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5. An Maupertuis25-1
Das Leben ein Traum

Sag doch: was ist, Freund Maupertuis,
Das ganze bißchen Leben?
Nicht mehr denn eine Blume, die
Heut' prangt und lacht,
Und über Nacht
Ist sie schon hingewelkt, die eben
Den Kelch erschloß! So ist's bestimmt
Im Ratschluß der Notwendigkeit,
Die alles Sein von hinnen nimmt
Mit Unerbittlichkeit;
All deine Gaben, noch so hoch,
Und all dein Wert, sie wirken doch
Dir keines Tages Gnadenfrist,
Wenn deine Zeit erfüllet ist.

Die schönen Tage mein, sie schwanden,
Wie eine Welle auf dem Meer,
Des Lebens Lust kam mir abhanden,
Kein Zauber bannt sie wieder her.
Der Stoa Weisheit ernst und kalt
Ward längst mein einz'ger Trost und Halt,
Und Will's mit mir herniedergehn,
Heißt sie mich geistesstark erstehn.
Hin flieht das Heute; voller Sorgen,
Ein Reich der Zweifel, ist das Morgen,
Und das Vergangne ist mir kaum
So wesenhaft als wie ein Traum.
<26>Was soll, hoffärtig Menschenkind,
Der Schöpferdünkel deines Geistes
Auf das, was er erkennt, ersinnt?
O beug' dein Herz, dein kindisch-dreistes,
Ermiß, wie schwächlich,
Hinfällig, gebrechlich
Dein Lebensschicksal und wie kurz dein Lauf!
Kaum schlägt der Mensch die Augen auf,
Verfällt er schon der dunklen Macht,
Die ihn entgegenzerrt dem Nichts, der Nacht.
Das gleiche Ende und das gleiche Ziel
Ist einem Mävius26-1 und ist Birgit
Ohn' Unterscheidung zugedacht.

Ihr Toren, die der falsche Glanz
Flüchtigen Erdenguts betört,
Die ihr dem goldnen Götzen ganz,
Dem Herzverderber, angehört!
Für wen denn schafft ihr?
Häuft ihr, rafft ihr?
Im flücht'gen Weltvorüberwallen,
Flüchtig wie Lenz und Blütenfallen!
O kindisch Wähnen,
Wert der Tränen:
Was wird von all den Herrlichkeiten
Euch niederwärts begleiten?...

Wieviel Jahrhunderte verrannen,
Seit schöpferische Allgewalt,
Den ew'gen Stoff in Form zu bannen,
Dem Chaos gab die Weltgestalt!
Es waltet ob der Wirklichkeit
Allmächtig das Gesetz der Zeit:
Das Jetzt entflieht, kaum ward es mein;
Die Zukunft hastet hinterdrein —
Die Spanne deiner Daseinsfrist
Ein Pünktchen nur im Ew'gen ist!
O Mensch, ein Leben heißest du —
Was nur ein Augenblick, ein Nu!
<27>Ja, wenn es noch zwei Leben wären,
Zwei Menschenalter! Dann vielleicht
Dürft' man den Wahn schon eher nähren,
Der aufwärts zu den Sternen reicht!
Zu Götterhöhen keck entschweben
Möcht' euer kurzbemeßnes Leben —
Und seid doch all, ihr armen Toren,
Im Schlamm zu kriechen nur geboren,
Zu leben einen Augenblick,
Dann zu versinken — in das Nichts zurück!
Und Ihr? Ihr wollt nach Ruhm hienieden streben?

Wozu nach einem Glücke jagen?
Wozu des Himmels Ungunst wagen?
Glück ist ein heitrer Traum der Nacht,
Unglück ein Traum, der bang uns macht:
Was uns auf Erden widerfährt,
Sei's gut, sei's schlimm, es ist nicht wert
Der Freude oder Trauer
Bei unsrer Tage Dauer.
Was liegt mir da an Lust und Weh,
An Lieb' und Liebesnot? Ich seh'
Einen Faden gleiten und enden
In Atropos' Händen.

Glücksgüter, Würden, Ruhm und Ehren,
Was hoher Sinn nur mag begehren —
Gleißende Schemen, Dunst und Trug!
Wie Rauchgewölk im Wandelflug;
Im Wahrheitslicht
Wird all die luftige,
Schwebende, duftige
Morganaschönheit schnell zunicht!
Nichts hat Bestand,
Kein Reich, kein Land;
Das Mächtigste wie das Geringe
Erliegt dem Wandel aller Dinge.

Die Blindheit — tat sie von uns weichen!
Der Wahn, die Schwäche, die uns narrt:
<28>Was groß uns schien und ohnegleichen,
Seht, Kleintram war's von winz'ger Art;
Schwingt euch im Geiste himmelan
Zum Thron der Glorie, und dann
Schaut niederwärts vom Weltendom —
Wo bleibt Paris da? Peking? Rom?
Verschwunden alles! Ward ja doch
Der Erdenball
Ein Pünktlein nur im Weltenall!
Ach, was bleibt da vom Menschen noch?

So schwimmt man, eitelkeitbefangen,
Inmitten zweier Ewigkeiten:
Dort die, die vor uns hingegangen,
Dort künftige Unendlichkeiten.
Wie Tantalus, vom Wunsch entbrannt
Für Trugbesitz und nicht'gen Tand,
Rastlos geplagt
Von Sehnsuchtnot und Glücksbegehr,
Und hinter einem Traumbild her
Stets auf der Jagd —
So taumeln wir ins Nichts hinein.
Sieh, das heißt Leben, das, ein Mensch zu sein!


25-1 Vgl. Bd. II, S. 44 und 150: VI, S. 365; VIII, S. 227 ff. und 237.

26-1 Ein schlechter Dichter zur Zeit Birgits.