<74>Dies Zerrbild einer Ehre blutig rächen ?1
Nein, unser Volk ist edel, gut und mild,
Ein Vorurteil nur treibt es zum Verbrechen.
Der Himmel hat ihm seltnen Mut beschert;
Durch schlimmen Brauch wird er in Wut verkehrt.
Unsel'ge, halt! Vernehmt des Herzens Stimme!
Zu kostbar und zu wert dem ganzen Land
Ist Euer Blut; vergießt es nicht im Grimme
Auf diesem Grund, wo Eure Wiege stand.
Jäh schießt der Geier auf die Taube nieder,
Schlägt gierig ihr die Krallen in die Brust,
Verstreut im Walde ihre armen Glieder —
Tyrannenart zeigt solche Mörderlusi!
Ihr aber, Preußen, Ihr seid Brüder: ehrt
Das eigne Blut, die Väter, Haus und Herd —
Das sind Euch heilige Güter allzumal!
So sänftigt Euren Zorn und hemmt den Stahl!
Das Vaterland, Entmenschte, sieht entsetzt,
Wie Ihr mit Blut die Heimaterde netzt.
„Weh!“, ruft es, „meine Kinder, muß ich sehn,
„Wie Ihr Euch brudermörderisch vernichtet!
„Welchhöllengeist ließ neu die Gräul entsiehn,
„Die man dem Stamm von Theben angedichtet!
„Sprecht, seid Ihr jener schlimmen Saat entstammt,
„Die Kadmos einst, der Drachentöter, säte,
„Daraus ein Volk entsproß, das zornentflammt
„Im Bruderkrieg einander niedermähte?
„Zog ich Euch auf, um meiner Huld zu spotten,
„Mich zu verraten und Euch auszurotten?
„Gebar ich Euch, blutgierige Barbaren,
„Um Euch zu lieben oder zu bekämpfen?
„Dies edle Blut, Ihr solltet's lieber sparen,
„Um unsrer Neider Übermut zu dämpfen!
„An ihnen mögt Ihr Euren Mut erproben;
„Kehrt Ihr ihn gegen Euch in blindem Toben,
„So wird, statt daß der Siegeskranz Euch schmückt,
„Das Mördermal auf Eure Stirn gedrückt.
1 Für Äußerungen des Königs über das Duell vgl. ferner Bd. VIII, S. 37f. und 273.