<55>So ward dem Menschen auch in dieses Leben
Sein Unveräußerliches mitgegeben:
Der Leidenschaften Wiegenangebind,
Die fortan Herren seines Innern sind,
Sein Herz bewegen und sein Tun bestimmen.
Ihr Herrscherwalten zeigt sich in der Tat,
In Wirkungen, mehr oder minder schlimmen:
Haß, unversöhnlicher, gebiert Verrat;
Die Liebe mischt in ihre Süßigkeiten
Ihr grimmes Gift, lockt uns in irre Weiten,
Sobald sie die Vernunft geködert hat;
Unruhvoll, stets voll Arg und Eifersucht,
Tränkt sie uns Tollheit oder Schwermut ein;
Der Zorn ist jäh, ist blind; er hetzt allein
Die Sterblichen zu Taten, ganz verrucht.
Wir alle sind gezeichnet mit dem Male
Der oder jener Leidenschaftlichkeit.
Ihr seht: Notwendig seid ihr, wie ihr seid!
Lacht auch ein Demokrit in jedem Falle,
Ein Heraklit weiß nur vom Daseinsleid.
Der da ist hart — warum? Weil seine Galle
Ihn also will; ein andrer schnell gerührt —
Warum? Weil er zu bald sein Herz verspürt.
Gott schuf die Mächte unsres Innern. Wer
Ahnt die Gesetze des Wohin, Woher?
Ihre Verteilung auf der Menschheit Weiten?
Und mit den seelischen Verschiedenheiten
Gestalten die Geschicke sich verschieden;
So wird das Leben bunt und reich hienieden,
So kann das Weltenschauspiel nie veralten
Und muß sich immer wieder neu gestalten.
Doch das allmächt'ge Wesen ftagt nicht viel,
Welch eine Rolle ich hier unten spiel',
Noch welches Schicksal etwa meiner harrt:
Was zum bewegenden Gesetz mir ward,
Das trägt mich sott; mein Dasein ist ein Fließen
Stromab, stromab. Wenn Gott aus Weltenhöhn