<52>Der Grieche,1 der uns selbst ein Vorbild war.
Des Geistes Dünkel kann' er, die Gefahr
Von einem klug gezimmerten System,
Und mit des Zweifels Schild bewehrt, entrann
Er weisheitsvoll des Irrtums Zauberbann.
Sein Schüler Cicero trug, was er lehrte,
Hinüber nach Ausoniens Gestad.
Vater des Vaterlands, groß im Senat,
Bedächtiger Denker, der dem Irrtum wehrte,
O weiser Cicero, sei Du mein Rat, —
Du, dessen Redekunst im Tribunal
Herniederschleuderte den Rachestrahl
Auf Catilinas schuldbedecktes Haupt,
Auf Verres, der SizUien ausgesogen,
Du, der nach Tuskulum zurückgezogen,
Die zweifeln lehrte, die zu leicht geglaubt,
Der uns den Weg zum wahren Glücke wies,
Indem er uns den Reiz der Tugend pries!
Ja, laßt im Himmel das erhabne Wissen!
Auf Erden bleibt das Lasier zu bezwingen.
Was hilft es uns, trotz allen Hindernissen
Zu Höll' und Himmel trotzig vorzudringen?
Statt uns in dieses Labyrinth zu wagen,
Laßt uns die Sittlichkeit im Busen tragen —
Sie, die gestreng das tiefste Herz ergründet,
Der Menschen Bosheit ungeschmintt verkündet,
Die Fehler geißelt, gegen Torheit kämpft,
Der Leidenschaften irren Taumel dämpft
Und unbestechlich Fehl und Tugend scheidet,
Die aller falschen Hüllen uns entkleidet
Und Rasende zur Menschlichkeit bekehrt,
Die hoffärtige Könige belehrt,
Daß sie nur Menschen sind, uns gleichgestellt,
Und die im Mißgeschick uns aufrecht hält.
O hehre Tugend, heilige mein Lied,
Daß Epikur der Stoa sich verbinde!
1 Anmerkung des Königs: „Karneades.“ Er lehrte den Skeptizismus und stiftete die sogenannte neue Akademie in Athen (gest. 129 v. Chr.).