<71>sächlich gegen die Poesie spricht. Um zu beweisen, daß die Poesie nur eine seichte Kurzweil sei, müßte jeder Mensch auf Erden in einem bestimmten Alter den Geschmack an der Poesie verlieren, wie die Kinder ihre Puppen nicht mehr mögen, ohne daß ein äußeres Motiv hinzuträte. Wenn es aber in Pais ein paar faselnde Greise, Misanthropen, Hypochonder, Kranke, Gelähmte und Schlagflüssige gibt: was beweist das? Doch nur, daß ein kranker und grämlicher Greis die Freuden seiner Jugend nicht mehr zu genießen vermag! Wenn ein Pascal, ein Malebranche die Poesie nicht liebten und beide großen Männer sie wie Dummköpfe beurteilten, so beweist das doch nur, daß man Unsinn redet, wenn man seine Sache nicht versieht, und daß es eine große Lehre für die Menge, ja selbst für die Philosophen ist, sich über alles zu unterrichten, bevor man urteilt. Uns ist es daher sehr recht, wenn alle Greise, die ihre seelische Spannkraft eingebüßt haben, keine Verse mehr lesen und Mathe, matiker werden.
Unser Gesetzgeber scheint bisweilen milder zu werden. Racine findet Gnade vor ihm; aber warum behandelt er die guten Stücke von Corneille nicht ebenso, und Boileau, den wahren Gesetzgeber des Parnasses, und Rousseau, den französischen Horaz? La Fontaine scheint mehr zu taugen als die übrigen. Aber hier enthüllen sich wieder die unheilvollen Absichten der Mathematiker. Nachdem sie mathematisch sirenge Gesetze erlassen haben, verfallen sie darauf, La Fontaines liebenswürdige Nachlässigkeit als Muster hinzustellen. Die Dialektik der Algebraiker ist fürwahr unverständlich für uns arme Poeten, die wir nach den gewöhnlichen Regeln der Logik denken.
Doch zitieren wir ihre eignen Worte: „Der Geist will vom Dichter stets ergötzt werden, will aber zugleich ausruhen können. Das findet er bei La Fontaine, dessen Nachlässigkeit ihren eignen Reiz hat, um so mehr, als sein Gegenstand es erfordert.“ So ruht sich der Geist der Mathematiler in den Nachlässigkeiten der Dichter aus, und es gibt Gegenstände, die nachlässige Dichter erfordern! Das nenne ich philosophische Urteile! Es ist klar, daß die Herren uns zum besten haben und auf dem Parnaß nur regieren wollen, um dort alles in Aufruhr zu versetzen und auf den Kopf zu stellen. Langweilen sie sich bei VirgU, so geschieht es, um ihn anzuschwärzen und uns weiszumachen, daß sein Ruf sich nur auf ein Vorurteil der Schulweisheit gründet. Loben sie Tasso, so geschieht es, weil es, nachdem Virgil abgefertigt ist, nur zweier Federstriche bedarf, um Tassos Abgeschmacktheiten an den Tag zu legen und ihm gleichfalls den Garaus zu machen. Und wenn es keine Dichtung mehr gibt, wird sich die Welt mit Kurven aller Art die Zeit vertreiben. Die Damen werden bei ihrer Toilette das Vorrücken der Tag- und Nachtgleiche berechnen. Das Boudoirgeplauder wird sich um Einfalls- und Reflexionswinkel, Kegelschnitte und alle Algebra der Welt drehen. Trotzdem wage ich unsren kurvenzeichnenden Gesetzgebern vorherzusagen, daß diese glückliche Zeit nie kommen, oder wenn sie kommt, nicht lange währen wird. Als Bürger des Weltenraumes kennen sie die Menschen nicht. Man