<284> anderseits reißen wir das, was der Weltschöpfer den Menschen verbergen wollte, aus dem Dunkel hervor. Ihr stellt Worte zusammen. Wir forschen nach Wahrheiten. Und das gibt den großen Männern ihr Gepräge. Sie sind leidenschaftliche Liebhaber der Wahrheiten, sind fortwährend drauf aus, neue zu entdecken.
Argan. Mir deucht aber: wenn solche Wahrheiten gefunden sind, können Ihre Mathematiker und Ihre Metaphysiker sich nicht immer über den Tatbestand einigen.
Bardus. Das kommt bloß daher, weil die einen nichts davon verstehen. Argan. Wer verbürgt uns denn das Wissen der andren? Baröus. Die Berechnungen, die Algebra.
Argan. Die Algebra —! Ich hoffe, die brauchte Ihr Sohn nicht auch noch zu lernen!
Bardus. Ich habe wohl nicht recht gehört? Wissen Sie, was ich ihn noch lernen ließ? Lateinisch, Griechisch, Hebräisch, Syrisch, Koptisch und die Grundzüge des Chinesischen. Denn wenn er sich in all diesen Sprachen schriftlich ausdrücken kann, wird seine Korrespondenz um so nützlicher für den Staat.
Argan. Ich bezweifle denn doch stark, daß zu Nutz und Frommen des preußischen Handels oder der preußischen Politik ein koptischer Briefwechsel angebracht sei. Ich meine, selbst die Algebra braucht höchstens einer, der alte Rechnungen zu entziffern hat, oder ein Finanzkontrolleur.
Bardus. Ist's menschenmöglich, so verkehrtes Zeug zu reden? Merken Sie denn garnicht, daß unser Staat und die ganze Welt nur deshalb so schlecht regiert werden, weil alle, die sich mit Politik befassen, die reinen Ignoranten sind? Von Euklid wissen sie nichts, nichts von der Algebra; sie haben weder das Prinzip des Widerspruchs noch den Satz vom zureichenden Grunde studiert —
Argan. Mein lieber Bardus, Ihr großes Wissen verleitet Sie zu Extravaganzen. Wo denken Sie hin! Mit Algebra den Staat regieren! Von denen, die unsre Führer sein wollen, fordern wir Umsicht und Einsicht, Gründlichkeit und vor allem gerechtes Wesen. Der Herrscher und seine Berater sollen das Vaterland aufrichtig lieben, seine Leiden kennen und heilen. Sie sollen Ehrsucht und Schwäche gleichermaßen meiden, sollen ihrem Volk den Frieden erhalten, aber nicht dulden, daß anmaßende Nachbarn die Majestät des Staates in den Staub ziehen. Sie sollen sich von Parteilichkeit freihalten und ohne Ansehen der Person die Tugend belohnen, das Lasier bestrafen. Und Güte muß in ihnen leben, die letzte Zuflucht aller Unglücklichen, die von Natur und Schicksal verfolgt werden. Braucht man Algebra, um so zu regieren oder den Fürsten zu beraten?
Bardus. Jawohl, man braucht sie! Denn die algebraischen Gleichungen sind der einzige Weg, auf dem wir ins Land der Wahrheit reisen können. Die Schluß-