<60>Heut Ruhm und Größe, morgen alles hin!
Hellas, so stolz in seinem Freiheitssinn,
Die Sklavin Roms! Die Herrscherin der Meere,
Der reichen Ernten all in Afrika,
Da sank sie hin, zerstört durch Scipios Heere,
Hinweggetilgt, eh' sich's ein Mensch versah!
Rom wiederum: von Hunnen und von Goten
In Schutt gelegt! Dort ganze Länderstrecken
In Überschwemmungsnot! Dort allen Schrecken
Der Atropos geweiht, erfüllt von Toten
Die Stadt Marseille!1 Von wilden Völkerscharen
Manch mächt'ger Staat, manch ragender Koloß
Im Grund erschüttert! Wie mit einem Stoß
Von heut auf morgen sie zu fällen waren,
Sie alle haben's wehevoll erfahren!
Ihr seht, zu uns läßt sich kein Gott herab,
Mit uns gibt seine Weisheit sich nicht ab,
Er bleibt gelassen, bleibt empfindungslos;
Wenn blut'ge Schläge unsre Welt zerreißen,
Sieht er die große Daseinseinheit bloß;
Was will darinnen dieses Krümchen heißen,
Das ganz im Unermeßlichen verschwindet?
's ist eine Wahrheit, die das Menschenherz
In seiner Eitelkeit nicht leicht verwindet,
Und doch, wir sehn sie allerwärts
Nur allzu offenbar, zu wohl begründet!
Wenn Hundstagsglut die Ernten uns versengt,
Die ehrnen Himmel, taub für Flehn und Klagen,
Sogar die karge Labe uns versagen,
Mit der der Morgentau die Felder tränkt,
Dann sieht der Staat wohl Tagen schwerer Not
Zagend entgegen, bald gebricht's an Brot,
Hunger und Darben, Elend fahl und bleich,
Graun und Verzweiflung und der grimme Tod
Verheeren schauervoll das ganze Reich.
1 Anspielung auf die Pest von 1720.