie Gewinn schlagen und es niemals an Rat und Voraussicht fehlen lassen. Fürwahr, das heißt viel fordern von der menschlichen Kraft!

Derartige Leistungen darf man sich indessen eher von einem Fürsten versprechen, der die Sorge um die Entwicklung seiner geistigen Fähigkeiten ernst nimmt, als von Leuten, deren Denken immerdar nur am Stoffe haftet, die nur die feineren oder gröberen Antriebe der Sinnlichkeit kennen. Es ist eben mit den geistigen Fähig, leiten ebenso bestellt wie mit den körperlichen: bildet einer seinen Körper im Tanzen aus, so gewinnt er Haltung, Geschmeidigkeit und Gewandtheit; vernachlässigt er ihn, so wird er krumm, büßt seine Anmut ew, wird schwerfällig, unbeholfen und mit der Zeit unfähig zu jeder Kraftleistung.

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15. Kapitel

Was dem Menschen, insbesondere aber dem Fürsten, Lob und Tadel schafft.

Maler und Geschichtsschreiber gleichen sich darin, daß sie beide das Bild des Menschen für die ferne Nachwelt festhalten. Das Bild des äußeren Menschen zeichnen die einen, das Bild des inneren Menschen, seine Taten und die Geschichte des menschlichen Geistes die anderen. Wie es nun Maler gibt, deren Pinsel, von der Hand der Grazien geführt, die Schönheitsfehler der Natur ausgleicht. Altersschaden mildert und alles, was ihre Urbilder entstellt, liebevoll abschwächt, so hat an mehr denn einer Stelle die beredte Darstellung von Bossuet und Fléchier Gnade für Recht ergehen lassen, allerhand Menschlichkeiten zurechtgerückt und aus bedeutenden Persönlichkeiten Heldengestalten gemacht. Wie es umgekehrt Maler gibt mit der Neigung, alles von der häßlichen Seite aufzufassen, Maler, die ein Antlitz frisch wie Milch und Blut ins Schmutzfarbene verkehren und die edelsten Umrisse und Züge dermaßen vergröbern, daß in ihrer Wiedergabe einer griechischen Venus oder eines Amorknaben kein Mensch mehr die Spuren der Praxitelischen Meisterhand erkennen würde, so droht dem Geschichtschreiber die gleiche Gefahr vom Parteigeiste. Pater Daniel zeichnet in seiner „Geschichte Frankreichs“ alle Ereignisse völlig schief, sobald die Calvinisten in Frage kommen; und etliche protestantische Darsteller, ebenso umbeherrscht und unweise wie jener würdige Pater, verschmähten es nicht, die Lügen ihrer leidenschaftlichen Voreingenommenheit über das unparteiische Zeugnis zu stellen, das sie der Wahrheit schuldeten, uneingedenk der obersten Pflicht des Historikers: die Tatsachen treu wiederzugeben, ohne Entstellung und Fälschung. Maler einer dritten Gattung haben einen Mischmasch von Geschichte und Trug zuwege gebracht, um Unholde, wie Ausgeburten der Hölle an Häßlichkeit, zur Darstellung zu bringen; als verstünde sich ihr Pinsel nur auf die Erfassung von Teufelsgesichtern, ward ihre Leinwand ein Abbild alles dessen, was die fruchtbarste und zugleich düsterste Einbildungskraft an wilden Nachtstücken von Bildern verdammter und höllischer Geister erschaffen konnte. Was ein Callot und Peter Testa in dieser Art Malerei, das ist Machiavell unter den Schriftstellern. Seine Darstellung macht aus der Welt eine Hölle und teuflische Wesen aus allen Menschen. Man möchte meinen, dieser menschenfeindliche und grillige Staatslehrer wolle das ganze Menschengeschlecht aus Haß gegen die gesamte Gattung verleumden, oder er habe es darauf abgesehen, die Tugend auszurotten, vielleicht, damit alle Bewohner der Erde seinesgleichen würden.

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Wenn Machiavell über Tugend spricht, setzt er sich der Gefahr der Lächerlichkeit aus, wie einer, der von Dingen redet, die er nicht versieht, und verfällt obendrein in Übertreibungen, die er an anderen verdammt. Haben einige Darsteller ein allzu rosiges Bild von der Welt entworfen, so ist sie bei ihm ein Abgrund von Niederträchtigkeit. Aus den verkehrten Voraussetzungen seiner Wahnvorstellungen ergeben sich naturgemäß nur falsche Schlußfolgerungen — ohne festen Mittelpunkt läßt sich kein Kreis schlagen, ohne eine erste Grundwahrheit nicht richtig denken.

Die sittlichen Forderungen dieser Staatslehre laufen darauf hinaus: nur an die Lasier halte dich, die dir Vorteil versprechen; andere opfere deinem Machtstreben; der Verruchtheil derWelt passe dich an, willst du anders unfehlbarem Verderben entgehen.

Selbstsucht ist der Schlüssel für dies Gedankengebäude, die Urkraft, wie Descartes' Wirbel und Newtons Schwerkraft. Sie heißt für Machiavell die Seele der Welt, der sich alles beugen muß, bis auf die Regungen des Gemütes. Doch zeugt die Voraussetzung, daß es in des Menschen Macht siehe, diese seine Regungen sich zu geben oder zu nehmen, von einem argen Mangel an Weltkenntnis; beweist doch die ganze Anlage unseres Leibes, daß Freude und Niedergeschlagenheit, Sanftmut wie Zornmütigkeit, Liebe und Gleichgültigkeit, Beherrschtheit wie Maßlosigkeit, mit einem Wort: alle unsere Gemütsregungen lediglich von der Beschaffenheit bestimmter Organe unseres Leibes abhangen, von der mehr oder minder feinen Anlage etlicher Fibern, etlicher Membranen, von der Dick- oder Leichtfiüssigkeit unseres Blutes und der Leichtigkeit oder Trägheit seines Umlaufs, von der Stärke unseres Herzens, der Beschaffenheit unserer Galle, der Größe unseres Magens und dergleichen mehr. Nun frage ich aber: Sind alle diese Teile unseres Leibes wohl imstande, sich den Gesetzen unserer Selbstsucht willig unterzuordnen? Mehr Vernunft hat wohl die Annahme des Gegenteils! Machiavell wird jedenfalls viele Andersgläubige finden, die den Gott Epikurs dem Cäsars vorziehen.

Nein, es gibt nur einen berechtigten Grund für ein vernunftbegabtes Wesen, sich dem wohltuenden Zwange seiner inneren Regungen zu widersetzen: die Einsicht dessen, was zuletzt seinem Besten dient und was dem Gemeinwohl frommt. Diese leidenschaftlichen Regungen erniedrigen unser Wesen, wenn wir uns ihnen wehrlos ausliefern, und richten uns leiblich zugrunde, wenn wir ihre Zügel schleifen lassen; nicht ganz unterdrücken soll man sie, aber meistern und ihnen eine Richtung geben zu Nutz und Frommen der Gesellschaft, einfach, indem man ihnen einen neuen Gegenstand anweist. Sollten wir's auch nie zu einem großen, regelrechten Siege in einem Entscheidungskampfe über sie bringen, der kleinste Vorteil über sie sei uns ein tröstlich Zeichen dafür, daß wir auf dem Wege sind, Herren über uns selbst zu werden.

Ich muß in diesem Kapitel für den Leser noch einen groben Widerspruch Machiavells anstreichen. Im Anfange heißt es: „Eine ganze Welt liegt zwischen dem, was einer tut, und dem, was einer sollte; jeder Mensch, der sein Tun und Lassen danach einrichten wollte, was ihm von dieser Pflicht der Menschen vorschwebt, nicht aber nach<62> dem, was sie in Wirklichkeit sind, der müßte mit Unfehlbarkeit untergehen.“ Der Verfasser hat vielleicht vergessen, wie er sich im sechsten Kapitel ausgelassen hat, wo er sagt: „Da es nun einmal ein Ding der Unmöglichkeit ist, sein Vollkommenheitsbild ganz zu erreichen, so wird ein Kluger sich immer nur ein möglichst hohes Vorbild wählen, damit er, vermag er ihm nicht ganz gleichzukommen, doch zum mim besten den eigenen Leistungen einen Abglanz seiner Größe sichere.“ Machiavell ist zu bedauern um der Unzuverlässigkeit seines Gedächtnisses willen, wenn nicht der Mangel an Zusammenhang und Folgerichtigkeit in seinen Gedanken und Schlüssen noch bedauerlicher ist.

Er geht in seinen Denkfehlern und den Grundsätzen seiner abscheulichen Mißweisheit so weit, zu behaupten, in dieser so ganz verbrecherischen und verderbten Menschenwelt sei für vollkommene Güte keine Lebensmöglichkeit. Einer hat mal gesagt, wenn die Dreiecke sich einen Gott machten, so würde er drei Seiten haben. So ist auch diese niederträchtige und verderbte Welt eine echte Schöpfung Machiavells.

Ein Redlicher kann immerhin überlegenen Geistes sein, voller Umsicht und Vorsicht, das braucht seiner Herzensreinheit keinen Eintrag zu tun. Seine scharfsinnige Voraussicht ist ihm genug, er erkennt, was seine Feinde im Schilde führen, seine Weisheit, nie Rates verlegen, kann ihm stets die Wege weisen, wie er den Schlingen, die ihre Bosheit ihm legt, entgehe. Was heißt das aber schließlich: unter Schurken nicht vollkommen gut sein? Was sonst als selber ein Schurke sein? Wer sich erst darauf einläßt, „nicht vollkommen gut“ sein zu wollen, der wird zuletzt, nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge, eben ein ganzer Bösewicht; das geht wie beim Donaustrom: der wird auch nicht besser bei seiner Weltreise, in der Schweiz fängt er an, in der Tartarei nimmt er sein Ende.

Man lernt, ich gestehe es, ganz neue und besondere Dinge bei Machiavell: Ehe ich den „Fürsten“ gelesen, war ich dumm und ungebildet genug, nicht zu wissen, daß es Fälle gebe, die einem Ehrenmann erlaubten, ein Schuft zu werden. In meiner Beschränktheit hatte ich keine Ahnung davon, daß Leute wie Catilina, Cartouche, Mir-Weis62-1 die vorbildlichen Gestalten für die Welt seien; vielmehr lebte ich mit der Mehrheit der Menschen der Überzeugung, es komme der Tugend zu, Vorbilder abzugeben, dem Laster, sich gefälligst danach zu richten. Muß ich mich allen Ernstes auf ein Für und Wider einlassen? Gründe allen Ernstes dafür beibringen, daß wirklich Tugend allerhand vor dem Lasier voraus hat, ein gütiges Herz vor schadenfroher Bosheit und Edelsinn vor Verrätertücke? Ich denke, wer nur seinen Verstand beieinander hat, der weiß zur Genüge, was sein Bestes erheischt, um zu fühlen, auf welcher von beiden Seiten er am ehesten seine Rechnung findet, und um einen Menschen zu verabscheuen, der bei dieser Frage garnicht einmal einen Zweifel, ein Schwanken kennt, sondern der sich für das Verbrechen entscheidet!

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16. Kapitel

Von Freigebigkeit und Kargheit.

Zwei berühmte BUdhauer, Phidias und Alkamenes, schufen jeder ein Athene-standbild; das schönste nach der Wahl der Athener sollte die Spitze einer Säule krönen. Bei der öffentlichen Ausstellung fielen die Stimmen dem Werke des Al-kamenes zu; das andere, hieß es, sei zu plump gearbeitet. Ohne sich durch das Urteil der Menge aus dem Gleichgewicht bringen zu lassen, legte Phidias kühnlich Berufung ein: man solle nur einmal erst beide Bildwerke auf dem hohen Standort, für den sie gemacht seien, aufstellen, und dann entscheiden, welches das schönere sei. Gesagt, getan: bei der Errichtung der beiden Bilder auf der Höhe der Säule ergab sich, daß die Gesetze der Proportion, der richtigen Perspektive, somit die Feinheit der Formengebung von Phidias besser beobachtet waren als von seinem Mitbewerber. Phidias dankte seinen Erfolg dem Studium der Gesetze des Sehens: was für einen hohen Standort bestimmt ist, ist notwendig anderen Regeln unterworfen, als was in Augenhöhe gesehen werden soll.

Aber diese Proportionsregel gilt ebenso streng in Fragen des Staates wie in der Bildhauerei. Auch da heißt es: andere Gebiete, andere Gebote; jede Verallgemeinerung ist nur vom Übel. Was an einem großen Reiche alle Bewunderung verdient, kommt noch lange nicht einem kleinen Staatsgebilde zu; was hier am meisten zur Hebung dient, dort arbeitet es geradezu dem Niedergange vor. Wollte man so grundverschiedene Lebensbedürfnisse einheitlich regeln, es gäbe die seltsamsten Mißgriffe, jedenfalls eine ganz verkehrte Anwendung von Grundsätzen, die an sich gut und heilsam sind. Nehmen wir einmal den Luxus: erwachsen aus dem Überflusse, läßt er den Reichtum durch alle Adern des Staatskörpers rollen und bringt ein weites Königreich zur Blüte; er gibt der Industrie zu leben, er verzehnfacht die Bedürfnisse der Wohlhabenden und Genießenden und schafft gerade damit eine lebendige Verbindung zur Armut und Bedürftigkeit hin. Der Luxus bedeutet für ein großes Reich dasselbe, was die Tätigkeit des Herzens für den menschlichen Körper bedeutet, die das Blut durch die großen Schlagadern treibt bis zu den äußersten Gliedmaßen, von wo aus es die kleinen Venen durchrinnt, die es zum Herzen zurückführen zu erneutem<64> Kreislaufe durch den gesamten Organismus. Verfiele nun ein ungeschickter Staatsmann auf den Gedanken, den Luxus aus einem großen Reiche zu verbannen, die Folge wäre eine bedenkliche Entkräftung und Schwächung dieses Staatskörpers; das Geld, überflüssig geworden, verbliebe in den Truhen der Reichen, der Handel schliefe ein, die Fabriken verfielen aus Mangel an Absatz, die Industrie ginge zugrunde, die reichen Familien blieben andauernd reich, für die Bedürftigen gäb's keine Aussicht, sich jemals aus ihrem Elend emporzuarbeiten.

Derselbe Luxus würde auf der anderen Seite für einen kleinen Staat geradezu ein Fluch sein: die Bürger richten sich durch Aufwand zugrunde, und da mehr Geld aus dem Lande herausströmt als sich durch Eingang ersetzt, so muß der zarte Körper schwindsüchtig werden und schließlich notwendig an Auszehrung eingehen. Es bleibt demnach ein unerläßliches Gebot für jeden Staatsmann, niemals kleine und große Staaten einheitlich zu behandeln, und das ist der grobe Verstoß Machiavells in diesem Kapitel.

Der erste Fehler, den ich tadeln muß: er gebraucht das Wort Freigebigkeit in einem zu unbestimmten Sinne. Es besieht doch ein merklicher Unterschied zwischen einem verschwenderischen und einem freigebigen Menschen. Jener verschleudert sein Gut mit vollen Händen ohne Ordnung und zur Unzeit — ein verdammenswertes Zuviel, eine Art Tollheit, ein Zeichen unklaren Denkens; weshalb ein verständiger Fürst sich vor jeglicher Verschwendung hüten wird. Der Freigebige hingegen ist ein Mann, der das Herz auf dem rechten Fleck hat; ihn leitet in allem die Vernunft, und so bildet die Einnahme den Gradmesser für die Ausgabe; so sehr er sich vernünftiger Wohltätigkeit befleißigt, gerade sein Erbarmen mit dem Elend lehrt ihn, sich einschränken, lehrt ihn das Überflüssige entbehren, damit er anderen hilfreich geben könne. Nur in seinen Mitteln findet seine Herzensgüte ihre Grenze. Das ist nach meiner Überzeugung eine Haupteigenschaft für einen großen Fürsten und für jeden, den seine Geburt zur Hilfeleistung, zur Erleichterung des Elends seiner Nebenmenschen verpflichtet.

Der zweite Fehler, den ich Machiavell vorwerfe, ist eine Verirrung aus angeborener Denkweise. So nenne ich das mangelnde Unterscheidungsvermögen, mit dem er ruhig der Freigebigkeit Fehler anhängt, die der Habsucht eigen: „Um sich den Ruf der offenen Hand zu erhalten, wird ein Fürst“, so meint er, „seine Untertanen mit Steuern überlasten, wird nach Handhaben suchen, ihre Habe für sich einzuziehen, und wird auf alle möglichen unwürdigen Mittel angewiesen sein, seine Truhe zu füllen.“ Das ist der Habsüchtige, wie er im Buche sieht! Vespasian war's, nicht Trajan, der dem römischen Volke Steuern auferlegte. Habsucht ist ein verzehrender Hunger, der nimmer Sättigung findet, ist wie ein Krebsschaden, der vernichtend um sich frißt. Ein Habsüchtiger begehrt nach Reichtümern, neidet sie jedem Besitzer und bringt sie, wenn er kann, in seine Gewalt; Begehrlichkeit ist leicht durch den Köder des Gewinns in Versuchung zu führen, wie denn bei habgierigen Richtern<65> der Verdacht der Bestechung nahe genug liegt. Es ist die Eigentümlichkeit dieses Lasters, die schönsten menschlichen Vorzüge in den Hintergrund zu drängen, sobald es sich ihnen gesellt.

Der Freigebige ist das genaue Gegenstück zum Habsüchtigen. Seine Freigebig, keit beruht auf Güte und Mitgefühl. Seine Wohltätigkeit will den Unglücklichen helfen und beitragen zum Glücke wertvoller Menschen, mit denen es das Schicksal weniger gut meint als die Natur. Ein Fürst von solcher Sinnesart denkt nicht daran, seine Völker zu bedrücken und für seine Vergnügungen auszugeben, was sie mit saurer Müh' erwarben; vielmehr wird sein einziger Gedanke sein, die Quellen ihres Wohlstandes zu mehren. Wo etwa Unrecht und Schädigung vorkommt, geschieht's ohne fein Wissen, sein gütiges Herz treibt ihn nur, allen Völkern seiner Herrschaft jegliches Glück zu schaffen, das ihr Zustand nur immer zuläßt.

Dies ist der landläufige Sinn der Begriffe Freigebigkeit und Geiz. Kleine Fürsten, deren Besitz nur schmal und deren Familie verhältnismäßig groß ist, tun gut, wenn sie ihre Wirtschaftlichkeit getrost bis zu der Grenze treiben, wo ein oberflächlicher Beurteiler sie schon mit Geiz verwechselt. Herrscher, die zwar über einige Staaten gebieten, aber noch nicht zu den großen Fürsten zählen, sehen sich auf eine gewissenhafte Verwaltung ihrer Einkünfte angewiesen und ebenso auf eine vorsichtige Bemessung ihrer Freigebigkeit nach ihrer Leistungsfähigkeit. Doch mit der Macht des Fürsten wächst seine Pflicht, eine offene Hand zu haben.

Vielleicht hält man mir das Beispiel Franz' des Ersten von Frankreich entgegen, dessen alles Maß überschreitende Ausgaben mit an seinem Unglück schuld waren; bekannt ist es ja, daß die Vergnügungen dieses Königs die Mittel verschlangen, die ihm zum Ruhme den Weg hätten bahnen können. Doch dagegen läßt sich zweierlei sagen: erstens war Frankreich zu jenen Zeiten an Machtstellung, Einkünften und Hilfsmitteln bei weitem nicht dem Frankreich von heute zu vergleichen, und zweitens war dieser König schon nicht mehr freigebig, sondern eben ein Verschwender.

Weit entfernt, Ordnungssinn und Genauigkeit bei einem Herrscher zu verurteilen, bin lch der erste, der ihm solches hoch anrechnet. Der Fürst als der Vormund seiner Untertanen hat für die Verwaltung der Staatsgelder aufzukommen, er ist seinen Untertanen dafür verantwortlich und muß, wofern er klug ist, ausreichende Mittel auf Vorrat ansammeln, um in Kriegszeiten die notwendigen Ausgaben bestreiten zu können, ohne genötigt zu sein, den Seinen neue Lasten aufzuerlegen. Soviel Vorsicht und Umsicht in der Verwendung der Staatsgelder geboten ist, wenn das Gemeinwohl es erfordert, ist auch Freigebigkeit und Weitherzigkeit am Platze: dergleichen gibt dem Gewerbefleiß neue Unternehmungslust, sichert immer wieder dem fürstlichen Namen seinen guten Klang und belebt jede Tüchtigkeit.

Zuletzt noch ein Irrtum Machiavells! Ein Irrtum des sittlichen Empfindens. „Freigebigkeit macht arm und somit verächtlich.“ Welch armseliger Gedankengang, welche verkehrten Vorstellungen von dem, was Anerkennung oder Tadel einträgt!<66> Also, Machiavell, die Schätze des Reichen sollen im Urteil der Welt alles andere aufwiegen? Metall, an sich verächtlich, dessen Schätzung eine willkürliche ist, soll aus seinem Besitzer ohne weiteres eine hochlöbliche Persönlichkeit machen? Also nicht der Mensch, der Haufen Goldes ist's, dem man Ehre zollt! Begreift einer, wie eine solche Vorstellung im Hirn eines denkenden Menschen Eingang finden kann? Man kommt zu Reichtum durch Fleiß, durch Erbschaft oder, was bedenklicher, durch Gewaltmittel; alle diese Erwerbungen bleiben außerhalb des eigentlichen Menschen, er besitzt sie und kann sie wieder verlieren. Wie kann man also Dinge von so innerlich verschiedener Art wie Menschenwert und ein elendes Stück Geld in einen Sack tun! Der Herzog von Newcastle, Samuel Bernard66-1 oder Pels66-2 sind durch ihre Reichtümer bekannt; doch Bekanntsein und Geachtetsein sind zweierlei. Der stolze Krösus mit seinen Schätzen, der habgierige Crassus mit seinen Reichtümern wurden vom Volke in dem Glanze ihres Auftretens angestaunt wie Sehenswürdigkeiten; seinem Herzen sagten sie nichts, seine Achtung erwarben sie nicht. Doch der gerechte Aristides und der weise Philopömen66-3, der Marschall Turenne und Catinat66-4, untadelig in ihren Sitten, wie man sich gern die Männer früherer Zeiten denkt, sie waren die Bewunderung ihrer Zeitgenossen und sind das Vorbild der Ehrenmänner aller Zeiten — und sie lebten in Einfachheit und Uneigennützigkeit. Also nicht Macht, Stärke und Reichtum gewinnen die Herzen, sondern diese werbende Macht bleibt den persönlichen Eigenschaften vorbehalten, der Güte, der Tugend. Also können auch Armut und Bedürftigkeit niemals den Menschenwert herabsetzen, ebensowenig wie äußere Vorteile das Lasier zu adeln oder zu Ehre zu bringen imstande sind.

Die Masse und die Bedürftigen hegen eine gewisse Achtung vor dem Reichtum, gerade weil sie ihn nicht kennen, nichts von ihm wissen. Dagegen wer selber etwas hat und dazu denkt wie ein vernünftiger Mensch, der fühlt eine überlegene Verachtung gegenüber allem, was von Glückes oder Zufalls Gnaden ist; da sie selber die Güter dieser Welt besitzen, so kennen sie um so besser deren inneren Unwert und Nichtigkeit.

Nicht verblüffen soll man die Welt, ihre Achtung nicht durch Überrumpelung gleichsam an sich reißen; sie redlich zu erwerben, darauf kommt's an.

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17. Kapitel

Von Grausamkeit und Milde, und ob es besser ist, geliebt oder gefürchtet zu werden.

Der kostbarste Schatz, der der Hut der Fürsten anvertraut ist, das ist ihrer Untertanen Leben. Ihr Amt gibt ihnen die Vollmacht, zum Tode zu verurteilen oder Gnade an den Schuldigen zu üben, sind sie doch die obersten Gerichtsherren. Ein Wort aus ihrem Munde, und es treten vor sie hin die finsteren Vollstrecker des Todes und der Vernichtung; ein Wort aus ihrem Munde, und es eilen dahin die Boten ihrer Gnade, die Retter in der Not mit ihrer Heilsbotschaft. Wieviel Besonnenheit, Voraussicht und Weisheit gehört aber zu einer so unbeschränkten Machtvollkommenheit, soll jeder Mißbrauch verhütet werden!

Tyrannen zählen ein Menschenleben nicht. Ihr Glück hat sie ja so hoch hinaufgetragen, nun fühlen sie das Leid da unten, das ihnen unbekannt bleibt, nicht mehr mit. Sie sind den Kurzsichtigen gleich, die nur zwei Schritte weit sehen können: sie sehen nur sich selbst, von der übrigen Menschheit nehmen sie nichts wahr. Vielleicht, wenn einmal das Entsetzen, das ihre eigenen Bluturteile wecken, an ihr eigenes Empfinden rühren könnte, die Grausamkeiten, die in ihrem Namen geschehen, ihren Blicken fern, all die Schrecknisse vor und bei der Hinrichtung eines Unglücklichen — wenn ihnen all das einmal nahe träte, vielleicht, daß ihr Gemüt doch noch nicht so verhärtet wäre, um sich starr der Stimme der Menschlichkeit zu versagen, daß sie in ihrer Kaltblütigkeit doch nicht so ganz aller Natur entfremdet wären, um nicht erschüttert zu werden.

Gute Fürsten fühlen diese unbegrenzte Macht über Leben und Tod auf ihrer Seele als die schwerste Last ihrer Krone. Sie wissen, sie sind selber Menschen, gleich denen, über die sie richten sollen; sie wissen, alles läßt sich wieder gutmachen hienieden, Unbill, Ungerechtigkeit, Kränkung, nur ein übereiltes Todesurteil ist ein Unglück, das nicht ungeschehen zu machen ist. Sie entschließen sich zu solcher Härte nur zur Vermeidung von noch unerfreulicheren, schonungsloseren Maßnahmen, die ihnen nicht erspart bleiben, sofern sie nicht gegebenen Falles fest zufassen; und nur in verzweifelten Fällen greifen sie zu so unseliger Entschließung — wie ein Mensch wohl, trotz zärtlichster Selbstliebe, in die Ablösung eines brandigen Gliedes willigt, um durch diesen schmerzhaften Eingriff wenigstens seinen übrigen Körper zu sichern und zu erhalten. Also nur, wenn dringendste Not es gebietet, darf ein Fürst das Leben<68> eines Untertanen antasten, und er muß sich darum mit peinlichster Besonnenheit und ängstlichster Gewissenhaftigkeit fragen, ob eine solche auch vorliege.

Fragen von solcher ernsten Gewichtigkeit behandelt Machiavell als Geringfügigkeiten; ein Menschenleben gilt ihm nichts, der Nutzen, die einzige Gottheit, die er verehrt, alles. Er gibt der Grausamkeit den Vorzug vor der Gnade und rät jedem Neuling auf der Höhe der Macht, sich weniger als jeder andere Mensch daraus zu machen, als grausam verschrien zu sein. Wie die Helden Machiavells sich von Henkersknechten zum Throne emporführen lassen, so behaupten sie sich dort oben durch rohe Gewalt. Cäsar Borgia, das ist sein Muster für Grausamkeit, an ihn hält er sich, wie Fénelon sich an Telemach hält, wenn er den Weg zur Tugend weisen will.

Machiavell führt noch einige Verse an, die Vergil der Dido in den Mund legt, eine Anführung, die ganz und gar nicht am Platze ist; denn Vergil läßt seine Dido sprechen wie Voltaire die Jokaste in seinem Ödipus. DerDichter leiht eben seinen Gestalten eine Redeweise, wie sie ihrem Wesen entspricht; in einer Abhandlung über Staatsfragen darf man also wirtlich nicht bei der Maßgeblichkeit einer Dido und auch nicht einer Jokaste eine Anleihe machen, hier gilt nur das Vorbild großer und edelgearteter Männer.

Zu einer knappen Antwort an den Verfasser zu kommen, genügt die eine Erwägung: so verhängnisvoll ist die Verkettung verbrecherischer Taten untereinander, daß, sobald einmal die erste geschehen, nun mit Notwendigkeit eine der anderen folgt. So zieht Thronraub Verbannungen, Ächtungen. Gütereinziehungen und Mordtat nach sich. Ich frage: zeugt es nicht von schauriger Härte des Gemütes, von fluchwürdigem Machthunger, alle Untaten, die man zur Behauptung seiner Herrschaft begehen muß, im voraus zu wissen und doch noch nach der Herrschaft zu streben? Ich frage: ist irgendein persönlicher Vorteil in der Welt denkbar, der den Tod Unschuldiger rechtfertigte. Unschuldiger, die nicht so wollen, wie ein Usurpator will? Und welchen Reiz kann eine blutbefleckte Krone haben? Solche Erwägungen werden vielleicht einen Menschen wie Machiavell kalt lassen, doch ich bin überzeugt, nicht die ganze Welt ist so verderbt wie er.

Vor allem gegen die Truppen empfiehlt unser Staatslehrer Härte und stellt der Nachsicht Scipios die Strenge Hannibals gegenüber, stellt sich hierin ganz auf Seite des Karthagers und kommt sogleich zu dem Schluß, Grausamkeit sei die Handhabe der Ordnung und Mannszucht, somit der Siegestaten eines Heeres. Es ist kein ehrlich Spiel von seilen Machiavells, wenn er als Gegenbeispiel zu Hannibal gerade den Scipio wählt, den weichsten und lässigsten in der Heereszucht unter allen römischen Führern: um die blutige Härte in ein günstig Licht zu setzen, stellt er ihr wohlweislich die Schwachheit eines Scipio gegenüber, dabei muß er selber zugeben, daß Cato jenen den Verderber des römischen Soldatengeistes genannt hat. Und so behauptet er, nun wisse er ganz genau, woher die Verschiedenheit der Erfolge der beiden Feldherren; daher weg mit aller Milde, die er nach seiner Art mit den Fehlern verwechselt, zu denen übertriebene Gutherzigkeit ausarten kann!

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Ich gebe zu, keine Ordnung im Heerlager ohne Strenge; wie will man sonst lieber, liches Gesindel, Wüstlinge, Verbrecher, Feiglinge, Abenteurer, ungeschlachte und seelenlose Kerle zur Pflichterfüllung anhalten, wenn nicht die Furcht vor Strafen sie in Schranken hält? Was ich hier von Machiavell verlange, ist allein vernünftige Einschränkung. Er muß sich doch sagen, daß der rechte Mann, wenn auch seine GutHerzigkeit ihn zur Milde bestimmt, nichtsdestoweniger, wenn's die Klugheit gebietet, auch mal hart dreinfassen kann; doch mit den strengen Maßnahmen wird er's halten wie der kundige Seemann: erst wenn die letzte Gefahr in Sturmesnöten ihn zwingt, kappt er Mast und Taue seines Fahrzeugs.

Doch Machiavell ist noch nicht am Rande mit seiner Weisheit; ich komme zum verfänglichsten, spitzfindigsten und blendendsten seiner Sätze: ein Fürst tut besser daran, wenn er dafür sorgt, daß man ihn fürchte, als dafür, daß man ihn liebe; die Menschen neigen in ihrer Mehrheit zur Undankbarkeit, zur Veränderung, Verstellung, Feigheit und Habgier; da ist denn, bei der Bosheit und Niedrigkeit der Menschen, art, die Liebe ein gar zu schwächlich Band, das so leicht keinen verpflichtet, wieviel stärker bindet da die Furcht vor Strafe die Leute an ihre Pflicht. Ob einer einem seine Neigung schenken will, das hängt von ihm ab, nicht aber, ob er vor jemand Angst habe; gescheiter also, ein Fürst ist nicht auf den guten Willen anderer ange, wiesen, sondern sieht auf sich allein.

Was ich dagegen zu sagen habe, ist dies: daß es undankbare und daß es heuchlerische Menschen gibt, leugne ich nicht, ebensowenig, daß zu Zeiten mit der Furcht sich sehr viel erreichen läßt. Doch das möchte ich betonen, daß ein König, dessen ganze Staatstunsi nur darauf hinausläuft, daß man ihn fürchte, ein Herr über Sklaven sein wird; großer Leistungen darf er sich von seinen Untertanen nicht versehen, denn was in Furcht und Zagen geschieht, das sah noch immer danach aus. Ein Fürst hingegen, dem es gegeben ward, Liebe zu erwerben, wird wirklich Herr über die Herzen sein, denn seine Untertanen finden sich nur wohlgeborgen unter seiner Herrschaft, und wie reich ist da die Geschichte an Beispielen großartiger, herrlicher Taten, Taten der Liebe und der treuen Anhänglichkeit. Ich füge hinzu, daß es mit der Mode der Aufstände und Revolutionen in unseren Tagen völlig vorbei zu sein scheint; kein Königreich, außer England, wo der König noch den geringsten Anlaß hätte, von seinen Völkern etwas zu fürchten — auch in England nur dann, wenn er selber den Sturm heraufbeschwört.

Ich schließe also damit, daß ein grausamer Herrscher viel eher mit Verrat rechnen muß denn ein milder. Grausamkeit ist unerträglich, und bald wird der Mensch es müde, immer in Angst zu leben; Güte aber ist allezeit liebenswert, und des Liebens wird niemand müde. Zum Heile der Welt wär's darum wünschenswert, die Fürsten wären gut; allzu nachsichtig brauchten sie darum nicht zu sein, damit die Güte stets eine Tugend an ihnen sei und nie eine Schwäche.

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18. Kapitel

Inwieweit die Fürsten ihr Wort halten sollen.

Was einmal von Grund aus schlecht ist, wird ewig schlecht bleiben; kein Cicero und kein Demosthenes wird je mit Aufgebot all seiner Redekunst darüber der Welt etwas vormachen; man würde ihrer Redefettigkeit alle Gerechtigkeit widerfahren lassen, doch ihnen ihren kläglichen Mißbrauch verdenken. Des Redners Beruf ist's wohl, die Unschuld vor Bedrückung und Verleumdung in Schutz zu nehmen, Gründe zu erörtern, die einen Entschluß annehmbar machen oder einer Entscheidung das Übergewicht geben über eine andere, darzutun, wie erhaben und schön doch die Tugend, wie verworfen und häßlich das Lasier. Doch geht mir mit einer Redekunst, die dem Gegenteil von alledem dienen soll.

Machiavell, der Menschen bösartigster und ruchlosester, arbeitet in diesem Kapitel mit allen Gründen, soviel seine Tollheit ihm eingibt, um das Lasier zu Ehren zu bringen, doch strauchelt und fällt er auf diesem Schandwege so oft, daß ich mich lediglich an die Stellen zu halten brauche, wo er verunglückt. Das Durcheinander, die Fehlschlüsse in diesem Kapitel sind garnicht zu zählen; es ist wohl im ganzen Buche das Kapitel, wo die Niedertracht der Gesinnung zugleich mit darstellerischer Schwäche ihren Höhepunkt erreicht. Sein Denkvermögen ist so unzulänglich, wie sein sittliches Gefühl verkommen ist.

Dieser Sophist des Verbrechens wagt den Satz: „Ein Fürst vermag die Welt durch Verstellung mit Erfolg zu täuschen.“ Hier soll meine Widerlegung einsetzen.

Wie neugierig die Welt ist, ist bekannt; sie ist ein Wesen, das da alles sieht, alles hört und alles, was es gesehn und gehört hat, um sich herum zum besten gibt. Steckt diese Neubegier ihre Nase in das Tun und Lassen des Bürgers, so ist's zu müßigem Zeitvertreib; macht die Öffentlichkeit sich an die Begutachtung eines Fürsten, wes Geistes Kind er wohl sei, so geschieht's, well es sie ernstlich angeht. Daher denn fürstliche Personen gründlicher als andere Menschen dem Lose, von der Welt beredet und abgeschätzt zu werden, ausgesetzt sind — ein Los, das sie mit den Sternen teilen, auf die ein Heer von Astronomen seine Sextanten und Rohre eingestellt hat. Die Höflinge, die sie aus nächster Nähe beobachten, fangen täglich irgendwas auf; eine Be<71>wegung, ein flüchtig Ausschauen, ein sprechender Blick, und sie sind erkannt, und ihre Völker suchen ihnen bereits durch ihre Vermutungen nahezukommen. Kurz, sowenig die Sonne ihre Flecke, der Mond seine wandelnde Gestalt, der Saturn seine Ringe hehlen kann, ebensowenig ist ein großer Herrscher in der Lage, seine Fehler und seine innerste Wesensart vor so vielen beobachtenden Blicken zu bergen.

Mag gleich die Maske der Verstellung eine geraume Zeit eines Fürsten seelische Mißgestalt verdecken, ohn' Unterlaß kann er unmöglich diese Maske tragen, ab und an muß er sie lüften, sei's auch nur, einmal aufzuatmen — eine Gelegenheit, hinreichend, dem Späher genug zu verraten!

Umsonst, daß Kunst und Heuchelei auf den Lippen dieses Fürsten wohnen, um-sonst all seine List in Reden und Tun; beurteilt doch keiner die Menschen nach dem, was sie reden, es wäre ja das unfehlbarste Mittel der Selbsttäuschung. Ihre Handlungen insgesamt hält man nebeneinander, und daneben hält man dann wieder ihre Reden — vor solcher Prüfung vermag dann keine Falschheit und keine Verstellung zu bestehen.

Nur der spielt seine Rolle gut, der sich gibt, wie er ist. Man muß eben seinem inneren Menschen nach der sein, für den man vor der Welt gelten will. Sonst ist, wer die Leute zu betrügen vermeint, selber der Betrogene.

Sixtus V., Philipp II., Cromwell galten in der Welt als schlau und verschlagen, als heuchlerisch und unternehmend, für tugendhaft hat sie keiner angesehen. Es ist eben ein Ding der Unmöglichkeit, sich ein ander Gesicht zu geben, als man hat; so vermag denn auch kein Fürst, und war' er noch so gewandt, und wär' er in allen Stücken Machiavells gelehrigster Schüler, den Schein edler Eigenschaften, die seinem Wesen fremd sind, seinen Verruchtheiten zu leihen, die diesem Wesen nun einmal entsprechen.

Die Gründe, mit denen Machiavell, der Tugendverderber, den Fürsten Betrug und Heuchelei angelegentlich empfiehlt, haben ebensowenig Hand und Fuß. An den Haaren herbeigezogen und unstatthaft ist die Verwendung der Kentaurensage hier, sie beweist nichts; well der Kentaur halb wie ein Mensch, halb wie ein Pferd gestaltet war, soll daraus folgen, daß Fürsten listig und gewalttätig sein müssen? Man muß schon gesonnen sein, eine förmliche Heilslehre des Verbrechens aufzustellen, wenn man mit so schwächlichen und dazu weit hergeholten Gründen arbeitet.

Nun kommt eine Gedankenfolge, deren Kläglichkeit alles Bisherige noch überbietet. Unser Staatslehrer verlangt von einem Fürsten die Eigenschaften des Löwen und des Fuchses: des Löwen, damit er sich der Wölfe erwehre, des Fuchses wegen dessen Schläue, und er schließt: „Woraus erhellt, daß ein Fürst nicht verpflichtet ist, sein Wort zu halten.“ Eine Schlußfolgerung ohne Ober- und Untersatz! Ein Schüler der zweiten Klasse, der solche Schlüsse bauen wollte, würde von seinem Lehrer gehörig gezüchtigt werden, und unser Doktor des Verbrechens schämt sich nicht, sein ruchlos Lehrstücklein so herzustammeln?

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Wollte man in den Gedankenwirrwarr Machiavells etwas wie Sinn und Verstand hineinbringen, auch etwas von der Weise eines anständigen Menschen, so könnte man's etwa solchergestalt wenden: die Welt gleicht einer Spielpartie, da gibt's anständige Spieler, aber auch Gauner, die betrügen. Da muß denn, um nicht betrogen zu werden, ein Fürst, der sich dem Spiele nicht entziehen darf, sich auf sämtliche Falschspielerknisse verstehen, nicht um jemals solche Wissenschaft selber zu üben, sondern nur, um nicht der Angeführte zu sein.

Doch zurück zu den Entgleisungen unseres Staatslehrers. „Weil alle Menschen Schurken sind und euch zu jeder Zeit ihr Wort brechen, so verpflichtet euch nichts, ihnen das eure zu halten.“ Zunächst gibt's da gleich einen Widerspruch, denn we-nig später heißt's, die Heuchler würden immer Menschen finden, die einfältig genug seien, sich täuschen zu lassen. Wie reimt sich das? Alle Menschen sind Schurken, und dabei wollt ihr Einfältige finden, die sich betrügen lassen? Soweit sein Widerspruch. Doch die ganze Betrachtung ist nichts wert; denn daß die Welt nur aus Schurken be-siehe, ist grundfalsch! Man muß schon ein ausgemachter Menschenfeind sein, um sich der Einsicht zu verschließen, daß es in jeglicher Gesellschaft eine ganze Menge Redlicher gibt, daneben die große Zahl derer, die nicht gut und nicht böse sind, und daneben auch einige Lumpe, hinter denen die Gerechtigkeit her ist, und die sie streng bestraft, wenn sie sie faßt. Wenn freilich Machiavell nicht eine ganze Welt der Ruchlosigkeit angenommen hätte, worauf hätte er seine niederträchtige Lehre dann stützen sollen? Man sieht, hatte er sich einmal darauf eingelassen, ein Glaubens- und Lehrgebäude der Schurkerei zu errichten, so war's Ehrensache für ihn, so vorzugehn; und er hielt es für sein gutes Recht, die Menschen hinters Licht zu führen, lehrt er sie doch selber, wie man betrügt.

Wenn wir übrigens die Annahme Machiavells von der Schlechtigkeit der Menschen teilten, so wäre daraus noch lange nicht zu schließen: also müssen wir sie nachahmen. Stiehlt, raubt und mordet Cartouche, so schließe ich daraus: Cartouche ist ein elender Lump, aber doch beileibe nicht, daß ich mich in meinem Wandel nach ihm zu richten hätte! Gäb's auf Erden nicht Ehre und Manneswert mehr, so sagt ein Geschichtschreiber, so müßte man bei den Fürsten doch ihre Spuren noch vorfinden72-1. Doch kurz gesagt, es gibt überhaupt keine Betrachtungsweise, die einen anständigen Menschen im Ernste bestimmen könnte, vom Wege der Pflicht zu weichen.

Wie notwendig das Verbrechen, hat der Verfasser dargelegt, nun will er seine Gläubigen ermuntern durch die Versicherung, wie leicht es sei: „Wer die Kunst der Heuchelei meistert, wird stets Leute finden, die einfältig genug sind, sich anführen zu lassen“ — mit anderen Worten: dein Nachbar ist ein Dummkopf, du hast Witz, also mußt du ihn hineinlegen. Um solcher Schlußfolgerungen willen sind manche der Schüler Machiavells auf dem Richtplatz gehängt und gerädert worden.

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Doch genügt's unserem Staatsweisen nicht, die Leichtigkeit des Verbrechens schlecht und recht, nach seiner Art, nachgewiesen zu haben, gleich muß er auch Herausstreichen, wie prächtig weit man mit der Hinterlist kommt. Ärgerlich ist nur, daß es gerade diesem Cäsar Borgia, dem größten Verbrecher, dem hinterlistigsten Verräter, dem Heros Machiavells, in Wirklichkeit ganz gehörig schlecht gegangen ist; er hütet sich auch wohlweislich, in diesem Zusammenhange auf ihn zu kommen. Beispiele brauchte er, doch wo solche hernehmen als aus den Aufzeichnungen der Kriminalrechtsfälle oder der Geschichte der Päpste? So entscheidet er sich für die zweiten und versichert nun, daß Alexander VI., der falscheste und gottloseste Mensch seiner Zeit, mit seinen Schurkereien immer Glück hatte, denn er verstand sich ausgezeichnet auf die Schwäche der Menschen, ihre Leichtgläubigkeit.

Ich möchte die Behauptung wagen, daß es weniger die Leichtgläubigkeit der Menschen gewesen, als vielmehr ganz bestimmte Ereignisse und Umstände, die die päpstlichen Anschläge gelingen ließen, wozu dann der Wettbewerb des französischen und spanischen Machtanspruchs kam, der Zwist und Haß unter den italienischen Familien, die Leidenschaften und die Schwachheit Ludwigs XII. und die Summen, die Seine Heiligkeit zu erpressen gewußt, die ihm ein großes Übergewicht verliehen; all dies sprach mit.

Betrügerei ist sogar ein ausgesprochener politischer Fehler, wenn man darin zu weit geht. Ich berufe mich auf einen großen Meister der Staatskunst, den Kardinal Mazarin; der sagte dem Don Luis de Haro73-1 nach, er leide an einem großen staatsmännischen Fehler, dem, daß er immer Betrüger sei. Derselbe Mazarin wollte einmal zu einer heiklen Verhandlung den Marschall de Fabert verwenden, da erklärte ihm der: „Monseigneur, gestatten Sie, daß ich es ablehne, den Herzog von Savoyen zu betrügen, um so mehr, da es hier nur eine Sache von untergeordneter Bedeutung gilt; man kennt mich in der Welt als Ehrenmann, sparen Sie meinen ehrlichen Namen für eine Gelegenheit auf, wo es sich um das Wohl und Wehe Frankreichs handelt.“

Ich lasse an dieser Stelle die Frage von Ehre und Tugend einmal ganz beiseite, halte mich nur an das, was einem Fürsten frommt, und da sage ich: sie machen ihre Sache spottschlecht, wenn sie Schurken sein wollen und der Welt ein X für ein U machen; einmal gelingt's, damit haben sie aber das Vertrauen aller Fürsten verwirkt.

Eine gewisse Großmacht73-2 legte in einem Manifest bündig die Gründe ihres Vorgehens dar; nachher handelte sie in einer Weise, die ihrer Erklärung ins Gesicht schlug. Ich muß gestehen, derartige Ungeheuerlichkeiten ertöten jegliches Vertrauen; je unmittelbarer die Widersprüche sich folgen, um so gröber wirken sie. Die römische Kirche hat denn auch, um sich derartige Widersprüche zu ersparen, mit großer Weisheit für alle, die sie unter die Heiligen aufzunehmen gedenkt, ein Noviziat von hundert Jahren, von ihrem Tode an gerechnet, angeordnet; auf diese Weise schwindet die Er<74>innerung an ihre Fehler und dummen Streiche mit ihnen. Zeitgenossen, die etwa wider sie Zeugnis ablegen könnten, weilen nicht mehr unter den Lebenden, und das Volk hat nichts mehr einzuwenden gegen die Heiligkeit, die man ihm einreden will.

Doch man verzeihe diese Abschweifung. Im übrigen gebe ich zu, daß es bittere Notwendigkeiten gibt, da ein Fürst wohl oder übel seine Verträge und Bündnisse brechen muß. Doch muß er auch in solcher Zwangslage auf Anstand halten und seine Verbündeten rechtzeitig benachrichtigen; jedenfalls bleibt die Voraussetzung dafür immer: daß das Heil seines Volkes es gebietet und eine ernste Notlage es zur Pflicht macht.

Widersprüche, die sich auf dem Fuße folgen, wie ich sie soeben einer gewissen Macht zum Vorwurf machte, finden bei Machiavell sich in Fülle. In einem und demselben Absatz sagt er an erster Stelle: „Es ist notwendig, daß einer barmherzig, treu, mild, fromm und redlich erscheine, und man soll es auch in Wirklichkeit sein.“ Und bald darauf: „Unmöglich kann ein Fürst all das beobachten, was sonst zu einem Menschen, wie er sein muß, gehört; er muß sich also entschließen, sich danach einzurichten, wie just der Wind weht und das Schicksal gelaunt ist; dabei, soweit es möglich ist, niemals sich vom geraden Wege trennen; zwingt ihn dazu aber die Notwendigkeit, so kann er's ruhig auf den Eindruck eines solchen Seitensprungs ankommen lassen.“

Man muß zugeben, das ist ein haarsträubender Gedankenwust! Wer sich solchen gestalt äußert, der weiß selber nicht, was er sagen will, und ist nicht wert, daß man sich den Kopf zerbricht, um sein Rätsel aufzulösen oder sein Chaos zu lichten.

Noch eine einzige Bemerkung zum Schluß. Beachtenswert ist die Fruchtbarkeit, mit der die Lasier unter den Händen Machiavells sich fortpflanzen. Daß ein Fürst zu seinem Unglück nicht gläubig ist, genügt ihm nicht; er will seinen Unglauben noch mit Scheinheiligkeit krönen. Er meint, ein Fürst könne damit, daß er dem Kardinal Polignac den Vorzug vor Lucrez gibt74-1, dem Volke eher ans Herz greifen als mit aller schlechten Behandlung, die es von ihm erdulden muß. Mancher teilt seine Auffassung; was mich anlangt, so meine ich, bei Verirrungen des Denkens sei Nachsicht am Platze, wofern sie keinen Verderb des Herzens nach sich ziehen, und daß ein Volteinen Fürsien, der nichts glaubt, aber ein Ehrenmann ist und sein Bestes will, eher lieben wird als einen rechtgläubigen Bösewicht. Nicht was die Fürsien denken, macht die Menschen glücklich, sondern was sie leisten.

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19. Kapitel

Verachtung und Haß sind vom Übel.

Der Hang zur Systematik bedrohte von jeher das menschliche Denken mit gefährlichen Klippen. Da war einer festgefahren und hatte doch eben noch der Wahrheit beizukommen vermeint, war ganz verliebt gewesen in seinen sinnreichen Einfall, der den Eckstein für das ganze Gebäude abgeben sollte; vorgefaßte Meinungen, und nichts weiter! Und die sind, wie sie auch sein mögen, der Tod für alle Wahrheitsforschung; schließlich hat der kunstreiche Meister des Systems uns einen Roman zum besten gegeben, nicht aber eine Beweisführung.

So ist's mit dem Planetenhimmel der Alten, mit den Wirbeln Descartes' und mit Leibnizens prästabilierter Harmonie — alles Verirrungen des Willens zum System. Diese Denker vermaßen sich, eine Landkarte aufzunehmen, doch das Land kannten sie nicht, gaben sich auch keine Mühe, es kennen zu lernen; sie wußten die Namen einiger Städte, einiger Flüsse und haben ihnen eine Lage angewiesen, wie's ungefähr zu ihrer Vorstellung paßte. Leider trug sich's in der Folge zu, was recht beschämend ward für unsere armen Geographen, daß Neugierige jene so trefflich beschriebenen Länder bereisten; die hatten zwei Führerinnen mit, die eine hieß die Analogie, Erfahrung die andere, und nun fanden sie zu ihrem großen Erstaunen: die Städte, die Ströme lagen ganz wo anders, die Lagen und Entfernungen der Orte stimmten garnicht mit der Anordnung der anderen.

Die Systemwut ist nicht allein das närrische Vorrecht der Philosophen gewesen, auch die Staatslehrer wurden davon ergriffen. Machiavell ist davon mehr denn irgend, einer angesteckt! Er will beweisen: ein Fürst muß böse und betrügerisch sein. Das sind die Einsetzungsworte seiner kläglichen Lehre. Er besitzt die ganze Bösartigkeit der Ungeheuer, die Herkules niederschlug, nur nicht ihre Stärke; so bedarf's auch nicht der Keule des Herkules, um ihn niederzukämpfen. Denn was ist einfacher, natürlicher und angemessener für einen Fürsten als Gerechtigkeit und Güte? Ich sollte meinen, das zu beweisen, braucht man sich nicht eben mit Gründen in Unkosten zu stürzen; jeder ist ohnehin überzeugt davon. Der Staatslehrer, der das Gegenteil behaupten will, hat also von vornherein verspielt. Denn stellt er seine Forderung, grau<76>sam, betrügerisch, verräterisch zu sein, an einen Fürsten, dessen Thron fest sieht, so macht er aus ihm einen Schurken, ohne daß die Sache einen rechten Zweck hat; gedenkt er einen, der erst emporkommt, mit all diesen Lastern auszustatten, zur Befestigung seines Thronraubes, so wird er mit solchen Ratschlägen Herrscher und Freistaaten insgesamt gleichermaßen gegen sich in Harnisch bringen. Denn durch welche Mittel vermag wohl ein Bürger sich zur Herrschaft aufzuschwingen, es sei denn, er stürze einen souveränen Fürsten oder er reiße in einer Republik die Gewalt an sich. Damit also wird er sicherlich bei den Fürsten kein Glück haben! Hätte Machiavell eine Sammlung von Gaunereien als Leitfaden für Straßenräuber verfaßt, weniger Ehre hätte er auch damit sich nicht holen können.

Doch ich wollte ja auf einige verkehrte Betrachtungen und Widersprüche in diesem Kapitel eingehen. Ein Fürst macht sich, nach Machiavell, außer durch rechtswidrige Beraubung seiner Untertanen, durch Angriffe wider die Tugend ihrer Frauen verhaßt. Sicherlich, ein habgieriger Fürst, der kein Recht scheut, der mit grausamer Gewalttätigkeit vorgeht, wird sich seinen Vollem aufs tiefste verhaßt machen, das kann garnicht anders sein; anders sieht das mit den fürstlichen Liebschaften. Julius Cäsar, den man zu Rom den Gatten von allen Frauen und die Frau von allen Gatten nannte, Ludwig XIV., der ein großer Frauenliebhaber war, August II. von Polen, der mit seinen Untertanen ihre Weiber teilte, diese Fürsten waren um ihrer Liebschaften willen durchaus nicht verhaßt; wenn Cäsar ermordet ward, wenn die römische Freiheit ihren Dolch in sein Herz grub, so geschah's, weil er die Alleinherrschaft sich angemaßt, nicht weil er ein Frauenjäger war.

Hält man mir die Vertreibung der römischen Könige entgegen im Anschluß an die Vergewaltigung der Lucretia, so erwidere ich: Nicht die Liebe des jungen Tarquinius zur Lucretia gab das Zeichen zur Erhebung Roms, sondern die Gewalt, die er gebraucht hatte, die im Volke die Erinnerung an frühere von den Tarquiniern verübte Gewaltsireiche wachrief, sodaß es ihnen nunmehr mit dem Gedanken der Rache ernst ward.

Damit will ich nicht etwa dem buhlerischen Treiben der Fürsten das Wort reden, es mag immerhin sittlich verwerflich sein; hier kommt mir's nur darauf an, zu zeigen, daß dadurch noch lein Herrscher Haß auf sich geladen hat. Verliebtheit läßt man bei guten Fürsten als eine Schwäche gelten, wie etwa Leute von Geist unter den Werken Newtons den Kommentar zur Apokalypse betrachten.

Doch das, scheint mir, gibt zu denken, daß unser Doktor, der den Leuten Enthaltsamkeit in der Liebe predigt, Florentiner gewesen. Sollte Machiavell zu all seinen sonstigen edlen Eigenschaften auch noch die besessen haben, daß er Jesuit gewesen?

Nun zu seinen Ratschlägen, wie's die Fürsten anstellen sollen, um sich nicht verächtlich zu machen. Sie sollen nicht launisch und nicht schwankend, nicht feige, weibisch und unentschlossen sein. Sehr richtig; doch er rät weiter, sie sollten ständig auf den Schein der Größe, des Ernstes, des Muts und der Festigkeit halten. Mut —schön;<77> aber warum denn nur der Schein dieser schönen Eigenschaften? Warum soll ein Fürst diese Vorzüge nicht im Ernst besitzen? Wenn das nämlich nicht der Fall ist, wird's mit dem Schein auch sehr übel bestellt sein, man wird den Darsteller bald von seiner Heldenrolle zu unterscheiden wissen.

Machiavell will, ein Fürst solle sich auf keine Weise leiten lassen, niemand dürfe nur auf die Vermutung kommen, als könnte irgendwer hinreichenden Einfluß auf sein Denken besitzen, ihn zu einem Wechsel einer Auffassung zu vermögen. Er hat recht, und doch behaupte ich, es gibt niemanden auf Erden, der sich nicht irgendwie, der eine mehr, der andere weniger, leiten ließe. Von der Stadt Amsterdam erzählt man, sie sei einmal von einer Katze regiert worden. Von einer Katze, fragt ihr? Wie kann eine Katze eine Stadt leiten? Hier, bitte, die Stufenfolge des Einflusses: der erste Bürgermeister der Stadt besaß im Rate die ausschlaggebende Stimme und genoß dort hohes Ansehen. Der hatte eine Frau, deren Ratschlägen er blindlings folgte; eine Dienerin übte unbedingten Einfiuß auf die Gedanken dieser Frau aus und auf die der Dienerin eine Katze. So kam's, daß die Katze die Stadt regierte.

Es gibt indessen Fälle, da es für einen Fürsten nur eine Ehre sein kann, wenn er sein Verhalten ändert; und zur Pflicht wird es allemal da, wo er seiner Fehler inne wird. Ja, wären die Fürsten unfehlbar, wie der Papst sich's einbildet zu sein, dann freilich täten sie gut daran, mit stoischer Beharrlichkeit auf ihrer Meinung zu be-stehen; doch da sie alle Schwachheit der Menschlichkeit teilen, so sollen sie ohn' Unterlaß bedacht sein, sich zu bessern und in ihrem Tun und Lassen zu vervollkommnen. Wir wollen's uns doch gesagt sein lassen, daß übertriebene Festigkeit und Halsstarrigkeit Karl XII. in Bender beinahe den Hals gekostet haben77-1, daß diese unerschütterliche Hartnäckigkeit ihm verderblicher wurde als der Verlust einiger Schlachten.

Ein anderer Irrtum Machiavells: er meint, es werde einem Fürsten niemals an wertvollen Verbündeten fehlen, solange auf seine Heere Verlaß ist. Das ist nur richtig, wenn man hinzufügt: auf seine Heere und auf sein Wort. Denn das Heer liegt in der Hand des Fürsten, und bei dessen Zuverlässigkeit oder Unzuverlässigkeit sieht es, ob er das Bündnis erfüllt und seine Streitmacht in Bewegung setzt.

Hier aber ein Widerspruch in aller Form. Einmal sagt unser Politikus: „Ein Fürst sei bemüht um die Liebe seiner Untertanen, so wird er Verschwörungen vermeiden.“ Und im 17. Kapitel erklärt er: „Der Fürst sehe zu. daß er gefürchtet werde, denn rechnen darf er nur mit dem, was in seiner Gewalt liegt; nicht so verläßlich bestellt ist's mit der Liebe seines Volkes.“ Welches ist denn nun von beiden die wahre Meinung des Verfassers? Er redet die Sprache eines Orakels, man kann sie auslegen wie man will; doch diese Orakelsprache ist, nebenbei gesagt, die Sprache der Spitzbuben.

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Allgemein muß ich bei dieser Gelegenheit bemerken, daß Verschwörungen und Mordanschläge in der Welt gar nicht mehr vorkommen: vor dergleichen sind die Fürsten heutzutage sicher, diese Verbrechen haben sich überlebt, sind nicht mehr Mode, und was Machiavell an Gründen dafür anführt78-1, trifft durchaus zu. Allenfalls vermöchte noch irgendein fanatischer Mönch in frommem Eifer eine derartige Untat zu begehen78-2. Unter den richtigen Bemerkungen Machiavells beim Kapitel Verschwörungen ist eine ganz vortrefflich, nur klingt sie in seinem Munde übel; er sagt: „Einen Verschwörer beunruhigt dauernd die Furcht vor den Strafen, die ihm drohen, hinter dem König aber sieht schirmend die Majestät des Reiches und die Hoheit der Gesetze.“ Mich dünkt, es steht unserem Verfasser übel zu Gesicht, von der Hoheit des Gesetzes zu sprechen, ihm, dem Verführer zu Selbstsucht, Grausamkeit, Thronraub und herrischer Willkür. Er hält's wie die Protestanten, die mit den Gründen der Ungläubigen die katholische Verwandlungslehre bekämpfen, um sich dann der gleichen Gründe, mit denen der Katholik das Wunder der Wandlung stützt, im Streite wider den Unglauben zu bedienen. Das nennt man geistige Geschmeidigkeit!

Machiavells Rat also ist, der Fürst solle sich um Liebe bemühen, solle aus diesem Grunde vorsichtig zu Werke gehn und gleichermaßen sich des Wohlwollens der Großen wie des Volkes versichern. Was ihm etwa den Haß der einen oder des anderen zuziehen könnte, das soll er, rät er verständig weiter, auf andere abwälzen und zu diesem Behufe Behörden einsetzen, die da als Richter zwischen dem Volke und den Großen stünden. Als Muster führt er die Regierung von Frankreich an. Man denke: der begeisterte Anwalt der Zwingherrschaft und des Staatsstreiches erwärmt sich für die ehemalige Macht des Parlamentes in Frankreich. Ich meinesteils kenne heutzutage nur ein Land, das mit vorbildlicher Weisheit verwaltet wird, es ist England: dort sieht das Parlament über Volt und König, und der König hat jede Vollmacht zum Guten, doch keine, einen Schaden zu stiften.

Alsdann begegnet Machiavell den vorauszusehenden Einwendungen auf sein Seelengemälde vom Fürsten und verliert sich in eine breite Erörterung der Lebensschicksale der römischen Kaiser von Mark Aurel bis zu den beiden Gordiani78-3. Wir wollen seine Darstellung nachprüfen. Für den häufigen Thronwechsel macht er den Schacher verantwortlich, der mit der höchsten Reichswürde getrieben wurde; und eine ausgemachte Sache ist es, daß seit der Zeit, da diese von den Prätorianern käuflich ausgeboten wurde, kein Herrscher seines Lebens mehr sicher war. Das Kriegervolk verfügte über die Kaiserwürde, und jeder, dem sie zugefallen, mußte es mit dem Leben<79> zahlen, gab er sich nicht zum Schirmherrn für dessen Bedrückungen und zum Werkzeug seiner Gewalttaten her. So wurden denn die guten Kaiser von den Soldaten, die schlechten auf dem Wege der Verschwörung und auf Senatsgebot ums Leben gebracht. Dazu kommt die Leichtigkeit, mit der einer damals von heut auf morgen auf den Thron gelangte: auch das beschleunigte wesentlich die Häufigkeit des Wechsels; Kaisermord war eben in Rom an der Tagesordnung, wie's heut noch in einigen Gegenden von Amerika Brauch ist, daß die Söhne ihre Väter umbringen, wenn sie ihnen zu alt werden. Das ist die Macht des Hergebrachten über den Menschen, vor ihm müssen gegebenenfalls selbst die natürlichsten Regungen verstummen.

Folgende Bemerkung über das Leben des Pertinax will sich nur schlecht mit des Verfassers Lehren im Anfang dieses Kapitels reimen: „Will ein Herrscher unbedingt seine Krone behaupten, so kann er unmöglich in jedem Fall die Grenzen der Gerechtigkeit und Güte innehalten.“ Ich glaube gezeigt zu haben, wie in jenen unseligen Zeiten das Verbrechen ebensowenig wie die Herzensgüte einen Kaiser vor Meuchelmord sichern konnte. Commodus, in allen Stücken der unwürdige Nachfolger des Mark Aurel, zog sich die Verachtung des Volkes wie der Soldaten zu und ward ermordet. Von Severus nachher, am Schluß des Kapitels. Nun zu Caracalla: er konnte sich nur durch seine Grausamkeit erhalten und vergeudete die von seinem Vater aufgehäuften Geldmittel an seine Soldaten, um seine Mordschuld an seinem Bruder Geta in Vergessenheit zu bringen. Stillschweigend übergehe ich Macrinus und Helioga-balus, sie wurden beide getötet und sind keiner Beachtung bei der Nachwelt wert. Gute Eigenschaften besaß ihr Nachfolger Alexander; Machiavell vermeint, er habe sein Leben verloren, weil er ein Weichling gewesen: tatsächlich geschah's nur, weil er den Versuch gewagt, wieder gutzumachen, was die Lässigkeit seiner Vorgänger gründlich an der Heereszucht gesündigt hatte. Kaum hörten die Truppen, die außer Rand und Band waren, daß man ihnen mit Ordnung kommen wolle, als sie sich des Fürsten entledigten. Auf Alexander folgte Maximinus, ein bedeutender Kriegsmann, doch auch er vermochte sich nicht auf dem Throne zu halten. Machiavell führt es auf seine niedrige Herkunft sowie auf seinen überaus grausamen Sinn zurück; das letzte stimmt, doch überschätzt er den Nachteil der niedrigen Geburt; ist man doch gern geneigt, an überragende persönliche Vorzüge zu glauben, wo einer ohne fremde Hilfe, statt der Ahnen nur seinen Eigenwert in die Wagschale werfend, die Höhe gewinnt, ja, ihn darum nur noch höher zu achten, weil er all seinen Glanz nur der eigenen Tüchtigkeit dankt; und oft geschieht's, daß man Menschen von hoher Geburt verachtet, weil ihnen alles Große abgeht, alles, was der Vorstellung von ihrer Vornehmheit entspräche.

Nun zu Severus, der nach Machiavells Ansicht „ein kühner Löwe und zugleich ein schlauer Fuchs“ war. Severus besaß große Eigenschaften; seine Falschheit und Treulosigkeit konnten höchstens bei Machiavell Beifall finden; er wäre im übrigen eine große Herrschernatur gewesen, hätte es ihm nicht an Güte gefehlt. Nebenbei wollen<80> wir uns erinnern, daß Severus beherrscht wurde von seinem Günstling Plautinus, gerade wie Tiberius von Sejan, und daß man deswegen keinen der beiden Fürsten etwa verachtet hat. Einer der beliebten schiefen Gedankengänge des Verfassers ist es, wenn er behauptet, die Welt habe über dem großen Namen dieses Kaisers seine gewaltigen Erpressungen vergessen, sein Name habe ihn gedeckt vor dem Volkshasse. Ich finde, daß umgekehrt die Erpressungen und Ungerechtigkeiten, die die Welt mit ansieht, die bereits erworbene Größe eines Namens vergessen machen. Mag der Leser darüber entscheiden. Wenn Seoerus sich auf dem Throne behauptete, so verdankte er dies auf gewisse Weise dem Kaiser Hadrian, der die militärische Zucht wiederhergestellt hatte; vermochten seine Nachfolger sich nicht zu behaupten, so war Severus mit seiner Vernachlässigung der Disziplin daran schuld. Noch einen großen staatsmännischen Fehler beging Severus: seine Ächtungen trieben die Soldaten aus dem Heere des Pescennius Niger80-1 in Haufen zu den Parthern, denen sie eine kunstgerechte Kriegführung beibrachten, was in der Folge dem Reiche ein fühlbarer Schade werden sollte. Ein besonnener Fürst soll nicht nur seine eigene Regierungszeit vor Augen haben, er soll voraus bedenken, welche Folgen kommende Regierungen von seinen gegenwärtigen Fehlern etwa auszubaden haben.

Wir wollen also nicht vergessen, daß es ein großer Irrtum von Machiavell ist, zu meinen, es habe zu den Zeiten des Severus genügt, die Soldaten mit Vorsicht zu behandeln, um sich obenzuhalten. Die Kaisergeschichte belehrt uns eines anderen. Heutzutage muß ein Fürst gegen alle Stände gleichmäßig auftreten; wollte er Unterschiede machen, so gäb's nur Eifersucht, und er hätte den Schaden davon.

Also dies Machiavellische Vorbild für Thronwerber, Severus, ist genau so ungeeignet, wie das des Mark Aurel segensvoll wäre. Welch ein tolles Nebeneinander aber von Vorbildern: Severus, Cäsar Borgia, Mark Aurel! Das heißt doch Weisheit und lautersten Menschenwert gesellen mit abstoßendster Ruchlosigkeit!

Eine Schlußbemerkung mag ich mir nicht versagen. Trotz aller Grausamkeit und Tücke nahm Cäsar Borgia ein höchst klägliches Ende, indes Mark Aurel, der gekrönte Philosoph, der immer nur gütig, immer sittenrein gewesen, bis an seinen Tod leine Ungunst des Geschickes erfuhr.

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20. Kapitel

Ob Festungen und viele andere von den Fürsten getroffene Sicherheitsmaßnahmen nützlich oder schädlich sind.

Das Heidentum stellte den Ianus mit einem Doppelantlitz dar, um sein Wissen um Vergangenheit und Zukunft anzudeuten. In übertragenem Sinne ließe sich dies Götterbildnis auch auf den Fürsienberuf deuten: wie Ianus soll der Fürst zurückschauen auf die Geschichte aller vergangenen Jahrhunderte, heilsame Lehre für sein Verhalten und Denken da zu finden; wie Ianus soll er vorwärts schauen mit durchdringendem Scharfblick, mit jener überlegenen Geistes- und Urteilskraft, die alle innerlichen Zusammenhänge wahrnimmt und in der gegenwärtigen Weltlage künftige Gestaltungen zu lesen weiß.

Unerläßlich für den Fürsten ist's, sich in die Vergangenheit zu versenken: da findet er seine Vorbilder an erlauchten, an lauteren Männern, da ist für ihn die Schule der Weisheit. Zweckdienlich ist's, wenn er sich in die Zukunft vertieft: dort lernt er mit allem Mißgeschick, das er zu fürchten hat, rechnen, mit allen Schicksalsschlägen, vor denen er sich decken muß; dort ist seine Schule der Klugheit. Beide hohe Fähigkeiten sind ein Erfordernis seines Berufes, wie Magnetnadel und Kompaß, die Wegweiser über das Meer, für den Seefahrer unentbehrlich sind.

Ein weiterer Wert geschichtlicher Kenntnisse liegt darin, daß solche uns die Möglichkeiten mehren, uns über uns selber klar zu werden; sie bereichern unser Denken, bieten uns wie im Bilde lebendige Anschauung von des Schicksals Wechselfällen sowie manch wertvolles Beispiel dafür, wie der Mensch sich helfen kann.

So ist auch eindringliches Bedenken der Zukunft von Wert: wir gelangen so zu einiger Fertigkeit im Entziffern der Geheimnisse des Schicksals. Wie wir unser Auge auf jede mögliche Wendung einstellen, rüsten wir uns zugleich auf alles, was bei Eintritt des Ereignisses am klügsten geschieht.

Fünf Fragen legt in diesem Kapitel Machiavell den Fürsten vor, denen sowohl, die in neuem Herrschaftsbesitz sich einrichten wollen, wie denen, deren Fürsorge nur der Befestigung ihres alten Besitzes gilt. Sehen wir zu, was die Klugheit dazu zu<82> sagen hat, wenn sie Vergangenheit und Zukunft zugleich im Auge behält und sich immer dabei innerhalb der Grenzen hält, die ihr Vernunft und Gerechtigkeit ziehen.

Erste Frage: Soll ein Fürst die Völker, die er seiner Herrschaft unterwarf, entwaffnen oder nicht?

Ich antworte darauf, daß seit Machiavell sich in der Kriegführung vieles verändert hat. Heut sind es der Fürsten eigene Armeen, mehr oder minder stark, die ihnen ihr Land verteidigen; einen Trupp bewaffneten Landvolks würde man nicht ernst neh-men, und eine Bürgerwehr gibt's allenfalls noch bei Belagerungen, wo jedoch gemeiniglich die Belagerer nicht dulden, daß die Bürger Soldatendienst tun, und ihnen mit der Androhung rücksichtsloser Beschießung das Handwerk zu legen suchen. Auch sonst ist's wohl ein Gebot der Klugheit, die Bürger einer eroberten Stadt, wenigstens für die erste Zeit, zu entwaffnen, zumal wenn man ihrer Haltung nicht ganz sicher ist. Als die Römer Britannien erobert hatten und das Land, wegen des aufrührerischen und kriegerischen Sinnes jener Stämme, nicht zu Ruhe und Frieden zu bringen vermochten, da gedachten sie ihren männlichen Sinn in Weichlichkeit zu ersticken, ihre kriegerische Wildheit zu dämpfen; es gelang auch so, wie man's zu Rom sich wünschte. Die Korsen sind eine Handvoll Menschen, tapfer und beherzt wie die Engländer, nie würde man sie mit gewaltsamen, höchstens mit gütigen Mitteln bändigen. Um auf dieser Insel die Herrschaft zu behaupten, halte ich's für unerläßlich, daß man den Einwohnern die Waffen nehme und ihre Wehrkraft breche. Da wir gerade von den Korsen reden, sei nebenbei ausgesprochen, welchen Mut, welche Mannhaftigkeit doch Freiheitsliebe den Menschen gibt; daß es darum ein Wagnis ist, sie zu unterdrücken, wie es eine Versündigung ist.

Die zweite Frage unseres Staatslehrers: Wem soll ein Fürst, wenn er eben eines neuen Gebietes Herr geworden, unter seinen neuen Untertanen mehr Vertrauen schenken, denen, die ihm zu seiner Besitzergreifung eine hilfreiche Hand geboten, oder denen, die zu ihrem angestammten Herrn in Treue gestanden und jenem den heftigsten Widerstand entgegengesetzt haben?

Wer durch verräterisches Einverständnis mit etlichen Bürgern eine Stadt in seine Gewalt gebracht hat, würde äußerst unklug handeln, wollte er dem Verräter trauen. Den ehrlosen Streich, den ein solcher zu euren Gunsten verübt, wird er jederzeit für einen andern zu wiederholen bereit sein, es kommt nur auf die Gelegenheit an. Auf der anderen Seite legten die, so sich in Treue für ihren rechtmäßigen Herrn bewährt hatten, damit eine Probe der Zuverlässigkeit ab, mit der sich rechnen läßt, die zu der Annahme berechtigt, sie dürften auch für ihren neuen Gebieter leisten, was sie für den alten geleistet haben, den sie, nur der Not gehorchend, verließen. Doch auch hier wird besonnene Klugheit nicht gleich allzu leichtherzig vertrauen, jedenfalls nicht, ohne Vorsichtsmaßregeln getroffen zu haben.

Doch setzen wir einmal den Fall, geknechtete Völker, die sich gezwungen sähen, das Joch ihres Zwingherrn abzuschütteln, beriefen einen auswärtigen Fürsten zu ihrem<83> Herrn, ohne daß irgendwelche geheimen Umtriebe von dessen Seite vorangegangen wären: hier, meine ich, muß der Fürst das Vertrauen, das man ihm entgegen, bringt, in vollem Maße erwidern. Ließe er's hier, bei diesem Anlaß denen gegenüber, die ihr kostbarstes Eigen in seine Hände legten, daran fehlen, so wäre das ein so würdeloses Stück von Undankbarkeit, daß es seinen Namen schänden müßte. Wilhelm von Oranien83-1 bewahrte bis an sein Lebensende denen, die seinen Händen die Zügel der englischen Herrschaft anvertraut hatten, seine Freundschaft und sein Vertrauen: seine Gegner aber verließen ihre Heimat und schlossen sich dem König Jakob an.

In Wahlkönigtümern, wo die Wahlen zumeist durch Umtriebe zustande kommen und wo der Thron, was man auch dawider sage, käuflich ist, wird der neue Herr nach meiner Ansicht mit Leichtigkeit Mittel und Wege finden, nach seiner Thronbesteigung seine Gegner in gleicher Weise zu erkaufen, wie er die Stimmen seiner Wähler gewonnen hat. Dafür ist das Beispiel Polen. Dort nimmt der Thronschacher so plumpe Formen an, daß der Kauf anscheinend auf offenem Markte vor sich geht, und die offene Hand eines Polenkönigs weiß jede Gegnerschaft aus dem Wege zu räumen; er ist auch in der Lage, die großen Familien sich zu gewinnen: durch Woy-wodschaften, Starosteien und Übertragung sonstiger Ämter. Freilich die Polen haben für Wohltaten ein sehr kurzes Gedächtnis, und so muß man immer wieder nachschütten, sodaß die polnische Republik das reine Danaidenfaß ist: vergeblich wird der freigebigste König seine Wohltaten ausgießen, genug werden sie nie bekommen. Da jedoch ein König von Polen recht viele Gnaden austeilen muß, so spart er mit seinen Mitteln, wenn er nur bei solchen Gelegenheiten seineHand auftut, wo er eine Familie, die er mit Reichtum segnet, wirklich braucht.

Die dritte Frage Machiavells erörtert die Fürsorge um die Sicherheit eines Fürsten in einem Erbreiche: Frommt's ihm mehr, unter seinen Untertanen Eintracht zu fördern oder Uneinigkeit? Diese Frage war vielleicht zur Zeit der Voreltern Machiavells in Florenz angebracht, heutzutage wird sie wohl kein Mensch von staatsmännischer Einsicht in ihrer urwüchsigen Ungeschminktheit zulassen wollen. Ich brauchte ja nur die bekannte hübsche Gleichnisrede des Menenius Agrippa zu wiederholen, mit der er die Eintracht unter dem Römervolke wiederherstellte. Freilich die Freistaaten sind gewissermaßen auf die Erhaltung einer eifersüchtigen Spannung unter ihren Gliedern angewiesen; denn bei völligem Einvernehmen wandelt sich die Form der Regierung in eine Monarchie. Das geht natürlich die einzelnen Bürger nicht an, für sie ist Uneinigkeit nur vom Übel, sondern lediglich solche Persönlichkeiten, die durch leichtgeschlossenes Einvernehmen in die Lage kommen können, sich der höchsten Gewalt zu bemächtigen.

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Manche Fürsten halten die Uneinigkeit ihrer Minister für notwendig für ihre Zwecke. Sie vermeinen, sie brauchten sich des Betruges weniger zu versehen von Leuten, die gegenseitiger Haß nötigt, auf ihrer Hut zu sein. Mag immerhin der Haß auf der einen Seite so wünschenswerte Folgen haben, auf der anderen schafft er Wirkungen, die für den Nutzen dieser Fürsten recht bedenklich sind; denn siatt im Dienste des Fürsten zu wetteifern, durchkreuzen manchmal die Minister aus reiner Gehässigkeit die angemessensten, staatsförderlichsten Absichten und Pläne und verquicken mit ihren persönlichen Streitigkeiten die Sache von Fürst und Volk.

Nein, nichts fördert so sehr die Stärke einer Monarchie wie die innige, untrennbare Einheit aller ihrer Teile, und diese zu schaffen soll das Ziel eines weisen Fürsten sein.

Meine Antwort auf die dritte Frage Machiavells kann gewissermaßen zugleich als die Lösung seiner vierten gelten; doch wir wollen in aller Kürze überlegen und entscheiden, ob ein Fürst Parteibildungen, die sich gegen seine eigene Person richten, begünstigen darf oder ob er sich die Freundschaft seiner Untertanen erwerben soll.

Es hieße Ungeheuer in die Welt setzen, eigens um sie zu bekämpfen, wollte man sich Feinde machen, nur um sie zu bestehen. Natürlicher, vernünftiger, menschlicher ist es, sich Freunde zu erwerben. Glücklich die Fürsten, die das Hochgefühl der Freundschaft kennen! Glücklicher noch, die ihrer Völker Liebe und Zuneigung verdienen!

Wir kommen zur letzten Frage Machiavells, nämlich der: Empfiehlt sich für einen Fürsten die Unterhaltung von Festungen und Burgen, oder soll er sie schleifen?

Soweit hierbei kleinere Fürsten in Frage kommen, habe ich meine Meinung wohl schon im zehnten Kapitel gesagt84-1; wie soll's damit ein König halten?

Zu den Zeiten Machiavells war die ganze Welt im Zustande der Gärung, und ein Geist der Empörung und des Aufruhrs herrschte an allen Enden; ringsum nur rebellische Städte, tief aufgewühlte Völker, ringsum nur Anlaß zu Streit und Fehde, für Herrscher wie für Staaten. Dieses ewige Drunter und Drüber überall zwang die Fürsten, in den Städten ihre Burgen anzulegen, um auf diese Weise dem bürgerlichen Unruhgeist eine Faust vorzuhalten und die Leute an ein Bleibendes zu gewöhnen.

Seit jenem rauhen Zeitalter hott man nicht mehr soviel von Aufstand und Empörung, sei's nun, daß die Menschen der wechselseitigen Vernichtung und des Blutvergießens satt wurden, sei's, daß die Vernunft die Oberhand gewann; man möchte behaupten, jener unstete Geist habe sich müde gearbeitet und sei nunmehr zur Ruhe gekommen. Jedenfalls, um heute der Treue von Stadt und Land versichert zu sein, bedarf's keiner Bergfeste mehr.

Anders allerdings sieht's mit den Burgen und Befestigungen, die vor dem äußeren Feinde Schutz bieten und dem Staate eine höhere Sicherheit und Ruhe gewähren sollen. Da stellt sich der Nutzen der Festungen für einen Fürsten gleichwertig neben den des Heeres. Wirft er seine Streitmacht dem Feinde entgegen, so vermag er im<85> Falle einer verlorenen Schlacht diese selbe Streitmacht unter den Schutz der Kanonen seiner Festungen zu retten; während der Feind sich an die Belagerung einer Festung macht, gewinnt er Zeit, wieder zu sich zu kommen und neue Kräfte an sich zu ziehen, die womöglich, wenn er sie nur rechtzeitig zusammenbrachte, den Gegner zur AufHebung der Belagerung zwingen können.

Die letzten Kriege in Brabant, zwischen dem Kaiser und den Franzosen, rückten. fast garnicht vom Flecke; das machte die große Fülle der festen Plätze. Schlachten, in denen hunderttausend andere hunderttausend Mann schlugen, hatten gerade die Einnahme von ein oder zwei Städten zur Folge; im nächsten Feldzuge erschien dann der Gegner, der inzwischen Zeit gehabt, seine Verluste zu ersetzen, mit neuen Streitkräften auf dem Plan, und wieder Hub das Ringen an, ein Ringen um das, was im Vorjahre schon entschieden worden! In Landern mit vielen festen Plätzen werden Heere, die zwei Quadratmeilen bedecken, dreißig Jahre lang Krieg führen können, ohne, im glücklichen Falle, um den Preis von zwanzig Schlachten mehr denn zehn Meilen Landes zu gewinnen.

In offenen Ländern entscheidet dagegen der Ausgang eines Kampfes oder zweier Feldzüge das Glück des Siegers und unterwirft ihm ganze Königreiche. Alexander, Cäsar, Karl XII. dankten ihren Ruhm dem Umstande, daß sie in den Ländern, die sie eroberten, nur wenig befestigte Plätze vorfanden; der Besieger Indiens hatte in all seinen ruhmvollen Feldzügen nur zwei Belagerungen zu unternehmen, der Herr über das Schicksal Polens auch niemals mehr. Prinz Eugen, Villars, Marlborough, der Marschall von Luxemburg waren Feldherren von ganz anderem Schlage als Karl und Alexander; nur litt der Glanz ihrer Erfolge, die, genau genommen, die Leistung gen Alexanders und Karls überstrahlten, etwas darunter, daß sie Festungen zu bezwingen hatten.

Die Franzosen wissen den Wert von Festungen wohl zu würdigen: von Brabant bis zum Dauphine zieht es sich wie eine Doppelkette von befestigten Plätzen. Die französische Grenze gegen Deutschland gleicht dem offenen Rachen eines Löwen, der zwei Reihen drohender und gewaltiger Zähne weist und Miene macht, als wolle er alles verschlingen.

Damit wäre wohl der hohe Wert befestigter Städte zur Genüge dargetan.

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21. Kapitel

Wie ein Fürst sich Ruhm erwirbt.

Lärm und Aussehen in der Welt verursachen und sich Ruhm gewinnen — das ist zweierlei. Die große Masse, ein sehr unberufener Richter darüber, wem Ehre gebühre, läßt sich gar leicht betören durch den äußeren Schein alles Großen und Wunderbaren und verwechselt gar zu gern gute Taten und außerordentliche, Reichtum und persönliches Verdienst, blendenden Glanz und innere Gediegenheit. Ganz anders der Maßstab, den aufgeklärte und geistig bedeutende Menschen anlegen, vor denen hält's schwerer zu bestehn; sie zergliedern das Leben der Großen wie ein Anatom eine Leiche und werfen die Frage auf: War, was sie wollten, recht und edel? Waren sie gerechten Sinnes? Was hatte von ihnen die Welt: mehr Segen oder mehr Schaden? Stand ihr Mut unter der Vormundschaft ihrer Weisheit oder war er nur ein Aufwallen ihres erregbaren Blutes? Den Wert des Erreichten bemessen sie nach dem Werte der Beweggründe, nicht aber jene bewegenden Ursachen im Gemüt nach dem Erfolge. Mag das Lasier in den schönsten Schein sich hüllen, sie lassen sich nicht blenden und geben den Preis des Ruhms nur dem Verdienste und dem Manneswert.

Was Machiavell groß und ruhmwürdig nennt, ist genau jener falsche Schimmer, der das Urteil der Masse besticht! Ganz im Geiste des Volkes schreibt er, und zwar des niedrigen, des gemeinen Volkes. Doch für ihn wird es ebenso unmöglich sein, mit dieser gewöhnlichen Denkweise den vornehmen Geschmack eines Mannes von höheren Ehrbegriffen zu treffen, wie es dem Moliere unmöglich war; wer den Misanthrop recht hochstellt, wird den Scapin um so tiefer stellen.

Das vorliegende Kapitel Machiavells enthält Brauchbares und Fehlerhaftes nebeneinander. Ich will zunächst die Verstöße aufweisen, um dann zu unterschreiben, was er an Richtigem und Löblichem vorbringt. Zum Schluß will ich mir erlauben, zu einigen Fragen, die sich ungezwungen hier anschließen, Stellung zu nehmen.

Für alle, die durch große Unternehmungen und seltene, außerordentliche Leistungen sich auszuzeichnen gedenken, stellt der Verfasser als Vorbilder auf: Ferdinand von Aragonien86-1 und Bernhard von Mailand86-2. Er findet das Wunder ohnegleichen in<87> der Kühnheit eines Unternehmens und in der Schnelligkeit seiner Ausführung. Das ist etwas Großes, zugegeben; doch anerkennenswert vermag ich's nur so weit zu nennen, wie der Eroberer in den Grenzen des Rechts bleibt. „Du rühmst dich der Ausrottung der Räuber“, sagten die skythischen Gesandten zu Alexander, „und dabei bist du selber der größte Räuber auf Erden; hast du doch die Völker, die dir erlagen, insgesamt ausgeraubt und geplündert. Bist du ein Gott, so mußt du den Menschen Gutes tun und ihnen nicht entreißen, was sie besitzen; bist du ein Mensch, so vergiß auch niemals, daß du's bist.“

Ferdinand von Aragonien begnügte sich nicht damit, offen und ehrlich das Kriegshandwerk zu treiben, sondern er benutzte als Deckmantel für seine Pläne die Religion. War dieser König wirklich fromm, so beging er eine lästerliche Entweihung des Heiligen, indem er die Sache Gottes zum Vorwand nahm, seinen wilden Leidenschaften zu folgen. War er nicht gläubig, so handelte er gar als Betrüger und Schuft, indem er durch sein heuchlerisches Tun den frommen Glauben des Volkes mißbrauchte zugunsten seines Machthungers.

Gefährlich ist's, wenn ein Fürst seine Untertanen an den Gedanken gewöhnt, daß religiöse Überzeugungen eine gerechte Sache seien, die Waffen dafür zu erheben: das heißt, mittelbar die Klerisei zum Herrn über Krieg und Frieden machen, zum Schiedsrichter über Herrscher und Volk. Verdankte doch das weströmische Reich seinen Fall zum Teil solchen Glaubenskämpfen, und in Frankreich, unter den letzten Valois, erlebte man die unseligen Folgen eines frommen eifernden Wahns. Meines Erachtens verlangt eines Fürsten wohlverstandener VorteU, daß er an den Glauben seiner Völker nicht rühre, im übrigen, soviel in seiner Macht sieht, den Geist der Milde und Duldung in der Geistlichkeit seiner Staaten und bei seinen Untertanen kräftige und erhalte. Solches Bemühen stimmt nicht allein zum Sinne des Evangeliums, das nur Friedfertigkeit, Demut und Bruderliebe predigt, sondern fördert auch des Fürsten eigene Zwecke, da er mit der Ausrottung des falschen Glaubenseifers und des Fanatismus in seinen Landen zugleich den gefährlichsten Stein des Anstoßes aus seinem Wege räumt, die allerbedrohlichste Klippe. Denn wo bleibt alle Treue und aller gute Wille in der Menge, wenn religiöse Leidenschaft und wilde Glaubensbegeisterung ihr Haupt erheben, wenn dem Mörder als Preis seines Verbrechens der Himmel winkt, ihm die Palme des Glaubenszeugen verheißen ist zum Lohn für den Tod durch Henkershand?

So kann denn ein Herrscher gar nicht genug Verachtung bezeigen für die eitlen Zänkereien der Priester, die im Grunde nur ein Streit um Worte sind, und kann garnicht genug darauf bedacht sein, allen Aberglauben und die davon untrennbaren Ausbrüche religiöser Leidenschaft zu ersticken.

An zweiter Stelle führt Machiavell das Beispiel Bernhards von Mailand an zur Beherzigung für die Fürsten, daß sie daran lernen mögen, ihre Belohnungen wie ihre Strafen so ins Werk zu sehen, daß es in die Augen fällt, damit all ihr Tun die<88> Gebärde der Größe trage. Nun, Fürsten von edler Art kommen ohnehin schon zu Glanz und Ansehn, zumal wenn ihre Freigebigkeit, ohne selbstische Zwecke, einfach der Ausdruck ihrer Seelengröße ist. Herzensgüte wird ihnen leichter denn jeder andere Vorzug den Weg zur Größe bahnen. Cicero88-1 sagte zu Cäsar: „Das Größte, was dein Glück dir gegeben, ist die Macht, so vielen Mitbürgern ein Retter zu sein, nichts was deiner Güte würdiger wäre, als der Wille, es zu tun.“ Alle Strafen also, die ein Fürst verhängt, sollten hinter dem Maße der Kränkung, die er erfuhr, zurückbleiben, alle Belohnungen, die er spendet, hinausgehn über die Bedeutung des Dienstes, den er empfing.

Hier aber ein Widerspruch! Unser Doktor verlangt an dieser Stelle vom Fürsten unbedingte Bündnistreue, im achtzehnten Kapitel hat er ihn in aller Form seines Wortes entbunden! Wie ein Wahrsager: zu einem sagt er weiß, zum andern schwarz!

So unrichtig die eben betrachteten Ausführungen Machiavells sind, so zutreffend ist seine Warnung an die Fürsten, sich mit anderen Herrschern, die mächtiger sind als sie, leichtfertig einzulassen, die, anstatt ihnen beizustehn, sie gar erst in den Abgrund stoßen könnten. Das wußte sehr wohl ein großer deutscher Fürst, gleich geachtet bei Freund und Feind. Die Schweden fielen in sein Land zur Zeit, da er mit allen seinen Truppen fern am Niederrhein stand, den Kaiser in seinem Kriege gegen Frankreich zu unterstützen. Seine Minister rieten ihm auf die Kunde von dem überraschenden Einbruch, den russischen Zaren zu Hilfe zu rufen. Der Fürst jedoch, scharfsichtiger als sie, erwiderte, die Moskowiter seien wie die Bären: wehe dem, der sie loskette; einmal freigelassen, seien sie schwer wieder an die Kette zu legen! Hochgemut nahm er das schwere Werk der Vergeltung auf seine eigenen Schultern, und er brauchte es nicht zu bereuen88-2.

Lebte ich im kommenden Jahrhundert, so gäb's sicherlich so mancherlei Betrachtungen, die hier hingehörten, diesen Abschnitt zu erweitern; allein über die Fürsten meiner Zeit sieht mir kein Richteramt zu, man muß auf dieser Welt zur rechten Zeit zu reden und zu schweigen wissen.

Ebenso verständig wie das Bündnisverhältnis behandelt Machiavell die Neutralität. Alte Erfahrung lehrt, daß ein Fürst, der neutral bleibt, dadurch sein Gebiet rücksichtsloser Behandlung durch beide kriegführende Parteien aussetzt; seine Staaten werden das Kriegstheater, stets verliert er nur durch seine neutrale Haltung, ohne je einen greifbaren Vorteil dabei zu gewinnen.

Auf zwiefache Art kann ein Herrscher sich vergrößern: einmal durch Eroberung, wenn ein kriegerischer Fürst mit Waffengewalt die Grenzen seiner Herrschaft erweitert; der andere Weg ist der der rührigen Arbeit, wenn nämlich ein fleißiger Landesherr in seinen Staaten alle Künste und alle Wissenschaften zur Blüte bringt, die ihnen<89> erhöhte Bedeutung und Gesittung geben. Unser Buch enthält von vorn bis hinten nichts als Betrachtungen über jene erste Art der Vergrößerung; reden wir doch auch einmal von der zweiten, die unschuldiger und gerechter ist und dabei ganz so gedeihlich wie jene.

Die für das Leben notwendigsten Fertigkeiten sind die Landwirtschaft, der Handel und der Gewerbefieiß; die Wissenschaften, darinnen der Menschengeist seine höchste Würde offenbart, sind die Geometrie, Philosophie, Astronomie, Redekunst und Poesie, alles schließlich, was man unter dem Namen der schönen Künste versieht.

Wie nun jegliches Land seine eigene Natur hat, so ruht die Stärke des einen in seiner Landwirtschaft, die anderer im Weinbau, hier in den Gewerben, da im Handel; auch gedeihen diese Fertigkeiten in manchem Lande wohl gleichzeitig nebeneinander.

Entscheidet sich nun ein Fürst für diese friedliche und freundliche Form der Machterweiterung, so wird seine nächste Aufgabe sein, sich um die gründliche Kenntnis der Natur seines Landes zu bemühen, um sich darüber klar zu werden, welche von jenen Erwerbsmöglichkeiten dort die aussichtsvollsten und welche demgemäß zu fördern am dringendsten die Pflicht gebietet. Den Franzosen und Spaniern ward das Fehlen des Handels fühlbar, und so sannen sie denn auf Mittel, den der Engländer zu vernichten. Sollte Frankreich damit Glück haben, so würde der Niedergang des englischen Handels seine Machtstellung in viel beträchtlicherem Maße heben, als es die Eroberung von zwanzig Städten und tausend Dörfern vermöchte, und England und Holland, die beiden blühendsten und reichsten Länder der Welt, würden dabei ganz allmählich zugrunde gehn, wie ein Kranker, der an der Schwindsucht oder Auszehrung dahinsiecht.

Die Länder, deren Getreide- und Weinbau all ihren Reichtum darstellt, haben zweierlei zu beobachten: erstens sollen sie alles Land sorglich urbar machen, um jedes Fleckchen Bodens auszunutzen; zweitens sollen sie auf jede Weise bedacht sein, den Absatz zu vergrößern und zu erweitern, ferner ihre Waren wohlfeU zu befördern und deren Preis nach Möglichkeit heraufzuschrauben.

Die Industrie bringt vielleicht jedem Staate am meisten Nutzen und Gewinn; denn sie befriedigt die Bedürfnisse und den Luxus der Einwohner, und auch die Nachbarn sehen sich genötigt, eurem Gewerbefieiß ihren Zoll zu entrichten. So wird auf der einen Seite das Geld im Lande gehalten, auf der anderen muß es hereinströmen.

Stets war's meine Überzeugung, daß der Mangel an diesen Erzeugnissen eine Ursache mehr für die ungeheuren Auswanderungen aus den Nordlanden gewesen ist, so der Goten und der Vandalen, die so häufig die südlichen Länder überschwemmten. In jenen fernen Zeiten kannte man in Schweden, in Dänemark wie im größten Teile von Deutschland von allen Fettigkeiten nur den Ackerbau; der ertragfähige Boden war auf eine bestimmte Anzahl von Eignern verteilt, die ihn bebauten und ihren Unterhalt daraus zogen. Nun ist aber das Menschengeschlecht zu jeder Zeit von<90> besonderer Fruchtbarkeit in jenen kalten Himmelsstrichen gewesen, und so gab's bald doppelt soviel Einwohner im Lande, als der Ackerbau ernähren konnte; da taten sich denn die jüngeren Söhne der Adelsgeschlechter zusammen, wurden notgedrungen zu Glücksrittern, überfielen fremde Länder und warfen da die Besitzer hinaus. In der Geschichte Ost- und Westroms war's denn auch die Regel, daß die Barbarenhorden nichts begehrten als Grund und Boden zur Bebauung, um ihren Lebensunterhalt zu finden. Die Nordlande sind heut nicht weniger dicht bevölkert als dazumal, aber inzwischen hat der Luxus wohlweislich unsere Bedürfnisse vervielfältigt und damit den Anstoß zu gewerblicher Tätigkeit und zu all jenen Fertigkeiten in der Herstellung gegeben, von denen ganze Völker leben können, die sonst ihren Unterhalt auswärts suchen müßten.

Diese verschiedenen Mittel, die einen Staat zur Blüte bringen, sind der fürstlichen Weisheit anvertraute Pfunde; der Fürst soll damit wuchern, soll sie nutzbringend an legen. Das sicherste Kennzeichen dafür, daß ein Land unter weiser Leitung des Glückes, der Wohlhabenheit und Fülle genießt, ist dann das Erwachen der schönen Künste und der Wissenschaften; denn diese Blumen gedeihen nur auf fettem Boden und unter mildem Himmel; bei Trockenheit, beim Ungestüm nördlicher Winde sterben sie hin.

Nichts gibt einem Reiche mehr Glanz, als wenn die Künste unter seinem Schutz erblühen. Das Zeitalter des Perikles dankt seinen Ruhm ebenso dem Phidias, dem Praxiteles und zahlreichen anderen Großen, die damals zu Athen lebten, wie den Schlachten, die dieselben Athener gewannen. Das augusteische ist bekannter durch einen Cicero, Ooid, Horaz und Vergil als durch die Ächtungslisten jenes grausamen Kaisers, der schließlich doch ein gut Teil seines Nachruhms der Leier des Horaz verdankt. Das Jahrhundert des großen Ludwig ist gefeierter um solcher Größen willen wie Corneille, Racine, Molière, Boileau, Descartes, Coypel, Le Brun90-1, Regnaudin90-2, als durch den über alles Maß gelobten Rheinübergang90-3, die Belagerung von Mons90-4, an der Ludwig in Person teilnahm, und die Schlacht bei Turin, die Marsin auf allerhöchsten Befehl den Herzog von Orleans verlieren ließ 90-5.

Die Könige ehren die ganze Menschheit in der Auszeichnung und Belohnung derer, die ihr am meisten Ehre machen; wer wäre das sonst als jene überragenden Geister, die der Vervollkommnung unserer Erkenntnis, dem Dienste der Wahrheit sich weihen, die keinem irdischen Werte nachfragen, um die Fähigkeit des reinen Gedankens zu immer höherer Vollendung zu steigern? Wie die Weisen die Leuchten der Welt sind, so sollten sie eigentlich ihre Gesetzgeber sein.

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Glücklich die Herrscher, die selbst diese Wissenschaften pflegen, die da mit Cicero91-1, dem römischen Konsul, dem Befreier seines Vaterlandes, dem Altmeister der Redekunst, denken: „Die Wissenschaft bildet die Jugend heran, gibt den reiferen Jahren seinen schönsten Reiz; dem Glück gibt sie höheren Glanz, dem Unglück Trost; sie macht in unseren vier Wänden, im fremden Hause, auf der Reise, in der Einsamkeit, zu allen Zeiten wie an jedem Orte die Wonne unseres Daseins aus.“

Lorenzo von Medici, der Größte seines Voltes, war für Italien der Friedebringer und zugleich der Erneuerer der Wissenschaften; sein redlicher Sinn gewann ihm das Vertrauen aller Fürsten insgesamt. Mark Aurel, einer der größten Kaiser Roms, vereinte Feldherrnglück mit der Weisheit des Philosophen; er hielt sich in seiner Lebensführung aufs strengste an die Sittenlehre, die er bekannte. Schließen wir mit seinem Wort: „Einem Könige, den Gerechtigkeit leitet, ist die Welt ein Tempel, darinnen die guten Menschen als Priester des Opferdienstes walten.“

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22. Kapitel

Von den Ratgebern der Fürsten.

Zwei Arten von Fürsten gibt es in der Welt: die einen wollen mit eigenen Augen sehen und die Regierung ihrer Staaten selber in der Hand behalten, die anderen verlassen sich ganz auf die Ehrlichkeit ihrer Minister und lassen sich von denen leiten, die Einfluß auf sie gewonnen haben.

Die Herrscher von der ersten Gattung sind die Seele ihrer Staaten; auf ihnen allein ruht das volle Gewicht der Regierung wie die Welt auf den Schultern des Atlas; sie regeln die äußeren wie die inneren Angelegenheiten, alle Verordnungen, Gesetze, Erlasse gehen von ihnen aus; sie füllen zur selben Zeit das Amt eines JustizMinisters aus, des Oberfeldherrn wie des Finanzministers, kurz, alles, was nur irgend für den Staat von Wichtigkeit sein kann, geht durch ihre Hand. Ihnen stehen zur Seite, nach dem Vorbilde Gottes, dem als die Vollstrecker seines Willens geistige Wesen von höherer Art denn der Mensch gesellt sind, scharfsichtige und arbeitsfrohe Geister, ihre Absichten auszuführen und im einzelnen zu verwirklichen, was sie in großen Zügen entworfen haben; ihre Minister sind eigentlich nur Werkzeuge in der Hand eines weisen und geschickten Meisters.

Die Herrscher der zweiten Gattung sind wie versunken in einen Abgrund von Verschlafenheit und Gleichgültigkeit, weil ihnen der Genius fehlt, oder aus angeborener Trägheit; wie man nun einen Ohnmächtigen durch starke ätherische und balsamische Gerüche wieder ins Leben zurückruft, genau so muß ein Staat, der infolge der Schwäche seines Herrn ohnmächtig darniederliegt, durch den Geist und das Feuer eines Ministers, der fähig ist, die Mängel seines Herrn zu ersetzen, wiederaufgerichtet werden. In diesem Falle ist der Fürst nur das Werkzeug seines Ministers, seine Bedeutung beschränkt sich höchstens darauf, vor dem Volke dem leeren Schemen der Königshoheit sichtbare Gestalt zu geben; seine Person ist für den Staat so entbehrlich, wie die des Ministers unentbehrlich ist. Bringt für den Fürsten der ersten Art die rechte Wahl seiner Minister nur eine Arbeitserleichterung ohne erheblichen Einfiuß auf das Wohl des Volkes, so hängt beim Fürsten der zweiten Gattung geradezu alles von dieser Wahl ab: das Wohl und Wehe des Volkes wie sein eigenes.

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Es ist für einen Fürsten gar nicht so leicht, wie man meint, die Sinnes- und Gemütsart der Männer, die er für seinen Dienst ausersehen, recht zu ergründen; denn so schwer es dem Fürsten gemacht ist, sein inneres Wesen vor den Augen der Welt zu verhehlen93-1, so leicht hat's der einzelne, vor dem Auge des Herrn eine falsche Rolle zu spielen. Mit dem inneren Wesen der Höflinge ist's wie mit dem Gesicht geschminkter Frauen: mit vieler Kunst erreichen sie es, daß einer genau so aussieht wie der andere. Könige sehen die Menschen niemals, wie sie in Wirklichkeit sind, sondern nur so, wie sie erscheinen wollen. Ein Mensch beim Hochamt im Augenblick der Weihe, ein Hofmann bei Hof in der Gegenwart des Fürsten, und derselbe im Freundeskreise — jedesmal wird das ein völlig anderer Mensch sein; der Cato des Hofes gilt als der Anakreon der Stadt; der Weise vor der Öffentlichkeit ist ein Narr daheim, und wer mit lauter Stimme ein großes, prunkendes Wesen von seiner Tugend macht, vernimmt in seinem Innern die leise Stimme seines Gewissens, die ihn schmählich Lügen straft.

Doch hier handelt es sich nur um Verstellung gewöhnlicher Art. Nun laßt aber erst einmal selbstsüchtige, laßt ehrgeizige Zwecke mit dareinreden, laßt sie sich um eine erledigte Stelle drängen mit einer Gier, wie die zahlreiche Freierschar Penelope umwarb! Mit der Habgier eines Höflings wächst seine Dienstbeflissenheit für seinen Fürsten und seine Achtsamkeit auf sich selbst; alle Mittel der Betörung, auf die sein Geist verfällt, sind ihm recht, wenn es gilt, sich angenehm machen; er schmeichelt dem Fürsten, teilt seinen Geschmack, heißt seine Leidenschaften gut — ein Chamäleon, bereit, jede Farbe seiner Umgebung anzunehmen.

Vermochte also Sixtus V. siebenzig Kardinäle, die ihn hätten kennen müssen, über sich zu täuschen, wieviel leichter ist es einem einzelnen gemacht, den prüfenden Blick eines Fürsten zu hintergehen, dem es an der Gelegenheit fehlt, ihn zu ergründen. Ohne Mühe wird ein Fürst von Geist sich ein Urteil bilden über das Genie und die Fähigkeiten seiner Diener; aber fast ein Ding der Unmöglichkeit ist es für ihn, ein rechtes Bild zu gewinnen von dem Grade ihrer Selbstlosigkeit und Treue; besieht doch gewöhnlich darin die ganze Kunst der Minister, ihre Ränke und Schliche vor dem geheimzuhalten, der, wenn er dahinter käme, berechtigt wäre, sie zu bestrafen.

Oft erlebt man's, daß Menschen im Scheine der Untadeligkeit dastehen, nur weil's ihnen an der Gelegenheit fehlte, sich als das Gegenteil zu entpuppen, daß sie aber, kaum daß ihre Tugend auf die ersie Probe gestellt ward, auf alle Ehrbarkeit verzichteten. Ehe Tiberius, Nero, Caligula auf den Thron gelangt waren, wußte in Rom kein Mensch ihnen was Arges nachzusagen; wer weiß, ob nicht ihre Ruchlosigkeit in der Entwicklung steckengeblieben wäre, ohne die Gelegenheit, die ihr Luft machte, die gleichsam den Keim ihrer Niedertracht erst aufgehn ließ.

Es gibt Menschen, bei denen sich eine Fülle von Geist, Weltgewandtheit und Fähigkeiten zu dem schwärzesten, undankbarsten Gemüts gesellt, und wieder andere mit<94> allen Vorzügen des Herzens ohne jene lebendige und glänzende Treffsicherheit, die dem Genie eigen ist. Da haben denn kluge Fürsien gewöhnlich solchen Männern, bei denen die Gemütsseite überwog, den Vorzug gegeben für die Verwendung im Innern des Landes; für ihre auswärtigen Verhandlungen dagegen bedienten sie sich lieber der lebhaften und feurigen Köpfe. Mit gutem Grunde, denk' ich: handelt es sich nur um die Auftechterhaltung von Ordnung und Recht im eigenen Staate, so ist Redlichkeit dafür Bürgschaft genug; gilt's aber, den Nachbar durch Scheingründe hinters Licht zu führen, den Pfad des Ränkespiels zu beschreiten und sogar Bestechungen anzuwenden, wozu Gesandte im Ausland oftmals gezwungen sind, dann ist's mit der Ehrlichkeit nicht getan, das liegt auf der Hand, dann braucht's Witz und Geschmeidigkeit.

Ich meine, ein Fürst kann Treue und Diensteifer gar nicht genug belohnen, eine Erkenntlichkeit, die uns schon unser natürliches Gerechtigkeitsgefühl zum unabweisbaren Bedürfnis macht. Außerdem aber gebietet's den Großen der eigene Nutzen, Dankbarkeit mit ebensoviel Hochherzigkeit zu üben, wie sie mit Milde strafen sollen: kommt ein Minister dahinter, daß die Tugend gar kein so schlechtes Geschäft, so fühlt er sich ganz gewiß nicht mehr auf verbrecherische Streiche angewiesen und wird sich lieber die Wohltaten des eigenen Herrn gefallen lassen als die Bestechungen eines fremden. So begegnen sich hier durchaus die Forderung der Gerechtigkeit und die der Weltklugheit, und wollte einer, statt großmütige Dankbarkeit zu üben, die Zuneigung seiner Minister auf eine gefährliche Probe stellen — ich weiß nicht, was dabei bedenklicher wäre: seine Herzlosigkeit oder sein Unverstand.

Manche Fürsten verfallen wieder in einen anderen Fehler, der ihrem wahren Vorteil genau so zuwiderläuft: sie wechseln ihre Minister mit bodenloser Leichtfertigkeit und ahnden mit übertriebener Härte die geringfügigsten Fehle. Arbeitet ein Minister unmittelbar unter den Augen seines Fürsien, so kann dem Herrn, nach einer geraumen Amtsdauer, unmöglich entgehen, wo jener etwa versagt; je scharfsichtiger er ist, desto leichter kommt er dahinter. Da wird denn ein Herrscher ohne philosophische Besonnenheit gar bald die Geduld verlieren, wird außer sich geraten über die Schwächen seines Beamten, wird ihm seine Gnade entziehen, ihn fallen lassen. Ein Fürst, der tiefer denkt, kennt die Menschen besser, er weiß sie allzumal gezeichnet mit dem Mal der Menschlichkeit, wie es denn nichts Vollkommenes hienieden gibt, er weiß, daß alle wertvollen Eigenschaften gewissermaßen aufgewogen werden durch große Mängel, und daß ein Genie aus dem Guten wie dem Schlechten seinen Vorteil ziehen muß. Aus diesem Grunde behält er lieber, wofern keine Pflichtvergessenheit im Spiel ist, seine Minister mit ihren guten wie ihren schlechten Eigenschaften bei, hält sich lieber an die, die er schon ausgeprobt hat, statt es mit neuen, die er vielleicht fände, zu versuchen; so wird ein Musiker von Verstand sein altes Instrument, dessen Vorzüge und Schwächen ihm geläufig sind, einem neuen von unbekannter Güte vorziehen.

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23. Kapitel

Von der Notwendigkeit, die Schmeichler zu fliehen.

Kein Buch über sittliche Fragen, kein geschichtliches Werk, darinnen nicht der Fürsten Schwäche für Schmeichelei scharf gegeißelt würde. Man verlangt von den Königen, daß sie die Wahrheit lieben, daß ihr Ohr sich an die Stimme der Wahrheit gewöhne; und man hat recht damit. Und doch — das ist nun einmal Menschenbrauch — verlangt man damit Dinge, die einander nahezu ausschließen. Da Eigenliebe allem Besten in uns zugrunde liegt, somit auch dem Glücke der Welt, sollen die Fürsten sie in dem Maße besitzen, daß sie ihnen Empfänglichkeit für edlen Ruhm und Schwungkraft zu großen Taten verleiht — gleichzeitig aber erwartet man von ihnen Selbstlosigkeit genug, daß sie gutwillig auf den Lohn ihrer Arbeit verzichten. Also was sie um Anerkennung werben heißt, soll sie gleichzeitig Verachtung der Anerkennung lehren. Das heißt von der Menschennatur viel verlangen! Allenfalls wäre eines geeignet, die Widerstandskraft eines Fürsten gegenüber der Versuchung der Schmeichelei zu stählen: die vorteilhafte Vorstellung der Welt von seiner höheren Natur, die ihn verpflichte, über sich selbst noch mehr Gewalt zu haben als über andere Menschen.

Fürsten ohne Empfindung dafür, wie man über sie denkt, sind von je nur träge Naturen gewesen oder Genüßlinge, versunken in Schlaffheit; nicht mehr wie ein Stück toten, und zwar niedrigen und gemeinen Stoffes, unbeseelt von einer höheren Regung. Gewiß, auch grausame Tyrannen haben ihr Lob gern singen hören; doch das war für sie nur ein Kitzel der Eitelkeit, besser gesagt, ein Lasier mehr. Die Achtung der Menschen wünschten sie sich, kümmerten sich dabei aber nicht um den einzigen Weg, sie zu verdienen. Bei lasterhaften Fürsten ist Schmeichelei ein tödlich Gift, das die Keime ihrer Verderbtheit nur noch mehr wuchern läßt; bei verdienstvollen Fürsten gleicht sie dem Rost, der mit seinem Ansatz den Glanz ihres Ruhmes mindert. Einen feinfühligen Menschen empört grobe Schmeichelei, er weist den Lobhudler seines Weges, der ihm tölpelhaft seinen Weihrauch ins Gesicht streut. Man muß schon einen unendlich hohen Glauben an sich selbst besitzen, schon mehr einen Aberglauben, um<96> übertriebenes Lob ertragen zu können. Diese Art Lob haben die großen Männer am wenigsten zu fürchten, da es nicht die Sprache innerer Überzeugung ist.

Noch eine andere Schmeichelei gibt's, die, die sich sophistisch zum Anwalt unserer Fehler und Lasier macht. Ihre Redekünste mildern und beschönigen alles Schlechte an ihrem Opfer und erheben es, auf diesem Umwege, zu einem Bilde der Vollkommenheit. Sie weiß für jegliche Leidenschaft eine Rechtfertigung, putzt Grausamkeit heraus, bis sie aussieht wie Gerechtigkeit, verleiht der Verschwendung täuschende Ähnlichkeit mit der Freigebigkeit, deckt über Ausschweifungen das Mäntelchen der Kurzweil und der Unterhaltung. Sie bauscht besonders gern die Laster der anderen auf, um denen ihres Helden daraus ein Ehrenmal zu errichten; sie entschuldigt alles, rechtfertigt alles.

Die Mehrzahl der Menschen fällt auf diese Art Schmeichelei herein, die ihre Nei-gungen, ihren Geschmack rechtfertigt. Man muß mit beherzter Hand die Sonde tief in seine Wunden eingeführt haben, um sie recht zu erkennen, muß stark genug sein, sich selber Fehler einzugestehen, die gebessert sein wollen, um gleichzeitig dem schmeichlerischen Fürsprecher unserer Leidenschaften zu widerstehen und wider sich selber anzukämpfen. Es gibt indessen Fürsten, die genügend Reife und Vollwert besitzen, um für diese Gattung von Schmeichelei nur Verachtung zu empfinden; ihrem scharfen Blick entgeht die Giftnatter unter der Blumenhülle nicht. Geborene Feinde der Lüge, ertragen sie diese auch da nicht, wo sie sich etwa in ihrer Eigenliebe angenehm berührt, in ihrer Eitelkeit gestreichelt fühlen.

Doch wenn sie die Lüge hassen, so lieben sie die Wahrheit, und sie können denen nicht ernstlich böse sein, die ihnen was Gutes nachsagen, von dem sie selbst überzeugt sind. Schmeichelei, die sich an Tatsächliches hält, ist eben die feinste von allen; da bedarf's eines äußerst feinen Unterscheidungsvermögens, um das leise aufgetragene Mehr oder Minder wahrzunehmen. Diese Schmeichelei wird nicht einem Könige Poeten in die Laufgräben mitgeben als Zeugen und Berichterstatter seiner Tapferkeit, sie wird sich auch hüten, Opernprologe, von Überschwenglichkeiten strotzend, abzufassen, oder abgeschmackte Widmungen und kriecherische Episteln; sie wird auch einem wirklichen Helden nicht mit der Herzählung seiner Siegestaten in den Ohren liegen — nein, diese wird die Miene des aufrichtigen Gefühls zur Schau tragen, wird mit gutem Geschmack lange Umschweife meiden und alle Vorzüge eines Epigramms besitzen. Wie könnte ein großer Mann, ein Held, ein geistvoller Fürst es übel vermerken, wenn ein Freund in der Lebendigkeit seiner ehrlichen Wallung sich ein Wort von ungefähr entschlüpfen läßt, was obenein die Wahrheit ist? Darüber sich zu ärgern, das wäre doch ein Zeichen einer geradezu engherzigen Bescheidenheit. Schließlich darf man wohl ein Lob hinnehmen, wie es gemeint ist.

Fürsten, die, ehe sie Könige wurden, schlichte Menschen waren, können sich in der Erinnerung an das, was sie einst gewesen, leichter der Gewöhnung an die Kost der Schmeichelei entziehen. Die, so ein Leben lang Herren geheißen, haben sich von jeher <97>vom Weihrauch gesättigt wie die Götter, sie würden an Entkräftung hinsterben, sollten sie einmal ohne Lobeserhebungen auskommen.

Es wäre nach alledem, meiner Ansicht nach, gerechter, wenn man die Könige beklagte, als daß man sie verdammt: die Schmeichler und noch mehr denn sie die Verleumder find's, die Verdammung und den Haß der Welt verdienen, ebenso wie jeder, der's mit den Fürsten so wenig redlich meint, daß er ihnen die Wahrheit vorenthält.

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24. Kapitel

Warum die Fürsien Italiens ihre Herrschaft einbüßten.

Die Sage von Kadmus, der die Zähne des Drachen aussäte, den er erlegt hatte, woraus dann ein Volt von Kriegern aufsproßte, die sich gegenseitig hinmordeten, paßt ganz und gar zum Gegenstand dieses Kapitels. Diese sinnreiche Sage ist ein Sinnbild für der Menschen Ehrbegier, Grausamkeit und Tücke, die ihnen zuletzt stets zum Verderben werden. Derart war der schrankenlose Ehrgeiz der italienischen Fürsten und ihre Grausamkeit, die sie zum Schrecknis des Menschengeschlechts machten; derart waren die Treulosigkeiten und Verrätereien, die sie wechselseitig aneinander begingen, all ihrem Glücke zum Verderb. Man lese die Geschichte Italiens vom Ende des 14. bis zum Anfang des 15. Jahrhunderts: da gibt's nichts als blutige Greuel, Aufstände, Gewalttaten, Bünde zu gegenseitiger Vernichtung, Thronraub, Meuchelmord, mit einemWorte, einen ungeheuren Knäuel von Untaten; schon die Vorstellung davon macht einen schaudern.

Wer sich, nach dem Vorgang Machiavells, unterfinge. Recht und Menschlichkeit über den Haufen zu rennen, der würde damit den Umsturz der ganzen Welt verschulden: keiner würde sich mehr an dem Seinen genügen lassen, jeder dem Nächsten sein Eigen neiden, und da nichts ihm Halt geböte, wären die abscheulichsten Mittel recht, seine Gier zu sättigen. Hätte der Eine des Nachbarn Besitz verschlungen, flugs käme der Zweite, ihn wieder hinauszuwerfen; keine Sicherheit gäb's für den einzelnen mehr, und das Recht des Stärkeren wäre allein Gesetz auf Erden, eine Sintflut von Verbrechen schüfe aus diesem Erdteil eine wüste und traurige Ode.

Einzig ihr Unrecht und ihre Barbarei brachten die italienischen Fürsten um ihre Staaten, genau wie die Mißlehre Machiavells unrettbar jeden verderben müßte, der töricht genug wäre, ihr zu folgen.

Daß ich nichts unterschlage: auch die Feigheit des einen oder anderen mag zu gleichem Teile mit ihrer Nichtswürdigkeit zu ihrem Untergang mitgeholfen haben; jedenfalls verderbte die Könige von Neapel ihre Schwäche. Aber, davon abgesehen, krame mir einer an Staatsweisheit aus, soviel er will, an Gründen, Systemen, Beispielen, allen sophistischen Spitzfindigkeiten, zuletzt kommt keiner darum herum, die<99> Forderung von Recht und Gerechtigkeit anzuerkennen, wenn er nicht mit dem gesunden Menschenverstand in Widerstreit geraten will. Machiavell selbst bringt nichts als ein jammervolles Zeug zustande, wenn er andere Lehren aufstellen will, und wie er's auch anfängt, die Wahrheit hat er nicht unter seine Grundsätze zu beugen vermocht. Der Anfang dieses Kapitels ist böse für unseren Politikus: seine schnöde Grundsatzlosigkeit hat ihn da in ein Labyrinth verlockt, aus dem sein Geist vergehlich den Ausweg an einem Ariadnefaden sucht.

Ganz bescheiden frage ich Machiavell, was er wohl mit folgenden Worten sagen wolle: „Wenn man an einem neuen, eben emporgestiegenen Herrscher, also einem Usurpator, Klugheit wahrnimmt und Verdienst, so wird man sich williger an ihn anschließen als an einen Herrn, der seine hohe Stellung lediglich seiner Geburt verdankt. Der Grund: alle Gegenwart spricht uns stärker an als das Vergangene; findet man bei ihr sein Genügen, sucht man nicht mehr in der Weite.“

Traut Machiaoell einem ganzen Volke zu, es werde unter zweien gleich tapferen und geistvollen Männern dem Usurpator den Vorzug geben vor dem rechtmäßigen Fürsten? Oder aber schwebt ihm ein Herrscher ohne persönlichen Wert vor und demgegenüber ein Räuber voller Heldensinn und hohen Gaben? Die erste Annahme kann unmöglich die unseres Verfassers sein, sie würde den einfachsten Gesehen des gesunden Denkens widersprechen: das hieße eine Wirkung ohne Ursache, eine solche Vorliebe eines Volkes für einen Menschen, der durch Gewalttat sich zu seinem Herrn aufwirft und im übrigen nicht den geringsten persönlichen Vorzug vor dem angestammten Herrscher voraus hat. Mag sich Machiavell auf alle kunstgerechten Schlüsse der Sophistik stützen, meinetwegen auf Buridans Esel99-1, die große Frage bleibt ungelöst.

Ebensowenig kann aber die zweite Annahme in Betracht kommen, denn sie wäre ebenso gedankenlos wie die erste. Mögt ihr einem Usurpator sonstwelche Eigenschaften zubilligen, der Gewaltstreich, durch den er seine Herrschaft aufgerichtet, bleibt ein Rechtsbruch, das müßt ihr zugeben! Was darf man sich also von einem Menschen, der sich mit einem Verbrechen einführt, weiter versprechen als eine Herrschaft der Gewalt und Willkür? Man denke sich einen jungen Ehemann, dem sein Weib am Hochzeitstage Hörner aufsetzt: ob er sich nach dem Pröbchen von der Treue seiner Neuvermählten allzuviel Gutes versprechen wird?

Machiavell fällt in aller Form in diesem Kapitel über seine eigenen Grundsätze ein Verdammungsurteil. Klar spricht er's aus: ohne des Volkes Liebe, ohne die Zuneigung der Großen, ohne ein geschultes Heer ist's einem Fürsten unmöglich, sich auf dem Throne zu behaupten. Die Wahrheit scheint ihm wider Willen diese Huldigung abzuzwingen, wie Ähnliches die Theologen von den gefallenen Engeln versichern, die, wenn auch mit Zähneknirschen, den Herrn bekennen müssen.

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Der Widerspruch steckt da: will ein Fürst die Zuneigung des Volkes und seiner Großen gewinnen, bedarf er dazu ein redlich TeU an Rechtschaffenheit und Manneswert; menschlich gesonnen muß er sein und wohltätig, und muß mit diesen Herzensgaben die Fähigkelten vereinen, die mühseligen Pflichten seines Amtes mit Weisheit zu versehen, auf daß man Vertrauen zu ihm haben könne. Nun nehme man da, gegen die Eigenschaften, die Machiavell seinem Fürsten verleiht! Welch ein Widerspruch! Mit solchen Eigenschaften, wie er sie in seinem Buche lehrt, gewinnt man keine Herzen: mit Ungerechtigkeit, Grausamkeit, Ehrbegier und einem Sinn, der nur von der Sorge um Machterweiterung erfüllt ist.

Damit wäre denn dieser Staatslehrer entlarvt, den sein Jahrhundert als einen Großen bewunderte, den viele Minister in seiner Gefährlichkeit erkannt haben, um ihm dann doch zu folgen, dessen Schandlehre man Fürsten in die Hand gab, dem bislang noch niemand gebührend geantwortet hat, ja in dessen Bahnen noch heut so mancher Staatsmann sich bewegt, so sehr er sich auch gegen solchen Vorwurf verwahren wird.

Glücklich der, dem es gelänge, den Machiavellismus von Grund aus in der Welt zu vernichten! Seinen Mangel an Folgerichtigkeit habe ich aufgewiesen; nun liegt's den Gebietern dieser Erde ob, der Welt das Vorbild der Untadeligkeit zu geben. Ich wage die Behauptung, daß es ihre Pflicht sei, die Öffentlichkeit zu hellen von der irrigen Vorstellung, die sie sich von der Staatskunst macht: Staatskunst ist im Grunde nichts als die Summe tiefster fürstlicher Einsicht. Gemeiniglich aber sieht sie in dem Verdacht, als wäre sie das Hand- und Lehrbuch aller Schurkerei und Rechtswidrigkeit. An den Fürsten ist es, die Spitzfindigkeiten und die Falschheit aus den Verträgen zu verbannen und der Redlichkeit und Lauterkeit, die, die Wahrheit zu sagen, aus dem Fürstenkreise gewichen sind, wieder zu neuem Leben zu verhelfen. An ihnen ist es, zu zeigen, daß sie auf die Provinzen des Nachbarn ebensowenig neidisch sind, wie sie eifersüchtig über die Erhaltung der eigenen Staaten wachen. Achtung bringt man den Herrschern entgegen, so Willis die Pflicht, ja, so muß es sein; aber man würde sie lieben, wären sie weniger auf Vergrößerung ihrer Herrschaft bedacht, dafür aber um so angelegentlicher auf ein gedeihlich Regiment. Das eine ist das Spiel einer Einbildungskraft, die nicht zur Ruhe kommen will, das andere ist das Kennzeichen gerechten Sinnes, der das Echte zu ergreifen weiß, den festen Boden der Pflicht dem Schimmer von Luftschlössern vorzieht. Der Fürst, der alles sein nennen möchte, ist wie ein Magen, der gefräßig sich mit Fleisch überlädt, ohne zu bedenken, daß er es nicht verdauen kann; beschränkt er sich darauf, ein wackres Regiment zu führen, gleicht er dem Manne, der mit Maßen ißt und dessen Magen gut verdaut.

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25. Kapitel

Welchen Einfluß das Glück auf die menschlichen Angelegenheiten hat und wie dem Unglück vorzubeugen ist.

Die Frage der menschlichen Willensfreiheit ist eine von jenen, daran die Philosophie sich zuschanden denkt, die außerdem so manchen Fluch aus der GottesMänner geweihtem Munde gekostet hat. Die Bekenner der Willensfreiheit machen geltend: sind die Menschen unfrei, so wirkt Gott in ihnen; mithin ist es Gott, der mittelbar durch sie Morde, Diebstähle und überhaupt alle Verbrechen verübt, was doch in offenem Widerspruch stünde zu seiner Helligkeit; zweitens aber: ist das höchste Wesen der Vater der Lasier und der Urheber aller begangenen Verbrechen, so wird man die Schuldigen nicht mehr bestrafen können, so wird's überhaupt weder Tugend noch Laster mehr geben in der Welt. Man kann dies schreckliche Dogma also nicht zu Ende denken, ohne all der Widersprüche inne zu werden; so bleibt wohl nichts übrig als die Entscheidung für die Willensfreiheit.

Die Anhänger der unbedingten Notwendigkeit hingegen sagen, es würde ja um Gott schlimmer stehen als um einen blinden Handwerker, der sein Wert im Finstern schafft, sollte er nach Erschaffung seiner Welt nicht gewußt haben, was sich nun in ihr zutragen solle. Ein Uhrmacher, sagen sie, kennt den Gang des kleinsten Rädchens einer Uhr, denn er weiß ja, welche Bewegung er ihm verlieh, weiß, zu welchem Zwecke er's bestimmte; da sollte Gott, dies Wesen von unendlicher Weisheit, nur der neugierige, ohnmächtige Zuschauer zu allem Tun der Menschen sein? Wie wäre wohl derselbe Gott, dessen Werke alle das Gepräge wohlbedachter Ordnung an sich tragen, also, daß sie alle ganz bestimmten, unwandelbaren Gesetzen unterworfen sind, wie wäre er wohl dazu gekommen, allein den Menschen sich der Unabhängigkeit und Freiheit erfreuen zu lassen? Dann wäre nicht die Vorsehung Leiterin der Weltgeschicke, sondern die Laune des Menschen. Läuft's also einmal hinaus auf die Wahl, ob der Schöpfer oder das Geschöpf ein willenlos Bewegtes sei, so wird die Vernunft solches wohl eher dem Wesen zutrauen, dem Schwachheit innewohnt, nicht aber dem, das der Inbegriff der Macht ist. So wären denn die Vernunft sowie alle Regungen der<102> Menschenbrust die unsichtbaren Fäden, daran die Hand der Vorsehung unser Geschlecht gängelt, daß es mittue an den Geschehnissen, deren Eintreten der Ratschluß der ewigen Weisheit bestimmt hat, und jeder einzelne sein Geschick erfülle.

So gerät man, der Charybdis zu entgehen, in gefährliche Nähe der Skylla, und so stoßen die Philosophen einander abwechselnd in den Abgrund des Unsinns, indes die Streiter des Herrn im Finstern herumfuchteln und fromm in Bruderliebe und Glaubenseifer sich verfluchen. Die Kriegführung zwischen diesen beiden Lagern gemahnt etwa an die der Karthager und Römer: drohte das Erscheinen der römischen Truppen in Afrika, so trug man die Brandfackel des Krieges nach Italien; wollte man zu Rom den gefürchteten Hannibal sich vom Halse schaffen, so schickte man Scipio an der Spitze der Legionen hinüber, Karthago zu belagern. PHUosophen, Gottesgelahrte und die Mehrzahl der Ritter vom Für und Wider sind Kämpfernaturen nach französischer Art: schneidig im Angriff, sind sie verloren, sobald sie auf Abwehr angewiesen sind. Das hat einen witzigen Kopf zu der Bemerkung veranlaßt, Gott sei der Vater aller Sekten; denn er habe allen gleiche Waffen, eine schwache wie eine starke Seite gegeben.

Dies Entweder — Oder: Willensfreiheit oder Prädestination, verpflanzt nun Machiavell aus der Metaphysik in die Betrachtung des Staates. Damit gerät er auf einen fremden Boden, der ihm nichts zu bieten hat; denn statt sich darüber den Kopf zu zerbrechen, ob wir frei oder unfrei sind, ob Glück oder Zufall eine Macht bedeuten oder nicht, kommt's in den Fragen des Staates eigentlich nur darauf an, daß einer seinen Scharfblick übe und seine Umsicht erweitere.

Glück und Zufall sind Worthülsen ohne Sinngehalt; sie stammen aus dem Hirn der Poeten, verdanken ihren Ursprung, allem Anschein nach, der tiefen Unwissenheit, in der die Welt hindämmerte, als sie den Erscheinungen, deren Ursache ihr dunkel war, aufs Geratewohl einen Namen gab.

Was im Volksmunde Cäsars Glück heißt, sind im Grunde nur die in der Weltläge gegebenen Bedingungen, die den Plänen dieses ehrgeizigen Mannes entgegenkamen. Und das sogenannte Mißgeschick des Cato besieht in den unvermuteten Unfällen, die ihm widerfuhren, jenen Schicksalsschlägen, bei denen Ursache und Wirkung so schnell einander folgten, daß es für seine Klugheit kein Voraussehen noch Vorbeugen gab.

Der Begriff Zufall läßt sich am besten durch das Würfelspiel erläutern. Da nennt man's auch Zufall, wenn mein Wurf zwölf und nicht sieben Augen gibt. Wollte man dies Ergebnis nach seinen natürlichen Ursachen zerlegen, so wäre da eine Fülle von Einzelheiten wohl zu beachten: in welcher Weise wurden die Würfel in den Becher hineingetan, wie waren die Bewegungen der Hand — mehr oder weniger kräftig, mehr oder weniger häufig —, die die Würfel im Becher durcheinanderschüttelten, ihnen eine schnellere oder langsamere Bewegung verliehen, als sie über den Tisch rollten? Das Zusammenwirken all dieser Ursachen heißen wir Zufall! Freilich, eine derartige<103> Untersuchung, zu der es erforderlich ist, auf tausenderlei einzugehen, verlangt einen philosophischen und aufmerkenden Geist, solche Vertiefung ist aber nicht jedermanns Sache, und so spart man sich lieber die Mühe. Und ich gebe zu, leichteren Kaufs kommt man schon davon, begnügt man sich mit einem Namen, der eigentlich nichts besagt. So kommt's, daß von der ganzen heidnischen Götterwelt allein Glück und Zufall uns geblieben sind. Nun, immerhin hat's etwas für sich: die Toren sehen ja gern die Ursache ihres Mißgeschicks in der Feindseligkeit des Glückes, und auf der anderen Seite erheben die, so ohne besonderes Verdienst in der Welt vorankommen, gern das blinde Schicksal zur Gottheit, deren Weisheit und Gerechtigkeit aller Bewunderung wert seien.

Solange wir nun Menschen sind, das heißt äußerst bedingte Wesen, werden wir niemals ganz erhaben sein über das, was man Schicksalsfügungen nennt. Wir müssen mit Weisheit und Klugheit das Mögliche dem Zufall, der Stunde entreißen; nur ist unser Sehfeld zu beengt, um alles wahrzunehmen, und unser Denkvermögen zu beschränkt, um alles in die gehörige Beziehung zu bringen. All unsere Unzulänglichkeit aber gibt uns kein Recht, das bescheidene Maß an Kräften, das einmal unser ist, brachliegen zu lassen. Im Gegenteil! Wir sollen herausholen, soviel wir nur vermögen, und darum, well wir nun mal keine Götter sind, unser Wesen nicht gleich auf den Standpunkt des Viehes herabsinken lassen. Tatsächlich gehörte nicht weniger als göttliche Allwissenheit dazu, wollte der Mensch das tausendfach verschlungene Gewebe verborgener Ursachen übersehen und bei jedem Geschehen dem letzten, unscheinbarsten Warum nachgehen, um auf diesem Wege zu richtigen Berechnungen für die Zukunft zu gelangen.

Hier zwei Begebenheiten zum Beweise, daß es keiner Menschenwelsheit gegeben ist, alles und jedes vorauszusehen. Die erste der Überfall Cremonas durch Prinz Eugen103-1. Das Unternehmen war mit aller erdenkbaren Umsicht angelegt und wurde mit großartigstem Schneid angepackt. Was brachte den Plan zum Scheitern? Der Prinz schaffte sich gegen Morgen Eingang in die Stadt durch einen unterirdischen Gang, den ihm nach geheimer Abrede ein Priester öffnete. Unfehlbar hätte er sich zum Herrn der Stadt gemacht, wären nicht zwei Umstände, die er unmöglich voraussehen konnte, dazwischengetreten. Erstens stand zufällig ein Regiment Schweizer, das gerade am selben Morgen exerzieren sollte, unter Gewehr und leistete ihm Widerstand, bis die ganze Garnison auf den Beinen war. Zweitens traf sich's, daß der Führer, der den Herzog von Vaudemont zu einem anderen Stadttor, auf dessen Einnahme es ankam, hingeleiten sollte, den Weg verfehlte, und so kam diese Abteilung zu spät an. Ich glaube, selbst die begeisterungtaumelnde Priesterin von Delphi hätte auf ihrem heiligen Dreifuß mit allen Geheimnissen ihrer Kunst diese Zwischenfälle nicht voraussehen können.

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Mein zweites Beispiel ist der Sonderfriede, den die Engländer gegen Schluß des Spanischen Erbfolgekrieges mit Frankreich schlossen104-1. Weder die Minister Kaiser Josephs I. noch die größten PHUosophen noch die gewiegtesten Staatsmänner hätten ahnen können, daß ein Paar Handschuhe das Schicksal Europas umgestalten würden, was doch buchstäblich, wie man sehen wird, eintraf.

Lady Marlborough bekleidete die Würde einer Oberhofmeisterin der Königin Anna in London, indes ihr Gemahl in den Feldzügen in Brabant eine doppelte Ernte einheimste, an Lorbeeren und an Reichtümern. Die Herzogin gab durch die Gunst, deren sie genoß, der Partei des Kriegshelden einen Rückhalt, und dieser wiederum dem Kredit seiner Gattin durch seine Siege. Ihre Gegenpartei, die Torys, die den Frieden wünschte, war, solange diese Herzogin bei der Königin allmächtig war, völlig machtlos. Ein Nichts war der Anlaß, daß sie diese Gunst verwirkte. Die Königin hatte Handschuhe bei ihrer Händlerin bestellt, desgleichen auch die Herzogin zur selben Zeit; in ihrer Ungeduld drängte sie die Frau, sie vor der Königin zu bedienen. Indessen verlangte Anna nach ihren Handschuhen; eine Palastdame104-2, die der Lady Mariborough feind war, hinterbrachte der Königin, was sich zugetragen hatte, und wußte die Sache so böswillig auszubeuten, daß die Königin von Stund an in der Herzogin eine Favoritin sah, deren Anmaßung nicht mehr zu ertragen sei. Die Handschuh-macherin goß vollends Öl ins Feuer, indem sie der Fürstin einen nach Kräften mit Bosheit getränkten Bericht der Handschuhgeschichte lieferte. Dieser geringfügige Anlaß reichte hin, alle Geister in Gärung zu bringen und alles zu zeitigen, was zu einer regelrechten Ungnade gehört. Die Torys, an ihrer Spitze der Marschall Tallard104-3, machten sich den Vorfall in jeder Weise zunutze, er wurde ein Trumpf in ihrem Spiel. Die Herzogin von Marlborough fiel kurz darauf in Ungnade, mit ihr hatte die Partei der Whigs ausgespielt und damit die der Verbündeten und des Kaisers. So ist's mit den ernstesten Dingen der Welt ein Spiel, die Vorsehung lacht der menschlichen Weisheit und menschlichen Größe; Albernheiten, Lächerlichkeiten geben dem Schicksal der Staaten, ganzer Königreiche oft eine Wendung. In diesem Falle retteten kleinliche Frauenzimmerhändel Ludwig XIV. aus einer Lage, aus der ihm vielleicht all seine Weisheit, Wehrkraft und Macht nicht hätten heraushelfen können, und zwangen die Verbündeten, Frieden zu schließen, ob sie wollten oder nicht.

Derartige Dinge begeben sich wohl, doch ich gestehe, selten genug, jedenfalls reicht ihr Gewicht nicht hin, der menschlichen Klugheit und Geistesschärfe ihren Wert zu nehmen. Es ist damit wie mit Krankheiten, die zuzeiten einmal die Gesundheit eines<105> Menschen stören, ohne ihn doch ernstlich im lebenslänglichen Genuß seiner kräftigen Natur zu beeinträchtigen.

Es bleibt also durchaus geboten, daß, wer die Welt regieren soll, seinen Scharfsinn und seine Klugheit ausbilde. Damit ist's aber noch nicht getan: wer das Glück fesseln will, muß lernen, mit seinem Temperament sich in den Wandel der Verhältnisse zu schicken, was recht schwer ist.

Im großen und ganzen habe ich nur zwei Arten von Temperamenten im Auge, das einer rasch zugreifenden Lebhaftigkeit und das einer sorglich Umschau haltenden Bedächtigkeit. Diese seelischen Veranlagungen sind ihrerseits in der körperlichen Anlage begründet, und so ist es nahezu ein Ding der Unmöglichkeit, daß ein Fürst so unbedingt Herr über sich selber sei, um wie ein Chamäleon jede Farbe anzunehmen. Da gibt's nun Zeitalter, die kommen der Ruhmbegier der Eroberernaturen zustatten, jener verwegenen und unternehmenden Menschen, die geboren scheinen, zu handeln und außerordentliche Umwälzungen in der Welt zu wirken. Revolutionen und Kriege sind ihnen Lebensluft, vor allem schafft ihnen der Ränkegeisi, ein Geist des Mißtrauens, der die Fürsten entzweit, Gelegenheit zur Entfaltung ihrer gefährlichen Gaben; kurz, alle äußeren Umstände, die so unruhigen und unternehmungslustigen Köpfen wesensoerwandt sind, erleichtern ihren Erfolg.

Zu anderen Zeiten scheint die Welt, minder bewegt, mehr nach einer milden Herr, schaft zu verlangen, wo es dann nur der Klugheit und Umsicht bedarf. Da waltet im Leben der Völker eine Art glücklicher Windstille, wie sie gern dem Sturme folgt. In solchen Zeitläuften erzielen Verhandlungen größere Erfolge als Schlachten, da muß denn die Feder erwirken, was der Degen nicht gewinnen kann.

Um aus jeder Gestaltung der Verhältnisse Nutzen zu ziehen, soll der Fürst lernen, sich in die Zeit zu schicken, wie ein gewandter Schiffer alle Segel aufsetzt, wenn die Winde ihm günstig sind, oder beim Winde segelt oder sie einzieht, sowie grobes Wetter ihn dazu nötigt, nur bemüht, sein Fahrzeug in den ersehnten Hafen zu steuern, ganz gleich, ob so oder so.

Ein Feldherr, der verstünde, im rechten Augenblick bedächtig und dann wieder wagemutig zu sein, wäre fast unbezwingbar. Er würde gegebenen Falles den Krieg in die Länge ziehen können, sobald er mit einem Feinde zu tun hätte, dem's an Mitteln gebräche, einen langen, kostspieligen Krieg durchzuhalten, oder sobald auf der Gegenseite Verpflegungsmangel und Futternot einträten. Fabius setzte Hannibal matt durch seine Bedächtigkeit; der Römer kannte Karthagos Geld- und Rekrutennot sehr genau, da genügte es ihm, dessen Heer kampflos dahinschmelzen zu lassen, seinen Erschöpfungstod gleichsam ruhig abzuwarten. Hannibals Heil dagegen war der Kampf; all seine Macht lag in der Gunst des Augenblicks, dem galt es mit Geistesgegenwart jeden erdenklichen Gewinn zu entreißen, um ihr Dauer und Bestand zu geben durch das Entsetzen, das die blendende Waffentat verbreitet, und durch die neuen Hilfsquellen, die die Eroberung erschließt.

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Hätten im Jahre 1704 der Kurfürst von Bayern und Marschall Tallard Bayern nicht verlassen, um bis Blindheim und Höchstädt vorzugehen, sie wären die Herren von ganz Schwaben geblieben. Denn das Heer der Verbündeten konnte sich aus Mangel an Lebensmitteln in Bayern nicht halten und hätte sich bis zum Main zurückziehen und auflösen müssen. Es war also Mangel an Umsicht zur rechten Stunde, wenn der Kurfürst sein Schicksal, das ganz und gar nur bei ihm stand, der Entscheidung einer Schlacht anvertraute, einer Schlacht, die ewig denkwürdig und ruhmvoll für den deutschen Namen sein wird. Diese Unklugheit rächte sich durch die gänzliche Niederlage der Franzosen und Bayern106-1 und den Verlust Bayerns und alles Landes zwischen Oberpfalz und Rhein.

Die Verwegenheit hat gewiß etwas Besiechendes, was packt und blendet; aber sie hat nur eine schöne Außenseite, innerlich ist sie an Gefahren trächtig. Die Klugheit ist weniger lebendig an Gebärde, weniger glanzvoll in der Erscheinung, aber sie schreitet festen Fußes ihren Weg ohne Wanken. Von den Wagemutigen, die untergingen, spricht man nicht, nur von solchen, denen das Glück hold war — wie's auch mit Träumen und Vorhersagungen geht: auftausend falsche, die vergessen wurden, kommt eine ganz verschwindende Zahl solcher, die eintrafen, und deren erinnert man sich. Die Welt sollte eben alles Geschehen nach dem bewerten, was es herbeigeführt hat, nicht aber umgekehrt.

Ich schließe also: ein Volt setzt mit einem Fürsten von kühner Sinnesart viel aufs Spiel und sieht sich von ständiger Fährnis bedroht; ein umsichtiger Fürst hingegen, mag er auch zu großen Taten nicht berufen sein, bringt doch von Natur Gaben mit, die ihn mehr als jenen befähigen, ein Segen für die Völker unter seinem Zepter zu sein. Sind Eroberungen die Stärke der Wagemutigen, so ist die Stärke der Klugen die Erhaltung des Erworbenen.

Damit der eine wie der andere ein großer Mann werden, müssen beide im rechten Augenblick zur Welt kommen, sonst bringen ihre Gaben ihnen mehr Unsegen als Glück. Jeder Mensch von Nachdenken, vornehmlich jeder, den der Himmel zum Herrn über andere bestimmt hat, sollte sich einen Lebensplan zurechtlegen, ebenso durchdacht und geschlossen wie ein mathematischer Beweis. Wer sich getreulich an ein solches System hielte, hätte darin die Handhabe folgerechten und allezeit ziel, sicheren Handelns. Auf diese Weise wäre einer imstande, jeglicher Gestaltung der Dinge und jedem Ereignis das abzugewinnen, was ihm auf seinem Wege zum Ziel weiterhülfe, sodaß alles zur Ausführung seines Planes dienen müßte.

Wo aber sind die Fürsten, von denen wir so viele seltene Gaben verlangen? Es sind eben nur Menschen, und mit Recht wird man gestehen müssen, daß es ihnen, wie sie einmal geschaffen sind, schlechthin unmöglich ist, allen ihren Pflichten gerecht<107> zu werden. Eher fände einer den Phönix, von dem die Poeten erzählen, oder das letzte Grundprinzip aller Dinge, nach dem die Metaphysik sucht, als den Menschen Platos. Es ist billig, daß die Völker sich am Ringen ihrer Fürsten nach Vollkommenheit genug sein lassen. Am weitesten in diesem Streben werden die Fürsten kommen, die sich vom Fürstenbilde Machiavells mehr denn die anderen entfernen. Es ist nur recht und billig, daß man ihre Mängel sich gefallen lasse, wenn sie von Vorzügen des Herzens und redlichem Wollen aufgewogen werden — immer in dem Bewußtsein, daß es Vollkommenes in der Welt überhaupt nicht gibt und Irttum und Schwachheit aller Menschen Erbteil sind. Am glücklichsten ist das Land, wo gegenseitige Nachficht zwischen Herrscher und Untertanen waltend, über die Gesellschaft jene Stimmung liebenswürdiger Milde ausgießt, ohne die das Dasein zur schweren Bürde wird und die Welt aus einem Schauplatz der Freude ein Tal der Bittemisse.

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26. Kapitel

Über verschiedene Arten diplomatischer Verhandlungen und gerechte Ursachen zum Kriege.

Wir sahen, mit welchen Mitteln trüglicher Darstellung Machiavell in diesem Werke versucht, uns etwas vorzumachen, uns Verbrechernaturen als große Persönlichkeiten aufzuschwatzen.

Ich habe mich meinerseits bemüht, ihn zu widerlegen und die Welt, in der einem so oft ganz irrige Vorstellungen von der Staatskunst der Fürsten begegnen, eines Besseren zu belehren. Da wies ich nach, daß es nur eine Fürsienweisheit gibt: sein Bestes zu tun und im Staate möglichst der Vollkommenste zu sein; daß des Fürsten eigenster Vorteil ein Leben nach Recht und Gerechtigkeit von ihm erfordere, damit ihm die peinliche Zwangslage erspart bleibe, an anderen verdammen zu müssen, was er sich selber als ein gutes Recht nachgesehen. Mit glanzvollen Großtaten, die doch nur der Sättigung der Ehr- und Ruhmsucht dienen, ist gar nichts getan; jede Leistung für das Glück der Menschheit, jede Leistung, die drohendem Verderben vorbeugt, sieht unendlich höher an Wert. Darin erkannte ich das einzige Mittel für einen Herrscher, seinen Namen und Ruf auf Felsengrund zu bauen und sich's redlich zu verdienen, daß sein Ruhm ungetrübt und unverdunkelt bis auf die fernste Nachwelt komme.

Nun will ich hier zwei Betrachtungen anschließen; die eine betrifft die Arten diplomatischer Verhandlung, die andere gilt der Frage: wie sieht wohl für einen Herrscher ein vollwichtiger Anlaß aus, um sich auf einen offenen Krieg einzulassen?

Gesandte, die von ihren Fürsten an fremden Höfen gehalten werden, sind privilegierte Spione zur Überwachung des Königs, bei dem sie wellen. Ihre Aufgabe ist, hinter dessen Absichten zu kommen, jeden seiner Schritte aufzuklären, all seinen Handlungen auf den Grund zu gehen, um den eigenen Herrn auf dem Laufenden zu halten und ihn, sobald sie etwas wittern, was dem Vorteil des Gebieters Antrag tun könnte, rechtzeitig zu benachrichtigen. Ein Hauptgegensiand ihrer Sendung ist die Pflege des freundschaftlichen Einvernehmens zwischen den Herrschern; freilich sind sie nur zu oft, statt Meister der Friedenskunst, Werkzeuge des Krieges. Sie wissen mit dem Köder der Bestechung die geheiligtesten Bande des Geheimnisses zu lösen; sie<109> sind geschmeidig, gefällig, geschickt und verschlagen. Ihre Eigenliebe geht Hand in Hand mit ihrer Pflicht, und so dienen sie ihrem Herrn mit ganzer Hingebung.

Vor den Bestechungsversuchen und Kunstgriffen dieser Spione sollen Fürsten ja auf der Hut sein. Unbedingt muß die Regierung auf jeden ihrer Schritte ein Auge haben und über sie unterrichtet sein, um jede ihrer Maßregeln vorweg erraten und ihren gefährlichen Folgen zuvorkommen zu können, auch jedes Geheimnis vor den Augen dieser Luchse hüten, dessen Offenbarung die Klugheit verbietet. Ins Unberechenbare aber wächst ihre immer vorhandene Gefährlichkeit mit der wachsenden Wichtigkeit ihres Auftrags, alsdann können die Fürsten gar nicht streng genug das Verhalten ihrer eigenen Staatsdiener im Auge behalten, ob nicht etwa bereits ein Danae-Regen ihre Tugendsirenge gebrochen hat.

In Zeiten ernster Entscheidungen, wo es sich um Verträge und Bündnisse handelt, muß eines Herrschers Klugheit ganz besonders auf der Hut sein. Da soll er die Vertragspflichten, die er auf sich nehmen will, nach ihrer Tragweite in jeder Richtung prüfend zergliedern, ob ihre Erfüllung nicht etwa das Maß seiner Kräfte übersteige; da soll er sich die Verträge, die man ihm unterbreitet, ja nach allen Seiten genau auf ihre möglichen Folgen ansehen, ob hier auch eine Grundlage gefunden ist für seiner Völker Wohlergehen, ihren tatsächlichen Nutzen, oder ob sich's hier nur um einen Notbehelf des Augenblicks handelt, ein Machwerk der berechnenden List fremder Herrscher. Zu allen diesen Vorsichtsmaßregeln gehört aber auch eine gewissenhafte Prüfung aller Ausdrücke; da muß der Wortklauber von Grammatiker den Vortritt haben vor dem gewiegten Staatsmanne, damit Geist und Wortlaut des Vertrages leine falsche Auslegung erfährt. Soviel ist gewiß, auch Große haben noch nie die Zeit bedauert, die sie an ein Wägen vorm Wagen gewandt haben, weil sie in der Folge die Verbindlichkeiten, die sie eingegangen waren, nicht zu bereuen brauchten; zum mindesten hat, wer keinen Rat höherer Einsicht unberücksichtigt ließ, sich weniger Vorwürfe zu machen als der, der mit Feuer einen Entschluß faßte, um ihn mit Übereilung auszuführen.

Nicht alle Verhandlungen liegen in den Händen beglaubigter Gesandter; oft schickt man auch Leute ohne amtliche Eigenschaft an einen dritten Ort, um dort in völlig unverdächtiger Weise Vorschläge zu machen. Auf diese Art kamen die Präliminarien zum letzten Frieden zwischen dem Kaiser und Frankreich109-1 zustande, ohne Vorwissen des Reichs und der Seemächte. Bei einem am Rhein angesessenen Reichsgrafen ward dies Abkommen getroffen.

Viktor Amadeus109-2, gewandt und gewitzigt wie kein Fürst seiner Zeit, verstand sich ganz unvergleichlich auf die Kunst, seine Absichten in Dunkel zu hüllen. Mehr als einmal täuschte er die Welt mit seinen listigen Anschlägen, unter anderem, als der<110> Marschall Catinat in einer Mönchskutte und unterm Scheine priesterlicher Bemühung ums ewige Heil dieser Königsseele ihn der Partei des Kaisers abwendig und zu einem Anhänger der Sache Frankreichs machte. Die Verhandlung, immer unter vier Augen, ward mit solchem Geschick geführt, daß das neue Bündnis zwischen Frankreich und Sardinien den Staatsmännern jener Tage sich als eine unerwartete, unerhörte Erscheinung darstellte.

Dies Beispiel führe ich nicht etwa an, um das Verhalten von Viktor Amadeus zu rechtfettigen; meine Feder verzeiht einem Könige so wenig Falschheit, wie sie einem Bürger Untreue nachsieht; ich will lediglich darauf hinweisen, was geräuschlose Zurückhaltung und Gewandtheit unter Umstanden wert ist — Voraussehung bleibt dabei immer, daß unsere Zwecke nicht unwürdig und unredlich sind.

So gilt denn als allgemeine Regel, daß Fürsten für schwierige Verhandlungen die überlegensten Köpfe auswählen sollen, Männer, die nicht nur über die nötige Verschlagenheit und Geschmeidigkeit verfügen, um sich überall leicht Eingang zu schaffen, sondern auch den rechten Blick haben, um die Geheimnisse des Herzens aus dem Auge abzulesen, verstohlene Absichten der anderen aus ihren Gebärden, aus ihren scheinbar unverfänglichsten Handlungen, damit ihrem Spürsinne nichts entgehe und alles vor der Überlegenheit ihres Verstandes offen daliege.

Nur insoweit sollten Herrscher von Listen und Kunstgriffen Gebrauch machen, wie eine eben umschlossene Stadt sich der Leuchtkugeln bedient, das heißt, nur um die Pläne ihrer Feinde zu entdecken. Wenn sie im übrigen offen und aufrichtig vorgehen, werden sie unfehlbar das Vertrauen Europas gewinnen und ihr Gedeihen finden ohne schändliche Mittel, zu Macht und Bedeutung gelangen lediglich durch das, was sie persönlich wert sind. Alle Verhandlungen von Staat zu Staat haben naturgemäß nur einen Endzweck: das ist der Friede und das Wohlergehen des Landes. In diesem Mittelpunkt müssen alle Wege der Staatskunst immer wieder zusammenlaufen.

Die Ruhe Europas ist in erster Linie bedingt durch die Erhaltung jenes weisen Gleichgewichts, das darin besieht, daß dem Übergewichte einzelner Herrscher die vereinigten Kräfte der anderen Mächte die Wage halten. Jede Störung dieses Gleich, gewichtes beschwört die Gefahr einer allgemeinen Umwälzung herauf und des Emporkommens einer neuen Monarchie auf den Trümmern der Fürstentümer, die ihre Uneinigkeit schwach und kraftlos machte.

So scheint es eine Lebensfrage für die Fürsien Europas, niemals die Verhandlungen, Verträge und Bündnisse aus den Augen zu verlieren, durch die die Aufrechterhaltung eines gewissen Gleichgewichts unter den machtvollsten Herrschern ermöglicht wird, und ängstlich alles zu vermeiden, was das Unkraut der Zwietracht zwischen ihnen aussäen könnte; denn früher oder später würde es sich zu ihrem Verderben auswachsen. Ausgesprochene Vorliebe und Abneigung für und wider die eine oder andere Nation, Vorurteile nach Frauenweise, Zank und Händel der einzelnen, Neine Sonderzwecke, Belanglosigkeiten dürfen niemals den Blick eines Mannes<111> trüben, der ganzen Völkern ein Führer ist. Da heißt's, den Blick aufs Ganze richten und der Hauptsache ohne Zaudern Nebendinge zum Opfer bringen. Große Fürsten haben noch stets ihr eigenes Ich hinter dem einen Gedanken an das Staatswohl zurücktreten lassen; daß sie jeder Voreingenommenheit sich mit Gewissenhaftigkeit entledigt haben, um ihrer eigentlichen Aufgabe um so ungetellter zu gehören, versieht sich dabei von selbst. Die Abneigung der Nachfolger Alexanders, sich gegen die Römer zu verbünden, erinnert an den Widerwillen mancher Leute gegen den Aderlaß; dabei kann eine Versäumnis ein hitzig Fieber oder Blutspeien zur Folge haben, wo dann oft gar kein Mittel mehr hilft. So ist in Staatsfragen ein unparteiischer, von keinem Vorurteil beirrter Geist ebenso vonnöten wie in der Rechtsprechung: hier, um auf Schritt und Tritt dem Gebot der Weisheit treu zu bleiben, dort, um niemals wider das Gebot der Gerechtigkeit zu verstoßen.

Glücklich wäre die Welt daran, bedürfte es keiner anderen Mittel als der Verhandlungen, um dafür zu sorgen, daß Recht Recht bleibe, und um den Frieden unter den Völkern immer wieder herzustellen. Dann gäb's an Stelle der Waffen Gründe und Gegengründe, statt der Halsabschneidereien einen Austrag zwischen den Meinungen hüben und drüben. Es ist eine traurige Notwendigkeit, daß Fürsten sich einen letzten Weg offenhalten müssen, einen Weg, viel grausamer, verhängnisvoller und hassenswerter; es gibt Umstände, da muß Waffengewalt die Freiheit der Völker wider die Unterdrückung durch Unrecht schirmen, Fälle, da wir im guten nichts ausrichten und der Unbilligkeit abtrotzen müssen, was sie uns weigert, Fälle, da die Fürsien, die geborenen Schiedsrichter der Völkerzwisie, diese nicht anders zu schlichten wissen als im Messen ihrer Kräfte, indem sie ihre Sache dem Schlachtenlos anheimstellen. In solchen Fällen wird zur Wahrheit, was so gewagt klingt: ersi ein guter Krieg schafft und sichert einen guten Frieden.

Wir wollen uns nunmehr die Frage vorlegen, wann ein Herrscher einen Krieg verantworten kann, ohne sich Vorwürfe machen zu müssen über seiner Untertanen vergossenes Blut, wann es ohne zwingende Notwendigkeit und wann es aus Eitelkeit und Hoffahrt geschieht.

Von allen Kriegen die gerechtesten und unvermeidlichsten sind die Verteidigungskriege, sobald Feindseligkeiten ihrer Gegner die Fürsien zu wirksamen Gegenmaßregeln wider ihre Angriffe zwingen und sie Gewalt mit Gewall abwehren müssen. Dann liegt in der Stärke ihres Armes aller Schutz wider die nachbarliche Begehrlichkeit, und alle Bürgschaft für die Ruhe ihrer Untertanen in der Tapferkeit der Truppen: und genau wie der im Recht ist, der einen Dieb, den er just beim Einbruch ertappt, aus dem Hause jagt, so ist's eine Tat im Namen des Rechtes, wenn ein Großer oder ein König mit Waffengewalt einen Usurpator zwingt, aus seinen Staaten zu weichen.

Nicht weniger wohlbegründet als die genannten Kriege sind solche, mit denen ein Herrscher bestimmte Rechte oder bestimmte Ansprüche, die man ihm bestreiten will,<112> behauptet. Über Königen gibt's keinen Gerichtshof mehr, keine Obrigkeit hat über ihre Händel ein Urteil zu fällen, so muß denn das Schwert über ihre Rechte und die Stichhaltigkeit ihrer Beweismittel entscheiden. Das ist die Art, wie Fürsten ihren Rechtsstreit führen: mit den Waffen in der Hand; so zwingen sie, wenn's ihnen gelingt, ihre Neider, der Gerechtigkeit ihrer Sache die Bahn freizugeben. So dienen denn solche Kriege der Erhaltung des Rechtszustandes in der Welt und der Verhütung der Völkerknechtung: das heiligt ihre Anwendung, ja macht sie unerläßlich.

Auch Angriffskriege gibt's, die ihre Rechtfertigung in sich tragen, ebenso wie die eben besprochenen: es sind das die vorbeugenden Kriege, wie sie Fürsten wohlweislich dann unternehmen, wenn die Riesenmacht der größten europäischen Staaten alle Schranken zu durchbrechen und die Welt zu verschlingen droht. Man sieht ein Unwetter sich zusammenziehen, allein vermag man's nicht zu beschwören, da vereinigt man sich mit allen den Mächten, die gemeinsame Gefahr zu Schicksalsgefährten macht. Hätten sich gegen die Römermacht alle übrigen Völker zusammengetan, niemals hätte die so viele große Reiche zu stürzen vermocht; eine mit Weisheit entworfene Bundesgenossenschaft und ein Krieg, mit frischem Mut unternommen, hätten all jenen Plänen des Machthungers, deren Durchführung die Welt in Ketten schlug, vor der Zeit ein Ende bereitet.

Klugheit empfiehlt immer die Wahl des kleineren Übels und ein Handeln, solange man seines Handelns Herr ist. Besser also, zum Angriffskriege schreiten, solange man noch zwischen Ölzweig und Lorbeer zu wählen hat, als bis zu dem Zeitpunkt warten, wo alles so verzweifelt sieht, daß eine Kriegserklärung nur noch einen Aufschub der völligen Knechtung und des Unterganges um Augenblicke bedeutet. So quälend die Lage für einen Fürsien ist, ihm bleibt nichts Besseres, als seine Kräfte zu gebrauchen, bevor ihm die feindlichen Maßnahmen die Hände binden und ihm die Freiheit zu handeln nehmen.

Auch ein Bundesverhältnis kann Fürsien in die Kriege ihrer Verbündeten hineinziehen, wenn sie diesen die vertragsmäßig festgesetzten Hilfstruppen zuführen. Da Fürsten nun einmal nicht ohne Allianzen bestehen können, weU nur selten oder nie sich einer aus eigener Kraft zu halten vermag, so verpflichten sie sich zu gegenseitiger Hilfeleistung in der Not, zu wechselseitiger Stellung von Hilfstruppen in ganz bestimmter Zahl, eine Maßnahme, die der Erhaltung ihrer Stellung wie ihrer Sicherheit gleichermaßen dient. Erst der Gang der Ereignisse entscheidet darüber, wer von den Bundesgenossen die Vorteile ihres Verhältnisses genießt. Aber da die Gelegenheit, die heute dem einen Teilnehmer gewogen ist, morgen bei veränderter Sachlage dem hold sein kann, der die Hilfstruppen stellt, so ist es ein Gebot fürstlicher Weisheit, die Vertragspflicht heilig zu halten und sie mit peinlicher Sorgfalt zu erfüllen, um so mehr, als es im Interesse der Völker liegt, daß die Schutzmacht der Herrscher durch solche Bündnisse verstärkt und dadurch den Feinden furchtbarer gemacht wird.

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So sind denn also alle Kriege, die, nach strenger Prüfung, der Abwehr eines Usur pators, der Aufrechterhaltung wohlverbriefter Rechte, der Sicherung der Freiheit der Welt, der Notwehr wider Bedrückung und Gewalttat durch die Ehrgeizigen dienen, in Übereinstimmung mit den Forderungen des Rechtes und der Billigkeit. Beginnt ein Landesherr einen Krieg von dieser Art, so ist er unschuldig an allem vergossenen Blut: er befand sich in der Zwangslage, zu handeln, und unter solchen Umständen ist der Krieg ein geringeres Übel als der Friede.

Der Gegenstand bringt mich von selbst auf die Fürsten, die mit dem Blute ihrer Untertanen einen niederträchtigen Schacher treiben. Ihre Truppen gehören dem Meistbietenden. Das ist die reine Versteigerung, wo die, die in Form von Subsidien das größte Angebot machen, die Soldaten dieser unwürdigen Landesfürsten zur Schlachtbank führen. Erröten müßten sie ob ihrer Verkommenheit, das Leben von Menschen zu verkaufen, die sie landesväterlich beschützen sollten! Diese kleinen Tyrannen sollten die Stimme der Menschlichkeit hören, die einen solchen grausamen Mißbrauch der Macht verabscheut, die ihnen darum auch jede Würdigkeit abspricht, eine höhere Stufe einzunehmen und eine Krone zu tragen.

Über Religionskriege habe ich im einundzwanzigsten Kapitel zur Genüge meine Meinung geäußert113-1. Hier nur so viel, daß ein Herrscher alles daransetzen soll, sie zu vermeiden; zum mindesten sei er klug genug, die Fragestellung zu ändern, so wird er wenigstens die giftige Erbitterung und schonungslose Roheit etwas mildern, die von jeher die unzertrennlichen Begleiter aller Parteihändel und Glaubensstreitigkeiten gewesen sind. Im übrigen ist kein Wort zu scharf für den verbrecherischen Mißbrauch, der sich für jegliches Tun der Worte: Gerechtigkeit und Billigkeit anmaßt, der sich der gottlosen Lästerung nicht schämt und mit seinem abscheulichen Machtstreben sich hinter den Namen des Höchsten steckt. Es gehört eine grenzenlose Verruchtheit dazu, die Welt mit so dreistem Vorgeben betrügen zu wollen. Die Fürsten sollten wirklich mit dem Blute ihrer Völker einigermaßen haushälterisch umgehen und nicht durch unsinnigen Mißbrauch der Tapferkeit ihrer Krieger deren Leben verschleudern.

Der Krieg ist ein solcher Abgrund des Jammers, sein Ausgang so wenig sicher und seine Folgen für ein Land so verheerend, daß sich's die Landesherren gar nicht genug überlegen können, ehe sie ihn auf sich nehmen. Ich rede garnicht von all der Unbill und allen Gewalttaten, die sie an ihren Nachbarn begehen, ich beschränke mich nur auf das UnheU, das über ihre eigenen Untertanen hereinbricht.

Ich bin überzeugt, sähen die Könige einmal ein schonungsloses Bild von all dem Elend des Volkes, es griffe ihnen ans Herz. Doch ihre Einbildungskraft ist nicht lebendig genug, sich all die Leiden, die an ste in ihrer Stellung gar nicht herankommen, in ihrer wahren Gestalt vorzustellen. Man sollte einem Herrscher, den feuriger<114> Ehrgeiz zum Kriege treibt, all das Verhängnis in seiner Gefolgschaft, das seine Untertanen auszubaden haben, einmal vor die Augen rücken: die Steuerlast, unter der das Voll erliegt, die Aushebungen, die einem Lande seine gesamte Jugend hinwegnehmen, in den Heeren die ansteckenden Seuchen, wo Tausende elendiglich zugrunde gehen; diese mörderischen Belagerungen, die noch grausameren Schlachten, die Verwundeten, Verkrüppelten, die mit ihren Gliedern das letzte Mittel, ihr Dasein zu fristen, einbüßen; all die Waisen, denen das feindliche Eisen die genommen hat, die sie vor Todesgefahr zu decken wußten, sie, die nun ihrem Fürsten der Kinder Leben, alles, was die nährte und erhielt, zum Opfer gebracht haben; soviel dem Staate wertvolles Leben geerntet, ehe es reif ward! Kein Tyrann hat noch je solche Schrecknisse kalten Blutes zu begehen vermocht. Ein Fürst, der einen ungerechten Krieg anfängt, ist grausamer denn ein Tyrann. Er bringt seiner ungebärdigen Leidenschaft das Leben, das Glück, die Gesundheit von Tausenden zum Opfer, die er beschützen und glücklich machen müßte, anstatt sie so leichtherzig den bittersten Heimsuchungenvor denen die Menschheit zu bangen hat, preiszugeben. Genug, die Walter und Herren der Welt können nicht vorsichtig und umsichtig genug jeden ihrer Schritte bedenkenkönnen nicht sparsam genug mit dem Leben der Ihren geizen; denn jene sind ja nicht ihre Hörigen, sie sollen ihresgleichen in ihnen sehen, in gewissem Sinne ihre Gebieter. Ehe ich schließe, eine Bitte an die fürstlichen Leser: keiner darf sich durch die Freiheit, mit der ich hier zu ihm sprach, gekränkt fühlen. Aufrichtigen Herzens, ohne je, mandem zu schmeicheln, nur der Wahrheit die Ehre zu geben, das war mein Bestreben. Ich habe von den jetzt regierenden Fürsien eine zu hohe Meinung, um sie nicht für würdig zu halten, die Wahrheit anzuhören. Vor Unmenschen, Tyrannen, vor einem Tiberius, einem Borgia muß man mit ihr zurückhalten; sie schlüge ihren Verbrechen, ihrer Schurkerei allzu grob ins Angesicht. Dank sei dem Himmel, unter den Herrschern Europas findet sich kein einziger Unhold dieser Art. Doch das wissen wir, wie sie selber auch, daß sie über Menschenschwachheit keineswegs erhaben sind, und das schönste Lob ist^s für sie, wenn ich sage: vor ihnen darf man kühnlich alle Schuld der Könige geißeln, jeglichen Verstoß wider die Gerechtigkeit und wider menschliches Empfinden.

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Das politische Testament von 1752

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Einleitung

Die erste Bürgerpflicht ist, seinem Vaterlande zu dienen. Ich habe sie in allen verschiedenen Lagen meines Lebens zu erfüllen gesucht. Als Träger der höchsten Staatsgewalt habe ich die Gelegenheit und die Mittel gehabt, mich meinen Mitbürgern nützlich zu erweisen. Meine Liebe zu ihnen gibt mir den Wunsch ein, ihnen auch nach meinem Tode noch einige Dienste zu leisten. Zwar bin ich nicht so anmaßend, zu glauben, daß mein Verhalten denen, die meinen Platz einnehmen werden, zur Richtschnur dienen soll. Ich weiß, daß der Augenblick des Todes den Menschen und seine Pläne vernichtet und daß alles in der Welt dem Gesetz der Veränderung unterliegt. Ich verfolge mit der Abfassung dieses politischen Testaments keine andre Absicht, als einem Piloten gleich, der die stürmischen Strecken des politischen Meeres kennt, meine Erfahrungen der Nachwelt mitzuteilen. Ich will die Klippen angeben, die sie zu meiden hat, und die Häfen, wo sie Zufiucht finden kann. Ich lasse mich nicht auf kleine Einzelheiten ein, sondern behandle alle Gegenstände im Großen, überzeugt, daß alle, die selbst die Regierung des Staates führen werden, mich zur Genüge verstehen.

Die Regierung beruht auf vier Hauptpfeilern: auf der Rechtspfiege, weiser Finanzwirtschaft, straffer Erhaltung der Mannszucht im Heere und endlich auf der Kunst, die geeigneten Maßnahmen zur Wahrung der Staatsinteressen zu ergreifen, das heißt, auf der Politik. Gehen wir diese verschiedenen Zweige der Reihe nach durch.

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Rechtspflege

In eigener Person Recht zu sprechen, ist eine Aufgabe, die kein Herrscher übernehmen kann, ein König von Preußen noch weniger als ein anderer. Das ungeheure Detail eines einzigen Rechtshandels würde die Zeit verschlingen, die er vorzugsweise anderen Zweigen der Regierung widmen muß. Spricht der Fürst aber auch nicht selber Recht, so folgt daraus nicht, daß er die Rechtspflege vernachlässigen darf. Ich habe in Preußen auf dem Gebiet des Zivilprozesses Gesetze vorgefunden, die, statt den Parteien zu helfen, die Rechtshändel verwirrten und die Prozesse in die Länge zogen. Daraufhin erteilte ich dem Großkanzler Cocceji118-1 den Auftrag zu einer Gesetzesreform auf der Grundlage der natürlichen Billigkeit. Der hochverdiente Beamte führte meinen Willen zur allgemeinen Zufriedenheit aus. Fest sieht, daß Ungerechtigleiten jetzt seltener als früher vorkommen, daß die Richter unbestechlicher, die Prozesse kürzer sind und daß nur wenig Rechtshändel bei den Gerichtshöfen schweben. Es wäre zu wünschen, daß die Herrscher ihr besonderes Augenmerk auf die gute Besetzung des Großtanzleramtes richteten und Männer von der Rechtschaffenheit, Geschicklichkeit und lauteren Gesinnung Coccejis dafür fänden. Nur so läßt sich das Gute, das er für den Staat geleistet hat, erhalten. Ja die Wahl dieser Persönlichkeit muß mit um so mehr Kenntnis und Überlegung erfolgen, als der Herrscher einen Teil seiner Autorität in ihre Hände legt und sie zum Schiedsrichter über Hab und Gut der Bürger macht.

Bei der Unvollkommenheit aller menschlichen Dinge sehen wir die besten Einrichtungen entarten. Daher muß von Zeit zu Zelt, wo es nötig ist, die bessernde Hand angelegt werden, damit die Einrichtungen ihren ursprünglichen Zweck wieder erfüllen118-2.

Ich habe mich entschlossen, niemals in den Lauf des gerichtlichen Verfahrens einzugreifen; denn in den Gerichtshöfen sollen die Gesetze sprechen und der Herrscher soll schweigen. Aber dies Stillschweigen hat mich doch nicht daran gehindert, die Augen offen zu halten und über die Aufführung der Richter zu wachen. Es ist die Einrichtung getroffen, daß zwei Räte des höchsten Gerichtshofes alle drei Jahre die Provinzen bereisen, die Aufführung der Richter prüfen und die, welche sich etwas zu<119>schulden kommen ließen, zur Anzeige bringen. Man darf mit den Pflichtvergessenen kein Erbarmen haben: die Stimme der Witwen und Waisen fordert Vergeltung, und Sache des Fürsten ist es, die Beamten zu ihrer Pflicht anzuhalten und streng gegen die vorzugehen, die seine Autorität mißbrauchen und das öffentliche Vertrauen unter dem Vorwand von Recht und Gerechtigkeit täuschen. Gerade gegen solche Art von Pflichtvergessenheit muß ich die äußerste Strenge anraten; denn der Herrscher macht sich gewissermaßen zum Mitschuldigen an den Verbrechen, die er unbestraft läßt.

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Finanzwirtschaft

Soll das Land glücklich sein, will der Fürst geachtet werden, so muß er unbedingt Ordnung in seinen Finanzen halten. Noch nie hat eine arme Regierung sich Ansehen verschafft. Europa lachte über die Unternehmungen Kaiser Maximilians, der habgierig zusammenraffte und verschwenderisch ausgab und daher nie Geld hatte, wenn er etwas unternehmen wollte. Die Italiener, die ihn kannten, sie nannten ihn Massimiliano senza denari. In unseren Tagen haben wir gesehen, wie die Zerrüttung der Finanzen beim Tode Karls VI. die Königin von Ungarn zur Annahme von englischen Subsidien nötigte. Das brachte sie in die Knechtschaft König Georgs und kostete ihr die Abtretung mehrerer schöner Provinzen an Preußen und Sardinien120-1. Die kluge Fürstin, die gesehen hat, wie sehr der Geldmangel ihren Angelegenheiten schadete, arbeitet jetzt mit stetem Fleiß an der Reform dieser Mißwirtschaft. Wären Sachsens Finanzen gut verwaltet gewesen, so hätte es in dem Kriege, der im Jahre 1740 ausbrach, eine Rolle spielen können. Da es aber stark verschuldet war, so verdingte es sich an den Meistbietenden und war allenthalben unglücklich. August III. gewann nichts im Bunde mit uns und den Franzosen und wurde zu Boden geschmettert, als ihn die englischen Subsidien zum Kriege gegen Preußen gebracht hatten. Wären seine Kassen gefüllt gewesen, so hätte er seine Interessen nicht für so mäßige Summen zu verkaufen brauchen. Holland, welches das Joch seiner Tyrannen abschüttelte und von da an bis nach dem Spanischen Erbfolgekrieg eine so große Rolle in Europa spielte, zählt heute kaum noch zu den Großmächten, weil die Regierung tief in Schulden steckt und, was noch schlimmer ist, keinen Kredit hat. Fährt Frankreich mit seiner jetzigen Mißwirtschaft fort, so kann es trotz seiner Machtfülle in Verfall geraten und seinen Nebenbuhlern verächtlich werden.

Diese Beispiele zeigen, daß keine Macht sich ohne geregeltes Finanzwesen Ansehen zu verschaffen vermag. Wenn schon Holland, Sachsen und Frankreich sich infolge ihrer schlechten Wirtschaft zugrunde richten, so wäre es um Preußen für immer geschehen, wenn es ihrem Vorgange folgte, zumal seine Macht nicht auf innerer Kraft, sondern allein auf angestrengter Arbeit beruht. Es ist eine alte Wahrheit: Preußen<121> hat keine anderen Hilfsquellen als seine festen Einnahmen, und man kann im Falle der Bedrängnis vom eigenen Lande nur eine Anleihe von höchstens zwei Millionen erwarten. Wir besitzen weder ein Peru, noch reiche Handelskompagnien, noch eine Bank, noch soviel andere Hilfsquellen wie Frankreich, England und Spanien, aber durch angestrengte Arbeit können wir dahin gelangen, neben ihnen eine Rolle zu spielen121-1.

Die Finanzwirtschaft beruht auf Pünktlichkeit in den Einnahmen und auf Ordnung in den Ausgaben.

Einnahmen

Die Finanzeinnahmen umfassen sehr verschiedene Zweige. Alles, was Akzise und Kontribution heißt, gehört zum Bereich der Kriegskasse121-2.

Die Einnahmen der Kriegskasse und ihre Verwaltung

Die Kontributionen sind Auflagen, welche die Grundherren und Bauern entrichten121-3. Sie sind für das ganze Land nach abgestuften Taxen geregelt. Jeder Kreis zahlt sie in der nächsten Stadt, von wo die Gelder zum Provinzialeinnehmer geschickt werden. Also hat in jeder Provinz der Einnehmer das Geld aus der Kontribution in seiner Kasse. Damit er das Land nicht bestehlen kann, wird seine Kasse alle Monate revidiert, und ergibt sich der geringste Betrug von seiner Seite, so wird er auf der Stelle verhaftet, und seine Kaution wird beschlagnahmt. So erleidet das Land niemals Verluste. Was es bezahlt, dient zum Unterhalt der Truppen. Ich habe diese Kassen in ziemlich großer Unordnung vorgefunden. Die Einnehmer legten niemandem Rechnung, und wenn sie gestohlen hatten, so bürdeten sie den Provinzen aus eigener Machtvollkommenheit einen Kontributionsmonat mehr auf, als sie zu bezahlen hatten. Jetzt ist es bei Todesstrafe verboten, einen Groschen Kontribution mehr ohne einen Befehl von meiner Hand aufzuerlegen, und den Befehl hüte ich mich wohl zu geben; denn der Edelmann und der Bauer dürfen niemals bedrückt werden. Im Gegenteil ist<122> es Pflicht, ihre Lage möglichst aufzubessern. Nur in einem einzigen Falle dürfen die Kontributionen erhöht werden, wenn nämlich der Preis für die Lebensmittel dauernd auf das Doppelte ihres jetzigen Marktwertes steigt. Dann wäre man genötigt, den Sold der Soldaten zu erhöhen und die Gehälter zu vermehren. Das aber wäre undurchführbar ohne Vermehrung der Staatseinkünfte.

Die Akzise122-1 ist der zweite Fonds der Kriegskasse. Sie ist von allen Auflagen die billigste. Sie belastet die Armen nicht: Brot, Fleisch, Bier müssen wohlfeil sein. Sie trifft nur den Luxus der Wohlhabenden. Jede Provinz hat ihren Tarif, der für die Steuerbeamten maßgebend isi. Da aber die Akzise, wenn sie schlecht aufgelegt wird, den Handel und die Manufakturen schwer schädigen kann, so habe ich die Tarife ungefähr nach folgenden Grundsätzen verbessert: Freie Einfuhr für die Rohstoffe, die unsere Manufakturen verarbeiten, wie ausländische Wolle, Seide usw. Zollfreie Ausfuhr für alle bei uns hergestellten Produkte, um ihren Absatz im Ausland zu steigern und entsprechend mehr Arbeiter bei uns zu halten. Hohe Zölle auf ausländische Produkte und Fabrikwaren, die wir entbehren können, wie Tuche, Stoffe, Etamin, Strümpfe, Hüte, Gläser, Spiegel, Tressen, Eisen- und Goldschmiedewaren usw., weil diese im Lande selbst angefertigt werden; auf Produkte wie ausländisches Getreide, Bier, Kaffee, Zimt, bestimmte Weine usw. Diese Aussagen belasten nur die Wohlhabenden, verhindern stillschweigend die Ausfuhr von Geld und beleben die Manufakturen. Auf Ermunterung der Manufakturen besiehe ich so sehr aus folgenden Gründen:

1. Wird das, was man sonst von den Nachbarn kaufen müßte, im Inlande hergestellt, so bleibt das Geld im Lande.

2. Eigne Erzeugnisse können an die Nachbarn geliefert werden, z. B. an Polen, Rußland, Schweden, Dänemark. Dadurch legt man ihnen eine Art freiwilliger Steuer auf, die sie der heimischen Industrie zahlen.

3. Man zieht Leute, die Untertanen der Nachbarn waren, ins Land und läßt sie von Fremden ernähren.

4. Durch eignen Gewerbefleiß bringt man alljährlich beträchtliche Summen ins Land.

5. Man bevölkert die Städte und gewinnt neue Untertanen. Die Untertanen aber sind der wahre Reichtum der Fürsten.

6. Man vermehrt die Einkünfte der Akzise durch den Konsum der neuen Arbeiter; doch das nur nebenbei.

Die Akzise der Städte gehört zum Bereich der Kammer in jeder Provinz und bildet nebsi der Kontribution den Fonds, aus dem die Truppen in jeder Provinz bezahlt werden. Die Präsidenten der Kriegs- und Domänenkammern sehen den Akzisebeamten dauernd auf die Finger, um Veruntreuungen zu verhüten. Seit 1746 hat<123> Wachsamkeit im Verein mit den guten Erträgen der letzten Jahre zu einer Vermehrung der Einnahmen um 140 000 Taler geführt. Die Folge ist, daß das Einkommen der Kriegstasse, sowohl in den alten Provinzen wie in Schlesien, 7 Millionen übersteigt. Außerdem braucht die Kriegskasse einen Fonds von 680 000 Talern, um der Armee, sobald sie ins Feld rückt, einen Monat Sold vorschießen zu können. Dieser Fonds muß wie ein Heiligtum unantastbar bleiben.

Domänenkasse

Die Einkünfte aus den Krongütern (die mein Vater stark vermehrt hat), aus Salinen, Forsten, Zöllen, Post und Münze, alles zusammen bildet den Fonds, über den die Domänenkasse verfügt. Die Domänen sind auf alle Provinzen verteilt und als Ämter organisiert. Als Regel gilt, sie alle sechs Jahre neu zu verpachten, weil man bei jedem neuen Abschluß den Pachtzins erhöht. Bei der Untersuchung der Güter findet sich stets hier und dort neues urbar gemachtes Land, das zur Erhöhung der Einkünfte beiträgt. Das würde man verlieren, wenn man den Kontrakt auf zwölf Jahre verlängerte, wie die Pächter es wünschen.

Bei der Verwaltung der Krongüter ist streng darauf zu sehen, daß der Amtmann die Bauern nicht drückt und daß er auf den von ihm gepachteten Gütern nicht despotisch schaltet. Ich würde der Nachwelt zur Vermehrung der Ämter nicht raten. Diese Politik mag für kleine Fürsten gut sein, taugt aber nichts für den König von Preußen, der für den Heeresdienst einen zahlreichen Adel braucht. Man wende mir nicht ein, daß man Ausländer heranziehen kann. Auf den Einwand kann ich aus eigner Erfahrung erwidern, daß der fremde Adel niemals mit dem gleichen Eifer dient wie der einheimische, daß die Ausländer in einem so strengen Dienste, wie dem preußischen, schnell die Lust verlieren, ihn aus den frivolsten Gründen quittieren und in fremde Dienste gehen, die sie mit den bei uns erworbenen Kenntnissen bereichern.

Das bedeutende Einkommen aus den Salinen stießt ebenfalls in die Domänenkasse. Die Salinen befinden sich zum Teil in Halle und Salze; ich habe auch noch andre in der Grafschaft Mark und im Fürstentum Minden angelegt. Alle Provinzen, Schlesien einbegriffen, erhalten von ihnen ihr Salz. Wir haben ferner als Absatzgebiete Sachsen, einen Teil von Böhmen (durch Schmuggel), Mecklenburg, Franken und einen kleinen Teil des Münsterlandes. Eine große Zahl von Beamten ist angestellt, um die Einfuhr ausländischen Salzes in die Provinzen zu verhindern. Die beste Maßregel aber, die man sich gegen den Schmuggel ausgedacht hat, besteht darin, daß man das Salz auf die Familien nach ihrer Kopfzahl verteilt, was sie sicher davon abhält, es anderswo zu kaufen.

Der Holzverkauf bildet eine gute Einnahmequelle in Pommern, in der Alt-, Mittel- und Neumark. Es ist Fürsorge getroffen, alle Jahre neu aufzuforsten. Dadurch bleiben in den Wäldern, auch wenn man genug Weideland für die Schafe<124> läßt, die Baumarten, die mit Ausnahme der Eichen schnell wachsen, dauernd erhalten. Der Verkauf dieser Hölzer bringt aus Frankreich, Dänemark und Schweden alljährlich über 100 000 Taler ein.

Auch die Stromzölle der Memel, des Pregels, der Oder, der Elbe, der Weser, des Rheins und der Maas bilden einen einträglichen Zweig der Domänenkasse. Diese Zölle haben großen Einfluß auf den Handel. Sind sie schlecht geregelt, so ist die Folge die gleiche wie bei der Akzise: sie legen den Kaufleuten Fesseln an und ersticken die Industrie. Ich habe eine Bilanz der Elb- und Oderzölle aufstellen lassen. Um den Stettiner Handel zum Schaden des hamburgischen zu begünstigen, habe ich die Taxe für die (nicht verbotenen) Waren, die auf der Oder kommen, herabsetzen lassen, sodaß die französischen Weine, Gewürze und Farben für die Färbereien über Stettin billiger kommen als über Hamburg. Das wird unbedingt dahin führen, daß der ganze Handel in die Hände unserer Kaufleute gelangt, die dann mit der Zeit die Zwischenhändler von Sachsen, Polen und Böhmen werden können. Im übrigen werden bei der Auflage der Zölle die gleichen Regeln befolgt wie beim Akzisetarif.

Die Post ist für Preußen sehr wichtig, well wir den ganzen Kurs von Memel bis Geldern besitzen, ungerechnet den von Magdeburg nach Hamburg und die Querlinien. Bei viel Sorgfalt und Aufmerksamkeit kann sie noch sehr ausgestaltet werden, sobald man neue Linien hinzufügt, was wohl möglich ist, wenn man es richtig anfaßt.

Die Münze ist eigentlich erst durch meine Bemühungen errichtet worden. Wir hatten niemanden, der die nötigen Kenntnisse der Finanzwissenschaft besaß. Ich hörte von Graumann reden und ließ ihn daraufhin kommen124-1. Seine Grundsätze sind folgende: Die Metalle sind eine Ware. Der Staat, der sie am höchsten bezahlt, kann am meisten davon bekommen. Wer den Preis der Mark Silber bis 15 Taler hinauftreibt, wird der einzige sein, der Silber prägt. Und vermittelst der Münze wird er Gold erhalten, soviel er will. Das wirkliche Verhältnis von Gold zu Silber ergibt sich dadurch, daß man alle Wechselkurse von Europa vergleicht und eine Zahl ausmittelt, die in allen Fällen paßt. Das ist die Mark zu 15 Talern. Nach diesem Plan arbeiten wir. Es ist geplant, Münzstätten in Königsberg, Stettin, Breslau, zwei in Berlin, eine in Magdeburg, eine in Cleve, eine in Aurich und eine in Neu-châtel zu errichten. Die kleine Berliner Münze prägt nur kleine Geldsorten mit neun Prozent Gewinn. Dafür kauft man Gold und Silber zu höherem Preise, wodurch man noch 5 vom Hundert gewinnt. Sobald diese Münzstätten alle eingerichtet sind, wird man jährlich 20 Millionen prägen können, also etwa soviel wie die Bilanzen, die Portugal und Spanien jährlich an Europa zahlen. Die Folgen dieser<125> Einrichtung sind, daß wir den Wechselkurs an uns ziehen, da wir die einzigen sind, die Münzen prägen. Wer Silbersendungen zu machen hat, wird sich an uns wenden müssen, und nota bene, dieser günstige Wechselkurs ist das allerhöchste Glück für einen Staat. Aus diesem einzigen Zweige gewinnt der Herrscher eine Million und mehr an Einkünften, ungerechnet den Gewinn der Kaufleute, der halb soviel betragen kann. Alle diese verschiedenen Einnahmen stießen in die Domänenkasse, die 360 000 Taler im voraus braucht, um die Pensionen und Gehälter pünktlich zu zahlen und am letzten Tage des Rechnungsjahres, der ins Trinitatisquartal fällt, ihren Abschluß zu machen. Gegenwärtig sind 160 000 Taler in der Domänenkasse. Die noch fehlenden 200 000 werden im Jahre 1755 darin sein, wenn ich am Leben bleibe.

Ratschläge für die Verwaltung der Domänenkammern

In jeder Provinz gibt es eine Domänenkammer, bestehend aus einem Präsidenten und einer bestimmten Anzahl von Räten. Sie haben teils die Pachtverträge für die Ämter abzuschließen, teils führen sie die Aufsicht über die Holzverkäufe, über die Deiche, Chausseen und Gewässer, teils über die Städte, die Akzise, die Polizei und die Manufakturen. Alle Kammern haben den Etat von den Einnahmen ihrer Provinz, und ihre Mitglieder sorgen dafür, daß die Erhebung genau, pünktlich und ordnungsmäßig erfolgt. Jede Kammer hat eine Instruktion, die als Richtschnur dient, von der sie nicht abzugehen wagt. Da alle Instruktionen sich in den Händen der Präsidenten befinden, so erspare ich mir die Wiedergabe ihres Inhaltes.

Alle diese Provinzialbehörden unterstehen mit Ausnahme der von Schlesien dem Generaldirektorium, das alle Sachen von geringer Bedeutung selbst regelt, die wichtigsien aber dem König einsendet und ihm den Sachverhalt mit Angabe von Für und Wider darlegt. Das Generaldirektorium hat einen Fonds von 150 000 Talern für Erlassungen an die Provinzen, für den Wiederaufbau von verbrannten GeHöften, für den Wiederankauf von eingegangenem Vieh in den Ämtern, für den Aufbau von verbrannten Mühlen, Kirchen, Dörfern usw. Außer diesen 150 000 Talern haben Ostpreußen und Litauen noch 140 000 Taler für den gleichen Zweck. Die Provinzialbehörden erstatten dem König jeden Monat eingehenden Bericht über die Lage der Provinz und den Stand der Kasse und stellen eine Bilanz über die Einnahmen an Zoll und Akzise während des letzten Monats und des gleichen Monats im Vorjahre auf. Alle Jahre nach Trinitatis übersenden sie eine Handelsbilanz auf Grund der Akzisenliste, aus der die Ein- und Ausfuhr der verschiedenen Warengattungen hervorgeht. Daraus ersehen wir, welche Manufakturen bei uns fehlen und welche neu errichtet werden können. Ferner ist nach der Bilanz des aus dem Lande gehenden und des einkommenden Geldes der Zustand unseres Handels und der der Provinzen mit Sicherheit zu beurteUen. Man sieht, daß Preußen von den Nachbarn im ganzen 6 Millionen und einige hunderttausend Taler gewinnt. Ferner kann<126> man beurteilen, ob die einzelnen Provinzen bestehen können. So bezahlt die Neumark alles in allem, Akzise, Kontribution und Domänen, 700 000 Taler. Davon bleiben 520 000 Taler in der Provinz zur Bezahlung der Gerichte und Truppen; 180 000 Taler werden nach Berlin geschickt. Aus der Handelsbilanz ergibt sich, daß die Provinz 445 000 Taler dabei gewonnen hat. Zieht man also die Ausfuhr und die an die Krone bezahlten Summen ab, so bleiben noch jährlich 265 000 Taler, um die die Neumark reicher wird. Folglich kann sie bestehen, ja noch zunehmen. Man muß den Dingen auf den Grund gehen, um gut zu regieren.

Ebenso erhält der Herrscher jährlich eine Liste der Sterbe- und Taufregister von jeder Provinz. Daraus läßt sich die Zahl der Einwohner berechnen, was zu wissen sehr wichtig ist.

Am Schlusse des Rechnungsjahres schickt mir jede Provinz und jede Kasse ihre Generalabrechnung, in der alle Einkünfte, die Rückstände und die Überschüsse verzeichnet sind. Gegen den Monat Mai stellt das Direktorium den neuen Etat auf. Aus ihm sind alle Einnahmen, der Ertrag der Meliorationen der verschiedenen Provinzen und ihre Bestimmung zu ersehen. Da ich über den Etat in dem Abschnitt über die Ausgaben sprechen werde, so begnüge ich mich hier mit der bloßen Erwähnung.

Zur Besetzung aller dieser Finanzämter sind mehr Ehrenmänner erforderlich, als der Staat gewöhnlich hervorbringt. Zu glauben, die Welt sei von Bösewichtern bevölkert, heißt denken wie ein Menschenfeind. Sich einbilden, alle zweibeinigen Wesen ohne Federn seien Ehrenmänner, heißt sich wie ein Dummkopf täuschen. Ein Herrscher muß so viel Menschenkenntnis besitzen, um wenigstens an die Spitze der Provinzen ehrliche Männer zu stellen. Da ihre Zahl klein ist, so findet man sie leichter. Ich habe alte ausgediente Offiziere zu Präsidenten gemacht, und ich bin mit ihnen besser gefahren als mit den in der Beamtenlaufbahn Emporgekommenen. Die Offiziere verstehen zu gehorchen und sich Gehorsam zu verschaffen, und wenn man ihnen irgend etwas zur Prüfung übergibt, führen sie es selber aus und mit größerer Zuverlässigkeit als die anderen. Aber damit ist nicht gesagt, daß jeder Offizier sich schlechthin für diese Ämter eignet. Der Herrscher kann unmöglich alle kennen, die man ihm zu Domänenräten vorschlägt. Er muß sich auf die verlassen, die sie vorschlagen, und alle fortjagen, die der Untreue überführt sind. Bei Gelegenheit kann er solche Posten auch Offizieren geben, die von der Pike auf gedient haben, aber kränklich sind.

Was das Generaldirektorium betrifft, so ist es besser, daß Leute von Verstand, wenn auch von zweifelhafter Redlichkeit, darin sitzen als dumme, aber ehrliche Leute. Sobald der Herrscher sie kennt, kann er sie im Zaum halten und sie zur Rechtschaffenheit zwingen. Sind sie aber einfältig, so kann er mit ihnen nichts anfangen. Auch das ist zu beachten, daß man die Ämter mit den richtigen Leuten besetzt und einen jeden nach seinen Talenten verwendet: den Kenner der Landwirtschaft für Pachtsachen, den Mann der Ordnung für die Einrichtung der großen Kassen, den Gewerbekundigen bei der Errichtung der Manufakturen usw.

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Die zahlreichen Provinzen, aus denen der Staat besieht, erstrecken sich der Länge nach über mehr als halb Europa. Da sie unter verschiedenen Himmelsstrichen liegen und ihre Lage Handel, Sitten und Gebräuche bedingt, so wäre es unmöglich, sie bis ins einzelne nach gleichen Grundsätzen zu regieren.

Ostpreußen bringt eigentlich nur Getreide und Flachs hervor; die Krone besitzt hier eine große Anzahl von Pachtämtern. Da aber das rauhe Klima und die Überschwemmungen, denen die Provinz ausgesetzt ist, die Ernten oft vernichten, so muß man unaufhörlich in den Säckel greifen, um den Schaden zu vergüten. Die Provinz ist fast ohne jede Industrie und hätte viele gute Manufakturen nötig.

Die Kurmark, Pommern, Magdeburg und Halbersiadt haben beinahe die gleichen Erzeugnisse und die gleiche Industrie. Diese Provinzen und mit ihnen Schlesien sind stets das Hauptfeld meiner Tätigkeit gewesen, und zwar aus folgendem Grunde: Sie bilden ein zusammenhängendes Gebiet, sind das Herz des Staates und lassen sich militärisch behaupten, während die anderen Provinzen entfernt liegen und in bestimmten Fällen nicht verteidigt werden können. Pommern und die Kurmark verkaufen Holz, Getreide, Tuche und alle Sorten Wollenstoffe ans Ausland. Da ich aber weiterhin von den getroffenen und noch zu treffenden Maßnahmen zu sprechen beabsichtige, so sage ich hier nichts mehr.

Schlesien hat ganz abweichende Einrichtungen. Die Krone besitzt dort nur wenig Pachtämter. Die Kontributionen sind auf einem anderen Fuße geregelt. Geistlichkeit und Adel bezahlen hier im Verhältnis viel mehr als in irgendeiner anderen Provinz, und der Bauer weniger. Aus politischen Rücksichten ist der Bauer geschont worden, weil er die große Masse ausmacht, aber der Adel ist belastet, um sich bestimmte Magnaten vom Halse zu schaffen, die dem Hause Österreich anhingen. Sie haben ihre Güter in Schlesien denn auch größtenteils vertauft. Der Leinen- und Tuchhandel dieser schönen Provinz verdient Ermutigung durch die Herrscher. Die Leinwand bringt Schlesien fast ebensoviel ein wie Peru dem König von Spanien. Ich möchte der Nachwelt raten, nicht ohne triftige Gründe an die von mir in Schlesien getroffenen Einrichtungen zu rühren.

Eleve hat keinerlei Ähnlichkeit weder mit Schlesien noch mit der Kurmark, noch mit Ostpreußen. Die Bevölkerung ist sehr träge. Da das Holz dort selten wird, findet man schöne Kulturen. Fremde, die sich während meiner Regierung im Clevischen niederließen, haben gute Manufakturen eingeführt. Die Bauernhöfe liegen alle zerstreut und bilden nicht Dörfer wie hier und im Reich. Das Fürstentum Minden ähnelt den hiesigen Provinzen mehr. Die Gebräuche sind fast die gleichen. Die Leinenmanufakturen blühen, sind aber viel unbedeutender als in Schlesien. Die Herrschaft Emden ernährt sich allein von ihrem Vieh und bezieht viel Geld aus dem Ausland durch den Verkauf von Pferden, Kühen, Milch, Käse und Ziegeln, die nach dem ganzen Norden gehen.

Auf Grund eingehender Kenntnis aller dieser Gebiete ist für jede Provinz die Instruktion für den Präsidenten und für die Domänenkammer verfaßt. Alle nach den<128> gleichen Gesetzen regieren wollen, hieße die Provinzen mutwillig verderben. Daher möchte ich der Nachwelt raten, an den bestehenden Grundsätzen nichts zu ändern, ohne sie genau zu prüfen und die aus veränderten Maßnahmen sich ergebenden Nachteile zu bedenken. Jedoch ist es gut, die Instruktionen von Zeit zu Zeit zu revidieren und sie beim Wechsel der Konjunkturen zu erneuern, sei es, daß Mißwirtschaft unsere Nachbarn zugrunde richtet, sei es, daß durch Nachlässigkeit der Präsidenten die Industrie bei uns zurückgeht oder daß man irgendwelche neuen Einrichtungen plant. Die Instruktionen sind also der Zeit und den Umständen anzupassen, die Mittel zur Heilung der Schäden der betreffenden Provinz anzugeben oder die Wege vorzuschreiben, wie aus dem Verfall der Nachbarmächte Vorteil zu ziehen ist. Bei solchen Anlässen halte ich eine Änderung der Instruktionen für sehr nützlich. Aber man soll nicht an den Grundsätzen der Regierung rütteln, durch die wir Ordnung und Wohlstand aufrechterhalten.

Ausgaben

Die festen Einnahmen des Staates belaufen sich auf 12 150 000 Taler und 1 Million von der Münze. Davon bezahlt Schlesien 3 400 000 Taler und die anderen Provinzen 8 750 000 Taler. Der Etat setzt sich folgendermaßen zusammen. Die Kriegskasse bezahlt die Regimenter, die aus 135 600 Mann bestehen. Sie bestreitet den Unterhalt der Festungswerke, die Kosten für die Uniformen der Armee, für die Remonten der Kavallerie, für die Pulverfabrik, die jährlich 4 000 Zentner Pulver herstellt. Sie bezahlt ferner die Gehälter für die Gouverneure, Kommandanten und einige andere Offiziere. Die Pferde- und Montierungskasse wird von General Massow128-1 so trefflich verwaltet, daß sie jährlich eine Ersparnis von 150 000 Talern erzielt. Dieser Fonds beträgt infolge dessen jetzt 765 000 Taler. Das ist aber nicht genug. Man muß mit den Ersparnissen einige Jahre fortfahren, um nicht allein<129> 900 000 Taler in barem Gelde, sondern auch noch viele Vorräte, Wehrgehänge, Waffen, Zelte usw. fertig in den Zeughäusern zu haben. Davon werde ich im Abschnitt über das Heerwesen sprechen.

Die Domänenkasse zahlt jährlich 1700 000 Taler an die Kriegskasse, die ohne dies die Truppen nicht bezahlen könnte. Sie bestreitet die Iahrgehälter, die Besoldung für die Gerichte und liefert einiges Geld an den Herrscher. Nach Bezahlung aller Kosten und Bestreitung aller Ausgaben bleibt von den Domänen ein Überschuß von 1 300 000 Talern nebst einer Million von der Münze, also im ganzen 2 300 000 Taler, um die der Staatsschatz jährlich vermehrt wird. Er ist für den Fall eines Unglücks, eines Krieges oder einer öffentlichen Not bestimmt.

Der Wert unserer Einrichtungen besieht darin, daß die Kassen niemals vermengt werden. Infolgedessen leben wir nicht auf Vorschuß, sondern legen jedes Jahr zurück. Unsere Zahlungen werden nicht auf Grund liederlicher Rechnungen oder mit Papier, sondern in guter Münze geleistet, und wir ändern im Laufe des Jahres nichts an der Ordnung des zu Beginn des Rechnungsjahres festgestellten Voranschlages.

Meine Einnahmen

Da das Gehalt, das ich vom Staate beziehe129-1, für die militärischen Ausgaben, wie der hohe Sold des dritten Bataillons Garde129-2, meine Überzähligen129-3, die Uniformen und Tischgelder der Offiziere, fast ganz verbraucht wird, so habe ich meine Zuflucht zu anderen Fonds genommen, die alle zusammen beträchtliche Summen ausmachen und nicht in den Staatseinkünften einbegriffen sind. Ich habe mir 100 000 Taler aus Ostftriesland vorbehalten und die Einnahme aus den Forsten auf 180 000 Taler Überschuß gesteigert. Die Einkünfte aus der Post sind in diesem Jahre auf 110 000 Taler, mehr als sie je betrugen, gebracht worden. Die Akzisen und Zölle aus Schlesien, der außerordentliche Verkauf von Salz und das Geld aus verschiedenen Fonds, das bei der Ausgabe gespart wurde, haben die Summe von 260 000 Talern ergeben. Die ostpreußischen Häfen haben 56 000 Taler über den Etat eingebracht. Die Ersparnisse bei den Domänenkammern belaufen sich, wenn es keine Unglücksjahre gibt, in Ostpreußen auf 30 000 Taler und in Litauen auf 20 000. Fügt man zu allen diesen Einnahmen, die unter meinem Vater nur sehr gering waren, einige außerordentliche Beträge aus den Domänen, so können sie jährlich auf durchschnittlich 700 000 Taler gebracht werden. Davon habe ich für mich 120 000 Taler genommen, die ein monatliches Gehalt von 10 000 Talern ausmachen. Alles übrige<130> habe ich zum Wohle des Staates verwendet, teils für Festungsbauten, für die Artillerie, für die Remontekasse, teils für nützliche Einrichtungen im Lande. Ja, ich habe daraus sogar Zuwendungen an den Staatsschatz gemacht, zur Abrundung seines Bestandes und zum Ersatz für schlechte Münzen.

Die Landschaft

Die „Landschaft“ ist die Gesamtheit der Ritterschaft130-1. Sie erhielt als Sicherheit für ihre Geldvorschüsse an die alten Kurfürsten die sogenannte Ziese, eine Auflage auf das Bier, nebst einigen anderen ähnlichen Fonds, die sie selbst verwaltet und zu ziemlicher Bedeutung gebracht hat. Während des Krieges von 1744 nahm ich meine Zuflucht zum Kredit dieser Körperschaft, und ich hatte allen Anlaß, den Eifer und die Anhänglichkeit des würdigen Adels zu rühmen. Er gab mir die Mittel zur Weiterführung des Krieges. Ohne ihn war ich bei dem völligen Mangel an Geld und bei der Unmöglichkeit, anderswo Hilfsquellen zu finden, verloren.

Die Schulden der „Landschaft“ an Privatleute belaufen sich alles in allem auf fünf Millionen Taler. Nach meiner Ansicht darf man diese Schuld nicht abtragen. Sonst wüßten die Privatleute nicht, wo sie ihre Kapitalien anlegen sollen, und gingen mit ihrem Vermögen, mit dem sie bei uns nichts anfangen könnten, ins Ausland. Ich würde aber auch nicht zur Vermehrung dieser Schuld raten; denn die Kasse des Herrschers würde durch die dann zu zahlenden Zinsen überlastet. Außerdem muß man bei allen Kreditfragen eine gewisse Mittelstraße innehalten; verläßt man sie, so entsteht Unordnung. Bis jetzt zahlt die „Landschaft“ pünktlich die Zinsen ihrer Schulden und erstattet die Kapitalien bei Verfall der Verschreibungen zurück. Stiege die von ihr zu entrichtende Summe also beträchtlich, wie könnte sie dann die Menge der Kapitalien auszahlen, die sie auf einmal zu erstatten hätte? Und käme sie ihren Verpflichtungen nicht nach, wo bliebe ihr Kredit? Immerhin könnte man im Falle der Not, wie in einem Kriege, bis zu zwei Millionen bei ihr aufnehmen, müßte die Summe aber nach Friedensschluß sofort zurückzahlen.

Dieser würdige und treue Adel, der bei allen Gelegenheiten Beweise seiner Anhänglichkeit an die Regierung gegeben hat, verdient mit besonderer Auszeichnung behandelt zu werden. Deshalb muß ihm die freie Wahl seines Direktors überlassen bleiben. Da der Direktor jederzeit den Charakter eines Staatsministers gehabt hat, ist es Sache des Herrschers, ihm nach der Wahl diesen Titel zu verleihen. Er darf sich aber nicht in die Verwaltung der an die „Landschaft“ verpfändeten Fonds mischen; denn seit die sächsische Regierung an die Verwaltung der Steuerkasse gerührt hat, haben solche Verschreibungen ihren Kredit verloren.

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Begonnene Maßnahmen

Ich habe es für meine Pflicht gehalten, auf jede Weise für das Wohl des Staates zu sorgen. Der Dreißigjährige Krieg, dieses entsetzliche Unglück, hatte die ganze Mark, Pommern und Magdeburg verheert. Die drei Provinzen waren so völlig zugrunde gerichtet, daß drei Regierungen, von denen zwei ganz im Frieden verliefen, sie nicht wieder auf die alte Höhe zu bringen vermochten. Infolge so vieler Not waren die Provinzen im Jahre 1740 noch weit von dem Zustande eines wohlgeordneten und blühenden Landes entfernt. Nach dem Frieden nahm ich mir vor, alle verschiedenen Zweige der Verwaltung durchzugehen, um herauszufinden, durch welche Maßnahmen man den Provinzen aufhelfen und sie so glücklich machen könnte, als ihre Lage und das Los der Menschen es erlaubt. Zu diesem Zweck habe ich für jeden einzelnen Zweig das Folgende kurz entworfen.

Urbarmachung

Längs der Oder und der Netze, einem kleinen Fluß in der Neumark, zog sich ein Streifen unangebauten, wilden und unzugänglichen Sumpflandes. Ich begann damit, die Sümpfe von Damm bei Stettin zu entwässern. Durch einen Deich wurde die Oder eingedämmt und das neue Land an die Erbauer der dort angelegten Dörfer verteilt. Dieses Werk wird im nächsten Jahre vollendet und das Land mit ungefähr 4 000 Seelen besiedelt sein. Zwischen Freienwalde und Küsirin überschwemmte die<132> Oder die schönsten Wiesen und setzte unaufhörlich ein herrliches Gebiet unter Wasser, das dadurch unbrauchbar wurde. Zunächst erhielt die Oder ein neues Bett durch einen Kanal, der die Windungen abschneidet und die Schiffahrt um vier Meilen verkürzt. Der Kanal wird im kommenden Jahre fertig. Durch die Eindämmung des Flusses wird ein Gebiet gewonnen, wo 6 000 Seelen ihre Nahrung, Ackerland und Viehweiden finden. Wenn ich am Leben bleibe, wird die ganze Besiedelung im Jahre 1756 beendet sein. Die Netzesümpfe sind ebenfalls ausgetrocknet und mit Polen bevölkert, die sich auf eigene Kosten angesiedelt haben. Ferner habe ich alles Brachland der Kurmark urbar machen lassen und dort zwölf neue Dörfer errichtet. Ebenso zeigte es sich, daß die Städte in Pommern viel mehr Land besaßen, als sie anbauen konnten. Überall sind Dörfer angelegt worden, die in der Mehrzahl bereits fertig sind. In der Priegnitz besaßen die Edelleute ausgedehnte Ländereien, die sie nicht bewirtschaften konnten. Die Notwendigkeit ihrer Besiedelung wurde ihnen nachgewiesen, und in diesem Jahre erbauen sie dort acht neue Dörfer und im kommenden Jahre zwölf weitere. Im Halberstädtischen sind fünf Dörfer angelegt worden. Wenn ich alles seit dem Jahre 1746 zusammenzähle, bin ich jetzt beim 122. Dorfe angelangt.

Fertige Kanäle

Zur Abkürzung der Schiffahrt und zur Verbindung der großen Flüsse, der Oder, Havel und Spree, sind drei Kanäle gebaut, nämlich der Mietzelkanal, der den Holztransport aus der Neumark erleichtert, der Finowkanal, der die Oder mit der Havel verbindet, und der Plauensche Kanal, der das Dreieck bei Havelberg abschneidet. Der Plauensche Kanal beginnt bei Plauen und verbindet Havel und Elbe. Er erleichtert den Handel von Magdeburg nach Berlin und spart wenigstens acht Tage Schiffahrt für das Salz. Es geht jetzt auf dem Plauenschen Kanal nach Ostpreußen, Pommern und Schlesien, wahrend es früher über den Friedrich-Wilhelms-Kanal nach Frankfurt geschafft wurde. Das für Pommern und Preußen bestimmte Salz geht durch den Finowkanal in die Oder und von da an seinen Bestimmungsort. Umgekehrt wandert das Holz aus der Neumark, das in den Wäldern verfaulte, von der Mietzel durch die Oder, den Finowkanal, die Havel und Planen nach der Elbe, schwimmt von da die Saale hinauf und findet in Halle in den Salzsiedereien Verwendung. Seit der Anlage dieser Kanäle hat Stettin seinen Handel mit Leder aus Rußland beträchtlich vermehrt. Das Leder geht nach Magdeburg und verbreitet sich von da aus über das ganze Reich.

Seidenbau

Der Große Kurfürst hat auf fast allen Kirchhöfen der Mark eine große Anzahl von Maulbeerbäumen pflanzen lassen. Sie haben die Winter von 1709 und von 1740 überstanden, und einige Privatleute haben Seide hergestellt. Daraus ergab sich leicht,<133> daß der Frost die Maulbeerbäume keineswegs vernichtet, und daß, was einzelne Privatpersonen im kleinen ausführten, im großen gelingen kann. Daraufhin sind Maulbeerbäume angepflanzt worden. Alle Gemeinden wurden dazu angehalten, und die Amtmänner wurden bei Erneuerung ihres Pachtkontraktes verpflichtet, eine bestimmte Anzahl zu pflanzen. Jetzt gibt es im Lande über 400 000 große und kleine Maulbeerbäume, außer denen, die noch gepflanzt werden. Anstatt 200 Pfund Seide, die früher gewonnen wurden, stellen wir jetzt 2 000 Pfund her, und das muß noch beträchtlich zunehmen. Aus den Akziselisten ergibt sich, daß alle Provinzen jährlich für mehr als 400 000 Taler Seide verbrauchen. Wenn wir also 40- oder 50 000 Pfund Seide gewinnen, wird der Staat jährlich um 250 000 Taler reicher, und ohne neue Erwerbungen, allein durch eine bisher nicht gebräuchliche Industrie, erhöhen die Privatleute ihren Wohlstand. Zur Ermunterung dieser schwachen Anfänge lasse ich die bei uns erzeugte Seide ebenso teuer bezahlen wie die italienische, gebe den Landpfarrern, die am meisten Seide hergestellt haben, Prämien und denen, die Maulbeerbäume anpflanzen, Vergünstigungen.

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Seidenmanufakturen

Damit alles planvoll zum Ausschwung des Landes beiträgt, habe ich zugleich mit der Einführung des Seidenbaues Stoff- und Sammetmanufakturen eingerichtet. Die Ansiedlung der Arbeiter hat mir große Ausgaben verursacht. Um sie mit der Zeit zu vermindern und die fremde Kunstfertigkeit einzubürgern, halte ich den Arbeitern vierzig Lehrlinge auf meine Kosten und ersetze sie durch andere, sobald sie Meister werden. Wir haben gegenwärtig 500 Seidenwebstühle in Berlin und in Potsdam. Das ist aber erst ein schwacher Anfang.

Wollmanufakturen

Die Wollmanufakturen sind für Preußen die natürlichsten, well der Rohstoff zu den Hauptprodukten des Landes zählt. Mein Vater hatte das Lagerhaus eingerichtet, das großen Aufschwung nahm, seitdem dort Tuche wie die Aachener hergestellt wurden. Durch die Anfertigung solcher feinen Stoffe ist die nützliche Manufaktur um 300 Webstühle vergrößert worden. Ein Kaufmann Wegeli hatte schon zur Zeit meines Vaters eine bedeutende Manufaktur für Etamin, Serge und kleine Zeuge begründet. Seither hat er sie ums Doppelte vergrößert, und viele andere Kaufleute haben ähnliche Manufakturen errichtet. Seit kurzer Zeit wird viel Baumwollenzeug in Berlin angefertigt, und alle Jahre sehen wir neue Fortschritte in dieser Industrie. Zur Erleichterung für die Tuchmacher in den kleinen Städten, die alle arm sind und keine Auslagen machen können, habe ich einige Wollmagazine auf dem stachen Lande geschaffen, aus denen ihnen der Rohstoff auf Kredit geliefert wird. Sie bezahlen ihn erst, wenn die von ihnen hergestellten Tuche verkauft sind. Die Methode der Wollmagazine für die kleinen Arbeiter und der Seidenmagazine für die Seidenweber ist sehr gut und fast die einzige, mit der man solche Manufakturen in die Höhe bringen kann. Aus den Akziselisten habe ich ersehen, daß uns Wattearbeiter fehlen. Gegenwärtig bin ich damit beschäftigt, eine Wattemanufaktur in Brandenburg einzurichten. Dabei ist zu beobachten: will man irgendeine Manufaktur anlegen, die Bestand haben soll, so muß vor allem ein Kaufmann ausfindig gemacht werden, der sie übernimmt; denn der Fabrikant kann nicht arbeiten und zugleich seine Ware verkaufen. Ferner richtet der kaufmännische Unternehmer das Augenmerk darauf, daß der fertige Stoff den Vorschriften entspricht, was den Absatz erleichtert. Nichts schädigt den Handel so sehr wie der Mangel an Reellität, falsches Ellenmaß und dergleichen Schwindeleien. Um möglichst zu verhüten, daß die Arbeiter das Publikum und das Ausland betrügen, gibt es im ganzen Lande Fabrikinspektoren, die die Waren prüfen und alles Minderwertige unerbittlich zurückweisen. Diese Aufsicht ist von großer Bedeutung, zumal für den Absatz nach dem Ausland.

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Wollspinnerei

Bei Prüfung der Lage der Wollmanufakturen habe ich in Erfahrung gebracht, daß die Unternehmer allgemein über Mangel an Spinnern klagten. Um dem abzuhelfen, lassen sie in Sachsen für sich arbeiten, sodaß alle Jahre eine große Masse Spinnwolle aus Sachsen ins Land kommt. Um gründlich zu verfahren, stellte ich Ermittelungen über diese Verhältnisse und über die Zahl der Wollspinner an, die bei uns leben könnten. Alles in allem ergab sich eine Zahl von 60 000 Seelen. Ich war über diese Entdeckung erfreut. Hier bot sich ein Mittel zur Bevölkerung des Landes. Sofort traf ich Maßnahmen, um Wollspinner zu bekommen und anzusiedeln. Sollen sie ihr Auskommen haben, so müssen sie ein Haus, ein Gärtchen und genug Weideland besitzen, um zwei Kühe zu halten. Ich habe Kolonisten aus Sachsen, aus Polen und selbst aus Mecklenburg herangezogen, habe sie angesiedelt bei Potsdam und Köpenick, in der Neumark, in Pommern, bei Oranienburg und mit Hilfe der Amtleute in vielen Dörfern. Alles, was ich tun kann, ist, jährlich 1 000 Familien anzusiedeln. Die Familie zu fünf Köpfen gerechnet, sind zwölf Jahre erforderlich, um die Zahl von 60 000 zu erreichen. Sobald solche Arbeiter angesiedelt sind, kommt es zuerst darauf an, sie mit einem Kaufmann in Verbindung zu bringen, der ihnen ständige Arbeit verschafft.

Ebenso habe ich gefunden, daß es an Maurergesellen und Zimmerleuten fehlte. Zu dem Zweck habe ich 40 Familien hier in Potsdam und 20 bei Berlin angesiedelt. Im Magdeburgischen mußten die Edelleute und Amtmänner sich aus Mangel an Einwohnern mit Thüringern behelfen. Sie kamen alle Jahre, besorgten die Ernten und kehrten mit unserem Gelde in ihre Heimat zurück. Um diesem Mißstand abzuhelfen, habe ich in den magdeburgischen Dörfern 600 Familien angesiedelt, die jetzt für die Ernte genügen.

Die Emdener Kompagnie

Nach dem Frieden von 1746 baten mich viele Kaufleute um Bewilligung eines Privilegs für eine Orientkompagnie, die sie in Emden zu gründen beabsichtigten. Schließlich gewährte ich es ihnen:

1. Weil das den Privatleuten die Möglichkeit verschafft, ihre Kapitalien mit 20, ja selbst mit 50 Prozent Gewinn anzulegen.

2. Weil infolge dieses Handels die Pfandbriefe der Kompagnie, sobald sie in Umlauf kommen, die Zahlungsmittel verdoppeln.

3. Weil es ein Zweig des holländischen Handels ist, den wir damit an uns reißen.

4. Well wir durch die Kompagnie alle indischen Waren, die wir jetzt aus zweiter Hand kaufen, billiger bekommen können.

5. Weil die Unternehmungen unserer Kaufleute bei Verbindung des Emdener und Stettiner Handels viel bedeutender werden und Stettin einen Teil des Hamburger Handels in Polen, Böhmen und Mähren in seine Hand bekommen kann.

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Zur Erleichterung des Stettiner Handels habe ich mit den Arbeiten für einen Hafen bei Swinemünde begonnen. Das war unumgänglich nötig; denn bisher haben die Kaufleute große Verluste erlitten, da ihre Schiffe nicht sicher überwintern konnten.

Das sind ungefähr die Dinge, an die ich auf verschiedenen Gebieten die erste Hand gelegt habe. Aber man glaube nicht, damit sei alles vollendet. Ich habe einen beschwerlichen Krieg hinter mir. Ich habe die Staatseinkünfte für die dringendsten Bedürfnisse verwenden müssen. Die Armee mußte auf den alten Stand gebracht, Festungen gebaut, der Staatsschatz gefüllt, die Artillerie vermehrt und mit allem versehen werden (was viele Einzelheiten erfordert). Außerdem waren die englischen Schulden zu bezahlen136-1. Für diese verschiedenen Ausgaben konnte ich nur meine kleinen Ersparnisse verwenden. Da das Leben kurz und meine Gesundheit schlecht ist, so nehme ich nicht an, daß ich irgendeinen meiner Pläne zur Verwirklichung bringen kann. Aber ich muß der Nachwelt Rechenschaft davon ablegen, well ich alle diese verschiedenen Gegenstände habe prüfen lassen und weU ich jetzt genug darüber weiß, um die Mittel und Wege anzugeben, wie sich Preußen zu einem der volkreichsten und blühendsten Staaten Europas machen läßt.

Was noch zu tun bleibt

Urbarmachung des Landes

Pommern ist als halb unbebautes Land zu betrachten. In Vor- und Hinterpommern bleibt noch eine große Zahl von Sümpfen auszutrocknen, wo man hunderttausend Seelen ansiedeln kann. Zunächst am Madü-See und an den Oderbrüchen. Im Besitz des Adels befinden sich noch so viele Morgen Brachland, daß sich hundert Dörfer anlegen ließen. Selbst im Umkreis der Städte könnte man noch viel mehr Menschen ansiedeln, als heute dort leben. Aufgabe des Herrschers ist es, Urbarmachungen auf den Krongütern zu veranlassen. Er kann die Edelleute zu solchen Unternehmungen anspornen, indem er Sachkundige zu ihnen schickt, die den Plan dazu entwerfen und ihnen den Vorteil vorrechnen. Die Städte haben mit diesen neuen Maßnahmen den Anfang gemacht, bedürfen aber auch fernerhin der Ermutigung, in ihrem Werke fortzufahren. Auf allen königlichen Pachtgütern müssen die Pächter sich bei Erneuerung des Kontraktes verpflichten, anstatt der Erhöhung des Pachtzinses eine bestimmte Zahl von Halbbauern, sogenannte Häusler, anzusetzen.

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In der Neumark eignen sich die Warthebrüche und ganz dicht bei Küstrin nach Sonnenberg zu ein prachtvolles Gebiet zum Urbarmachen, wo man über 1200 Familien ansiedeln kann. Das gleiche wie für die pommerschen Edelleute gilt für die Neumark. Sie kann noch viel stärker bevölkert werden.

Unter den genannten Provinzen kenne ich die Altmark am wenigsten, weiß aber, daß es in den großen Forsten bei Gardelegen noch Sümpfe zu entwässern gibt. In der Mittelmark wird man keine Dörfer anlegen können, ohne Vorwerke zu opfern und Bauern dafür hinzusetzen; es bringt zwar weniger ein, verdient aber bei alledem den Vorzug. Das Magdeburger und Halbersiädter Gebiet ist so stark bevölkert, daß meiner Ansicht nach auf dem platten Lande nicht mehr viel zu tun ist. Aber in Pommern, in der Neu- und der Altmark können die Schafherden noch bedeutend vermehrt werden, sowohl die des Adels wie die der Städte, besonders in der Gegend von Stolp, Körlin, Köslin und in der Neumark nach Landsberg und der polnischen Grenze zu. Was die Städte betrifft, so sollten alle Häuser massiv gebaut werden, sowohl der Holzersparnis wegen wie zur Verringerung der Feuersgefahr. Überdies ist ja auch nur der Stein dauerhaft.

Kanäle

Man hat mir vorgeschlagen, in Pommern die Rega, in Ostpreußen die Angerapp schiffbar zu machen und in Schlesien die Oder zwischen Breslau und Glogau einzudämmen und ihr einen geraden Lauf zu geben. Da ich aber keine Mittel hatte, war ich genötigt, diese Entwürfe liegen zu lassen. Vor ihrer Ausführung muß reiflich geprüft werden, ob die Sache möglich ist, ob das Land großen Vorteil davon hat und ob das Geld nicht mit Verlust angelegt wird.

Seidenbau

Der Seidenbau liegt noch in der Wiege. In sechs Jahren, wenn die Bäume kräftig genug sein werden, daß man ihre Blätter pflücken kann, muß eine hinreichende Masse von Eiern der Seidenraupe beschafft werden, um sie dem Publikum ausgiebig liefern zu können. Dann müssen auch Vorschriften, wie man die Seidenwürmer zieht und Seide, Organsin, Tramseide, Florettseide usw. herstellt, gedruckt und eine Art Lehranstalt muß eingerichtet werden, wo die Mägde und Landleute lernen können, wie und wann man die Würmer ausschlüpfen läßt, wie man sie ernährt und wie man die Kokons abhaspelt. Ein Prediger in Berlin137-1 hat eine Lehransialt gegründet, die sogenannte Realschule, wo er alle Lehrer in der Herstellung der Seide unterrichtet. Er braucht sie nur später als Küster auf die Dörfer zu schicken, und der Adel und die Amtleute der Umgegend werden von ihnen lernen, wie man diesen nützlichen Gewerbs<138>zweig fördert. In unserem kalten Klima besieht die große Kunst darin, daß man die Raupen weder zu früh noch alle auf einmal ausschlüpfen läßt und ihnen keine taufeuchten Blätter gibt, da sie davon sofort wassersüchtig werden.

Seidenmanufakturen

Zur Förderung der Seidenmanufalturen müssen nicht allein die im Lande Herzgestellten Stoffe freie Ausfuhr haben, sondern man muß auch (wie es in England geschieht) den Kaufleuten, die sie im Ausland absetzen, bestimmte Prämien bewilligen. Da wir bei weitem nicht so viel Webstühle besitzen, wie nötig sind, so wird der Herrscher die Seidenmanufaktur nur dann zur Blüte bringen, wenn er den Kaufleuten, die sich damit befassen, große Summen verabfolgt, sollte diese Ausgabe auch jährlich bis auf 100 000 Taler gehen. Ferner wird es nötig sein, die Zahl der auf Kosten des Herrschers unterhaltenen Lehrlinge einige Jahre lang auf 200 bis 300 zu erhöhen. Dann werden wir im ganzen 2 000 Webstühle aufstellen können. Ich habe ferner in Berlin ein großes Seidenmagazin errichtet, dessen Fonds ich bis auf 100 000 Taler zu vermehren hoffe, sodaß unsere Arbeiter, wenn die Seide teurer wird, zum selben Preise arbeiten, ja denen in Leipzig, Hamburg und sogar in Holland den Rang ablaufen können.

Wollmanufakturen

Ich glaube, an den Wollmanufakturen gibt es fast nichts mehr zu verbessern, und es handelt sich nur darum, sie auch fernerhin zu ermutigen und noch eine größere Anzahl in Ostpreußen einzurichten.

Spinner

Ich habe oben gesagt, daß unsere Manufakturen 60000 Spinner unterhalten können. Die müssen wir kommen lassen. Die Ansiedlung einer Familie kostet 60 Taler. Bei einer jährlichen Ausgabe von 60 000 Talern können 1 000 Familien angesiedelt werden. Also würde in zwölf Jahren nichts mehr an jener Zahl fehlen. Die Neu-, Mittel- und Altmark und Pommern haben unangebaute Stellen genug, um sie dort unterzubringen.

Fehlende Manufakturen

Dieser Artikel ist umfangreicher, als man denkt. Die Messer- und Scherenfabrik in Neustadt ist nicht so ausgedehnt, wie sie sein könnte, und verdient, um das Dreifache vergrößert zu werden. Wenigstens 200 Webstühle für Watte sind im Lande nötig. Wir haben keine Nähnadeln. Sie können bei uns ebensogut hergestellt werden wie in Aachen, und eine solche Manufaktur kann vielen Menschen Unterhalt verschaffen. Uns fehlt gutes Papier. Eine große Papiermühle kann in Pommern ein<139>gerichtet werden, bei einem kleinen Bach, der sich in Hinterpommern in die Oder ergießt und genug Gefälle besitzt, um die Räder zu treiben. Von den Friesen können Lumpen aller Art gekauft werden, die sie jetzt an die Holländer verkaufen und die sich über Stettin wohlfeil zur Papiermühle schassen ließen. Die Baumwollenmanufakturen können beträchtlich vermehrt werden, ebenso die Manufakturen für grobes Leinen auf dem platten Lande. Zahlreiche Manufakturen können eingerichtet werden für seidene Taschentücher, für Bänder, die in Mühlen hergestellt werden, für russisches Leder, für Leder aus England, aus dem man Schuhsohlen macht. Die Knopft- und Handschuhmacher können vermehrt werden, indem man ihnen durch die Frankfurter Messe den Absatz nach Polen verschafft, den gegenwärtig die Hamburger haben. Man kann die Druckereien fördern, was einen beträchtlichen Posten ausmacht, sowohl durch den Papieroerbrauch wie durch einen Gewerbszweig, an den der Norden noch nicht gedacht hat: ich meine den Nachdruck. Mit einem einzigen Exemplar, das der Buchhändler kauft und von neuem druckt, erspart er es den Mitbürgern, ihr Geld ins Ausland zu schicken; denn sie können das Buch im Lande bekommen. So werden alle guten Bücher, die irgendwo gedruckt werden, zu Manuskripten für unsere Buchhändler. Aber das alles erfordert Vorschüsse von seilen der Regierung, und das hat mich bisher verhindert, es so energisch zu betreiben, wie ich gewünscht hätte.

Getreidemagazine

Wir haben zwei Sorten Getreidemagazine. Die einen sind für die Armee; davon werde ich später sprechen139-1. Der Zweck der anderen ist, das Gleichgewicht zwischen den Städten und dem stachen Lande zu erhalten, in den Städten zu verkaufen, wenn das Korn zu teuer ist, und auf dem Lande einzukaufen, wenn der Preis dafür zu niedrig sieht. Sie dienen auch zu Vorschüssen an die Edelleute und Bauern, die irgendwelche Not erlitten haben und zugrunde gerichtet wären, wenn man ihnen nicht auf diese Weise umgehend Erleichterung schaffte. Die für das Land besiimmten Getreidemagazine enthalten jetzt 8 000 Wispel Korn. Als Regel gilt, daß das Korn in Berlin nicht über einen Taler steigen und auf dem Lande nicht unter den von der Kammer angesetzten Preis sinken darf. Dieser Preis beträgt in der Kurmark 16, in der Neumark und bei Stettin 14 und in Ostpreußen und Lauenburg 12 Groschen.

Regeln für Handel und Manufakturen

Beim Handel und bei den Manufakturen muß grundsätzlich verhindert werden, daß das Geld außer Landes geht, dagegen bewirkt werden, daß es ins Land kommt. Das Hinausgehen des Geldes wird verhindert, indem man alles im Lande herstellt,<140> was man früher von auswärts bezog. Das ergibt sich aus den Akziselisten, die alle hereinkommenden und im Staate Absatz findenden Waren vermerken. Nach diesen Listen läßt sich leicht beurteilen, welche Fabriken vermehrt und welche neuen eingeführt werden können. Zweitens verhindert man ein Hinausstießen des Geldes in dem Maße, als es sonst der Fall wäre, indem man sich alle unentbehrlichen Dinge am Ursprungsorte holt und den Handel selbst in die Hand nimmt. Das hat zur Folge, daß die Ware, die beim Einkauf in Hamburg mit einem Taler bezahlt wird, nur noch einen Gulden kostet, wenn man sie aus Spanien bezieht. Durch solche Herabminderung des Preises ergibt sich ein beträchtlicher Gewinn, ganz abgesehen von dem Gewinn, den die Kaufleute des eigenen Landes erzielen und der einen ebenso großen Verlust für die Hamburger und Holländer bedeutet. Durch die Manufakturen kommt natürlich viel bares Geld ins Land. Sie können uns aber wegen der Nachbarschaft von Polen und Rußland noch viel mehr einbringen; denn diese Länder haben keine eigene Industrie und sind somit gezwungen, die Industrie ihrer Nachbarn zu bezahlen. Aus diesen Gründen muß der Herrscher die Fabrikanten und Kaufleute ermutigen, sei es durch Bewilligung jeder Art von Privilegien und Steuerfreiheiten, sei es durch Unterstützung mit Geld, damit sie zu großen Unternehmungen imstande sind. Ferner muß er ein Auge auf die Juden haben, ihre Einmischung in den Großhandel verhüten, das Wachstum ihrer Volkszahl verhindern und ihnen bei jeder Unehrlichkeit, die sie begehen, ihr Asylrecht nehmen. Denn nichts ist für den Handel der Kaufleute schädlicher als der unerlaubte Profit, den die Juden machen. Ich habe ferner eingeführt, daß allen Kaufleuten die Listen über den Warenimport gezeigt werden, damit sie ihren Handel leichter ausdehnen und sich ein Bild machen können, in welcher Richtung und wodurch er sich vermehren läßt. Vom Emdener und Stettiner Handel war bereits die Rede140-1. Ich brauche das dort Gesagte hier also nicht zu wiederholen. Das Projekt kann sehr bedeutend werden, wenn es sich verwirklichen läßt. Ich werde seine Vollendung niemals erleben, wohl aber die Nachwelt, wenn sie den gleichen Plan befolgt und die geeigneten Mittel zu seiner Ausführung findet.

Ermäßigung einiger Auflagen

Ich rate den künftigen Herrschern nicht, irgendeine Aussage zu erhöhen, wohl aber zwei zu erniedrigen, bei denen mein Herz blutet, wenn ich daran denke. Die eine wird vom stachen Lande erhoben und heißt Reiterverpflegung (Kavalleriegeld)140-2. Bei ihrer Abschaffung würde es sich um jährlich 150 000 Taler handeln. Das würde viel zur Erleichterung der Landbevölkerung beitragen, ein Werk, das eines guten Fürsten würdig ist. Die andere ist das „Servis“, das die Städte bezahlen140-3. Pommern,<141> Magdeburg und besonders Schlesien werden dadurch übermäßig belastet. Auch hier würde es sich um 150 000 Taler handeln, die den Städten zugute kämen. Das Servis ist eine Auflage, die die Bürger drückt und das Aufblühen vieler kleiner Städte tatsächlich verhindert.

Wer dies liest, wird zweifellos sagen: Es ist sonderbar von ihm, seinen Nachfolgern Ratschläge zu erteilen, wenn er sie selber zur Ausführung bringen kann. Auf diesen Einwurf antworte ich: Ich bin nicht Herr, zu tun, was mir gefallt. Ich habe einen sehr kostspieligen Krieg hinter mir. Nach dem Friedensschluß bestand die hauptsorge darin, den Staatsschatz aufzufüllen, die Armee wieder in den alten Stand zu bringen, die Festungen auszubauen, Magazine anzulegen und schließlich wieder Ord, nung in die Kassen zu bringen. Es wäre unklug, irgend etwas an dieser Methode zu ändern, bevor die Staatskassen gefüllt sind. Nach unseren Finanzeinrichtungen bleibt alle Jahre ein Überschuß von ungefähr 2 Millionen und 300 000 bis 400 000 Talern. Aber aus den angeführten Gründen habe ich nicht daran rühren können. Kommen wir jemals in die Lage, diese Auflagen herabzusetzen, so muß es geschehen, wenn man neue Einnahmen bekommt, die den Ausfall wettmachen.

Kurze Rekapitulierung

Aus allem, was ich über den Stand der Finanzen lang und breit auseinandergesetzt habe, folgt, daß der Herrscher seine Einnahmen noch beträchtlich vermehren kann, nicht durch Bedrückung seines Volkes und Auflage neuer Steuern, sondern durch Gewährung von Erleichterungen an seine Untertanen und mit Hilfe von löblichem Gewerbefleiß, durch den man sich bereichert. Bei den allgemeinen Kassen besieht die Hauptsache darin, daß die Kontribution vom Volke und die Pacht von den Pächtern pünktlich entrichtet wird, damit das Militär, die Richter, die Finanzbeamten, die Apanage des Fürstenhauses und alle Staatsausgaben regelmäßig bezahlt werden können. Die Einnahmen der verschiedenen Kassen dürfen weder vermengt noch in Unordnung gebracht, und niemals darf das ganze Jahreseinkommen verausgabt werden, damit der Überschuß und der Staatsschatz stets hinreichen, um einen Krieg wenigstens vier Jahre lang auszuhalten und allen Notlagen, in die der Staat geraten kann, gewachsen zu sein. Die Finanzbeamten müssen sorgsam ausgewählt und in militärischer Unterordnung gehalten werden. Dabei ist weniger auf Erteilung neuer Weisungen als auf sorgfältige Befolgung der bestehenden zu achten. Es gibt Verordnungen, die alle drei Jahre wiederholt werden müssen, und es gibt Fiskale, die unablässig zu ihrer Pflicht und zur Kontrolle derer anzutreiben sind, die die Verordnungen nicht beachten.

Von der Urbarmachung, vom Handel und von den Manufakturen habe ich ausreichend gesprochen. Ich habe nur noch ein Wort über die Pflichten des Herrschers hin<142>zuzufügen. Er soll das Volk lieben und bei allen Gelegenheiten, soweit es von ihm abhängt, sein Los erleichtern, indem er ihm Zahlungen erläßt oder die allzu harten Steuern mildert, indem er den Adel und seine Privilegien aufrechterhält, desgleichen die Städte, und die Domänenkammern und Fiskale bestraft, die gegen Adlige, Städte und Bauern böswillig Prozesse anstrengen. Der Herrscher soll es als seine Pflicht betrachten, den Adel zu schützen, der den schönsten Schmuck seiner Krone und den Glanz seines Heeres bildet. Darum soll er ihn nicht allein unbehelligt lassen, sondern danach trachten, seine Lage zu verbessern und, soweit es von ihm abhängt, ihn zu bereichern. Es gibt eine Art Müßiggänger und Nichtstuer, die man Projektenmacher nennt. Der Herrscher hat allen Anlaß, sich vor ihren schlechten Vorschlägen zu hüten. Sie führen zwar immerfort den Vorteil des Herrschers im Munde, aber recht besehen deckt sich dieser Vorteil mit dem Verlust und Ruin seiner Untertanen. Aus meiner Zeit kenne ich keinen Fürsten, der nicht von solchen Spitzbuben hinters Licht geführt worden ist, aber keiner so grob wie der König von Polen.

Ein Fürst, der seine Angelegenheiten in gute Ordnung gebracht hat, könnte noch allerlei schöne Einrichtungen treffen, die eines Vaters des Volkes würdig sind. Zunächst die Gründung und Sicherstellung eines Hauses für 200 Offizierswitwen; das würde 25 000 bis 30 000 Taler erfordern. Ferner in allen großen Städten die Errichtung von Ansialten zur Erziehung der Findelkinder auf Kosten des Staates. Und schließlich eine Akademie (die man in Berlin begründen könnte), um zwanzig junge Edelleute im Studium der Wissenschaften und in allen Leibesübungen heranzubilden, die sich für Leute von Stand geziemen142-1. Diese Projekte habe ich längst gefaßt, werde aber vielleicht nie das Glück haben, sie zur Ausführung zu bringen.

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Politik

Die Politik ist die Kunst, mit allen geeigneten Mitteln stets den eigenen Interessen gemäß zu handeln. Dazu muß man seine Interessen kennen, und um zu dieser Kenntnis zu gelangen, bedarf es des Studiums, geistiger Sammlung und angestrengten Fleißes. Die Politik der Herrscher zerfällt in zwei Teile. Der eine betrifft die innere Verwaltung; er umfaßt die Interessen des Staates und die Erhaltung des Regierungssystems. Der zweite Teil schließt das ganze politische System Europas in sich und verfolgt das Ziel, die Sicherheit des Staates zu befestigen und, soweit möglich (auf gewohnten und erlaubten Wegen), die Zahl der Besitzungen, die Macht und das Ansehen des Fürsten zu mehren.

Die innere Politik

Die Einrichtung der Finanzen, die ich soeben dargelegt habe, bildet einen Teil der inneren Politik. Aber das ist nicht alles. Es ist noch mancherlei zu beachten. Zunächst gilt es, den Geist der Völker, die man regieren will, zu erfassen, damit man weiß, ob sie mild oder streng regiert werden müssen, ob sie rebellisch sind, ob sie zu Unruhen, Intrigen, zur Spottlust usw. neigen, worin ihre Talente bestehen und zu welchen Ämtern sie sich am meisten eignen. Die nachfolgenden Urteile über die Völker, die ich zu regieren die Ehre habe, beziehen sich nur auf den Durchschnitt. Davon sind stets Einige auszunehmen, die edler oder lasterhafter veranlagt sind als ihre Mitbürger.

Ich habe die Erfahrung gemacht, daß die Ostpreußen feinen und gelenken Geistes sind, daß sie Geschmeidigkeit besitzen (die in Abgeschmacktheit ausartet, sobald sie nicht aus ihrer Provinz herauskommen). Man beschuldigt sie der Falschheit, aber<144> ich glaube nicht, daß sie falscher sind als andere. Viele Ostpreußen haben gedient und dienen noch mit Auszeichnung, sowohl im Heere wie in der Verwaltung. Aber ich würde wider besseres Wissen reden, wollte ich einen einzigen von denen, die ich persönlich kennen gelernt habe, der Falschheit bezichtigen144-1.

Die Pommern haben einen geraden und schlichten Sinn. Unter allen Provinzen hat Pommern die besten Untertanen für den Kriegsdienst wie für alle anderen Ämter hervorgebracht. Nur mit diplomatischen Verhandlungen möchte ich sie nicht betrauen, well ihr Freimut sich nicht für Geschäfte eignet, bei denen man der Schlauheit mit Schläue begegnen muß144-2.

Der Adel der Kurmark144-3 ist genußsüchtig. Er besitzt weder den Geist der Ostpreußen noch die Solidität der Pommern. Der magdeburgische Adel besitzt mehr Scharfsinn und hat einige große Männer hervorgebracht144-4.

Die Niederschlesier sind das, was man brave Menschen nennt, etwas beschränkt: das ist aber nur die Folge ihrer schlechten Erziehung. Sie sind eitel, lieben Luxus, Verschwendung und Titel, hassen andauernde Arbeit und den zähen Fleiß, den die militärische Zucht erfordert. Wer dem schlesischen Adel eine bessere Erziehung beibringt, wird ihn wie Prometheus mit himmlischem Feuer erfüllen. Der oberschlesische Adel besitzt die gleiche Eitelkeit, dabei mehr Geist, aber auch weniger<145> Anhänglichkeit an die preußische Regierung, da er stockkatholisch ist und die Mehrzahl seiner Verwandten unter österreichischer Herrschaft steht145-1.

Die Edelleute der Grafschaft Mark und des Mindener Landes145-2 haben dem Staate gute Untertanen geliefert. Bei ihrer etwas groben Erziehung fehlt ihnen der Schliff des Weltmanns. Aber sie haben dafür ein Talent, das höher sieht: sie machen sich dem Vaterlande nützlich.

Der Clevesche Adel ist dumm, wirr und im Rausche gezeugt. Er besitzt weder angeborene noch erworbene Talente145-3.

Im großen und ganzen stellt der Adel eine Körperschaft dar, die Achtung verdient. Besonders hebe ich den pommerschen, osipreußischen, märkischen und magdeburgischen Adel, sowie den Adel von Minden und der Grafschaft Mark hervor. Dieser würdige Adel hat Gut und Blut im Diensie des Staates geopfert. Seine Treue und seine Verdienste müssen ihm den Schutz aller Herrscher sichern. Es ist ihre Pflicht, die verarmenden Familien zu unterstützen und sie im Besitze ihrer Güter zu erhalten. Denn der Adelsstand bildet die Grundlage und die Säulen des Staates.

In Preußen sind keine Partelungen und Empörungen zu befürchten. Der Herrscher braucht nur mUde zu regieren und sich vor einigen verschuldeten oder unzufriedenen Edelleuten oder vor einigen Domherren und Mönchen in Schlesien zu hüten. Aber<146> auch die sind keine offenen Feinde: ihre Machenschaften beschränken sich auf Spionen-diensie für unsere Feinde.

Nur bei wenigen Anlässen ist Strenge geboten. Ich habe bisher das Glück gehabt, mehr über Mangel an Belohnungen für verdiente Männer als über Mangel an Gefängnissen zur Einsperrung von Missetätern klagen zu müssen. General Walrave ist der einzige, den ich in Haft setzen mußte146-1, weil er zu den Österreichern übergehen und ihnen die Pläne meiner Festungen ausliefern wollte.

Zu diesen allgemeinen und allzu unbestimmten Kenntnissen muß der Herrscher Menschenkenntnis fügen und die Leute ergründen, deren er sich bedienen will. Er muß ihre Verdienste, ihre starken und schwachen Seiten in Erfahrung bringen, um jeden seinen Fähigkeiten entsprechend zu verwenden. Herrscher, die ihre Minister und Generale allein nach ihrer äußeren Erscheinung beurteilen, übertragen die Verwaltung ihrer Finanzen einem Schurken von liebenswürdigem Äußern, eine kühne Unternehmung im Felde einem langsamen General, den sie für tatenlustig hielten, einen Auftrag, der Klugheit erheischt, einem Leichtfuß, der die Ehre genießt, ihnen Kuppeldienste zu leisten. Dadurch verderben sie alles. Nur wenige Menschen sind ohne Talent geboren. Jeden auf den rechten Platz stellen, heißt doppelten Vorteil aus allen ziehen. Dann täuscht man sich nicht und gibt dem Staatskörper erhöhte Kraft und Stärke, weil alles in seinem Dienste steht und alles nützliche Diensie zu leisten vermag.

Einige politische Maximen, den Adel betreffend

Ein Gegenstand der Politik des Königs von Preußen ist die Erhaltung seines Adels. Denn welcher Wandel auch eintreten mag, er wird vielleicht einen reicheren, aber niemals einen tapfereren noch treueren Adel bekommen. Damit der Adel sich in seinem Besitz behauptet, ist zu verhindern, daß die Bürgerlichen adlige Güter erwerben, und zu veranlassen, daß sie ihre Kapitalien im Handel anlegen, sodaß, wenn ein Edelmann seine Landgüter verkaufen muß, nur Edelleute sie erwerben.

Ebenso ist zu verhindern, daß der Adel in fremde Dienste geht. Vielmehr muß ihm patriotischer Sinn und Standesbewußtsein eingeflößt werden. Daran habe ich gearbeitet und während des Ersten Schlesischen Krieges mir alle mögliche Mühe gegeben, den gemeinschaftlichen Namen Preußen in Aufnahme zu bringen, damit die Offiziere lernen, daß sie alle, aus welcher Provinz sie auch stammen, als Preußen zu gelten haben und daß aus dem gleichen Grunde alle Provinzen, obwohl voneinander getrennt, doch nur ein einziges Staatsgebilde ausmachen.

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Es gehört sich, daß der Adel seine Dienste lieber dem Vaterlande als irgendeiner anderen Macht widmet. Aus diesem Grunde sind gegen die Edelleute, die ohne Erlaubnis in fremde Dienste gehen, strenge Verordnungen erlassen. Da aber viele Edelleute Müßiggang und schlechtes Leben dem Waffenruhm vorziehen, so sind denen, die dem Staate dienen, Auszeichnungen und Vorrechte zu verleihen; denen aber, die nicht dienen, sind sie vorzuenthalten. Von Zeit zu Zeit sind die jungen Edelleute in Pommern, Ostpreußen und Oberschlesien zu versammeln, um sie unter die Kadetten zu stecken und darauf in die Armee einzustellen.

Städte und Bürger

Ich habe den Städten in den alten Provinzen die Freiheit gelassen, ihren Magistrat zu wählen, und mich in diese Wahlen nur dann eingemischt, wenn sie Mißbrauch damit trieben und einzelne Familien zum Nachteil der anderen alle Gewalt an sich rissen. In Schlesien habe ich ihnen das Wahlrecht genommen, damit sie die Schöffenstühle nicht mit Leuten besetzen, die dem Hause Österreich ergeben sind. Mit der Zeit und sobald die gegenwärtige Generation ausgestorben ist, kann man den Schlesiern ihr Wahlrecht unbesorgt wiedergeben.

Die Bauern

Ich habe den Bauern die Frondienste erleichtert, die sie ehedem zu leisten hatten. Statt sechs Tage in der Woche, wie früher, haben sie jetzt nur drei Tage zur Frone zu arbeiten. Das hat die dem Adel gehörenden Bauern aufgebracht, und sie haben sich an vielen Orten ihren Herren widersetzt. Der Herrscher soll das Gleichgewicht zwischen Bauer und Edelmann erhalten, sodaß sie einander nicht zugrunde richten. In Schlesien, mit Ausnahme von Oberschlesien, geht es dem Bauern sehr gut. In Oberschlesien ist er ein Sklave. Man müßte ihn mit der Zeit frei zu machen suchen. Ich habe auf meinen Domänen das Beispiel gegeben und damit begonnen, ihn auf gleichen Fuß mit dem niederschlesischen Bauern zu setzen. Den Bauern ist zu verwehren, daß sie Ländereien von Adligen kaufen, und die Adligen sind am Bauernlegen zu verhindern. Denn die Bauern können nicht als Offiziere im Heere dienen, und die Adligen vermindern durch Erwerbung von Bauernland die Zahl der Einwohner und Ackerbauer.

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Die Geistlichen und die Religion

Katholiken, Lutheraner, Reformierte, Juden und zahlreiche andere christliche Sekten wohnen in Preußen und leben friedlich beieinander. Wenn der Herrscher aus falschem Eifer auf den Einfall käme, eine dieser Religionen zu bevorzugen, so würden sich sofort Parteien bilden und heftige Dispute ausbrechen. Allmählich würden Verfolgungen beginnen, und schließlich würden die Anhänger der verfolgten Religion ihr Vaterland verlassen, und Taufende von Untertanen würden unsere Nachbarn mit ihrem Gewerbfleiß bereichern und deren Volkszahl vermehren....

Die Hauptmasse der Katholiken sitzt in Schlesien. Man läßt ihnen die freie AusÜbung ihrer Religion. Damit aber die Klöster mit ihrem Zölibat die Hoffnungen der Familien nicht begraben, darf niemand vor erfolgter Großjährigkeit Mönch oder Nonne werden. Sonst lasse ich den Geistlichen jede Freiheit und die ihnen zustehenden Rechte. Die Priester sind ziemlich zuverlässig, die Mönche neigen mehr zum Hause Österreich. Aus diesem Grunde lasse ich sie 30 Prozent ihrer Einnahmen an den Staat entrichten, damit sie doch zu etwas nütze sind. Die Jesuiten, die gefährlichste Gattung unter allen Mönchen, gehören in Schlesien zu den ganz fanatischen Anhängern des Hauses Österreich. Um Altar gegen Altar zu setzen, habe ich gebildete französische Jesuiten kommen lassen, die den schlesischen Adel erziehen. So vereitelt die Erbitterung zwischen den ftanzösischen und deutschen Mönchen die Ränke zugunsten des Hauses Österreich, deren sie sonst fähig wären. Die fanatische Parteilichkeit der Dom<149>Herren für die Königin Maria Theresia hat mich gezwungen, darauf zu sehen, daß alle erledigten Stellen nur mit friedfertigen Männern besetzt werden.

Ich bin gewissermaßen der Papst der Lutheraner und das kirchliche Haupt der Reformierten. Ich ernenne Prediger und fordere von ihnen nichts als Sittenreinheit und Versöhnlichkeit. Ich erteile Ehedispense und bin in diesem Punkte sehr nachsichtig, da die Ehe im Grunde nur ein bürgerlicher Vertrag ist, der gelöst werden kann, sobald beide Parteien damit einverstanden sind. Außer wenn es sich um Bruder und Schwester, Mutter und Sohn, Tochter und Vater handelt, erlaube ich nachsichtig, daß man sich nach Herzenslust heirate; denn diese Verbindungen stiften keinerlei Schaden.

Alle anderen christlichen Sekten werden in Preußen geduldet. Dem ersten, der einen Bürgerkrieg entzünden will, schließt man den Mund, und die Lehren der Neuerer werden der verdienten Lächerlichkeit preisgegeben. Ich bin neutral zwischen Rom und Genf. Will Rom sich an Genf vergreifen, so zieht es den kürzeren. Will Genf Rom unterdrücken, so wird Genf verdammt. Auf diese Weise kann ich dem religiösen Haß steuern, indem ich allen Parteien Mäßigung predige. Ich suche aber auch Einigkeit unter ihnen zu stiften, indem ich ihnen vorhalte, daß sie Mitbürger eines Staates sind und daß man einen Mann im roten Kleide ganz ebenso lieben kann wie einen, der ein graues Gewand trägt.

Ich suche gute Freundschaft mit dem Papst zu halten, um dadurch die Katholiken zu gewinnen und ihnen begreiflich zu machen, daß die Politik der Fürsten die gleiche bleibt, auch wenn die Religion, zu der sie sich bekennen, verschieden ist. Indessen rate ich der Nachwelt, dem römischen Klerus nicht zu trauen, ohne zuverlässige Beweise seiner Treue zu besitzen.

Die Prinzen von Geblüt

Es gibt eine Art Zwitterwesen, die weder Herrscher noch Privatleute sind und die sich bisweilen sehr schwer regieren lassen: das sind die Prinzen von Geblüt. Ihre hohe Abstammung stößt ihnen einen gewissen Hochmut ein, den sie Adel nennen. Er macht ihnen den Gehorsam unerträglich und jede Unterwerfung verhaßt. Sind irgendwelche Intrigen, Kabalen oder Ränke zu befürchten, von ihnen können sie ausgehen. In Preußen haben sie weniger Macht als irgendwo sonst. Aber das beste Verfahren ihnen gegenüber besieht darin, daß man den ersten, der die Fahne der Unabhängigkeit erhebt, energisch in seine Schranken weist, alle mit der ihrer hohen Herkunft gebührenden Auszeichnung behandelt, sie mit allen äußeren Ehren überhäuft, von den Staatsgeschäften aber fernhält und ihnen nur bei genügender Sicherheit ein militärisches Kommando anvertraut, das heißt, wenn sie Talent besitzen und wenn man sich auf ihren Charakter verlassen kann.

Was ich von den Prinzen sage, erstreckt sich auf die Prinzessinnen, die sich nie und unter keinerlei Vorwand in die Regierung einmischen dürfen.

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Strafen und Belohnungen

Zwei Hauptbeweggründe regieren die Menschen: Furcht vor Strafe und Hoffnung auf Belohnung. Wer sie recht leiten will, hindert sie durch Androhung strenger Justiz an der Übertretung der Gesetze der Gesellschaft, in der sie leben, ermuntert sie aber zu löblichen Handlungen und feuert sie an mit der Lockspeise der Glücksgüter. Preußens Herrscher haben zum Glück selten Strenge nötig. Nur Hochverrat verdient harte Bestrafung. Jedoch läßt sich oft verhüten, daß Menschen sich zu solchen Schandtaten verführen lassen. Im letzten Kriege erfuhr ich, daß der Abt von Grüssau mit einigen Geistlichen und Edelleuten eine Verschwörung zugunsten des Wiener Hofes anzettelte. Ich ließ sie gefangen setzen oder verbannte sie während der Kriegswirren in andere Provinzen. Dadurch wurde ihnen die Möglichkeit genommen, sich schuldig zu machen, und sie entgingen Bestrafungen, die sie unfehlbar getroffen hätten, wenn sie frei ihrer Neigung hätten folgen dürfen. Nach dem Frieden kehrten sie ruhig in ihre Heimat und zu ihren Geschäften zurück, und die Vernünftigen unter ihnen müssen mir Dank dafür wissen, daß ich sie gezwungen habe, ihre Unschuld zu bewahren.

Ich sagte es schon und wiederhole es: In Preußen ist man häufiger in Verlegenheit, alle verdienstvollen Handlungen gebührend zu belohnen, als in der Zwangslage, schlechte zu bestrafen. Man kann die Tugend nicht hoch genug achten, noch die, die sie üben, genug ermutigen. Das Staatsinteresse verlangt, daß alle Bürger sich der Tugend befleißigen. Von der Tugend soll man sprechen, wackere Taten sind herauszustreichen, damit sie womöglich noch größeren Glanz erhalten und die für sie empfänglichen edlen Seelen zur Nacheiferung anspornen. Ja, sollte auch ein Mensch den seelischen Schwung der edlen Geister nicht von der Natur empfangen haben und aus Gier nach Ehre und Belohnungen doch eine schöne Tat vollbringen, so wäre damit schon viel gewonnen. Mag auch das Motiv der Tat an sich niedrig sein, die wackere Tat gereicht der Allgemeinheit trotzdem zum Vorteil. Die nützlichsten Bürgertugenden sind Menschlichkeit, Billigkeit, Tapferkeit, Wachsamkeit und Arbeitslust. Sie schaffen Menschen, die für den Zivildienst wie für das Heer gleich nützlich sind. Derartige Eigenschaften müssen belohnt werden.

Einen Mann ohne Verdienst nur aus Gunst bereichern, heißt ebenso blind sein wie das Glück. Einen Kuppler mit Wohltaten überhäufen, heißt der Öffentlichkeit sagen: Kommt, leistet dieselbe Gefälligkeit, und ihr werdet Belohnungen ernten. Einen Jäger zu hohen Würden erheben, heißt bezeugen, daß die Jagd der erste Beruf, das erste Handwerk im Staate ist, und den Adel ermutigen, vorzugsweise dieses Gewerbe zu ergreifen. Was ist aber die Folge solcher falschen Auszeichnungen? Das Verdienst welkt in Vergessenheit dahin, die Tugend genießt die ihr schuldige Achtung nicht, und weil der Wettstreit und der Ansporn fehlt, werden viele Menschen, die zum Guten neigen, nachlässig und leisten dem Staat nicht alle Dienste, die er von ihnen erwarten kann. Zu den Leuten, die belohnt werden müssen, zählen unbestechliche Richter, Finanz<151>beamte, die die Einnahmen der Krone durch ihren Fleiß vermehrt haben, ohne das Volk zu bedrücken, Diplomaten, die in kritischen Zeiten mit Treue und Geschicklichkeit gedient haben, Militärs, die hochherzig ihr Leben für das Vaterland auf das Spiel gesetzt haben, die wegen ihrer langen Dienste oder ihrer Verwundungen Belohnungen verdienen, erfahrene Offiziere, die künftig gute Dienste zu leisten vermögen, andere, die ihre Gesundheit eingebüßt haben und nicht mehr imstande sind, ihr Amt zu versehen, und denen in ihrer Not nicht beizustehen undankbar wäre. Kurz, für wen sollten die Belohnungen bestimmt sein, wenn nicht für Offiziere, die sich im Kriege durch glänzende, mit Geschick geleitete und mit Kühnheit ausgeführte Taten auszeichnen? Für die große Zahl von Männern, die mit Recht nach Belohnungen streben, haben wir nur zwei Ordenszeichen151-1, die mit keinerlei Pension verbunden sind, 40 Amtshauptmannschaften, Pfründen in den Domkirchen von Magdeburg, Halbersiadt, Minden, Brandenburg und Kamin, einige Gouverneurstellen mit geringen Bezügen, Pensionen aus den Pfründen von Schlesien und aus den Komtureien des Malteserordens, außerdem noch einige Pensionen von der Domänenkasse. Wie gering auch diese Belohnungen sind, sie müssen doch geschickt verwendet werden, und die Art und Weise der Verleihung muß den Wert dessen, was man gibt, erhöhen. Hat die Gunst bei der Anstellung dieser Wohltaten keinerlei Anteil und wird nur das Verdienst belohnt, so ist das sicher das unfehlbarste Mittel zur Ermutigung der Tugend. Auch erreicht man dadurch, daß viele Menschen die Tugend wenigstens äußerlich zur Schau tragen, während sie unter jeder anderen Regierung ihren Lastern freien Lauf lassen würden. Jeder Staat, in dem die Tugend überwiegt, ist den anderen auf die Dauer überlegen. In ihm werden wackere Taten in größerer Zahl vollbracht als bei allen Nachbarn, und daher wird auch die Zahl der großen Männer bedeutender sein als bei anderen Völkern. Da alle Menschen aus angeborener Unruhe unablässig nach Verbesserung ihrer Lage streben, so muß man die Belohnungen sparsam verteilen, um stets irgendwelche Auszeichnung übrig zu haben, mit der man die Unersättlichsten befriedigt. Wenig und oft geben, ist ein untrügliches Mittel, die Menschen glücklich zu machen.

Eine schöne Eigenschaft des Herrschers ist es, daß er das Verdienst im Verborgenen aufsucht und eine wackere Tat belohnt, die ohne Zeugen vollbracht ist. Darauf soll er sein Augenmerk lenken und ebenso viele Spione halten, um die guten Eigenschaften der Bürger zu ermitteln, wie die Tyrannen, um Verschwörungen aufzudecken, die man gegen sie anzettelt.

Soll ein Fürst geizig oder verschwenderisch sein151-2?

Ich glaube, es ist für den Herrscher ebensowenig ratsam, geizig wie verschwenderisch zu sein. Er soll vielmehr sparsam und freigebig sein. Sparsam, well er die Güter des Staates verwaltet, well das Geld, das er empfängt, Blut und Schweiß des Volkes<152> ist und er es zum Besten des ganzen Staatskörpers verwenden muß. Wer dieses Geld im Frieden zur Unzeit ausgibt und im Kriege für große Dinge nichts übrig hat, wer alle seine Einnahmen ohne Rücksicht auf die Zukunft vergeudet und das Volk durch neue Austagen bedrücken muß, wenn der Staat angegriffen wird, der handelt unvernünftig und eher wie ein Tyrann als wie ein Vater des Volkes. Ein Staatsmann darf niemals sagen: ich habe nicht geglaubt, daß dieses oder jenes geschehen könnte. Sein Beruf verlangt, daß er alles vorhersieht und auf alles gerüstet ist. Wer also in Preußen, das sich nur durch seinen Gewerbfleiß behauptet, das Regiment führt, muß unverzüglich erkennen, daß er keine anderen Geldmittel besitzt als die, welche er während des Friedens sammelt. Er muß taub gegen das sein, was die Öffentlichkeit sagt, und ihr nichtiges Urteil verachten. Wenn sie Euch beschuldigt, geizig oder knauserig zu sein, was liegt daran? Sie urteilt nach falschen Begriffen und würde Eure Ansicht teilen, wenn ihr Eure Gründe bekannt wären. Man muß das einmal als richtig erkannte System befolgen, ohne sich durch das Gezirpe der Grillen oder durch das Gequake der Frösche von seinem Wege abbringen zu lassen.

Wir brauchen etwa fünf Millionen zur Bestreitung eines Feldzugs. Die Kosten für vier Feldzüge betragen also zwanzig Millionen. Diese zwanzig Millionen anzuhäufen und die anderen Kassen nach dem im Abschnitt über die Finanzen entwickelten Plane152-1 zu füllen, ist eine Pflicht des Herrschers, eine Sorge, von der er sich nicht lossagen kann und für die das Volk ihm Dank weiß, wenn es in Kriegszeiten nicht mit neuen Austagen bedrückt wird.

Ein sparsamer Fürst ist weise und vorausschauend. Er bereitet sich im voraus Hilfsquellen und sammelt durch Beschränkung seines Aufwandes und seiner Ausgaben die Gelder, die er bei gegebener Zeit zu Erleichterungen für sein Volk bestimmt. Ein verschwenderischer Fürst gleicht einem Körper mit stets verdorbenem Magen, der mit Gier ißt, dem aber selbst die nahrhaftesten Speisen nichts nützen. Ein freigebiger Fürst gleicht einem gesunden Körper, der sich mit Maß nährt und allen seinen Gliedern gleichmäßige Kraft und Stärke durch die Adern zuführt. Ein verschwenderischer Fürst ist wie ein Narr, der unnütze Ausgaben macht und darüber das Notwendige vernachlässigt....

Die Freigebigkeit ist eine scharfsichtige Tugend, die mit Sachkenntnis handelt. Sie ist bereit, den Unglücklichen zu helfen, Hab und Gut mit ihnen zu teilen. Sie belohnt mit voller Hand die Dienste. Sie ist die letzte Rettung und die Zuflucht aller, deren einzige Hoffnung der Beistand des Fürsten ist. Sie kommt den Bedürfnissen zuvor, lindert, wo sie kann; und wenn sie aus dem Herzen kommt, so ist sie bescheiden, milde, fordert keinerlei Anerkennung und hat es nicht eilig, die Welt von ihren Wohltaten zu unterrichten. Wenig für sich verbrauchen, im rechten Augenblick und hinlänglich geben, beizeiten Erleichterung schaffen, den Hilfsbedürftigen zuvorkommen, mit den<153> Staatsgeldern haushälterisch umgehen, sie ordentlich und sparsam verwalten: das sind königliche Eigenschaften, die dem Geize wie der Verschwendung in gleichem Maße fernbleiben.

Preußen ist zu arm, um große Pensionen an Müßiggänger zu bezahlen. Man muß nach Möglichkeit gute, arbeitsame und tätige Untertanen anstellen und sie so besolden, daß sie davon anständig leben können. Wer keine Talente besitzt, darf auch keinerlei Fortkommen für seine Person erwarten.

Soll ein Fürst selber regieren?

In einem Staate wie Preußen ist es durchaus notwendig, daß der Herrscher seine Geschäfte selbst führt. Denn ist er klug, wird er nur dem öffentlichen Interesse folgen, das auch das seine ist. Ein Minister dagegen hat, sobald seine eigenen Interessen in Frage kommen, stets Nebenabsichten. Er besetzt alle Stellen mit seinen Kreaturen, statt verdienstvolle Leute zu befördern, und sucht sich durch die große Zahl Derer, die er an sein Schicksal kettet, auf seinem Posten zu befestigen. Der Herrscher dagegen wird den Adel stützen, die Geistlichkeit in die gebührenden Schranken weisen, nicht dulden, daß die Prinzen von Geblüt Ränke spinnen, und das Verdienst ohne jene eigennützigen Hintergedanken belohnen, die die Minister bei allen ihren Handlungen hegen.

Ist es aber schon notwendig, daß der Herrscher die inneren Angelegenheiten seines Staates selber lenkt, um wieviel mehr muß er dann seine äußere Politik selbst leiten, die Allianzen schließen, die ihm zum Vorteil gereichen, seine Pläne selber entwerfen und in bedenklichen und schwierigen Zeitläuften seine Entschlüsse fassen.

Bei dem innigen Zusammenhang zwischen Finanzen, innerer Verwaltung, äußerer Politik und Heerwesen ist es unmöglich, einen dieser Zweige ohne Rücksicht auf die anderen zu behandeln. Sobald das geschieht, fahren die Fürsten schlecht. In Frankreich regieren vier Minister das Königreich: der Finanzminister unter dem Namen des Generalkontrolleurs, der Marineminister, der Kriegsminister und der Minister der auswärtigen Angelegenheiten. Diese vier Könige verständigen und vertragen sich nie. Daher kommen all die Widersprüche, die wir in der französischen Regierung sehen. Eifersüchtig stößt der eine um, was der andere mit Geschick aufbaut. Da gibt es kein System, keinen Plan, der Zufall herrscht, und alles ist in Frankreich der Spielball der Umtriebe am Hofe153-1. Die Engländer erfahren alles, was in Versailles vorgeht. Da gibt es kein Geheimnis, und folglich läßt sich auch keine Politik treiben.

Eine gut geleitete Staatsregierung muß ein ebenso fest gefügtes System haben wie ein philosophisches Lehrgebäude. Alle Maßnahmen müssen gut durchdacht sein, Finanzen, Politik und Heerwesen auf ein gemeinsames Ziel steuern: nämlich die Stär<154>kung des Staates und das Wachstum seiner Macht. Ein System kann aber nur aus einem Kopfe entspringen; also muß es aus dem des Herrschers hervorgehen. Trägheit, Vergnügungssucht und Dummheit: diese drei Ursachen hindern die Fürsten an ihrem edlen Berufe, für das Glück ihrer Völker zu wirken. Solche Herrscher machen sich verächtlich, werden zum Spott und Gelächter ihrer Zeitgenossen, und ihre Namen geben in der Geschichte höchstens Anhaltspunkte für die Chronologie ab. Sie vegetieren auf dem Throne, dessen sie unwürdig sind, und denken nur an das liebe Ich. Ihre Pflichtvergessenheit gegen ihre Völker wird geradezu strafbar. Der Herrscher ist nicht zu seinem hohen Rang erhoben, man hat ihm nicht die höchste Macht anvertraut, damit er in Verweichlichung dahinlebe, sich vom Mark des Volkes mäste und glücklich sei, wahrend alles darbt. Der Herrscher ist der erste Diener des Staates154-1. Er wird gut besoldet, damit er die Würde seiner Stellung aufrechterhalte. Man fordert aber von ihm, daß er werktätig für das Wohl des Staates arbeite und wenigstens die Hauptgeschäfte mit Sorgfalt leite. Er braucht zweifellos Gehilfen. Die Bearbeitung der Einzelheiten wäre zu umfangreich für ihn. Aber er muß ein offenes Ohr für alle Klagen haben, und wem Vergewaltigung droht, dem muß er schleunig sein Recht schaffen. Ein Weib wollte einem König von Epirus154-2 eine Bittschrift überreichen. Hart fuhr er sie an und gebot ihr, ihn in Ruhe zu lassen. „Wozu bist du denn König“, erwiderte sie, „wenn nicht, um mir Recht zu schaffen ?“ Ein schöner Ausspruch, dessen die Fürsten unablässig eingedenk sein sollten.

Wir haben in Preußen das Generaldirektorium, die Justizbehörden und die Kabinettsminister. Tag für Tag senden sie an den König ihre Berichte mit eingehenderen Denkschriften über die Gegenstände, die seine Entscheidung erfordern. In strittigen oder schwierigen Fällen erörtern die Minister das Für und Wider selbst. Damit setzen sie den Herrscher in den Stand, seine Entscheidung auf den ersten Blick zu treffen, vorausgesetzt, daß er sich die Mühe gibt, die vorgetragenen Sachen gründlich und mit Verständnis zu lesen. Ein klarer Kopf erfaßt den Kernpunkt einer Frage mit Leichtigkeit. Diese Methode der Geschäftsführung verdient den Vorzug vor der sonst üblichen, wo der Herrscher im Ministerrate präsidiert; denn aus großen Versammlungen gehen keine weisen Beschlüsse hervor. Auch sind die Minister, die meist gegeneinander intrigieren, uneins; Persönliches, Haß und Leidenschaft wird in die Staatsangelegenheiten hineingetragen; die mündliche Debatte mit ihrem oft heftigen Widerstreit der Meinungen verdunkelt die Sachlage, die sie aufklären soll, und schließlich bleibt das Geheimnis, die Seele der Geschäfte, bei so vielen Mitwissern nie völlig gewahrt.

In schwierigen Fällen kann es sich empfehlen, einen Minister, den man für den klügsten und sachverständigsten hält, um Rat anzugehen. Will man noch einen zweiten befragen, so geschehe das getrennt, um nicht durch Bevorzugung der Ansicht des einen ewige Zwietracht zwischen beiden zu säen. Ich verschließe mein Geheimnis in<155> mir selbst. Nur einen einzigen Sekretär155-1, von dessen Treue ich überzeugt bin, ziehe ich heran. Wofern man mich also nicht selbst besticht, ist es unmöglich, meine Absichten zu erraten. Die Minister sind nur mit den Angelegenheiten betraut, die das Deutsche Reich bettessen. Alle wichtigen Verhandlungen, Verträge oder Allianzen gehen durch meine Hände.

Das Zeremoniell

Die meisten Könige Europas haben sich selbst eine Art von Ketten geschmiedet, unter deren Last sie oft seufzen. Mein Vater besaß den Mut, die seinen zu brechen, und seinen Spuren folgend, habe ich das mir überlieferte Maß der Freiheit getreulich bewahrt. Ich habe ihn sogar noch überboten, indem ich mir die fremden Gesandten, soweit wie nur irgend möglich, vom Leibe hielt. Es gibt in Preußen keine Rangstufen, keine Etikette, keine Botschafter. Dadurch sind wir gesichert vor allen Streitigkeiten um den Vortritt und vor allen aus dem Stolze der Könige entspringenden Schikanen, die an anderen Höfen ernste Aufmerksamkeit beanspruchen und eine Zeit verschlingen, die man nützlicher für das Allgemeinwohl anwenden kann.

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Die äußere Politik

DProvinzen der preußischen Monarchie sind fast alle voneinander getrennt. Der Körper des Staates, in dem seine Kraft ihren Sitz hat, ist die Kurmark, Pommern, Magdeburg, Halbersiadt und Schlesien. Diese Provinzen, das Herz des Königreichs, verdienen hauptsächlich die Aufmerksamkeit des Fürsten, weil man hier sowohl für das Innere wie für die Verteidigung dieser Provinzen sichere Anordnungen treffen kann. Preußen, durch das polnische Preußen von Pommern getrennt, ist mit Polen und mit Rußland benachbart, dessen Kaiserin in Kurland allmächtig ist. Das Herzogtum Cleve und Friesland berühren Holland. Schlesien grenzt an Böhmen, Mähren und sogar an Ungarn. Die Kurmark und das Gebiet von Magdeburg liegen um Sachsen herum. Pommern ist nur durch die Peene von den deutschen Besitzungen des Königs von Schweden getrennt, und das Fürstentum Minden ist mit Land von Hannover, Münster, Kassel, Hildesheim und Braunschweig untermischt.

Ihr seht, daß wir durch diese geographische Lage Nachbarn der größten Fürsten Europas sind. Alle diese Nachbarn sind ebenso viele eifersüchtige oder ebenso viele geheime Feinde unserer Macht. Die örtliche Lage ihrer Länder, ihr Ehrgeiz, ihre Interessen, alle diese verschiedenen Verbindungen bilden die Grundlage ihrer mehr oder weniger versteckten Politik, je nach Zeit und Umständen.

Österreich hat Schlesien nicht vergessen, und Maria Theresia wird, sobald sie ihren inneren Staatshaushalt geordnet, ihre Armee wiederhergestellt hat und ihre politische Lage gesichert ist, zum Angriff schreiten, um Schlesien wiederzuerobern.<157> Sie wird den Anlaß von den polnischen Angelegenheiten nehmen157-1, in Verbindung mit Rußland und selbst mit dem König von England, der des Wiener Hofes wegen seiner hannöverschen Angelegenheiten bedarf)157-2...

Rußland darf nicht unter die Zahl unserer wirklichen Feinde gerechnet werden. Zwischen ihm und Preußen gibt es keine Streitfragen. Nur der Zufall macht es zu unserem Feinde. Ein von England und Österreich bestochener Minister157-3 hat mit großer Mühe einen scheinbaren Vorwand für die Entzweiung unserer beiden Höfe gefunden157-4. Mit dem Sturze dieses Ministers müssen die Dinge wieder in ihre natürliche Lage zurückkehren157-5 ...

Frankreich gehört zu unseren mächtigsten Verbündeten. Die Geschäfte werden in diesem Lande, dessen Gottheit das Vergnügen ist, oberflächlich behandelt. Ein schwacher Fürst redet sich ein, daß er diese Monarchie regiert, während seine Minister sich in seine Autorität teilen und ihm nichts als einen unfruchtbaren Namen lassen. Eine Mätresse, die nur auf ihre Bereicherung hinarbeitet157-6, Verwaltungsbeamte,<158> welche die Truhen des Königs plündern, viel Unordnung und viel Räuberei stürzen diesen Staat in einen Abgrund von Schulden....Trotz aller dieser Mißbräuche ist Frankreich das mächtigste Königreich in Europa.... Seine Vergrößerungspläne sind auf die Ausdehnung seiner Grenzen bis zum Rhein gerichtet... (Französisches Vertragsprinzip ist, den Bundesgenossen alle Last des Krieges aufzubürden) und sich freie Hand zu bewahren.... Man muß bei dieser Macht auf seiner Hut sein....

Zur Schande meiner Nation bin ich genötigt, einzugestehen, daß niemals das öffentliche Interesse dem Privatinteresse in höherem Grade aufgeopfert worden ist als jetzt. (Die deutschen Fürsten sind Kaufleute geworden.) Sie verhandeln das Blut ihrer Untertanen, sie verhandeln ihre Stimmen im Fürstenrat und im Kurfürstenrat; ich glaube, sie würden ihre eigene Person verhandeln, fände sich jemand, der sie bezahlen wollte....

Wir haben niemals von irgend jemand Subsidien erhalten. (Strengen Tadel verdient der erste König, der im Spanischen Erbfolgekrieg anders verfahren ist.) Laßt Euch gesagt sein, daß jede Macht, die im Solde einer andern sieht, sich die Hände bindet und nur eine Nebenrolle spielt. Sie befindet sich stets in Abhängigkeit von der zahlenden Macht und muß sich beim Friedensschluß alles gefallen lassen, was der allzu mächtige Alliierte verlangt....

Der König von Sardinien ist ein Krebs, der an der Lombardei nagt. Um König der Lombardei zu werden, wird er bald die Partei Frankreichs, bald die Öfterreichs ergreifen, vorausgesetzt, daß er dabei etwas gewinnt158-1....

Das christliche Europa ist wie eine Republik von Souveränen, die sich in zwei mächtige Parteien teilt. England und Frankreich haben seit einem Jahrhundert zu allen Bewegungen den Anstoß gegeben. Wollte ein kriegerischer Fürst etwas unternehmen, wenn jene beiden einverstanden sind, den Frieden zu erhalten, so würden sie ihm ihre Vermittlung anbieten und ihn nötigen, sie anzunehmen. Einmal bestehend, hindert das politische System alle großen Eroberungen und macht die Kriege unfruchtbar, wenn sie nicht mit überlegener Macht und unausgesetztem Glück geführt werden.

Preußen wird es nie an Alliierten fehlen; sie richtig zu wählen, muß man sich alles persönlichen Hasses, aller Vorurteile, der günstigen wie der ungünstigen, entkleiden. Das Interesse des Staates allein darf im Rate des Regenten entscheiden...

(Lothringen und Schlesien sind wie zwei Schwestern, von denen die eine den König von Preußen, die andere den König von Frankreich geheiratet hat158-2....)

(Frankreich kann eine Wiedereroberung von Schlesien nicht begünstigen noch dulden, weil Österreich ihm dadurch zu stark werden würde. Frankreich hat ein Interesse gegen England wie Preußen gegen Hannover; es kann Preußen durch Diversionen zu Hilfe kommen. Die Allianz mit Frankreich ist eine solche, die nicht auf<159> Unterhandlungen, sondern auf der Natur der Sache beruht. Nur dieses Bündnis ist für Preußen natürlich und auch vorteilhaft,) well wir, mit Frankreich vereint, im Falle eines glücklichen Krieges auf Erwerbungen hoffen können. Hingegen in Verbindung mit England und Österreich können wir uns keine Vergrößerung versprechen. Was wir auch vom Kriege erwarten können, mein gegenwärtiges System besieht darin, den Frieden zu verlängern, solange es geschehen kann, ohne die Majestät des Staates zu verletzen. (Durch ihre innere Unordnung wird es der französischen Macht unmöglich, mit der Energie, die ihr zukäme, auf dem Kriegsschauplatze zu erscheinen.) ... Es frommt uns nicht, den Krieg wieder anzufangen. Ein kecker Streich, wie die Eroberung Schlesiens, gleicht den Büchern, die im Original einschlagen, deren Nachahmungen aber abfallen. Wir haben durch die Erwerbung Schlesiens den Neid von ganz Europa auf uns gelenkt. Das hat alle unsere Nachbarn alarmiert: keiner, der uns nicht mißtraute. Mein Leben wird zu kurz sein, um sie in die beruhigte Stimmung zurückzuversetzen, wie sie unsern Interessen vorteilhaft ist. Sollte uns wohl ein Krieg anstehen, während Rußland gewaltig gerüstet an unfern Grenzen sieht und nur den günstigen Augenblick abwartet, um Preußen anzugreifen (was es indessen nur mit Hilfe englischer Subsidien tun kann), und während eine Diversion der Russen sofort alle unsere Projekte vom Anfang unserer Operationen an umstürzen würde? In Lagen wie die jetzige ist das sicherste, im Frieden zu verharren und in fester Haltung neue Ereignisse abzuwarten. (Solche würden sein: der Sturz des an Österreich verkauften Bestushew in Rußland, die Gewinnung seines Nachfolgers, der Tod des jetzigen Königs von England, dieses Land in den Unruhen einer vormundschaftlichen Regierung159-1, ein Soliman auf dem Thron von Konstantinopel und in Frankreich ein ehrgeiziger und allmächtiger Minister.) Dann und bei ähnlicher Gestaltung der Dinge ist es Zeit zu handeln, obgleich es auch dann nicht notwendig ist, gleich zuerst auf der Bühne zu erscheinen. (Vielmehr soll man warten, bis die Gegner vom Kampfe erschöpft sind.)...

Künftige Politik gegenüber den Mächten Europas

. .. (Erforderlich ist, verschwiegen zu sein, sich selbst zu beobachten, der eigenen Affekte Herr zu sein, seine Absichten zu verdecken, seinen Charakter zu verhüllen und nichts sehen zu lassen als eine gemessene Entschlossenheit, durch Rechtsgefühl gemildert. ...

Im diplomatischen Verkehr mit den Franzosen bedarf es großer Rücksichten auf die Eigenliebe der französischen Nation und auf die überlegene politische Einsicht, die sie als ihr Teil betrachten. Ich gönne ihnen deshalb die Ehre aller meiner Entwürfe, als wären es ihre eigenen Ideen, denen ich nur folge.)...

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Über große politische Entwürfe

... Die Politik besieht mehr darin, aus günstigen Konjunkturen Nutzen zu ziehen, als sie von langer Hand herbeizuführen. Aus diesem Grunde rate ich Euch, leine Verträge zu schließen, die sich auf unsichere künftige Ereignisse beziehen, sondern Euch freie Hand zu bewahren, damit Ihr Euern Entschluß nach Zeit, Ort und Lage Eurer Angelegenheiten fassen könnt: mit einem Wort, wie es Euer Interesse dann von Euch erheischen wird. Ich bin gut dabei gefahren, als ich im Jahre 1740 so handelte, und ich mache es jetzt ebenso hinsichtlich der Dinge in Polen. Ich unterrichte Frankreich von den Absichten des Hauses Österreich160-1 dränge es, die Türken wachzurufen, hüte mich aber wohl, mich durch Verträge zu binden, und warte das Ereignis ab, um dann meinen Entschluß zu fassen.

Politische Träumereien

Soviel über das Tatsächliche und über die Grundlinien der Haltung, die in Preußen zu beobachten sind. Gehen wir jetzt zum Chimärischen über. Auch die Politik hat ihre Metaphysik. Wie es keinen Philosophen gibt, der nicht sein Vergnügen daran gehabt hätte, sein System aufzustellen und sich die abstrakte Welt seinem Denken gemäß zu erklären, so darf auch der Politiker in dem unendlichen Gefilde chimärischer Entwürfe lustwandeln. Können sie doch bisweUen zur Wirklichkeit werden, wenn man sie nicht aus den Augen verliert, und wenn einige Generationen nacheinander, auf dasselbe Ziel losschreitend, Geschicklichkeit genug besitzen, ihre Absichten vor den neugierigen und scharfen Augen der europäischen Mächte gründlich zu verbergen.

Machiavell sagt160-2, eine selbstlose Macht, die zwischen ehrgeizigen Mächten sieht, müßte schließlich zugrunde gehen. Ich muß leider zugeben, daß Machiavell recht hat. Die Fürsten müssen notwendigerweise Ehrgeiz besitzen, der aber muß weise, maßvoll und von der Vernunft erleuchtet sein. Wenn der Wunsch nach Vergrößerung dem fürstlichen Staatsmann auch keine Erwerbungen verschafft, so erhält er doch wenigstens seine Macht; denn dieselben Mittel, die er zum offensiven Handeln bestimmt, sind stets zur Verteidigung des Staates bereit, falls sie notwendig ist und er dazu gezwungen wird.

Es gibt zweierlei Arten der Vergrößerung: durch reiche Erbschaften oder durch Eroberungen.

Erbschaften, die dem königlichen Hause zufallen können.
[Ansbach-Bayreuth und Mecklenburg stehen in Frage.]

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Über Eroberungen.

(Sachsen, Polnisch-Preußen und Schwedisch-Pommern kommen in Betracht.) Nur so kann der preußische Staat den nötigen Zusammenhang und eine gute Grenze gewinnen.

(Sachsen: Es ist möglich, im Falle eines siegreichen Krieges gegen Österreich Böhmen zu erobern und es gegen Sachsen einzutauschen. Plan der Ausführung: Nach der Unterwerfung Sachsens sofort die entschiedenste Offensive gegen Mähren, daselbst eine große Entscheidungsschlacht, den Krieg der feindlichen Hauptstadt genähert. Im zweiten Jahre Aufwiegelung der Ungarn und Besetzung des wehrlosen Böhmens durch die in Sachsen ausgehobenen Truppen. Ferner empfiehlt sich militärische Unterstützung durch in Sold zu nehmende Truppen deutscher Fürsten und, wenn nötig, durch französische Subsidientruppen gegen Hannover, während die russischen Streitkräfte durch die Türken, ein Teil der österreichischen durch die Franzosen, die mit Flandern zu belohnen sind, und durch die Sardinier gefesselt werden müssen. Auf das Bedenken, daß der Anschlag auf Sachsen am Ende doch mißlingen könne, ist zu erwidern, daß dies kein Schade ist, wenn es nur glückt, ihn geheimzuhalten.)

Die Hauptsache wäre, daß Rußland und die Königin von Ungarn einen Krieg gegen die Türken, Frankreich und den König von Sardinien zu bestehen hätten.

(Polnisch-Preußen wird besser nicht durch Waffen erobert, sondern im Frieden verspeist, in der Weise einer Artischocke, Stück für Stück: gerade so, wie der König von Sardinien sich das Herzogtum Mailand aneignet. Polens Wahlmonarchie wird die Gelegenheit dazu geben. Preußen kann seine Neutralität in den polnischen Wirren verkaufen, indem es sich durch eine Stadt nach der andern, einen Distrikt nach dem andern bezahlen läßt, mit Danzig zuletzt, denn es wird als Emporium des Getreidehandels das größte Geschrei bei den Polen verursachen161-1.

<162>

Schwedisch-Pommern: Wenn Schweden versucht, Livland von Rußland zurückzuerobern, so kann Preußen sich Schwedisch-Pommern als Preis seines Beistandes ausmachen.)

Das Ziel, das man sich setzen muß, um die Macht des Staates zu konsolidieren

Unserem Staate fehlt noch die innere Kraft. Alle preußischen Provinzen umfassen nur fünf Millionen Seelen. Das Heer ist ansehnlich, aber nicht stark genug, um den Feinden, die uns umgeben, zu widerstehen. Unsere Einnahmen sind beträchtlich, aber es fehlt uns im Falle der Not an Hilfsquellen. Mühsam ziehen wir uns aus der Verlegenheit, indem wir unsere Truppen zweimal soviel manövrieren lassen als der Feind und ihm stets dieselben Leute entgegenstellen, von welcher Seite er auch komme. Das ermüdet sie sehr und setzt bei ihrem Führer große Wachsamkeit voraus. Unsere Finanzen drehen sich ganz um Ersparnisse und dienen uns zur Kriegführung, ohne daß wir andere Hilfsmittel besitzen als Klugheit bei ihrer Verwaltung. Soll also das Schicksal des Staates gesichert sein, so darf sein Wohl nicht von den guten oder schlechten Eigenschaften eines Einzelnen abhängen. Um sich aus eigener Kraft zu erhalten, müßten Heer und Finanzen etwa auf folgenden Stand gebracht werden. Ich wünschte, daß wir Provinzen genug besäßen, um 180 000 Mann, also 44 000 mehr als jetzt, zu unterhalten162-1. Ich wünschte, daß nach Abzug aller Ausgaben ein jährlicher Überschuß von 5 Millionen erzielt würde. Sie müßten aber nicht auf feste Ausgaben angewiesen werden, sondern der Herrscher müßte nach freiem Belieben über sie verfügen können, nachdem er 20 Millionen in den Staatsschatz gelegt hat. Diese 5 Millionen machen ungefähr die Kosten eines Feldzugs aus162-2. Mit ihnen könnte man den Krieg aus eigenen Einkünften bestreiten, ohne in Geldverlegenheiten zu geraten und irgend jemand zur Last zu fallen162-3. In Friedenszeiten könnte diese Einnahme zu allen möglichen nützlichen Ausgaben für den Staat verwandt werden.

Veränderungen, die in Europa eintreten können

Wir sind nun einmal im Zuge, uns dem Spiel unserer Phantasie zu überlassen... (Die Eifersucht sowohl der Glieder des Deutschen Reiches wie der benachbarten Mächte ist Bürgschaft für dieses traurigen Reiches Fortdauer.)...

<163>

Nächst Deutschland ist Frankreich die mächtigste Monarchie in Europa. Aber die Staaten sind nur das, was die Männer, die sie regieren, aus ihnen machen.... Nachlässigkeit und die Mißbräuche, die in diesem Reiche herrschen, werden stets dahin führen, daß die Nation grobe Fehler begeht....

Die Könige von Sardinien sind vom Vater auf den Sohn große Männer gewesen163-1....

Die Königreiche sind von den Männern abhängig, die sie regieren. Erinnert Euch, daß England unter Cromwell geachtet, unter Karl II. verachtet wurde....

Schließt Bündnisse nur mit denen, die genau die gleichen Interessen mit Euch haben. Schließt niemals Verträge, um Maßnahmen für ferne Ereignisse zu treffen. Wartet stets den Eintritt der Ereignisse ab, um Euern Entschluß danach zu fassen und entsprechend zu handeln. Hütet Euch wohl, Euer Vertrauen auf die Zahl und die Treue Eurer Verbündeten zu setzen. Rechnet nur auf Euch selbst. Dann werdet Ihr Euch nie täuschen, und seht Eure Verbündeten und Eure Verträge nur als Surrogat an. Eine große Zahl von Verträgen bringt mehr Schaden als Nutzen. Schließt nur wenige, aber stets im rechten Augenblick, und seht darauf, daß aller Vorteil auf Eurer Seite ist, während Ihr Euch so wenig wie möglich aussetzt.... Scharfsinnige Köpfe ziehen aus gleichförmiger Haltung ihre Schlüsse. Daher muß man nach Möglichkeit sein Spiel ändern, es verbergen und sich in einen Proteus verwandeln, bald lebhaft, bald langsam, bald kriegerisch und bald friedfertig erscheinen. Auf diese Weise leitet Ihr Eure Feinde irre. (ch empfehle meinen Nachfolgern, in den Unterhandlungen so verbindlich wie möglich zu sein, nie stolze oder beleidigende Worte zu gebrauchen, nie zu drohen.) Seid verschwiegen in Euren Geschäften, verheimlicht Eure Absichten. Wenn die Ehre des Staates Euch zwingt, den Degen zu ziehen, dann falle auf Eure Feinde Blitz und Donner zugleich....

Vormundschaften

Wenn die Gottheit sich um die menschlichen Erbärmlichkeiten kümmert, wenn die schwache Menschenstimme bis zu ihr dringen kann, dann wage ich dieses unbekannte und allmächtige Wesen anzustehen, Preußen vor der Geißel einer Minorennitätsregierung gnädig zu bewahren. Es gibt kein Beispiel dafür, daß eine vormundschaftliche Regierung glücklich gewesen ist. Alle Beispiele, die uns die Geschichte liefert, erhalten ihre Signatur durch die Leiden der Völker, durch Spaltungen und oft durch auswärtige oder innere Kämpfe. Preußen braucht während der Herrschaft eines minorennen Fürsten keine Bürgerkriege zu befürchten, wohl aber eine schwache<164> Regierung, schlechte Verwaltung der Finanzen, schwankende Politik, Lockerung der Mannszucht und Verfall der Ordnung im Heere, die die Truppen bisher unbesieg-lich gemacht hat. Was in dieser Zeit der Schwäche vor allem zu befürchten stände, das wäre ein Krieg. Das Haus Österreich würde sich beeilen, daraus Vorteil zu ziehen, und wenn sich je die Gelegenheit böte, wäre das der Augenblick, um die heranwachsende Macht unseres Staates niederzuwerfen.

Es liegt indessen in der Natur der Dinge, daß der Fall im Laufe der Zeit einmal eintritt. Da ich die künftige Generation nicht kenne, so vermag ich keine Ratschläge zu geben, wie man sich in solch traurigen Zeitläuften verhalten soll. Ich glaube jedoch, es wäre für den Staat vorteilhafter, den nächsten männlichen Anverwandten des jungen Königs zum Vormund zu wählen und ein so schwieriges Amt niemals einer Frau anzuvertrauen. Meine Gründe sind folgende: In der Regel läßt sich ein Mann bei seinen Handlungen mehr von der Überlegung leiten als eine Frau. Er ist mehr zur Arbeit geschaffen und infolgedessen zur Aufrechterhaltung der bestehenden Ordnung in allen Zweigen der Regierung besser befähigt als eine Königin-Witwe. Ihr sind die Geschäfte neu, sie neigt dazu, sich von den Ministern beherrschen zu lassen, und ist unfähig, das Heerwesen gut zu verwalten. Ihr werdet mir vielleicht einwerfen, daß es für den jungen König sehr gefährlich wäre, in der Abhängigkeit eines ehrgeizigen Onkels oder Vetters zu stehen. Darauf erwidere ich: die Zeiten, da man mit Gift arbeitete, sind vorüber. Das Heer und das ganze Land haben dem jungen König den Treuschwur geleistet. Der Vormund muß sich innerhalb der ihm vorgeschriebenen Grenzen halten, und ebenso wie nur ein Einzelner einen Staat mit sicherer Hand zu leiten vermag, bedarf es auch eines unumschränkten Vormundes, damit ein für den Thron bestimmter Fürst eine gute Erziehung erhält. Der Vormund kann ihn wie seinen Sohn erziehen, die Schmeichler, die die Tugend der Fürsien verderben, von seiner Wiege fernhalten, seinen Hochmut unterdrücken und ihn zwingen, sich die Fähigkeiten anzueignen, die zur guten Regierung notwendig sind. Wie man einem geschickten General Vollmacht erteilt, die für das Staatswohl nützlichsten Operationen auszuführen, ebenso muß auch der Vormund während seiner Regentschaft eine unbeschränkte Herrschaft führen und nicht an die Zustimmung eines Ministerrates gebunden sein. Der würde ihm nur zu unrechter Zeit Hindernisse in den Weg legen oder Anlaß zur Bildung von Parteien geben.

Schlußbetrachtungen

Aus all diesen schon zu weitläufig behandelten Einzelheiten erseht Ihr jedenfalls, wie wichtig es ist, daß der König von Preußen selbständig regiert. Sowenig Newton in gemeinsamer Arbeit mit Leibniz und Descartes sein Gravitationsgesetz hätte<165> entdecken können, sowenig kann ein politisches System aufgestellt werden und sich behaupten, wenn es nicht aus einem einzigen Kopfe hervorgeht. Es muß aus dem Geiste des Herrschers entspringen wie die gewaffnete Minerva aus Jupiters Haupt: das heißt, der Fürst muß sein System entwerfen und es selbst zur Ausführung bringen. Denn da seine eigenen Gedanken ihm mehr am Herzen liegen als die der andern, so wird er seine Pläne mit dem Feuer betreiben, das zu ihrem Gelingen nötig ist, und so wird seine Eigenliebe, die ihn an sein Werk fesselt, auch dem Vaterlande zum Nutzen gereichen.

Alle Zweige der Staatsverwaltung stehen in innigem Zusammenhang. Finanzen, Politik und Heerwesen sind untrennbar. Es genügt nicht, daß eins dieser Glieder gut verwaltet werde; sie wollen es alle gleichermaßen sein. Sie müssen in gradgestreckter Flucht, Stirn an Stirn, gelenkt werden, wie das Viergespann im olympischen Wettkampf, das mit gleicher Wucht und gleicher Schnelle die vorgezeichnete Bahn zum Ziele durchmaß und seinem Lenker den Sieg gewann. Ein Fürst, der selbständig regiert, der sich sein politisches System gebildet hat, wird nicht in Verlegenheit geraten, wenn es einen schnellen Entschluß zu fassen gilt; denn er verknüpft alles mit dem gesteckten Endziel. Zumal in den Einzelheiten des Heerwesens muß er sich die denkbar größten Kenntnisse erworben haben. Vom grünen Tisch aus entwirft man schlechte Feldzugspläne, und wohin führen die schönsten Pläne, wenn sie durch die Unwissenheit des mit ihrer Ausführung Betrauten scheitern? Wer die Bedürfnisse einer Armee nicht kennt, wer sich um die zahllosen Einzelheiten ihrer Verpflegung nicht kümmert, wer nicht weiß, wie man ein Heer mobil macht, wer die Regeln der Kriegskunst nicht kennt, wer es nicht versteht, die Truppen in der Garnison zu schulen und im Felde zu führen, der wird, und wäre er sonst auch der geistvollste Mensch, der beste Volkswirt, der schlaueste Politiker, niemals Großes ausrichten, wenn er nicht selber Feldherr ist. Ich gedenke, im folgenden Abschnitt auf zahlreiche Einzelheiten der Kriegswissenschaft einzugehen. Hier will ich Euch nur überzeugen, daß der König von Preußen den Krieg unbedingt zu seinem Hauptsiudium machen und den Eifer derer anfeuern muß, die den edlen und gefährlichen Waffenberuf ergriffen haben.

Preußen ist von mächtigen Nachbarn umgeben .... Ihr müßt daher auf häufige Kriege gefaßt sein. Es folgt daraus auch, daß das Militär in Preußen die erste Stelle einnehmen muß, genau wie bei den welterobernden Römern in der Periode ihres Aufstiegs, genau wie in Schweden, als Gustav Adolf, Karl X. und Karl XII. die Welt mit ihrem Ruhm erfüllten und der Ruf des schwedischen Namens bis in die fernsten Lande drang. Ämter, Ehren, Belohnungen, die man abwechselnd verleiht, spornen und feuern die Talente an. Lob, das dem Verdienst gezollt wird, erweckt in den Herzen des Adels edlen Wetteifer, treibt ihn dazu an, den Waffenberuf zu ergreifen und sich Kenntnisse zu erwerben, verschafft ihm Auszeichnungen und Vermögen. Die Offiziere verachten und von ihnen fordern, daß sie mit Ehren dienen, ist ein Widerspruch. Einen Beruf ermutigen, der die Macht des Königreichs bildet, die Säulen des<166> Staates (wenn ich mich so ausdrücken darf) achten, sie dem Geschlecht verweichlichter und schwachherziger Menschen vorziehen, die nur zur Dekoration eines Antichambres gut sind: das heißt, nicht allzu hohe Gunstbeweise erteilen noch launenhaft handeln, sondern dem Verdienst seine Krone geben, heißt ein schwaches Rauchopfer auf dem Altar der Offiziere darbringen, die jeden Augenblick bereit sind, ihr Blut für das Vaterland zu vergießen.

Ich habe selbst Krieg geführt und gesehen, daß Obersten biswellen über das Schicksal des Staates entschieden haben. Man kann nicht Krieg führen, ohne daß es zu entscheidenden Schlägen käme, die das Geschick der Reiche bestimmen. Der Gewinn oder Verlust einer Schlacht verleiht dem Sieger ftöhlichen Mut und schmettert den Besiegten zu Boden. Durch die Schlacht bei Ramillies (1706) verlor Frankreich ganz Flandern. Durch die Schlacht bei Höchstädt (1704) verlor der Kurfürst von Bayern sein Kurfürstentum und ganz Schwaben166-1. Die Schlacht bei Turin (1706) verjagte die Franzosen aus der Lombardei, und die Schlacht bei Villa-Viciosa (1710) setzte Philipp V. auf den spanischen Thron und zwang Karl VI. zum Verzicht auf Spanien. Daher sagte Heinrich l V.: eine Schlacht hat einen langen Schwanz. An solchen wichtigen und entscheidenden Tagen lernt man den Wert guter Offiziere schätzen. Da lernt man sie lieben, wenn man sieht, mit welch hochherziger Todesverachtung, mit welch unerschütterlicher Ausdauer sie den Feind zur Flucht zwingen und den Sieg und das Schlachtfeld behaupten. Es genügt aber nicht, ihnen in dem Augenblick Achtung zu zollen, wo man ihrer bedarf und wo ihre Taten Euch Beifall abringen. Auch in Friedenszeiten müssen sie das Ansehen genießen, das sie sich mit so großem Recht erworben haben. Ehren und Auszeichnungen gebühren denen, die ihr Blut für die Ehre und Erhaltung des Staates vergossen haben.

Alle Welt blickt in den Monarchieen auf den Herrscher. Die Öffentlichkeit schließt sich seinen Neigungen an und scheint bereit, jeder Anregung, die er gibt, zu folgen. Daher kam es, daß die römischen Prälaten unter Leo X. üppig und prachtliebend, unter Sixtus V. verschlagen und weltklug waren, daß England unter Cromwell zur Grausamkeit neigte und sich unter Karl II. einem galanten Leben ergab, daß unter dem anfeuernden Beispiel der Prinzen von Oranien die Niederlande, obwohl eine Republik, zur kriegerischen Nation wurden, daß das römische Reich, unter Titus und den Antoninen noch heidnisch, sich unter Konstantin, der als der erste den neuen Kult annahm, zum Christentum bekehrte. In Preußen muß der Herrscher das tun, was für das Staatswohl am ersprießlichsten ist; daher muß er sich an die Spitze des Heeres stellen. Auf diese Weise gibt er dem Waffenberuf Ansehen und erhält unsere vortreffliche Mannszucht und die bei den Truppen eingeführte Ordnung. Ich sage ausdrücklich: er erhält diese Ordnung; denn besitzt er keine Sachkenntnis, wie will er da über Ordnung und Mannszucht bei den verschiedenen Regimentern und<167> Truppenteilen urteilen? Wie kann er verbessern, was er selbst nicht versteht? Wie kann er die Obersten wegen begangener Fehler tadeln, wie ihnen sogleich angeben, worin sie es versehen haben, und sie belehren, wie und wodurch sie ihre Regimenter in guten Stand setzen können? Wenn er selber nichts von der Regiments- und Kompagniewirtschaft, von der Truppenführung und Manövrierkunsi versieht, wird er dann so unklug sein, sich hineinzumischen? Dann würde er sich ja durch seine sinnlosen Forderungen ebenso der Lächerlichkeit preisgeben, wie durch Anordnung falscher Truppenbewegungen. Alle diese Kenntnisse erfordern beständige Übung, die man nur erwerben kann, wenn man selber Soldat ist und mit ununterbrochenem Fleiße dem Heeresdienst obliegt.

Endlich wage ich die Behauptung, daß nur der Herrscher diese bewundernswerte Mannszucht im Heere einführen und erhalten kann. Denn oft muß er seine Autorität aufbieten, muß die einen ohne Ansehen der Person und des Grades sireng tadeln, die anderen freigebig belohnen, die Truppen soviel als möglich mustern und ihnen nicht die geringste Nachlässigkeit hingehen lassen. Der König von Preußen muß also notwendig Soldat und oberster Kriegsherr sein. Dies Amt, um das man sich in allen Republiken und Monarchieen mit Eifer und Ehrgeiz bewirbt, wird dennoch von den Königen Europas recht gering geschätzt. Sie glauben, ihrer Würde etwas zu vergeben, wenn sie ihre Armee selbst führen. Aber dem Throne gereicht es zur Schande, wenn verweichlichte und träge Fürsten die Führung ihrer Truppen den Generalen überlassen. Ja, sie stellen sich damit stillschweigend ein Zeugnis ihrer Feigheit oder Unfähigkeit aus.

In Preußen ist es gewiß ehrenvoll, in Gemeinschaft mit der Blüte des Adels und der Elite der Nation an der Befestigung der Mannszucht zu arbeiten. Erhält sie doch dem Vaterlande seinen Ruhm, verschafft ihm in Friedenszeiten Achtung und führt im Kriege den Sieg herbei. Man müßte ein ganz erbärmlicher Mensch, in Trägheit versunken, von lasterhaftem Leben entnervt sein, wollte man die Mühe und Arbeit scheuen, die die Erhaltung der Mannszucht im Heer erfordert. Wird man dafür doch sicher belohnt durch Eroberungen und den Ruhm, der für den Herrscher noch viel wertvoller ist als der höchste Gipfel der Erhabenheit und die größte Machtentfaltung.

<168>

Das Heerwesen168-1

Um während des Krieges brauchbar zu sein, verlangt das Heerwesen schon in Friedenszeiten die sorgfältigste Pflege. Im Frieden, sagt Vegetius, muß diese Kunst studiert und im Kriege angewandt werden.

Die Kriegskunst zerfällt in zwei Teile. Der erste bezieht sich auf den kleinen Dienst: die Zucht, Ausbildung und Ordnung der Truppen, Auswahl von Mannschaften und Pferden, die Wirtschaft des Soldaten, des Offiziers usw. Der zweite Teil umfaßt die Kenntnisse des Feldherrn: Feldzugspläne, Taktik, Belagerungen usw. Ich beschränke mich in diesem Kapitel auf Erörterung des ersten Teiles und behalte mir den zweiten für das folgende Kapitel vor168-2.

Der König-Connetable muß wissen, welche Wichtigkeit die Erhaltung straffer Mannszucht besitzt. Die Disziplin ist die Seele der Heere. Solange sie in Blüte sieht, erhält sich der Staat. Man braucht nur nachzulesen, was Vegetius168-3 von der römischen Miliz erzählt. Will man Beispiele aus jüngerer Vergangenheit, so finde ich zwei, die beide in meine Zeit fallen. Das erste ist der Untergang der Disziplin bei den Schweden, der den Mißerfolg des Krieges in Finnland168-4 herbeiführte. Die Offiziere hatten die Regeln der Kriegskunst vergessen. Die Soldaten, von Beruf Bauern, wußten nichts von Gehorsam gegen ihre Führer und verstanden nicht gegen den Feind zu manövrieren. Die Folge davon war der Verlust Finnlands. Das andere Beispiel, das ich erlebt habe, betrifft die Holländer. Unter allen oranischen Prinzen bildeten ihre Truppen das Muster für die europäischen Heere. Auch die Preußen haben von ihnen die Ordnung und Kriegskunst gelernt. Nach dem Tode König Wilhelms168-5 regierten die Amsterdamer Kaufleute unter dem Titel von Greffiers, Pensionären und Gene, ralstaaten. Sie machten ihre Ladendiener zu Offizieren und verachteten die Verteidiger der Republik. Alter und Tod rafften ihre guten Offiziere weg. (Die Obersten<169> wurden zu Pächtern ihrer Regimenter. Die Subalternoffiziere verweichlichten. Die Hefe des Volkes, der Auswurf der Nation ergriff das Waffenhandwerk, und da ihre Zahl nicht hinreichte, wurden Mietssoldaten angeworben. Niemand hatte ein Auge auf die Truppen. Da brach der Krieg aus169-1. Der jämmerliche Haufe republikanischer Miliz wurde gefangen genommen oder bedeckte sich durch Feigheit mit Schande. Flandern wurde von den Franzosen erobert, und Holland wäre Ludwig XV. zum Opfer gefallen, hätte er den Willen oder den Verstand gehabt, seinen VorteU auszubeuten.

Ihr seht also, wie wichtig es für jeden Staat und besonders für eine im Aufstieg begriffene Macht ist, daß der Fürst sein eigener Heerführer ist, auf straffe Mannszucht im Heere hält und sich durch kleinliches Detail die Lust nicht vergällen läßt.

Ich bin in der Armee aufgewachsen. Meine Wiege war von Waffen umgeben. Ich habe vom Kapitän aufwärts durch alle Grade gedient. Mein Vater hielt mich in meiner Jugend zu allem an, was die Mannszucht der Truppen, die Verpflegung, Ausbildung und alle zur Taktik gehörenden Übungen angeht. Ich kann also über diese Gegenstände mit Sachkenntnis zu Euch reden und Euch alle Punkte nennen, auf die Ihr Eure Aufmerksamkeit richten müßt, wenn Euch der edle Ehrgeiz beseelt, die Armee in ihrem gegenwärtigen gefürchteten Zustande zu erhalten.

Wir prüfen zunächst die Auswahl der Leute, aus denen die Regimenter bestehen.

Rekrutierung

Bei den alten Infanterieregimentern wollen wir im ersten Gliede keine Leute unter 5 Fuß 8 Zoll und im zweiten keine unter 6 Zoll, gut gemessen. Die von mir errichteten Regimenter haben in allen Gliedern einen Zoll weniger als die alten, aber die schlesischen werden in kurzem den alten Truppenteilen gleichkommen. Diese hohe Statur ist nötig; denn die groß gewachsenen Leute sind kräftiger als die anderen. Keine Truppe auf der Welt könnte ihrem Bajonettangriff widerstehen. Bei der Kavallerie sehen wir nicht sowohl auf großen Wuchs als auf breite Schultern, doch dürfen die Kürassiere und ebenso die Dragoner nicht unter 6 Zoll messen. Das genügt. Sie müssen so groß sein, um ohne Hilfe auf große Pferde hinaufzukommen. Bei den Husaren macht die Größe nichts aus, doch sieht man auf das Alter und duldet keine halbwüchsigen Burschen in den Regimentern.

Kantons

Alle Regimenter, sowohl Infanterie wie Kavallerie, haben Kantons. Die Kantons machen die TruppenteUe unsterblich, indem sie ihnen Rekruten liefern und in Kriegszeiten zur Komplettierung dienen. Die Schonung der Kantons ist einer der Gründe, aus denen wir bei der Infanterie hohen Wuchs fordern. Sie dürfen<170> in Friedenszeiten nicht entvölkert werden. Die Kompagnie Infanterie soll nicht über 60 Mann aus dem Kanton haben. Der Rest muß im Ausland angeworben werden. Die Kompagnie Kavallerie170-1 darf in Friedenszeiten nur 30 Mann aus dem Kanton bekommen. Infolge der guten Ordnung, die ich in den Kantons eingeführt habe, verfügt die Armee gegenwärtig über eine Hilfsquelle von 20 000 waffenfähigen Männern im Lande. Ein Teil davon hat bereits den Krieg mitgemacht und ist in die Dörfer heimgeschickt, der andere mißt 5 Fuß 4,5 oder 6 Zoll. Ferner sollen die Offiziere allen Enrollierten des Kantons170-2 und allen Soldaten, die Landeskinder sind, einen unentgeltlichen Heiratspermeß erteilen. Das geschieht, um das Land zu bevölkern und die Rasse, die vorzüglich ist, nicht aussterben zu lassen.

Jede Einrichtung ist Mißbräuchen ausgesetzt; so auch die der Kantons. Es handelt sich um folgendes. Die Offiziere lassen sich den Abschied, den sie den Enrollierten geben, bisweilen teuer bezahlen, oder sie nehmen unter verschiedenen Vorwänden Geld vom Kanton, oder sie heben Söhne von Kaufleuten oder Gewerbetreibenden oder einzige Söhne von Bauern aus. Die, welche sich Erpressungen zuschulden kommen lassen, verdienen sirenge Bestrafung. Auch darf nicht geduldet werden, daß die Offiziere Gewerbetreibende oder Söhne von Kaufleuten enrollieren: die müssen sie sofort wieder freigeben. Andrerseits ist aber auch darauf zu achten, daß die Edelleute, Amtmänner und Priester, besonders in Oberschlesien und Westfalen, die Enrollierung nicht verhindern. In solchen Fällen ist das Militär gegen das Land zu unterstützen. Unablässig muß der Herrscher eine Art Gleichgewicht zwischen den Soldaten und den Land- und Stadtbewohnern erhalten, damit alle in ihren Schranken bleiben.

Kommissarische Revuen, die der Herrscher abhalten muß

In den hiesigen Provinzen versammeln sich jedes Frühjahr, in Schlesien gegen den Herbst alle Regimenter zum Exerzieren. Sämtliche Offiziere müssen zur Stelle und die Kompagnien vollständig sein. Die Chefs haften dafür, daß alle Invaliden ausgemerzt sind, die an unheilbaren Wunden, schweren Beinschäden, an der Schwindsucht leiden oder durch Alter oder fehlende Zähne170-3 dienstuntauglich geworden sind. Sie alle könnten den ersten Feldzug nicht mitmachen. Man würde die Regimenter für vollzählig halten, wenn sie mitgeschleppt würden. Im folgenden Jahre würde man den Ausfall merken, der durch ihre Invalidität bei den Kompagnien entstände, und müßte sie dann doch fortschicken. Duldete man sie aber nur ein einziges Jahr, so würde ihre Zahl beträchtlich, und siatt daß man, wie es sich gehört, mit der Stärke der Regimenter rechnen könnte, ergäbe sich vom Ausbruch des Krieges an, auch ohne daß sie ins Gefecht gekommen wären, ein Abgang von einigen tausend Mann. Damit<171> also die Regimenter in gutem Zustand bleiben, muß der König-Connetable alle Jahre oder so oft als möglich Revue über sie halten, die Kompagnien, die Rekruten besich-tigen und sich vergewissern, ob die Gestorbenen und Invaliden durch gleich große und kräftige Leute ersetzt sind, streng die Offiziere tadeln, die in dieser Hinsicht ihre Pflicht vernachlässigt, und die belobigen, die sie erfüllt haben. Bei der Revue werden dem König auch die invaliden Soldaten vorgeführt. Es bestehen Fonds, auf die man ihnen Pension anweist. Andere versorgt man mit Neinen Anstellungen bei der Akzise, ebenso die Unteroffiziere, die bessere Posten erhalten.

Ferner werden bei den Revuen die neuen Unteroffiziere geprüft. Alle müssen alte Soldaten sein. Ich habe nicht gelitten, daß mir ein Student oder ein junger Mann, wofern er nicht von Adel war, als Unteroffizier vorgestellt wurde. Denn ein alter kriegstüchtiger und tapferer Soldat versieht sich bei der Mannschaft Respekt zu verschaffen, während ein Federfuchser nicht den Kommandoton besitzt und Strapazen nicht gewachsen ist.

Was ich von der Infanterie sage, gilt ebenso für die Kavallerie. Bei ihr ist ferner auf die Größe der Pferde zu sehen. Ich dulde bei den Kürassieren oder Dragonern keine unter 5 Fuß 2 Zoll. Ist ein Regiment schlecht beritten, so werden alle unlauglichen Gäule, die nicht mehr im Galopp gehen können, ausgemustert. Ferner ist es wichtig, ob die Regimenter gutes Zaum- und Sattelzeug haben und ob die Steigbügel gleichmäßig hoch geschnallt sind, damit die Leute nicht mit einem zu langen oder zu kurzen Bügel reiten.

Bei den kommissarischen Revuen werden die invaliden Offiziere verabschiedet und die fortgejagt, deren Betragen nicht ihrer Stellung entspricht und die sich nicht wie Ehrenmänner benehmen. Die Ausgeschiedenen sind durch Fähnriche des Regiments zu ersetzen. Unter ihnen wählt man die aus, die am gescheitesten sind, sich am besten geführt haben und die besten Zeugnisse von den Stabsoffizieren besitzen.

Der König muß vor allem darauf sehen, daß in der Armee gute Stabsoffiziere und ein gut zusammengesetztes Korps von Kapitänen sind. Die Kapitäne müssen ihre Kompagnie vollzählig erhalten; sie müssen mit Leib und Seele dienen. Die Stabsoffiziere müssen kluge Köpfe sein. Wird ein alter Kapitän allzu schwerfällig und unbehilflich, so befördert man ihn zum Major in ein Garnisonregiment und setzt einen anderen an seine Stelle. Mit noch mehr Aufmerksamkeit sind die Kommandeure der Regimenter171-1 auszusuchen. Wenn sie etwas taugen sollen, müssen sie Tapferkeit, Entschlossenheit, eigene Entschlußfähigkeit besitzen und streng auf die Beobachtung der Disziplin halten. Das ist die Schule für die Generale.

Die Generale müssen mit noch größerer Sorgfalt ausgewählt werden. Hätte ich Männer wie Turenne finden können, ich hätte nur solche angestellt. Von einem General verlangt man Tapferkeit, Kenntnis der Kriegskunst, Begabung und vor allem den<172> glücklichen Instinkt, sich sofort zu orientieren und sich mühelos zu entscheiden. Er muß einen Vorrat von Anordnungen im Geiste und von Hilfsmitteln in seiner Phantasie haben, muß, ohne die Einzelheiten zu vernachlässigen, die großen Zweige der Kriegskunst beherrschen, muß tatkräftig und wachsam sein. Da eine Armee viele Generale gebraucht, so können nicht alle gleich gut sein. Aber wenigstens hüte man sich vor der Wahl von Dummköpfen oder von Leuten, denen man Mangel an Tapferkeit vorwerfen kann, und bemühe sich, solche ausfindig zu machen, die mindestens so viel Verstand besitzen, daß sie die erteilten Befehle gut ausführen. Wenn also Regimentskommandeure oder Generale sterben, muß der König-Connetable aus dem ganzen Offizierkorps die auswählen, die sie zu ersetzen imstande sind. Die Ordnung und der gute Zustand der Regimenter hängt von der Tüchtigkeit ihrer Kommandeure ab und die gute Ausführung der Operationen eines Heeres von der Intelligenz und Tatkraft der Generale. Aus diesem Grunde kann der König nicht Sorgfalt genug auf ihre gute Auswahl verwenden.

Belohnungen für die Offiziere

Uns fehlen die Mittel zur Belohnung aller Offiziere, die sich ausgezeichnet haben. Die Ehrenzeichen sind der Schwarze Adlerorden, den nur Generalleutnants erhalten, und der Orden pour Ie mérite. Beide aber tragen nicht einen Groschen ein. Die Pensionen bestehen in ungefähr 25 000 Talern, die auf die Domänenkasse angewiesen sind, und in vierzig Amtshauptmannschaften, deren jede 500 Taler einbringt. Einige Pensionen für Offiziere habe ich von geistlichen Stiftern in Schlesien zahlen lassen. Ferner habe ich in allen Domkapiteln Pfründen zu vergeben und einige Gouverneursposten. In Wahrheit werfen alle diese Benefizien zwar so viel ab, um anständig davon zu leben, aber nicht genug, damit die Offiziere und Generale ihre Familien versorgen können. Das wäre indessen nicht nur für eine Zahl von verdienstvollen, aber wenig mit Glücksgütern gesegneten Militärs zu wünschen, sondern auch für den Staat selbst wäre es ehrenvoll, die geleisteten Diensie reichlich zu belohnen. Dann könnten in den Familien die Enkel der jetzt Lebenden sagen: Diesen Besitz hat unser Großvater im Staatsdienst erworben.

Disziplin

Die Mannszucht führt im Heer blinden Gehorsam ein. Sie ordnet den Soldaten dem Offizier unter, den Offizier seinem Kommandeur, den Obersten dem General und sämtliche Generale dem Höchstkommandierenden. Murrt ein Soldat gegen seinen Unteroffizier oder setzt er sich mit dem Säbel zur Wehr, zieht ein Offizier den Degen gegen seinen Kommandeur usw. — über alle diese ist die Todesstrafe verhängt. Ihnen gegenüber darf der Herrscher keine Gnade walten lassen. Das Beispiel wäre zu gefährlich! Die geringste Lockerung der Disziplin würde zur Verwilderung führen, diese zur<173> Aufsässigkeit, und schließlich würden die Chefs nicht Herr ihrer Untergebenen sein, sondern ihnen gehorchen müssen.

Aus dem Grunde besitzen die Generale und Obersien unbeschränkte Vollmacht über ihre Regimenter. Sie haften dem König für sie Mann für Mann. Der Chef empfängt seine Befehle, und der König ist sicher, daß sie zur Ausführung gelangen. Daher kommt es, daß Truppen, die vom Geiste straffer Disziplin erfüllt sind, keinen Ungehorsam, keine Widerrede, keine Klagen kennen. Ja, inmitten der größten Gefahren hören sie auf das Kommando und bieten dem Tode Trotz, wenn ihre Chefs es ihnen befehlen. Sie gehen, wohin sie geführt werden, und verrichten Wunder, wenn das Beispiel tapferer Offiziere sie anfeuert. Die Disziplin hält den Soldaten in Schranken und zwingt ihn zu vernünftiger und geregelter Lebensführung, hält ihn von jeder Gewalttat, von Diebstahl, Trunkenheit und Spiel zurück und nötigt ihn, beim Zapfenstreich in seinem Quartier zu sein. In einem gut disziplinierten Heere muß es ehrbarer zugehen als in einem Mönchskloster. Mit solcher strengen Subordination erreicht man, daß eine ganze Armee von der Führung eines einzigen abhängt. Der braucht, wenn er ein geschickter Feldherr ist, dann nur richtig zu denken und kann sicher sein, daß seine Ideen pünktlich ausgeführt werden.

Ordnung der Regimenter

Unter dem Worte Ordnung versieht man die Gleichmäßigkeit des Dienstes und die Genauigkeit im Exerzieren. Ist ein Regiment in guter Ordnung, dann muß eine Kompagnie der andern ähneln, dann muß Körperhaltung, Ausrüstung, Kleidung, ja selbst die Haltung der Waffen gleich sein. Die Ordnung stellt Exaktheit in den Bewegungen und Kriegsmanövern her und erstreckt sich auf alles, was in der Taktik mechanisch ausgeführt wird. Sie umfaßt gleichzeitig den Wachdienst für Posten und Patrouillen, die Pflichttreue des Offiziers, das Revidieren der Quartiere und Lazarette, alles so, wie es in den militärischen Reglements angeordnet ist, abgesehen von einigen kleinen Änderungen im Exerzieren, die ich eingeführt habe. Da ich die militärischen Reglements hier nicht abschreiben will, so verweise ich Euch darauf. Nur so viel bemerke ich: es ist notwendig, daß der Herrscher selbst ein Regiment führt, es in Zucht und Ordnung hält und es selber exerziert. Damit gibt er der Armee nicht nur ein Beispiel, sondern lernt auch selbst Fehler sehen und verbessern, und kann die Offiziere unterweisen, wie sie die Truppen ausbilden, in Ordnung halten und exerzieren sollen.

Exerzierübungen und Manöver

Die Regimenter versammeln sich alle Jahre auf zwei Monate zum Exerzieren. Diese Übungen haben lediglich den Zweck, die Soldaten auszubilden und ihnen Gewandtheit beizubringen. Ich habe den Brauch eingeführt, nach Ablauf der Exerzier<174>zeit die Truppen nach Provinzen in Lagern zu versammeln und manövrieren zu lassen, um die Offiziere heranzubilden und sie in der Übung der Truppenführung zu erhalten. Ich habe die Taktik zu vervollkommnen gesucht und die Truppen in den verschiedensten Evolutionen geübt, im Aufmarsch nach rechts oder links, nach der Mitte und aus verschiedenen Kolonnen, damit sie sich schneller formieren lernten als alle Truppen der Welt. Ich habe die Offiziere geübt, das Gelände zu beurteilen und richtig zu be-setzen, besonders sich die Flanken zu sichern. Ich habe sie dazu erzogen, im Geschwindschritt auf den Feind loszugehen, ohne zu schießen, nur mit dem Bajonett. Denn man wird den Feind bei kühnem Angriff unfehlbar in die Flucht jagen und viel weniger verlieren als bei langsamem Vorrücken. Eine Schlacht gewinnen, heißt, den Gegner zwingen, Euch seine Stellung zu überlassen. Geht Ihr ihm langsam entgegen, so bringt sein Feuer Euch starke Verluste bei. Rückt Ihr im Geschwindschritt gegen ihn vor, so schont Ihr Eure Soldaten. Eure feste Haltung schlägt ihn und zwingt ihn zu wilder Flucht. Ich habe auch die drei Glieder der Infanterie gleichmäßig ausgebildet. Sie marschieren alle auf ein Wort auf, und die beiden Hinteren Glieder sind ebensogut gedrillt wie das erste. Das ist um so nötiger, als das erste Glied im Kriege starke Verluste erleidet und die beiden anderen bald an seine Stelle treten. Dann aber ist zu ihrer Ausbildung keine Zeit mehr, es muß also vorher geschehen.

Ich habe die Kavallerie geübt, alle Arten von Attacken ungestüm zu reiten, in jedem Gelände zu kämpfen, sich geschwind zu formieren und sich schnell wieder zu sammeln, ihre Flanken zu decken und die des Gegners zu gewinnen. Darin besieht mit wenig Worten die ganze Wissenschaft der Kavallerieführer.

Von ihnen verlange ich rasche Entschlußfähigkeit: die kann ich ihnen nicht beibringen. Man kann wohl die natürlichen Anlagen der Menschen pflegen, aber es sieht nicht in der Macht der Könige, sie nach Belieben auszuteilen. Wenn ich große Kavalleriemassen zusammenzog, habe ich mich nicht damit begnügt, sie alle Arten von Attacken reiten zu lassen. Sie mußten auch die Deckung von Rückzügen übernehmen, auf Fouragierung von Grün- und Trockenfutter gehen und in verschiedenstem Gelände Arrieregardengefechte liefern. Ich habe sie von Husaren angreifen lassen, die bei uns während des Feldzugs den kleinen Krieg führen und in der Schlacht den Dienst der schweren Kavallerie versehen. Alle diese Dispositionen muß der König-Connetable selber entwerfen und auf ihre sorgfältige Ausführung halten. Wäre er nicht zugegen, so ließen die Generale sich gehen, und ihre Nachlässigkeit hätte zur Folge, daß die Armee bei den Manövern nichts lernte und die Zeit der Lagerübungen ungenutzt verstriche.

Artillerie

Die Artillerie erheischt in Friedenszeiten die gleiche Aufmerksamkeit wie die Kavallerie und Infanterie. Ich wiederhole nicht, was ich über die Auswahl der Offiziere gesagt habe. Die Artillerieoffiziere müssen vor allem das Ingenieurwesen studiert<175> haben und die allen Artilleristen Europas eigene Laune ablegen, zur Unzeit Schwierigkeiten zu machen.

Die Artillerie wird zu Schlachten und Belagerungen ausgebildet. Was die Schlacht betrifft, so übt man die Kanoniere im Laden, Zielen und raschen Schießen mit den kleinen Feldlanonen. Sie müssen sie ebenso geschwind ziehen175-1, wie die Infanterie marschiert. Was die Belagerungen angeht, so gewöhnt man sie, gut zu zielen und mit Kanonen jeden Kalibers auf Entfernungen von 12 000 bis 600 Schritt nach der Scheibe zu schießen. Dann läßt man Rikoschettbatterien errichten, um die Linien eines zu diesem Zwecke aufgeführten Polygons der Länge nach zu bestreichen. Die Kanoniere müssen lernen, ihre Batterien in einer Nacht zu erbauen und richtig abzuschätzen, wieviel Pulver zu Rikoschettschüssen gehört, um die Kugel zum Aufprallen zu bringen. Die Haubitzen sind dazu geeigneter. Ich ziehe sie den Kanonen vor. Desgleichen werden die Bombardiere ausgebildet, Bomben aufverschiedene Entfernungen an einen bestimmten Punkt zu werfen. Ich habe die Zimmerleute der Regimenter dem Artilleriekorps angegliedert, damit das Geschütz in der Schlacht besser bedient wird, und vor allem, um die Zahl der Artilleristen zu vermehren, die den Bedürfnissen des Heeres keineswegs entspricht. Desgleichen werden die Kanoniere in den Festungen exerziert, damit sich jeder auf sein Handwerk versieht. Ich habe zwei Mineurkompagnien errichtet, die alle Jahre entsprechende Übungen machen müssen. Man läßt sie gegeneinander arbeiten, damit sie lernen, den zurückgelegten Weg unter der Erde zu beurteilen und ihre Mine zur rechten Zeit springen zu lassen. In Bergen op Zoom175-2 haben sich alle französischen Mineure darin getäuscht. Sie ließen ihre Minen voreilig springen, und so wurden die der Feinde nicht zerstört. Auch läßt man Minen herstellen und laden. Man unterrichtet die Mineure über die verschiedenen Wirkungen des Pulvers, über die richtige Abmessung des Pulvers und der Verdämmungen beim Minenbau, damit die Mine beim Springen den beabsichtigten Erfolg erzielt.

In allen diesen Zweigen der Kriegskunst bedarf es fortwährender Übung. Wird nicht jeder in Friedenszeiten für das vorgebildet, was er während des Krieges leisten soll, so hat man lauter Menschen, die nur den Namen eines Berufes tragen, ihn aber nicht auszuüben wissen.

Pioniere

Mir fehlt ein Pionierkorps. Ich bin entschlossen, es zu bilden, sobald ich die Mittel dazu besitze. Ich möchte zwei Kompagnien haben, jede zu 140 Mann, 10 Unteroffizieren und 4 Offizieren. In dieses Korps sind Zimmerleute, Tischler, Schmiede usw. einzustellen. Es muß in Friedenszeiten ausgebildet werden, alle Arten von Erdarbeiten herzustellen, genau der Ausbildung der anderen Soldaten entsprechend.

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Festungen

Die Fürsorge des Königs-Connetable beschränkt sich nicht bloß darauf, die Truppen in guter Ordnung zu erhalten. Er muß sein Augenmerk auch all den großen Einrichtungen zuwenden, die die Ruhe seiner Staaten sichern und zur Führung eines Angriffs- oder Verteidigungskrieges notwendig sind. In erster Linie rechne ich dazu die Unterhaltung der Festungen und ihre Verproviantierung.

Die festen Plätze sind wie mächtige Nägel, die die Provinzen des Herrschers zusammenhalten. Im Kriege dienen sie als Stützpunkte der Armee, die in ihrer Nähe sieht. Sie sind die Kornkammern der Truppen. Ihr starker Befestigungsgürtel schirmt die Magazine, die Kranken und Verwundeten und die Munition der Armee. Die Grenzfestungen bilden die vordersten Quartiere, wo große Korps sich versammeln können, um zu überwintern oder den Krieg in Feindesland zu tragen, oder endlich, um in Sicherheit zu lagern, während man die Vereinigung mit anderen Truppen abwartet. Ich halte es nicht für angebracht, die Zahl der Festungen allzu stark zu vermehren. Ihr Bau, ihre Unterhaltung und besonders ihre Besatzung verursachen große Kosten. Der Fall, daß neue Festungen gebaut werden müßten, würde eintreten, wenn neue Provinzen durch Eroberungen zu den alten hinzukommen. Für die Anlage ihrer Verteidigungswerte könnte man sich, glaube ich, nach unseren jetzigen Festungen richten. Sie sind von großer Verschiedenheit, je nach der Natur des Geländes und nach den Zwecken, die man an den verschiedenen Orten verfolgt, sei es, daß man einen Einfall der Feinde fürchtet oder selbst in ihr Gebiet einfallen will. Die Hauptregeln bei der Anlage von festen Plätzen sind folgende.

Das Gelände, das man befestigen will, ist richtig zu benutzen durch Anlage geeigneter Werke, die von keiner Höhe beherrscht werden dürfen und sich mit ihren Flanken gegenseitig Hilfe leisten können. Es ist ein großer Fehler der Ingenieure, die Werke allzuweit in die Ebene vorzuschieben und sie so weitläufig und zahlreich zu bauen, daß zu ihrer Verteidigung eine ganze Armee nötig ist. Die große Kunst besieht darin, mit wenig Mitteln beträchtliche Wirkungen zu erzielen. Wie ein Kleid, das gut sitzen soll, sich der Figur des Bestellers genau anschmiegen muß, so müssen auch die Werke eines gut befestigten Platzes der Ausdehnung der Stadt entsprechen, die sie umgeben, und der Besatzung, die zu ihrer Verteidigung bestimmt ist. Wer dieses Verhältnis nicht beachtet, gerät in die mißliche Lage, daß er in kleinen Städten weder hinreichende Deckung für eine starke Besatzung findet, noch genügend Platz für die riesigen Proviant- und Munitionsmagazine, die eine große, mit Truppen angefüllte Festung<177> erfordert. Durch viele starke Besatzungen wird auch das Heer geschwächt und ist dann fast außerstand, im Felde zu operieren.

Prüfen wir also, welche Verteidigungsmittel anzuwenden sind, um mit wenig Mitteln eine gute Verteidigung zu erreichen. Ich finde vor allem zwei. Beide Elemente, Wasser und Feuer, jedes an der richtigen Stelle gebraucht, legen dem Belagerer die größten Schwierigkeiten in den Weg und schonen die Truppen des Belagerten sehr. Das Wasser benutzt man zu Überschwemmungen und Außengräben. Findet man ähnliche Becken wie das von Neiße, so kann man Außengräben, Schleusen und Überschwemmungen so anlegen, wie ich es getan habe. Bei Wassermangel muß man seine Zuflucht zum Feuer nehmen und den gedeckten Weg, das Glacis und die Werke gut minieren. Minen ziehen eine Belagerung sehr in die Länge und verteidigen den Platz besser als Festungswerke. Sie zwingen den Feind zu vorsichtigem Handeln, und sind sie in Höhe des Wasserspiegels angelegt, so kann er sie unmöglich zerstören. Eine gut angelegte Mine soll dreimal springen können: zunächst die Flattermine, dann die Kammer, die zehn Fuß unter der Erde liegt, und schließlich die eigentliche Mine, die sich oft in einer Tiefe von 25 und mehr Fuß befindet. Oft werden auch Haupt- und Zweigstellen gebaut, um die Galerien dem Feinde möglichst weit entgegenzutreiben. Als Muster für Minenanlagen können die auf dem Fort Preußen in Neiße und alle in Schweidnitz gelten.

Die Glacis der festen Plätze an den Grenzen der Kaiserin-Königin müssen noch besondere Verteidigungseinrichtungen erhalten. Das geschieht durch bombensichere Kaponnieren, die man am einspringenden Winkel des gedeckten Weges anlegt und mit je einem Unteroffizier und zwölf Mann besetzt. Solche Anlagen zur Bestreichung des Grabens bewähren sich vortrefflich bei Überfällen, die von leichten Truppen, Panduren und Kroaten bisweilen recht dreist versucht werden. Was die Festungswerke selbst betrifft, so glaube ich, die besten sind die doppelten gedeckten Wege, ähnlich wie in Wesel, die schmalen Enveloppen, die Ravelins mit Grabenscheren und zurückgebogenen Flanken, die Bastionen mit zurückgebogenen Flanken, an denen man Plätze freiläßt, von wo aus das Geschütz ungesehen den Graben bestreichen kann. Ich muß hier eine Erfindung hinzufügen, die ich in Glatz habe ausführen lassen. Sie besieht darin, daß man das Glacis nicht in geraden, sondern in gebrochenen Linien führt, um es vor der Längsbestreichung zu sichern. Traversen geben niemals hinreichenden Schutz dagegen. Ich glaube auch, daß Glatz zum Muster für Außenwerke genommen werden kann. Diese Anlagen sollen verhindern, daß die Festung von den umliegenden Höhen beherrscht wird. Was die Höhen um eine Stadt betrifft, so möchte ich niemals zu ihrer Befestigung raten. Wenn sie nicht aus Felsen bestehen, ist es billiger, den Gipfel allzu naher Berge abzutragen und Einsenkungen, die dem Gegner als Ansatz zu Laufgräben dienen könnten, auszufüllen, als eine Ebene bis ins Unendliche zu befestigen. Mit diesen Mitteln kann man gute Festungen anlegen und behält doch starke Armeen im Felde.

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Womit man eine Festung ausrüsten muß

Sind die Werte vollendet, so muß die Festung mit allem ausgerüstet werden, was zu einer Belagerung nötig ist. Liegt sie an der Grenze, so ist sie zur Verteidigung einzurichten und gleichzeitig mit Lebensmitteln und Munition zu versehen, um die Unternehmungen Eurer Armee gegen Eure Feinde zu erleichtern. Was den ersten Punkt betrifft, so können die Festungswerke als die geringste Ausgabe betrachtet werden. Alsdann sind große Kasernen zur Aufnahme zahlreicher Truppen zu errichten und mit Betten und anderen erforderlichen Utensilien auszustatten. Auch kann ein großes Lazarett zur sicheren Unterbringung der Kranken und Verwundeten erbaut werden. Ein Zeughaus mit zahlreichem Geschütz ist nötig, mit Zwölf, und VierundzwanzigPfändern für die Wälle, mit Drei- und Sechspfündern für den gedeckten Weg und mit Mörsern im Verhältnis zu den Werken. Der Bau der Pulvermagazine erfordert nicht weniger Aufmerksamkeit und Kosten. Gewöhnlich legt man sie in die Schultern der Ravelins an die Stelle, wo man am wenigsten einen Angriff befürchtet. Größere legt man sogar dicht bei Flüssen an und baut die Mauern auf der der Stadt abgewandten Seite schwächer, damit eine etwaige Explosion der Stadt und den Befestigungen nichts schaden kann. Sind die Werke einer Stadt mit Minen versehen, so braucht sie viel mehr Pulver als eine Festung ohne unterirdische Verteidigungsan, stalten. 8 000 Zentner Pulver sind für eine Stadt von mittlerer Größe nicht zuviel. Man rechnet 1 000 Kugeln auf das Geschütz, 500 Bomben auf jeden Mörser und einige Millionen Gewehrkugeln für das Infanteriefeuer. Alles in allem gerechnet, braucht der einzelne Mann der Besatzung 1800 Schüsse. Ebenso rechnet man drei Gewehre pro Kopf. Die Artilleriemagazine sind zu füllen mit Schwefel, Salpeter, Lunten, Blei, Eisen, Teer, Seilen, Hacken, Bellen, Schaufeln, Ersatzlafetten, Sattel, wagen, Sturmhaten und all den Werkzeugen, deren eine belagerte Stadt zu ihrer Ver<179>teidigung bedarf. Zu erbauen ist ferner ein großes Vorratsmagazin, das wenigstens so viel Mehl enthalten muß, um die Besatzung ein Jahr lang zu ernähren.

Das sind ungefähr und in großen Zügen die Haupterfordernisse für eine Festung. Handelt es sich um einen sogenannten Waffenplatz, von dem aus man einen Angriffskrieg unternehmen will, so müssen die Mehlmagazine beträchtlich genug sein, um den Unterhalt von 60 000 Mann auf vier Monate zu decken. Ferner muß ein Park von Belagerungsartillerie aufgestellt werden, bestehend aus 25 Mörsern, 30 Vierundzwanzigpfündern, 20 Zwölfpfündern und 12 Haubitzen mit doppelt soviel Kugeln, als zur Verteidigung eines Platzes gebraucht werden. Die Armee braucht 8 000 Zentner Pulver, einige Millionen fertiger und geladener Kartuschen, 30 bis 40 Pontons mit ihren Wagen, 15 000 bis 20 000 Gewehre, Schabracken, Sättel, Pistolen, Säbel, Zaumzeuge, Koppel, Patronentaschen usw., damit der Platz die Armee im Felde mit allem Erforderlichen versehen kann.

Wenn alle diese Vorbereitungen nicht im voraus getroffen sind, so bezahlt man im Bedarfsfall das Doppelte und bringt sie nicht zur rechten Zeit und an dem bestimmten Orte zusammen. Der Heerführer wird immerfort in seinen Unternehmungen aufgehalten, kann seine Vorteile nicht ausnutzen und wird nur einen schlechten und unglücklichen Krieg führen.

Waffen- und Gcschützmagazine für die Armee

Unsere Magazine für die Feldarmee befinden sich großenteils in Berlin, Breslau, Magdeburg und Stettin. Vorhanden sind 100 Schüsse pro Mann in jeder ProvinzHauptstadt für die dort in Quartier liegenden Truppen. Die Feldartillerie besieht aus zwei Dreipfündern für jedes Infanterie- und Grenadierbataillon. Sie ist auf Berlin und Breslau verteilt. Zu ihr gehört ein Part von schwerer Artillerie zur Verwendung im Felde, besonders in Schlachten, von kleinen Mörsern und einigen Haubitzen mit aller dazugehörigen Munition. 100 Kugeln pro Geschütz betrachten die Artilleristen als hinreichend für zwei Feldzüge. Ich lasse gegenwärtig an der Vermehrung dieser Munition arbeiten, um sie zu verdoppeln und so für alle Fälle gerüstet zu sein. Wir haben ferner drei Pontonbrücken, die größte in Berlin, die zweite in Magdeburg und die dritte in Neiße. Alles Blei, das in Berlin war, ist in Kugeln umgegossen. Ich habe die Festungen damit versehen und in der Hauptstadt nur so viel zurückbehalten, als für die Regimenter der Provinz und den Bedarf der Artillerie notwendig ist. Man muß sich im voraus mit Blei versorgen. Am billigsten kauft man es im Harz. Kanonenkugeln und Bomben werden bei uns nicht in genügender Menge hergestellt. Ich lasse sie aus Schweden kommen.

In Berlin ist ferner das allgemeine Magazin für die Armee. An Waffen und sonstigem Bedarf befinden sich im Zeughaus gegenwärtig 21 000 Gewehre (20 000 mehr sind nötig), Sättel für 3 000 Reiter, Koppel für acht Regimenter, Patronen<180>laschen, Säbel, Wehrgehänge usw. Das ist aber nur der Anfang des für die Armee erforderlichen Magazins, von dem ich bald noch zu reden haben werde. Wird eine beträchtliche Truppenvermehrung geplant, so sind dafür Vorbereitungen zu treffen und im voraus für die Kavallerie wie für die Infanterie Waffen, Säbel, Wehrgehänge, Patronentaschen, Pistolen, Sättel, Zaumzeug, Steigbügel, Gebisse, Koppel aufzuspeichern. Werden solche Vorkehrungen beizeiten getroffen, so wird der Krieg, wenn man ihn führen muß, weniger kostspielig, und das Verlorene läßt sich schneller ersetzen, als wenn man sich nicht im voraus gerüstet hat.

Das Ökonomiedepartement und die Beschaffung der Ausrüstung, Uniformen und Pferde

Die Bekleidung der Kavallerie, Infanterie und Husaren und das Geld, das der Staat für die Remonten bezahlt, gehört zu den drei Kassen, deren Leitung Generalleutnant von Massow180-1 hat. Die Uniform der Infanterie kostet jährlich 503 650 Taler. Für die Kavallerie180-2, Dragoner und Husaren bezahlt der Staat 255 686 Taler. Daran werden 40 000 Taler gespart. Die Remonten bezahlt der Staat mit 214 258 Talern. Die vakanten Rationen bringen 88 103, also beträgt die Ersparnis 127 000 Taler. Auf diese Weise werden bei den drei Kassen jährlich gut und gern 152 000 Taler erspart. Daraus hat sich ein Fonds von 668 000 Talern gebildet, aus dem der Armee Pferde für zwei Feldzüge geliefert werden können, und ein zweiter von 100 000 Talern, mit denen die Überzähligen beritten gemacht werden. Außerdem hat die Kasse für 100 000 Taler Kriegsbedarf an das Armeemagazin geliefert. Die Komplettierung dieses Magazins wird noch 300 000 Taler kosten. Außer obiger Ersparnis besitzt die gesamte Infanterie eine Reserveuniform. Das ist keine Knauserei, sondern kluge Vorsicht, um den letzten Taler in der Tasche zu haben und nicht die Waffen vor einem mächtigen Feinde sirecken zu müssen, der mehr Hilfsquellen besitzt und den Krieg nur in die Länge zu ziehen braucht, nach Art von Leuten, die einen Prozeß verschleppen, um ihren Gegner mattzusetzen und ihn zur Aufgabe des Kampfes zu zwingen, da er ihn aus Mangel an Mitteln zur Bestreitung der Kosten nicht fortsetzen kann.

Das Kriegskommissariat

Das Kriegskommissariat bildet die Grundlage der Armee: es ernährt sie. Zu dem Zweck habe ich außer den Getreidemagazinen, die für das Land in schlechten Jahren bestimmt sind180-3, in allen Provinzen Vorratsmagazine für das Heer eingerichtet. Der ganze Vorrat besieht aus 53 000 Scheffeln. Mit 40 000 Scheffeln kann man<181> 100 000 Menschen 17 Monate und 3 Tage ernähren. Die Getreidemagazine sind auf die festen Plätze und die Städte am Laufe der großen Flüsse verteilt, können also, nach welcher Seite der Krieg sich auch wendet, mühelos dorthin geschafft werden. Zwei Drittel dieser Magazine bestehen aus Mehl, weil es sich besser hält als Getreide und man in Kriegszeiten nicht Mühlen genug findet, um die erforderliche Menge für das Heer zu mahlen. Das letzte Drittel besieht aus Korn, das im Falle einer Haferteuerung als Pferdefutter zu verwenden ist. Der Kornvorrat wird alle drei Jahre ausgewechselt, damit er nicht schlecht wird. Dank dieser Maßnahme werden unsere Magazine nie durch Hitze, Mäuse und Ungeziefer verdorben.

Das Kommissariat führt die Aufsicht über die Proviantwagen der Regimenter. Um eine richtige Vorstellung davon zu geben, entwerfe ich eine gedrängte Schilderung unserer Provianteinrichtungen im Kriege. Ist eine etwas längere Unternehmung geplant, so bekommt jeder Soldat für 6 Tage Brot. Die Kompagniewagen führen Brot für weitere 6 Tage mit. Außerdem hat das Kommissariat Wagen, deren jeder drei Tonnen Mehl befördert. Die Wagen sind auf Königsberg, Berlin und Breslau verteilt und reichen hin, um für 10 Tage Mehl fortzuschaffen. Es ergibt sich also: der Soldat trägt für 6 Tage Unterhalt, die Kompagniewagen für 6 Tage und der große Fuhrpark für 10: im ganzen 22 Tage. Zur schnellen Vermehrung der Depots, die man in Feindesland anlegt, wo man allenthalben Getreide findet, habe ich für jede Kompagnie Handmühlen herstellen und sie an die ganze Armee verteilen lassen. Läßt man das Getreide dreschen und von Soldaten mahlen, so kann man in acht Tagen einen Mehlvorrat für 15 Tage bekommen, der mit dem Mehl des Kommissariats vermischt gutes Brot liefert.

Außer allen diesen Fuhrwerken führen wir bei der Armee noch eiserne Backöfen für die Bäckerei mit. Im Feldzuge von 1744 besaßen wir nicht genug davon: das hat mich in große Verlegenheit gebracht. Da Erfahrung vorsichtig macht, habe ich 48 anfertigen lassen: das genügt ungefähr für ein Heer von 100 000 Mann. In den früheren Kriegen waren wir gezwungen, die Kähne der Kaufleute mit Beschlag zu belegen. Da sich aber ergab, daß der Handel dadurch zu sehr litt, schlug man mir vor, geschlossene Kähne zum Transport von Korn und Futter bauen zu lassen. 30 davon sind fertig, 140 fehlen noch. Da sie aber während des Friedens verfaulen könnten, werde ich mich damit begnügen, das nötige Zimmerholz schneiden und Herrichten zu lassen und es in einem Magazin in Küstrin zu verwahren. Im Bedarfsfalle können die Kähne dann binnen drei Wochen fertiggestellt werden.

Ferner führt das Kommissariat Listen über alle Provinzen und über die Verteilung der Artillerie- und Trainpferde, der Knechte und Trainsoldaten der Armee. Die Artilleriepferde und Lebensmittel werden vom Havelland, vom Magdeburgischen, Halberstädtischen, dem Mindener Land und von Pommern geliefert. Die Kavallerieregimenter stellen die Artillerieknechte aus ihren Kantons. Ebenso bezieht jedes Regiment seine Troßknechte aus den in die Stammrolle eingettagenen Bauern seines<182> Kantons. Desgleichen sind die Pferde in Listen eingetragen und werden jährlich zweimal vom Landrat gemustert. Die Bagagepferde für die Offiziere bereiten die größte Schwierigkeit. Ich bezahle sie den Offizieren. Da sie aber Mühe hätten, sie schnell zusammenzubekommen, so habe ich einige tausend in Mecklenburg auflaufen lassen und sie statt des Geldes den Offizieren gegeben. Das war vorteilhafter.

Münchow182-1 hat eine Einrichtung in Schlesien getroffen, die sich in dringenden Fällen als sehr nützlich erweisen wird und die man in den übrigen Provinzen nachahmen kann. Sie besieht darin, daß die Kreise in Schlesien ständig eine bestimmte Menge Hafer, Stroh und Heu in Bereitschaft halten, genug, um die Pferde einer Armee von 60 cxx> Mann vier Wochen lang zu ernähren.

Servis und Quartier in Friedenszeiten

Das Servis der Städte besteht in einer bestimmten Geldsumme, die die Bürgerschaft an die Garnison zahlt. Dafür sucht die sich ihr Unterkommen und vergütet es den Bürgern. Die ganze Armee hat zehn Monate im Jahre viele Urlauber, damit der Kapitän von dem Gelde, das er dabei gewinnt, schöne Leute im Ausland anwerben kann, um seine Kompagnie zu heben und zu rekrutieren. Wegen dieser Urlauber zahlen die Städte nur für eine bestimmte Zahl von Soldaten. Das heißt, die großen oder die Hauptstädte der Provinzen entrichten das Servis nur für 90 Mann, für die Unteroffiziere und Offiziere, und nur während der beiden Exerziermonate für die volle Truppenstärke. Die Unterbringung des Soldaten und seine Verpflegung in Friedenszeiten erfordert gute Einrichtungen. Für seinen Unterhalt muß folgendes verlangt werden. Während der zehn Monate, wo die Urlauber nicht da sind, muß er in guten Betten schlafen. Es dürfen nicht mehr als vier Mann in einem Zimmer liegen. Keiner darf im Keller oder unter dem Dach, in schmutzigen und ungesunden Löchern einquartiert werden. Jeder Soldat hat drei wachfreie Nächte. Er wirtschaftet selber und gibt am Löhnungstage fünf Groschen von seiner Löhnung an den Kameraden ab, der die Wirtschaft führt und ihn ernährt. Der Soldat kocht am Herde des Bürgers, bei dem er wohnt. Durch diese Einrichtung erhält man den Soldaten gesund, kräftig und sauber. Die Sorge für die Wirtschaft verhindert ihn, liederlich zu leben. Er ist seiner Mahlzeit sicher, kann sich nicht alle Tage in Branntwein betrinken, macht Bekanntschaften in der Kompagnie und freundet sich mit seinen Kameraden an. Er wird seltener krank, und vor allem unterscheidet sich die Art seines Unterhalts in Friedenszeiten kaum von der im Kriege; denn er ist gewohnt, selbst zu kochen und seinen Haushalt zu besorgen.

Unsere ganze Infanterie sieht in den Städten. Es liegt sehr im Interesse der Ordnung und Mannszucht, daß die Regimenter an ein und demselben Orte in Garnison<183> sind. Dann kann man die Soldaten, die sich gegen ihre Wirte ungehörig betragen, sireng bestrafen. Der Bürger hat keinen Anlaß zur Klage über den Soldaten noch der Soldat Anlaß zur Klage über den Bürger. Ebenso sieht die Kavallerie in den Städten, aber nur wenige Regimenter liegen in einer Garnison zusammen. Die Regimenter Gensdarmes, Buddenbrock, fünf Estadrons von Schorlemer und fünf von Zielen genießen diesen Vorteil. Die übrigen sind alle mehr oder minder auf die kleinen Städte verteilt. Durchaus zusammengelegt werden müßten die Quartiere der Regimenter Markgraf Friedrich, Prinz von Preußen, Bredow und der Carabiniers. Die Schwierigkeiten, die sich in den Weg stellen, sind Mangel an Futter und an genügenden Stallungen. Die Kavallerie darf für gewöhnlich sechs Wochen lang 20 Pferde jeder Eskadron auf Weide schicken. Man muß sich jedoch wohl hüten, ihr in diesem Punkte den Zügel zu locker zu lassen.

Ich habe noch nicht von den Kasernen gesprochen. Sie sind gut in bestimmten Fällen und wenn man es nicht übertreibt. Gut ist es z. B. in großen Städten zur Erleichterung der Bürgerschaft, alle verheirateten Soldaten in Kasernen unterzubringen. Daher beabsichtige ich, in Berlin für jedes Regiment eine Kaserne erbauen zu lassen, die 100 Mann beherbergen kann. Übrigens verlieren die Regimenter, wenn sie die unverheirateten Soldaten in Kasernen legen. Notwendig aber werden die Kasernen in Grenzfestungen, in denen im Kriege eine beträchtliche Truppenmacht versammelt werden muß. Dann bewahrheitet sich das Sprichwort: Not kennt kein Gebot.

Alles oben Gesagte über die Wirtschaft und die Verpflegung des Infanteristen gilt ebenso für die Kavallerie.

Notwendigkeit dieser Fürsorge

Das ist ungefähr alle Fürsorge, die das Militär in Friedenszeiten erheischt. Wenn Europa sich bei meinem Tode in Ruhe befindet, wird sich das alles leicht in dem jetzigen Gang erhalten lassen, den es durch die Gewohnheit einiger Jahre bereits angenommen hat. Der Augenblick aber, wo ein Herrscher am meisten zu tun hat, ist die Zeit nach Beendigung eines Krieges. Er allein kann dann durch sein Beispiel und durch seinen Fleiß die Truppen und alle Geschäfte in den alten Zug bringen, zumal die Einzelheiten bei sehr viel Offizieren in Vergessenheit geraten sind oder von anderen als überflüssig betrachtet werden. Dann muß der König-Connetable dafür sorgen, daß bei seinen Truppen die alte Mannszucht zurückkehrt. Er muß sie exerzieren und manövrieren lassen, muß die Offiziere, die sich vernachlässigen, bestrafen und mit seiner ganzen Herrscherautorität auf pünktliche Pfiichterfüllung dringen. Er muß darauf bedacht sein, seine Kavallerie wieder gut beritten zu machen, die Feld- und Belagerungsartillerie zu ergänzen, die Ordnung in den Kassen herzustellen, die Wirtschaft und die Quartiere der Regimenter gut zu regeln, den Fuhrpark des Kommissariats zu erneuern, die Festungen instand zu setzen und zu ver<184>proviantieren oder neue zu bauen, soviel Geld als nur möglich auf gesetzmäßigem Wege in den Schatz zu legen und alles, was die Armee betrifft, auf den alten Fuß vor dem Kriege zu bringen. Ebenso muß er sich nach dem Kriege bemühen, den Charakter der im Felde beförderten Stabsoffiziere kennen zu lernen, damit er im Falle eines neuen Krieges weiß, wozu er sie verwenden kann. Ohne dieses Menschensiudium wird der Herrscher, der seine Armee selbst befehligt, entweder genötigt, seine Generale um Rat fragen zu müssen, so oft er eine Wahl zu treffen hat, oder schlecht wählen. Der erste Fall ist bedenklich, da die Generale menschlichen Leidenschaften unterworfen sind. Im zweiten Fall überläßt er sich dem Zufall. Der Herrscher muß also alles daransetzen, die Begabung der Offiziere kennen zu lernen, damit sie, wenn er ihnen Aufträge erteilt, zu deren Ausführung befähigt und imstande sind.

Der Generalstab der Armee

Will der Herrscher seine Armee selbst kommandieren, so muß er einen Generalstab bei sich haben. Der meine umfaßt gegenwärtig ungefähr folgende Personen: einen Generalquartiermeister, einen Quartiermeisterleutnant, fünf Ingenieure oder Zeichner (das genügt für eine Armee, aber je nach der Truppenzahl ist das Doppelte oder Dreifache nötig), ferner vier Kapitäne, die den Dienst von Brigademajors versehen, einen Adjutanten, der die Einzelheiten in der Armee unter sich hat, einige Generale und Obersten für besondere Kommandos, einige Oberstleutnants und Majors, die in Kriegszeiten die Grenadierbataillone184-1 führen sollen, und einige Flügeladjutanten. Ich stelle sie außerhalb der Armee; denn nähme ich sie während des Feldzugs aus den Regimentern, so würden ihre Kompagnien und der Regimentsdienst darunter leiden. Die Kapitäne haben für Herstellung von Wegen zu sorgen, die Bagage zu beaufsichtigen, damit sie in Ordnung marschiert, auch Transporte zu führen. Außerdem sieht Oberst Retzow184-2 an der Spitze des Kommissariats, unter ihm vier Offiziere, die das Detail dieses Dienstzweiges besorgen. Alle werden im Frieden stets zur selben Arbeit gebraucht, lernen also ihren Bemf gründlich kennen und verstehen sich im Kriege darauf.

Zukunftsphantasien184-3

... Wenn man in der Lage ist, das Heer zu vermehren, worin sollen dann die neuen Aushebungen bestehen? Das kommt auf das Land an, das Ihr erobert habt. In Sachsen könnt Ihr 40 Bataillone und 40 Schwadronen unterhalten, in PolnischPreußen zwei bis drei Husarenregimenter errichten, in Mecklenburg 10 Bataillone und10 Schwadronen Dragoner....

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Angesichts der mächtigen Nachbarn Preußens wäre zu wünschen, daß die Armee auf folgenden Fuß gebracht würde: 180 Bataillone Infanterie und Grenadiere, 100 Schwadronen Kürassiere und 100 Schwadronen Husaren, 4 Bataillone Felds artillerie, 4 Bataillone Garnisonartillerie, 6 Kompagnien Mineure, 4 Kompagnien Pioniere, 200 Ingenieuroffiziere; Generalsiab, Kommissariat und das übrige im Verhältnis dazu. Mit einer so zahlreichen Armee könnte der Staat nach allen Seiten Front machen und sich gegen seine Feinde mit Überlegenheit behaupten.

Ich für mein Teil habe mit allen Kräften zur Vermehrung des Heeres und zur Stärkung des Staates beigetragen. Ich glaube, daß meine Zeit vorüber ist, und hinterlasse diese Projekte der Nachwelt, damit sie nicht denkt, in Preußen sei schon alles geschehen, und damit sie sieht, daß die bestehenden Einrichtungen in allen Zweigen der Staatsregierung nichts im Vergleich zu dem sind, was noch zu tun bleibt.

Man wird mir einwenden, daß ich immer nur von der Landmacht spreche, von der Seemacht aber schweige. Bis jetzt sind die Hilfsquellen des Staates kaum ausreichend, die Armee zu bezahlen und soviel im Schatz niederzulegen, wie nötig ist, um sie vor dem Feinde manövrieren zu lassen. Es würde jetzt ein großer politischer Fehler sein, wenn man daran denken wollte, unsere militärische Kraft zu zerrütten. Die Österreicher sind unsere wahren Feinde, sie haben nur Landtruppen, und an sie müssen wir bei allen unseren militärischen Maßnahmen denken. Rußland hat in der Tat eine Flotte und eine große Anzahl von Galeeren. Aber unsere Küsten sind zu Landungen für sie nicht geeignet. Ihre Flotte kann uns nichts weiter antun, als daß sie in dem neutralen Hafen von Danzig landet und dort Truppen ausschifft, um die Verbindung zwischen den Truppen in Pommern und Ostpreußen ab, zuschneiden.

Wären wir Herren von Polnisch-Preußen und besonders von Danzig, so würde die Sache sehr anders stehen. Dann würde ich raten, an die dreißig Galeeren und einige Fähren mit ansehnlichen Batterien zu halten, wie die Schweden, die damit zwischen ihren Inseln gleichsam ein Bollwerk bilden und die Galeeren auf der Reede verteidigen. Man könnte außerdem 8 bis 10 Fregatten halten, um die Galeeren dahin zu begleiten, wo man sie braucht. Ich würde nicht raten, Linienschiffe zu bauen, weil man sie in der Ostsee wenig brauchen kann und sie unermeßliche Kosten machen. Und wozu könnte man sie verwenden? Etwa zum Kriege gegen Rußland? Was kann man in diesen öden und barbarischen Gebieten der Zarin gewinnen? Sie für uns erobern wäre Torheit; sie für andere erobern wäre recht unnütz, und wenn es geschehen sollte, so müßten die, welche dieser Eroberungen sich erfreuen wollten, ihre Schiffe und ihre Flotte dazu leihen....

Es gibt andere, notwendigere Einrichtungen, die bei uns zum Vorteil der Armee getroffen werden müssen. Sie bestehen in der Ermunterung der Salpetermanufakturen, in der Vermehrung der Pulverfabriken, damit sie jährlich 10 000 Zentner liefern können, in der Vermehrung der Bomben- und Kugelgießereien, in der<186> Hebung der Waffenfabrik, deren Leistung so erhöht werden muß, daß sie jährlich 20 000 Gewehre, 10 000 Degen und 4000 Säbel herzustellen vermag.

Nachdem ich in diesem politischen Testament von allen Zweigen der Staatsverwaltung gesprochen habe, schließe ich es mit einigen Gedanken über die Erziehung, die einem Prinzen zuteil werden muß, damit er nach seiner Thronbesteigung all diese verschiedenen Geschäfte bewältigen kann.

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Prinzenerziehung

Angesichts der schlechten Erfolge der durchschnittlichen Erziehung der Prinzen souveräner Häuser habe ich mich oft gefragt, welche Wege einzuschlagen seien zur Heranbildung eines Mannes, der würdig ist, anderen zu gebieten. Der Grund für die schlechte Erziehung, die die Söhne der Könige erhalten, ist jedenfalls in der Politik der Minister und der Selbstsucht der Geistlichen zu suchen. Die finden ihre Rechnung dabei, wenn sie die Prinzen in Furcht und Abhängigkeit aufwachsen lassen. Eifersüchtig auf ihr Ansehen und ihre Macht, möchten die Minister den Herrschern nur die äußere Repräsentation lassen. Sie selbst wollen despotisch regieren, aber ihr Herr soll sich mit der leeren Prärogative begnügen, ihre Befehle in seinem Namen zu erlassen. Um einen Prinzen von klein auf an das Joch zu gewöhnen, das sie ihm zudenken, erziehen sie ihn unter dem Gepränge der Größe und Majestät und schließen ihn von der Gesellschaft unter dem Vorwande ab, daß sein hoher Rang ihm nicht gestatte, sich zum Niveau der Sterblichen herabzulassen. Sie flößen ihm eine so törichte hohe Meinung von seiner erlauchten Geburt ein, daß er sich wie ein göttliches Wesen vorkommt, dessen Wünsche Gesetze sind und das, wie die Götter Epikurs, in ewiger Untätigkeit dahinleben soll. Sie bringen ihm die Meinung bei, daß es seiner unwürdig sei, sich mit Einzelheiten abzugeben. Er brauche nur zu sagen, es werde Licht, und es wird Licht. Seinen Bedienten komme es zu, zu arbeiten, er aber habe in glücklichem Nichtstun die Frucht ihrer Mühen zu genießen. Zu allen diesen Chimären von seiner Herrlichkeit gesellt sich der Zwang der Etikette. Seine Schritte werden mit dem Zirkel des Zeremoniells abgemessen. Seine Äußerungen und Unterhaltungen sind von seinem Gouverneur diktiert. Seine Begrüßungen richten sich sklavisch nach dem Titel derer, die er empfängt. Seine Vergnügungen sind im Etikettenbuch verzeichnet, nebst Tag und Stunde, wo er sie genießen darf. Sein Gouverneur stößt ihm großes Mißtrauen gegen sich selbst ein. Er wagt nicht das kleinste zu unternehmen, ohne um Rat zu fragen und Erlaubnis einzuholen. Schließlich macht diese fortgesetzte Gewohnheit den Zögling verlegen gegenüber der Welt, die er nicht kennt, mißtrauisch gegen seine eigenen Kräfte, scheu, furchtsam. Er wird träge, die Geschäfte langweilen ihn, und statt ein Herr zu werden, wird er ein Sklave.

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Die Geistlichen ihrerseits trachten, ihn abergläubisch und bigott zu machen. Sie suchen ihn zu einem Wesen heranzubilden, das den Gründern der Mönchsorden gleicht. Seine geringfügigsten Handlungen rechnen sie ihm zum Verbrechen an, damit sein geängstigtes Gewissen in steter Furcht vor der ewigen Höllenqual schwebe und sich desto williger von ihnen beherrschen lasse. Sie prägen ihm tiefe Verehrung für das Priestertum ein, heiligen Abscheu gegen jede andere Religion als die seiner geistlichen Erzieher. Kurz, indem sie ihm geschickt den Teufel an die Wand malen, gelingt es den Priestern, ihn nach ihrem Gutdünken zu beherrschen.

Zu den ehrgeizigen und selbstsüchtigen Plänen der Minister und Geistlichen treten die guten Absichten seiner Eltern, die ihn vollends verderben. Sie wollen ihren Sohn zum Musterbild machen. Die guten Leute begreifen nicht, daß er ein Trottel wäre, wenn er keine Leidenschaften hätte. Trotzdem wünschen sie sehnlichst, daß er leidenschaftslos sei. Sie wollen ihn zum Gelehrten erziehen und pfropfen ihm wahllos Gelehrsamkeit in den Kopf. Damit verleiden sie ihm die Wissenschaften für immer oder machen ihn zum vollständigen Pedanten. Um seine Sitten zu bessern, unterdrücken sie tyrannisch seine kleinsten Wünsche. Sie verlangen, daß er mit fünfzehn Jahren die Geistesbildung und die Reife des Urteils besitze, die die Franzosen nicht vor dem vierzigsten Jahre erlangen. Ja, er soll sich sogar in dem Augenblick verlieben, wo sein Vater es wünscht, in die Person, die er ausgewählt hat, und gegen die übrigen Frauen so kühl bleiben wie Priamos gegen die schöne Helena. Die Folge solcher weisen Erziehung ist, daß der Prinz nach dieser Bevormundung ein ganz gewöhnlicher Mensch wird und nach seines Vaters Tode als Herrscher unter der Last der Regierung erliegt.

Dergleichen habe ich während meines Lebens oft gesehen. Ja, mit Ausnahme der Königin von Ungarn und des Königs von Sardinien188-1 deren Geist über ihre schlechte Erziehung triumphiert hat, sind alle Fürsten Europas nur erlauchte Trottel.

Prüfen wir nun, auf welche Weise man einen Staatsmann heranbilden muß, der alle Pflichten der Regierung zu erfüllen vermag. Ich nehme an, daß es sich um einen Knaben handelt, der gute geistige Anlagen besitzt und kein unausrottbares Lasier auf die Welt gebracht hat. Ihm muß ein Gouverneur mit festem und mUdem Charakter ausgesucht werden, der den vorgeschriebenen Erziehungsplan genau befolgt. Die gleiche Aufmerksamkeit ist der Wahl der Bedienten zu widmen, die zu seinem persönlichen Dienste bestimmt sind, damit er in seiner Jugend nur die Eindrücke in sich aufnimmt, die er empfangen soll. Vom sechsten bis zum zwölften Jahre muß er lesen, schreiben, rechnen lernen, einen kurzen Überblick über die alte Geschichte bekommen, Geographie und die moderne Geschichte von Karl V. bis auf unsere Tage gut kennen lernen. Der Unterricht in Geographie und Geschichte darf nicht trocken und geisttötend sein. Indem man das Gedächtnis eines Kindes anfüllt, muß man<189> gleichzeitig zu seinem Verstande sprechen. Eine pedantische Lehrmethode läßt nur Tat-fachen in seinem Gedächtnis zurück. Beim geographischen Unterricht kann er gleich, zeitig über die Interessen der Fürsien belehrt werden, über die Verschiedenheit der Regierungsformen, über die Hauptzweige des Handels, den jedes Volk treibt, über seine Erzeugnisse. Auch eine Beschreibung der Hauptstädte kann gegeben werden. Beim Geschichtsunterricht kann man ihm edlen Wetteifer einflößen, es großen Männern gleichzutun, und Abscheu gegen das Andenken der Fürsien, die in Trägheit versunken sind oder sich mit Verbrechen besteckt haben. Sind solche Betrachtungen kurz und dem kindlichen Verständnis angepaßt, so schlagen sie tiefe Wurzeln und zeitigen Früchte.

Da das Heerwesen die Grundlage Preußens bildet, so muß unumgänglich die Liebe zum Waffenberuf in dem Knaben erweckt werden. Auf sehr verschiedene Weise ist dies zu erreichen. Man muß es ihm in Gestalt von Spiel und Vergnügen beibringen und vom Militär nur mit jener heUigen Ehrfurcht sprechen, mit der die Priester von ihrer geheimnisvollen Offenbarung reden. Er soll nur mit seinen Lehrern und mit Offizieren verkehren und bisweilen Dienst tun. Dann ersetzt die Gewohnheit die natürliche Neigung, falls er nicht das lebendige Verlangen, den Drang spürt, der die vom Genius Erfüllten zur Ergreifung des Berufes treibt, für den die Natur ihnen ein ausgesprochenes Talent geschenkt hat.

Nichts ist wahrer als das italienische Sprichwort: die Fehler der Väter sind für die Kinder verloren. Jeder, der zur Welt kommt, scheint seinen kleinen Tribut an Torheiten bezahlen zu müssen. Daher ist es besser, der Knabe zahlt seinen Tribut und wird dafür bestraft, bevor er den Thron besteigt, als daß er auf Torheiten verfiele, während er seinem Volke das Beispiel der Weisheit geben soll. Deshalb wünschte ich, daß man dem Knaben die Freiheit ließe, alles zu tun, was er will, daß sein Gouverneur ihm nicht überall nachfolgte, aber seine Streiche tadelte oder streng bestrafte. Dann würde er Selbstbeherrschung lernen und aus Furcht vor den ihm drohenden Demütigungen auf eigene Kosten klug werden. Neigt er zum Jähzorn, so ist durch häufige Bestrafung dahin zu wirken, daß er Herr seiner ersten oder wenigstens seiner zweiten Wallung wird. Neigt er zu Verschwendung, so ist das ins Lächerliche zu ziehen und er ist mit Vernunftgründen zur Sparsamkeit anzuleiten. Liebt er Jagd, Musik, Tanz, Spiel usw., so möchte ich ihm diese Leidenschaften, einerlei, um welche es sich handelt, nicht verwehren, sondern ihn so viel davon kosten lassen, daß er sie selbst satt bekommt. Dann behält er das Vergnügen daran, und nur die Leidenschaft vergeht. Die Hauptsorge seiner Umgebung muß darin bestehen, sein Herz zu bilden. Er sei dankbar für geleistete Dienste, zärtlich gegen seine Freunde, voller Mitleid gegenüber dem menschlichen Elend, erfüllt von seelischem Schwung, von Edelmut, Hochherzigkeit und dem rühmlichen Ehrgeiz, der die edlen Geister treibt, ihresgleichen an Tugend zu überbieten. Vor allem aber wünschte ich, daß er menschenfreundlich, mild, der Gnade zugänglich und tolerant würde. . . .

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Hat der Knabe sein dreizehntes Jahr erreicht, so ist sein Studienkreis zu erweitern, und der Unterricht in Moral, Physik, Metaphysik, in den Elementen der Mathematik und besonders in der Befestigungslehre ist hinzuzufügen. Ich rede nicht von den Lehrern, die er für die Ausbildung des Körpers erhalten muß. Es versieht sich von selbst, daß er tanzen, fechten und reiten lernt. Es wäre gut, ihn die ganze militärische Stufenleiter durchlaufen zu lassen. Dann lernt er durch eigene Erfahrung, was der Dienst von einem jeden verlangt, und kann in vorgerückterem Alter alle in der Jugend erworbenen Detailkenntnisse nützlich verwerten.

Auf diese Weise wird der junge Prinz wie ein Privatmann, ohne Eitelkeit, ohne Prunk erzogen. Da er von klein auf an den Verkehr mit Offizieren gewöhnt ist, die nach seiner Thronbesteigung seine Generale werden, so nimmt er das Gefühl für Ehre und Redlichkeit, das besonders dem Waffenhandwerk eigen ist, durch seinen Umgang in sich auf. Für seine Ausgaben kann ihm eine mäßige Summe angewiesen werden, über die er selbst Buch führt. Er ist anzuhalten, Rechnung zu legen, in geregelten Verhältnissen zu leben und in allem, was er tut, Ordnung zu halten. Die Menschen handeln im kleinen fast immer so, wie sie im großen handeln würden, wenn sie ihre eigenen Herren wären: Trajan war der gleiche als Bürger wie als Kaiser. Vitellius, der Genosse Neros in seinen Ausschweifungen, war auch der lieberlichste Mensch auf dem Thron der Cäsaren. Aus diesen Gründen ist es notwendig, den jungen Prinzen in den Einzelheiten seiner Wirtschaft und seiner Haushaltung, seines Privatlebens und seiner Beschäftigung an den Fleiß und die Tugenden zu gewöhnen, die man von ihm erwartet, wenn er den Staat regieren soll. Die Gewohnheit besitzt Herrschermacht über die Menschen. Sie kann sie ebenso zum Guten wie zum Schlechten führen. Eines der Hauptverdienste richtiger Erziehung besieht darin, die Kinder an ihre Pflichten zu gewöhnen. Damit läßt sich der Mangel natürlicher Talente ersetzen — und was liegt den Völkern im Grunde daran, ob der Herrscher aus Gewohnheit oder aus guter natürlicher Anlage tüchtig regiert, wenn er nur seine Pflichten erfüllt?

Der Prinz muß das Französische beherrschen und sich so ausdrücken, wie man in der guten Gesellschaft spricht. Wünscht man, daß er Sprachen lerne, so ist Lateinisch und Polnisch für ihn wohl am nötigsten. Aber meiner Ansicht nach darf er mit diesem Studium nicht allzusehr ermüdet werden.

Nicht minder gut ist es, wenn er zur Aufmerksamkeit und Höflichkeit erzogen wird, zumal der Mangel an Höflichkeit den Fürsien mehr Feinde macht als der wirkliche Schaden, den sie stiften.

Je mehr der Prinz heranwächst, desto größere Freiheit muß er erhalten, damit er im Umgang mit aller Welt die Menschen kennen lernt und sie über die Staatsbeamten reden und urteilen hört. Nur auf eins ist zu achten: man muß verhindern, daß er viel in schlechter Gesellschaft verkehrt und sich mit anrüchigen Leuten von beflecktem Ruf und allzu liederlichen Sitten einläßt. . . .

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Mit zwanzig Jahren soll der Prinz vollständig aus der Vormundschaft entlassen werden. Es ist dann anzunehmen, daß er mit Strenge erzogen, oft wegen seiner Fehler getadelt und bestraft, wegen seines Stolzes gedemütigt, wegen seiner Indiskretionen bloßgestellt, wegen seiner Spöttereien verspottet, wegen seiner Schroffheiten gestraft, wegen seines mangelnden Fleißes gerügt ist und vor allem, daß seine sämtlichen Fehler gebessert sind. Ist er ins mannbare Alter gekommen, so müssen ihm klare Vorstellungen gegeben werden: von der Form der Regierung, der Verfassung des Landes, von den allgemeinen Interessen des Staates, der Kriegskunst und besonders von den Pflichten eines Heerführers, von der europäischen Politik, der Kunst der Diplomaten, von der Einrichtung der Finanzen, der Manufakturen, des Handels, von der öffentlichen Ordnung und den Gesetzen, die die Grund, lage der Rechtspflege bilden. Alles ist gewonnen, wenn man ihm Geschmack an der Lektüre beibringt. Man lernt nie so gut von Lehrern als durch eigenes Studium, und die Unterhaltung mit den Toten, die man nicht der Selbstsucht beschuldigen kann, macht tieferen Eindruck als die mit unseren Zeitgenossen. An der Lektüre guter Bücher über Politik, Philosophie, Geschichte, Kriegskunst und Literatur kann ein Prinz sich bilden und Kenntnisse erwerben, die für ihn notwendig sind. Besonders aus der Geschichte kann er im voraus erfahren, wie die Nachwelt eines Tages über ihn urteilen wird.

Hat er die niederen Grade der militärischen Stufenleiter durchlaufen, so erhält er ein Regiment, für das er wie ein Berufsoffizier die Verantwortung tragen muß. Alles muß er selber tun und sich um das geringste Detail kümmern. Darauf soll der Prinz mit dem Herrscher alle Provinzen des preußischen Staates bereisen, um alle verschiedenen Landesteile, die Festungen, Truppen, Offiziere, die Finanz- und Justizbeamten und den Adel kennen zu lernen. Sonst regiert er dereinst als Unbekannter über Unbekannte.

Ohne sehr triftige Gründe scheint es mir verkehrt, einen Prinzen zu jung zu vermählen. Zum mindesten muß er die ersten Jugendstreiche hinter sich haben und imstände sein, sich vernünftig zu betragen. Die üblen Folgen verfrühter Heiraten sind diese: Die Fürsten werden sehr schnell ihrer Gemahlinnen überdrüssig. Wenn sie Thronerben haben, erreichen diese das Mannesalter, während der Vater noch jung ist, und werden der langen Thronfolgerschaft oft müde. Wahrlich, es muß alles zu seiner Zeit geschehen! Wenn ein Prinz im Alter von fünft bis sechsundzwanzig Jahren heiratet, ist es weder zu früh noch zu spät. Vermählt man ihn aber, während eben der erste Flaum sein Kinn schmückt, so kann es nur eine schlechte Ehe geben.

Ich möchte nicht dazu raten, den präsumptiven Thronerben ins Ausland reisen zu lassen. Seine Untertanen wünschen, daß er die Sitten und Gebräuche seines Landes annehme und nicht fremde Gewohnheiten. Und in politischer Hinsicht sieht es fest, daß alle Welt danach trachtet, den Erben einer Krone kennen zu lernen. Man würde im Ausland also alles aufbieten, um ihn für sich zu gewinnen und ihm Vor<192>urteile zugunsten dieser oder jener Nation einzuflößen. Schmeichler würden seinen Charakter, ja selbst seine Sitten verderben, womöglich auf Weisung ihrer eigenen Herrscher. Nur allzu früh würde der Charakter des künftigen Herrschers bekannt werden, und die anderen Höfe hätten die Möglichkeit, seine Schwächen auszunutzen, sobald er den Thron besteigt, oder ihm wenigstens allerlei Vorurteile beizubringen, die späterhin dem Staatswohl schaden könnten. Aber die verderblichste Folge seiner Reise wäre die, daß der Prinz Geschmack an Verschwendung gewönne und, sobald er König wird, darauf verfiele, den großen Herrn zu spielen und über seine Verhältnisse zu leben.

Ihr seht, daß die von mir vorgeschlagene Erziehung nicht den Zweck verfolgt, einen Theaterkönig heranzubilden, sondern einen König von Preußen, der sich nach seiner eigenen Einsicht zu richten vermag, der auf eigene Kosten klug und verständig geworden und geistig reif ist, wenn er zum Throne gelangt. Aus diesen Gründen rate ich, ihn wie einen Privatmann zu erziehen, der sich sein Glück selber schmieden muß, und ihn fern von Hoheit und Prunk aufwachsen zu lassen, damit er nicht die dreiste Anmaßung und den unerträglichen Hochmut besitze, den die Söhne der kleinen deutschen Fürsten haben. Aus denselben Gründen verlange ich, daß er an ein arbeitsames, tätiges und einfaches Leben gewöhnt und daß der Same der Tugenden, den die Natur in ihn gelegt hat, in ihm großgezogen werde. Indessen bin ich weit entfernt, zu behaupten, daß ein Prinz bei solcher Erziehung nicht irgendwelche Fehler habe. Er muß nur, wie Heinrich IV. sagte, genug hervorragende Eigenschaften besitzen, um ein kleines Laster zu verdecken. Sind die nicht die vollkommensten Menschen, die am wenigsten Um Vollkommenheiten besitzen?

Ich wage zu behaupten, man wird nur einen mittelmäßigen Prinzen aus dem präsumptiven Thronfolger machen, wenn man den von mir vorgeschlagenen Erziehungsplan nicht befolgt. Will man ihn in der Art von Königssöhnen erziehen, so wird der Prinz nur ein erlauchter Müßiggänger sein, ein Götzenbild, dem die Öffentlichkeit Weihrauch streut. Er wird sich aus Langeweile einem verschwenderischen Leben ergeben, angeekelt die Geschäfte fliehen, weder seine Völker noch die Menschen kennen lernen und sich selber nicht kennen, aber alle Leidenschaften besitzen, außer denen, die den Herrschern anstehen. Solcherart gibt es Viele auf der Welt, die für rechtschaffene Leute und Mitglieder der guten Gesellschaft gelten. Was aber bei einem Privatmann nur ein Fehler ist, wird bei einem König zum Laster.

<193>

Es erschien mir ratsam, diesem politischen Testament eine Abhandlung über die Kriegskunst193-1 anzuschließen, die sich mit der Taktik und den Evolutionen der preußischen Truppen befaßt. Ich habe sie vor vier Jahren verfaßt, aber aus Furcht vor Mißbrauch keinem Menschen in die Hand gegeben. So füge ich sie denn dem heute vollendeten Testament bei, um hier alles zusammenzufassen, was die Regierung Preußens in Krieg und Frieden betrifft.

<194><195>

Politische Schriften

<196><197>

Schreiben des Kronprinzen Friedrich an den Kammerjunker von Natzmer197-1

(Küstrin, Februar 1731.)



Lieber Freund!

Unser gestriger Disput blieb noch unentschieden, da der Schlaf uns beide übermannte, als wir im besten Zuge waren, unsere Ansichten auszukramen. Um das Versäumte aber nachzuholen, fahre ich fort:

Das erste System ist die Erhaltung des europäischen Friedens. Demgemäß muß der König von Preußen sich die größte Mühe geben, mit allen Nachbarn in gutem Einvernehmen zu leben. Da sein Land Europa quer durchschneidet und in zwei Hälften teilt, so versieht es sich, daß er sich mit allen Königen, dem Kaiser und den vornehmsten Kurfürsten auf guten Fuß stellen muß. Denn mit welchem seiner Nachbarn er auch Krieg führt, Vorteile kann er schwerlich erringen, da sein Land von Nachbarstaaten durchsetzt und ohne inneren Zusammenhang ist. Er kann also von mehreren Seiten angegriffen werden, und um sich allerseits zu verteidigen, müßte er die ganze Armee zur Defensive verwenden, sodaß nichts für die Offensive übrig bliebe. Stützte er sich zur Behauptung seiner Macht auf dieses System, so wäre er ein schlechter Staatsmann und aller Phantasie und Erfindungsgabe bar, wenn er es dabei bewenden ließe. Denn wer nicht vorwärtskommt (ich spreche von der großen Politik), der geht zurück.

Das andere System, das sich auf dieser Grundlage von selbst aufbaut, ist die fortschreitende Vergrößerung des Staates. Ich habe schon gesagt, daß der preußische Länderbesitz sehr zerstückelt ist. Da kommt es denn bei allen Plänen, die man entwirft, vor allem darauf an, einen engeren Zusammenhang zwischen den Landesteilen herzustellen oder die losgerissenen Stücke, die eigentlich zum preußischen Besitz gehören, ihm wiederanzugliedern.

So hat Polnisch-Preußen von jeher zu Preußen gehört, ist aber durch die Kriege der Polen mit dem Deutschritterorden, seinem damaligen Besitzer, abgesplittert<198> worden. Von der Provinz Preußen ist Polnisch-Preußen nur durch die Weichsel getrennt. Nach Westen stößt es an Hinterpommern. Im Norden bUdet das Meer und im Süden Polen seine Grenze. Gehört es einmal zu Preußen, so hat man nicht nur freie Verbindung von Pommern nach Ostpreußen, sondern man hält auch die Polen im Zaum und kann ihnen Gesetze vorschreiben; denn ihre Waren können sie nur verkaufen, wenn sie diese die Weichsel und den Pregel hinunterschicken, und hierzu bedürfte es dann unserer Zustimmung.

Fahren wir fort. Schwedisch-Pommern ist von Preußisch-Pommern nur durch die Peene getrennt. Es würde sich sehr hübsch ausnehmen, wenn es mit unserem Besitz vereinigt wäre. Abgesehen von den Einkünften (die nur die Finanzleute oder die Steuerräte angehen und die als solche nicht in das politische System gehören, das ich erörtern will), abgesehen von den sehr beträchtlichen Einkünften, die man aus dieser Provinz ziehen könnte, würde man sich vor allen Übergriffen von seilen Schwedens schützen und eine beträchtliche Truppenzahl sparen, die jetzt zur Verteidigung der Grenze oder des Peeneufers notwendig ist. Ferner rundete man das Land mehr und mehr ab und bahnte sich sozusagen den Weg zu einer Eroberung, die sich ganz von selbst darbietet: ich meine Mecklenburg. Hier braucht man nur das Erlöschen des Herzogshauses geduldig abzuwarten, um das Land ohne weitere Förmlichkeit einzustecken198-1.

Ich schreite von Land zu Land, von Eroberung zu Eroberung und nehme mir wie Alexander stets neue Welten zu erobern vor. Den nächsten Schauplatz bilden Jülich und Berg198-2. Sie müssen durchaus erworben werden, damit die armen Länder Kleve, Mark usw. nicht so einsam und verlassen sind. Durch Erwerbung von Jülich und Berg beseitigt man viele Anlässe zu Reibereien und Schikanen, die jetzt in einem fort aus Streitigkeiten über die gegenwärtigen Grenzen entspringen. Der Nutzen dieser Erwerbung liegt auf der Hand. Die Länder der Kleveschen Erbschaft werden vereinigt, sie können eine Besatzung von 30 000 Mann tragen und dann mit Verachtung auf die kleinen Schikanen herabsehen, die das Klever Land jetzt nicht allein abwehren kann. Bei einem Bruche mit Frankreich kann man Kleve vom ersten Kriegslärm an nur so lange als preußisch betrachten, wie es den Franzosen beliebt. Ist es aber mit Jülich und Berg vereinigt, so liegt die Sache ganz anders: die Länder sind imstande, sich selbst zu verteidigen.

Hier breche ich ab, um mich ganz allgemein darüber auszulassen, wie man mein System verstehen soll. Erstens spreche ich nur als Politiker ohne Erörterung der Rechtsgründe. Sonst kommt man vom Hundertsten ins Tausendste; denn jeder der von mir berührten Punkte verdient eine besondere Darlegung der Rechtsgründe und Ansprüche, die das Haus Brandenburg erheben kann. Zweitens gehe ich nicht ins<199> Detail darüber, wie man sich in den Besitz dieser Provinzen setzen soll, da man sich des längeren darüber verbreiten müßte. Es kommt mir lediglich auf den Nachweis an, daß Preußen sich bei seiner eigenartigen Lage in der politischen Notwendigkeit befindet, die genannten Provinzen zu erwerben. Meiner Ansicht nach muß nach diesem Plane jeder kluge und treue Diener des Hauses Brandenburg arbeiten. Er muß auf das große Ziel hinstreben, kleinere aber fallen lassen. Ich hoffe auch, man wird meine Ausführungen für ziemlich vernünftig halten. Denn liegen die Dinge so, wie es nach meinem Projekt der Fall ist, so könnte der König von Preußen unter den Großen der Welt eine gute Figur machen und eine bedeutende Rolle spielen, wenn er einzig und allein aus Gerechtigkeitssinn und nicht aus Furcht den Frieden aufrechterhielte, und wenn er, sobald die Ehre des Hauses und des Landes es verlangte, mit Nachdruck Krieg führen könnte. Hätte er doch nichts andres zu fürchten als den Zorn des himmels, und der wäre nicht zu fürchten, solange in seinem Lande Gottesfurcht und Rechtssinn über Unglauben, Parteihader, Habgier und Selbstsucht herrschen. Ich wünsche dem preußischen Staate, daß er sich aus dem Staube, in dem er gelegen hat, völlig erhebe und den protestantischen Glauben in Europa und im Reiche zur Blüte bringe, daß er die Zuflucht der Bedrängten, der Hort der Witwen und Waisen, die Stütze der Armen und der Schrecken der Ungerechten werde. Sollte aber ein Wandel eintreten und Ungerechtigkeit, Lauheit im Glauben, Parteiwesen oder das Lasier den Sieg über die Tugend davontragen, was Gott auf ewig verhüten wolle, dann wünsche ich ihm, daß er in kürzerer Zeit untergehe, als er bestanden hat. Damit ist alles gesagt.

Und so bin ich am Schluß meiner allgemeinen Politik und meines Briefes angelangt. Was die private Politik angeht, so kenne ich keine andre als die, Liebe zu üben und meinen Freunden treu zu sein. Da ich hoffe, Dich zu ihnen zählen zu dürfen, so kannst Du selbst Dich kühn dazu rechnen. Oder, um in meinem politischen Stil fortzufahren: Sei gewiß, so wenig Brandenburg und jedes beliebige Land der Welt Klima und Lage zu wechseln vermag, so wenig verändre ich meine Gesinnung gegen meine Freunde.

<200>

Fürstenspiegel
oder
Unterweisung des Königs für den jungen Herzog Karl Eugen von Württemberg (1744)200-1

Mit dem Anteil, den ich an Ihrer Mündigkeitserklärung hatte, verbindet sich mein Interesse an einem glücklichen Verlauf Ihrer Regierung. Ich stelle mir geradezu vor, das Gute oder Schlimme, das daraus entspringe, werde sich irgendwie auch auf mich zurückwenden. In diesem Sinn halte ich mich für verpflichtet, Ihnen mit freundschaftlichem Freimut meine Anschauungen über den neuen Stand, in den Sie nun eintreten, auszusprechen.

Ich gehöre garnicht zu den Leuten, die aus Dünkel und Eitelkeit schließlich statt der Ratschläge nur mehr Befehle zu erteilen wissen, ihre Ansichten für unfehlbar <201>halten und vom Freunde wünschen, er solle nur noch genau nach ihrer Weise denken, sich regen und atmen. So lächerlich solche Anmaßung wäre, so gewiß würde ich doch andrerseits eine Schuld auf mich laden, wenn ich es versäumte, Ihnen das zu sagen, was all Ihre Diener und Untertanen zu sagen sich nicht unterfangen werden, ja was sie um ihres persönlichen Vorteils willen vielleicht nicht einmal sagen wollen.

Es ist gewiß, daß jedermann die Augen auf das erste Hervortreten eines Mannes richtet. der ein hohes Amt auf sich nimmt; und gemeiniglich bestimmen gerade die ersten Handlungen das Urteil der Öffentlichkeit. Legen Sie zuvörderst den Grund zu allgemeiner Achtung, so werden Sie das Vertrauen der Öffentlichkeit gewinnen, wonach meines Erachtens ein Fürst vor allem trachten sollte.

Überall werden Sie Personen finden, die Ihnen schmeicheln und nur beflissen sind, Ihr Vertrauen zu erwerben, um Ihre Gunst zu mißbrauchen und Sie selbst zu beherrschen. Sie werden auch, hauptsächlich unter den Verwaltungsbeamten, noch eine andere Art Leute finden; die sind gesonnen, Ihnen die Kenntnis der Geschäfte sorgsam vorzuenthalten, um sie nach eigenem Gefallen zu leiten. Um Sie von der Arbeit abzuschrecken, werden sie dafür sorgen, daß die leichtesten Dinge Ihnen Schwierigkeiten bereiten. In ihnen allen werden Sie die wohlüberlegte Absicht finden, Sie dauernd unter Vormundschaft zu halten und zwar unter Wahrung der schönsten Formen, auf eine Weise, die für Sie noch höchst schmeichelhaft zu sein scheint.

Sie werden fragen: was soll ich dagegen tun? Sie müssen sich mit allen Finanzangelegenheiten vertraut machen, einen Sekretär aussuchen, der als kleiner oder mittlerer Beamter in dem Fach gearbeitet hat, und müssen ihm gute Belohnung dafür versprechen, daß er Sie in allem, was Sie berührt, unterweise. Die Finanzen sind der Nerv des Landes; wissen Sie darüber genau Bescheid, so werden Sie mit dem übrigen jederzeit fertig werden.

An vielen Höfen Deutschlands habe ich eine Unsitte wahrgenommen: die Minister der Fürsten führten den Titel „Kaiserlicher Minister“, und das sicherte ihnen Straft losigkeit zu. Sie werden selber fühlen, wie nachteilig es für Sie sein würde, wenn Sie das duldeten.

Ich muß Sie ferner vorbereiten, daß Sie in der Verwaltung zwei Räte antreffen werden, vor denen Sie auf der Hut sein mögen: der eine heißt Bilfinger, der andere Hardenberg201-1. Nun ist es Ihre Sache, sie zu prüfen und zuzusehen, wieweit Sie ihnen trauen können.

Seien Sie fest in Ihren Entschließungen! Erwägen Sie zuvor das Für und Wider; sobald Sie aber Ihren Willen einmal kundgegeben haben, ändern Sie um alles in der Welt nichts mehr daran! Sonst wird ein jeder Ihrer Autorität spotten, und Sie würden für einen Mann gehalten werden, auf den man nicht bauen kann.

<202>

Da eine vormundschaftliche Regierung voranging, wird es Ihrem Hof an Intrigen nicht fehlen. Strafen Sie die Anstifter der ersten strenge; dann wird jeder sich hüten, dem bösen Beispiel zu folgen. Güte am unrechten Ort ist nichts anderes als Schwäche, gleichwie Strenge ohne zwingenden Grund ein schwerer Frevel ist. Das Ausarten nach beiden Richtungen muß vermieden werden, wiewohl es bloß das Gebrechen eines sehr edlen Herzens ist, wenn die Milde ausartet.

Denken Sie nur nicht, das Land Württemberg sei für Sie geschaffen worden! Glauben Sie vielmehr, daß die Vorsehung Sie zur Welt kommen ließ, damit Sie dies Volk glücklich machen. Legen Sie stets mehr Wert auf dessen Wohlfahrt als auf Ihre Zerstreuungen. Wenn Sie, w Ihrem zarten Alter, Ihre Wünsche dem Wohl Ihrer Untertanen aufzuopfern vermögen, so werden Sie nicht nur die Freude, Sie werden auch die Bewunderung der Welt erregen.

Sie sind für Ihr Land das Haupt der bürgerlichen Religion, die aus der Rechtschaffenheit und allen moralischen Tugenden besieht. Zu Ihrer Aufgabe gehört es, daß Sie helfen, diese Tugenden zu verwirklichen und namentlich die Menschlichkeit, die Haupttugend jedes denkenden Wesens.

Die geistliche Religion überlassen Sie dem höchsten Wesen202-1. Auf diesem Felde sind wir alle blind, durch unterschiedliches Wähnen in die Irre geraten. Wer unter uns ist so verwegen, daß er entscheiden wollte, welcher der rechte Weg sei? Nehmen Sie sich denn in acht vor dem religiösen Fanatismus, der zu Verfolgungen führt. Wenn armselige Sterbliche dem höchsten Wesen irgend Wohlgefallen können, so geschieht es durch Wohltaten, die sie den Mitmenschen erweisen, und nicht durch Gewalttaten, die sie gegen starrköpfige Geister verüben. Wenn die wahre Religion, die Menschlichkeit, Sie nicht zum rechten Verhalten bestimmen sollte, so muß mindestens die Politik es tun; denn all Ihre Untertanen sind Protestanten. Toleranz wird Ihnen Verehrung, Verfolgungen würden nur Abscheu erwecken.

Die Lage Ihres Landes, das an Frankreich und die Staaten des Hauses Österreich grenzt, macht Ihnen eine maßvolle und gleichmäßige Haltung gegen diese zwei mächtigen Nachbaren zur Pflicht. Lassen Sie keinerlei Vorliebe für einen von beiden erkennen, auf daß sie Ihnen nicht Parteilichkeit vorwerfen können. Denn ihre Geschicke sind veränderlich, und beide Staaten würden nicht ermangeln, abwechselnd Sie entgelten zu lassen, was sie glauben, Ihnen mit Grund vorwerfen zu können.

Lassen Sie niemals vom Reich und von seinem Oberhaupt. Eine Sicherheit gegenüber dem Ehrgeiz und der Macht Ihrer Nachbaren gibt es für Sie nur, solange das System des Reiches erhalten bleibt. Seien Sie stets der Feind dessen, der es umstürzen will, denn in Wahrheit hieße das, gleichzeitig auch Ihren Sturz wollen. Mißachten Sie nicht das Haupt des Reichs202-2 in seinem Unglück und halten Sie zu ihm, solange Sie es können, ohne in sein Mißgeschick verwickelt zu werden.

<203>

Machen Sie sich Ihre Jugend zunutze, ohne sie zu mißbrauchen. Lassen Sie ein paar Jahre dem Vergnügen gewidmet sein. Dann denken Sie ans Heiraten. Das erste Jugendfeuer ist der Ehe nicht günstig; da glaubt die Beständigkeit, die auf drei Jahre zurückblicken kann, sie sei steinalt geworden. Wenn Sie eine Prinzessin aus allzu hohem Haus nehmen, so bildet sie sich ein, Ihnen eine Gnade anzutun, indem sie Ihre Gemahlin wird. Das ergäbe für Sie einen alles verschlingenden Aufwand, und Sie hätten keinen Vorteil davon, als daß Sie der Sklave Ihres Schwiegervaters sein dürften. Wählen Sie eine Gattin von annähernd gleicher Standeshöhe, so sind Sie glücklicher. Sie werden ruhiger leben, und die Eifersucht, wozu fürstliche Personen höheren Ranges ihrer Ehehälfte immer Anlaß geben, wird Ihnen nicht zu schaffen machen.

Ehren Sie in Ihrer Mutter die Urheberin Ihres Lebens. Je mehr Aufmerksamkeiten Sie ihr widmen, um so höher sind Sie zu achten. Wenn Sie etwa kleine Händel mit ihr haben sollten, so nehmen Sie allemal das Unrecht auf sich. Die Dankbarkeit gegen die Eltern hat keine Grenzen; man wird getadelt, wenn man hierin zuwenig tut, niemals aber, wenn man zuviel tut.

Auf gleichgültige Dinge, die dem Gutdünken des einzelnen überlassen bleiben, will ich nicht näher eingehen. Die innige Freundschaft, die ich für Sie fühle, wird mich immer so aufrichtigen Anteil an Ihnen nehmen lassen, daß ich es mit einer Freude ohnegleichen hören werde, wenn Ihre Untertanen Ihnen Beifall spenden und Sie segnen. Und jede Gelegenheit, Ihnen nützlich zu sein, werde ich mit äußerster Bereitwilligkeit ergreifen. Mit einem Wort, mein lieber Herzog, es gibt kein Glück, das ich Ihnen nicht wünschte, und keines, dessen Sie nicht würdig wären.

<204>

Instruktion für den Major Graf Borcke204-1
(24. September 1751)

Ich vertraue Ihnen die Erziehung meines Neffen an, des präsumptiven Erben der Krone. Da es etwas ganz anderes ist, einen Bürgersohn wohl zu erziehen oder aber jemand, der Staaten zu regieren bestimmt ist, so gebe ich Ihnen hier eine Instruktion über alles, was Sie beobachten sollen.

Erstens über die Lehrer:

Mein Neffe soll die alte Geschichte durchgehen, die verschiedenen Monarchien, die aufeinander folgten, kennen lernen, von der griechischen Geschichte namentlich das, was in den Kriegen des Artaxerxes, Philipps und Alexanders geschah. Von der römischen Geschichte die Zeit der Punischen Kriege und Cäsars. Sein Gedächtnis braucht nicht mit den Namen der Fürsienreihen ermüdet zu werden, wenn er nur die Namen der hervorragenden Männer lernt, die in ihrem Vaterland eine große Rolle gespielt haben.

Es genügt nicht, ihm die Geschichte beizubringen wie einem Papagei. Die beste Verwertung der alten Taten ist: sie mit den modernen zu vergleichen, die Ursachen zu entwickeln, aus denen die Umwälzungen hervorgingen, und zu zeigen, wie gemeinhin das Lasier bestraft und die Tugend belohnt wird. Man muß ihn ferner darauf aufmerksam machen, daß die alten Geschichtsschreiber sich nicht immer an die Wahrheit halten, daß man also prüfen und urteilen muß, ehe man glaubt. Der wesentlichste, unerläßlichste Teil der Geschichte beginnt bei Karl dem Großen und endet in unseren Tagen. Unter Geschichte versiehe ich dabei die europäische. Man sorge, daß er sie aufmerksam studiere. Doch verweile man nur bei den Hauptgeschehnissen und gehe bloß beim Dreißigjährigen Krieg näher aufs einzelne ein. Daß er die Geschichte seines Hauses lerne, versteht sich von selbst.

<205>

Beim Unterricht in der Erdkunde ist es notwendig, daß ihm ein Begriff von den Staaten und ihrer Regierungsform gegeben wird. Da dieses Studium sehr gut zu dem der Geschichte paßt, so kann man ihn, wenn das eine an der Reihe ist, gleichzeitig auch im andern unterweisen.

Nach einiger Zeit wird man ihm einen kleinen Kursus in Logik zumuten können. Der muß frei von Pedanterie sein und gerade so weit reichen, daß er selber unterscheiden lernt, wo bei einem falschen Schluß der Fehler liegt und worin eine Behauptung nicht richtig ist. Danach kann man ihn die Redner lesen lassen, Cicero, Demosthenes, auch etliche Tragödien von Racine usw.

Wenn er ein paar Jahre älter ist, mag man ihm im Abriß die Lehren der Philosophen und der verschiedenen Religionen vorführen, ohne ihm Haß gegen eine von ihnen einzuflößen. Man lasse ihn erkennen, wie alle Gott anbeten, nur auf unterschiedliche Weise. Für den Geistlichen, der ihn unterrichtet, braucht er keine übertriebene Ergebenheit zu haben und braucht nicht zu glauben, was er nicht vorher geprüft hat.

Dabei komme ich auf die katholische Religion. Sie ist in Schlesien, in den klevischen Herzogtümern und anderwärts ziemlich verbreitet. Wenn aus dem Knaben ein fanatischer Calvinist würde, so wäre alles umsonst gewesen. Es ist vielmehr durchaus nötig, daß der Geistliche es sich versagt, in frommem Eifer die Papisten zu schmähen. Dagegen soll der Erzieher seinem Schüler auf geschickte Art ein Gefühl dafür erwecken, daß es wegen der Glaubensverfolgungen und des päpstlichen Ehrgeizes nichts Gefährlicheres gibt, als wenn die Katholiken in einem Staat obenauf sind, und daß ein protestantischer Fürst weit mehr Herr in seinem Hause ist als ein katholischer.

Es versteht sich von selbst, daß mein Neffe lesen, schreiben, rechnen lernt; ich übergehe daher diese Punkte. Für die Fortifikationslehre ist er noch zu jung; damit hat es Zeit, bis er zehn oder elf Jahre zählt.

Die Leibesübungen, wie Tanzen, Fechten und Reiten, können nachmittags, nach der Mahlzeit, betrieben werden. Hat der Junge Lust, Latein oder Polnisch oder Italienisch zu lernen, so soll es in seinem Belieben stehen. Gibt er aber keine Neigung dafür zu erkennen,'so soll man ihn nicht dazu drängen, ebensowenig zur Musik.

Soviel über seine Studien und Übungen. Ihre Hauptkunst wird darauf hinauslaufen müssen, daß er all das mit Lust und Liebe anpackt, daß die Pedanterie den Studien fernbleibt, damit er ihnen Geschmack abgewinne. Aus diesem Grunde darf, zumal im Anfang, ein vernünftiges Maß nicht überschritten werden.

Wir kommen nunmehr zum größten und wesentlichsten Teil der Erziehung, zur sittlichen Ausbildung. Weder Sie noch alle Mächte der Welt könnten den Charakter eines Kindes ändern. Erziehung vermag nur das Ungestüm der Leidenschaften zu mäßigen. Behandeln Sie meinen Neffen wie einen Bürgersohn, der seinen Weg machen soll. Sagen Sie ihm, daß jedermann ihn verachtet, wenn er Fehler hat oder<206> nichts lernt. Führen Sie ihm das Beispiel des Markgrafen von Schwebt und des Markgrafen Heinrich206-1 vor Augen. Man soll ihm nichts in den Kopf setzen, sondern ihn ganz schlicht aufziehen. Gegen alle Welt soll er höflich sein; begeht er eine Grobheit gegen jemand, so soll der sie auf der Stelle erwidern. Er muß lernen, daß alle Menschen gleich sind und hohe Geburt nur Chimäre ist, wenn nicht das Verdienst hinzukommt. Lassen Sie ihn allein mit den Leuten sprechen, damit er völlig unbefangen werde. Was liegt daran, wenn er blindlings drauflosschwatzt? Man weiß ja, es ist ein Kind. Bei seiner ganzen Erziehung wirken Sie mit aller Kraft dahin, daß er selbständig handle und sich keinesfalls an fremde Führung gewöhne. Seine Dummheiten sollen ihm ebenso gehören wie seine guten Handlungen.

Von der größten Bedeutung ist es, daß ihm Neigung zum Militär beigebracht werde. Deshalb müssen Sie selbst und andere ihm bei jeder Gelegenheit sagen, daß ein Mann von hoher Abkunft, der nicht Soldat ist, nur ein elender Kerl ist. So oft er nur will, soll er Truppen zu sehen bekommen. Man kann ihm auch die Kadetten zeigen und mit der Zeit fünf oder sechs von ihnen kommen lassen, damit sie mit ihm exerzieren. Doch soll das eine Unterhaltung sein, nicht eine Pflicht; denn die große Kunst besteht darin, ihm Geschmack an diesem Handwerk beizubringen, und es hieße alles verderben, wenn man ihn langweilte oder abschreckte. Mit jedem soll er sprechen, mit Kadetten, Soldaten, Bürgern, Offizieren; so wird er ein sicheres Auftreten erlangen.

Vor allem soll er zur Anhänglichkeit an dies sein Land begeistert werden. Niemand darf mit ihm andere als gut patriotische Reden führen. Bei Gegenständen und Unterredungen jeder Art kann man ein paar moralische Bemerkungen einfiechten, die darauf ausgehen, ihm Menschlichkeit, Güte und alle Anschauungen zu predigen, die einem Manne von Ehre und vornehmlich einem Fürsten wohl anstehen.

Ich will, daß er, wenn er älter wird, mit dem Dienst als Leutnant beginnt, um dann alle Grade zu durchlaufen. Es soll also in ihm kein Dünkel großgezogen werden. Die Offiziere, die mit ihm speisen, sollen ihn angreifen und necken, damit er keck und fröhlich werde. Möglichst oft soll er Gesellschaft um sich haben. Wenn er Lust hat, in seinen Erholungsstunden mit Kindern seines Alters zusammenzusein, so kann das nichts schaden. Et ist ein wenig schweigsam; Anregung tut ihm recht not. Wollen Sie sich deshalb angelegen sein lassen, daß er so heiter wie möglich werde. Bei jedem Anlaß wollen Sie ihm die schuldige Verehrung und Liebe für Vater und Mutter, Achtung gegen die Verwandten einprägen. Sobald Sie ihn näher kennen, müssen wir zu erfahren suchen, welches seine Hauptneigung ist. Gott behüte uns davor, sie ausrotten zu wollen! Aber bemühen wir uns, sie einzudämmen. Wenn er sich selbst überlassen ist, soll er doch nichts tun, ohne einen Grund dafür anzugeben.<207> Eine Ausnahme machen nur die Stunden der Erholung. Ist er lenksam, so seien Sie freundlich. Ist er störrisch, so bieten Sie die ganze Autorität auf, die Ihnen zusieht; bestrafen Sie ihn dann, indem Sie ihm den Degen wegnehmen, ihn in Arrest setzen und ihn immer tunlichst bei der Ehre packen. Bis jetzt erscheint er sehr zart, aber mit dem Älterwerden wird er sich schon kräftiger entwickeln.

Allwöchentlich wollen Sie seinem Vater, mir allmonatlich über sein Bettagen berichten. In außerordentlichen Fällen können Sie sich stets an mich wenden. Verzärteln Sie ihn nicht durch allzu umständliche Sorge um seine Gesundheit oder durch die Angst, es könnte ihm ein Unglück zustoßen. Man muß ihn sorgsam behüten, doch braucht er nichts davon zu merken; das würde ihn weichlich, schüchtern und ängstlich machen. Seine Tageseinteilung kann mein Bruder regeln, wie er es für richtig hält, und Sie können danach Ihre Maßnahmen treffen.

Diese Instruktion gilt nur bis zum Alter von zehn oder zwölf Jahren. Dann werden Sie eine neue erhalten, die den Fortschritten meines Neffen, seinem Alter und den Umständen angemessen ist.

<208>

Instruktion für Behnisch208-1
(26. Juli 1773)

Sie sind zu einem jungen Prinzen gesetzt, dessen Erziehung die größte Sorgfalt und stets gleiche Aufmerksamkeit erfordert. Da er noch zu jung ist, etwas zu lernen oder sich zu bilden, so muß Herr Behnisch vor allem danach trachten, den Charakter des Knaben zu ergründen, die Fehler und Lasier, zu denen er neigen könnte, festzustellen und zu versuchen, sie beizeiten auszurotten oder sie zu bessern, soweit es in seiner Macht sieht. Obgleich der moralische Charakter sich nicht so frühzeitig entwickelt, kann er wenigstens verhüten, daß dem Knaben von der Dienerschaft Lasier beigebracht werden. Gewöhnlich sind es Eitelkeit und Hochmut, was die kleinen Leute den Prinzen gern einflößen. Herr Behnisch kann das verhindern, ja er soll gegen die einschreiten, die mit faden Schmeicheleien die Unschuld des Knaben verderben möchten. Obwohl er für die Gesundheit seines Zöglings die größte Sorge tragen muß, darf der Prinz aus dem gleichen Grunde nicht zu dem Glauben kommen, daß man viel Aufhebens von ihm mache. Alle Pflege, die man ihm angedeihen läßt, muß unter Vorwänden verborgen werden. Ist er launisch, so muß er im Ansang einmal tüchtig gestraft werden. Dann wird man seinen Starrtopf und seinen Eigenwillen brechen, der ihm nur schädlich sein kann. Trotz seiner großen Jugend kann man ihm logisches Denken beibringen, indem man ihn die Gründe seiner Wünsche und Handlungen angeben läßt. Ist auch die Urteilskraft in seinen Jahren noch schwach, so muß man an ihrer Ausbildung doch mehr als an allem andern arbeiten, muß, wenn er falsch urteilt, ihm den mangelnden Zusammenhang zwischen seinen Ideen klar machen und ihn zur Berichtigung seines Denkens anhalten. Da er gesund und kräftig werden soll, empfiehlt es sich, ihn an die frische Luft zu gewöhnen und seinen Körper zu stählen. Will er Soldat spielen, so soll man ihn nicht daran hindern. Im Gegenteil! Ein Fürst dieses Landes muß Soldat sein. Man mag ihn also zum <209>Waffenhandwerk anspornen. Soll er mit anderen Kindern spielen, so müssen diese älter und verständiger sein als er, damit man sie ihm als Beispiel hinstellen kann und er sie durch Wetteifer übertreffen lernt. Da der Knabe zum Unterricht noch zu klein ist, so muß man sich auf Dinge beschranken, die man ihm spielend beibringen kann, z. B. etwas Französisch, aber nur spielend und nicht durch regelrechten Unterricht. Man kann ihn mit Karten spielen lassen, auf denen die Namen der Königreiche und wichtigsten Staaten Europas stehen. Das alles soll erst dann einen ernsteren Charakter annehmen, wenn er das vierte Lebensjahr vollendet hat. Dann muß der eigentliche Unterricht beginnen.

Was seine Gesundheit betrifft, so wird seine Frau Mutter seine Lebensweise regeln und alles, was sie für angemessen hält, bestimmen. Herr Behnisch hat, bis sein Zögling älter ist, weiter nichts zu tun, als ihn auf die kommende Erziehung vorzubereiten und derweil zu verhindern, daß er sich schlechte Gewohnheiten aneignet oder Keime von Lastern in sich aufnimmt, die in diesem Alter noch leicht auszurotten sind, die man aber vergeblich bekämpft, wenn sie erst einmal durch Gewöhnung eingewurzelt sind.

Ich hoffe, Herr Behnisch wird seine Aufgabe mit all der Sorgfalt, die der Bedeutung des Gegenstandes zukommt, und zur Zufriedenheit der Eltern erfüllen.

<210>

Abriß der preußischen Regierung und der Grundsätze, auf denen sie beruht, nebst einigen politischen Betrachtungen (1776)

Um eine allgemeine Vorstellung von der preußischen Regierung zu erhalten, muß man alle ihre Zweige im einzelnen prüfen und sie dann miteinander verknüpfen.

Finanzen

Ich beginne mit den Finanzen. Sie gleichen den Nerven im menschlichen Körper, die alle Glieder in Bewegung setzen.

Seit dem Siebenjährigen Kriege haben die Staatseinnahmen einen ungeheuren Zuwachs erfahren, und zwar: um 1 200 000 Taler durch die Erwerbung von West-preußen210-1, I Million durch die Tabakregie, 100 000 durch die Bank, 50 000 durch Holzverkauf, 400 000 durch Akzisen und Zölle, 130 000 aus der Saline von Schöne, beck, 56 000 durch die Lotterie, mehr als 200 000 Taler durch die neuen Pachtverträge der Domänen, 100 000 durch das Holz. Somit beläuft sich die Gesamteinnahme gegenwärtig auf 21 700 000 Taler. Daraus werden die Staatsausgaben bestritten und ein Heer von 187 000 Mann unterhalten210-2.

Nach Abzug der Ausgaben bleibt alle Jahre ein Überschuß von 5 700 000 Talern. Davon sind bisher jährlich 2 Millionen in den Staatsschatz gelegt und 3 700 000<211> Taler anderweitig verwandt worden, teils zu Festungsbauten, teils zu Meliorationen im Lande, zur Vergütung erlittener Schäden, zu Subsidien an Rußland211-1 und zu Häuserbauten. In Kriegszeiten hingegen sind diese 5 700 000 Taler zur Bestreitung der außerordentlichen Feldzugskosten bestimmt. Sie bettagen jedes Jahr 11 Millionen, sodaß nach Abzug der 5700000 jährlich noch ein Rest von 5 300000 zu decken bleibt. Diese Summe soll aus dem Staatsschatz genommen werden. Er enthält 19 300 000 Taler211-2, nebst dem sogenannten Kleinen Staatsschatz von 4 300 000 Talern, der für die Mobilmachung bestimmt ist. Ferner liegen noch 4 200 000 Taler in Breslau bereit zum Ankauf von Fourage für ein Heer von 60 000 Mann, und 900 000 in der Bank, um Fourage für sechs Wochen in Magdeburg zu beschaffen. Außerdem soll die Generalkriegstasse II Millionen in Vorrat haben, damit den Regimentern in Kriegszeiten der Sold vorausbezahlt werden kann211-3. 4 Millionen sind schon vorhanden, die anderen werden es in drei Jahren sein. Zu bemerken ist jedoch: wenn das Geld für alle außerordentlichen Ausgaben aus dem Staatsschatz genommen wird, kann der Krieg nur vier Feldzüge dauern. Daraus folgt mit Notwendigkeit, daß man Sachsen besetzen211-4 und den Staatsschatz nach Möglichkeit schonen muß. Er soll eigentlich nur dazu dienen, den Ausfall der Einnahmen aus den vom Feinde überschwemmten Provinzen wettzumachen. So liegen die Dinge, und daraus ergibt sich, daß die größte Sparsamkeit geübt werden muß, um beim Friedensschluß den letzten Taler in der Tasche zu behalten.

Die zwei Millionen, die alle Jahre in den Staatsschatz stießen und aus dem Umlauf verschwinden, sind anscheinend eine recht beträchtliche Summe. Ihre Zurücklegung wird aber durch die günstige Handelsbilanz unseres Staates gerechtfertigt. Der Überschuß, den diese ergibt, beträgt 4 400 000, sodaß der Geldumlauf jährlich eine Zunahme von 2 400 000 Talern aufweist. Beim Tode des verstorbenen Königs war die Handelsbilanz für Preußen ungünstig. Damals verlor die Monarchie infolge der Mehreinfuhr jährlich 500 000 Taler. Durch Errichtung vieler Manufakturen und vor allem durch die Erwerbung Schlesiens ist es mir gelungen, sie auf den angegebenen Fuß zu bringen. Darum darf man die Manufakturen auch nie aus den Augen verlieren. Durch sie kann die Handelsbilanz bei unserem gegenwärtigen Länderbesitz noch um einige hunderttausend Taler gehoben werden. Die Hauptsache ist aber, daß die jetzt bestehende Ordnung in der Verwaltung der öffentlichen Gelder und die Aufsicht über alle Kassen erhalten bleibt. Geschieht das nicht, so zahlt das Volk viel, und der Herrscher wird bestohlen.

<212>

Magazine212-1

In Berlin befindet sich ein Magazin von 36 000 Wispel Korn, mit dem man ein Heer von 60 000 Mann ein Jahr lang ernähren kann. Ein ähnliches Magazin für die gleiche Truppenzahl ist in Schlesien vorhanden, außerdem ein Fonds von 2 Millionen zum Ankauf von Getreide aus Polen, aus dem 120 000 Wispel beschafft werden können. Dadurch ist das Land vor Hungersnot geschützt, und in Kriegszeiten ist bei Benutzung der vorhandenen Vorräte Getreide für drei Feldzüge vorhanden.

Die Wartenbergsche Kasse212-2

Wartenberg macht alle Jahre 440 000 Taler Ersparnisse. Sie werden zum Teil für Waffen zur Vermehrung seines Depots, zum Teil für die Artillerie verwendet. Die Kanonen für die neue Festung in Schlesien (Silberberg) sind bereits gegossen. Gegenwärtig sind noch 400 Reservegeschütze für den Krieg in Arbeit.

Die Armee

Die geographische Lage Preußens zwingt uns, ein starkes Heer zu halten, denn wir haben Österreich, Rußland, Frankreich und Schweden zu Nachbarn. Die Kriegsstärke beträgt 220 000 Mann, die Freibataillone und die Kavallerievermehrung inbegriffen. Davon kann man 180 000 Mann ins Feld stellen. Müssen aber drei Armeen aufgestellt werden, so springt es in die Augen, daß wir im Vergleich zu unseren Nachbarn nicht zuviel Truppen haben.

Ich glaube, die Disziplin muß so erhalten werden, wie sie ist, desgleichen die jetzigen Exerziervorschriften, solange die Art der Kriegführung sich nicht ändert. Tritt darin ein Wechsel ein, so bleibt keine andere Wahl, als sich den Umständen anzupassen und entsprechende Änderungen vorzunehmen. Will man aber Gleiches oder Besseres leisten als die Feinde, so muß es durch Ordnung und Disziplin geschehen. Durch Aufmunterung und Auszeichnung muß unter den Offizieren ein edler Wetteifer erregt werden, ihre Gegner zu übertreffen. Kümmert sich der Herrscher nicht selbst um das Heerwesen und geht er nicht mit gutem Beispiel voran, so ist alles verloren. Zieht man die müßigen Hosschranzen den Offizieren vor, so wird jedermann ihren Müßiggang dem beschwerlichen Waffenhandwerk vorziehen. Während unsere Offiziere jetzt aus dem Adel hervorgehen, wird man dann zu Bürgerlichen greifen müssen, und das wäre der erste Schritt zum Niedergang und Verfall der Armee.

Wir haben gegenwärtig nur 70 Inländer pro Kompagnie. An diesem Prinzip muß festgehalten werden, um den Bauernstand zu schonen. Vermehrt er sich, so<213> kann er in Kriegszeiten, wenn Not am Mann ist, Rekruten liefern. Die Festungen sind in gutem Zustande, mit Ausnahme von Stettin, dessen Befestigungsplan aber fertig vorliegt. Magdeburg müßte ringsum mit Minenanlagen versehen werden. Unser schwächster Punkt ist das Ingenieurwesen. Wir brauchen noch 30 gute Ingenieuroffiziere, aber die Schwierigkeit liegt darin, sie zu finden. Die Mineure sind gut. Die Anzahl der Quartiermeister müßte gleichfalls vermehrt werden; denn wenn drei Armeen aufgestellt werden, so erfordert ihr Dienst geschicktere Männer, als wir besitzen.

Unsere Bevölkerung beläuft sich auf 5 200 000 Seelen, darunter gegen 90 000 Soldaten. Dies Verhältnis ist leidlich. Es dürfen aber aus den Kantons nicht über 840 Mann für das Regiment Infanterie und nicht über 400 Mann für das Regiment Kavallerie genommen werden.

Politik

Es gehört zu den Grundregeln der Staatskunst, ein Bündnis mit dem unter seinen Nachbarn zu suchen, der dem Staate die gefährlichsten Schläge versetzen kann. Deshalb hat Preußen mit Rußland eine Allianz geschlossen213-1, weil Rußland uns in Ostpreußen den Rücken deckt und wir, solange dieses Bündnis dauert, keine Einfälle Schwedens in Pommern zu befürchten haben. Die Zeiten können wechseln, und die Wandelbarkeit der politischen Verhältnisse kann uns zum Abschluß anderer Bündnisse zwingen. Wir werden aber bei anderen Mächten nie die Vorteile finden, die ein Bund mit Rußland bietet. Die französischen Truppen taugen nichts, und die Franzosen pflegen ihre Verbündeten nur lau zu unterstützen. Die Engländer sind gewohnt, Subsidien zu zahlen, und opfern ihre Verbündeten beim Friedensschluß, um ihre eigenen Interessen zu fördern213-2. Von Österreich will ich gar nicht reden. Es gehört fast ins Reich der Unmöglichkeit, mit ihm feste Bande zu knüpfen.

Fragt man sich, welche Erwerbungen für Preußen politisch ratsam wären, so bietet Sachsen unbestritten die größten Vorteile. Das preußische Gebiet würde durch Einverleibung Sachsens abgerundet, und die Gebirge zwischen Sachsen und Böhmen, die man befestigen müßte, gäben einen natürlichen Grenzwall ab. Es ist schwer vorauszusehen, wie sich diese Erwerbung ausführen ließe. Das sicherste wäre, Böhmen und Mähren zu erobern und Sachsen dagegen einzutauschen213-3. Man könnte auch die rheinischen Besitzungen, sowie Iülich oder Berg dafür hingeben oder noch einen andern Tausch machen. Jedenfalls ist die Erwerbung Sachsens unumgänglich notwendig, damit Preußen die ihm fehlende Geschlossenheit erhält. Denn ist einmal Krieg, so kann der Feind ohne den geringsten Widerstand schnurstracks auf Berlin rücken.

<214>

Ich rede nicht von unseren Erbansprüchen auf Ansbach, Jülich, Berg und Mecklenburg214-1, weil sie bekannt sind und man den Eintritt des Erbfalls abwarten muß.

Da Preußen arm ist, muß man sich besonders vor der Einmischung in solche Kriege hüten, bei denen nichts zu gewinnen ist. Sonst erschöpft man sich umsonst und kann eine sich später bietende günstige Gelegenheit nicht ausnutzen. Alle weitab liegenden Erwerbungen fallen dem Staate zur Last. Ein Dorf an der Grenze ist mehr wert als ein Fürstentum, das sechzig Meilen entfernt liegt. Es ist dringend notwendig, seine ehrgeizigen Pläne so sorgfältig wie möglich verborgen zu halten und wenn möglich den Neid Europas gegen andere Mächte wachzurufen, um dann unbemerkt und unauffällig seinen Schlag zu führen. Der Fall kann eintreten. Hsierreich, das seine Maske fallen ließ214-2, zieht sich wegen seiner ehrgeizigen Absichten den Neid und die Eifersucht der Großmächte auf langehin zu. Geheimhaltung ist eine Kardinaltugend für die Politik wie für die Kriegskunst.

Rechtspflege

Preußen besitzt eine recht weise Gesetzgebung. Ich halte es für unnötig, daran zu bessern. Alle drei Jahre aber muß eine Visitation der Gerichtshöfe in den Provinzen erfolgen. Die Aufführung der Richter und der Advokaten ist zu prüfen. Sie sind zu bestrafen, sobald man sie auf Pflichtwidrigkeiten ertappt. Da jedoch die Parteien und die Advokaten die besten Gesetze zu umgehen suchen, so muß alle zwanzig Jahre eine Prüfung stattfinden, durch welche Schliche und Kniffe sie die Prozesse zu verschleppen suchen. Dem ist (wie es jetzt geschehen214-3) ein Riegel vorzuschieben, damit die Prozesse nicht in die Länge gezogen werden, worunter die Parteien schwer zu leiden haben.

Die Einheit der Regierung

Da Preußen arm ist und leine Hilfsquellen besitzt, so muß der Herrscher stets über einen wohlausgestatteten Staatsschatz verfügen, um wenigstens einige Feldzüge bestreiten zu können. Sein einziger Notbehelf ist eine Anleihe von 5 Millionen Talern bei der „Landschaft“214-4 und die Erhebung von ungefähr 4 Millionen Talern auf den Kredit der Bank. Das ist aber auch alles. In Friedenszeiten kann er zwar über 5 700 000 Taler verfügen, aber diese Summe soll größtenteils in den Staatsschatz stießen oder zu öffentlichen Zwecken verwandt werden, wie Festungsbauten, Meliorationen, Manufakturen, Kanäle, Urbarmachungen, Ersetzung der Holzhäuser in den Städten durch Steinbauten — alles zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage des Staates. Aus diesen Gründen muß der König von Preußen sparsam sein und<215> auf größte Ordnung in den Geschäften halten. Ein zweiter Grund ist ebenso wichtig. Gibt der König das Beispiel der Verschwendung, so wollen seine Untertanen es ihm nachtun und richten sich bei ihrer Armut zugrunde. Zur Erhaltung der guten Sitten ist es vor allem notwendig, daß einzig und allein das Verdienst und nicht der Wohlstand ausgezeichnet wird. In Frankreich hat die Nichtbeachtung dieses Grundsatzes die Sitten der Nation verdorben. Früher kannte sie nur den Weg der Ehre, um Ruhm zu erwerben. Jetzt glaubt sie, um zu Ehren zu kommen, brauche man nur reich zu sein.

Jeder Krieg ist ein Abgrund, der Menschen verschlingt. Man muß also auf eine möglichst hohe Bevölkerungszahl sehen. Daraus entspringt noch der weitere Vorteil, daß die Felder besser bebaut und die Besitzer wohlhabender werden.

Ich glaube nicht, daß Preußen sich je zur Bildung einer Kriegsmarine entschließen darf215-1. Die Gründe sind folgende. Mehrere Staaten Europas haben große Flotten: England, Frankreich, Spanien, Dänemark und Rußland. Ihnen werden wir niemals gleichkommen können. Da wir also mit wenigen Schiffen immer hinter den anderen Nationen zurückbleiben würden, so wäre die Ausgabe unnütz. Hinzu kommt, daß wir, um die Kosten für eine Flotte aufzubringen, Landtruppen entlassen müßten, da Preußen nicht volkreich genug ist, um Mannschaften für das Landheer und Matrosen für die Schiffe zu stellen. Außerdem führen Seeschlachten nur selten eine Entscheidung herbei. Daraus ziehe ich den Schluß, daß man besser tut, das erste Landheer in Europa zu halten als die schlechteste Flotte unter den Seemächten.

Die Politik soll möglichst weit in die Zukunft blicken. Man muß sich über die europäische Lage ein UrteU bilden und danach seine Bündnisse schließen oder die Pläne seiner Feinde durchkreuzen. Man glaube nicht, daß die Staatskunst imstande sei, Ereignisse herbeizuführen. Sobald aber Ereignisse eintreten, muß sie sie ergreifen und ausnutzen. Deshalb muß auch Ordnung in den Finanzen herrschen und Geld vorrätig sein, damit die Regierung zu handeln bereit ist, sobald die Staatsraison es gebietet.

Der Krieg selbst muß nach den Grundsätzen der Politik geführt werden, um seinen Feinden die blutigsten Schlage zu versetzen. Derart verfuhr Prinz Eugen, der sich durch den Marsch und die Schlacht bei Turin215-2, durch die Schlachten von Höchstädt und Belgrad215-3 einen unsterblichen Namen gemacht hat. Nicht alle großen Feldzugspläne gelingen. Sind sie aber groß angelegt, so erwachsen stets größere Vorteile aus ihnen als aus kleinen Entwürfen, die sich auf die Wegnahme eines Grenznestes beschränken. So lieferte der Marschall von Sachsen die Schlacht bei Rocoux215-4 nur, um im folgenden Winter sein Unternehmen auf Brüssel ausführen zu können, und das gelang ihm.

Nach allem Gesagten ist es klar, wie eng Politik, Heerwesen und Finanzen zusammenhängen. Man darf sie deshalb nie trennen und muß sie wie ein Dreigespann<216> Stirn an Stirn lenken. Werden sie derart nach den Regeln der gesunden Politik geleitet, so erwachsen daraus die größten Vorteile für den Staat. In Frankreich hat man für jeden Verwaltungszweig einen eigenen König, den Minister, der die Finanzen, das Kriegswesen oder die auswärtigen Angelegenheiten beherrscht. Aber der gemeinsame Mittelpunkt fehlt, und so streben diese Zweige jeder für sich auseinander. Jeder Minister befaßt sich nur mit den Einzelheiten seines Ressorts, niemand gibt ihm ein festes Ziel, und jedes Zusammenarbeiten fehlt 216-1.

Träte in Preußen Ähnliches ein, so wäre der Staat verloren. Große Monarchien gehen trotz eingerissener Mißbräuche ihren Weg von selber und erhalten sich durch ihre eigene Schwerkraft und ihre innere Stärke. Kleine Staaten aber werden rasch zermalmt, sobald nicht alles bei ihnen Kraft, Nerv und Lebensfrische ist.

Das sind einige Betrachtungen und meine Gedanken über die Regierung Preußens. Solange das Land keine größere Geschlossenheit und bessere Grenzen besitzt, müssen seine Herrscher stets mit gespanntem Ohr auf der Wacht216-2 gegen ihre Nachbarn stehen und jeden Augenblick bereit sein, die verderblichen Absichten ihrer Feinde abzuwehren.

<217>

Betrachtungen über den politischen Zustand Europas
(9. Mai 1782)

Seit den Verbindungen, die der Kaiser mit Rußland eingegangen ist, hat Preußen auf das Bündnis mit der Kaiserin Katharina nicht mehr zu zählen217-1. Sie glaubt vielleicht, sie könne es gleichzeitig mit zwei Mächten217-2 halten, die durch ihre widerstreitenden Interessen zu Feinden wurden; das ist aber unmöglich. Der Kaiser begnügt sich nicht damit, daß er die Kaiserin von Rußland in seine Netze gezogen hat. Um dle Verbindung auch für die Zukunft zu sichern, hat er mit Hilfe der Württemberger den jungen Hof gänzlich unter seinen Einfluß gebracht217-3. Mag der Großfürst durch diese Kabale völlig in Fesseln gelegt sein oder nicht, dem Kaiser ist das gleichgültig, weil er zu gegebener Zeit in Rußland eine Revolution erregen kann, wodurch die Großfürstin auf den Thron gelangen würde, die ihm nach dem, was ganz Wien sich erzählt, in Liebe verbunden ist.

Indem ich nun dem Verhalten des Kaisers Schritt für Schritt nachgehe, entdecke ich darin viel kluge Voraussicht. Er wird ruhig bleiben und keinen großen Schlag tun, ehe er Ordnung in seine Finanzen gebracht hat. Man sieht es ja, wie er beflissen ist, aus allem Geld zu ziehen: er streicht die Zivilpensionen, hebt in seinen Staaten die Klöster auf, kurz, er sucht alle erfindlichen Mittel auszunutzen, um seine Kassen zu füllen, seine Schulden zu begleichen und sich eine furchtgebietende Stellung zu schaffen, wie seit Ludwigs XIV. besten Tagen kein europäischer Fürst sie besaß. Er hat dies Werk eben erst begonnen, zur Durchführung braucht er ein paar Jahre; also wird er seine Gelegenheit abwarten. Auch wenn man weder Wahrsager noch Prophet ist, läßt sich's leicht prophezeien, daß er sich vorgenommen hat, die preußische<218> Monarchie vollständig zu zertrümmern, um widerstandslos seine despotische Herrschaft in Deutschland aufzurichten. Er wird ruhig meinen Tod abwarten, bevor er Hand ans Werk legt: darum lautet die einzige Weisung an seinen Berliner Gesandten, er solle achthaben auf meinen Gesundheitszustand und ihm hierüber zuverlässige Nachrichten senden.

Sobald ich nicht mehr sein werde und seine Fonds genugsam angewachsen sind, daß er einen langen, kostspieligen Krieg unternehmen kann, wird er Rußland gegen Preußen aufzustacheln suchen, indem er die Streitigkeiten vergiftet, dle immer wieder mit der Stadt Danzig218-1 und um die Besitzungen etlicher Polen an der Netze oder im Kulmer Land218-2 aufleben. Was ihn selbst angeht, so wird er die Grenzen Schlesiens schikanieren, entweder mit neuen Zöllen oder mit Streitigkeiten, die zwischen dem Grenzerpack und den schlesischen Kaufleuten leicht anzustiften sind. Mit den Sachsen wird er, vielleicht beim Tod des Markgrafen von Bayreuth218-3, Zank um das Lausitzer Lehen218-4 anfangen, und da er Rußlands sicher ist, wird er sich der Erbfolge Preußens widersetzen. Mit einem Wort: wenn er bloß einen Vorwand braucht, um Händel zu erregen, so wird er ihn leichtlich finden, und unser unglückliches Land wird einerseits von den Russen in Ostpreußen angegriffen werden, andrerseits von den Österreichern, in Schlesien oder in der Lausitz und Sachsen, mit der Absicht, geradenwegs auf Berlin vorzudringen.

Das wäre die Darstellung der Gefahren, von denen wir bedroht werden. Sie sind so gewaltig und von solcher Bedeutung, daß die größte Geistesanspannung erforderlich ist und alle Quellen der Vorstellungskraft erschöpft werden müssen, wenn wir die Mittel finden wollen, diesem Orkan standzuhalten oder das Ungewitter noch rechtzeitig zu beschwören. Wiewohl man auf seine Verbündeten nicht mehr als auf sich selbst rechnen soll, so müssen wir doch Bündnisse herbeizuführen suchen, um wenigstens eine Art von Gleichheit zu erreichen und ein Gegengewicht gegen die Übermacht der Feinde, damit man ihnen auf allen Seiten mindestens Kräfte entgegenstellen kann, die den feindlichen nicht gar zu sehr nachstehen.

Ich will zunächst untersuchen, was von Deutschland zu erhoffen ist. Da sehe ich den Kurfürsten von Mainz218-5 an das Haus Österreich verkauft, das Kurfürstentum Köln im Begriff, in die Hände eines Erzherzogs zu fallen218-6; das trierische ist außerstande, eine Rolle zu spielen. Bayer und Pfälzer sind Sklaven des Protonsuls Lehr-

<219>

bach219-1, der sie regiert, wie der Römer Popilius den König Antiochus von Syrien219-2. Der Herzog von Württemberg219-3, sehe ich, geht nach Wien, um das Fürstindiplom für seine Geliebte219-4 zu erlangen und den Kurfürstenhut zu fordern. Es bleibt also in ganz Deutschland keiner als der Kurfürst von Sachsen219-5 auf den man rechnen könnte, und ferner nur der Kurfürst von Hannover219-6, sowie Braunschweig und Hessen, die allenfalls für einen Bund mit Preußen empfänglich wären.

Wende ich mich nach Polen, so höre ich bloß von Intrigen, die der Wiener Hof dort betreibt, um eine Partei zusammenzubringen. Seine Absicht ist dabei unzweifelHaft, nach der Kriegserklärung mit Hilfe dieser Partei Feindseligkeiten gegen unsere Provinzen zu begehen. Wir müssen also notwendigermaßen darauf bedacht sein, uns innerhalb der polnischen Republik Anhänger zu gewinnen, um entweder die Pläne unserer Feinde zu durchkreuzen oder, was noch vorzuziehen wäre, ihnen offen entgegenzutreten.

Wenn wir uns Frankreich zukehren, so finden wir da einen schwachen König219-7, der in ein paar Jahren sich gewöhnt haben wird, das Joch seiner Gemahlin219-8 geruhig zu tragen, finden Minister, die der bloße Gedanke einer wirklichen Regierung erzittern läßt, und eine österreichische Partei, die, um den Wert des Bündnisses zu steigern, erklärt: alle Erfolge der Franzosen im gegenwärtigen Krieg219-9 seien der glücklichen Verbindung zuzuschreiben, die den Kaiser mit ihrem König einige und ihnen die Möglichkeit gebe, alle Kräfte gegen den ständigen Feind des Gallierreiches219-10 aufzuwenden. Wollte die Kaiserin von Rußland sich darauf versteifen, ihren schönen Plan des griechischen Kaiserreichs219-11 bald ins Werk zu setzen, so wäre das der einzige Fall, in dem der Kaiser — da er sich gegen die Pforte erklaren müßte — den Franzosen einen stichhaltigen Vorwand zum Bruch des Bündnisses mit hem Wiener Hof liefern würde. Solange jedoch dies Ereignis nicht eintrifft, dürfen wir uns nicht einbilden, wir könnten zuverlässige Verbindungen mit Frankreich eingehen.

Bleibt England. Seit Bute außer Spiel gesetzt ist219-12, gehören Verbindungen zwischen England und Preußen wieder ins Reich der Möglichkeiten, da das neue Londoner Ministerium rechtschaffen und uns gewogen ist. Das bedeutet freilich bloß ein günstiges Vorurteil. Wir müssen die Untersuchung weiter ausdehnen und vor<220> allem erst erfahren, ob England nach dem Friedensschluß220-1 imstande sein wird, seinen Verbündeten beizustehen, oder ob der Staat durch seine Erschöpfung, gleichsam durch politische Lähmung, zu völliger Untätigkeit verdammt wird. Sollte England nicht gänzlich entkräftet sein, so könnte es uns die Unterstützung durch hannöversche, hessische und braunschweigische Truppen verschaffen. Die könnten dann den Unternehmungen entgegengestellt werden, die Österreich mit Hilfe des Kurfürsten von Köln vielleicht gegen den preußischen Besitz am Rhein und in Westfalen richten würde. Andrerseits wird Frankreich nach dem Ende dieses Krieges ebenfalls eine sparsame Finanzwirtschaft nötig haben, um die übermäßigen Kosten auszugleichen, die ihm der Krieg verursacht hat.

Der Krieg, den ich voraussehe, wird also in der Hauptsache zwischen Preußen einerseits, Österreich und Rußland andrerseits zu führen sein, vorausgesetzt, daß nicht mittlerweUe günstige Ereignisse eintreten, die unsere Lage vorteilhafter gestalten, sei es, daß Frankreich und Österreich sich entzweien, sei es, daß der Kaiserin von Rußland die Augen aufgehen, der Kaiser oder die Großfürstin stirbt oder irgend etwas Ähnliches sich begibt.

Auf unverhoffte Vorgänge darf man aber niemals zählen. Ohne auf Glücksfügungen zu bauen, wollen wir lediglich mit den Hilfsmitteln rechnen, wie kluge Staatskuns sie uns zu bieten vermag, um uns wieder in gute Verfassung zu bringen. Ich gebe hier ein paar Ideen. Wenn das österreichische Delirium auch nach dem allgemeinen Friedensschluß fortfahren sollte, in Versailles die Köpfe zu verwirren, so müßten wir auf diese Leute220-2 verzichten, immerhin aber ohne völlig mit ihnen zu brechen. Wir könnten ihnen sogar Artigkeiten sagen, auch wenn wir bei unserem Bedürfnis nach Bundesgenossen gezwungen sein sollten, uns an England zu wenden. Die Allianz mit England wäre auf alle Fälle nur ein Notbehelf; doch könnte man immerhin einige Vorteile in Deutschland daraus ziehen. Warum sollten wir dann nicht auf einen Dreibund zwischen uns, den Türken und den Engländern hinarbeiten? Liegen wir mit Rußland und Österreich im Krieg, so können wir uns keine günstigere Diversion erhoffen, als von seilen der Türken. Diese Nation ist uns wohlgeneigt, und ich glaube, in Ermangelung eines Besseren fänden wir da eine Unterstützung, die keineswegs zu verachten wäre.

Jedenfalls ist es noch nicht an der Zeit, zu handeln, sofem man nicht von den bösen Absichten der Kaiserin überzeugt ist. Handeln wir zu geschwind, so arbeiten wir nur für den Kaiser und liefern ihm einen Vorwand, uns die Kaiserin vollends zu entfremden; das wäre ein äußerst unkluges Vorgehen. Um jedoch für den Notfall Fürsorge zu treffen, habe ich das Erforderliche eingeleitet, unserer Korrespondenz nach Konstantinopel ewen neuen Weg zu bahnen: unsere wichtigen Briefe werden über Warschau an den Pascha von Chozim gelangen, der sie auf Befehl der<221> Pforte nach Konstantinopel befördert. Wir würden zuviel aufs Spiel setzen, wenn wir Depeschen von solcher Bedeutung über Wien und Ungarn gehen ließen.

Dies sind im großen Ganzen meine Gedanken über die Zukunft. Ich will freilich nichts versäumen, will keine Mühen noch mein bißchen Scharfsinn sparen, um diese unheilvollen Weissagungen von unseren Häuptern abzuwenden. Wenn aber nach meinem Tod mein Herr Neffe221-1 in seiner Schlaffheit einschlummert, sorglos in den Tag hineinlebt, wenn er verschwenderisch, wie er ist, das Staatsvermögen verschleudert und nicht alle Fähigkeiten seiner Seele neu aufleben läßt, so wird Herr Joseph — ich sehe es voraus — ihn über den Löffel barbieren, und binnen dreißig Jahren wird weder von Preußen noch vom Haus Brandenburg mehr die Rede sein: der Kaiser wird alles verschlungen haben und sich schließlich ganz Deutschland Untertan machen, dessen souveräne Fürsten er allesamt ihrer Macht berauben will, um daraus eine Monarchie wie die französische zu formen. Alle meine Wünsche gehen dahin, daß die Ereignisse meine Prophezeiungen Lügen strafen, meine Nachfolger als verständige Leute ihre Pflicht erfüllen und das Geschick den größeren Teil des dräuenden Unheils von uns wende.

<222>

Betrachtungen über die preußische Finanzverwaltung
(20. Oktober 1784)

Preußens Staaten sind nicht reich, nicht einmal wohlhabend. Der Boden ist im ganzen recht dürr, und die einzigen Handelszweige, wodurch die Bilanz der Ein, und Ausfuhr günstig gestaltet wird, bestehen aus dem Verkauf von Leinenwaren und Wollstoffen, sowie aus dem Durchgangshandel, den uns Polen, Sachsen und die rheinischen Staaten verschaffen. Zu meines Vaters Zeit verloren wir in dieser Bilanz jährlich 500 000 Taler. Durch die Erwerbung Schlesiens und Westpreußens, ferner durch die Menge neuerrichteter Manufakturen habe ich die ungünstigen Verhältnisse zu unseren Gunsten derart umgestaltet, daß unser Handel im vergangenen Jahr, nach Abzug der Einfuhr, einen Reingewinn von 4 430 000 Talern einbrachte.

Diesen Mehrertrag an barem Gelde habe ich der Finanzverwaltung zugrunde gelegt. Dadurch war ich imstande, alle Jahre drei Millionen zurückzulegen222-1, und konnte dem Land noch jährlich 1400 000 in bar zukommen lassen. Unsere Einnahmen beliefen sich im Jahre 1783/84 auf 21 730 000 Taler222-2; die Ausgaben abgerechnet bleiben 7 120 000, worüber der Herrscher verfügen kann. Man muß sich durchaus hüten, dieses Kapital auf dauernde Ausgaben zu verwenden. Es muß vielmehr für den Krieg aufgespart werden, der sicherlich ausbrechen wird, wenn ich kaum die Augen geschlossen habe222-3.

Ein Feldzug kostet an außerordentlichen Ausgaben ungefähr 12 Millionen Taler222-4 Wenn der Krieg ausbricht, dürfen wir statt der 7 Millionen, die wir erübrigen, nur sechs erwarten, weil die Akziseeinnahmen geringer werden und einige Summen, die unsere anderen Kassen in Friedenszeiten liefern, alsdann ausbleiben. Wir haben<223> Fourage für drei Feldzüge, in Breslau wie auch in Magdeburg; wir haben, in natura und in Geld, Mehl auf drei Jahre für die ganze Armee223-1. Dank diesen Vorsichtsmaßregeln können wir für die drei ersten Feldzüge gratis liefern: Korn, Fourage und die 6 Millionen für die außerordentlichen Kriegskosien. Ferner haben wir im Staatsschatz genug, um noch für drei Feldzüge das Fehlende vollständig zusteuern zu können. Auf solche Weise habe ich's durch eine einsichtige Verwaltung erreicht, daß unser armes Land sechs Feldzüge auszuhalten vermag, ohne die Steuern zu erhöhen oder den Staat mit drückenden Schulden zu belasten, die ihn aufreiben, auf die Dauer ihn der Armut preisgeben und früher oder später zu schmählichen, betrügerischen Bankrotten führen.

Um ein so armes, großer Hilfsquellen entbehrendes Land lebensfähig zu erhalten, muß man Grundsätzen folgen, die weise und gerecht sind und den dürftigen Zustand des Landes berücksichtigen. Es versieht sich von selbst, daß die Einkünfte des Fürsten von denen des Staates zu trennen sind. Die Staatseinnahmen müssen geheiligt sein, und ihre Bestimmung darf in Friedenszeiten einzig darin erblickt werden, daß sie der Wohlfahrt des Bürgers dienen, indem entweder Land urbar gemacht wird oder die Städte Manufakturen erhalten, die ihnen fehlen, oder endlich, indem alle Einrichtungen besser gefestigt und die einzelnen Staatsbürger, vom Edelmann bis zum Kuhbauer, wohlhabender und wohlhäbiger gemacht werden. Das Einkommen des wohlverwalteten Staates wird des weiteren dazu verwendet, daß alljährlich ein Teil als Beitrag zu den Kriegskosien zurückgelegt wird und so dem armen Volk die Steuern erspart bleiben, die ein untüchtiger Herrscher ihm in Kriegszeiten aufladen würde. Durch solche vernünftige Staatswirtschaft schafft man dem Volt Erleichterung, und der Staat bewahrt sich ausreichende Hilfsquellen für die unerwarteten Fälle, die ihn zwingen, seine Besitzungen gegen begehrliche Nachbarn zu verteidigen.

Bei der Verwaltung der Finanzen muß man die eigenen Launen, Leidenschaften und Gelüste zu zügeln wissen; denn vor allem: die Einnahmen des Staates gehören nicht dem Herrscher. Dies Geld wird rechtmäßig nur da verwendet, wo es dem Wohl des Volkes und der Erleichterung seiner Lasten dienstbar gemacht wird. Jeder Fürst, der dieses Einkommen in Vergnügungen und übel angebrachter Freigebigkeit vergeudet, hat in seinem Tun weniger vom Herrscher an sich als vom Straßenräuber, da er dies Geld, das Herzblut des Volkes, für unnütze und oft lächerliche Ausgaben verbraucht. Denn davon müssen wir ausgehen, daß kein Fürst in Wahrheit sagen kann: „Jetzt brauchen wir keinen Krieg mehr zu führen, nun können wir wie Epikuräer leben und ausschließlich auf die Befriedigung unserer Leidenschaften und Neinen Lüste bedacht sein.“ Was geschieht dann? Plötzlich, siehe, entbrennt ein Krieg, und unser Epikuräer, der sein Gut im voraus verzehrt hat, sieht sich mittellos, während Hannibal schon, wie die Römer sagten, vor den Toren sieht.

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Alle Handlungen des Menschen sollen die Folge gründlichen Erwägens sein, dürfen nur nach tiefer und reiflicher Überlegung unternommen werden. Allein ich wage zuversichtlich zu behaupten, daß die Fürsten ihre Vorsicht noch weiter treiben müssen als die Bürger. Bei diesen zieht verkehrtes Denken nur das Unheil einer einzelnen Familie nach sich. Wenn dagegen die Könige nur oberflächlich an die Zukunft denken, wenn sie unüberlegte Maßnahmen treffen, so müssen Millionen Menschen darunter leiden, der Ruhm solcher Fürsten verdunkelt sich, und ihre Feinde beuten ihre Torheit aus. Diese Folgen sind so bedeutsam, daß man sie denen, die durch Geburt zur Herrschaft bestimmt sind, nicht genug einschärfen kann. Zumal wenn derartige Fürsten an Verschwendungssucht leiden, Abneigung gegen Finanzberechnungen hegen und obendrein die unverständige Gewohnheit angenommen haben, sich gleichmütig von sämtlichen Bedienten bestehlen zu lassen. Entweder soll einer nicht nach der Herrschaft über Staaten begehren, oder aber er muß den edlen Vorsatz fassen, sich ihrer würdig zu erweisen, und zwar dadurch, daß er sich alles Wissen aneignet, das zum Fürsten gehört, und edlen Eifers sich antreibt, keine Arbeit und keine Sorge zu scheuen, wenn das Regieren sie erheischt. Man könnte beispielsweise sagen: „Das Rechnungswesen ist mir zuwider.“ Ich antworte: „Das Wohl des Staates fordert, daß ich die Rechnungen durchsehe, und in dem Falle darf mir nichts zu sauer werden.“ Sehen wir uns doch die größten Staaten Europas an: wie ungeheuer sind sie verschuldet! Warum? Weil sie noch nie nach einem Friedensschluß ans Abtragen ihrer Schulden gedacht haben. Die Kosten der Hofhaltung und die Verschwenderwirtschaft ihrer Herrscher haben alle ordentlichen Einkünfte verschlungen. Unter Ludwig XV. stieg die Verderbt, heil so hoch, daß die Finanzminister mitten im Frieden die Schuldenlast der Nation um dreißig und vierzig Millionen Livres jährlich vergrößerten, um seine zügellosen Ausgaben bestreiten zu können. Dabei muß noch bemerkt werden, daß ein Königreich wie das französische mit unermeßlichen Wohlstandsquellen rechnen kann, während in einem armen Land, wie alle preußischen Provinzen es sind, der Zusammenbruch nach kurzer Frist vollständig und nicht mehr gutzumachen sein würde.

Mein Nachfolger wird wohl daran tun, wenn er diesen meinen Betrachtungen auf den Grund geht und sie sich zu eigen macht, auf daß der Staat nach meinem Tod in der Lage sei, sich zu behaupten und nicht zu unterliegen. Dies aber würde sicher geschehen, wenn er nichts Besseres als einen Verschwender und Windbeutel an der Spitze hätte.

<225>

Regierungsformen und Herrscherpflichten (1777)

Wir finden, wenn wir auf die fernste Vorzeit zurückblicken, daß die Völker, von denen uns Kunde ward, ein Hirtenleben führten und keinen gesellschaftlichen Körper bildeten. Ein ausreichendes Zeugnis dafür gibt der Bericht der Genesis über die Geschichte der Patriarchen. Vor dem kleinen jüdischen Voll lebten jedenfalls auch die Ägypter sippenweise verstreut in den Gegenden, die der Nil nicht überschwemmte, und es sind ohne Zweifel viele Jahrhunderte verflossen, bevor dieser Strom so weit bezwungen war, daß die Einwohner sich in Dörfern sammeln konnten. Aus der griechischen Geschichte erfahren wir die Namen der Städtegründer und der Gesetzgeber, die das Voll zuerst zu einem Staatskörper zusammenfaßten. Lange blieb auch diese Nation so ungesittet wie alle Bewohner unseres Erdballs.

Wären die Annalen der Etrusker, der Samniten, Sabiner u. a. auf uns gekommen, so würden sie uns sicherlich lehren, daß diese Völler in Familienverbände zersplittert waren, bevor sie sich sammelten und Einheiten wurden. Die Gallier bilbeten schon, ehe Julius Cäsar sie unterwarf, größere Gemeinschaften. Dagegen war Großbritannien, scheint es, noch nicht so weit entwickelt, als derselbe Eroberer zum erstenmal mit den römischen Truppen hinüberging. Die Germanen standen zur Zeit dieses großen Mannes erst auf der Stufe der Irokesen, der Algonkins und ähnlicher wilder Völkerschaften; sie lebten nur von Jagd und Fischfang und von der Milch ihrer Herden. Ein Germane glaubte sich zu erniedrigen, wenn er den Erdboden anbaute; für diese Arbeiten verwendete er seine kriegsgefangenen Sklaven. Überdies bedeckte der Hercynische Wald fast gänzlich die weitgedehnte Länderfläche, die nun Deutschland bildet. Das Volk konnte nicht zahlreich sein, da es an genügender Nahrung fehlte. Zweifellos liegt darin der wahre Grund für die ungeheuren Wanderungen der nordischen Völker, die sich auf den Süden stürzten, um völlig urbar gemachte Länder und ein minder rauhes Klima zu gewinnen.

Man erstaunt, wenn man sich vorstellt, daß das Menschengeschlecht so lange in einem Zustand der Wildheit, ohne staatliche Gemeinschaften zu bilden, hinleben konnte, und eifrig forscht man nach dem Vernunftgrund, der es vermochte, die Menschen so weit zu bringen, daß sie sich zu Volkskörpern zusammenschlossen. Unzweifelhaft haben die Gewalttaten und Plündereien benachbarter Horden in den vereinzelten Sippen<226> den Gedanken wachgerufen, sich mit anderen Familienverbänden zusammenzuschließen, um ihre Besitztümer in gegenseitiger Verteidigung zu schützen. Daraus entsprangen die Gesetze, die den Gemeinschaften beibringen, daß das Interesse der All-gemeinheit dem persönlichen Wohl des einzelnen vorangehe. Ohne Bestrafung zu gewärtigen, wagte seitdem niemand, sich fremden Gutes zu bemächtigen oder das Leben des Nächsten anzutasten. Jeder mußte Weib und Güter des anderen als geheiligte Werte anerkennen, und wenn die Gesamtheit angegriffen war, mußte jeder einzelne zu Hilfe eilen.

Die große Wahrheit, daß wir gegen die anderen so handeln sollen, wie wir von ihnen behandelt zu werden wünschen, wird zur Grundlage der Gesetze und des Gesellschaftsoertrags. Hier ist der Ursprung der Liebe zum Vaterland, in dem wir das Obdach unseres Glückes erblicken. Da jedoch die Gesetze ohne unaufhörliche Überwachung weder fortbestehen noch Anwendung finden konnten, so bildeten sich Obrigkeiten heraus, die das Volk erwählte und denen es sich unterordnete. Man präge sich dies wohl ein: die Aufrechterhaltung der Gesetze war der einzige Grund, der die Menschen bewog. sich Obere zu geben; denn das bedeutet den wahren Ursprung der Herrschergewalt. Ihr Inhaber war der erste Diener des Staates226-1. Hatten die Volksgemeinschaften im Entstehen etwas von den Nachbarn zu befürchten, so bewaffnete dies Oberhaupt das Volt und sehte schleunig die Verteidigung der Bürger ins Werk.

Der allgemeine Trieb der Menschen, sich den größtmöglichen Glücksanteil zu verschaffen, gab Anlaß zur Bildung der unterschiedlichen Regierungsformen. Die einen glaubten, dies Glück zu finden, wenn sie etlichen weisen Männern die Führung überließen; daher entstand die aristokratische Regierung. Andere entschieden sich für die Oligarchie. Athen und die meisten anderen Republiken Griechenlands wählten die Demokratie. Persien und der übrige Orient beugten sich unter den Despotismus. Die Römer hatten eine Zeitlang Könige; als sie aber der gewalttätigen Tarquinier müde wurden, wandelten sie die Form ihrer Regierung in Adelsherrschaft. Bald danach bekam das Volk die Härte der Patrizier satt, die es wucherisch bedrückten. Es trennte sich von ihnen und kehrte nicht früher wieder nach Rom zurück, als bis der Senat die Tribunen bestätigte, die das Volk zum Schutz gegen die Vergewaltigung durch die Großen gewählt hatte; von da ab ward das Volk beinahe zum Träger der höchsten Machtfülle. Tyrannen wurden die genannt, die gewaltsam die Herrschaft in ihren Besitz brachten und, lediglich ihren Leidenschaften und Launen folgend, die zur Erhaltung des Gemeinwesens geschaffenen Gesetze und Grundprinzipien umstürzten.

Allem wie weise die Gesetzgeber und die ersten Staatengründer, wie trefflich ihre Einrichtungen sein mochten, es hat doch unter all den Regierungsformen keine gegeben, die sich in voller Reinheit erhalten hätte. Warum? Weil die Menschen und<227> folglich auch ihre Werke unvollkommen sind. Weil die Bürger im Drang der Leidenschaften sich durch ihr Sonderinteresse verblenden lassen, das stets dem allgemeinen Interesse zuwiderläuft. Endlich, weil nichts auf dieser Welt Bestand hat. In den Staaten mit Adelsherrschaft pfiegt Mißbrauch der Gewalt, wie ihn die ersten Glieder des Staatsganzen treiben, gewaltsame Umwälzungen nach sich zu ziehen. Die Demokratie der Römer wurde vom Volke selbst gestürzt; die blinde Masse der Plebejer ließ sich von ehrgeizigen Bürgern verführen, danach unterdrücken und ihrer Freiheit berauben. Dies ist das Schicksal, worauf England sich gefaßt machen kann, wenn das Unterhaus nicht den wahrhaften Interessen der Nation den Vorzug vor der schmählichen Korruption227-1 gibt, die sie erniedrigt.

Von der monarchischen Regierungsform kennt man die unterschiedlichsten Abarten. Die alte Feudalherrschaft, die vor ein paar Jahrhunderten in Europa fast allgemeine Geltung hatte, war aus den Eroberungen der Barbaren hervorgegangen. Der Feldherr, der eine Horde führte, machte sich zum unabhängigen Herrscher des eroberten Landes und verteilte die Einzelbezirke an seine Hauptleute. Sie waren ihm zwar als ihrem Lehnsherrn Untertan und lieferten ihm Truppen, sobald er es forderte; da aber etliche dieser Vasallen ebenso mächtig wie das Oberhaupt wurden, so bildeten sich Staaten im Staat. Das ward zu einer Pfianzschule für die Bürgerkriege, die soviel Unheil über die Allgemeinheit brachten. In Deutschland sind diese Vasallen unabhängig geworden; in Frankreich, England und Spanien wurden sie niedergerungen. Das einzige Beispiel dieser abscheulichen Regierungsform, das uns verblieb, bietet noch die Republik Polen. Der Beherrscher der Türkei ist Despot; straflos darf er die empörendsten Grausamkeiten begehen. Dafür begibt es sich freilich oft genug — durch ein Umsturzstreben, das in allen Barbarenvölkern steckt, oder auch durch gerechte Vergeltung — daß der Despot seinerseits erdrosselt wird. Die wahrhaft monarchische Regierung227-2 ist die schlimmste oder aber die beste von allen, je nachdem sie gehandhabt wird.

Wir haben gesehen, daß die Bürger einem ihresgleichen immer nur darum den Vorrang vor allen zugestanden, weil sie Gegendienste von ihm erwarteten. Diese Dienste bestehen im Aufrechterhalten der Gesetze, in unbestechlicher Pflege der Gerechtigkeit, in kraftvollstem Widerstand gegen die Sittenverderbnis, im Verteidigen des Staates gegen seine Feinde. Der Staatslenker muß sein Augenmerk auf die Bodennutzung gerichtet halten, er muß für reichliche Beschaffung von Lebensmitteln Sorge tragen, muß Handel und Gewerbe fördern. Er gleicht einer ständigen Schildwache, die über die Nachbarn und das Verhalten der Feinde zu wachen hat. Von ihm wird verlangt, daß er mit weitblickender Klugheit zur rechten Zeit Verbindungen anknüpfe und Bundesgenossen wähle, wie sie den Interessen seines Gemeinwesens am<228> zuträglichsten sind. Man erkennt aus dieser kurzen Übersicht, welche Fülle besonderer Kenntnisse jeder einzelne dieser Gegenstände erfordert. Und damit muß sich noch ein gründliches Studium der Landesbeschaffenheit und eine genaue Erkenntnis des Nationalgeistes verbinden. Denn der Herrscher macht sich ebenso schuldig, wenn er aus Unkenntnis fehlt, wie wenn er es aus böser Absicht tun würde: das eine Mal sind es Fehler aus Trägheit, das andere Mal Gebrechen des Herzens; allein das Übeldas dem Gemeinwesen erwächst, ist beide Male dasselbe.

Die Fürsten, die Herrscher, die Könige sind also nicht etwa deshalb mit der höchsten Macht bekleidet worden, damit sie ungestraft in Ausschweifung und Luxus aufgehen könnten. Sie sind nicht zu dem Zweck über ihre Mitbürger erhoben worden, daß ihr Stolz in eitel Repräsentation sich brüste und der schlichten Sitten, der Armut, des Elends verächtlich spotte. Sie stehen keineswegs an der Spitze des Staates, um in ihrer Umgebung einen Schwarm von Nichtstuern zu unterhalten, die durch ihren Müßiggang und ihr unnützes Wesen alle Lasier fördern.

Schlechte Verwaltung kann bei monarchischer Regierung auf sehr verschiedene Ursachen zurückgeführt werden, die ihre Wurzel im Charakter des Herrschers haben. So wird ein Fürst, der den Frauen ergeben ist, sich von seinen Mätressen und Günstlingen regieren lassen. Die mißbrauchen ihre Macht über des Fürsten Sinn und bedienen sich ihres Einflusses, um Ungerechtigkeiten zu begehen, Menschen ohne sittlichen Halt zu begünstigen, Ämter zu verschachern und ähnlicher Schändlichkeiten mehr zu verüben. Sobald der Fürst aus Nichtstuerei das Steuer des Staates Mietlingshänden überläßt — sagen wir: seinen Ministern — so wird der eine es nach rechts drehen, der andere nach links, niemand wird nach einheitlichem Plan arbeiten. Jeder Minister wird die Einrichtungen, die er vorfindet, mögen sie noch so gut sein, umstürzen wollen, um ein Schöpfer neuer Dinge zu werden und seine launenhaften Einfälle zu verwirklichen — oft zum Schaden des Gemeinwohls. Andere Minister, die dann an deren Stelle treten, beeilen sich, ihrerseits diese Anordnungen wieder mit derselben Leichtfertigkeit, die ihre Vorgänger bewiesen, über den Haufen zu werfen; sie sind befriedigt, wenn sie nur für erfinderische Köpfe gelten. So läßt das ewige Wechseln und Abändern den Plänen keine Zeit, Wurzel zu fassen. Hieraus erwachsen Verwirrung, Unordnung und alle Lasier einer schlechten Verwaltung. Die Pflichtvergessenen haben eine Entschuldigung stets zur Hand: sie decken ihre Schande mit dem unaufhörlichen Wechsel und Wandel. Und da diese Art von Ministern froh ist, wenn kein Mensch ihre eigene Amtsführung nachprüft, so hüten sie sich wohl, durch Einschreiten gegen ihre Untergebenen ein Beispiel dafür zu geben.

Die Menschen verwachsen innerlich mit dem, was ihnen gehört. Der Staat gehört den Ministern nicht; sein Wohlergehen liegt ihnen also nicht wahrhaft am Herzen. Alles wird vielmehr lässig, mit einer Art stoischen Gleichmuts vollführt. Dies muß den Verfall der Rechtspflege, der Finanzen und des Heerwesens zur Folge haben. So entartet das monarchische Regiment tatsächlich zu einem aristo<229>kratischen, darin Minister und Generale nach Gutdünken schalten. Von einem einheitlichen System ist dann nichts mehr zu spüren. Jeder folgt seinen Sondergedanken, und der Mittelpunkt, der Einheitspunkt, ist verloren. Gleichwie alle Werkteile einer Uhr vereint auf denselben Zweck, die Zeitmessung, hinwirken, so sollte auch das Getriebe der Regierung derartig angeordnet sein, daß all die einzelnen Teile der Verwaltung gleichmäßig zum besten Gedeihen des Staatsganzen zusammenwirkten; denn dieses Hauptziel darf niemals aus dem Auge gelassen werden. Ferner bringt das persönliche Interesse der Minister und Generale es gemeiniglich mit sich, daß sie in allem einander entgegenarbeiten und manches Mal die Ausführung des besten Beschlusses verhindern, bloß weil nicht sie selber ihn angeregt haben. Das Übel erreicht aber den Gipfel, wenn es verderbten Seelen gelingt, den Herrscher zu überzeugen, daß seine Interessen andere seien als die seiner Untertanen. Dann wird der Fürst zum Feind seines Volkes, ohne zu wissen, wie das kommt. Aus Mißverständnis wird er hart, streng, unmenschlich. Da die Grundanschauung, von der er ausgeht, falsch ist, müssen notwendigermaßen auch die Folgerungen es sein. Der Herrscher ist durch unlösliche Bande mit dem Staatskörper verknüpft; demnach fühlt er durch rückwirkende Kraft alle Leiden seiner Untertanen mit, und ebenso leidet die Staatsgemeinschaft unter dem Unglück, das ihn trifft. Es gibt für ihn nur ein Heil, das ist das allgemeine des Staates. Verliert der Fürst Provinzen, so ist er nicht mehr imstande, den Untertanen beizustehen wie zuvor; hat sein Mißgeschick ihn genötigt, Schulden aufzunehmen, so ist es an den armen Staatsbürgern, sie zu tilgen. Und wiederum, wenn das Volk wenig zahlreich ist, wenn es in Elend verkommt, so ist der Landesherr aller Hilfsquellen beraubt. All das sind so unanfechtbare Wahrheiten, daß es nicht nottut, weiter dabei zu verweilen.

Ich wiederhole also: der Herrscher repräsentiert den Staat; er und sein Volk bilden bloß einen einzigen Körper, der nur insoweit glücklich sein kann, als Eintracht die einzelnen Glieder zusammenhält. Der Fürst ist für den Staat, den er regiert, dasselbe, was das Haupt für den Körper ist: er muß für die Allgemeinheit sehen, denken und handeln, um ihr jeglichen wünschenswerten Vorteil zu verschaffen. Soll die monarchische Regierung sich der republikanischen überlegen zeigen, so ist die Richtschnur für den Herrscher gegeben: er muß tätig und rein von Charakter sein und all seine Kräfte zusammennehmen, um die Aufgabe zu erfüllen, die ihm vorgezeichnet ward. Die Vorstellung, die ich mir von seinen Pflichten mache, ist folgende.

Er muß sich sorgsam und eingehend über Stärke und Schwäche seines Landes unterrichten, und zwar ebensogut im Hinblick auf die Geldquellen wie auf die Bevölkerungsmenge, die Finanzen, den Handel, die Gesetze und den Geist der Nation, die er regieren soll. Wenn die Gesetze gut sein sollen, so müssen sie klar ausgedrückt sein, damit keine Rechtsverdrehung sie nach Belieben deuten kann, um den Sinn zu umgehen und regellos, nach Gutdünken über das Geschick der Bürger zu entscheiden. Das Verfahren soll so kurz wie irgend möglich sein, um die Parteien nicht<230> zugrunde zu richten. Sie dürfen nicht genötigt werden, sich in unnütze Ausgaben zu stürzen, um das zu erlangen, was die Justiz ihnen von Rechts wegen schuldig ist. Dieser Teil der Regierungsgeschäfte kann nicht genugsam überwacht werden, damit der Begehrlichkeit der Richter und dem maßlosen Eigennutz der Advokaten jede erdenkliche Schranke gesetzt werde. Alle Beamten werden zur Pflichterfüllung angehalten durch Visitationen, die man von Zeit zu Zeit in den Provinzen vornimmt. Jeder, der sich geschädigt glaubt, wagt alsdann, seine Klagen bei der Kommission vorzubringen; die Pflichtvergessenen sind streng zu strafen230-1. Vielleicht ist es überflüssig, hinzuzufügen, daß die Strafe niemals schwerer als das Vergehen sein, Gewalt nie an die Stelle der Gesetze treten darf und ein Herrscher lieber zu nachsichtig als zu streng sein soll.

Der einzelne Bürger sogar verfährt leichtsinnig, wenn er nicht nach Grundsätzen handelt. Um wieviel mehr ist daran gelegen, daß ein Staatsoberhaupt, das über das Wohl ganzer Völker zu wachen hat, in Politik und Kriegswesen, Finanzen. Handel und Gesetzen sich stets an ein vorbestimmtes System halte. Es darf beispielsweise ein sanftes Volk keine überstrengen Gesetze erhalten, sondern solche, die seinem Charakter angepaßt sind. Die Grundlage dieser Systeme muß immer das höchste Wohlergehen der bürgerlichen Gesellschaft berücksichtigen. Die Richtlinien müssen der Lage des Landes, seinen alten Bräuchen, soweit sie gut sind, und dem Volksgeist angemessen sein.

In der Politik z. B. ist es eine bekannte Tatsache, daß die natürlichen und folglich besten Verbündeten diejenigen sind, deren Interessen mit den unseren übereinstimmen und die nicht so nahe Nachbarn sind, daß man mit ihnen in einen Widerstreit der Interessen geraten kann. Zuweilen geben absonderliche Ereignisse Anlaß zu außergewöhnlichen Kombinationen. In unseren Tagen sahen wir Völker, die einander allzeit als Nebenbuhler oder gar als Feinde gegenüberstanden230-2, unter ein und derselben Fahne marschieren. Doch sind das Fälle, die selten vorkommen und niemals als Vorbilder dienen werden. Verbindungen dieser Art können nur ein Eintagsleben haben, wogegen den anderen, die auf einem gemeinsamen Interesse beruhen, allein Dauer vergönnt ist. Bei der heutigen Lage Europas, da alle Fürsten gerüstet sind und übermächtige Staaten fähig wären, die schwächeren zu vernichten, ist es eine Forderung der Klugheit, daß man sich mit anderen Mächten verbünde: entweder um sich HUfe gegen Angriffe zu sichern oder um gefahrdrohende Pläne der Feinde zu vereiteln, oder endlich um mit dem Beistand der Bundesgenossen gerechte Ansprüche gegen die Widersacher zu verfechten. Allein das genügt noch nicht. Man braucht bei seinen Nachbaren, namentlich bei seinen Feinden, offene Augen und Ohren, die getreulich berichten, was sie gesehen und gehört haben. Die Menschen sind böse; man muß sich besonders vor Überraschungen wahren, weil alles, was<231> überraschend kommt, Schrecken und Entschlußunfähigkeit verursacht. Ist man vorbereitet, so kann das niemals geschehen, mag das Ereignis, das zu erwarten sieht, noch so verdrießlich sein. Die europäische Politik ist so trügerisch, daß der Scharfsichtigste betrogen werden kann, wenn er nicht stets regsam und auf seiner Hut ist.

Das militärische System muß gleichfalls auf guten, sicheren Grundsätzen aufgebaut sein, die durch Erfahrung bestätigt sind. Man muß wissen, welche Fähigkeiten der Nation innewohnen und wie weit man, wenn sie gegen den Feind geführt wird, seine Unternehmungen ausdehnen darf. In unserer Zeit verbietet es sich, die Kriegsbräuche der Griechen und Römer anzuwenden. Die Erfindung des Schießpulvers hat die Art der Kriegführung vollkommen verändert. Die Überlegenheit des Feuers entscheidet heutzutage den Sieg; die Waffenübungen, die Reglements und die Taktik sind demgemäß von Grund auf umgestaltet worden. Die ungeheuer übertriebene Anwendung zahlreicher Artillerie, die jedes Heer schwerfällig macht, zwingt uns neuerdings, diese Mode ebenfalls mitzumachen, teils um unsere Stellungen zu behaupten, teils um den Feind in den seinigen anzugreifen, falls wichtige Gründe es erfordern. All die überfeinen Neuerungen haben die Kriegskunst so entschieden beeinflußt, daß ein General heute eine unverzeihliche Tollkühnheit begehen würde, wenn er einen Turenne, einen Conde, den Marschall von Luxemburg nachahmen und auf Grund der Anordnungen, wie diese großen Feldherren sie zu ihrer Zeit trafen, eine Schlacht wagen wollte. Damals gewann man seine Siege durch Mut und Kraft. Jetzt entscheidet die Artillerie alles, und die Geschicklichkeit des Generals beschränkt sich darauf, seine Truppen an den Feind heranzuführen, ohne daß sie zusammengeschossen werden, bevor sie den Angriff beginnen können. Um dies zu erreichen, muß er das Feuer des Gegners durch die Überlegenheit des eigenen zum Schweigen bringen. Was sich jedoch in der Kriegskunst ewig erhalten wird, das ist die Kastrametrie oder die Kunst, den größtmöglichen Vorteil aus einem Gelände zu ziehen. Wenn noch weitere Entdeckungen gemacht werden, so ergibt sich die Notwendigkeit, daß die Feldherren jener künftigen Zeiten diese Neuerungen verwetten und an unserer Taktik ändern, was der Verbesserung bedarf.

Es gibt Staaten, dle nach Lage und Anlage Seemächte sein müssen. Das sind England, Holland, Frankreich, Spanien, Dänemark. Sie grenzen ans Meer, und die entlegenen Kolonien, die sie besitzen, nötigen sie, Schisse anzuschaffen, um Verbindung und Handel zwischen dem Mutterland und den AußenteUen aufrechtzuerhalten. Andere Staaten dagegen, wie Österreich, Polen, Preußen und selbst Rußland, brauchen entweder keine Marine oder sie würden sich eines unverzeihlichen politischen Fehlers schuldig machen, wenn sie ihre Streitkräfte zersplitterten, um auch auf der See Truppen zu verwenden, die sie zu Lande durchaus nicht entbehren können231-1.

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Die Zahl der Truppen, die ein Staat aufbringt, muß sich nach der Zahl der feindlichen Streitkräfte richten. Sie muß ebenso groß sein; der Schwächere läuft Gefahr, zu unterliegen. Es ließe sich einwenden, der Fürst solle auf die HUfe seiner Verbündeten rechnen. Das wäre richtig, wenn die Verbündeten so wären, wie sie sein sollten. Allein ihr Eifer ist nur lau, und man täuscht sich sicherlich, wenn man sich auf andere statt auf sich selbst verläßt. Ist die Grenze so beschaffen, daß sie durch Festungen verteidigt werden kann, so darf man nichts versäumen, um diese zu bauen, und nichts sparen, um sie zu vervollkommnen. Frankreich gab uns das Beispiel, und bei mehr als einer Gelegenheit hat es den Nutzen verspätt.

Indessen, weder Politik noch Heerwesen können gedeihen, wenn die Finanzen nicht in größter Ordnung erhalten werden und der Fürst selber nicht sparsam und umsichtig ist. Das Geld gleicht dem Stab, womit die Zauberer ihre Wunder hervorbrachten. Weitausschauende politische Pläne, Erhaltung der Heeresmacht, die besten Absichten für die Entlastung des Voltes: all das bleibt im Keime stecken, wenn das Geld es nicht zum Leben erweckt. Sparsamkeit des Herrschers ist um so wertvoller für das Gemeinwohl, als alle Lasten auf seine Untertanen zurückfallen, wenn nicht genügende Mittel vorhanden bleiben, um ohne außerordentliche Steuerauflagen Kriegskosten zu bezahlen oder um den Bürgem bei allgemeiner Notlage Unterstützung zu bieten. Und gerade in unglücklichen Zeitläuften finden die Untertanen ja selber keinen Verdienst und sind nur zu sehr auf Beistand von oben angewiesen. Ohne Steuern kommt kein Regierungssystem aus; republikanisch oder monarchisch, es braucht sie. Das Oberhaupt, das die ganze Last der Staatsgeschäfte trägt, muß zu leben haben. Die Richter sind zu bezahlen, damit sie nicht in Pfiichtwidrigkeit geraten. Der Soldat soll ernährt werden, da Mangel ihn zu Gewalttätigkeiten verleiten kann. Desgleichen müssen die Leute, denen die Finanzverwaltung anvertraut ist, ausreichend entlohnt werden, damit sie nicht nötig haben, öffentliche Gelder zu veruntreuen. Diese unterschiedlichen Ausgaben erfordern bedeutende Summen. Es kommt noch hinzu, daß alljährlich etwas Geld für außerordentliche Fälle beiseite gelegt werden sollte. All das muß notwendigermaßen vom Volke aufgebracht werden.

Die große Kunst besieht nun darin, diese Summen zu erheben, ohne die Staatsbürger zu bedrücken. Damit die Einschätzung gleichmäßig und ohne Willkür vonstatten gehe, legt man Kataster an, die, sofern sie auf genauer Abstufung beruhen, die Lasten im Verhältnis zu den Mitteln des einzelnen verteilen. Das ist unbedingt notwendig. Es wäre ein nicht zu vergebender Fehler der Finanzwirtschaft, wenn die Steuern so ungeschickt verteilt würden, daß sie dem Landmann seine Arbeit verleibeten; er muß vielmehr, nachdem er seine Abgaben entrichtet hat, mitsamt seiner Familie noch in einer gewissen Behaglichkeit leben können. Keinesfalls darf den Nährvätern des Staates das Dasein erschwert werden. Im Gegenteil, sie müssen ermutigt werden, damit sie ihr Land wohl bestellen; denn dies macht den wahren Reichtum des Landes aus. Die Erde liefert die notwendigsten Lebensmittel, und<233> diejenigen, die sie bebauen, sind wirklich, wie wir schon sagten, die Nährväter der Gesellschaft.

Man wird mir vielleicht entgegenhalten, Holland besiehe doch, ohne daß es auch nur den hundertsten Teil dessen, was es verzehrt, auf seinen eigenen Feldern hervorbringe. Darauf erwidere ich, daß es sich hier um einen kleinen Staat handelt, bei dem der Handel den Ackerbau ergänzt. Je ausgedehnter aber ein Gebiet ist, um so mehr bedarf die Landwirtschaft der Förderung.

Eine andere Art der Steuer, die in den Städten erhoben wird, sind die Akzisen233-1. Sie wollen mit geschickter Hand gehandhabt werden; sonst werden die notwendigsten Lebensmittel, wie Brot, Dünnbier, Fleisch usw., belastet, und das trifft die Soldaten, die Arbeiter und die Gewerbetreibenden. Zum Unheil für das Volt ergäbe sich daraus eine Erhöhung des Arbeitslohnes; infolgedessen würden die Waren so teuer, daß man den Absatz nach dem Ausland verlieren würde. Ebendas erlebt man gegenwärtig in Holland und England. Beide Nationen hatten in den letzten Kriegen ungeheuere Schulden gemacht und schufen nun, um sie abzutragen, neue Steuern. Da sie aber durch ihre Ungeschicklichkeit den Arbeitslohn steigerten, haben sie beinahe ihre Manufakturen zugrunde gerichtet. Seither hat sich die Teuerung in Holland noch verschlimmert. Deshalb läßt es jetzt seine Tuchstoffe in Verviers und Lüttich herstellen, und England hat in Deutschland einen beträchtlichen Absatz an Wollwaren verloren. Um solchen Mißgriffen zu begegnen, muß der Herrscher sich den Zustand des armen Voltes oftmals gegenwärtig halten, muß sich an die Stelle eines Landmanns oder Fabrikarbeiters setzen und sich fragen: wenn ich in der Klasse dieser Bürger geboren wäre, deren Arme ihr ganzes Kapital bedeuten, was würde ich wohl vom Herrscher begehren? Was sein gesunder Menschenverstand ihm dann eingibt, das zu verwirklichen ist seine Pflicht.

In den meisten Staaten Europas findet er Provinzen, wo die Bauern an die Scholle gefesselt sind, als Leibeigene ihrer Edelleute233-2. Von allen Lagen ist dies die unglücklichste und muß das menschliche Gefühl am tiefsten empören. Sicherlich ist kein Mensch dazu geboren, der Sklave von seinesgleichen zu sein. Mit Recht verabscheut man diesen Mißbrauch und meint, man brauche nur zu wollen, um die barbarische Unsitte abzuschaffen. Dem ist aber nicht so; sie stützt sich auf alte Verträge zwischen den Grundherren und den Ansiedlern. Der Ackerbau ist auf der Bauern Frondienste zugeschnitten. Wollte man diese widerwärtige Einrichtung mit einem Male abschaffen, so würde man die ganze Landwirtschaft über den Haufen werfen. Der Adel müßte dann für einen Teil der Verluste, die er an seinen Einkünften erleidet, Entschädigung erhalten.

Hieraus kommt der Artikel Manufakturen und Handel in Betracht; er ist nicht minder wichtig. Soll ein Land sich in blühendem Gedeihen erhalten, so ist es un<234>bedingt notwendig, daß die Handelsbilanz günstig siehe: wenn es mehr für die Einfuhr bezahlt, als es an der Ausfuhr verdient, so muß es unfehlbar von Jahr zu Jahr ärmer werden. Man stelle sich eine Geldtasche vor, die hundert Dukaten enthält: nehmen wir täglich einen heraus und tun nichts dafür hinein, so müssen wir zugeben, daß am Ende der hundert Tage die Geldtasche leer ist. Die Mittel, solchem Schaden vorzubeugen, sind folgende: Verarbeitung aller Rohstoffe, die man besitzt, Bearbeitung der fremdländischen Stoffe, um dem eigenen Land den Werklohn zuzuwenden, und billiges Arbeiten, um sich Absatz nach dem Ausland zu schaffen. Beim Handel dreht es sich um drei Punkte: um den Überschuß der Landeserzeugnisse, den wir ausführen; um die Erzeugnisse unserer Nachbarn, deren Verkauf uns bereichert; und um die fremden Waren, die wir einführen, weil unsere Bedürfnisse es erfordern. Nach diesen ebengenannten Produkten muß der Handel eines Staates sich regeln; dessen ist er von Natur aus fähig. England, Holland, Frankreich, Spanien, Portgal haben Besitzungen in beiden Indien und reichere Hilfsquellen für ihre Handelsmarine als die anderen Reiche. Seine Vorteile ausnutzen und über das Maß seiner Kräfte hinaus nichts unternehmen: das ist der Weisheit Rat.

Wir haben noch davon zu sprechen, welche Mittel am besten geeignet sind, den reichlichen Zufiuß an Lebensmitteln unveränderlich zu erhalten, den die Allgemeinheit unbedingt braucht, um in Blüte zu bleiben. Die Hauptsache ist, daß Sorge getragen werde für gute Bestellung des Landes, für Urbarmachung alles ertragfähigen Bodens, für Mehrung der Herden, damit mehr Milch, Butter, Käse und Mast geWonnen werde. Ferner ist genau festzustellen, wieviel Scheffel der verschiedenen Getreidearten in guten, mittelmäßigen und schlechten Jahrgängen geerntet werden. Da, von muß man den Verbrauch abziehen und hieraus ermitteln, wieviel überflüssig ist und also ausgeführt werden darf, oder aber was zur Verbrauchsmenge noch fehlt und demnach beschafft werden muß. Jeder Herrscher, dem das Gemeinwohl am Herzen liegt, ist verpflichtet, sich mit wohlversorgten Magazinen zu versehen234-1, um Mißernten auszugleichen und der Hungersnot vorzubeugen. In Deutschland haben wir während der schlechten Jahre 1771 und 1772 gesehen, welche Nöte Sachsen und die Lande im Reiche auszustehen hatten, weil diese nutzbringende Voraussicht versäumt worden war. Das Volk mahlte die Rinde der Eichen, um sie für die Ernährung zu verwenden. Die elende Speise erhöhte nur noch die Sterblichkeit; viele Familien gingen rettungslos zugrunde; es war eine allgemeine Verheerung. Andere wandetten aus, fahl, bleich, abgezehrt, um in der Fremde Hilfe zu finden. Ihr Anblick erregte tiefes Mitleid; ein Herz von Stein hätte er gerührt. Welche Vorwürfe mußte sich nicht ihre Obrigkeit machen, da sie diesem Unglück zuschaute, ohne HUfe bringen zu können!

Wir kommen nunmehr zu einem anderen Gegenstand, der wohl ebenso interessant ist. Es gibt wenige Länder, wo die Bürger die gleichen religiösen Anschauungen<235> haben. Oft sind die Bekenntnisse gänzlich verschieden voneinander; einige gibt es, die man Sekten nennt. Da erhebt sich die Frage: müssen alle Bürger ein und dasselbe glauben, oder darf man jedem erlauben, nach seiner eigenen Weise zu denken? Sofort kommen finstere Politiker und sagen uns: jedermann muß denselben Glauben haben, damit nichts die Bürger trenne. Der Theologe setzt hinzu: Wer da nicht denkt wie ich, der ist verdammt, und es geht nicht an, daß mein Herrscher ein König der Verdammten sei; man muß sie also auf dieser Welt verbrennen, auf daß ihnen in der anderen um so höheres Glück beschieden sei.

Darauf ist zu erwidern, daß niemals eine Allgemeinheit gleichmäßig denken wird; daß bei den christlichen Nationen die meisten ihrem Gott menschliche Gestalt beUegen; daß bei den Katholiken die Mehrzahl Abgötterei treibt. Denn niemand wird mich je überzeugen, daß ein Bauer zwischen Anbetung und Verehrung einen Unterschied zu machen wisse; gutgläubig betet er das Bild an, das er anruft. Es gibt also eine gute Anzahl Ketzer in allen christlichen Sekten. Überdies glaubt jeder an das, was ihm wahrscheinlich dünkt. Ein armer Unglücklicher kann wohl mit Gewalt dazu gebracht werden, eine bestimmte Formel herzubeten, er kann ihr aber seine innere Zustimmung versagen; auf diese Art hat der Verfolger gar nichts erreicht.

Geht man jedoch auf den Ursprung der bürgerlichen Gesellschaft zurück, so ist es ganz augenscheinlich, daß der Herrscher keinerlei Recht über die Denkungsart der Bürger hat. Müßte man nicht von Sinnen sein, um sich vorzustellen, Menschen hätten zu einem ihresgleichen gesagt: Wir erheben dich über uns, weil wir gern Sklaven sein wollen, und wir geben dir die Macht, unsere Gedanken nach deinem Willen zu lenken? Sie haben im Gegenteil gesagt: Wir bedürfen deiner, damit die Gesetze, denen wir gehorchen wollen, aufrechterhalten werden, damit wir weise regiert und verteidigt werden; im übrigen verlangen wir von dir, daß du unsere Freiheit achtest. Damit ist das Urteil gesprochen; es gibt keine Berufung dagegen. Diese Toleranz ist für die Gemeinschaft, in der sie eingeführt ist, sogar dermaßen vorteilHaft, daß sie das Glück des Staates begründet. Sobald jede Glaubensweise ftei ist, hat alle Welt Ruhe; wogegen die Glaubensverfolgung die blutigsten, langwierigsten und verderblichsten Bürgerkriege verursacht hat. Das geringste Übel, das die Verfolgung nach sich zieht, besieht darin, daß sie die Verfolgten zur Auswanderung treibt. Frankreich hat ganze Provinzen, deren Bevölkerung darunter litt und die heute noch die Aufhebung des Ediktes von Nantes (1685) verspüren.

Dies sind im allgemeinen die Pflichten, die ein Fürst erfüllen muß. Damit er niemals von ihnen abirre, muß er sich oft ins Gedächtnis zurückrufen, daß er ein Mensch ist wie der geringste seiner Untertanen. Wenn er der erste Richter, der erste Feldherr, der erste Fmanzbeamte, der erste Minister der Gemeinschaft ist, so soll er das nicht sein, um zu repräsentieren, sondern um seine Pflichten zu erfüllen. Er ist nur der erste Diener des Staates, ist verpflichtet, mit Redlichkeit, mit überlegener Einficht und vollkommener Uneigennützigkeit zu handeln, als sollte er jeden Augenblick<236> seinen Mitbürgern Rechenschaft über seine Verwaltung ablegen. Er macht sich also schuldig, wenn er das Geld des Volkes, den Ertrag der Steuern in Luxus, Festgepränge oder Ausschweifungen vergeudet — er, dem es obliegt, über die guten Sitten, die Hüterinnen der Gesetze, zu wachen und die Volkserziehung zu vervollkommnen, nicht aber sie durch schlechte Beispiele noch zu verderben. Die Reinhaltung der guten Sitten ist eines der wichtigsten Ziele. Dazu kann der Herrscher viel beitragen, wenn er solche, die sich tüchtig erweisen, auszeichnet und belohnt, während er denen, die in ihrer Verkommenheit über ihren schlechten Lebenswandel nicht mehr erröten, seine Verachtung kundgibt. Der Fürst soll jede ehrlose Handlung vernehmlich mißbilligen und den Unverbesserlichen jede Auszeichnung verweigern.

Noch ein bedeutsamer Punkt darf nicht außer acht gelassen werden; seine Vernachlässigung brächte den guten Sitten einen nicht wieder gutzumachenden Schaden. Das geschieht nämlich, wenn der Fürst Personen allzusehr auszeichnet, die kein Verdienst haben, aber große Reichtümer besitzen. So übel angebrachte Ehrenbezeugungen bestärken die Allgemeinheit in dem volkstümlichen Vorurteil, reich sein genüge, um angesehen zu sein. Eigennutz und Begehrlichkeit sprengen dann die Fessel, die sie noch hielt. Jeder will Reichtümer anhäufen. Sie zu erwerben, werden die rechtswidrigsten Mittel angewandt. Die Korruption greift um sich, schlägt Wurzeln und wird allgemein. Die Talente, die sittenreinen Leute werden mißachtet, und die Welt ehrt nur die Bastarde des Midas, die mit ihrem reichlichen Geldausgeben, ihrem Prunk sie blenden. Um zu verhindern, daß die nationale Sittlichkeit so scheußlich entarte, muß der Fürst ohne Unterlaß darauf bedacht sein, nur das persönliche Verdienst auszuzeichnen und dem üppigen Reichtum ohne Sitte und Tugend nur Verachtung zu zeigen.

Endlich ist der Herrscher recht eigentlich das Oberhaupt einer Familie von Bürgern, der Vater seiner Völker und muß daher bei jeder Gelegenheit den Unglücklichen zur letzten Zuflucht dienen: an den Waisen Vaterstelle vertreten, den Witwen beistehen, ein Herz haben für den letzten Armen wie für den ersten Höfling und seine Freigebigkeit auf jene verteilen, die jeden Beistandes bar sind und allein durch seine Wohltaten Hilfe finden.

Damit haben wir, nach den eingangs aufgestellten Grundsätzen, eine genaue Vorstellung gegeben von den Herrscherpflichten und von der einzigen Möglichkeit, die monarchische Regierung gut und ersprießlich zu gestalten. Wenn viele Fürsten es anders halten, so kommt das daher, daß sie über ihr Amt und die Pflichten, die daraus erwachsen, zu wenig nachgedacht haben. Sie haben eine Bürde auf sich genommen, deren Gewicht und Bedeutung sie verkannten, sie sind aus Mangel an Kenntnissen fehlgegangen; denn in unserer Zeit hat die Unwissenheit mehr Verfehlungen auf dem Gewissen als die Bosheit. Diese Skizze eines Herrschers wird den Kritikern vielleicht wie das Vorbild der Stoiker erscheinen, wie die Idee des Weisen, den sie sich vorstellten, der niemals gelebt hat und dem nur Mark Aurel sehr nahe kam. Wir wünschten wohl, dieser schwache Versuch wäre imstande, Fürsten wie Mark Aurel her<237>anzubilden. Das wäre der schönste Lohn, den wir erwarten könnten, und er würde zugleich das Hell der Menschheit bedeuten. Wir müssen jedoch hinzufügen, daß auch ein Fürst, der die mühereiche Laufbahn, wie wir sie vorzeichneten, wirklich durchmäße, die höchste Vollkommenheit dennoch nicht erreichen würde. Beim allerbesten Willen könnte er sich doch in der Wahl derer täuschen, die er mit der Verwaltung der Staatsgeschäfte betraut. Man könnte ihm die Dinge in falschem Lichte darstellen; seine Befehle würden nicht pünktlich ausgeführt werden; ungerechte Taten würde man so verschleiern, daß sie nicht zu seiner Kenntnis gelangten; harte und halsstarrige Beamte würden allzu streng und hochfahrend vorgehen. Mit einem Wort: in einem ausgedehnten Lande kann der Fürst nicht überall zugegen sein.

So ist und bleibt es denn das Los der Dinge hienieden, daß man niemals an den Grad der Vollkommenheit heranreicht, der für das Glück der Völker zu wünschen wäre, und daß man in der Regierung von Staaten wie in allem anderen sich mit dem mindest Mangelhaften bescheiden muß.

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Kritik der Abhandlung „Über die Vorurteile“ (1770)238-1

Ich habe soeben ein Buch gelesen, das den Titel führt: „Über die Vorurteile“. Während ich es prüfend las, fand ich zu meinem äußersten Erstaunen, daß es selber von Vorurteilen strotzt. Es ist ein Gemisch von Wahrheiten und falschen Vernunftschlüssen, von bitteren Kritiken und chimärischen Entwürfen, vorgetragen von einem fanatisch schwärmenden Philosophen. Um Ihnen genauen Einblick zu geben, werde ich mich genötigt sehen, bei einzelnem zu verweilen. Da ich jedoch nicht viel Zeit übrig habe, will ich mich auf etliche Bemerkungen über die Hauptsachen beschränken.

Im Wert eines Mannes, der auf jeder Seite den Philosophen betont, hoffte ich bestimmt, Weisheit und sehr folgerichtige Gedankengänge zu finden; ich bildete mir ein, da werde eitel Licht und Klarheit herrschen. Weit gefehlt! Der Autor stellt sich die Welt ungefähr so vor, wie Plato sich seine Republik ausdachte: empfänglich für Tugend, Glück und alle Vollkommenheit. Ich kann ihm versichern, daß die Welt, darin ich lebe, anders aussieht. Hier treten Gut und Böse überall vermischt auf, Leiblichkeit und Sittlichkeit haben gleichermaßen unter den Unvollkommenheiten, die sie kennzeichnen, zu leiden. Schulmeisterhaft bekräftigt er: die Wahrheit ist für den Menschen geschaffen, und man muß sie ihm bei jeder Gelegenheit sagen. Das verdient nachgeprüft zu werden. Ich stütze mich auf die Erfahrung und die Analogie, um ihm zu beweisen, daß die spekulativen Wahrheiten ganz und gar nicht für den Menschen geschaffen sind, daß sie sich vielmehr unaufhörlich seinem mühereichsten Suchen entziehen. Es ist für unsere Eigenliebe ein demütigendes Zugeständnis; die Macht der Wahrheit entreißt es mir.

Die Wahrheit liegt auf dem Grund eines Brunnens, die Philosophen arbeiten nach Kräften, sie von dort heraufzuholen. Alle Gelehrten klagen über die Anstrengungen, die es sie kostet, die Wahrheit zu entdecken. Wäre sie für den Menschen geschaffen, so würde sie sich von selbst seinen Augen darbieten. Ohne Mühen, ohne langes Nachdenken, ohne erst fehlzugreifen, würde er sie empfangen; ihre Augen<239>scheinlichkeit würde jeden Irrtum siegreich überwinden und unfehlbar überzeugend wirken. An sicheren Merkmalen würde man sie vom Irrtum unterscheiden, der so oft uns täuscht, wenn er unter der geborgten Form des Wahren erscheint. Alle Vermutungen würden aufhören. Es gäbe nur noch Gewißheiten. Die Erfahrung aber lehrt mich ganz das Gegenteil: sie zeigt mir, daß kein Mensch frei von Irrtum ist; daß die größten Narrheiten, wie die Einbildungskraft sie nur im Fieberwahn gebären kann, zu allen Zeiten aus Philosophenhirnen hervorgingen; daß nur wenige philosophische Systeme ohne Vorurteile und falsche Schlüsse auskommen. Sie erinnert mich an die Wirbel, die Descartes ersann, an Newtons, des großen Newton Erläuterungen zur Apokalypse, an die prästabilierte Harmonie, die Leibniz erfand239-1, ein Genie, das diesen großen Männern ebenbürtig ist. Überzeugt von der Ohnmacht des menschlichen Verstandes und erschüttert von den Irrtümern so berühmter Philosophen, rufe ich aus: O Eitelkeit der Eitelkeiten, Eitelkeit des philosophischen Geistes!

Die Erfahrung dehnt ihre Untersuchung noch weiter aus. Sie zeigt mir, daß durch alle Jahrhunderte hindurch der Mensch ein Sklave des Irrtums war, der religiöse Kult sich auf absurde Fabeln gründete und absonderliche Riten, lächerliche Feste, abergläubische Bräuche im Gefolge hatte, womit die Völker das Bestehen ihrer Macht verknüpften. Erfahrung lehrt uns, daß Vorurteile den Kult beherrschten, gleichwie sie die ganze Welt von einem Ende bis zum andern regieren.

Forscht man nach den Ursachen dieser Irrtümer, so findet man, daß ihr Ursprung im Menschen selbst liegt. Die Vorurteile sind die Vernunft des Volkes; es hat einen unwiderstehlichen Hang zum Wunderbaren. Dazu kommt, daß der größte Teil der Menschheit, da er auf tägliche Arbeit angewiesen ist, in unüberwindliche Unwissenheit versunken hinlebt. Für Denken und Nachdenken hat er keine Zeit. Da sein Geist an vernunftmäßiges Denken nicht gewöhnt, sein Urteil nicht geschult ist, so kann er unmöglich die Dinge, über die er Klarheit wünscht, nach den Regeln einer gesunden Kritik untersuchen und ebensowenig einer Kette von Schlüssen folgen, wodurch man seine Irrtümer beiseite zu räumen vermöchte. Daher stammt seine Anhänglichkeit an den Kult, dem eine lange Gewöhnung Weihe verlieh; lediglich Gewalt kann ihn davon losreißen. Mit Gewalt haben denn auch jeweils die neuen Religionslehren die alten ausgerottet. Die Henker bekehrten die Heiden, und Karl der Große verkündete den Sachsen das Christentum mit Feuer und Schwert. So müßte auch unser Philosoph mit dem Schwert in der Hand den Völkern predigen, um sie aufzuklären. Indessen, da die Philosophie ihre Jünger sanft und tolerant macht, hoffe ich, er überlegt es sich noch, bevor er Waffen und Rüstung eines kriegerischen Bekehrers anlegt.

Die zweite Ursache des Aberglaubens liegt im Charakter der Menschen: in ihrer Neigung, ihrem starken Hang zu allem, was ihnen wunderbar erscheint. Jedermann<240> spürt etwas davon in sich; unwillkürlich schenken wir den übernatürlichen Dingen, von denen wir hören, Aufmerksamkeit. Es scheint, das Wunderbare erhebt die Seele und adelt unser ganzes Wesen, indem es ein unermeßliches Gebiet erschließt, das den Kreis unserer Vorstellungen erweitert und unserer Phantasie freien Lauf läßt; denn mit Lust verliert sie sich in unbekannte Regionen. Der Mensch liebt alles, was groß ist, was ihm Staunen oder Bewunderung erweckt. Majestätischer Pomp, eindrucksvolle Zeremonien packen ihn. Ein geheimnisvoller Kult verdoppelt seine Anteilnahme. Verkündet man ihm obendrein die unsichtbare Gegenwart einer Gottheit, so bemächtigt sich seines Gemüts ein ansteckender Aberglaube, setzt sich darinnen fest und wächst, bis er zum Fanatismus wird. Diese seltsamen Wirkungen sind die Folgen der Herrschaft, die des Menschen Sinne über ihn ausüben; denn er lebt mehr im Gefühl als im Verstand. Wir sehen also, daß die Mehrzahl der menschlichen Lehrmeinungen auf Vorurteile, Fabeln, Irrtum und Betrug gegründet sind. Was können wir anderes daraus schließen, als daß der Mensch für den Irrtum geschaffen, der ganze Erdball dessen Herrschaft unterworfen ist und daß wir so blind wie die Maulwürfe sind? Der Autor muß daher, nach der Erfahrung aller Zeitalter, gestehen, daß die Welt von abergläubischen Vorurteilen, wie wir sahen, überschwemmt und die Wahrheit also für den Menschen nicht geschaffen ist.

Was aber wird nun aus seinem System werden? Ich bin darauf gefaßt, daß unser Philosoph mich hier unterbricht und mich ersucht, die spekulativen Wahrheiten nicht mit denen der Erfahrung zu verwechseln. Ich habe die Ehre, ihm darauf zu erwidern, daß es bei Lehrsätzen und beim Aberglauben auf spekulative Wahrheiten ankommt; und darum hat es sich gehandelt. Die Erfahrungswahrheiten beeinflussen bloß das bürgerliche Leben, und ich bin überzeugt, ein großer Philosoph wie unser Autor bildet sich nicht ein, er kläre die Menschheit auf, wenn er sie lehrt, daß man am Feuer sich verbrennt und im Wasser ertrinkt, daß man Nahrung zu sich nehmen muß, um das Leben zu erhalten, daß die menschliche Gesellschaft ohne die Tugend nicht bestehen kann, und andere Gemeinplätze mehr. Aber gehen wir weiter.

Der Autor sagt im Anfang seines Werkes, da die Wahrheit allen nützlich sei, müsse man sie ihnen kühn und rückhaltlos sagen. Im achten Kapitel — wenn ich nicht irre, denn ich zitiere aus dem Gedächtnis — spricht er sich ganz anders aus. Da vertritt er die Meinung, die Notlügen seien erlaubt und nützlich. Er geruhe doch sich selber zu entscheiden, ob Wahrheit oder Lüge siegen soll, damit wir wissen, woran wir uns zu halten haben! Wenn ich es wagen darf, nach einem so großen PHUosophen auch meine Meinung in die Wagschale zu werfen, so möchte ich raten, ein vernünftiger Mensch solle mit nichts, nicht einmal mit der Wahrheit, Mißbrauch treiben. Ich werde nicht ermangeln, Beispiele zu nennen, um diese Meinung zu stützen.

Nehmen wir an, eine furchtsame und schreckhafte Frau befinde sich in Lebensgefahr. Wollte man ihr auf unbesonnene Weise die Gefahr, in der sie schwebt, kundgeben, so würde ihr Gemüt durch die Todesfurcht erregt, erschüttert, außer Fassung <241>gebracht werden. Hierdurch würde eine allzu stürmische Bewegung sich dem Blut mitteilen und vielleicht den Ausgang noch beschleunigen. Ließe man ihr dagegen Hoffnungen auf Genesung, so könnte die Ruhe ihrer Seele vielleicht den übrigen Heilmitteln helfen, die Wiederherstellung wirklich zu vollbringen. Was kommt dabei heraus, wenn man einen Menschen aufklärt, den seine Illusionen glücklich machen? Es kann einem gehen wie jenem Arzt, der einen Geisteskranken geheilt hatte und sein Honorar dafür forderte. Jener entgegnete ihm, er gebe nichts; denn während seiner Umnachtung habe er im Paradies zu leben geglaubt und nun, da er seinen Verstand wiederhabe, sehe er sich in der Hölle. Hätten die römischen Senatoren bei der Nachricht, daß Varro die Schlacht bei Cannä verloren habe, auf dem Forum geschrien: „Römer, wir sind besiegt, Hannibal hat unsere Heere gänzlich geschlagen!“, so hätten die unüberlegten Worte den Schrecken des Volkes dermaßen gesteigert, daß es, wie nach der Niederlage an der Allia, Rom verlassen hätte. Um die Republik wäre es geschehen gewesen. Der Senat war klüger, da er dieses Unglück geheimhielt. Er trieb das Volk wieder zur Verteidigung des Vaterlandes an, ergänzte das Heer, setzte den Krieg fort, und zu guter Letzt triumphierten die Römer über die Karthager. Es scheint also festzustehen, daß man die Wahrheit mit Zurückhaltung sagen muß: niemals dort, wo sie schaden könnte, und immer nur in gutgewählter Stunde.

Wenn ich den Autor überall, wo mir Ungenauigkeiten auffallen, in die Enge treiben wollte, so könnte ich ihn auch wegen seiner Definition des Wortes paradox angreifen. Er behauptet, das Wort bezeichne jede Meinung, die nicht anerkannt sei, aber zur Geltung gelangen könne; während dasWort doch nach gewöhnlichem Sprach, gebrauch eine Meinung bedeutet, die irgendeiner Erfahrungswahrheit entgegengesetzt ist. Ich will mich bei dieser Kleinigkeit nicht aufhalten. Aber ich kann mich doch nicht enthalten, diejenigen, die den Namen eines Philosophen in Anspruch nehmen, zu erinnern, daß sie richtige Definitionen geben und jedes Wort nur in seinem üb, lichen Sinn anwenden sollen.

Ich komme nun zu dem Ziel, das der Verfasser anstrebt. Er verhehlt es nicht, er gibt es vielmehr recht klar zu verstehen, daß er es auf den religiösen Aberglauben seines Landes abgesehen hat, daß er den Kult abschaffen möchte, um auf dessen Trümmer die Naturreligion zu erheben. Dabei will er eine Moral einführen, die von allem wesensfremden Beiwerk befreit ist. Seine Absichten muten uns rein an: er will nicht, daß das Volk durch Fabeln irregeführt werde und daß die Betrüger, die diese verschleißen, allen Gewinn daraus ziehen, gleichwie die Quacksalber aus den Arzneien, die sie verkaufen. Diese Betrüger sollen nicht die einfältige Menge beherrschen, nicht weiterhin sich der Macht erfreuen, die sie mißbräuchlich gegen Fürst und Staat ausspielen. Er will, mit einem Wort, den herrschenden Kult aus dem Weg räumen, der Masse die Augen öffnen und ihr helfen, das Joch des Aberglaubens abzuschütteln. Der Entwurf ist groß; fragt sich nur, ob er auch ausführbar und der Autor richtig vorgegangen ist, um ihn durchsetzen zu können.

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Wer die Welt gründlich studiert und das menschliche Herz erforscht hat, wird die Unternehmung für unausführbar halten. Alles stellt sich ihr entgegen: die Halsstarrigkeit, womit die Menschen an ihren gewohnten Anschauungen hangen, ihre Unwissenheit und Urteilsunfähigkeit, ihre Neigung zum Wunderbaren, die Macht des Klerus und die Mittel, die ihm für seine Selbstbehauptung zur Verfügung stehen. Nach alledem muß man bei einer Bevölkerung von sechzehn Millionen, wie man sie in Frankreich zählt, auf die Bekehrung von fünfzehn Millionen achthunderttausend Seelen verzichten, weil in ihren Meinungen unüberwindliche Hemmungen liegen. Für die Philosophie bleiben also zweihunderttausend. Das ist schon viel. Ich möchte es niemals auf mich nehmen, einer so großen Anzahl dieselbe Gedankenrichtung zu geben, einer Vielheit, die an Verständnis, Geist, Urteil, Anschauungsweise genau so verschieden ist wie an kennzeichnenden Gesichtszügen. Nehmen wir ruhig an, die zweihunderttausend Proselyten hätten dieselbe Ausbildung empfangen; darum wird jeder doch seine Eigengedanken, seine Sonderansichten haben, und am Ende werden unter all den vielen nicht zwei zu finden sein, die dasselbe denken. Ich gehe noch weiter. Ich möchte beinahe versichern, daß in einem Staat, wo alle Vorurteile ausgerottet wären, keine dreißig Jahre vergehen würden, ohne daß man neue aufkommen sähe; worauf die Irrtümer sich mit Geschwindigkeit ausbreiten und das Ganze wieder überschwemmen würden. Wer sich an die Phantasie der Menschen wendet, wird allemal den besiegen, der auf ihren Verstand einwirken will. Kurz, ich habe bewiesen, daß jederzeit der Irrtum in der Welt geherrscht hat. Und da eine so feststehende Erscheinung als allgemeines Naturgesetz angesehen werden darf, schließe ich, daß das ewig Dagewesene auch ewig da sein wird.

Indessen, ich muß dem Autor Gerechtigkeit widerfahren lassen, wo sie ihm gebührt. Nicht Gewalt beabsichtigt er anzuwenden, um der Wahrheit Jünger zuzuführen. Er gibt zu verstehen, daß er sich darauf beschränke, den Geistlichen den Unterricht der Jugend, von dem sie Besitz ergriffen haben, zu entziehen, um Philosophen damit zu betrauen. Das würde die Jugend vor den religiösen Vorurteilen bewahren und behüten, mit denen sie bisher durch die Schulen von klein auf angekränkelt wurden. Ich bin jedoch so ftei, ihm entgegenzuhalten, daß er, selbst wenn er dies Unternehmen durchzuführen vermöchte, eine Enttäuschung erleben würde. Ich berufe mich dafür auf ein Beispiel, das in Frankreich, fast unter seinen Augen, sich zuträgt. Den Cal-vinisten ist dort der Zwang auferlegt, ihre Kinder in die katholischen Schulen zu schicken: da betrachte er, wie die Väter den Kindern bei ihrer Heimkehr vorpredigen, wie sie ihnen den Katechismus Calvins abhören und welchen Abscheu sie ihnen vor dem Papsttum einflößen. Das ist eine bekannte Tatsache, und es ist des weiteren einleuchtend, daß es ohne die Beharrlichkeit dieser Familienhäupter längst keine Hugenotten mehr in Frankreich geben würde. Ein Philosoph kann sich gegen eine solche Bedrückung der Protestanten auflehnen, aber er darf nicht selber dem Beispiel folgen; denn es bedeutet Gewalttätigkeit, wenn den Vätern die Freiheit genommen wird,<243> ihre Kinder nach ihrem Willen zu erziehen. Es würde auch Gewalttätigkeit bedeuten, wenn die Kinder zur Schule der Naturreligion geschickt würden, während die Väter wünschten, daß sie katholisch seien wie sie selbst.

Ein Philosoph, der zum Verfolger würde, wäre in den Augen des Weisen ein Mon-strum. Mäßigung, Menschlichkeit, Gerechtigkeit, Duldsamkeit: das sind die Tugenden, die ihn kennzeichnen sollen. Seine Grundsätze müssen unwandelbar bleiben, seine Worte, Entwürfe, Handlungen müssen seinen Grundsätzen entsprechen.

Gönnen wir dem Verfasser seine Begeisterung für die Wahrheit und bewundern wir die Geschicklichkeit, mit der er seine Ziele zu erreichen sucht. Wir haben gesehen, daß er einen mächtigen Gegner angreift: die herrschende Religion, den Priester, der sie verteidigt, und das abergläubische Volk, das unter ihren Fahnen sieht. Aber als habe er an einem so furchtbaren Feind nicht genug für seinen Mut, erweckt er sich noch einen anderen, um seinen Triumph zu steigern, seinen Sieg glorreicher zu machen. Er unternimmt einen nachdrücklichen Ausfall gegen die Regierung und beleidigt sie ebenso grob wie unziemlich. Die Mißachtung, die er dabei an den Tag legt, empört jeden vernünftigen Leser.

Vielleicht wäre die Regierung neutral geblieben, eine friedliche Zuschauerin der Schlachten, die unser Held der Wahrheit den Aposteln der Lüge lieferte; aber er selbst zwingt sie, für die Kirche Partei zu ergreifen wider den gemeinsamen Feind. Wenn wir den großen Philosophen nicht achteten, hätten wir diesen Angriff für den Streich eines leichtfertigen Schulbuben gehalten, wofür er strenge Bestrafung durch seine Lehrer verdiente.

Kann man denn sein Vaterland nur fördern, wenn man es um und um kehrt und alle bestehende Ordnung über den Haufen wirft? Gibt es nicht mildere Mittel, die man lieber anwenden sollte, um dem Vaterland mit Nutzen zu dienen? Unser Philosoph, scheint mir, hält es mit jenen Ärzten, die kein Heilmittel als das Brechmittel kennen, mit jenen Chirurgen, die sich nur auf Amputationen verstehen. Wenn ein Weiser über den Schaden nachdenkt, den die Kirche seinem Land verursacht, wird er sich ohne Zweifel Mühe geben, es von dem Übel zu befreien; aber er wird mit Vorsicht zu Werke gehen. Anstatt das alte gotische Gebäude einfach niederzureißen, wird er sich mühen, die Fehler zu beseitigen, die es entstellen.

Er wird die abgeschmackten Fabeln entkräften, die der Dummheit der Masse zum Futter dienen. Er wird sich gegen Absolution und Ablässe auflehnen, die nur ein Ansporn zum Verbrechen sind, weil sie dem Bußfertigen die Sühne zu leicht machen und seine Gewissensbisse zu mühelos beschwichtigen. Er wird zu Felde ziehen gegen all die Ausgleichsmittel, die von der Kirche eingeführt wurden, um die größten Missetaten zu tilgen, gegen die geistlichen Exerzitien, die kindlichen Mummenschanz an die Stelle wirklicher Tugenden setzen. Er wird seine Stimme erheben wider die Ansammlungen von Nichtstuern, die vom arbeitsamen Teil der Nation leben, wider diese Menge von Mönchen, die den Naturtrieb unterdrücken und so ihr möglichstes<244> zum Niedergang der Menschheit beitragen. Den Herrscher wird er anfeuern, die unermeßliche Macht, die das Priestertum sträflich gegen sein Volt und gegen ihn selbst anwendet, einzuschränken, dem Klerus jeden Einfluß auf die Regierung zu nehmen und ihn denselben Gerichten zu unterwerfen, die über die Laien urteilen. Durch dieses Mittel würde die Religion ein für Sitten und Regierung gleichgültiger Gegenstand theoretischer Betrachtung werden, der Aberglaube würde nachlassen, und die Toleranz würde von Tag zu Tag an Herrschaft über die Welt gewinnen.

Kommen wir nun zu dem Abschnitt, worin der Verfasser die Politik behandelt. Welche Umwege er auch einschlagen mag, um den Schein zu erwecken, als betrachte er die Dinge nur unter allgemeinen Gesichtspunkten, man merkt doch, daß er immer Frankreich vor Augen hat und über die Grenzen seines Vaterlandes nicht hinausschreitet. Seine Darlegungen, seine Kritik, alles bezieht sich auf Frankreich, alles hängt damit zusammen. Nur in Frankreich werden die richterlichen Ämter verkauft; lein Staat hat so viel Schulden wie dieser; nirgends schreit man so laut gegen die Steuern. Man lese nur die Vorstellungen der Parlamente gegen gewisse Steueredikte und zahlreiche Broschüren über denselben Gegenstand. Das Wesentliche der Klagen gegen die Regierung ist auf kein anderes Land Europas anwendbar als auf Frankreich. Nur dort werden die Staatseinkünfte durch Steuerpächter erhoben. Die englischen Philosophen beklagen sich nicht über ihren Klerus. Von spanischen, portugiesischen, österreichischen Philosophen habe ich bisher nicht reden hören. Nur in Frankreich können also die Philosophen über die Priester klagen. Kurz, alles weist auf des Verfassers Vaterland hin, und es würde ihm schwer, wo nicht unmöglich werden, zu leugnen, daß seine Hiebe sich unmittelbar gegen Frankreich richten.

Indessen, er hat Augenblicke, wo sein Zorn sich legt und sein beruhigter Geist ihm erlaubt, seine Schlüsse mit besserer Einsicht zu ziehen. Wenn er behauptet, es sei die Pflicht des Fürsten, seine Untertanen glücklich zu machen, so ist das eine alte Wahrheit, die jedermann mit ihm anerkennen wird. Wenn er betont, Unwissenheit und Trägheit der Herrscher seien verhängnisvoll für ihre Völker, so wird man ihm versichern, daß das die Überzeugung aller ist. Wenn er hinzufügt, das Interesse der Monarchen sei untrennbar verknüpft mit dem der Untertanen und ihr Ruhm bestehe darin, über eine glückliche Nation zu herrschen, so wird ihm niemand die augenscheinliche Richtigkeit dieser Meinung bestreiten. Verleumdet er aber mit heftiger Erbitterung und Ausfällen ätzendster Satire seinen König und die Regierung seines Landes, so sieht man ihn für einen Verrückten an, der, seinen Fesseln entronnen, sich den wildesten Ausbrüchen seiner Wut hingibt.

Wie, Herr Philosoph, Sie Schützer der Sitten und der Tugend, wissen Sie nicht, daß ein guter Bürger die Regierungsform, unter der er lebt, achten soll? Wissen Sie nicht, daß es einem Bürger nicht zukommt, die Machthaber zu beschimpfen, daß man weder seine Mitbürger noch seinen Herrscher noch sonst jemand verleumden darf und<245> daß ein Autor, der seine Feder zu solchen Ausschreitungen hergibt, nicht Weiser noch Philosoph ist?

Nichts verbindet mich persönlich mit dem Allerchristlichsten König; ich hätte vielleicht ebensoviel Grund, mich über ihn zu beklagen wie irgendein anderer. Aber die Entrüstung über die Schmähungen, die der Verfasser gegen ihn ausgespieen hat, und vor allem die Liebe zur Wahrheit, die stärker als jede Erwägung ist, zwingen mich, Beschuldigungen zu widerlegen, die so falsch wie empörend sind.

Hier die Hauptanklagepunkte:

Der Verfasser beschwert sich darüber, daß die vornehmsten Häuser Frankreichs allein im Besitz der ersten Würden seien; daß das Verdienst nicht ausgezeichnet werde; daß man den Klerus ehre und die Philosophen mißachte; daß der Ehrgeiz des Herrschers ohne Unterlaß neue aufreibende Kriege entzünde; daß einzig die gedungenen Henker — mit diesem geschmackvollen Epitheton ehrt er die Soldaten — Belohnungen und Auszeichnungen genießen; daß die Richterstellen käuflich seien, die Gesetze schlecht, die Steuern maßlos, die Bedrückung unerträglich sei und die Erziehung der Fürsten ebenso verständnislos wie tadelnswert.

Hier meine Antwort:

Das Wohl des Staates fordert, daß der Fürst die bedeutenden Dienste, die der Regierung geleistet werden, anerkennt. Wenn er seine Dankbarkeit bis auf die Nachkommen derer ausdehnt, die sich um das Vaterland verdient gemacht haben, so ist das die größte Ermutigung, die er den Talenten und der Tüchtigkeit geben kann. Familien auszeichnen, die durch die trefflichen Taten ihrer Vorfahren emporgekommen sind, heißt das nicht: alle anspornen, daß sie dem Staate gute Dienste leisten, um die Nachkommen im Genusse ähnlicher Vergünstigungen hinterlassen zu können? Bei den Römern schon galt der Patrizierstand mehr als der Plebejer- und der Ritterstand. Nur in der Türkei sind die Stände vermengt, und es geht ihr darum nicht etwa besser. In allen Staaten Europas genießt der Adel derselben Vorrechte. Die Bürgerlichen bahnen sich zuweilen den Weg zu den bevorzugten Stellen, wenn Genie, Talente und Leistungen sie adeln. Dieses Vorurteil aber, wenn man es so nennen will, dieses (wie ich betonen möchte) allgemein anerkannte Vorurteil würde es sogar dem König von Frankreich verwehren, einen Bürgerlichen als Gesandten an bestimmte fremde Höfe zu schicken.

Wo die Rechte der Geburt nicht anerkannt werden, lebt nicht philosophische Freiheit, sondern kleinbürgerliche und lächerliche Eitelkeit.

Der Verfasser klagt weiter, in Frankreich zeichne man das persönliche Verdienst nicht aus. Ich bekenne mich zu dem Argwohn, daß der Minister ihm gegenüber in einer persönlichen Angelegenheit etwas versehen hat. Vielleicht lud er die Schuld auf sich, ihm irgendeine Pension abzuschlagen oder diesen hochweisen Lehrmeister der Menschheit in seiner Dachkammer nicht zu entdecken, wiewohl er so würdig ist, dem

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Minister in seinen politischen Geschäften beizustehen — was sage ich? ihn anzuleiten vielmehr!

Sie behaupten, Herr Philosoph, daß die Könige sich in der Wahl ihrer Diener oftmals täuschen. Nichts ist wahrer; die Gründe lassen sich leicht finden: auch die Könige sind eben Menschen, dem Irrtum unterworfen wie die anderen. Wer nach hohem Amte trachtet, tritt ihnen niemals anders gegenüber als mit der Maske vorm Gesicht. Ohne Zweifel kommt es vor, daß die Könige sich irreführen lassen. Die Schliche, Ränke und Kabalen der Höflinge können gelegentlich obsiegen. Wenn aber ihre Wahl nicht immer glücklich ist, so soll man nicht sie allein anklagen. Das wahre Verdienst und die Männer von überlegenen Geistesgaben sind allenthalben viel seltener, als so ein übersinnlicher Träumer sich einbildet. Er hat ja nur theoretische Vorstellungen von der Welt des Staatsmanns, die er niemals kennen lernte. Das Verdienst wird nicht belohnt: die Klage hört man in jedem Land. Und jeder anmaßende Kerl kann sagen: Ich habe geniale Fähigkeiten; die Regierung läßt mir keine Auszeichnung zuteil werden; folglich fehlt es ihr an Weisheit, Urteil und Gerechtigkeit.

Unser Philosoph gerät sodann in den Harnisch, da er einen Gegenstand behandelt, der ihn näher angeht. Er scheint äußerst empört zu sein, weil man in seinem Vaterland die Apostel der Lüge denen der Wahrheit vorzieht. Er wird gebeten, doch nur ein paar flüchtige Erwägungen anzustellen, die vielleicht seines ungestümen Genies unwürdig, immerhin aber geeignet sind, seinen Zorn zu besänftigen. Er möge sich einmal vergegenwärtigen, daß der Klerus eine beträchtliche Körperschaft im Staate bildet, während die Philosophen vereinzelte Privatleute sind. Er erinnere sich gefälligst, daß er selbst gesagt hat, der Klerus sei durch die Autorität, die er über das Volk zu gewinnen wußte, mächtig geworden, habe sich dadurch dem Herrscher furchtbar gemacht und müsse nun auf Grund seiner Macht schonend behandelt werden. Die Natur der Dinge erfordert es also, daß der Klerus sich ausgeprägterer Vorrechte und Auszeichnungen erfreut, als man sie gemeiniglich denen zubilligt, die von Standes wegen auf allen Ehrgeiz verzichteten und, erhaben über die menschlichen Eitelkeiten, alles verachten, was der Haufe mit so viel Eifer begehrt.

Weiß unser Philosoph nicht, daß der Aberglaube des Volkes den Monarchen auf dem Thron in Ketten schlägt? Das Volk selbst zwingt ihn, Rücksicht auf diese widerspenstigen und aufruhrbrütenden Priester zu nehmen, auf diesen Klerus, der einen Staat im Staate errichten will und nicht davor zurückschreckt, Vorgänge von solcher Tragik heraufzubeschwören, wie sie dem Leben Heinrichs III. und des guten Königs Heinrich IV. ein Ende setzten246-1. Der Fürst darf nur mit feinfühlig geschickter Hand an den bestehenden Kult rühren. Will er sich an das Gebäude des Aberglaubens machen, so muß er es zu untergraben suchen; es hieße allzuviel wagen, wenn er an ein offenkundiges Niederreißen ginge. Begibt es sich gelegentlich, daß Philosophen über das<247> Regierungswesen schreiben, ohne Fachkenntnisse und Weitblick zu zeigen, so sehen die Politiker mitleidig auf sie herab und verweisen sie auf die Anfangsgründe ihrer Wissenschaft. Theoretische Spekulationen verdienen kein Vertrauen; sie halten die Feuerprobe der Erfahrung nicht aus. Die Regierungskunde ist eine Wissenschaft für sich; wer da fachgerecht mitsprechen will, muß ein langes Studium hinter sich haben. Sonst gerät man auf Irrwege oder empfiehlt Arzneien, die schlimmer sind als das Leiden, worüber man klagt. Und es kann geschehen, daß man mit viel Geist nichts als dummes Zeug redet.

Noch eine Pauke gegen den Ehrgeiz der Fürsten! Unser Autor ist außer sich, er nimmt kein Blatt mehr vor den Mund: er klagt die Herrscher an, sie seien die Schlächter ihrer Völker, sie schickten sie als Schlachtopfer in den Krieg, um sich die Langeweile zu vertreiben.

Ohne Zweifel hat es ungerechte Kriege gegeben, Blut ist geflossen, das man hätte sparen sollen und können. Nichtsdestoweniger gibt es mehrere Fälle, in denen der Krieg nötig, unvermeidlich und gerecht ist. Ein Fürst muß seine Verbündeten verteidigen, wenn sie angegriffen werden. Die Selbsterhaltung nötigt ihn, mit bewaffneter Hand das Gleichgewicht zwischen den Mächten Europas zu erhalten. Seine Pflicht ist es, die Untertanen vor feindlichen Einfällen zu schützen. Er ist durchaus befugt, für seine Rechte einzutreten, für eine Erbschaft, die angefochten wird, oder für ähnliche Streitfragen, und zwar indem er die Unbill, die man ihm antut, mit Gewalt zurückweist.

Welchen Schiedsrichter haben denn die Herrscher? Wer will ihr Richter sein? Da sie denn für ihre Rechtsstreitigkeiten kein Gericht finden, das mächtig genug wäre, das Urteil zu fällen und zu vollziehen, so kehren sie unter das Naturrecht zurück, und Gewalt muß die Entscheidung übernehmen. Gegen solche Kriege Geschrei erheben, die kriegführenden Herrscher schmähen, das heißt, mehr Haß gegen die Könige an den Tag legen als Mitleid und Menschlichkeit gegen die Völker, die mittelbar unter den Kriegen leiden. Würde unser Philosoph wohl mit einem Herrscher einverstanden sein, der sich feige seiner Staaten berauben ließe, der Ehre, Interesse und Ruhm seiner Nation dem Gelüst der Nachbarn preisgäbe und durch unnützes Mühen um Erhaltung des Friedens sich selbst, seinen Staat und sein Volk zugrunde richtete? Mark Aurel, Trajan, Julian lagen beständig im Krieg, und doch spenden die Philosophen ihnen Lob. Warum tadeln sie also die modernen Herrscher, die hierin dem Beispiel der alten folgen?

Dem Verfasser genügt es nicht, alle gekrönten Häupter Europas zu beschimpfen. Nebenher unterhält er sich auch damit, die Werke von Hugo Grotius lächerlich zu machen. Ich möchte mir die Ansicht erlauben, daß man ihm nicht aufs Wort glauben wird und daß das „Kriegs- und Friedensrecht“ länger fortleben wird als die Abhandlung „Über die Vorurteile“.

Merken Sie sich, Sie Feind der Könige, moderner Brutus, merken Sie sich, daß die Könige nicht die einzigen sind, die Krieg führen. Die Republiken haben jederzeit<248> ein gleiches getan. Wissen Sie nicht, daß die Griechenrepubliken mit ihren unaufhör-lichen Zwistigkeiten fortwährend von Bürgerkriegen heimgesucht wurden? Ihre An-nalen umfassen eine ununterbrochene Folge von Kämpfen: gegen die Mazedonier, die Perser, Karthager, Römer, bis zur Zeit, da der Ätolische Bund ihren Untergang beschleunigte. Wissen Sie nicht, daß keine Monarchie kriegerischer war als die römische Republik? Um all ihre Waffentaten Ihnen vor Augen zu führen, müßte ich die Geschichte der Republik Rom vom einen Ende bis zum andern wiedergeben.

Gehen wir zu den modernen Republiken über. Die venezianische hat gegen die genuesische gekämpft, gegen die Türken, den Papst, die Kaiser und gegen euren Ludwig XII. Die Schweizer haben Kriege mit dem Haus Österreich und mit Karl dem Kühnen, dem Herzog von Burgund, ausgefochten. Und sind sie nicht — um mich Ihres feinen Ausdrucks zu bedienen — schlimmere Schlächter als die Könige: verkaufen sie nicht ihre Mitbürger zum Dienst bei Fürsten, die im Kampf stehen? Von England, das ja auch eine Republik ist, sage ich nichts; Sie wissen es aus Erfahrung, ob England Kriege führt und wie es sie führt. Die Holländer haben sich seit der Begründung ihrer Republik in alle Wirren Europas gemischt. Schweden hat seinerzeit, solange es Republik war, verhältnismäßig ebensoviel Kriege unternommen wie unter der Monarchie. Was Polen betrifft, so frage ich Sie nur, was gegenwärtig dort vorgeht248-1, was in unserem Jahrhundert dort schon vorgegangen ist248-2, und ob Sie glauben, daß das Land ewigen Frieden genieße? Alle Regierungsformen Europas und der ganzen Erde, die Quäker ausgenommen, sind demnach, wenn es auf Ihre Grundsätze ankommt, tyrannisch und barbarisch. Warum also beschuldigen Sie einzig die Monarchien dessen, was sie doch mit den Republiken gemeinsam haben?

Sie ereifern sich gegen den Krieg. Er ist an sich schreckensvoll, aber doch nur ein Übel wie die anderen Geißeln Gottes, von denen man wohl annehmen muß, daß sie innerhalb der Weltordnung notwendig sind, da sie periodisch auftreten und bis jetzt noch kein Jahrhundert sich rühmen konnte, frei von ihnen geblieben zu sein. Wenn Sie den ewigen Frieden herstellen wollen, so müssen Sie sich in eine Idealwelt begeben, wo das Mein und Dein unbekannt ist, wo Fürsten, Minister und Untertanen allesamt leidenschaftlos sind und jedermann der Vernunft gehorcht. Oder schließen Sie sich den Plänen des verstorbenen Abbe Saint-Pierre248-3 an. Oder aber, wenn das Ihnen zuwider ist, weil er Priester war, so lassen Sie doch den Dingen ihren Lauf; denn in dieser Welt müssen Sie darauf gefaßt sein, daß es Kriege geben wird, wie es immer Kriege gegeben hat, soweit unsere Überlieferung zurückreicht.

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Sehen wir nun zu, ob Ihre stark aufgetragenen AnNagen Wider die französische Staatsleitung, die so haltlos erscheinen, vielleicht doch irgendeine Grundlage haben. Sie beschuldigen Ludwig XV. — indem Sie ihn kenntlich machen, ohne ihn zu nennen — er habe nur ungerechte Kriege unternommen. Denken Sie nicht, es genüge, derartige Sachen mit unverschämter Frechheit vorzubringen; sie wollen auch bewiesen sein. Oder Sie werden, so sehr Sie als Philosoph erscheinen möchten, nur für einen großartigen Verleumder gehalten werden. Prüfen wir denn die Akten des Rechtsstreites, suchen wir zu beurteilen, ob die Gründe, die Ludwig XV. zu seinen Kriegen bestimmten, schlecht oder stichhaltig waren.

Der erste Krieg, der in Frage kommt, ist der von 1733. Ludwigs Schwiegervater249-1 wird zum König von Polen erwählt. Kaiser Karl VI. widersetzt sich, im Bund mit Rußland, dieser Wahl. Da der König von Frankreich dem russischen Reich nicht zu Leibe kann, greift er Karl VI. an, um die Rechte seines zweimal auf denselben Thron erhobenen Schwiegervaters zu unterstützen. Und da er in Polen nicht die Oberhand zu gewinnen vermag, verschafft er dem König Stanislaus zur Entschädigung Lothringen249-2. Soll man nun einen Schwiegersohn verurteilen, der seinem Schwiegervater beisteht, einen König, der das Wahlrecht einer freien Nation schützt, einen Fürsten, der fremde Mächte hindert, sich das Recht zum Verschenken von Königreichen anzumaßen? Sofern man sich nicht von Erbitterung und unversöhnlichem Haß hinreißen läßt, ist es bis hierher unmöglich, das Verhalten dieses Fürsten zu tadeln.

Der zweite Krieg begann im Jahre 1741. Er wurde um die Erbschaft des Hauses Österreich geführt, dessen letzter männlicher Sproß, Kaiser Karl VI., eben gestorben war. Es ist sicher, daß die berühmte Pragmatische Sanktion, worauf Karl VI. seine Hoffnungen setzte249-3, weder den Erbrechten der Häuser Bayern und Sachsen noch den Ansprüchen, die das Haus Brandenburg auf einige Herzogtümer Schlesiens erhob, im mindesten Abbruch tun konnte. Zu Beginn dieses Krieges war es höchst wahrscheinlich, daß ein französisches Heer, das damals nach Deutschland entsandt wurde, König Ludwig XV. zum Schiedsrichter über die miteinander streitenden Fürsien machen und sie zwingen würde, sich nach dem Willen Ludwigs gütlich über die Erbschaft zu einigen. Ganz gewiß konnte Frankreich nach der Rolle, die es beim Westfälischen Frieden gespielt hatte, keine schönere und größere als diese neue spielen. Aber Mißgeschick und allerlei Ereignisse trafen zusammen, um diese Pläne zu vereiteln. Muß man nun Ludwig XV. verdammen, weil ein Teil des Krieges unglücklich verlief? Darf ein Philosoph einen Entwurf nach seinem Ausgang beurteilen?

Allein es ist leichter, aufs Geratewohl Beleidigungen auszusprechen als zu prüfen und zu erwägen, was man sagen will. Siehe da! Der Mann, der sich im Anfang seines Werkes als eifernden Verfechter der Wahrheit ausgibt, ist also nur ein gemeiner Aufschneider, der mit seiner Bosheit die Lüge verbindet, um die Herrscher zu beschimpfen!

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Ich komme zum Krieg von 1756. Der Verfasser der „Vorurteile“ muß selber gar viele Vorurteile und viel Erbitterung gegen sein Vaterland hegen, wenn er nicht ehrlich zugibt, daß England damals Frankreich gezwungen hat, die Waffen zu ergreifen. Wie soll ich in dem blutdürstig barbarischen Tyrannen, den Sie uns in so düsteren Farben malen, den friedlichen Ludwig XV. wiedererkennen, der mit engelgleicher Geduld und Mäßigung verfuhr, bevor er sich gegen England erklärte 250-1?

Was kann man ihm vorwerfen? Will man behaupten, er hätte sich nicht verleidigen dürfen? Mein Freund, entweder bist du ein Nichtswisser oder ein Hirn, verbrannter oder ein großartiger Verleumder. Ein Philosoph aber bist du nicht.

Soviel über die Herrscher250-2. Man braucht nun durchaus nicht zu glauben, der Verfasser behandle die anderen Stände besser. Alle dienen sie ihm als Zielscheibe seines<251> Hohns. Mit welch schmählicher Verachtung aber, wie abscheulich behandelt er die Kriegsleute! Wenn man ihn hört, muß man glauben, sie seien der niedrigste Auswurf der menschlichen Gesellschaft. Doch vergeblich sucht sein Philosophenstolz ihr Verdienst zu verkleinern; die Notwendigkeit, sich zu verteidigen, wird immer dafür sorgen, daß Kriegerwert gewürdigt werde. Wollen wir aber dulden, daß ein hirnverbrannter Kopf den vornehmsten Beruf der Staatsgemeinschaft schmäht, den Beruf, die Mitbürger zu schützen?

O Scipio, der du Rom aus den Händen Hannibals errettetest und Karthago niederwarfst; Gustav, großer Gustav251-1 Schützer der germanischen Freiheit; Turenne, Schild und Schwert deines Vaterlandes; Marlborough, dessen Arm Europa im Gleichgewicht erhielt; Eugen, du Hort und Ruhm Österreichs; Moritz251-2, du letzter Held Frankreichs! Befreit euch, erlauchte Schatten, aus dem Kerker des Todes, aus den Fesseln des Grabes! Wie werdet ihr mit Staunen vernehmen, daß man in diesem Jahrhundert der Paradoxen eure Arbeit schmäht, eure Taten, die euch mit Fug und Recht die Unsterblichkeit eintrugen! Werdet ihr eure Nachfolger unter dem geschmackvollen Namen gedungener Henker erkennen, den die Sophisten ihnen gaben? Was werdet ihr sagen, wenn ihr einen Cyniker, der unverschämter als Diogenes ist, aus dem Hintergrund seiner Tonne kläffen hört wider eure leuchtende Ehre, deren Glanz ihn ärgert? Aber was vermag dieses ohnmächtige Gekreisch gegen eure ruhmumstrahlten Namen und gegen die gerechte Huldigung jedes Zeitalters, die ihr fort und fort erntet?

Die ihr in den Spuren dieser echten Helden wandelt, fahret fort, ihren Tugenden nachzustreben, und verachtet das nichtige Gezeter eines unsinnigen Sophisten, der sich Apostel der Wahrheit nennt, aber nur Lügen, Verleumdungen und Schimpferei vorbringt!

Nichtswürdiger Phrasenmacher, muß man dich lehren, daß die Künste nur unter dem Schutz der Waffen friedlich gedeihen? Hast du nicht während der Kriege, die du miterlebtest, gesehen, daß, solange der furchtlose Soldat über die Grenzen wacht, der Landmann daraufrechnet, die Früchte seiner Arbeit in reichen Ernten einzusammeln? Weißt du nicht, daß der Kaufmann ungestört fortfahren kann, sein Geschäft hochzubringen, solange der Krieger zu Land und zur See bereit ist, den Tod zu geben oder zu empfangen? Bist du so stumpfsinnig, daß du nicht merktest, wie du in deiner Kammer all das Flickwerk, all die Albernheiten, Frechheiten und Dummheiten, die du uns versetzt hast, ruhig ausdenken konntest, während die Feldherren und Offiziere, die deine Feder so unwürdig behandelt, den Unbilden der Witterung trotzten und sich den Härtesten Strapazen aussetzten? Wie! Soll es von dir heißen, daß du alle Begriffe verwirrst? Und beanspruchst du, durch grobe Sophismen die klugen Maß<252>nahmen weiser und weitblickender Regierungen fragwürdig zu machen? Muß man in unserem Jahrhundert noch beweisen, daß ein Reich ohne die Verteidigung durch tapfere Soldaten dem ersten besten, der zugreift, zur Beute würde?

Ja, mein sogenannter Herr Philosoph, Frankreich unterhält große Heere. Darum hat es auch die Zeiten der Unruhe und der Verwirrung hinter sich, in denen es von Bürgerkriegen zerrissen wurde, verhängnisvoller und grausamer, als es durch auswärtige Kriege geschehen könnte. Es scheint. Sie trauern der Zeit nach, da mächtige Vasallen im Bund miteinander dem Herrscher, der ihnen keine ausreichenden Streitkräfte entgegenzustellen hatte, Widerstand leisten tonnten. Nein, Sie sind nicht der Verfasser der Abhandlung „Über die Vorurteile“. Dies Buch kann nur von einem wiedererstandenen Parteiführer der Liga252-1 geschrieben sein, der noch den Geist der Parteiung und Verwirrung atmet und das Volk zur Rebellion gegen die rechtmäßige Autorität des Herrschers aufstacheln will.

Aber was hätten Sie wohl gesagt, wenn es sich im Verlauf des letzten Krieges begeben hätte, daß die Engländer bis zu den Toren von Paris vorgedrungen wären? Wie ungestüm wären Sie da nicht über die Regierung hergefallen, die so übel für die Sicherheit des Landes und der Hauptstadt vorgesorgl hätte! Und Sie hätten recht gehabt. Warum also, Mann der Inkonsequenz, von deinen Träumen Berauschter, suchst du die wahren Säulen des Staates, das ehrenwerte Militär, in den Augen eines Volkes, das ihm höchsten Dank schuldet, zu beschimpfen und zu erniedrigen? Wie! Die kühnen Verteidiger, die ihr Leben hingeben, die Opfer des Vaterlandes, die beneidest du um die Ehren und Auszeichnungen, deren sie so ganz mit Recht genießen! Mit ihrem Blut haben sie die Vorteile bezahlt, mit dem Einsatz ihrer Ruhe, ihrer Gesundheit, ihres Lebens sie erworben. Nichtswürdiger Sterblicher, der das Verdienst in den Staub ziehen will, den gebührenden und den mitschreitenden Ruhm ihm entziehen, die schuldigen Dankesgefühle des Volkes ersticken möchte!

Man denke indessen nicht, die Soldaten seien die einzigen, die sich über unseren Verfasser zu beklagen haben. Kein Stand im Königreich ist vor seinen Ausfällen sicher. Er lehrt uns auch, daß in Frankreich die Richterstellen käuflich sind. Das weiß man längst. Um den Ursprung dieses schlechten Brauches kennen zu lernen, muß man, wenn ich nicht irre, bis auf die Zeit zurückgreifen, da König Johann von den Engländern gefangengehalten wurde252-2, oder — um noch sicherer zu gehen — auf die Gefangenschaft Franz' I.252-3 Frankreich hatte die Ehrenpflicht, seinen König aus den Händen Karls V. zu befreien, der ihm die Freiheit nur unter bestimmten Bedingungen wiedergeben wollte. Der Schatz war erschöpft. Da man nun eine so erhebliche Summe, wie sie als Lösegeld für den König gefordert wurde, nicht auftreiben konnte,<253> geriet man auf den unheilvollen Ausweg, die Richterämter feilzubieten, um mit dem Ertrag die Freiheit des Landesfürsten zu erkaufen. Der Freilassung Franz' I. folgten beinahe ununterbrochen Kriege, unter seinen Nachkommen entbrannten innere Unruhen und Bürgerkriege. So wurden die Monarchen verhindert, die Schuld einzulösen, mit der sie noch heut im Finanzwesen wirtschaften.

Das Unglück Frankreichs hat es gewollt, daß Ludwig XV. bis auf unsere Tage sich in keiner günstigeren Lage befand als seine Vorfahren. Das hat ihn gehindert, den Besitzern der Richterstellen die beträchtlichen Darlehen zurückzuzahlen, die sie in Unglückszeiten vorgeschossen hatten. Muß man sich also an Ludwig XV. halten, wenn der alte Mißbrauch noch nicht abgeschafft werden konnte? Ohne Zweifel sollte Has Recht, über das Los der Bürger zu entscheiden, nicht für Geld erhältlich sein. Anklagen darf man aber deswegen nur jene, die den Mißbrauch einführten, nicht einen König, der schuldlos daran ist. Und wenn die Mißbräuche auch fortbestehen, so wird der Verfasser nichtsdestoweniger gezwungen sein, zuzugeben, daß man das Pariser Parlament in Wahrheit nicht der Pfiichtvergessenheit beschuldigen kann und daß die Käuflichkeit der Ämter auf die Rechtsprechung keinen Einfluß geübt hat.

Der Verfasser sollte sich lieber über die verwirrende Menge von Gesetzen beschweren, die von Provinz zu Provinz wechseln, während sie in einem Staat wie Frankreich einfach und gleichförmig sein müßten. Ludwig XIV. wollte die Reform der Gesetze durchführen, doch Hindernisse jeder Art hielten ihn ab, das Werk zu vollenden. Unser Autor wisse denn, wenn er's noch nicht weiß, und begreife, wenn er kann, daß unendliche Mühen und immer neue Hemmungen dem bevorstehen, der an gewohnheit-geheiligte Bräuche rühren will. Man muß sich in unabsehbare Einzelheiten vertiefen, um den inneren Zusammenhang so verschiedenartiger Dinge klarzustellen, die durch den Gang der Zeit geformt wurden. Wer heute an sie rührt, gerät in MißHelligkeiten, die schlimmer sind als das Übel, dem man abhelfen will. Hier gilt das Wort: Kritik ist leicht, aber schwer ist die Kunst.

Treten Sie jetzt näher, Herr Generalkontrolleur der Finanzen, und Sie, meine Herren Finanzbeamten: die Reihe ist nun an Ihnen. In schlechter Laune ereifert sich der Verfasser gegen die Steuern, gegen die Erhebung der öffentlichen Gelder, gegen die Lasten, die das Volk trägt und die es, wie er behauptet, erdrücken, gegen die Steuerpächter, gegen die Verwalter der Einkünfte. Ihnen insgesamt wirft er Unterschleife, Erpressung und Raub vor. Recht schön — wenn er Beweise bringt. Da ich aber beim Lesen gegen seine ewigen Übertreibungen mißtrauisch ward, hege ich den Argwohn, daß er die Dinge gewaltig aufbauscht, um die Regierung verhaßt zu machen. Das Beiwort vom barbarischen Tyrannen, das sich in seinem Geist untrennbar mit der Vorstellung vom Königtum verbindet und das er, so oft er kann, mittelbar auf seinen Herrscher anwendet, macht mir die Gutgläubigkeit seiner Deklamationen verdächtig. Sehen wir nun, ob er die Dinge kennt, über die er spricht, und ob er sich die Mühe genommen hat, den Sachverhalt zu untersuchen.

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Woher kommen denn die ungeheuren Schulden, die auf Frankreich lasten? Aus welchen Gründen sind sie so angewachsen? Es ist bekannt, daß ein großer Teil davon noch aus der Regierungszeit Ludwigs XIV. stammt, und zwar aus dem Spanischen Erbfolgekrieg, dem gerechtesten von allen, die er unternommen hat. Danach gab der Regent, Herzog Philipp von Orleans, sich der Hoffnung hin, mit Hilfe des Systems, das Law ihm vorschlug254-1, die Schulden abzutragen. Weil er aber das System überspannte, zerrüttete er das Königreich, und die Schulden wurden nur teilweise abgelöst, nicht gänzlich getilgt. Nach dem Tod des Regenten, unter der weisen Verwal, tung des Kardinals Fleury, heilte die Zeit etliche alte Wunden des Reiches. Allein die Kriege, die dann ausbrachen, nötigten Ludwig XV., neue Schulden aufzunehmen. Treu und Glaube, die Erhaltung des Staatskredits verlangen, daß die Schulden abgetragen werden, oder mindestens, daß die Regierung die Zinsen pünktlich bezahlt. Die ordentlichen Einkünfte des Staates waren aber unter den laufenden Ausgaben verrechnet: woher sollte der König die nötigen Summen zur Bezahlung der Zinsen und zur Tilgung der Schulden nehmen, wenn er sie nicht von seinem Volk erhielt? Und da sich seit langem der Brauch im Lande eingeführt hat, daß die Erhebung oe, stimmtet Pachtgelder und neuer Auflagen durch die Hände der Steuerpächter geht, sieht der König sich gewissermaßen genötigt, ihre Diensie in Anspruch zu nehmen.

Es ist nicht zu leugnen, daß im Finanzwesen die vielleicht allzu zahlreichen Beamten und Angestellten Erpressungen und Diebstähle begehen und das Volk manchmal Grund hat, sich über die Härte ihrer Eintreibung zu beklagen. Aber wie will man das in einem Königreich vom Umfang Frankreichs hindern? Je größer eine Monarchie, desto mehr Mißbräuche werden in ihr herrschen. Wenn man auch die Zahl der Auf, sichtführenden im Verhältnis zur Zahl der Erheber vermehren wollte, so würden diese es doch verstehen, mit neuen Listen und Kunstgriffen die aufmerksamen Augen der Wächter zu täuschen.

Wären die Absichten des Verfassers rein gewesen, hätte er die Ursache der Aus, gaben, die dem Staat verderblich wurden, richtig erkannt, so würde er bescheidentlich gemahnt haben: man möge bei den Ausgaben für den Krieg mehr Sparsamkeit walten lassen und die Unternehmer abschaffen, die sich mit unerlaubtem Gewinn bereichern, während der Staat verarmt; man solle acht daraufhaben, daß die Lieferungsverträge nicht, wie es vorgekommen ist, bis zur doppelten Höhe ihres Lieferungswertes gesteigert werden. Schließlich hätte er nahelegen können, daß in der Streichung aller überflüssigen Pensionen und in der Einschränkung der Ausgaben für den Hof ein Mittel zur Er, leichterung der Steuerlast gegeben sei, wie es der Aufmerksamkeit eines guten Fürsien wohl wert sei. Wenn er sich dabei eines bescheidenen Tones bedient hätte, so hätten seine Ansichten Eindruck machen können. Die Beleidigungen aber erregen Zorn und überzeugen keinen Menschen. Er empfehle doch, wenn er dergleichen weiß, Mittel und<255> Wege, um die Schulden zu bezahlen, ohne das öffentliche Vertrauen zu erschüttern und ohne die Untertanen zu bedrücken. Dann bürge ich ihm dafür, daß er sofort zum Finanzminister ernannt wird.

Früher hat man, sobald ein Nachbarstaat gefährlich ward, in aller Eile die Bauern bewaffnet. Diese Miliz erhielt keinen regelmäßigen Sold, sie war auf Raub und Plünderung angewiesen. Bei Friedensschluß wurde sie entlassen. Ein echter Philosoph würde nun wohl unparteiisch untersucht haben, ob die großen Heere, die auch in Friedenszeiten unterhalten werden, und die kostspieligen Kriege von heute vorteilhafter oder minder vorteilhaft sind als der alte Brauch.

Der einzige Gewinn, den die Alten davon hatten, lag darin, daß das Heer ihnen in Friedenszeiten nichts kostete. Sobald die Sturmglocke ertönte, ward jeder Bürger Soldat. In unsrer Zeit hingegen, da die Stände sich mehr gespalten haben, fahren Bauer und Gewerbetreibender ohne Unterbrechung in ihren Verrichtungen fort, weil ein vorbestimmter Teil der Staatsbürger den Schutz der anderen übernimmt. Wenn unsere großen Heere wahrend der Feldzüge auf Staatskosten erhalten werden und dadurch teuer sind, so ergibt sich daraus doch wenigstens der Vorteil, daß die Kriege höchstens acht bis zehn Jahre dauern können. Wenn nämlich den Herrschern dann das Geld ausgeht, so geben sie sich manches Mal friedlicher, als wenn es bloß nach ihrer Neigung ginge. Unser modernes Verfahren hat also die Wirkung, daß unsere Kriege kürzer als die der Alten und minder verheerend für die Gegenden sind, die den Schauplatz bilden. Den großen Unkosten, die sie mit sich bringen, verdanken wir die Friedensepochen, deren wir uns erfreuen. Sie sind gegenwärtig noch kurz genug, durch die Erschöpfung der Mächte werden sie aber wahrscheinlich länger werden.

Ich fahre fort. Unser Königsfeind behauptet, die Herrscher hätten ihre Macht nicht von Gottes Gnaden erhalten. Wir wollen ihm dessentwegen nicht weiter zusetzen. Es glückt ihm so selten, recht zu haben, daß es üble Laune verriete, wenn man ihm auch da widersprechen wollte, wo die Wahrscheinlichkeit einmal für ihn ist.

In der Tat, die Capetinger ergriffen mit Gewalt Besitz von der Herrschaft, die Karolinger bemächtigten sich ihrer mit Geschick und List, die Valois und die Bourbonen gewannen die Krone durch das Recht der Erbschaft. Auch Titel wie Ebenbilder der Gottheit oder Statthalter der Gottheit wollen wir dem Verfasser preisgeben, da sie so wenig zutreffen. Die Könige sind Menschen wie die anderen. In einer Welt, wo nichts Vollkommenheit hat, genießen sie keineswegs des ausschließlichen Vorrechts, vollkommen zu sein. Sie bringen ihre Verzagtheit ober Entschlossenheit, ihre Tatkraft oder Trägheit, ihre Lasier oder Tugenden mit auf den Thron, wohin der Zufall der Geburt sie setzt. In einem erblichen Königreich müssen mit Notwendigkeit Fürsten unterschiedlichsten Charakters einander folgen.

Es wäre ungerecht, zu fordern, daß die Fürsten ohne Fehl seien, während man es selber nicht ist. Es gehört keine Kunst dazu, zu sagen: dieser oder jener ist träge, geizig, verschwenderisch oder liederlich. Sowenig, wie wenn man beim Spaziergang<256> durch eine Stadt die Hausschilder liest. Ein Philosoph, der wissen muß, daß der Dinge Wesensgrund sich niemals ändert, wird sich nicht damit vergnügen, einer Eiche vorzuwerfen, daß sie keine Äpfel trägt, einem Esel, daß ihm Adlerfittiche fehlen, oder einem Stör, daß er keine Stierhörner hat. Er wird die tatsächlichen Übel, die schwer zu hellen sind, keinesfalls übertreiben, er wird nicht schreien: alles ist schlecht! wenn er nicht sagen kann, wie all das gut werden könnte. Seine Stimme wird nicht als Trompete des Aufruhrs dienen, nicht als Signal zur Sammlung der Mißvergnügten, als Vorwand zur Empörung. Er wird Achtung haben vor den geltenden, durch die Nation anerkannten Bräuchen und vor der Regierung, vor den Regierenden selbst wie vor ihren Untergebenen. So dachte auch der friedfertige du Marsais, den man nun, zwölf Jahre nachdem er tot und begraben ist, eine Schmähschrift ver, fassen läßt256-1, während der wirkliche Urheber nur ein Schulbube sein kann, ein leichtherziger Neuling in dieser Welt.

Was bleibt mir noch zu sagen übrig, wenn man in einem Land, wo der Verfasser des „Telemach“256-2 den Thronfolger erzog, gegen die Erziehung der Prinzen Geschrei erhebt? Sollte der Schulbube antworten, daß es keinen Fenelon mehr in Frankreich gibt, so müßte er sich an die Unfruchtbarkeit des Jahrhunderts halten, aber nicht an Prinzenerzieher.

Das wären im wesentlichen meine allgemeinen Bemerkungen zur Abhandlung „Über die Vorurteile“. Der Stil erschien mir langweilig, weil das Ganze eine eintönige Deklamation bildet, darin dieselben Ideen immer wiederkehren und sich allzu oft in derselben Gestalt darstellen. Inmitten des Chaos fand ich jedennoch ein paar ausgezeichnete Einzelheiten. Wollte man übrigens aus dem Werk ein nützliches Buch machen, so müßte man die Wiederholungen, genialischen Schiefheiten, falschen Schlußfolgerungen, die Wissensmängel und Beleidigungen streichen. Das würde die Schrift auf ein Viertel ihres Umfangs zusammendrängen.

Was habe ich nun aus dieser Lektüre gelernt? Welche Wahrheit hat der Verfasser mich gelehrt? Daß alle Geistlichen Ungeheuer sind, die man steinigen müßte. Daß der König von Frankreich ein barbarischer Tyrann ist, seine Minister Erzschelme sind, seine Höflinge feige Schurken, die vor den Stufen des Thrones kriechen, die Großen des Reiches Ignoranten, strotzend von Anmaßung. (Nähme er wenigstens den Herzog von Rivernais256-3 aus!) Ferner erfährt man, daß die französischen Marschälle und Offiziere gedungene Henker, die Richter infame Amtsfrevler sind, die Finanzbeamten Spitzbuben wie Cartouche256-4 und Mandrin256-5, die Geschichtsschreiber nichts als Fürsten<257>verderber, die Dichter Vergifter der Allgemeinheit, kurz: daß es im ganzen Königreich nichts Weises, Löbliches, Achtenswertes gibt als den Verfasser und seine Freunde, die sich den Titel Philosoph verliehen haben.

Es ist mir leid um die Zeit, die ich ans Lesen eines solchen Werkes vergeudet habe, und um die obendrein, die ich hier verlor, indem ich es rezensierte.

<258>

Kritik des „Systems der Natur“ (1770)

Das „System der Natur“ gehört zu den Werken, die beim ersten Lesen bestechen und deren Fehler man, da sie mit viel Kunst verhüllt sind, erst nach mehrfachem Wiederlesen entdeckt. Der Verfasser verstand es geschickt, bei seinen Lehrsätzen die Folgerungen zu übergehen, um die nachprüfenden Kritiker irrezuführen. Doch ist die Täuschung nicht allzu stark. Man merkt recht wohl die Folgewidrigkeiten und Widersprüche, in die er oft verfällt, und die seinem System entgegengesetzten Zugeständnisse, die ihm anscheinend von der Macht der Wahrheit entrissen werden.

Die metaphysischen Fragen, die er behandelt, sind dunkel und strotzen von Schwierigkeiten ärgster Art. Selbsttäuschung ist ja verzeihlich, wenn man sich in ein Labyrinth begibt, worin schon so viele sich verirrten. Es scheint aber, daß man diese finstere Straße mit geringerer Gefahr durchschreiten kann, wenn man der eigenen Einsicht mißtraut, wenn man sich erinnert, daß die Erfahrung bei solchen Untersuchungen nicht als Führer zu gebrauchen ist und uns nur mehr oder minder starke Wahrscheinlichkeiten bleiben, um unsere Meinungen zu stützen. Diese Erwägung sollte genügen, um jedem Philosophen, der ein System aufstellen will, Zurückhaltung und Bescheidenheit einzuflößen. Unser Autor hat offenbar nicht so gedacht, da er sich rühmt, ein Dogmatiker zu sein.

Die Hauptpunkte, die er in seinem Werk behandelt, sind: erstens Gott und die Natur, zweitens die Fatalität, drittens die Moral der Religion im Vergleich zur Moral der Naturreligion, viertens die Herrscher als Ursachen allen Unglücks der Staaten.

Was den ersten Punkt betrifft, so ist man angesichts seiner Bedeutung ein wenig überrascht von den Gründen, die der Verfasser anführt, um die Gottheit zu verneinen. Er sagt, es falle ihm nicht so schwer, eine blinde Materie anzunehmen, die durch die Bewegung zum Handeln gelangt, als seine Zuflucht bei einer intelligenten Urkraft zu suchen, die aus sich selber handelt. Als ob das, was er mit geringer Mühe einordnet, wahrer sei als das, was ohne Anstrengung nicht aufzuklären ist! Er gibt zu, daß die Empörung über die Religionsverfolgungen ihn zum Atheisten gemacht hat. Sind dies nun Gründe, die Anschauungen von Philosophen zu bestimmen: Trägheit und Leidenschaften? Ein so naives Eingeständnis kann in seinen Lesern nur Mißtrauen erwecken — wie soll man ihm Glauben schenken, wenn er sich durch so leicht<259>fertige Gründe leiten läßt? Ich vermute, unser Philosoph überläßt sich mitunter allzu gefällig seiner Einbildungskraft. Befremdet von den widerspruchsvollen Gottheitdefinitionen der Theologen, verwechselt er diese Definitionen, die dem gesunden Menschenverstand nicht standhalten, mit einer intelligenten Natur, die notwendigermaßen über der Erhaltung des Weltalls waltet. Die ganze Schöpfung beweist diese Intelligenz. Man braucht nur die Augen zu öffnen, um sich davon zu überzeugen. Der Mensch ist ein vernunftbegabtes Wesen, hervorgebracht von der Natur. Die Natur muß also unendlich intelligenter sein als er. Sonst müßte sie ihm ja Vorzüge mitgeteilt haben, die sie selber nicht besitzt. Das wäre ein Widerspruch in aller Form.

Wenn der Gedanke eine Folge unserer Organisation ist, so muß die Natur, da sie unvergleichlich reicher als der Mensch organisiert ist und er einen nicht wahrnehmbaren Teil des großen Alls bildet, sicherlich die Intelligenz im höchsten Grade der Vollkommenheit besitzen. Eine blinde Natur könnte mit Hilfe der Bewegung nur Verwirrung stiften. Da sie ohne Berechnung verfahren würde, könnte sie niemals bestimmte Ziele erreichen, noch solche Meisterwerke schassen, die der menschliche Scharfsinn im unendlich Kleinen wie im unendlich Großen bewundern muß. Die Ziele, welche die Natur sich in ihren Werken gesetzt hat, offenbaren sich so augenscheinlich, daß man gezwungen ist, eine selbstherrliche und überlegen intelligente Ursache anzuerkennen, die mit Notwendigkeit darüber waltet. Fasse ich den Menschen ins Auge, so sehe ich, daß er als schwächstes aller Lebewesen geboren wird, bar aller Schutz-und Trutzwaffen, unfähig, den Unbilden der Witterung zu widerstehen, unablässig der Gefahr ausgesetzt, von wilden Tieren zerrissen zu werden. Zum Ersatz für die Schwächen seines Körpers und zur Erhaltung der Art hat die Natur ihn reicher mit Intelligenz begabt als alle anderen Geschöpfe. Ein Vorzug, kraft dessen er sich auf künstlichem Wege das verschafft, was die Natur ihm sonst, scheint es, nicht vergönnte. Das allerniedrigste Lebewesen umschließt in seinem Körper ein Laboratorium, das kunstvoller hergestellt ist als das des geschicktesten Chemikers. Darm bereitet es die Säfte, die sein Wesen erneuern, sich seinen Bestandteilen einfügen und sein Dasein verlängern. Wie vermöchte diese wunderbare Organisation, die allem Lebendigen zu seiner Erhaltung so nötig ist, von einer vernunftlosen Ursache auszugehen, die ihre größten Wunder vollbrächte, ohne es wahrzunehmen? Soviel braucht es aber nicht einmal, um unsern Philosophen zu widerlegen und sein System zu stürzen. Das Auge einer Milbe, ein Grashalm reichen hin, ihm die Intelligenz ihres Urhebers zu beweisen.

Ich gehe noch weiter. Ich glaube sogar, wenn man wie er eine blinde erste Ursache annähme, könnte man ihm den Beweis liefern, daß dann die Fortpflanzung der Arten unsicher werden und, wie es der Zufall fügt, zu unterschiedlichen, absonderlichen Wesen entarten würde. Einzig die unwandelbaren Gesetze einer intelligenten Natur können also inmitten der zahllosen Erscheinungen die einzelnen Arten in ihrer vollen Reinheit erhalten. Vergebens sucht der Autor sich darüber hinwegzutäuschen.<260> Die Wahrheit ist stärker als er; sie zwingt ihn, zu sagen, daß die Natur in ihrer unermeßlichen Werkstatt die Stoffe sammelt, um neue Geschöpfe zu bilden. Sie setzt sich also einen Zweck; folglich ist sie intelligent. Wenn man nur irgend aufrichtig ist, kann man sich unmöglich dieser Wahrheit verschließen. Selbst die Einwände, die von dem physisch und moralisch Schlechten hergeleitet werden, vermöchten nicht sie umzustoßen: die Ewigkeit der Welt überwältigt dieses Hemmnis. Die Natur ist demnach unbestreitbar intelligent. Sie handelt immer im Einklang mit den ewigen Gesetzen der Schwere, der Bewegung, der Trägheit usw., die sie weder aufheben noch ändern kann. Wiewohl unsere Vernunft uns dieses Wesen nachweist, wiewohl wir etwas davon sehen und etliches von seiner Tätigkeit ahnen, werden wir es doch niemals genügend erkennen, um es zu definieren. Jeder Philosoph, der das von den Theologen geschaffene Phantom angreift, kämpft in Wirklichkeit gegen die Wolke des Ixion260-1. Er reicht nicht an jenes Wesen, dem das ganze Weltall zu Beweis und Zeugnis dient.

Man wird ohne Zweifel sehr erstaunt sein, daß ein so aufgeklärter Philosoph wie unser Autor sich einfallen läßt, die alten Irrtümer von einer künstlichen Zeugung zu verbreiten. Er zitiert Needham260-2, jenen englischen Arzt, der sich durch ein falsches Experiment irreführen ließ und glaubte, er habe Aale hergestellt. Wären derartige Vorgänge wahr, so könnten sie wohl mit dem Wirken einer blinden Natur übereinstimmen; allein sie sind durch alle Versuche Lügen gestraft worden. Sollte man es ferner wohl glauben, daß derselbe Autor eine allgemeine Sintflut annimmt? Eine Absurdität, ein Wunder, das bei einem Mathematiker nicht zulässig und mit seinem System auf keine Weise vereinbar ist. Sind die Wasser, die unseren Erdball überschwemmten, eigens dazu hervorgebracht worden? Was für gewaltige Massen mußten das sein, die höher als die höchsten Berge emporstiegen! Wurden sie dann in Nichts aufgelöst? Oder was wurde aus ihnen? Wie? er schließt die Augen, um nicht ein intelligentes Wesen zu sehen, das über das Weltall herrscht und von der ganzen Natur ihm verkündet wird, und dann glaubt er an das Wunder, das der Vernunft mehr widerstrebt als alle, die man je erdichtet hat? Ich gesiehe, daß ich es nicht fasse, wie so viel Widersprüche sich in einem philosophischen Kopf miteinander vertragen konnten und wie der Autor dessen nicht gewahr wurde, als er sein Werk verfaßte. Doch gehen wir weiter.

Er hat das System der Fatalität, wie Leibniz es darstellte und Wolffes erläuterte, beinahe buchstäblich abgeschrieben. Zur besseren Verständigung glaube ich, die Idee, die man mit dem Wort Freiheit verbindet, definieren zu sollen. Ich versiehe darunter jeden Akt unseres Willens, der aus diesem allein und ohne Zwang erfolgt. Man denke nicht, daß ich von diesem Grundbegriff aus beabsichtige, das System der Fatalität im allgemeinen und in jeder Einzelheit zu bekämpfen. Ich suche nur die Wahr<261>heit, ich achte sie, wo immer ich sie finde, und unterwerfe mich ihr, sobald man sie mir zeigt. Um die Frage richtig zu beurteUen, geben wir das Hauptargument des Verfassers wieder. All unsere Begriffe, sagt er, werden uns durch die Sinne zugeführt und sind eine Folge unserer Organisation; demnach sind all unsere Handlungen notwendig. Daß wir unseren Sinnen als unseren Organen alles verdanken, wird man ihm ohne weiteres zugeben. Der Autor sollte aber merken, daß die Begriffe, die wir empfangen, Anlaß zu neuen Kombinationen geben. Bei der ersten dieser Verrichtungen ist die Seele passiv, bei der zweiten aktiv. Erfindungsgabe und Einbildungskraft betätigen sich an den Objekten, welche die Sinne uns erkennen lehrten: als z. B. Newton die Geometrie lernte, verhielt sein Geist sich passiv; als er aber zu seinen staunenswerten Entdeckungen gelangte, war er mehr als tätig, er war schöpferisch. Im Menschen sind die verschiedenen Geisiesbetätigungen sehr wohl voneinander zu unterscheiden. Wo der äußere Antrieb vorherrscht, ist er Sklave, ganz frei dagegen, wo seine Einbildungskraft am Werk ist. Darm stimme ich also mit dem Verfasser überein, daß es eine gewisse Verkettung der Ursachen gibt, deren Einfluß auf den Menschen einwirkt und in wiederholter Wirkung Herr über ihn wird. Der Mensch empfängt mit der Geburt sein Temperament, seinen Charakter mit dem Keim seiner Fehler und Tugenden, sein zugemessen Teil Geist, das er weder verringern noch erweitern kann, Talente oder Genie, oder aber Schwerfälligkeit und Unfähigkeit. So oft wir uns vom Aufwallen unserer Leidenschaften fortreißen lassen, triumphiert die Fatalität siegreich über unsere Freiheit. So oft die Macht der Vernunft die Leidenschaften zügelt, trägt die Freiheit den Sieg davon.

Ist aber der Mensch nicht völlig frei, wenn man ihm verschiedenartige Entschließungen vorschlägt, die er prüft, zwischen denen er schwankt und über die er schließlich nach seiner Wahl entscheidet? Der Autor wird mir ohne Zweifel erwidern, die Notwendigkeit lenke diese Wahl. Ich glaube jedoch in dieser Antwort einen Mißbrauch des Ausdrucks Notwendigkeit zu erblicken, eine Verwechslung mit Ursache, Motiv, Grund. Ganz gewiß geschieht nichts ohne Ursache, aber nicht jede Ursache ist notwendig. Ganz gewiß entscheidet sich jeder Mensch, der nicht von Sinnen ist, nach Gründen, die von seiner Eigenliebe abhängen; er wäre nicht frei, ich wiederhole es, sondern wahnwitzig, wenn er anders handelte. Mit der Freiheit verhält es sich demnach ebenso wie mit Weisheit, Vernunft, Tugend, Gesundheit: der Sterbliche besitzt sie nicht unbeschränkt, sondern nur zuzeiten. In manchen Dingen stehen wir als der leidende Teil unter der Herrschaft der Fatalität, in anderen sind wir als Handelnde unabhängig und frei. Halten wir uns hierin an den Philosophen Locke. Er ist durchaus überzeugt, daß er bei verschlossener Tür nicht imstande ist, sich nach Belieben zu entfemen, daß er hingegen bei offener Tür die Freiheit hat, nach seinem Gutdünken zu handeln. Je mehr man dieser Materie auf den Grund zu kommen sucht, desto verwickelter wird sie. Mit allen Spitzfindigkeiten macht man sie am Ende nur so dunkel, daß man sich selbst nicht mehr zurechtfindet. Namentlich ist es für die Anhänger des Fatalismus un<262>angenehm, daß ihr tätiges Leben sich beständig in Widerspruch zu ihren theoretischen Grundanschauungen setzt.

Der Verfasser des „Systems der Natur“ hat zuvörderst alle Gründe, die sein Vorstellungsvermögen ihm lieferte, erschöpft, um zu beweisen, daß eine Schicksalsnotwendigkeit die Menschen bei allen Handlungen durchaus binde und leite. Daraus hätte er doch folgern müssen, daß wir nichts als eine Art von Maschinen oder, wenn man will, Marionetten seien, die durch eine blinde Triebkraft bewegt würden. Statt dessen eifert er gegen die Priester, gegen die Regierungen und die Erziehung. Er setzt also voraus, die Menschen, die diese Ämter innehaben, seien frei, während er ihnen doch beweist, daß sie Sklaven seien. Wie abgeschmackt, wie unvereinbar! Wird alles durch notwendige Ursachen bewegt, so werden Ratschläge, Unterweisungen, Gesetze, Strafen, Belohnungen überflüssig und unnütz. All das hieße nur, einem gefesselten Mann sagen: sprenge deine Ketten! Geradeso gut könnte man eine Eiche durch Predigen überreden wollen, sich in einen Orangenbaum zu verwandeln. Die Erfahrung bezeugt uns jedoch, daß es gelingen kann, Menschen zu bessern; also muß mit Notwendigkeit geschlossen werden, daß sie wenigstens teilweise der Freiheit genießen. Bleiben wir bei den Lehren dieser Erfahrung und lassen wir uns keinesfalls auf eine Weltanschauung ein, der wir ohne Unterlaß durch unsere Handlungen widersprechen.

Aus der Grundanschauung der Fatalität ergeben sich die unheilvollsten Folgen für die menschliche Gesellschaft. Hätte sie Geltung, so wären Mark Aurel und Catilina, der Präsident de Thou262-1 und Ravaillac262-2 an Verdiensten einander gleich. Die Menschen würden nur noch als Maschinen anzusehen sein, die teils für das Lasier, teils für die Tugend bestimmt wären. Auf jeden Fall wären sie unfähig, aus sich heraus verdienstlich zu handeln oder zu sündigen und so Strafe oder Lohn zu ernten. Das würde die Moral, die guten Sitten und alle Grundlagen der Gesellschaft untergraben. Woher kommt dann aber die Liebe zur Freiheit, die gemeiniglich in allen Menschen lebt? Wenn sie nur in der Vorstellung existierte, woher wüßten sie dann von ihr? Sie müssen sie also durch Erfahrung, durch ihr Gefühl kennen gelernt haben; folglich muß Freiheit wirklich bestehen, oder es wäre unwahrscheinlich, daß sie Liebe für sie empfinden könnten. Was immer Calvin, Leibniz, die Arminianer262-3 und der Verfasser des „Systems der Natur“ darüber sagen mögen, sie werden uns niemals überzeugen, daß wir Mühlenräder seien, die von einer notwendigen, unwiderstehlichen Ursache nach Laune in Bewegung gesetzt würden.

All diese Fehler, in die unser Autor verfiel, kommen von seiner Systemwut her; er hat sich in seine Meinungen verrannt. Er traf Phänomene, Umstände und Einzelheiten, die zu seiner Lehre trefflich stimmten. Als er aber daran ging, seine Ideen zu verallgemeinern, fand er andere Kombinationen und Erfahrungswahrheiten, die<263> ihr zuwiderliefen. Diese nun hat er verbogen und vergewaltigt, um sie, so gut es gwg, den übrigen Teilen seines Systems anzupassen. Sicher ist, daß er keinen der Beweise, die das Dogma der Fatalität stärken können, übersehen hat. Zugleich aber ist es auch klar, daß er dies sein ganzes Werk hindurch widerlegt. Ich für mein Teil denke, ein wahrer Philosoph sollte in solchem Fall auf Kosten seiner Eigenliebe die Liebe zur Wahrheit betätigen.

Doch wenden wir uns nun zu dem Abschnitt, der von der Religion handelt. Man könnte dem Verfasser Geistesarmut und vor allem Ungeschicklichkeit vorwerfen, weil er die christliche Religion verleumdet, indem er ihr Fehler nachsagt, die sie nicht hat. Wie kann er im Ernst behaupten, sie sei an allem Unglück der Menschheit schuld? Um sich mit Genauigkeit auszudrücken, hätte er einfach sagen können, daß Ehrgeiz und Eigennutz der Menschen die Religion zum Vorwand nehmen, um Unruhe über die Welt zu bringen und die eigenen Leidenschaften zu befriedigen. Was kann man ehrlicherweise an der Moral aussetzen, die im Dekalog enthalten ist? Fände sich im Evangelium nichts als diese einzige Vorschrift: „Tut den anderen nicht, was ihr nicht wollt, daß man euch tue“ — man wäre verpflichtet, zu gestehen, daß diese wenigen Worte die Quintessenz aller Moral enthalten. Und hat nicht Jesus in seiner Herrlichen Bergpredigt die Verzeihung der Beleidigungen, die Barmherzigkeit, die Menschlichkeit verkündet?

Es durfte also keine Verwechslung vorkommen zwischen Gesetz und Mißbrauch, zwischen Schriftwort und Verwirklichung, zwischen der echten christlichen Moral und derjenigen, die von den Priestern herabgewürdigt ward. Wie darf da der Autor die christliche Religion an sich beschuldigen, die Ursache der Sittenverderbnis zu sein? Wohl aber könnte er die Geistlichen anklagen, daß sie die bürgerlichen Tugenden durch den Glauben ersetzten, die guten Werke durch äußerliche Bräuche, die GeWissensbisse durch leichtwiegende Bußübungen, die unerläßliche Besserung durch verkäufliche Ablässe. Er könnte ihnen vorwerfen, daß sie von Eidespflicht entbinden und gewaltsam Gewissenszwang ausüben. Diese strafbaren Mißbräuche verdienen es freilich, daß man gegen diejenigen vorgeht, die sie einführen, und gegen jene, die sie anerkennen. Mit welchem Rechte jedoch will das einer tun, der die Menschen für Maschinen ansieht? Wie vermag er eine tonsurierte Maschine zu tadeln, die von Notwendigkeit wegen betrügt, schwindelt und mit der Gläubigkeit der Menge ein freches Spiel treibt?

Indessen, lassen wir für einen Augenblick das System der Fatalität beiseite und nehmen wir die Dinge, wie sie in dieser Welt wirtlich sind. Der Autor müßte wissen, daß die Religion, die Gesetze, die Regierungsgewalt gleichviel welcher Art niemals das mehr oder minder häufige Auftreten von Verbrechernaturen inmitten der großen Staatsbürgerzahl verhindern werden. Überall ist die breite Volksmasse wenig vernünftig, leicht läßt sie sich im Strom der Leidenschaften treiben, ist mehr zum Lasier geneigt als des Guten beflissen. Alles, was man von einer guten Regierung<264> erwarten kann, ist dies: daß unter ihr die schweren Verbrechen seltener seien als unter einer schlechten. Unser Autor müßte ferner wissen, daß Übertreibungen nicht Gründe sind, daß Verleumdungen einen PHUosophen gleichwie jeden anderen Schriftsteller unglaubwürdig machen und daß von ihm im Zustand der Erbosung, in den er etliche Male gerät, das Wort gelten könnte, das Menipp264-1 zu Jupiter spricht: „Du greifst zum Blitzstrahl; also bist Du im Unrecht!“

Ohne Zweifel gibt es nur eine Moral. Sie umfaßt alles, was die einzelnen Menschen einander schulden, sie ist die Grundlage der Gesellschaft. Unter jedweder Regierung, in jedweder Religion muß sie dieselbe sein. Die des Evangeliums würde, wenn man sie in all ihrer Reinheit nähme, nutzbringend auf das Leben anzuwenden sein. Sobald wir aber das Dogma der Fatalität annehmen, gibt es nicht Moral und Tugend mehr, und der ganze Bau der menschlichen Gesellschaft bricht zusammen. Das Ziel unseres Autors ist es unbestreitbar, die Religion zu stürzen; doch hat er den abseitigsten und schwierigsten Weg gewählt. Mir scheint, das natürlichste Vorgehen für ihn wäre dieses gewesen: ein Angriff auf die geschichtliche Seite der Religion, auf die absurden Fabeln, über denen man ihr Gebäude errichtet hat, auf die Überlieferungen, die absurder, närrischer, lächerlicher sind als das Allertollste, was das Heidentum geleistet hat. Dies wäre das Mittel gewesen, zu beweisen, daß Gott nicht gesprochen hat; das Mittel, die Menschen von ihrer einfältigen, stumpfen Leichtgläubigkeit abzubringen. Noch einen kürzeren Weg hatte der Verfasser zur Erreichung desselben Ziels. Er mußte die Argumente gegen die Unsterblichkeit der Seele vorführen, die Lukrez in seinem dritten Buch264-2 mit soviel Kraft auseinandersetzt, und mußte dann hieraus den Schluß ziehen: da mit diesem Leben für den Menschen alles zu Ende gehl und nach dem Tode ihm nichts mehr zu fürchten noch zu hoffen bleibt, so kann auch keinerlei Zusammenhang zwischen ihm und der Gottheit bestehen, und diese vermag weder zu strafen noch zu belohnen. Ohne diesen Zusammenhang kann von Kultus, von Religion nicht mehr die Rede sein, und die Gottheit sinkt für den Menschen zum Gegenstand der Untersuchung, der Wißbegier herab.

Wieviel Seltsamkeiten und Widersprüche gibt es demgegenüber im Werk dieses Philosophen! Nachdem er mühselig zwei Bände mit Beweisen für sein System gefüllt hat, gesteht er, daß wenig Menschen fähig seien, es zu erfassen und sich hinein zu vertiefen. Man sollte also glauben, daß er mit derselben Blindheit, die er der Natur nachsagt, ohne Ursache handle und unter dem Zwange einer unwiderstehlichen Notwendigkeit ein Werk schreibt, das geeignet ist, ihn in die größten Gefahren zu stürzen, ohne daß er selbst oder ein andrer je auch nur die geringste Frucht davon ernten könnte.

Kommen wir nun zu den Herrschern, die der Autor ganz besonders aufs Korn genommen hat, um sie in Verruf zu bringen. Ich kann versichern, daß die Geistlichen den Fürsten niemals so törichtes Zeug gesagt haben, wie er ihnen zuschreibt. Wenn<265> es ihnen einfällt, die Könige für Ebenbilder der Gottheit zu erklären, so ist das jedenfalls Übertreibung, obwohl sie bei dem Vergleich die Absicht haben, die Könige zu ermahnen, daß sie ihre Vollmacht nicht mißbrauchen, sondern gerecht und huldreich seien, gemäß der volkstümlichen Gottheitvorstellung, die sich bei allen Nationen herausgebildet hat. Der Autor malt sich die Sache so aus, daß zwischen den Herrschern und den Geistlichen Verträge geschlossen werden, worin die Fürsten versprechen, den Klerus zu ehren und zu Ansehen zu bringen, unter der Bedingung, daß er dem Volke Unterwerfung predige. Ich gebe die Versicherung, daß das ein Hirngespinst ist, daß es gar keine verkehrtere und lächerlichere Erdichtung gibt als diesen angeblichen Pakt. Es ist ja sehr wahrscheinlich, daß die Priester versuchen, dieser Meinung Glauben zu verschaffen, um sich Gewicht zu geben und eine Rolle zu spielen. Es ist auch gewiß, daß manche Herrscher durch ihre Leichtgläubigkeit, ihren Aberglauben, ihren Unverstand und ihre blinde Anhänglichkeit an die Kirche den Anlaß geben, ein solches Einverständnis zu argwöhnen. Tatsächlich aber hängt alles vom Charakter des Fürsten ab. Ist er schwach und bigott, so haben die Männer der Kirche das Übergewicht. Hat er das Unglück, ungläubig zu sein, so wühlen die Priester gegen ihn. In Ermangelung eines besseren schwärzen sie sein Andenken durch Verleumdungen.

Ich halte diese Neinen Schnitzer noch den Vorurteilen des Verfassers265-1 zugute. Wie aber kann er die Könige beschuldigen, sie trügen die Schuld an der schlechten Erziehung ihrer Untertanen? Er bildet sich ein, es sei ein politischer Grundsatz, daß eine Regierung mehr darauf halten müsse, über Dummköpfe zu herrschen als über eine aufgeklärte Nation. Das schmeckt ein bißchen nach den Anschauungen eines Schulrektors, der in einem engen Kreis von Vorstellungen befangen ist und weder die Welt noch die Regierungen noch die Grundbegriffe der Politik kennt. Es kann doch nicht bezweifelt werden, daß alle Regierungen der zivilisierten Völker für den öffentlichen Unterricht sorgen. Was sind denn all die Schulen, Hochschulen und Universitäten, von denen Europa wimmelt, wenn sie nicht Ansialten zur Unterweisung der Jugend sind? Wenn jedoch gefordert wird, daß in einem ausgedehnten Staat der Fürst für die Erziehung einsiehe, die jeder Familienvater seinen Kindern zuteil werden läßt, so ist dies das lächerlichste Begehren, das je ausgesprochen wurde. Der Fürst darf nicht ins innere Leben der Familie eingreifen, darf sich nicht in die häuslichen Angelegenheiten der Bürger mischen; das kann nur zur verhaßtesten Tyrannei führen.

Unser Philosoph schreibt, was ihm unter die Feder kommt, nieder, ohne die Folgen zu untersuchen. Er ist einfach schlecht gelaunt, wenn er so artig die Höfe als Herde der öffentlichen Korruption bezeichnet. Im Ernst, ich schäme mich für die Philosophie. Wie kann einer dermaßen übertreiben? Wie kann man solche Albernheiten vorbringen? Ein minder hitziger Geist, ein Weiser hätte sich damit begnügt, zu bemerken, daß, je größer die Gemeinschaften, desto raffinierter ihre Lasier sind; je mehr die

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Gelüste sich entfalten können, desto mehr kommen sie zur Betätigung. Den Vergleich mit dem Herd könnte man Iuvenal oder einem anderen Satiriker von Beruf hingehen lassen; aber einem PHUosophen — ich sage weiter nichts. Wäre unser Autor nur sechs Monate Bürgermeister des Städtchens Pau im Béarn gewesen, er würde die Menschen besser zu beurteilen wissen, als er es je durch seine leeren Betrachlungen lernen wird. Wie kann er sich einbilden, die Herrscher ermutigten ihre Untertanen zum Verbrechen, und welcher Vorteil würde ihnen daraus erwachsen, daß sie sich in die Notwendigkeit versetzen, die Übeltäter zu strafen? Es kommt zweifellos in vereinzelten Fällen vor, daß einige Verbrecher der Gesetzesstrenge entgehen; aber niemals entspringt das einer bestimmten Absicht, durch Hoffnung auf Straflosigkeit zum Frevel anzureizen. Fälle dieser Art muß man der allzu großen Nachsicht des Fürsten zuschreiben. Zweifellos kommt es unter jeder Regierung auch vor, daß Schuldige durch Intrige oder durch Bestechung oder durch den Beistand mächtiger Beschützer Mittel und Wege finden, sich der verdienten Strafe zu entziehen. Um aber solches Treiben, Intrigen und Bestechlichkeit aus der Welt zu schaffen, täte es not, daß der Fürst die Allwissenheit besäße, die von den Theologen Gott zuerkannt wird.

In den Fragen des Regierungswesens strauchelt unser Autor bei jedem Schritt. Er wähnt, Not und Elend trieben die Menschen zu den größten Verbrechen. Dem ist nicht so. Es gibt kein Land, wo nicht jeder, sofern er kein Faulenzer oder Müßiggänger ist, durch seine Arbeit sich ernähren könnte. In allen Staaten setzt sich die gefährlichste Gruppe aus den Verschwendern jeglicher Art zusammen: ihre Vergeudung erschöpft in kurzer Zeit ihre Einnahmequellen. Dadurch geraten sie in schlimme Zwangslagen, und das bringt sie dann auf die niedrigsten, widerwärtigsten, schmählichsten Auswege. Die Bande des Catilina, die Anhänger Julius Cäsars, die Frondeurs, die der Kardinal von Retz aufwiegelte266-1, die Parteigänger Cromwells, sie alle waren Leute dieser Art, die nur dadurch ihre Schulden loswerden und ihre zerrüttete Existenz wiederherstellen konnten, daß sie den Staat umstürzen halfen, dessen Bürger sie waren. In den ersten Familien des Staates beschränken sich die Verschwender auf Schwindel und Ränke. Beim Volk werden die Geldvergeuder und Faulpelze schließlich Räuber und begehen die ungeheuerlichsten Verbrechen gegen die öffentliche Sicherheit.

Nachdem der Verfasser offenkundig bewiesen hat, daß er weder weiß, wie die Menschen sind, noch wie sie regiert werden müssen, wiederholt er die Deklamationen aus den Satiren Boileaus wider Alexander den Großen, macht Ausfälle gegen Karl V und dessen Sohn Philipp II., wiewohl man untrüglich fühlt, daß es auf Ludwig XI V. abgesehen ist. Von allen Ungereimtheiten, die von den angeblichen Philosophen unserer Tage mit sehr viel Behagen vertreten werden, scheint ihnen vor allem jene am<267> Herzen zu liegen, die darauf hinausgeht, die großen Männer des verflossenen JahrHunderts zu verunglimpfen. Was für eine Mehrung ihres Ansehens versprechen sie sich wohl davon, wenn sie die Schwächen eines Königs aufbauschen, der sie durch Größe und Ruhm überstrahlt hat? Die Fehler Ludwigs XIV. sind übrigens bekannt; diese vermeintlichen Philosophen haben also nicht einmal das kleine Verdienst, deren erste Entdecker zu sein. Ein Fürst, der bloß acht Tage regiert, wird ohne Zweifel schon Fehler begehen; um wieviel mehr muß das ein Monarch tun, der sechzig Jahre seines Lebens den Thron innehatte. Wenn Sie sich zum unparteiischen Richter aufwerfen wollen, so studieren Sie erst einmal das Leben dieses großen Fürsten! Dann werden Sie gestehen müssen, daß er in seinem Königreich mehr Gutes als Schlimmes vollbracht hat.

Einen ganzen Band müßte man füllen, wenn man seine Rechtfertigung im einzelnen durchführen wollte; ich beschränke mich hier auf die Hauptpunkte. Legen Sie also, wie recht und billig, die Hugenottenverfolgung seiner Altersschwäche zur Last, dem Aberglauben, in dem er auferzogen war, dem Vertrauen, das er unbedachtermaßen seinem Beichtvater schenkte. Setzen Sie die Verwüstung der Pfalz (1689) auf Rechnung des harten und hochfahrenden Louvois267-1. Danach werden Sie ihmWeiteres kaum vorwerfen können, abgesehen davon, daß er ein paar Kriege aus Eitelkeit oder Herrscherstolz unternommen hat. Im übrigen können Sie ihm nicht abstreiten, daß er der Beschirmer der schönen Künste war. Ihm verdankt Frankreich seine Manu, fakturen, seinen Handel und überdies die schöne Abrundung seiner Grenzen samt dem Ansehen, das es während seiner Regierungszeit in Europa genoß. Ehren Sie also seine lobenswerten und wahrhaft königlichen Eigenschaften! Wer da heutigentages gegen die Herrscher losziehen will, muß ihre Verweichlichung, ihre Trägheit, ihre Unwissenheit angreifen. Sie sind zumeist mehr schwach als ehrgeizig, mehr eitel als herrschsüchtig.

Die wahren Ansichten des Autors über die Regierungen enthüllen sich erst gegen das Ende seines Werkes. Da erst tut er uns kund, daß seines Erachtens die Untertanen sich des Rechts erfreuen sollten, ihre Herrscher abzusetzen, wenn sie unzufrieden mit ihnen sind. Um an dieses Ziel zu gelangen, erhebt er Einspruch gegen die großen Heere, die seinem Plan einigermaßen hinderlich sein könnten. Man glaubt La Fontaines Fabel vom Wolf und vom Schäfer zu lesen. Sollten die verstiegenen Ideen unseres Philosophen jemals in Erfüllung gehen, so müßten zuvor die Regierungsformen sämtlicher Staaten von Europa umgestaltet werden, was ihm eine Kleinigkeit dünkt. Ferner müßten — was mir unerfüllbar scheint — diese Untertanen, die den Richter ihres Herrn spielen wollten, weise und gerecht, die Thronbewerber müßten frei von Ehrgeiz sein, weder Intrige noch Kabale noch Unabhängigkeitsgelüste irgendwie das Übergewicht erlangen können. Außerdem müßte das entthronte Fürstenhaus<268> vollständig ausgerottet werden, oder aber es bliebe ein Nährboden für Bürgerkriege, blieben Führer, die stets bereit wären, an die Spitze gefährlicher Parteien zu treten, um den Staat in Aufruhr zu bringen. Es würde sich weiter als Folge dieser Regierungsform ergeben, daß die Thronkandidaten und -Prätendenten sich unaufhörlich regen, das Volk gegen den Fürsten aufwiegeln, Unruhen und Empörung schüren würden, in der Hoffnung, auf solchen Wegen emporzusteigen und zur Herrschaft zu gelangen.

Hierdurch wäre eine derartige Regierung dauernd inneren Kämpfen ausgesetzt, die tausendmal gefährlicher sind als die auswärtigen Kriege. Um eben diesen Mißständen vorzubeugen, wurde ja die Erbfolge geschaffen und in mehreren europäischen Staaten eingeführt. Man sah, welche Unruhen die Wahlen nach sich ziehen, und fürchtete mit Recht, eifersüchtige Nachbarn könnten so günstige Gelegenheit wahrnehmen, das Land zu überwältigen oder zu verwüsten. Der Autor konnte sich leicht über die Folgen seiner lehren klar werden: er brauchte bloß einen Blick auf Polen zu werfen, wo jede Königswahl zu einer Epoche inneren und äußeren Krieges ward.

Ein großer Irrtum ist es, zu glauben, Menschenwerk könne vollkommen sein. Unsere Einbildungskraft mag sich solche Trugbilder ersinnen, doch lassen sie sich nimmermehr verwirklichen. Seit Anbeginn der Welt haben die Völker es mit allen Formen der Regierung versucht; die Blätter der Geschichte sind voll davon. Allein es gibt keine Regierungsart, die nicht Unzuträglichkeiten unterworfen wäre. Die meisten Völker jedoch haben die Erbfolge der regierenden Familien anerkannt, weil das bei der Wahl, die sie zu treffen hatten, die mindest nachteilige Entscheidung war. Das Übel, das auch diese Einrichtung mit sich bringt, besieht darin, daß unmöglich während einer langen Reihe von Jahren innerhalb einer Familie Talente und Verdienst ununterbrochen vom Vater auf den Sohn sich forterben können, und daß demnach zuweilen unwürdige Fürsten den Thron einnehmen werden. Selbst in diesem Falle bleibt noch das Hilfsmittel, daß fähige Minister durch ihre Tüchtigkeit den Schaden wieder gutmachen können, den die Torheit des Herrschers ohne Zweifel anrichten würde.

Das Gute, das aus dieser Ordnung.der Dinge offenbar hervorgeht, beruht darauf, daß Fürsten, die auf dem Thron geboren sind, weniger Dünkel und Eitelkeit haben als die Emporkömmlinge. Geschwellt vom Gefühl ihrer neuen Größe, verachten diese die anderen, die bis dahin ihresgleichen waren, und gefallen sich darin, sie bei jeder Gelegenheit ihre Überlegenheit fühlen zu lassen. Vor allem aber beachte man, daß ein Fürst, der das Nachfolgerecht seiner Kinder gesichert weiß, in dem Bewußtsein lebt, für seine Familie zu arbeiten, und sich also mit weit mehr Eifer dem wahren Hell des Staates widmen wird, den er als sein Erbgut ansieht. Im Gegensatz dazu denken die Wahlkönige nur an sich, an das, was während ihrer Lebenszeit Bestand haben kann, und an nichts weiter. Sie suchen ihre Familie zu bereichern und lassen im übrigen alles verfallen, da der Staat in ihren Augen ein unsicherer Besitz ist, auf den es eines Tages verzichten heißt. Wer sich davon überzeugen will, braucht<269> sich nur über die Vorgänge in den deutschen Bistümern, in Polen und sogar in Rom zu unterrichten, wo die traurigen Wirkungen der Wahl nur allzusehr in die Augen springen.

Was man auch auf dieser Welt unternehmen mag, es wird irgend welchen Schwierigkeiten und oft gewaltigen Hindernissen begegnen. Glaubt man sich also sattsam erleuchtet, um die Öffentlichkeit aufklären zu können, so hüte man sich im besonderen davor, Heilmittel zu empfehlen, die schlimmer sind als die Übel, über die man klagt. Und wer's nicht besser machen kann, halte sich an die alten Bräuche, vor allem an die bestehenden Gesetze.

<270><271>

Persönliche Testamente

<272><273>

Schreiben des Königs an den Kabinettsminister von Podewils
(März 1741273-1)

Podewils! Truchseß macht Fortschritte, Mardefeld geht seinen Weg, Chambrier verrichtet Wunder, Klinggräffen ist anbetungswürdig. Also, cara anima mia, non desperar! Raesfeld kriecht wie eine Schnecke, der dänische Finck juckt sich, der sächsische Finck hat mit Contrebande zu tun273-2. Aber werden wir dieser Schwierigkeiten Herr, und wir werden triumphieren. Für den Faulen wächst kein Lorbeer, Frau Gloria reicht ihn nur dem, der sich rührt und Herz hat.

Beiläufig gesagt: zweimal bin ich den österreichischen Husaren entwischt273-3. Sollte mir das Unglück zustoßen, lebend gefangen zu werden, so gebiete ich Ihnen aufs strengste, und Sie haften mir mit Ihrem Kopf dafür, daß Sie sich während meiner Abwesenheit an keinen meiner Befehle kehren, daß Sie meinem Bruder273-4 ratend zur Seite stehen und daß ja der Staat für meine Befreiung nichts unternimmt, was unter seiner Würde ist. Im Gegenteil! Für diesen Fall ist es mein Wille und Befehl, daß mit entschiedenerem Nachdruck als je vorgegangen werde. König bin ich nur, wenn ich frei bin.

<274>

Falle ich, so ist mein Wille, daß mein Leib nach Römerart verbrannt und in einer Urne in Rheinsberg beigesetzt werde. Knobelsdorff274-1 soll mir ein Grabdenkmal errichten, wie das des Horaz im Tuskulum274-2.

Ich werde Ihnen eine eingehende Schrift zugehen lassen mit meinen Gedanken über die Weltlage, über das, was mir für heut und für die Zukunft geraten scheint. Mag dann mein Nachfolger nach eigenem Ermessen und dem Wandel der VerHältnisse gemäß verfahren. Vielleicht mache ich diese Arbeit umsonst, doch auch überflüssige Vorkehrungen sind nicht so vom Übel, wie alles dem Zufall allein zu überlassen, was sich nicht voraussehen läßt. Leben Sie wohl, lieber Freund, vergessen Sie mich nicht.

F r i d e r i ch.

<275>

Schreiben des Königs an den Prinzen von Preußen August Wilhelm

Pogarell, 8. April 1741275-1.



Mein lieber Bruder!

Soeben rückt der der Feind in Schlesien ein, wir sind nicht mehr als eine viertel Meile von ihm entfernt. Der morgige Tag soll also über unser Schicksal entscheiden. Wenn ich sterbe, so bewahre das Andenken an einen Bruder, der Dich stets innig geliebt hat. Sterbe ich, so empfehle ich Dir meine liebe Mutter, meine Bedienten und mein erstes Bataillon. Ich habe Eichel und Schumacher275-2 von allen meinen letzten Bestimmungen unterrichtet. Bleibe stets meiner eingedenk, aber tröste Dich über meinen Verlust. Der Ruhm der preußischen Waffen und die Ehre des Hauses bestimmen mein Handeln und werden mich bis in den Tod leiten. Du bist mein alleiniger Erbe. Sterbe ich, so empfehle ich Dir die, die ich im Leben am meisten geliebt habe: Keyserlingk, Jordan, Wartensleben, Hacke275-3, der ein Ehrenmann ist, Fredersdorf275-4 und Eichel, auf die Du Dich ganz verlassen kannst. Ich vermache 8 000 Taler, die ich bei mir habe, meinen Bedienten. Alles, was ich sonst besitze, liegt in Deiner Hand. Jedem meiner Brüder und Schwestern mache ein Geschenk in meinem Namen. Tausend Grüße und Komplimente an meine Schwester in Bayreuth. Du weißt, was ich über sie alle denke, und besser, als ich es zu sagen vermag, kennst Du die Liebe und alle Gefühle unverbrüchlicher Freundschaft, mit denen ich auf immer verbleibe, mein lieber Bruder, Dein treuer Bruder und Diener bis zum Tode

F r i d e r i ch.

<276>

Das Testament vom 11. Januar 1752

1. Unser Leben stießt rasch dahin. In schnellem Lauf reißt es uns von der Geburt bis zum Tode. Wenn ich es mir zur Regel gesetzt habe, mit größtem Eifer an der Ordnung des Staates zu arbeiten, den zu regieren ich die Ehre hatte, wenn ich nach bester Einsicht und nach bestem Wissen mein Leben lang alles getan habe, was in meiner Macht stand, um ihn zur Blüte zu bringen, so hätte ich mir ewige Vorwürfe zu machen, unterließe ich es, mein Testament niederzuschreiben, und gäbe dadurch zu allen möglichen Streitigkeiten und häuslichen Zerwürfnissen Anlaß, die nach meinem Tode ausbrechen könnten. Diese Gründe haben mich bewegen, meinen letzten Willen in dieser feierlichen Urkunde zu erklären.

2. Gem gebe ich meinen Lebensodem der wohltätigen Natur zurück, die ihn mir gütig verliehen hat, und meinen Leib den Elementen, aus denen er besieht. Ich habe als PHUosoph gelebt und will als solcher begraben werden, ohne Pomp, ohne Prunk und ohne die geringsten Zeremonien. Ich will weder geöffnet noch einbalsamiert werden. Sterbe ich in Berlin oder Potsdam, so will ich der eitlen Neugier des Voltes nicht zur Schau gestellt und am dritten Tage um Mitternacht beigesetzt werden. Man bringe mich beim Schein einer Laterne, und ohne daß mir jemand folgt, nach Sanssouci und bestatte mich dort ganz schlicht auf der Höhe der Terrasse, rechter-Hand, wenn man hinaufsteigt, in einer Gruft, die ich mir habe Herrichten lassen. Sterbe ich auf der Reise, so will ich, daß mein Körper an Ort und Stelle beigesetzt<277> und bei Eintritt des ersten Frostes ohne jedwede Zeremonie nach Sanssouci geschafft werde. Dies darf meine Erben nicht überraschen: Prinz Heinrich oder Moritz von Dramen277-1 ist in gleicher Weise in einem Wäldchen bei Kleve bestattet worden, und so ist es mein Wille.

3. Mein lieber Bruder August Wilhelm oder im Fall seines Todes der älteste seiner dann lebenden Söhne ist der gesetzliche und natürliche Erbe der Krone. Ich hinterlasse ihm das Königreich, die Staaten, Domänen, Schlösser, Festungen, Munition, Zeughäuser, die von mir eroberten oder ererbten Lande, alle Kronjuwelen, welche die Königin, meine Gemahlin, in Verwahrung hat, das goldene Service und das große silberne Service in Berlin, meine Landhäuser, Gärten, Bibliotheken, Gemäldegalerien, Münzkabinette usw.

4. Ferner hinterlasse ich meinem Bruder den Staatsschatz, so wie er ihn am Tage meines Todes vorfinden wird, als Eigentum des Staates und dazu bestimmt, ihn zu verteidigen, ihm Erleichterung zu verschaffen, ihn zu erhalten und zu vergrößern.

5. Dagegen soll mein Bruder gehalten sein, alle meine Schulden, die ich bei meinem Tode etwa hinterlasse, abzutragen und alles, was ich in Auftrag gegeben habe und was sich noch in Arbeit befindet, zu bezahlen.

6. Der Königin, meiner Gemahlin, hinterlasse ich die Einkünfte, die sie gegenwärtig genießt, freies Holz, zwei Fässer Rheinwein jährlich, das Wildbret für ihre Tafel und außerdem 20 000 Taler als Erhöhung ihrer Pension. Nota bene: diese 20 000 Taler sollen ihr nur unter der Bedingung ausgezahlt werden, daß sie den ältesten Sohn meines Bruders zum Erben aller Juwelen einsetzt, die sie gegenwärtig besitzt. Und da es kein königliches Schloß gibt, das ihr als Witwensitz dienen kann, so bestimme ich ihr der Form halber die Stadt Stettin und verlange von meinem Bruder August Wilhelm, daß er ihr eine angemessene Wohnung im Berliner Schlosse überläßt. Ich erwarte von seiner Freundschaft, daß er sie stets mit der Ehrerbietung behandelt, die man einer verwitweten Königin, der Witwe seines Bruders, schuldet.

7. Was das Allodialvermögen meiner Erbschaft angeht, so wird sich nicht viel vorfinden. Ich habe die Einkünfte des Staates als das Mark des Volkes betrachtet, für das ich ihm Rechnung schulde. Ich habe niemals auch nur den geringsten Teil davon für meinen eigenen Bedarf in Anspruch genommen277-2. Also sterbe ich arm und zufrieden in dem Bewußtsein, meiner Herrscherpfiicht genügt zu haben.

Von dem wenigen, was mir bleibt, setze ich die Königin, meine liebe Mutter, zur Erbin vom Pflichtteil des Allodialvermögens ein. Ihr vermache ich 40 000 Taler, den großen Brillanten, den ich am Finger trage, 40 der schönsten Orangenbäume von Sanssouci, mein silbernes, mit Weinlaub verziertes Tafelgeschirr in Potsdam, meinen schönsten Kronleuchter aus Bergkristall, der in meinem Eßzimmer in Pots,<278> dam hängt, zwei Porzellanservice, die ich in Potsdam habe, und 20 Eimer Ungarwein. Nota bene: wenn meine liebe Mutter, was Gott verhüten möge, vor mir stirbt, so wird dieser siebente Artikel ungültig.

8. Meinen Bruder August Wilhelm oder im Falle seines Todes den ältesten seiner dann lebenden Söhne setze ich zum Universalerben meines Allodialvermögens ein, und ich will, daß er folgende Legate auszahlt:

9. An meine Schwester in Bayreuth 40 000 Taler, meinen gelben Brillanten, der in meinem Schranke in Potsdam in einem Schmuckkästchen liegt, zwei Gespanne Pferde, den Rubens und den van Dyck278-1, die sich hier in Berlin in meinem Konzertsaal befinden, nebst 40 Eimern Ungarwein. Nota bene: wenn meine Schwester vor mir stirbt, so wird der neunte Artikel ungültig.

10. Meiner Schwester in Ansbach278-2 vermache ich zwei mit Brillanten besetzte Dosen, 10 Eimer Ungarwein und ein Gespann Pferde.

11. Meiner Schwester in Braunschweig278-3 vermache ich 10 000 Taler, die Uhr mit Brillanten, die ich trage, zwei mit Brillanten besetzte Dosen, ein Gespann preußischer Pferde, eine meiner schönsten Kutschen und den grünen Diamanten, der in meinem Schranke in Potsdam liegt.

12. Meiner Schwester in Schwedt278-4 vermache ich 20 000 Taler.

13. Meinem Bruder Heinrich vermache ich vier Handpferde aus meinem Stalle nebst Zubehör278-5.

14. Meiner Schwester in Schweden278-6 eine mit Brillanten besetzte Dose.

15. Meiner Schwester Amalie278-7 eine mit Brillanten besetzte Dose.

16. Meinem Bruder Ferdinand, der mir stets Freundschaft bewiesen hat, 20 000 Taler, 100 Eimer Ungarwein, sechs Handpferde mit ihren Schabracken, ein Gespann preußischer Pferde und die zweite Garnitur meines silbernen Services in Potsdam.

17. Meinem Schwager Prinz Ferdinand von Braunschweig278-8, der mich stets geliebt hat und den ich herzlich liebe, vermache ich 20 000 Taler, zwei mit Brillanten besetzte Dosen, zwei meiner Handpferde nebst Zubehör, ein preußisches Gespann, einen schönen offenen Wagen und 40 Eimer Ungarwein.

<279>

18. Ich empfehle meinem Erben aufs wärmste die tapferen und ehrlichen Männer, die würdigen Offiziere, die mit mir den Krieg in Schlesien, Böhmen und Sachsen mitgemacht haben. Ich bitte ihn, für alle Offiziere meiner Suite und meine persönlichen Adjutanten, die ich nach meinem Tode zurücklasse, zu sorgen. Er soll keinen von ihnen entlassen und überzeugt sein, daß sie ihm die gleiche Treue beweisen werden wie mir, die ich sterbend noch in dankbarer und liebender Erinnerung bewahre.

19. Ich empfehle ihm meine Sekretäre und vor allem Eichel279-1 mit dessen Redlichkeit ich stets höchst zufrieden war. Ihm bewillige ich eine Gratifikation von 5000 Talern. Ich will, daß jeder meiner Kammerdiener eine Gratifikation von 2 000 Talern, jeder meiner Garderoben- und Leibdiener 500 Taler erhält und daß ihnen ihr Gehalt unverkürzt weitergezahlt wird, bis sie passend versorgt sind.

20. Jedem Stabsoffizier meines Regiments279-2 vermache ich eine goldene, auf meine Kriege geprägte Denkmünze und jedem Subalternoffizier eine in Silber. All das befindet sich in meinem Schrank in meinem Schlafzimmer in Potsdam. Ich will ferner, daß von meinem ersten Bataillon jeder Soldat einen Friedrichsdor (fünf Taler), von den beiden anderen Bataillonen, dem Bataillon Retzow und den Gardesdukorps je einen halben Friedrichsdor (zwei Taler zwölf Groschen) erhält.

21. Durch das Testament meines Vaters bin ich verpflichtet, 10 000 Taler an das Militär-Waisenhaus in Potsdam zu zahlen. Sollte ich diese Summe vor meinem Tode noch nicht abgetragen haben, so will ich, daß mein Erbe sie zahlt.

22. Füge ich vor meinem Tode diesem Testamente ein Kodizill bei, so soll alles, was darin von meiner Hand geschrieben und unterzeichnet ist, die gleiche Kraft haben und ebenso ausgeführt werden wie das, was ich im gegenwärtigen Testamente verfügt habe.

23. Meinem Nachfolger empfehle ich meine liebe Mutter, meine Gemahlin, meine Brüder und Schwestern und die ganze Familie, und ich bitte ihn, sich bei allen Gelegenheiten zu erinnern, daß das gleiche Blut in ihren Adern stießt, daß er seinen Verwandten gegenüber Pflichten besitzt und daß er, wie verschieden auch der Zufall der Geburt ihre Lage gestaltet hat, dadurch von der Liebe und dem Beistand, den er ihnen schuldet, in keiner Weise entbunden ist. Ebenso empfehle ich meinen lieben Verwandten, besonders meinen Brüdern, es niemals an dem Respekt, der Treue und Ergebenheit, die sie ihrem ältesten Bruder und ihrem König schulden, fehlen zu lassen und bei jeder Gelegenheit der Öffentlichkeit das Beispiel des Gehorsams zu geben, der dem Oberhaupte des Staates zukommt.

<280>

Endlich gelten meine Wünsche bis zum letzten Atemzuge dem Staate. Möchte er stets mit Weisheit regiert werden! Möchten Gerechtigkeit und Tugend unablässig in ihm herrschen! Möchte er das mächtigste, reichste, glücklichste Land der Welt werden und fortbestehen bis ans Ende der Zeiten!

Berlin, II. Januar 1752.

F r i d e r i ch.

Zum Vollstrecker meines Testamentes ernenne ich den regierenden Herzog Karl von Braunschweig, in dessen Aufrichtigkeit und Redlichkeit ich völliges Vertrauen setze. Ich hoffe bestimmt, daß er aus Freundschaft für mich die Vollziehung meines letzten Willens gern auf sich nehmen wird.

<281>

Geheime Instruktion für den Kabinettsminister Graf Finckenstein

Berlin, 10. Januar 1757.

In der kritischen Lage, in der sich unsere Angelegenheiten befinden, muß ich Ihnen meine Weisungen geben, damit Sie bei allen unglücklichen Zufällen, die im Bereich der Möglichkeit liegen, zu den erforderlichen Entschließungen bevollmächtigt sind.

Sollte der Fall eintreten, was der Himmel verhüte, daß eine meiner Armeen in Sachsen vollständig geschlagen wird, oder daß die Franzosen die Hannoveraner aus ihrem Lande vertreiben, sich dort festsetzen und uns mit einem Einfall in die Altmark bedrohen, oder sollten die Russen durch die Neumark vordringen, so sind die königliche Familie, die obersten Gerichte, die Minister und das Generaldirektorium zu retten. Werden wir in Sachsen in der Gegend von Leipzig geschlagen, dann ist der geeignete Ort für die Übersiedlung der FamUie und des Staatsschatzes Küsirin. In diesem Falle müssen die königliche Familie und alle oben Genannten von der ganzen Garnison nach Küstrin eskortiert werden. Wenn die Russen durch die Neumark einbrechen oder uns ein Unglück in der Lausitz zustößt, so muß alles nach Magdeburg gebracht werden. Die letzte Zufluchtsstätte endlich ist Stettin; man soll aber nur im äußersten Notfall dorthin gehen. Die Garnison, die königliche Familie und der Staatsschatz sind unzertrennlich und bleiben stets zusammen, dazu die Krondiamanten und das Silbergerät aus den Staatsgemächern, das in diesem Falle nebst dem goldenen Service unverzüglich in Geld umgeprägt werden muß.

Sollte ich totgeschossen werden, so müssen die Geschäfte ohne die geringste Stockung und Veränderung weitergehen und ohne daß man merkt, daß sie in anderen Händen liegen. In diesem Falle muß man die Vereidigungen und Huldigungen beschleunigen, sowohl hier wie in Ostpreußen und besonders in Schlesien.

Wenn mir das Verhängnis zustieße, in Feindeshand zu fallen, so verbiete ich, die geringste Rücksicht auf meine Person zu nehmen und sich im geringsten an das zu kehren, was ich aus meiner Haft schreiben könnte. Sollte mir ein derartiges Un<282>glück zustoßen, so will ich mich für den Staat opfern, und man soll meinem Bruder282-1 gehorchen, der ebenso wie alle meine Minister und Generale mir mit seinem Kopf dafür haftet, daß keine Provinz, kein Lösegeld für mich geboten und daß der Krieg unter Ausnutzung aller Vorteile fortgesetzt wird, ganz als ob ich nie gelebt hätte.

Ich hoffe und ich darf glauben, daß Sie, Graf Finck, es nicht nötig haben werden, von dieser Instruktion Gebrauch zu machen; aber für den Fall eines Unglücks ermächtige ich Sie dazu. Zum Beweise dessen, daß dies nach reiflicher und guter Überlegung mein fester und unerschütterlicher Wille ist, unterzeichne ich sie eigenhändig und versehe sie mit meinem Insiegel.

<283>

Testament des Königs vor der Schlacht bei Leuthen
(28. November 1757)

Disposition, was geschehen soll, wenn ich getötet werde

Ich habe meinen Generalen Befehl für alles gegeben, was nach der Schlacht im Falle des glücklichen oder unglücklichen Ausganges geschehen soll. Im übrigen will ich, was meine Person betrifft, in Sanssouci beigesetzt werden, ohne Prunk, ohne Pomp und bei Nacht283-1. Man soll meinen Körper nicht öffnen, sondern mich ohne Umstände dorthin bringen und mich bei Nacht beerdigen.

Was die Geschäfte anlangt, so muß sofort an alle Kommandeure Befehl ergehen, die Truppen auf meinen Bruder283-2 zu vereidigen. Wird die Schlacht gewonnen, muß mein Bruder nichtsdestoweniger jemand mit der Notifikation und zugleich mit der Vollmacht zu Friedensverhandlungen nach Frankreich senden.

Das Testament283-3 soll geöffnet werden. Ich entbinde meinen Bruder von der Auszahlung aller Legate in barem Gelde, weil der traurige Zustand seiner Angelegenheilen ihn an ihrer Erfüllung verhindert. Ich empfehle ihm meine Flügeladjutanten, besonders Wobersnow, Krusemarck, Oppen und Lentulus283-4. Dies soll als Testament im Felde gelten283-5.

Ich empfehle alle meine Bedienten seiner Fürsorge.

<284>

Schreiben des Königs an Prinz Heinrich von Preußen284-1

Grüssau, 10. August 1758.



Mein lieber Bruder!

Ich bitte Dich um das unverbrüchlichste Stillschweigen über alles, was dieser Brief enthält. Er soll nur Dir allein zur Richtschnur dienen.

Morgen marschiere ich gegen die Russen. Da die Kriegsereignisse die verschiedenartigsten Zufälle zeitigen können, und da es leicht möglich ist, daß ich totgeschossen werde, so habe ich es für meine Pflicht gehalten. Dich von meinen Maßnahmen zu unterrichten, um so mehr, als Du der Vormund meines Neffen284-2 mit unbegrenzter Vollmacht bist.

1. Wenn ich totgeschossen werde, so müssen unverzüglich alle meine Armeen meinem Neffen den Eid leisten.

2. Die Operationen müssen mit solcher Tatkraft fortgesetzt werden, daß der Feind keinen Wechsel im Oberbefehl merkt.

3. Mein jetziges Vorhaben besieht darin, die Russen, wenn möglich, vollkommen zu schlagen, Dohna sofort wieder gegen die Schweden zu senden und mit meinem Korps selbst zurückzugehen, sei es nach der Lausitz, wenn der Feind von dorther eindringen sollte, sei es, um mich wieder mit der Armee284-3 zu vereinigen und 6 bis 7 000 Mann nach Oberschlesien zu detachieren, um de Ville284-4, der es beunruhigt, zu verjagen. Was Dich betrifft, so stelle ich Dir frei, so zu handeln, wie die Gelegenheit sich bietet. Dein Hauptaugenmerk muß auf die Pläne des Feindes gerichtet sein. Sie müssen gestört werden, bevor sie zur Reife gelangen.

<285>

Hinsichtlich der Finanzen glaube ich Dich unterrichten zu müssen, daß alle letzthin eingetretenen Schwierigkeiten, und besonders die, welche ich noch kommen sehe, mich zur Annahme der englischen Subsidien gezwungen haben285-1. Sie sind erst im Monat Oktober zahlbar.

Was die Politik betrifft, so ist eins gewiß: wenn wir diesen Feldzug gut bestehen, wird der Feind, der des Krieges überdrüssig, müde und erschöpft ist, der erste sein, der den Frieden wünscht. Ich hoffe bestimmt, im Laufe des Winters soweit zu gelangen.

Das ist im großen und ganzen alles, was ich Dir über die Staatsgeschäfte sagen kann. Was die Einzelheiten angeht, so wird es Deine Aufgabe sein. Dich unverzüglich über alles zu unterrichten. Zeigt man indes unmittelbar nach meinem Tode Ungeduld und allzu heftiges Verlangen nach dem Frieden, so erreichen wir damit nur, daß er ungünstig ausfällt und daß wir gezwungen sind, die Bedingungen unserer besiegten Feinde anzunehmen.

Ich muß zu alledem meine Marschroute hinzufügen, damit Du weißt, wo ich bin und wo Du mich finden kannst. Am 13. werde ich in Liegnitz sein, am 14. zwischen Lüben und Raubten, am 15. Ruhetag, am 16. nach Grünberg, am 17. bei dem Dorfe, wo ich, wie ich Dir schrieb, über die Oder gehen will285-2. Am 18. Brückenschlag, am 19. Übergang, am 20. Vereinigung mit Dohna, und in den Tagen vom 20. bis 25. hoffe ich, zwischen Meseritz und Posen eine Schlacht zu liefern.

Das ist alles, was ich Dir bis jetzt sagen kann. Du wirst umgehend von dem Erfolge meiner Operationen Nachricht erhalten.

F r i d e r i ch.

Ordre an meine Generals dieser Armee, wie sie sich im Fall zu verhalten haben, wann ich sollte todt geschossen werden 285-3

Im Lager bei Küstrin, 22. August 1758.

Sollte die Bataille gegen die Russen gewonnen werden, wie wir es alle hoffen, so muß der Feind mit aller Vigueur verfolget werden285-4.

Es muß gleich nach meinem Tod die Armee in meines Neveus Eid genommen werden, und da mein Bruder Heinrich Vormund desselben mit einer unbeschränkten Autorität ist, so muß die ganze Armee seine Befehls so respektieren, als die von dem regierenden Herrn.

<286>

Ich will, daß nach meinem Tod keine Umstände mit mir gemacht werden. Man soll mir nicht öffnen, sondern stille nach Sanssouci bringen und in meinem Garten begraben lassen286-1.

Dieses ist mein letzter Wille, und hoffe, daß alle meine Generals und die Armee solchem strikte nachleben werden.

F r i d e r i ch.

Nota bene: Sollte die Bataille verloren gehen, so muß sich die Armee hinter Küstrin setzen, von allen anderen Armeen Secours an sich ziehen und, je eher je lieber, dem Feind von frischem wieder auf den Hals gehen.

<287>

Das Testament vom 8. Januar 1769

Unser Leben führt uns mit raschen Schritten von der Geburt bis zum Tode. In dieser kurzen Zeitspanne ist es die Bestimmung des Menschen, für das Wohl der Gemeinschaft, deren Mitglied er ist, zu arbeiten. Seit dem Tage, da mir die Leitung der Geschäfte zufiel, war es mein ernstes Bemühen, mit allen Kräften, die mir die Natur verliehen, und nach Maßgabe meiner schwachen Einsicht den Staat, den zu regieren ich die Ehre hatte, glücklich und blühend zu machen. Ich habe dem Recht und den Gesetzen zur Herrschaft verholfen, habe Ordnung und Klarheit in die Finanzen gebracht und im Heere die Mannszucht erhalten, die ihm seine Überlegenheit über die anderen Truppen Europas verschaffte. Nachdem ich diese Pflichten gegen den Staat erfüllt habe, hätte ich mir ewige Vorwürfe zu machen, wenn ich die Angelegenheiten meiner Familie vernachlässigte. Zur Abwendung von Zerwürfnissen unter meinen Angehörigen, die wegen meiner Erbschaft entstehen könnten, erkläre ich in dieser feierlichen Urkunde meinen letzten Willen.

1. Gern und ohne Klage gebe ich meinen Lebensodem der wohltätigen Natur zurück, die ihn mir gütig verliehen hat, und meinen Leib den Elementen, aus denen er besteht. Ich habe als Philosoph gelebt und will als solcher begraben werden, ohne Gepränge, ohne feierlichen Pomp. Ich will weder geöffnet noch einbalsamiert werden. Man bestatte mich in Sanssouci auf der Höhe der Terrassen in einer Gruft, die ich mir habe Herrichten lassen. Prinz Moritz von Nassau287-1 ist in gleicher Weise in einem Wäldchen bei Kleve beigesetzt worden. Sterbe ich in Kriegszeiten oder auf der Reise, soll man mich im ersten besten Orte beisetzen und im Winter nach Sanssouci an die bezeichnete Stätte bringen.

2. Meinem lieben Neffen Friedrich Wilhelm, dem Thronfolger287-2, hinterlasse ich das Königreich Preußen, die Provinzen, Staaten, Schlösser, Festungen, Munition, Zeughäuser, die von mir eroberten oder ererbten Länder, alle Kronjuwelen (die sich in Händen der Königin und seiner Gemahlin287-3 befinden), die Gold- und Silberservice,<288> die in Berlin sind, meine Landhäuser, die Bibliothek, das Münzkabinett, die Gemäldegalerie, Gärten usw. Ferner hinterlasse ich ihm den Staatsschatz, so wie er ihn am Tage meines Todes vorfinden wird, als Eigentum des Staates und allein dazu bestimmt, die Völker zu verteidigen oder ihnen Erleichterung zu verschaffen.

3. Sollte ich irgendwelche kleine Schuld hinterlassen, an deren Bezahlung der Tod mich hindert, so soll mein Neffe gehalten sein, sie zu begleichen: dies ist mein Wille.

4. Der Königin, meiner Gemahlin, hinterlasse ich das Einkommen, das sie genießt und das um jährlich 10 000 Taler erhöht werden soll, zwei Tonnen Wein jährlich, freies Holz und das Wildbret für ihre Tafel. Unter dieser Bedingung hat die Königin sich verpflichtet, meinen Neffen zu ihrem Erben zu ernennen288-1. Da ferner kein geeigneter Witwensitz für sie vorhanden ist, so begnüge ich mich, der Form halber Stettin zu bestimmen. Zugleich verlange ich von meinem Neffen, daß er ihr eine angemessene Wohnung im Berliner Schlosse überläßt und ihr mit der Ehrerbietung begegnet, die ihr als Witwe seines Onkels und als einer Fürstin zukommt, deren Tugend sich niemals verleugnet hat.

5. Kommen wir auf den Allodialnachlaß. Ich bin niemals geizig oder reich gewesen; ich habe also nicht über viel zu verfügen. Die Einkünfte des Staates habe ich stets als die Bundeslade betrachtet, die keine profane Hand anzutasten wagt. Die öffentlichen Einkünfte sind niemals für meinen eigenen Bedarf in Anspruch genommen. Meine persönlichen Ausgaben haben niemals 220 000 Taler im Jahre überschritten288-2. Meine Verwaltung läßt mir also ein ruhiges Gewissen, und ich kann der Öffentlichleit ohne Furcht Rechenschaft darüber ablegen.

6. Meinen Neffen Friedrich Wilhelm setze ich zum Universalerben meines Allodialvermögens ein, unter der Bedingung, daß er folgende Legate auszahlt:

7. Meiner Schwester in Ansbach288-3 eine Dose im Werte von 10 000 Talern, die sich in meiner Schatulle befindet, und eins meiner Porzellanservice aus der Fabrik in Berlin.

8. Meiner Schwester in Braunschweig288-3 50 000 Taler, wörtlich: fünfzigtausend Taler, mein mit Weinlaub verziertes Silberseroice in Potsdam und eine schöne Kutsche.

9. Meinem Bruder Heinrich 200 000 Taler, wörtlich: zweihunderttausend Taler, 50 Eimer Ungarwein, einen schönen Kronleuchter aus Bergkristall in Potsdam, den grünen Diamanten, den ich am Finger trage, zwei Handpferde mit Zubehör und ein Gespann von sechs preußischen Pferden.

10. Seiner Gemahlin, der Prinzessin Wilhelmine von Hessen288-4, 6 000 Taler aus den Einkünften, die ich von einem in der Tabakregie angelegten Kapital beziehe.

<289>

11. Meiner Schwester, der Königin von Schweden, vermache ich eine meiner goldenen Dosen im Werte von 10 000 Talern, 20 Eimer Ungarwein und ein Gemälde von Pesne im Schloß Sanssouci, das ich von Algarotti289-1 erhalten habe.

12. Meiner Schwester Amalie 10 000 Taler, wörtlich: zehntausend Taler, von den Einkünften aus dem in der Tabakregie angelegten Kapital, eine Dose im Werte von 10 000 Talern aus meiner Schatulle, 20 Eimer Ungarwein und das silberne Tafelgeschirr, von dem meine Flügeladjutanten in Potsdam speisen.

13. Meinem lieben Bruder Ferdinand vermache ich 50 000 Taler, wörtlich: fünft zigtausend Taler, 50 Eimer Ungarwein, eine Galakutsche mit Bespannung und allem Zubehör.

14. Seiner Frau, meiner lieben Nichte289-2, 10000 Taler, wörtlich: zehntausend Taler, von den Einkünften aus meinem in der Tabakregie angelegten Gelde und eine Dose mit Brillanten.

15. Meiner Nichte, der Prinzessin von Oranien289-3, eins meiner Porzellanseroice in Berlin, eine Dose im Werte von 10 000 Talern, 40 Eimer Ungarwein und eine Galakutsche mit einem Gespann preußischer Pferde.

16. Meiner Nichte, der Herzogin von Württemberg289-4, eine Dose im Werte von 6 000 Talern und 20 Eimer Ungarwein, eine offene Chaise mit einem preußischen Gespann.

17. Meinem lieben Neffen, dem Markgrafen von Ansbach289-5, meinen gelben Diamanten, zwei meiner besten Handpferde mit Zubehör und 30 Eimer Ungarwein.

18. Meinem Neffen, dem Erbprinzen von Braunschweig289-6, zwei meiner englischen Pferde mit Zubehör und 10 Eimer Ungarwein.

19. Meinem Neffen Prinz Friedrich von Braunschweig 10 000 Taler.

20. Meinem Neffen Prinz WUHelm von Braunschweig 10 000 Taler.

21. Meiner Schwedter Nichte, der Gemahlin des Prinzen von Württemberg289-7, 20 000 Taler und eine Dose mit Brillanten.

22. Ihrem Gemahl zwei meiner Handpferde mit Zubehör und 20 Eimer Ungarwein.

23. Meiner Nichte, der Prinzessin Philippine von Schwedt289-8, 10 000 Taler.

<290>

24. Dem Prinzen Ferdinand von Braunschweig, meinem Schwager290-1, den ich stets geschätzt habe, eine Dose mit Brillanten aus meiner Schatulle und 20 Eimer Ungarwein.

25. Ich empfehle meinem Erben aufs wärmste die tapferen Offiziere, die unter meinem Befehl den Krieg mitgemacht haben. Ich bitte ihn, besonders für die Offiziere meiner Umgebung zu sorgen. Er soll keinen fortschicken und keinen von ihnen, wenn er alt und schwach ist, im Elend umkommen lassen. Er wird in ihnen geschickte Militärs und Leute besitzen, die Beweise von ihrer Intelligenz, Tapferkeit und Treue gegeben haben.

26. Ich empfehle ihm meine Privatsekretäre, ebenso alle, die in meinem Kabinett gearbeitet haben. Sie haben Übung in den Geschäften und können ihn im Anfang seiner Regierung über sehr viele Dinge aufklären, die ihnen bekannt sind und die selbst die Minister nicht wissen.

27. Ich empfehle ihm gleichfalls alle, die in meinen Diensten gestanden haben, ebenso meine Kammerdiener. Ich vermache Zeysing 2000 Taler für seine große Treue und 500 Taler jedem meiner Garderobediener. Ich hoffe bestimmt, daß mein Erbe ihnen ihr Gehalt läßt, bis sie passend versorgt sind.

28. Jedem Stabsoffizier mewes Regiments, des Bataillons Lesiwitz290-2 und der Gardesdukorps vermache ich eine goldene Denkmünze, die auf die von den Truppen unter meiner Führung errungenen Erfolge und Siege geprägt worden ist. Jedem Soldaten dieser vier Bataillone vermache ich zwei Taler pro Kopf und ebensoviel jedem Gardedukorps.

29. Füge ich vor meinem Tode diesem Testament ein eigenhändig geschriebenes und unterzeichnetes Kodizill bei, so soll es die gleiche Kraft haben wie diese feierliche Urkunde.

30. Wenn jemand von denen, die ich bedacht habe, vor mir stirbt, so ist das Legat null und nichtig.

31. Wenn ich während des Krieges sterbe, soll mein Generalerbe gehalten sein, erst nach Wiederherstellung des Friedens meine Erbschaft auszuzahlen. Im Verlaufe des Krieges aber soll niemand das Recht haben, an den Nachlaß Forderungen zu stellen.

32. Ich empfehle meinem Nachfolger, sein eigen Blut in seinen Onkeln, Tanten und allen Blutsverwandten zu achten. Der Zufall, der über dem Menschengeschick waltet, entscheidet die Erstgeburt. Aber deshalb, weil man König ist, ist man noch nicht besser als die anderen. Ich empfehle allen meinen Verwandten, in Frieden miteinander zu leben. Möchten sie, wenn es einmal gilt, ihre persönlichen Interessen dem Wohle des Vaterlandes und dem Vorteil des Staates zu opfern verstehen.

<291>

Bis zum letzten Atemzuge werden meine Wünsche dem Glücke des Staates gelten. Möchte er stets mit Gerechtigkeit, Weisheit und Stärke regiert werden! Möchte er durch die Milde der Gesetze der glücklichste, in seinen Finanzen der bestverwaltete und durch ein Heer, das nur nach Ehre und edlem Waffenruhm trachtet, der am tapfersten verteidigte sein! Möchte er blühen bis ans Ende der Zeiten!

33. Zu meinem Testamentsvollstrecker ernenne ich den regierenden Herzog Karl von Braunschweig, von dessen Freundschaft, Aufrichtigkeit und Redlichkeit ich mir verspreche, daß er die Vollziehung meines letzten Willens auf sich nehmen wird.

Berlin, 8. Januar 1769.

F r i d e r i ch.


VI-1 Der Titel der bei van Duren erschienenen Schrift lautet: „Examen du prince de Machiavel avec des notes historiques et politiques“ (Haag 1741), der von Voltaire veranstalteten Ausgabe: „Antimachiavel ou Essai de critique zur le prince de Machiavel“ (Haag 1740).

VI-2 Auch ein Einfluß der Schriften Montesquieus, besonders seiner „Betrachtungen über die Ursachen der Größe der Römer und ihres Niederganges“, läßt sich im „Antimachiavell“ nachweisen.

VIII-1 Mit Ausnahme des Abschnitts über das Heerwesen, der in Bd. V mitgeteilt wird.

IX-1 Vgl. S. 6. 154. 226. 235. Ferner gebraucht der König den Ausdruck am Schluß des Kapitels über König Friedrich I. in den „Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Hauses Brandenburg“ (vgl. Bd. I), am Anfang der Denkschrift „Rechtfertigung meines politischen Verhaltens“ vom Juli 1757 (vgl. Bd. III, Anhang) und in dem Schreiben an die Kurfürstin-Witwe Maria Antonia von Sachsen vom 8. März 1766.

X-1 In Bd. 8 ist abgedruckt unter dem Titel „L' Antimachiavel ou Examen du prince de Machia-vel“ (S. 59 ff.) die van Durensche Ausgabe, sowie unter dem Titel „Réfutation du prince de Machiavel“ (S. 163 ff.) die zweite Fassung der Niederschrift Friedrichs, die auch wir bringen. Der erste Entwurf ist noch unveröffentlicht.

9-1 Herzog Leopold († 1729), vermählt mit Elisabeth Charlotte von Orleans, war der Vater von Kaiser Franz I., dem Gemahl Maria Theresias, der 1736 Lothringen gegen das Großherzogtum Toskana vertauschen mußte.

13-1 Vgl. S. 20.

14-1 Stanislaus Leszczynsti war von 1704 bis 1709 und darauf von 1733 bis 1738 nochmals König von Polen.

14-2 Anspielung auf den Polnischen Erbfolgekrieg (1733—1735), der Kaiser Karl dem Sechsten das Herzogtum Lothringen, die Krone von Neapel und Sizilien und einen Teil der Lombardei kostete.

16-1 Heinrich III. († 1589), Heinrich IV. († 1610).

18-1 Gemeint sind vor allem die Unruhen der Fronde während der Minderjährigkeit König Ludwigs XIV.

18-2 Dieser offen gegen die französische Politik und ihren Leiter, Kardinal Fleury, gerichtete Absatz ist in der zur Veröffentlichung gelangten Fassung des Antimachiavell fortgeblieben.

19-1 Fénelon.

21-1 Vgl. S. 12.

23-1 Hieron II., König von Syrakus (306—215).

23-2 Seit Anfang des 17. Jahrhunderts hatten die Jesuiten in Paraguay ein theokratisch geordnetes Staatswesen geschaffen.

23-3 Durch einen Volksaufstand am 7. Juli 1647 wurde der Fischer Masaniello Herr von Neapel, siel aber schon am 16. Juli durch Mörderhand.

24-1 Heinrich I. von Lothringen, Herzog von Guise, der Stifter der heiligen Liga gegen König Heinrich III. von Frankreich und auf Befehl des Königs 1588 umgebracht.

24-2 Machiavell hatte die Behauptung aufgestellt, daß nichts größere Schwierigkeiten in der Ausführung biete und von zweifelhafterem Erfolge sei, als sich zum Haupt einer neuen Staatsordnung zu machen, daß die Anwendung von Gewalt indessen fast stets zum Erfolge führe. „Daher haben alle bewaffneten Propheten den Sieg davongetragen, die unbewaffneten aber sind zugrunde gegangen.“

26-1 In seiner 1699 veröffentlichten Schrift „Abenteuer Telemachs“.

27-1 Giovanni († 1497).

27-2 Lucrezia.

27-3 Vanozza de Catanei.

27-4 Guidobaldo von Montefeltro.

29-1 August II.(† 1733).

30-1 Graf Horn wurde nach dem Verlust seines Vermögens 1568 mit dem Grafen Egmont in Brüssel hingerichtet.

30-2 Bossuet.

30-3 Fléchier.

30-4 Der jüngere Plinius.

30-5 Julius II. (1503—1513).

30-6 König Johann von Navarra (1484—1516).

32-1 Die „Odes philippiques“ von Joseph de La Grange-Chancel (1677—1758) waren gegen den Regenten Herzog Philipp von Orleans gerichtet.

32-2 Tyrann von Syrakus (361—289).

32-3 Gestalten des französischen Ritterromans „Amadis“.

33-1 Quintus Curtius Rufus war der Verfasser der „Historiae Alexandri Magni“.

33-2 Stanislaus Leszczynski (vgl. S. 14).

33-3 Statt des Inderfürsien Porus ist Abdolonymos, König von Sidon, gemeint.

33-4 „Voleurs et des tours de geux“ — wie Voltaire den Titel angibt — von Legrand und Riccoboni. Cartouche ward 1721 in Paris hingerichtet.

34-1 Archagathos.

35-1 Dionysius I., Tyrann von Syrakus (431—367).

35-2 Iwan IV., der Schreckliche (1533—1584).

39-1 Vgl. Bd. II, S. 28.

42-1 Herzog Ernst August von Sachsen-Weimar, dessen Truppen Friedrich 1730 im Lager von Mühl, berg gesehen hatte.

43-1 Viktor Amadeus II., König von Sardinien (1666—1732).

43-2 Vielmehr Salmoneus, König von Elis.

45-1 Vgl. Boileau-Despreaux, Sat. IX:

Qui méprise Cotin, n'estime point son roi
Et n'a, selon Cotin, ni Dieu ni foi ni loi.

48-1 Gemeint ist der König von Preußen.

49-1 Vgl. Bd. II, S. 32.

52-1 Im Spanischen Erbfolgelrieg.

52-2 Die Könige von Dänemark, Preußen und Zar Peter der Große.

52-3 Stanislaus Leszczynski (vgl. S. 14).

53-1 Machiavell zog aus dem Gleichnis von Davids Weigerung, die Waffen Sauls anzulegen, den Schluß: „Fremde Waffen fallen ab oder sie sind zu schwer oder sie erdrosseln dich.“

53-2 Vgl. S. 23.

57-1 Vgl. Jean Baptiste Rousseau, Oden, Buch II, Ode X.

58-1 Großherzog Franz Stephan von Toskana geriet auf der Jagd bei Kolar in Serbien 1737 beinahe in türkische Gefangenschaft.

62-1 Mir-Weis ermordete 1709 den Fürsten von Candahar und bemächtigte sich des Thrones, den er bis zu seinem Tode (1717) innehatte.

66-1 Bankier in Paris.

66-2 Bankier in Amsterdam.

66-3 PHUopömen, griechischer Feldherr, Haupt des Achäischen Bundes (253—183).

66-4 Heinrich de la Tour d'Auvergne, Vicomte Turenne († 1675) und Nicolas de Catinat († 1712), französische Feldherren.

72-1 Dieses Wort wird Johann II., dem Guten, König von Frankreich, zugeschrieben.

73-1 Spanischer Staatsmann.

73-2 Gemeint ist Kaiser Karl VI.

74-1 Der Kardinal Melchior von Polignac war der Verfasser eines lateinischen Gedichtes „Der Antilucrez“.

77-1 Während Karl XII. in Bender vergeblich die Türken zum Kampfe gegen Rußland zu bestimmen suchte, ging ein Stück seines Reiches nach dem anderen verloren.

78-1 Machiavell führte aus, daß in den wohlgeordneten und gut regierten Staaten seiner Zeit zahllose gute Einrichtungen beständen, die die Sicherheit und Freiheit der Fürsten schirmten, indem sie einerseits den Ehrgeiz und Übermut der Großen in Zaum hielten und andrerseits das Volk zufriedenstellten.

78-2 Vgl. S. 16.

78-3 Die im folgenden aufgeführten römischen Kaiser sind Mark Aurel (161—180), Commodus (180—192), Pertinax (193), Septimius Severus (193—211), Caracalla (211—217), Macrinus (217), Heliogabalus (218—222), Alexander Severus (222—235), Maximinus (235—238), Gordianus I. und Gordianus II. (237).

80-1 Pescennius Niger machte dem Kaiser Septimius Severus die Herrschaft im Osten streitig.

83-1 Wilhelm III., Prinz von Oranien, Erbstatthalter der Niederlande, seit 1689 nach Vertreibung König Jakobs II. König von England († 1702).

84-1 Vgl. S. 42.

86-1 Ferdinand der Katholische, König von Spanien (1479—1516).

86-2 Bernhard Visconti, Herr von Mailand (1354—1385).

88-1 pro Ligario, cap. 12.

88-2 Hier liegt ein Irrtum vor, da Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst, Rußland, wenngleich erfolglos, um Unterstützung bat. Durch den Sieg bei Fehrbellin am 28. Juni 1675 zwang er die Schweden zum Rückzug.

90-1 Noël Coypel (1628—1707) und Charles le Brun (1619—1690), französische Maler.

90-2 Thomas Regnaudin (1627—1706), französischer Bildhauer.

90-3 Der Übergang über den Niederrhein bei Tolhuys 1672 bei Beginn des Feldzugs gegen Holland, der den Franzosen den Weg in die nieder, ländische Republik öffnete.

90-4 Die Einnahme von Mons erfolgte am 9. April 1691.

90-5 Durch die Weigerung des Marschalls von Frankreich, Graf Ferdinand Marsin, dem Feinde, der zum Entsatz von Turin herbeieilte, entgegenzugehen, wie der Herzog Philipp von Orleans es wollte, ging die Schlacht bei Turin (7. September 1706) für die Franzosen verloren.

91-1 pro Archia poeta, cap. 7.

93-1 Vgl. S. 70f.

99-1 Der französische Philosoph Jean Buridan aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts bediente sich des Beispiels von dem Esel zwischen zwei Heubündeln, der starb, da er sich für keines der beiden zu entscheiden vermochte.

103-1 Am 1. Februar 1702.

104-1 Es handelt sich um das Präliminar-Abkommen vom Oktober 1711, das dann durch den Frieden von Utrecht 1713 definitiv bestätigt wurde.

104-2 Anna Masham.

104-3 Der französische Marschall Graf Camille Tallard war in der Schlacht bei Höchstädt (vgl. S. 106) gefangen und darauf nach London gebracht worden. Seine Erwähnung in diesem Zusammenhange erklärt sich dadurch, daß Friedrich in dem ersten, noch nicht veröffentlichten Entwurf des „Antimachiavell“ gesagt hatte, jene Palastdame, Lady Masham, habe auf Seite der Torys gestanden und sei „überdies von Marschall Tallard geWonnen worden“. Diese Angabe blieb dann in der obigen Fassung fort.

106-1 Am 13. August 1704 schlugen Prinz Eugen und Marlborough den Kurfürsten Maximilian Emanuel und die Franzosen unter Tallard bei Höchsiädt und Blindheim.

109-1 Der Wiener Präliminarvertrag vom Oktober 1735, der dem Polnischen Erbfolgelrieg ein Ende setzte und durch den Wiener Frieden von 1738 definitiv bestätigt wurde. Die Verhandlungen gingen durch die Hand des Grafen von Neuwied.

109-2 Viktor Amadeus II. (vgl. S. 43).

113-1 Vgl. S. 87.

118-1 Samuel Freiherr von Cocceji.

118-2 Vgl. Bd. III, Kap. I.

120-1 Vgl. Bd. II, S. 18. 19.

121-1 Im Testament von 1768 sagt der König: „Wir haben weder ein Mexiko noch ein Peru und keine auswärtige Niederlassung, deren Handel den Besitzer bereichert. Preußen hat seine Hilfsquellen nur in sich selbst, ziemlich unfruchtbaren Boden, arme Einwohner. Dessenungeachtet ist das Land durch große Ordnung und Gewerbefieiß imstande gewesen, einen harten verderblichen Krieg gegen die größten Monarchen Europas zu führen; nach sieben Jahren der Unruhe fanden sich Österreich, Frankreich und England von Schulden belastet, während wir keine hatten und uns noch Mittel genug blieben, die zerstörten und halb verödeten Provinzen wiederherzustellen.“

121-2 Die Kriegs- und die unten genannte Domänenkasse unterstanden den Kriegs, und Domänenkammern. Diese, eine Schöpfung König Friedrich Wilhelms I., bildeten die oberste Verwaltungsbehörde der Provinz, wie das Generaldirettorium die Zentralbehörde der Monarchie.

121-3 Eine Grundsteuer, verbunden mit einer Kopf- und Gewerbesteuer, die von den Landbewohnern ohne Grundbesitz bezahlt wurde.

122-1 Sie war eine indirekte Steuer und wurde von den Städten bezahlt.

124-1 Johann Philipp Graumann wurde 1750 aus dem Braunschweigischen als Münzdirektor nach Berlin berufen. Der nach ihm benannte „Graumannsche Münzfuß“ bildete die Grundlage des neuen Münzsystems, das Preußen vom Auslande unabhängig machte, und den „ersten Schritt zur deutschen Münzeinheit, die 100 Jahre später errungen wurde“. Die Hoffnungen auf einen großen finanziellen Ertrag, die der König an die Reform des Münzwesens lnüpfte, erfüllten sich freilich nicht.

128-1 Hans Jürgen Detlev von Massow, Generalleutnant und Generalkriegskommissar.

129-1 Die Generaldomänenkasse zahlte an Reisegeldern 20 000 Taler, zu Handgeldern 52 000 Taler.

129-2 Das dritte Bataillon Garde hatte der König bei seinem Regierungsantritt neu errichtet; das erste und zweite Bataillon Garde waren das Regiment, das er bis dahin als Kronprinz geführt hatte.

129-3 Die sogenannten Unrangierten, die als Ersatztruppe für die gesamte Garde dienten und von den übrigen Regimentern gestellt wurden.

130-1 In der Kurmark.

136-1 Englische Schuldforderung, die auf Schlesien ruhte, und die der König mit der Abtretung der Provinz durch Österreich übernommen hatte (vgl. Bd. II, S. 120)

137-1 Hecker von der Dreifaltigkeitskirche.

139-1 Vgl. S. l80.

140-1 Vgl. S. 135.

140-2 Die Landbevölkerung zahlte das „Kavalleriegeld“, seit mit der Verlegung der Kavallerie in die Städte die Naturalverpflegung aufhörte.

140-3 Vgl. E. 182.

142-1 Dieser Plan gelangte 1765 mit der Gründung der „Académie des Nobles“ zur Ausführung: sie bildete eine Art Selekta des Kadettenkorps. Vgl. die eigenhändige Instruktion des Königs in Bd. VI.

144-1 In dem Testament von 1768 sagt der König: „Die Ostpreußen sind nicht ohne Geist, und es befinden sich unter ihnen solche, die gute Untertanen abgeben, ausgenommen diejenigen, die in der Umgegend von Königsberg wohnen; denn ihre zu weichliche Erziehung hat bisher nur Faulenzer hervorgebracht. Ich habe Grund gehabt, mit dem Adel dieses Königreiches während des letzten Krieges ziemlich unzufrieden zu sein; sie waren mehr russisch als preußisch und außerdem aller Niederträchtigkeiten fähig, deren man die Polen zeiht. Jedoch ich habe alles vergessen, nachdem ich sie ihr Unrecht und meine Unzufriedenheit habe fühlen lassen. Das Voll ist nicht bösartig. Das Schlimmste, was geschieht, sind Abtreibungen der Leibesfrucht, Sodomiterei und Viehdiebstahl. Die Strafgesetze dürfen hier also milde sein; denn ihre Strenge ist nur bei denjenigen Völkern notwendig, die von ihren heftigen Leidenschaften zu den äußersten Gewalttätigkeiten getrieben werden.“

144-2 Testament 1768: „Die Pommern haben etwas Ungekünsteltes in ihrem Charakter. Sie würden nicht ohne Geist sein, wenn sie besser gebildet wären; niemals aber werden sie schlau und verschlagen sein. Der gemeine Mann ist argwöhnisch und hartnäckig. Sie sind eigennützig, aber weder grausam noch blutdürstig und ihre Sitten ziemlich sanft. Man bedarf also keiner Strenge, um sie zu regieren. Sie geben gute Offiziere, vortreffliche Soldaten ab; manche leisten im Finanzfache ziemlich gute Dienste. Vergebens aber würde man aus ihnen politische Unterhändler machen wollen.“

144-3 Testament 1768: „Die Bewohner der Marken haben nicht soviel Geist. Sie sind verschwenderisch und leichtfertig, und es gibt nur wenige, die man mit Vorteil gebrauchen kann. Das Volk ist hartnäckig in seinen Meinungen und ein geschworener Feind der Neuerungen. Sie verabscheuen sogar die Fremden, aber sie sind nicht bösartig.“

144-4 Von den Magdeburgern und Halberstädtern sagt der König im Testament von 1768: „Sie sind teilweise besser, sogar der gemeine Mann hat Ehrgefühl. Sie sind gut und haben ein feineres Benehmen als die anderen. Während des letzten Krieges veranstalteten die Magdeburger eine Sammlung und schickten den Pommern, die von den Russen geplündert worden waren, 10 000 Taler. Dieser Zug ist so schön, daß man das Andenken hieran sorgfältig bewahren soll.“

145-1 Von den Schlesiern heißt es im Testament von 1768: „Sie haben ein feines Benehmen, sogar die Bauern. Der Adel besitzt Geist, und wenn man seine Flüchtigkeit zügelt, kann man vortreffliche Dienste sowohl beim Militär als in Zivilämtern von ihnen erhalten. Man muß übrigens einen großen Unterschied zwischen den Ober- und Niederschlesiern machen: die letzteren haben in allem den Vorzug vor jenen. Die oberschlesischen Grafen sind meistenteils mit den Österreichern verwandt; einige von ihnen haben Güter in Mähren, andere in Böhmen; auf sie darf man durchaus nicht zählen. Der gemeine Mann, stockkatholisch, zittert und bebt bei dem Worte Ketzer; seine Priester, die ihn leiten, und die religiösen Vorurteile ketten ihn an das Haus Österreich. Man muß ferner in Schlesien ebensowenig auf das gesamte Mönchsgezücht als auf die Breslauer Domherren rechnen, die sich im Frieden zurückhalten, im Kriege Ränke spinnen und heimlich an ihren Religionsverwandten hängen. Wenn man einen nahen Krieg vorhersieht, muß man die Verdächtigen festnehmen und bis zum Frieden nach Magdeburg oder auch nach Stettin schicken, damit man sie hindert, uns zu verraten und sich zugrunde zu richten, und damit man sich die unangenehme Notwendigkeit erspart, über sie strengere Strafen zu verhängen. Es ist sicher, daß die Österreicher in Schlesien Leute angesiedelt haben, die ihnen als Spione dienen sollen. Man hat einige in Verdacht, man muß sie überwachen, damit man sie außerstand setzt, uns zu schaden, falls die Meinung, die man von ihnen hegt, zutrifft. Ich glaube durch die Erfahrung gelernt zu haben, daß der große Fehler bei den meisten von einer jämmerlichen Erziehung herkommt, welche sie in ihrer Jugend empfangen haben. Das hat mich bestimmt, in Stolp ein Kadettenhaus zu gründen, die liegnitzer Ritterakademie umzugestalten, um dort den Adel sorgfältig erziehen zu lassen.“

145-2 Über die Bewohner von Minden sagt der König im Testament von 1768: „Sie haben Geist und sind das beste Volk von der Welt, arbeitsam, gewerbstätig und treu. Während des letzten Krieges haben sich die Bauern freiwillig gemeldet, um Soldaten zu werden und für das Vaterland zu kämpfen. Was haben die alten Römer Schöneres getan?“

145-3 Testament 1768: „Der Adel ist zu sehr dem Wein ergeben und hat beinahe den Verstand versoffen; das sind diejenigen Untertanen, von denen man am wenigsten Vorteil ziehen kann.“

146-1 In Magdeburg 1748.

151-1 Der Schwarze Adlerorden und der Orden pour Ie mérite.

151-2 Vgl. S. 62ff.

152-1 Vgl. S. 123.128 f. 141.

153-1 Vgl. Bd. I I, S. 134.

154-1 Vgl. S. 6.

154-2 Vielmehr Philipp von Mazedonien.

155-1 August Friedrich Eichel.

157-1 Seit 1748 verhandelten der Wiener und der Petersburger Hof über den Plan, Maria Theresias Schwager, den Prinzen Karl von Lothringen, beim Tode Augusts III. auf den polnischen Königsthron zu setzen; damit eröffnete sich die Aussicht auf einen neuen polnischen Erbfolgekrieg.

157-2 Der König schreibt im Testament von 1768 über Österreich: „Die Macht Österreichs verdient besondere Beachtung. Dies Haus der Cäsaren hatte sich seit der Zeit Karls V. mehr und mehr geschwächt. Unter der Regierung Karls VI. hat es sich wieder erholt; aber nach dem Tode dieses Kaisers und dem Erlöschen des Mannsstammes glaubte Europa, es sei verloren. Eine Frau erhob es wieder und behauptete es mit Festigkeit. Sie wurde der Abgott eines vor kurzem noch aufrührerischen Volkes, das sie für ihre Sache in den Kampf führte. Diese Frau regiert noch jetzt. Wenn sie die verlorenen Provinzen noch nicht durch andere eroberte ersetzt hat, so hat sie doch, ihre Finanzen ordnend, Schätze gefunden, und ihre Einkünfte belaufen sich so hoch, wie die des Kaisers Karl VI. selbst zu der Zeit, da er Neapel besaß. Man berechnet ihre jährlichen Einkünfte auf 26 Millionen. Wirklich unterhält sie 140 000 Mann und kann diese Zahl, wenn Zeit und Umstände es erfordern, auf 200 000 steigern. Ihre Macht würde noch furchtbarer sein, wenn sie nicht jährlich 8 Millionen Taler abrechnen müßte, teils um die Zinsen zu zahlen, teils für einen Fonds zur Tilgung der während des letzten Krieges gemachten Schulden. Sie hat die Kunst verstanden, fähige Minister zu finden und zu wählen, und ihr Ministerrat ist durch Weisheit und systematisches Verfahren dem aller anderen Könige überlegen. Sie handelt aus sich selbst. Ihr Sohn läßt sich von ihr in den Geschäften belehren und folgt ihren Antrieben. Fürst Kaunitz und Hatzfeldt sind ihre besten Minister. Die Generale, die den größten Namen haben, sind Lacy und Laudon; wenn sie diese verlöre, würde es ihr schwer werden, unter der großen Zahl der übrigen ihresgleichen zu finden. Indessen ist bis jetzt die österreichische Kavallerie schlecht, die Infanterie taugt mehr, besonders als Posten, und ihr Artilleriekorps ist so gut als möglich. Prägt es Euch wohl ein, daß es keinen großen Fürsten gibt, der nicht den Gedanken mit sich herumtrüge, seine Herrschaft zu erweitern. Die Kaiserin-Königin hat ohne Zweifel ihr Eckchen Ehrgeiz wie die andern. Die Politik verlangt, daß solche Vorhaben mit undurchdringlichem Schleier verhüllt bleiben und daß man die Ausführung verschiebt, weil die Mittel zum Erfolge fehlen. Man darf also das System des Friedens, welches der Wiener Hof zur Schau trägt, nur den 180 Millionen Talern, die er schuldet, zuschreiben. Sie würden ihn, wenn ein Krieg zustieße, ehe er einen ansehnlichen Teil dieser Summe getilgt hätte, zu einem Bankrott nötigen.“ Und von Kaiser Joseph II., der seit 1765 Mitregent war, heißt es: „Der wird uns munter halten. Wehe denjenigen, die ihn aus den Augen verlieren oder sich in einer falschen Sicherheit wiegen werden.“

157-3 Bestushew.

157-4 Vgl. Bd. III, Kap. II.

157-5 Über Rußland sagt der König im Testament von 1768: „Es ist besser, diesen Staat zum Freunde zu haben als zum Feinde; er kann uns viel Böses tun, und wir können es ihm nicht vergelten.“

157-6 Die Marquise von Pompadour.

158-1 Vgl. Bd. II, S. 40f. und 52.

158-2 Im Mai 1770 bot der König Elsaß-Lothringen dem Wiener Hofe an.

159-1 Georg II. zählte damals 69 Jahre; er starb 1760. Da sein Sohn, Prinz Friedrich Ludwig von Wales, bereits 1751 gestorben war, ging die Thronfolge über auf seinen Enkel Georg III. (geb. 1738).

160-1 Der Thronkandidatur des Prinzen Karl von Lothringen in Polen.

160-2 principe, cap. 15 und 18.

161-1 Über die Erwerbung von Polnisch-Preußen sagt der König im Testament von 1768: „Nachdem man einige Weichselplätze befestigt habe, werde man dann Ostpreußen gegen die Unternehmungen der Russen verteidigen können.“ Er nennt die Polen die elendeste Nation Europas, die ihr Dasein nur durch die Eifersucht der Nachbarmächte weiter friste; denn in Gedanken verschlinge jeder von diesen drei Staaten die Republik und mißgönne dem andern den Teil, welchen derselbe für sich bestimme. „Darum besieht die polnische Anarchie noch. Aber was mir ihre Fortdauer verdächtig macht, das sind die Königswahlen, welche die Russen in diesem Jahrhundert sich angewöhnt haben zu erzwingen, und die Neuerungen, die sie in Polen der alten Verfassung zuwider einführen.“ Er glaubt, daß die übermächtigen Nachbarn am Ende sich über eine TeUung Polens verständigen, vielleicht aber ein geschmälertes Königreich in der Mitte der drei Mächte noch übrig lassen würden. Ja, der Großherr könnte seinen Anteil ebenfalls empfangen, wie man einem Kettenhund einen Bissen Brot hinwirft, um ihn am Bellen zu verhindern. „In bezug auf das polnische Preußen scheint es mir, als werde man das größte Hindernis von seilen Rußlands finden. Es würde vielleicht besser sein, dieses Land durch Unterhandlung stückweise zu gewinnen als durch das Recht der Eroberung. In einem Falle, wo Rußland dringend unseres Beistandes bedürfte, wäre es vielleicht möglich, sich Thorn, Elbing und einen Umkreis abtreten zu lassen, um dadurch die Verbindung von Pommern nach der Weichsel zu erlangen.“ Er meint, Danzig sich bis zuletzt aussparen zu müssen.

162-1 Die Zahl war 1768 auf 154 000 Mann gestiegen. Im Testament jenes Jahres schreibt der König: „Ich arbeite jetzt an einem Plan zur Vermehrung des Heeres. Wenn ich noch einige Jahre lebe, werde ich die Zahl des Heeres auf 166 000 Mann bringen können.“ Und weiter: „Das ist alles, was wir in Friedenszeiten unterhalten können. Der Kriegsfuß muß auf 210 000 Mann gebracht werden.“

162-2 Vgl. S. 152.

162-3 Im Testament von 1768 berechnet der König nach den Erfahrungen des Siebenjährigen Krieges die Kosten eines Feldzugs auf 12 Millionen. Bricht ein Krieg aus, fährt er fort, so muß man sich zuerst Sachsens bemächtigen. Man kann aus diesem lande 5 Millionen an Geld und Lebensmitteln ziehen. Dann muß man jährlich 2 300 000 Taler aus dem großen Schatze nehmen. So kann man acht der härtesten Kriegsjahre aushalten, ohne die Untertanen zu drücken und ohne Schulden zu machen.

163-1 Gemeint sind Viktor Amadeus II. (1680—1730); Karl Emanuel III. (1730—1773).

166-1 Vgl. S. 106.

168-1 Vgl. dazu das militärische Testament von 1768 in Bd. V.

168-2 Die 1748 verfaßten „GeneralPrinzipien vom Kriege“ (vgl. Bd. V), die dem Testament hinzugefügt sind.

168-3 Flavius VegetiusEpitoma rei militaris, Buch I, Kap. I.

168-4 1741—1743. Vgl. Bd. II, S. 128.

168-5 Erbstatthalter Wilhelm III., König von England († 1702).

169-1 Der österreichische Erbfolgelrieg.

170-1 Zwei Kompagnien bildeten eine Schwadron.

170-2 Die in die Stammrolle Eingetragenen.

170-3 Die Patronen mußten vor dem Gebrauch erst abgebissen werden.

171-1 Der Kommandeur führte das Regiment, während der Chef, nach dem das Regiment auch hieß, die Verantwortung für dieses trug.

175-1 Die Bataillonsgeschütze waren unbespannt und wurden von den Kanonieren gezogen. Vgl. Bd. II, S. 49.

175-2 Die Festung wurde am 6. September 1747 von den Franzosen gestürmt.

180-1 Vgl. S. 128.

180-2 Unter Kavallerie sind die Kürassiere zu verstehen; sie hießen auch in der Dienstsprache „Regimenter zu Pferde“.

180-3 Vgl. S. 139.

182-1 Graf Ludwig Wilhelm Münchow, Provinzialminister für Schlesien 1742—1753.

184-1 Jedes Infanterieregiment hatte zwei Grenadierkompagnien; ans ihnen wurden bei Krlegsausbrnch selbständige Bataillone gebildet.

184-2 Wolf Friedrich von Retzow.

184-3 Hier knüpft der König an den Abschnitt „Politische Träumereien“ (S. 160 f.) an.

188-1 Karl Emanuel III. (vgl. E. 163).

193-1 Die „Generalprinzipien vom Kriege“ (vgl. Bd. V).

197-1 Karl Dubislav von Natzmer († 1738). Vgl. für das Folgende S. 161 f.

198-1 Auf Grund des Wittstocker Erbvertrages vom 12. April 1442. Vgl. S. 160.

198-2 Der Große Kurfürst hatte im klevischen Erbvergleich von 1666 mit dem Hause Pfalz-Neuburg den Ansprüchen auf Jülich und Berg entsagt (vgl. Bd. II, S. 3).

200-1 Karl Eugen (geb. 1728), der älteste Sohn Herzog Karl Alexanders († 1737) und der Herzogin Maria Auguste, weilte seit dem 16. Dezember 1741 zur Vollendung seiner Erziehung in Berlin. Er war auf Betreiben des Königs durch kaiserliches Dekret vom 7. Januar 1744 für volljährig erklärt worden (vgl. Bd. II, S. 150). Mit einem eigenhändigen Schreiben vom 6. Februar 1744 stellte Friedrich dem scheidenden Herzog den „Fürstenspiegel“ zu.

201-1 Der Philosoph und Konsistorialpräsident Georg Bernhard Bilfinger († 1750) und der Minister Friedrich August von Hardenberg († 1768).

202-1 Durch den Übertritt des Herzogs Karl Alexander war das württembergische Fürstenhaus katholisch geworden.

202-2 Kaiser Karl VII. Vgl. Bd. II, S. 95 f. 106.128.130.139.149.194.

204-1 Graf Adrian Heinrich Borcke bekleidete von 1751 bis 1764 die Stelle eines Gouverneurs bei dem nachmaligen Könige Friedrich Wilhelm II. (geb. 25. September 1744), dem ältesten Sohne des Prinzen August Wilhelm († 1758) und der Prinzessin luise Amalie, einer Schwester der Königin Elisabeth Christine. Vgl. für das Folgende S. 187 ff.

206-1 Von der Schwedter Nebenlinie des Hauses Brandenburg genoß allein Markgraf Karl die Achtung des Königs.

208-1 Christian Friedrich Gottlieb Behnisch beNeidete von 1773 bis 1781 die Stelle des Erziehers und von 1781 bis 1787 die eines Untergouverneurs bei dem nachmaligen Könige Friedrich Wilhelm III. (geb. 3. August 1770), dem ältesten Sohne des Prinzen von Preußen Friedrich Wilhelm (II.) und der Prinzessin Friederike, geb. Prinzessin von Hessen-Darmstadt. Vgl. für das Folgende S. 187 ff. u. 204 ff.

210-1 Im Jahre 1772.

210-2 Vgl. S. 128.162.

211-1 Während des Türkenkrieges 1768—1774 auf Grund des Allianzvertrages mit Rußland vom 11. April 1764.

211-2 Vgl. S. 162.

211-3 Vgl. S. 123.

211-4 Vgl. S. 162 Anm. 3.

212-1 Vgl. S. 180 f.

212-2 Generalmajor Friedlich Wilhelm von Wartenberg leitete die Bekleidungs, Ausrüstungs- und Ersatzangelegenheiten. Er war der Nachfolger von Massow (vgl. S. 128.180).

213-1 Das 1764 auf 8 Jahre geschlossene Bündnis wurde im Jahre 1769 bis 1780 verlängert.

213-2 Anspielung auf den Sonderfrieden, den England 1762 mit Frankreich zu Fontainebleau schloß und der durch den Pariser Frieden 1763 definitiv bestätigt wurde.

213-3 Vgl. S. 161.

214-1 Vgl. S. 160 und 198.

214-2 Seit Josephs II. Mitregentschaft 1765. Vgl. S. 157 Anm. 2.

214-3 Durch die Verordnungen vom 15. Januar und 11. September 1776.

214-4 Vgl. S. 130.

215-1 Vgl. S. 185.

215-2 7. September 1706.

215-3 13. August 1704 und 16. August 1717.

215-4 11. Oktober 1746.

216-1 Vgl. S. 153.

216-2 Wie Friedrich schreibt: toujours en vedette.

217-1 Im Mai 1781 hatte Kaiser Joseph II. ein Verteidigungsbündnis mit Katharina II. geschlossen. Die preußisch-russische Allianz dauerte nach dem Buchstaben noch bis 1788 fort.

217-2 Österreich und Preußen.

217-3 Maria Feodorowna, die Gemahlin des Großfürsten Paul, war eine württembergische Prinze sin. Ihre jüngste Schwester, Prinzessin Elisabeth, war auf Betreiben Josephs II. mit seinem Neffen, Erzherzog Franz, dem nachmaligen Kaiser Franz I. von Österreich, verlobt. Ende 1781 hatte das großfürstliche Paar den Wiener Hof besucht. Großfürst Paul war ein großer Anhänger Preußens.

218-1 Auf Grund der Verträge über die Erste Teilung Polens hatte der König den Danziger Hafen in Besitz genommen und einen preußischen Zoll eingeführt, dessen Anerkennung Danzig verweigerte.

218-2 Wie der Weichselzoll bildete die Festsetzung des Grenzzugs von Westpreußen eine ständige Streitfrage mit Polen.

218-3 Markgraf Alexander von Ansbach-Bayreuth († 1806) war kinderlos. Österreich fürchtete den Heimfall der Marlgrafentümer an Preußen.

218-4 Im Frieden von Prag (1635) hatte Österreich die Lausitz als böhmisches Mannslehen an Kursachsen abgetreten. Sachsen gehörte seit dem Bayerischen Erbfolgekrieg zu Österreichs Gegnern.

218-5 Friedrich Karl Joseph.

218-6 Im Sommer 1780 war Erzherzog Maximilian, der jüngste Bruder Josephs II., zum Koadjutor von Köln und von Münster gewählt worden.

219-1 Der österreichische Gesandte am pfälzisch-bayerischen Hofe.

219-2 Antiochus IV. (175—163) mußte das von ihm fast ganz eroberte Ägypten auf Verlangen des römischen Gesandten Popilius Laenas räumen.

219-3 Herzog Karl Eugen (vgl. S. 200 ff).

219-4 Franziska von Hohenheim.

219-5 Friedrich August.

219-6 Georg III.

219-7 Ludwig XVI. (1774—1793).

219-8 Maria Antoinette, die jüngste Schwester Kaiser Josephs II.

219-9 Zwischen England und seinen Kolonien in Amerika (1775—1783), mit denen sich die Franzosen 1778 verbündet hatten.

219-10 England.

219-11 Das alte griechische Kaiserreich mit der Hauptstadt Konstantinopel sollte als russische Sekundogenitur unter Konstantin, dem zweiten, 1779 geborenen Sohne des Großfürsten Paul, begründet werden.

219-12 Am 20. März 1782 war das alte Ministerium unter Lord North gestürzt. In ihm erblickte König Friedrich den Fortsetzer und das Werkzeug Lord Butes, dem er den Sonderfrieden von 1762 (vgl. S. 213, Anm. 2) nicht verzeihen konnte.

220-1 Mit den Kolonien in Amerika.

220-2 Die Franzosen.

221-1 Der nachmalige König Friedrich Wilhelm II.

222-1 Vgl. S. 129 und 211.

222-2 Vgl. S. 128 und 210.

222-3 Vgl. S. 218.

222-4 Vgl. S. 162. 211.

223-1 Vgl. S. 211 f.

226-1 Vgl. S. 6.154.

227-1 Für die Bestechlichkeit des englischen Parlaments vgl. auch Bd. II, S. 27 f.

227-2 Die absolute Monarchie.

230-1 Vgl. S. 118 f. 214.

230-2 Anspielung auf Österreich und Frankreich.

231-1 Vgl. S. 185. 215.

233-1 Vgl. S. 122.

233-2 Vgl. S. 147.

234-1 Vgl. V. 139.

238-1 Der obige Aufsatz ist in Form eines Briefes geschrieben, mit dem fingierten Datum: London, 2. April 1770. Er erschien anonym im Verlage des Berliner Buchhändlers Voß unter dem Titel: „Examen de l'Essai sur Ies préjugés. A Londres, chez Nourse libraire, MDCCLXX“.

239-1 Vgl. S. 61.75.76.

246-1 Vgl. S. 16.

248-1 Anspielung auf den Konföderationskrieg, den die in der Konföderation von Bar (1768) vereinigten polnischen Katholiken gegen die von den Russen unterstützten Dissidenten führten und den König Friedrich zum Gegenstand eines satirischen Epos (vgl. Bd. IX) gemacht hat.

248-2 Gemeint sind die Kämpfe Karls XII. von Schweden mit König August II. von Polen, die mit dessen Absetzung und der Erhebung von Stanislaus Leszczynski auf den polnischen Thron (vgl. S. 14) endeten, und der Polnische Erbfolgekrieg (1733-1735). -

248-3 Der Abbe Saint,Pierre (1658—1743) war der Verfasser des vielberufenen Werkes „Plan eines ewigen Friedens“, das 1713 erschien.

249-1 Stanislaus Leszczynki.

249-2 Vgl. S. 14.

249-3 Vgl. Bd. II, S. 5.

250-1 Obwohl England bereits im Sommer 1755 die Feindseligleiten gegen Frankreich in Nordamerila eröffnet hatte, erwiderte Frankreich diese erst im Frühjahr 1756.

250-2 Anmerkung des Königs. Dieser Abschnitt stammt von einem Soldaten, den das Schweigen seiner Kameraden empört. Dies Schweigen soll den Philosophen nicht als stumme Zustimmung zu den Albernheiten gelten, die sie seit einiger Zeit den Soldaten zu sagen belieben.

251-1 Gustav Adolf, König von Schweden (1594—1632).

251-2 Graf Moritz von Sachsen, Marschall von Frankreich (1696—1750).

252-1 Der heiligen Liga, die sich 1585 gegen König Heinrich III. bildete (vgl. S. 24).

252-2 König Johann II., der Gute, von Frankreich wurde 1356 von den Engländern bei Maupertuis besiegt und gefangen: er blieb vier Jahr lang in englischer Haft.

252-3 Nach der Schlacht bei Pavia (1525).

254-1 Durch Errichtung einer Notenbank (vgl. Bd. II, S. 24).

256-1 Der französische Philosoph Cesar Chesneau du Marsais (1676—1756) galt anfangs als Verfasser der Abhandlung „Über die Vorurteile“, die 1769 veröffentlicht wurde.

256-2 Fenelon (vgl. S. 26).

256-3 Der Herzog von Nivernais, der sich auch dichterisch und schriftstellerisch betätigte, hatte sich die persönliche Hochschätzung König Friedrichs erworben, als er zu Beginn des Jahres 1756 in außerordentlicher politischer Mission am Berliner Hofe wellte (vgl. Bd. III, Kap. 3).

256-4 Vgl. S. 33.

256-5 Berüchtigter Straßenränder, 1755 in Paris hingerichtet.

260-1 Juno hatte sich in eine Wolke verwandelt; Ixion zeugte mit ihr die Zentauren.

260-2 Johann Turberville Needham, englischer Physiker (1713—1781).

262-1 Jacques Auguste de Thou († 1617), französischer Staatsmann und Geschichtsschreiber.

262-2 Der Mörder König Heinrichs IV. von Frankreich.

262-3 Die Arminianer vertraten die freiere Richtung nnerhalb der reformierten Kirche in den Niederlanden.

264-1 Vielmehr Cyniscus in Lucians Dialog: „Der überführte Jupiter“.

264-2 Des Lehrgedichts: De rerum natura.

265-1 Vgl. S. 238 ff.

266-1 Jean Gondi, Kardinal von Reh, war das Haupt der Fronde (vgl. S. 18).

267-1 Franz Michael le Tellier, Marquis Louvois, der Kriegsminister Ludwigs XIV.

273-1 Das undatierte Schreiben trägt den Eingangsvermerk: 7. März 1741. Der König befand sich Anfang März in Schweidnitz.

273-2 Charakteristik der politischen Verhandlungen an den Höfen von London, Petersburg, Paris und München, im Haag, in Kopenhagen und Dresden.

273-3 Anspielung auf den Überfall bei Baumgarten am 27. Februar 1741 (vgl. Bd. II, S. 70).

273-4 Prinz August Wilhelm, der präsumptive Thronfolger.

274-1 Freiherr Johann Georg Wenzel von Knobelsdorff, der Freund des Königs und Surintendant der königlichen Schlösser.

274-2 Wohl eine Verwechslung mit dem sogenannten Grab der Horatier bei Albano.

275-1 Am Vorabend der Schlacht bei Mollwitz, die für den 9. April geplant war, aber wegen Schneegestöbers an diesem Tage auf den 10. verschoben wurde (vgl. Bd. II, S. 73).

275-2 August Friedrich Eichel (vgl. S. 155) und Elias Schumacher, die Kabinettsselretäre des Königs.

275-3 Die Obersten und Generaladjutanten Dietrich von Keyserling!, Graf Leopold Alexander Wartensleben, Graf Hans Christoph Friedrich Hase und Charles Etienne Jordan, der Sekretär und literarische Berater des Königs.

275-4 Michael Gabriel Fredersdorf, Geheimer Kämmerier.

277-1 Johann Moritz von Nassau-Siegen († 1679).

277-2 Vgl. S. 129 f.

278-1 Von Rubens ein allegorisches Bild und van Dycks „Spielende Kinder“.

278-2 Markgräfin Friederike † 1784), Gemahlin des Markgrafen Karl Wilhelm Friedrich.

278-3 Herzogin Charlotte († 1801), Gemahlin Herzog Karls.

278-4 Markgräfin Sophie (s 1765), Gemahlin des Markgrafen Friedrich Wilhelm.

278-5 Die Geringfügigkeit dieses Legates fällt um so mehr auf, als der jüngste Bruder, Prinz Ferdinand, so reichlich bedacht ist; sie erklärt sich aus der Spannung, die zwischen dem König und dem Prinzen Heinrich damals herrschte.

278-6 Königin Ulrike († 1782), Gemahlin König Adolf Friedrichs.

278-7 Prinzessin Amalie starb unvermählt 1787.

278-8 Prinz Ferdinand stand von 1740 bis 1766 in preußischen Diensten; während des Siebenjährigen Krieges führte er die alliierte Armee auf dem westlichen Kriegsschauplatz.

279-1 Vgl. S. 155.

279-2 Das Königsregiment, dessen I. Bataillon als Leibgarde, dessen II. und III. Bataillon als Regiment Garde bezeichnet wurden. Das weiter unten genannte Grenadier-Garde, Bataillon Retzow enthielt die Reste des 1740 von König Friedrich aufgelösten Königsregiments seines Vaters, der sogenannten Potsdamer Riesengarde.

282-1 Prinz August Wilhelm.

283-1 Vgl. S. 276.

283-2 Prinz August Wilhelm.

283-3 Vom 11. Januar 1752 (vgl. S. 276ff.).

283-4 Moritz Franz Kasimir von Wobersnow; Hans Friedrich von Krusemarck; Karl Friedrich von Oppen; Freiherr Rupert Scipio Lentulus.

283-5 Hinweis auf das formlose testamentum militis des Römischen Rechtes.

284-1 Der obige Brief an Prinz Heinrich in Sachsen ist geschrieben vor dem Aufbruch des Königs aus Schlesien zum Marsch gegen die Russen. Friedrich vereinigte sich am 21. August 1758 mit dem Korps des Grafen Dohna, das bisher in Pommern gekämpft hatte, und schlug am 25. die Russen bei Zorndorf.

284-2 Friedrich Wilhelm, der älteste Sohn des am 12. Juni 1758 gestorbenen Prinzen August Wilhelm und präsumptive Thronfolger (vgl. S.204).

284-3 Der König hatte 51 Bataillone und 75 Schwadronen in Schlesien zurückgelassen.

284-4 Marquis Karl de Ville de Canon, österreichischer Generalfeldzeugmeister.

285-1 Am 11. April 1758 hatte der König einen Subsidienvertrag mit England geschlossen.

285-2 Tschicherzig, südlich von Züllichau.

285-3 Die Ordre erging in deutscher Sprache.

285-4 Hier folgen Weisungen für die militärischen Operationen nach der Schlacht.

286-1 Vgl. S. 276.

287-1 Vgl. S. 277.

287-2 August Wilhelm, der Vater des Prinzen, war am 12. Juni 1758 gestorben.

287-3 Elisabeth Christine Ulrike, geb. Prinzessin von Braunschweig-Wolfenbüttel, am 21. April 1769 von dem Prinzen von Preußen geschieden; er vermählte sich am 14. Juli 1769 mit Prinzessin Friederike von Hessen-Darmstadt.

288-1 Vgl. S. 277.

288-2 Vgl. S. 129f.

288-3 Vgl. S. 278.

288-4 Vermählt am 25. Juni 1752; seit Ende 1766 lebte sie von dem Prinzen getrennt; sie starb 1808.

289-1 Das von dem Grafen Algarotti († 1764) dem Könige vermachte Gemälde stellt eine Bäuerin am Fenster dar, die den Kopf auf ihren rechten Arm stützt.

289-2 Prinzessin Luise, eine Tochter der Markgräfin Sophie von Schwebt, der Schwester des Königs.

289-3 Wilhelmine, die Tochter des Prinzen August Wilhelm, hatte 1767 den Prinzen Wilhelm V. von Oranien, Erbstatthalter der Niederlande, geheiratet.

289-4 Elisabeth Friederike Sophie, Gemahlin des Herzogs Karl Eugen (vgl. S. 200) und Tochter der Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth.

289-5 Alexander, Sohn der Markgräfin Friederike, seit 1757 regierender Markgraf.

289-6 Karl Wilhelm Ferdinand, Sohn der Herzogin Charlotte. Die beiden folgenden, Friedrich und WUHelm, sind seine Brüder.

289-7 Dorothea, Tochter der Markgräfin Sophie von Schwedt und Gemahlin des Prinzen Friedrich Eugen von Württemberg, der von 1749 bis 1769 in preußischen Diensten stand.

289-8 Tochter der Schwester des Königs, der Marlgräfin Sophie; sie heiratete 1773 den Landgrafen Friedrich II. von Hessen-Kassel.

290-1 Vgl. S. 278.

290-2 Das frühere Grenadier-Garde-Bataillon Retzow (vgl. S. 279).