<108>Ohnmächtig sind sie nur, nicht maßvoll!
Die Leidenschaften schwanden — mit ihnen
Die Wunder, die einst dem Verliebten erschienen;
Die Sinne sind
Wie taub und wie blind,
Und wenn uns in die Augen fällt
Das Allerholdeste von der Welt,
So ist's, als wenn ein Lustschloß sich
Im Wasser spiegelt: jede Welle
Verlöscht und raubt uns auf der Stelle
Das Bild, wenn sie vorüberstrich.
So wenig hat's Bestand und Halt!
Ja, seht ihr, ist der Mensch erst alt,
So sind des Lebens süßeste Wonnen
Zerronnen.

So laßt uns genießen, ich bin dabei,
Aber den Kopf behalten wir ftei!
Sweerts, und ich sag Euch, am besten ist dran,
Wer sich glücklich davonmachen kann,
Den Hirtenstab wieder zuhanden nimmt
Und fort, zu seinen Gärten, nur fort,
Seinem Wald, seinem Zufluchtsort —
Nachdem er just auf der Szene dort
Durch Muttertränen umgestimmt
Im Lager gesehn den Coriolan;
Oder vorm ganzen Heeresbann
Der Griechen die traurige Königsmaid,1
Am Opferaltar schon zu sterben bereit,
Gerettet im letzten Augenblicke!
All dieser Glanz, dies Brimborium
Macht Euch zuletzt ganz taub und dumm,
Zerreißt Euch in Stücke
Seele und Sinn!

Ich bitt' Euch, Baron, wo soll das hin:
Was bin ich verdammt, für ein Leben zu führen,
Eine Irrfahrt ist es, ein Vagabundieren!


1 Anspielung auf die von Graun 1748 und 1749 komponierten Opern „Iphigenie in Aulis“ und „Coriolan“, für die der König selbst den Text verfaßt hatte.