<311> Meine Laufbahn geht zu Ende. Ich werde diese glücklichen Zeiten nicht mehr erleben. Gern hätte ich zu ihrer Heraufkunft beigetragen. Aber was vermag ein Mensch, der zwei Drittel seines Daseins von steten Kriegen geplagt wird, der die Wunden heilen muß, die sie geschlagen haben, und dessen allzu mäßige Begabung für so große Dinge nicht ausreicht? Unsre Philosophie stammt von Epikur. Gassend1, Newton und Locke haben sie berichtigt; ich rechne es mir zur Ehre an, ihr Schüler zu sein — aber nicht mehr.
Der König an d'Alembert
(6. Januar 1781)
Um Ihnen einen Beweis meiner Seelenruhe zu geben, sende ich Ihnen eine kleine Schrift2, deren Zweck ist, die Fehler der deutschen Literatur und die Mittel zu ihrer Verbesserung anzugeben. Grimm3, ein geborener Deutscher, kann Sie über die deutsche Sprache informieren. Sie haben sie nicht gelernt, und bisher lohnte sich das auch nicht; denn eine Sprache verdient nur wegen der guten Schriftsteller er, lernt zu werden, die ihr zur Zierde gereichen, und daran fehlt es uns völlig. Aber vielleicht werden sie eines Tages erscheinen, wenn ich im Elysium herumspaziere, wo ich dem Schwan von Mantua4 die Idyllen eines Deutschen namens Geßner und Gellerts Fabeln 5 darbringen werde. Sie werden mich auslachen, well ich mich bemüht habe, einem Volke, das sich bisher auf nichts verstanden hat als aufs Essen, Trinken, Lieben und Kämpfen, einige Begriffe von Geschmack und attischem Salz beizubringen. Trotzdem wünscht man sich nützlich zu machen. Oft treibt ein Wort, das in fruchtbares Erdreich fällt, Keime und trägt unverhoffte Früchte.
Der König an d'Alembert
(24. Februar 1781)
Die Schrift, die ich Ihnen übersandte, ist das Wert eines dilettante6, dem der Ruhm seines Volkes am Herzen liegt und der wünscht, daß es sich in der Literatur ebenso vervollkommne, wie die Nachbarvölker es seit einigen Jahrhunderten getan
1 Vgl. S. 163.
2 Die Abhandlung „Über die deutsche Literatur“ (vgl. S. 74 ff.).
3 Friedrich Melchior Grimm (1723—1807), der bekannte Mitarbeiter an der Enzyklopädie und Herausgeber der „Correspondance littéraire, philosophique et critique“, die eine vollständige Geschichte der französischen Literatur in den Jahren 1753 bis 1790 bildet.
4 Virgil.
5 Vgl. S. 308.
6 Das italienische Wort dilettante deckt sich nicht völlig mit unsrem Lehnwort, sondern bedeutet Kunstliebhaber.