<128>Dann taumelt auch der Geist dir und kennt sich selber nicht.
Wenn aus geschlagner Vene Hochauf der Blutquell bricht,
Ist alles überwunden, aufatmen deine Lungen,
Dann lehrt dein Geist auch heimwärts von seinen Wanderungen.
Sieh hier den Bachusjünger, welch blödes Zeug er lallt;
So leidet von dem Weine der Menschengeist Gewalt!
Ein Ohnmachtanfall löst nicht die Spannkraft nur der Glieder:
Das Denken stockt, die Seele, sie liegt wie tot danieder,
Bis daß die Lähmung schwindet; da öffnet sich der Blick,
Nach kurzem Tode kehrt auch die Seele neu zurück.
Vernunft, armselig Flämmchen! Ein Nichts sie löschen kann:
Im Hirn ein Blutgerinnsel, so ist's um sie getan.
Der Geist, sich zu betät'gen, braucht die Organe all
Des Erdenleibs; was wär' ihm Gefühl, Erscheinung, Schall,
Wär' er des seinen Werkzeugs der Leibessinne bar?
Kein Denken, Furcht und Freude, nähm' er die Welt nicht wahr!
Löst dies Atom, unsterblich, die stofflose Substanz,
Einmal von seinem Körper und seinen Sinnen ganz
Was bleibt dann noch? Ein Wortklang, ein Name, anspruchsvoll,
Ein Wahngebild, ein Wesen, sinnlos und hohl und toll.
Was weiß sie denn vom Tage, der uns gebar zur Welt?
Wie war's, da sie der Himmel dem Erdenstoff vermählt?
Wie kommt's, daß kein Erinnern die Seele sich gewahrt
Des, was sie einst gewesen, der eignen Ursprungsart?
Ach nein, es gab die Seele, die ich empfangen Hab',
Von ihrem Schaun und Wissen mir herzlich wenig ab
Beim Eintritt in das Leben; nicht die geringste Spur
Von allem, was vordem sie in dieser Welt erfuhr,
Hat sie mir überliefert als alter Zeit Vermächtnis,
Sonst trüg' ich's im Bewußtsein, besäß' es im Gedächtnis.
Nie hat mein Herz geblutet in jenen Jammertagen,1
Als die Germanengeißel der Väter Land geschlagen,
Als fremde Fäuste rafften der deutschen Fluren Segen,
Die Arbeit deutscher Hände, als Feinde allerwegen,
Im Osten und im Westen, im Süden wie im Norden
Das Vaterland verheerten mit Rauben und mit Morden;
Und als der Zorn des Himmels, der über uns entbrannte,
1 Anmerkung des Königs: „Der Dreißigjährige Krieg.“