7. Ruhm und Eigennutz
Sei's Überdruß, sei's, weil ein jedes Ding
Sich überlebt: vom Wahn, der mich umfing,
Wie alle Welt, kehr' ich mich ab. Mein Blut
Rollt minder heiß; schon stellt mein Herbst sich ein:
Zeit wird es, der Vernunft Gehör zu leihn!
Die blinde Jugend findet alles gut,
Doch andre Zeiten, andre Sitten: schließlich
Erstickt die Weisheit unsrer Wünsche Glut.
Wohlan denn, nüchtern Denken ist ersprießlich!
Streng wäg' ich ab: was gilt die Mörderlust
Des Oktavian, die Tugend des August?36-1
Die Tugend, immerfort im Mund geführt —
Wie oft mißbrauchte sie der Ehrgeiz nicht?
Sprecht, ob sie wohl dem Britensiolz gebührt,
Der ungestraft Europens Hader schürt
Und Herrscher, die Gefahr ihm drohn, besticht,
Der seines eignen Volkes Sinn verdirbt, 36-2
Der schlau mit Gold sich feile Söldner wirbt
Und lächelnd dieses blut'ge Urteil spricht:
„Ihr Menschen, schlachtet Euch, so ist mir's recht!“
Wie kann man ohne Murren es ertragen,
Wenn sich ein Geizhals, seines Goldes Knecht,
Der Tugend Namen anzutun erfrecht?
Wie darf er sich mit ihm zu schmücken wagen?
<37>Er maßt sich einen Ruhmestitel an:
Was tat er denn, wodurch er Ruhm gewann?
Zur Fahrt bereit, sein Schiff im Hafen schaukelt;
Widrige Winde halten es gebannt.
Er flucht dem Schicksal; seine Hoffnung gaukelt
Ihm Schätze vor im fernen Morgenland ...
Da schweigt der Sturm; beglückt eilt er an Bord;
Der Anker steigt, das Schiff verläßt den Port.
Er trotzt dem Wintersturm, dem Sonnenbrand,
Hält jeder Mühsal unverdrossen stand,
Verachtet die Gefahr, die ihn bedräut:
Nichts schreckt den Geist, dem Eigennutz gebeut!
Da zieht ein Wetter auf; gen Himmel türmen
Die Wogen sich, und klaffend gähnt ihr Schlund;
Des Schiffes Mast zersplittert in den Stürmen;
Am Riff zerschellend, sinkt es auf den Grund.
Die Mannschaft rettet aus dem nassen Grab
Auf Trümmern sich und schwört die Seefahrt ab.
Der Geizhals flucht dem falschen Element,
Doch kaum an Land, reißt ihn das gier'ge Trachten
Von neuem hin, und frisch sein Mut entbrennt.
Die Habsucht spricht: „Gefahr mußt Du verachten;
„Die Dornenpfade führen Dich zum Glücke!“
Der arme Nimmersatt, er zaudert kaum,
Vergessen hat er schon des Meeres Tücke;
Der Eigennutz bleibt Herr: sein Hoffnungstraum,
Gewohnheit, Unrast, Gier auf Gold versagen
Ihm jeden Wunsch nach friedlichem Behagen,
Und noch vom Schiffbruch triefend, eilt er toll
Zu Schiff und trotzt aufs neu der Stürme Groll.
Was nützt dem Midas all sein Überfluß?
Verschlingt er wohl das Gold in seinen Speichern?
Das Schicksal macht uns alle gleich: er muß
Zu neuem Aufwand täglich sich bereichern.
Nicht reich macht ihn die Habe, die ihn quält:
Arm fühlt er sich durch alles, was ihm fehlt.
Doch lächerlicher und noch mehr vernarrt,
Wer nie genießt und nur zusammenscharrt,
<38>Bis grinsend ihn der Tod von ungefähr
Mit seiner Hippe trifft und einen Erben,
Der Mangel litt und lauert' auf sein Sterben,
Mit Schätzen überhäuft! Noch ehe der
Ins Grab ihn bettet, leert er schon die Truhen
Und schlürft die Weine, die im Keller ruhen:
So weit kann Torheit einen Geist verblenden!
Doch wenn sich Geiz am eignen Leibe rächt,
Bedroht die Ehrsucht unser ganz Geschlecht.
Nach Größe strebt sie mit dem Dolch in Händen;
Ihr Planen und Vollbringen höhnt das Recht;
Zum Frevel wird der Tatendrang entstellt.
Solch schlimmer Hang, die Lust verderbler Seelen,
Wälzt Staaten um und siört die Ruh der Welt:
Ein Märchen will ich Euch davon erzählen.
Die schnöde Selbstsucht und der stolze Ruhm
Sahn einst auf Erden sich nach Narren um.
Da wurden Hirten, Bürgersleute, Priester,
Vornehme Herren, Krieger und Minister
Durch ihre schlimmen Gaben bald betrogen.
Am Weg bei einer Hütte sahn die beiden
Den Hirten Damon seine Schafe weiden.
Dem schlichten Jüngling war Natur gewogen:
Geist und ein fühlend Herz war ihm beschieden;
An Freiheit hing er, liebte Ruh und Frieden.
Weltfern, mit Phyllis nur und seiner Herde
Lebt' er beglückt auf seinem Stückchen Erde.
„Wie?“ sprach der Ruhm empört, „soll dieser Hirt
,Die Schmach uns antun, so mit Glück zu prunken?
„Wir haben manchem schon den Sinn verwirrt,
„Selbst Tugend, Weisheit sind oft hingesunken.
„Wie viele wären ohne uns beglückt!
„Doch hätten wir umsonst die Welt berückt,
„Umsonst entstammt der Kriegesfackel Glut
„Und uns gebadet in der Opfer Blut?
„Fürwahr, solang wir hier allmächtig sind,
<39>„Ziemt es sich nicht, uns stumm darein zu fügen,
„Daß dieser Schäfer unsrer Macht entrinnt.
„Auf! Stören wir sein weises Selbstgenügen!
„Auch er verspüre unsre Allgewalt!“
Um Damon desto sichrer zu betrügen,
Nahn sie in Hirtenkleidung und -Gestalt
Und reden sanft und schmeichlerisch ihn an.
Der Ruhm beginnt: „Beklagenswerter Mann,
„Warum verhehlst Du uns und aller Welt
„Der Gaben Fülle? Zeig' Dich unverstellt!
„Erkenn' Dich selber! Stirbst Du namenlos,
„So stirbst Du zwiefach. Dein Talent ist groß:
„Sei's auch die Laufbahn! Komm und tritt ans Licht!
„Verbirg Dich, Zier der Menschheit, länger nicht!
„Dich ruft das Glück; Ruhm, Ehre harren Dein;
„Gewisse Größe darfst Du Dir erhoffen.
„So wähle denn — die Wege stehen offen —
„Willst Du Minister, Dichter, Feldherr sein,
„Gefeiert von der Mitwelt und verehrt,
„Dereinst gar zur Unsterblichkeit verklärt?
„Siehst Du die Hirten dort in dumpfem Staunen,
„Wie sie, von Deinem Glanz geblendet, raunen:
„Ist das der Damon, der einst Schäfer war?
„Schon plagt Colin und Lycidas der Neid:
„Sie bersten, sehn sie Deine Herrlichkeit!“
Die Rede klingt ihm neu und wunderbar
Und sinnbetörend; tief in sein Gemüt
Ist schon der Ehrsucht schleichend Gift gedrungen,
Und für den Ruhm ist Damon rasch erglüht.
Der Eigennutz sieht ihn schon halb bezwungen;
Flugs stürmt er auf den Hirten ein und schwellt
Sein Herz mit unstillbarem Durst nach Geld.
„Erkenne“, spricht er, „Deine Unklugheit
„Und lerne, wo das Glück zu finden ist.
Du darbst und wähnst, daß Du enthaltsam bist —
„Ha! Solche Einfalt, Hirt, gen Himmel schreit!
<40>„Was bist Du? Deiner Herde blöder Sklave,
„Treibst sie zur Tränke nur und scherst die Schafe,
„Indes so mancher lebt im Überfluß
„Und sorglos frönt dem weichlichen Genuß!
„Welch wohliges Behagen findest Du
„In den Palästen, welch bequeme Ruh!
„Sieh das Lustwandeln ihrer Herren an:
„'s ist ein Triumphzug; üppig sind die Mahle,
„Und jedes Fest gleicht einem Bacchanale!
„Wir alle sind dem Reichtum Untertan;
„Das Gold beschert Talente, Freunde, Ehren,
„Und wo es fehlt, ist Notdurft und Entbehren.
„Mit hohem Geist, Vorzügen wunderbar,
„Doch arm, bist Du ein tugendhafter Narr!
„Das Gold herrscht hier auf Erden unbeschränkt:
„Willst Du bestrittne Rechte Dir erkämpfen,
„Kannst Du den Aufruhr in der Brust nicht dämpfen,
„Ein goldner Hammer alle Türen sprengt!
„Man feiert Deine Gaben und erträgt
„Die Torheit selbst: dies kostbare Metall
„War stets der Dinge Nerv und überall
„Die Triebkraft, die rundum die Welt bewegt!“
Der Ärmste hält, vom Eigennutz erfaßt,
Nicht länger stand und fällt in seine Schlinge.
Phyllis, die Herde, die vertrauten Dinge
Sind vor dem Gaukelspiel zu nichts verblaßt.
Sein ländlich Leben dünkt ihn blöd und leer;
Nach Glanz und Gütern sieht nun sein Begehr,
Und er verläßt die Trift, sein häuslich Glück.
Die arme Phyllis — was geschah mit ihr?
Mit bangem Laut — ihr bricht das Herze schier —
Ruft sie den heißgeliebten Freund zurück,
Er geht, von ihren Tränen ungerührt,
Vom Eigennutz verhärtet. Ihn entführt
Der stolze Ruhm, verachtend seine Gier.
Wie reich an Reizen, neu und immer neuer,
Dünkt einem armen Hirten doch die Welt,
In die Natur ihn schlicht und arglos stellt!
<41>Schwer ist die Wahl; er geht auf Abenteuer.
Die Sucht, sich Ruf und Ehre zu erringen,
Macht ihn zum Musenschüler; sein Geschick
Steht glänzend, lockend stets vor seinem Blick.
Um rascher ans ersehnte Ziel zu dringen,
Kürzt er durch Feuereifer sich die Wege;
Der Genius leiht ihm seine starken Schwingen.
Bald ist er allbekannt — doch als Kollege
Kommt er den schönen Geistern ins Gehege.
Die Verseschmiede und die Schreiberseelen
Verfolgen ihn mit ihrem gift'gen Schmälen;
Aus seinen Richtern spricht der nackte Neid.
Rasch wird ihm diese Art des Ruhmes leid:
Gehüllt in Schweigen, müde des Geschreis,
Gibt er den eignen blinden Eifer preis.
Damon verläßt des Pindus Höhn; sein Sinn
Strebt höher nun — zur Heldenlaufbahn hin.
Seit er zu Mars und zu Bellona schwört,
Trotzt er dem Zufall, hält Gefahren stand,
Beschirmt den Thron und rächt sein Vaterland.
Er führt zum Sturm, hat Wall um Wall bezwungen;
Der Stab wird sein, der manches Hirn verstört;
Den Siegen folgen die Eroberungen —
Noch ein paar Siege mehr und ein paar Glieder minder,
Und Damon gleicht des Brutus Überwinder. 41-1
Doch andre spinnen Ränke; scheeler Neid
Begeifert ihn mit seinem Gift und raubt
Den Siegeslorbeer von des Jünglings Haupt.
Was er vollbracht, nicht seiner Tüchtigkeit
Schreibt man es zu — der Dummheit der Rivalen.
Dafür, daß er das Vaterland befreit
Aus höchster Not, soll er nun Buße zahlen.
Sein Tatendrang weckt des Ministers Groll;
Ein Sieg noch und sein Sturz ist ausgemacht.
Verspritzt er auch sein Blut in mancher Schlacht,
Es macht der Undankbaren Zahl nur voll.
<42>Man klagt ihn an, die Lästernde schwirrt;
Der glatte Höfling und der Eisenfresser
Verleumden dreist und täuschen um so besser
Das blöde Volk, das leicht betrogen wird.
O welche Prüfung! Truggestalt des Ruhms,
Du bist der schlimme Lohn des Heldentums!
Flicht Tat um Tat in Deinen Siegeskranz,
Ein Neidbold raubt Dir allen Ruhmesglanz!
Im Schoß des Sieges, der sein Hoffen knickt,
Vom Neid gestürzt, befreit' er auch sein Land,
Kehrt er sich grollend ab vom Kriegerstand;
Doch ist die Ehrsucht nicht in ihm erstickt.
Sie weist ihm einen neuen Lebenslauf:
In einem Kabinett taucht Damon auf,
Verträge kritzelnd, Pläne ausgestaltend,
Europens Last auf seinen Schultern haltend,
Wie dieser neue Atlas töricht meint,
Doch finster, grüblerisch, ein Menschenfeind.
Als Kriegsmann übt' er Sittenstrenge: nun
Schwelgt er in Lastern, wie's die Großen tun.
Seit sich die Staatskunst an Sophismen hängte
Und sich mit Machiavellis Gift durchtränkte,
Sieht man nur Schurken, pfiffig und verlogen,
Minister, bald Betrüger, bald betrogen.
Die Ehre löst sich auf in eitel Dunst,
Und durch Verbrechen lernt man Herrscherkunst.
Die Seuche hat auch Damon übermannt;
Mißtrauisch wird er, falsch und hart wie Stein.
Machttrunken und in sein System verrannt,
Sieht, kennt und liebt er nichts als sich allein.
Nicht mehr der schlichte Hirte, still beglückt,
Dem in der Brust ein fühlend Herz noch schlägt,
Ein Krösus wird er, den sein Geld erdrückt,
Der Ekel, Schwermut tief im Busen trägt.
Er liebt Behagen, leidet Müh' und Qualen,
Sucht einen Freund und findet nur Rivalen.
<43>Beharrlich forscht er in der Zukunft Zügen:
Das tückische Geschehen straft ihn Lügen,
Indes die Welt, flugs gegen ihn ergrimmt,
Mit bitterbösem Urteil Rache nimmt.
Wie ihn so täglich Sorg und Gram beschleichen,
Läßt schon das Alter seine Haare bleichen.
Doch wie man's oft bei jungen Prassern sieht,
Daß, wenn in festem Schlaf der Rausch entflieht,
Sie zu Vernunft und Sitte sich bekehren,
So hält auch Damon, dem sein Wahn zuwider,
Wie einst die Weisheit und Vernunft in Ehren,
Verflucht den Eigennutz, das Ruhmbegehren
Und führt sein altes Hirtenleben wieder.
Die treue Phyllis drückt mit Freudentränen
Ihn an ihr Herz: erfüllt ist nun ihr Sehnen,
Und an der Weisheit Freuden sich erlabend,
Schließt Damon friedlich seinen Lebensabend.
Wohl allen, die, von der Vernunft belehrt,
Phyllis und ihre Herde nie verließen!
Die seichten Freuden, die der Ruhm gewährt,
Sind Seifenblasen, die in Dunst zerfließen.
Gesundheit, Freunde, Brot, ein wenig Liebe
Sind unser einzig Gut im Weltgetriebe.
Ihr seht sie rings, doch wie dem Tantalus
Beut sich umsonst die Flut Euch zum Genuß:
Des wahren Glücks ist nur die Tugend wert.
Du Geizhals, Du, an dem die Ehrsucht zehrt,
Geht denn und jagt nach Eurem eitlen Tand!
Das Menschenglück ist wetterwendisch: heute
Bestaunen Eurer Gärten Pracht die Leute,
Und morgen sind sie schon in fremder Hand.
Geliehn sind uns die Güter, nicht gegeben;
Gleich einem großen Wirtshaus ist das Leben;
Die Zeit trägt alles, Herrn und Knecht, zu Grabe.
Wozu in dieser kurzbemeßnen Frist
Stets Pläne schmieden? Nützt Fortunas Gabe,
<44>Anstatt daß innrer Zwiespalt Euch zerfrißt.
Weh dem, der strebt, zahlt er's mit solchem Preise!
Du fragst, was dieser lange Brief beweise?
Daß auf dem Meer des Lebens der Pilot
Den Hafen suche, wo kein Schiffbruch droht.
36-1 Vgl. Bd. VII, S. 34.
36-2 Durch Bestechung des Parlaments.
41-1 Marcus Antonius besiegte 42 v. Chr. bei Philipp Marcus Iunius Brutus, der sich darauf selbst den Tod gab.