<153>

21. An Fouqué153-1

Was preisen wir doch stets die alten Zeiten?
Sag' an, warum es uns so sehr gefallt,
Zu reden von des Menschen Schändlichkeiten
Und der Verschlechterung der ganzen Welt?
Was wollen wir denn immer lang und breit
Nur so satirisch diese Welt betrachten
Und sie mit solcher Bitterkeit verachten?
Was schelten wir auf unsre eigne Zeit
Und preisen nichts als die Vergangenheit?

Moritz von Sachsen, war er weniger wacker
Als Cincinnatus? War er minder gut?
Zwar Moritz stammte aus erlauchtem Blut
Und pflügte niemals selber seinen Acker.
Schlug er drum schwächer als ein alter Held
Die Holländer auf Flanderns Siegesfeld?153-2

Sag' an, sind unsre Dichter denn so schlecht,
Weil sie die Muttersprache nicht verpönen?
Doch andre sagen: „Einzig die Hellenen
„Sind in der Dichtung herrlich, groß und echt.“
Virgil, Horaz, sie schrieben auf Latein,
Die Griechen griechisch, wir in unsrer Sprache.
Und da verlangt nun solch ein Richterlein,
Daß man Gedichte auf Hebräisch mache!

Gab uns denn heute nicht für den Homer
Ein gutes Schicksal einen neuen Sänger,
<154>Weit strahlender und sprühender als er?
Wir haben ja den herrlichen Voltaire.
Wie könnten wir da länger
Uns nach dem alten Schwätzer sehnen!
Ach, seine Verse liest man nur mit Gähnen.

Sind wir geringer als die biedern Ahnen
In ihrer Einfalt, gotisch, grob und schlicht?
Da will man uns mit lautem Vorwurf mahnen,
Wir legten auf den Prunk zuviel Gewicht,
Wir hätten gar zu glänzende Paläste,
Wir feierten verschwenderische Feste,
All unsre Wünsche würden uns erfüllt,
Nur von Genüssen ließen wir uns treiben —
Mein lieber Fouque, wer uns also schilt,
Der ist ein Narr und wird es bleiben.

Man hat die Helden aus vergangnen Jahren
Gepriesen, weil sie arm und einfach waren,
Doch daß wir reich sind, läßt man uns entgelten;
O, nur ein Dummkopf kann so töricht schelten.
So redet nur ein kleiner Geist
Aus einer neidbewegten Seele
Und wähnt noch, daß er uns mit Güte speist,
Wenn er uns predigt, was uns fehle.

Solange diese alte Welt sich dreht,
Läuft sie noch immer in den gleichen Gleisen.
Da sieht man rings der Torheit Majestät
Sich täglich immer alberner beweisen.
Sie wechselt stets, und jedesmal
Bereitet sie dem Hirn der Nörgler Qual.
Doch wenn man unsre heutigen Geschlechter
Vergleicht mit der berühmten Toten Zahl,
Sind wir nicht besser und nicht schlechter.

Ich kann in meinem Zorn nicht länger schweigen,
So will ich den gestrengen Herren zeigen,
Wie unsre schönen Künste uns bekehrt,
Nicht mehr nach blutigen Trophän zu trachten.
<155>Glücklich Jahrhundert, das die Milde lehrt,
Du heißt die Wut und den Verrat verachten!
Der Schlechte schämt sich, wenn er schlecht gesonnen;
Das, dünkt mich, heißt schon viel gewonnen.

Doch schlügen wir, schulmeisterlich-gelehrt,
Mit Argumenten drein — das wär' verkehrt.
Man kann ja Toren niemals überzeugen,
Und auch den Neidbold bringt man schwer zum Schweigen.
Wer immer nur ein Splitterrichter war,
Zur Strafe soll er's bleiben immerdar;
In seiner Wut auf andrer Leute Ruhm,
Erfüllt mit Galle, bittrer als Absinth,
Seh' er im Einst getrost sein Heiligtum!
Und haßt er uns, nun gut, er sei so dumm!
Er weine seine scheelen Augen blind,
Wenn ihn die Tugend gar zu stark erregt
Und ihn zerschmettert und zerschlägt.
Mag er die alten Helden ungeschwächt
Mit Ruhm bedecken, sein erwählt Geschlecht;
Er liebt sie nur, weil sie vergangen sind.
Ist das denn nicht sein gutes Recht?
Doch müssen wir in dieser Liebesbrunst
Den Haß auf unsre Tage sehen;
Denn könnten durch des Himmels Gunst
Die Toten heute auferstehen,
Dann hörten wir in kurzer Zeit,
Wie jene Nörgler, feig und voller Neid,
Nur auf die Lasier ihrer Liebsten deuten.
Die Toten aber machten fluchend kehrt,
Sobald sie von den feilen Leuten
So schändlichen Verrat gehört.
Du schnöder Neider, heule nur voll Wut
Auf dies Jahrhundert, reich an großen Geistern.
Feiger Verleumder, wilde Natternbrut,
Müh' dich nicht unnütz, deinen Zorn zu meistern.
Kehr' gegen unsre Tage deine Wut,
Versucht nur weiter dein Pamphlet zu kleistern:
Am Glanz der Gegenwart verblaßt dein Mut...
<156>Des Neides Pfeile mögt ihr still verachten,
Die euer Leben zu zerstören trachten.
An eurer Tugend werde stumpf sein Zahn,
Vergeblich soll er euch mit Bissen nahn!
Ihr scharfen Richter, lernt den frechen Sinn
Vor einem großen Namen beugen,
Streut Blüten auf der Helden Asche hin;
Doch wollt ihr uns der Toten Vorbild zeigen,
So gebt auch unsrer Zeit ihr Lob zu eigen!

Ja, Freund Fouque, sind wir erst einmal tot,
Schätzt man auch uns in abertausend Jahren.
Dann blüht der alten Toten Morgenrot,
Und sind wir erst ins Grab gefahren,
Gefühllos allem Lob und aller Not,
Dann werden wir nicht mehr beneidet,
Wenn uns das Volk in Glorie kleidet
Und unsres Ruhmes helle Fackel loht.


153-1 Generalleutnant Heinrich Augnst Baron de La Motte Fouque, der Freund des Königs seit den Rheinsberger Tagen. Vgl. Bd. IV, S. 39 f.

153-2 In der Schlacht bei Laveld (vgl. S. 73).