<269> bringst. Fällt die Ehrfurcht und der kindliche Gehorsam gegen Deinen Vater Dir nicht schwer, wenn Du seinem Willen nachkommen mußt?
Antwort: Ohne Zweifel kostet mich das Gehorchen manchmal Überwindung. Aber kann ich je dankbar genug gegen die sein, die mir das Leben geschenkt haben? Und gebietet mir mein eigner Vorteil nicht, meinen Kindern selbst ein Vorbild zu sein, damit sie sich meinem Willen ebenso unterwerfen?
Frage: Gegen Deine Gründe ist nichts einzuwenden, ich sage also nichts mehr über diesen Gegenstand. Wie aber wahrst Du die Einigkeit mit Deinen Geschwistern, wenn Familienangelegenheiten oder Erbschaftsstreitigkeiten Euch entzweien, wie es so häufig vorkommt?
Antwort: Glaubst Du denn, die Bande des Blutes seien so schwach, daß sie nicht gegen vergänglichen Eigennutz standhielten? Hat unser Vater ein Testament gemacht, so geziemt es uns, seinem letzten Willen zu gehorchen. Ist er ohne Testament gestorben, so haben wir zur Schlichtung unsrer Zwistigkeiten die Gesetze. Aus nichts kann mir also bedeutender Schaden erwachsen. Ja, selbst wenn mich wütendster Neid und wildeste Streitsucht befielen, ich müßte doch einsehen, daß ein Prozeß den größten Teil unsres Erbes verschlingen würde. Also vergleiche ich mich lieber in Güte, und unsre Familie wird nicht durch Zwietracht zerrissen.
Frage: Ich will glauben, daß Du verständig genug bist, um nicht selbst Anlaß zu Familienzwist zu geben. Aber das Unrecht kann ja von Deinen Geschwistern kommen. Sie können Dir übel mitspielen, Dich beneiden, in ehrenrühriger Weise von Dir reden, Dir Unannehmlichkeiten bereiten, wohl gar an Deinem Untergang arbeiten. Wie bringst Du dann Deine Pflichtstrenge mit dem Vorteil für Dein Glück in Einklang?
Antwort: Sobald ich die erste Entrüstung über ihr Benehmen bezwungen hätte, würde ich meinen Ruhm darein setzen, lieber der Beleidigte als der Beleidiger zu sein. Dann würde ich mit ihnen reden. Ich würde ihnen sagen, daß ich das Blut meiner Eltern in ihnen achtete und deshalb gegen sie nicht wie gegen erklärte Feinde zu handeln vermöchte. Wohl aber würde ich Vorkehrungen treffen, daß sie mir nicht schaden könnten. Solch hochherziges Verfahren würde sie zur Vernunft bringen. Geschähe das aber nicht, so hätte ich doch den Trost, daß ich mir keine Vorwürfe zu machen brauche; und da mein Benehmen den Beifall aller Verständigen finden muß, so würde ich mich hinreichend belohnt fühlen.
Frage: Was nützt Dir aber diese Großmut?
Antwort: Mir das Kostbarste, was ich aus Erden habe, zu bewahren, einen fleckenlosen Ruf, auf den ich mein ganzes Glück baue.
Frage: Welches Glück kann in der Meinung der Menschen liegen?