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Hirtenbrief Sr. Hochwurden des Bischofs von Aix, worin die gottlosen Werke des p. p. Marquis d'Argens verdammt werden und auf seine Verbannung aus dem Königreiche erkannt wird (1766)132-1

Johann Baptist Antonius de Brancas, durch Gottes Barmherzigkeit und die Gnade des Heiligen Stuhles Bischof von Aix, entbietet Heil und Segen allen Gläubigen unsrer Diözese.

Christus, liebe Brüder, hat gesagt: „Es werden sich unter Euch erheben falsche Christi und Propheten; denen sollt Ihr nicht glauben.“132-2 Der große Apostel der Heiden sagt an andrer Stelle: „In den letzten Zeiten wird Gott kräftige Irrtümer senden, die die Gemeinde verführen.“132-3 Dünkt es Euch nicht, liebe Brüder, daß wir in dem Jahrhundert leben, das die Heilige Schrift so deutlich bezeichnet? Geht diese unselige Weissagung in unsren Tagen nicht offenbar in Erfüllung? Ich brauche Euch nicht erst zu erklären, welchen Sinn erleuchtete Schriftsteller den Worten falsche Propheten, falsche Christi, kräftige Irrtümer zuschreiben. Es sind jene reißen, den Wölfe, die mit blutdürstigen Zähnen in den Schafstall des Herrn einbrechen wollen. Es sind jene verderbten Seelen, jene Geister der Finsternis, die ihren traurigen Trost darin finden, sich Genossen bei den unaussprechlichen Qualen zu werben, die sie selbst leiden. Sie zeigen sich unter verschiedenen Namen und Bezeichnungen: strenge Mathematiker, die mit ihrem Zirkel die Welt ausgemessen haben wollen und unsre heiligen Lehren ihren eitlen Formeln und Wahrscheinlichkeitsrechnungen unterwerfen möchten, dreiste Enzyklopädisten, die alle Tiefe des Geistes verloren haben,<133> weil sie seine Oberfläche zu weit ausdehnten, philosophische Schwärmer, die die Kirche frech beschimpfen, um den Beifall der Ungläubigen und Gottlosen zu ernten. Das, meine Freunde, sind die gefährlichen Feinde, die uns bedrohen!

In früheren Zeiten widerstanden fromme Monarchen den Werkzeugen, mit denen der Böse die Menschen verdirbt, und bestraften sie sireng. In den Städten waren heilige Blutgerüste errichtet, auf denen die Feinde Gottes den gerechten Lohn ihrer Auflehnung empfingen. Seit aber ein unseliger und verdammenswerter Geist der Toleranz oder besser der Lauheit im Rate der Fürsten herrscht, ersieht die Ketzerei aus ihrer Asche auf. Irrtümer werden verbreitet, Gottesleugner kommen zu Ansehen, und der wahre Gottesdienst geht zugrunde und verschwindet. Da der Unglaube durch nichts mehr gezügelt wird, so erhebt er, von Hochmut geschwollen, die freche Stirn und untergräbt schon ganz offen die Grundmauern unsrer Tempel und Altäre. Es scheint, als machten die verbündeten Mächte der Hölle ihre letzte Anstrengung, um den Thron des fieckenlosen Lammes zu stürzen und zu zerstören.

Und welcher Waffen bedient sich der Feind des Menschengeschlechts im Kampf gegen uns? Der Vernunft. Ja, der Vernunft, liebe Brüder. Sie setzen die menschliche Vernunft der göttlichen Offenbarung entgegen, die Weisheit der Philosophie der Torheit des Kreuzes, Lehrsätze des Verstandes den Offenbarungen, physikalische Entdeckungen den erhabenen Wundern, ihre abgefeimte Bosheit der evangelischen Einfalt und ihre Eigenliebe der priesterlichen Demut. Ein Schwindelgeist hat sie ergriffen, also daß G otteslästerungen in ihrem Munde zu Scherzen werden, daß die göttlichen Mysterien, auf jede Weise angegriffen, als widersinnig erwiesen und lächerlich gemacht werden.

Aber der Ewige hält in seiner Hand noch den Blitz, mit dem er die aufrührerischen Engel in den Abgrund der Qualen stürzte. Er ist bereit> die gleichen Pfeile mit rächender Hand gegen jene zu schleudern. Was sage ich, liebe Brüder? Er hat sie schon gegen uns geschleudert. Betrachtet die Fülle der Plagen, die er auf unsre Häupter herabsendet. Erinnert Euch der Verwüstungen jenes wilden Tieres, dessen gierige Kehle unaufhörlich Menschenblut schlürfte und dessen Raserei nur die Entvölkerung unsrer Provinz zu stillen vermöchte. Ja, das Ungeheuer hatte nicht genug daran, seine Wut an den Landbewohnern auszulassen; es trieb auch unsre Verteidiger in die Flucht, jene Helden, jene Dragoner, deren Ruhm bis ins Herz von Deutschland und in die fernen Länder gedrungen ist, in die wir unsre Waffen getragen haben. Ach, liebe Brüder, ist das Zeichen Gottes Euch noch zweifelhaft? Zeigt es Euch nicht, daß Ihr den Feind Eures HeUs in Eure Häuser und an Euren Herd aufgenommen habt?

Aber Gott läßt es nicht bei diesen handgreiflichen Warnungen bewenden. Er stört den Lauf der Natur, kehrt die Ordnung der Jahreszeiten um, schickt uns hyperboräische Winde, die unsre Felder ausdörren und unsre Flüsse gefrieren lassen. Die Rhone vereist. Die Kälte erstarrt und verstümmelt die Glieder der unglücklichen Wanderer, und die verdünnte Luft, in der man nicht mehr atmen kann, läßt sie ersticken. Angesichts dieser schrecklichen Schauspiele wird unser Innerstes von Mitleid<134> gegen unsre Brüder ergriffen, und gerechte Furcht läßt uns für uns selbst das gleiche unselige Schicksal befürchten. Aber das ist noch nicht alles! Die bisher blühenden Hügel, deren dankbaren Boden fleißige Hände bestellten, die Weinberge und Ölbäume, der Quell und die Ursache unsres Wohlstands, sind von der rauhen Witterung zerstört und fortan unfruchtbar, wie der Feigenbaum im Evangelium, der verflucht ward, keine Früchte zu tragen.

Das sind die starken Zeichen, die der Ewige sendet, um den Völkern seinen göttlichen Willen kundzutun. Ein wildes Tier, das die Menschen verschlingt, das ist der Feind Eures Heils, der Eure Seelen in ewiges Verderben zu stürzen sucht. Strenger Frost, der die Glieder erstarren läßt und Elende ins Grab wirft, das sind die Werke der Ungläubigen, durch die der Glaube der Frommen erkaltet, erstarrt und erlischt. Die verdorrten Ölbäume, das sind die Unglücklichen, die vom Irrtum verderbt, keine Früchte der Gerechtigkeit und Helligkeit mehr tragen werden.

Daß doch der Schleier, der Eure Augen bedeckt, abfiele und zerrisse! Hephata, daß der Blinde wieder sehe134-1! Wisset, liebe Brüder, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs zürnt Euch, wie er einst seinem Volke gezürnt hat, da die Stadt seines Tempels entweiht ward und verruchte Greuel an der heiligen Stätte herrschten. Ja, solche Greuel sind auch mitten unter uns. Der Gifthauch eines Ungeheuers verpestet unsre reine Luft; er erregt den Zorn Gottes und lenkt ihn auf uns. Wie der gottlose Ahab alle Geißeln, die ihn trafen, auf sein Geschlecht brachte, so bringt dieser Höllenbrand alle Plagen auf uns. Ein Mensch ist gekommen, mit unendlicher Geschmeidigkeit des Geistes und tiefer Boshaftigkeit, die durch die Philosophie noch listiger ward. Durch hartnäckigen Unglauben und mit Hilfe eines verführerischen Geistes hat er sich zum Feinde der Sache Gottes aufgeworfen. Wie ein neuer Proteus verwandelt er sich und nimmt immerfort neue Gestalt an. Bald als Jude, bald als Chinese, bald wie ein Eingeweihter der Kabbala, speit er seine schrecklichen Gotteslästerungen aus. Dann läßt er unter der Maske eines Kommentators den Okellos und Timäus von Lokri anstößige Dinge sagen und schreiben, an die sie niemals gedacht haben134-2. Eben dieser Mensch ist jetzt von den nordischen Ländern ausgespieen, aus dem tiefsten Preußen, wo Unglaube und Afterphilosophie ihren Sitz aufgeschlagen haben. Er ist mitten unter uns und spannt gleich dem Feinde des Menschengeschlechts allerorten seine Netze, auf daß seine Beute in die Schlingen falle, die er ihr gestellt hat.

Gott sprach zu seinem Volke: „Brechet jeden Bund mit den Gottlosen, oder ich breche meinen Bund mit Euch und Euren Kindern. Rottet die Tempelschänder und<135> Abgöttischen aus“ (d. h. die Philosophen). Die gleichen Worte richte ich an Euch, liebe Brüder. Duldet den Feind des Heiles nicht unter Euch! Laßt ferne Länder sein zwischen Euch und dem, der Euren Glauben untergraben will! Mauern sollen Euch trennen von dem Gefährten Belials, von dem Bruder des Geistes der Finsternis, dem Sohne Luzifers, der in den Abgründen der Qualen brüllt, und von den Leiden, die er den Kindern der Kirche zufügen kann. Oder besser: waffnet Eure Arme wie jene tapfren Leviten, die heiligen Mörder, die ihre Brüder in der Wüste erschlugen! Reinigt die Schlösser d'Argens und Eguilles vom Anblick des Unreinen, der sie besudelt! Rottet aus der Zahl der Lebenden jenen Geist aus, der sich gegen die Kirche empört. Ihr sollt für die Kirche kämpfen! Streiter des lebendigen Gottes, Ihr sollt seine Sache schützen! Dann wird dies glückliche Land wieder schöne Tage sehen, die Ungeheuer werden verschwinden, die Jahreszeiten ihren rechten Gang gehen, und dies geliebte Volk, mit dem Schilde des Glaubens bewehrt, wird geschützt sein vor den vergifteten Pfeilen, die der Unglaube zu seinem Verderben abschießt. Das Opfer eines Strafwürdigen wird den Zorn des Himmels besänftigen. Nach diesem heiligen und heilbringenden Gericht werden wir mit dem Ewigen wieder versöhnt sein und ihm Loblieder singen in der Einfalt unsres Herzens und dem frommen Unverstand unsres Geistes. Dann können wir in vollkommener Blindheit seine unfaßlichen Geheimnisse im Geist und im Glauben anbeten. Die wilden Tiere werden vor unsrem Eifer zurückweichen; die Hyänen werden vom Weihwasser verscheucht werden. Unser lebendiger und brünstiger Glaube wird den Winter mildern, Berge versetzen und unsre Ölbäume wieder ausschlagen lassen. Schon räumen die kalten Nordwinde dem sanften Zephyr das Feld. Die Bäume grünen, und ihr stolzer Wipfel bedeckt sich mit Früchten. Die Verheißungen, die der Ewige seinen Kindern gibt, gehen schon in Erfüllung. Er wird Euch mit seinen Gaben überschütten. Eure Keller werden voller Öl und Eure Kelter voll Wein sein. Ihr werdet das Fleisch Eurer Feinde essen, und Eure zahlreichen Kinder werden Euren Tisch umgeben wie die zarten Weinreben, die in unsren fruchtbaren Gefilden sich zu Lauben zusammenschließen.

Zuletzt, liebe Brüder, beschwöre ich Euch bei der tiefsten Barmherzigkeit Gottes, mit Eifer und frommer Tatkraft zur Verfolgung des Gottlosen zu schreiten, dessen Ausrottung das Ende unsrer Plagen und den Segen des Himmels herbeiführen wird. Die Kirche ist ein unerschütterlicher Fels, an dem sich die Wogen des Irrtums ohnmächtig brechen. Klammert Euch, liebe Brüder, an diesen Fels, diese sichre Freistatt, und Euer siegreicher Glaube wird die verwegene Philosophie und die hoffärtige Vernunft zu seinen Füßen hingestreckt sehen.

Ihr seid unsre Herde und wir Euer Hirt. Als solcher haben wir die Pflicht, Euch zu warnen und Euch die Werke der Ungerechtigkeit anzuzeigen, die sich verbreiten, die schwarzen Dünste, die aus dem Pfuhl des Abgrunds aufsteigen und Verderben und ewigen Tod hauchen. Darum verbieten wir jedermann in unsrer Diözese bei<136> gesetzlicher Strafe das Lesen und Besitzen folgender Bücher: „Jüdische, chinesische, kabbalistische Briefe“, „Philosophie des gesunden Menschenverstandes“, „Kommentar zu Okellos und Timäus von Lokri“, „Leben des Kaisers Julian“, welche Bücher durch Männer von erprobter Frömmigkeit geprüft und allenthalben voll falscher und ketzerischer Behauptungen befunden worden sind, die fromme Ohren beleidigen und anstößig und gotteslästerlich sind. Den Verfasser tun wir in den Bann zur Rotte Korahs, Dathans und Abirams136-1 und wollen, daß dieser Hirtenbrief in den Kirchen der Städte und Vorstädte unsrer Diözese bei der Predigt in den Parochialmessen verlesen wird.

Gegeben zu Aix in Unsrem bischöflichen Paläste, am 15. März 1766.

Antonius de Brancas,
Bischof von Provence.


132-1 Nach dem Vorbild von Voltaires „Mandement du révérendissime père en Dieu, Alexis, archevêque de Novogorod la Grande“ verfaßte König Friedrich im Frühjahr 1766 den obigen „Hirtenbrief“, um seinen Freund Jean Baptist de Boyer, Marquis d'Argens (1704—1771), der im September 1764 in seine Heimatstadt Air in der Provence gereist war, zur Rücklehr nach Potsdam zu bestimmen. Daher sieht auch in der Überschrift statt Erzbischof Bischof von Aix, um anzudeuten, daß es sich nur um ein fingiertes Schriftstück handelt.

132-2 Nach Markus XIII, Vers 21 f., Lukas XXI, Vers 8.

132-3 Nach II. Thessalonicher II, Vers II.

134-1 Markus VII, Vers 34.

134-2 D'Argens war Verfasser der „Lettres chinoises“ (1739), „Lettres cabalistiques“ (1741), „Lettres juives“ (1742), der „Philosophie du bon sens“ (1737). Ferner gab er in Übersetzung und mit Kommentar heraus: „Ocellus Lucanus, Sur I'univers“ (1762), „Timée de Locres, Traité de la nature et I'âme du monde“ (1763) und die „Défense du par l'empereur Julien“ (1764).

136-1 4. Buch Moses, Kap. XVI.