2. Beharrlichkeit
Blindlings hinstürmende Wut,
Du, deren Wesen Verheeren,
Du, die durch Jammer und Blut
Ihre Bahnen sich bricht —
Nein, an deinen Altären
Opfte ich nicht!
Stillsichre Seelenkraft,
Die sich im Dulden strafft,
Die allen Schicksalsschlägen
Ausdauernd, heldenhaft,
Trotz setzt entgegen —
Preis dir und Ehren!
Wie auch die Neiderwut zetert und kreischt,
Weißt du den Wert dieses Lebens zu schätzen,
Doch auch gelassen ihn einzusetzen,
Wo es die Tugend erheischt.
<13>Hat doch der wagende Mut
Jener Prometheustat,
Die aus der himmlischen Hut
Einst das stammende Gut
Für uns entwendet hat,
Also erbittert die Himmlischen all,
Daß aus Pandorens Hand,
Ihrem unseligen Angebinde,
Wild sich ergoß der heillose Schwall
Höllischer Übel in alle vier Winde
Über das Menschenland.
Kaum, daß am Grunde noch grade,
Dank einem Resichen von göttlicher Gnade,
Die Hoffnung sich fand.
Ach, der Stiefmutter Natur
Ist's eine Kurzweil nur,
Ringt auf der Wunderbühne des Lebens,
Wo wir Sterblichen spielen müssen,
Mit den Leiden und Bitternissen
Ein Mensch vergebens!
Nichts kann des Fluchs uns entbürden,
Nicht die Geburt, nicht Verdienste noch Würden;
Wie's uns auch geh,
Stets überwiegt doch das Weh:
Galilei in Kettennot,
Medici ißt der Verbannung Brot,13-1
Und unter Henkers Händen
Mußte ein Stuart13-2 enden!
Seinem entschwundenen Glücke
Weint ein Beraubter nach;
Dort unter Neidertücke
Duldet ein argloses Herze Schmach;
Oder dein blühender Leib
Wird dir mit Siechtum und Plagen
Grimmig geschlagen;
Oder es stirbt dir dein Weib,
<14>Mutter und Bruder dein,
Und dein Getreuster scheidet von hinnen,
Läßt dich verwaist und allein —
Wie da die Tränen dir rinnen!
Also auf sturmtoller Flut
Treibt manch Schifflein daher;
Aber der wilde Orkan,
Der Tyrann auf dem Meer,
Bricht doch mit all seiner Wut
Nimmer des Seemanns Mut.
Ietzo wolkenhinan
Trägt ihn die türmende Welle,
Jetzt wie zum Abgrund der Hölle
Stürzt der gebrechliche Kahn.
Wo ist hier Rettung noch?
Tapfrer, verzweifle — und doch!
Wüte, was wüten mag,
Fest hält das Herz seinen Schlag:
Tausendmal trotz' ich dir, Tod, eh' ich verzag'!
Tage der Unruh! Wohin
Käm' es mit mir, dem Geplagten,
Wenn mein Schild, meine Wehr
Wider der Sorgen Heer,
Meine Getreusten, versagten:
Fest mir im Herzen drin
Du mein tragender, trotzender Sinn!
Wie auch das Schicksal mich treibt,
Ob über kurz oder lang
Fall mir und Untergang
Sicher verbleibt —
Sei's drum, ich werde
Zittern vor keiner Fährde!
Mag auch der Pöbel verzagen,
Greinen und klagen,
Erst wenn die Hoffnung zerrann,
Bewährt sich der Mann.
<15>Seht die beflügelte Zeit!
Eben noch rauscht ihr Gefieder —
Schon ist sie weit,
Weit, und kehrt niemals wieder.
Doch ihre rasende Eile
Ist uns zum Heile:
Wie sie Beschererin,
Ist sie Zerstörerin;
Was sie an Übeln gebracht,
Nimmt sie auch, eh' du's gedacht,
Wieder dahin.
Lohnt da Klage und Gram
Über ein Mißgeschick,
Das mit dem Augenblick
Geht, wie es kam?
Kenn' ich Ovid doch nicht wieder,
Wie er im Bann sich gebart:
Nichts mehr als winselnde Lieder,
Nichts mehr von Mannesart!
Kläglich liegt er darnieder:
Ist denn vor Romas Toren
Jegliches Hoffen verloren?
Konnt' er, statt zu verzagen,
Nicht mit Horatius sagen:
„Muß mein Glück in mir selber tragen!“
Segen euch, Lehrer und Meister,
Die ihr, himmelentstammt,
Euch bequemtet dem irdischen Amt,
Leuchten der Stoa ihr, führende Geister!
Sterblich wie wir,
Werdet ihr Götter allhier.
Ja, eure heldischen, hohen Gedanken
Und euer Mut ohne Wanken
Schlagen die Menschheit in Bann:
Wer da ein festes, gefeites,
Von Menschenschwachheit befreites,
Reifes Gemüt sich gewann,
Den tritt kein Leiden mehr an!
<16>Wie ist doch Regulus groß,
Als er den Feinden sich stellt!
Aus seiner Heimatwelt,
Die ihn mit Banden der Liebe hält,
Mannhaft reißt er sich los,
Um in karthagischer Haft
Sein Geschick zu erfüllen,
Seiner Bedränger roh wütende Leidenschaft
Durch seinen Tod zu stillen.16-1
Belisar, da er im Elend schmachtet,16-2
Verfemt und verachtet,
Ist mir ein höheres HeldenbUd,
Als der Feldherr, vom Glücke gekrönt;
Und was Ludwigs Gestalt mir verschönt,
Ist all das Menschenweh,
Das ich ihn tragen seh:
Kinder und Erben
Sah er hinsterben16-3.
Niedriger Seelen Art,
Sich im Behagen des Glückes zu sonnen!
Wohlfeile Lust! Sie ward
Einzig durch Zufalls Gnade gewonnen.
Niemals im Glücke tut
Hoher Sinn sich hervor;
Ist uns das Leben gut,
Ragen wir nicht aus dem Schwarm empor.
Doch wider Unheil und Schrecken
Stolzer sich heben, sich recken,
Wahrlich, das heiß' ich: mit Ehren
Mannheit bewähren.
Nichts mag das Schicksal, das blinde,
Linder gestalten;
Wer, der den Übergewalten
Je widerstünde!
<17>In den Wirbeln der reißenden Flut
Sinkt auch der rüstigste Schwimmer;
Hätt' er des Herakles Glieder,
Ringt er doch nimmer
Siegreich darwider.
Eines nur gibt es, was not hier tut:
Aushalten, Dulden, Beharren!
Mag dich das Schicksal auch grausam narren,
Trag es, wenn sich's nicht ändern läßt;
Nur bleib getreu, bleib fest!
13-1 Die Söhne des Lorenzo de Medici in den Jahren 1494—1512.
13-2 Anmerkung des Königs: „Karl I., König von England.“
16-1 M. Attillius Regulas, der während des Ersten Panischen Krieges von den Karthagern gefangen und zur Unterhandlung nach Rom geschickt war, mußte die Rückkehr, zu der er sich verpflichtet hatte, mit seinem Leben büßen.
16-2 Vgl. S. 6.
16-3 Als Ludwig XIV. 1715 starb, überlebte ihn nur sein Urenkel, der als Ludwig XV. den Thron bestieg.