22. An die Gräfin Camas157-1
Nein, niemals wag' ich, würdige Camas,
Mit Ihrem Geist, dem glänzend inhaltreichen,
Die geistesarmen Reize zu vergleichen,
Die ich an unsren leeren Gänschen sah.
Das bißchen Schönheit oder frische Jugend
Ist ihnen Stellvertreter aller Tugend.
Gleich Blumen sind sie, deren bunte Pracht
Kaum eine einz'ge Sommerspanne dauert;
Wenn sie ein Hauch der Glutzeit überschauert,
Verwelkt die Schönheit, die uns ftoh gemacht.
Und wenn ihr Farbenglanz uns nimmer lacht,
Wird's keinem mehr belieben, sich zu bücken,
Um sie zu tränken oder sie zu pflücken.
<158>Wer Einsicht fühlt und Feinsinn, der verehrt
Statt Schönheit Geist, der unser Wesen klärt.
In Ihnen sind die Gaben wohlverbunden;
Ihr Sinn, der hundertfältig Früchte bringt,
Ist menschlich mild und immer frohbeschwingt.
Ihr Geistesreichtum lebt zu allen Stunden,
In allen Landen und in jeder Zeit.
Daß Sie so manchen wahren Freund gefunden
Und Glücks noch mehr, ist nur Gerechtigkeit.
Ihr graues Haar wird nimmer von Geschmeiden,
Von Flitterkram und Bändern nicht bedrückt.
In Riesenreifenröcken, goldgeschmückt,
Braucht nicht Ihr Körper Folterqual zu leiden.
Doch unter Ihres Haares Tracht entzückt
Uns Mannesgeist, so selten, ach! zu finden,
Dem wir so wohlverdiente Kränze winden.
So viele Freuden scheuchen Alters Pein —
Worauf wollt ihr euch, fade Schönen, stützen?
Die Lärvchen sind ja hübsch im Iugendschein;
Ihr ältlich Grinsen wird euch garnichts nützen.
Ihr äugelt schmeichlerisch, ihr tut gar fein,
Und Schönheit muß wohl allem Anmut geben.
Allein — ich sag' es nur mit Widerstreben —
Dasselbe gilt für unser Augenmerk
Von Bouchardon158-1 ein schönes Bildnerwerk.
Ach, wenn der Himmel, günstig eurem Lieben,
Euch stumm geschaffen hätt' von Anbeginn!
Wär' euren Buhlen Hörsinn ausgeblieben!
Dann konnte unser liebeglühnder Sinn
Sich länger mindstens in den Wahn versenken,
Daß euer Geist berufen sei, zu denken.
Doch jetzt ist jede so sehr Schwätzerin —
Mich überläuft ein todesfrostig Schaudern,
Vernehm' ich nur die Spur von eurem Plaudern;
Und eures Lockens sämtlichen Gewinn
<159>Und eures Reizes Siege mir im Herzen,
Durch eure Reden müßt ihr sie verscherzen.
Spiel, Flitterwerk und Klatsch und Modeschlif,
Geschichtchen, tausend Liebesfadigkeiten,
Gewürzt mit hundert dreisten Albernheiten,
Sind eurer Unterhaltung Inbegriff.
Doch wollt ihr Anspruch gar auf Geist erheben,
Das ist nun wahrhaft herrlich zu erleben.
Ich sehe schon die Extraschüsseln nahn,
Gereicht von Weibchen mit Pedantenwahn
Und dumm; sie spielen die gelehrten Frauen,
Wie wir sie bei Molière, dem Großen, schauen,
Mit seiner Meistermalkunst abgetan
In seinen Stücken, die mit Witz erbauen,
Darin sein Urteil goldne Worte prägt
Und tausendfach die Toren niederschlägt.
Erzittert, abgeschmackte Ziergestalten:
Schönheit vergeht, das Alter stellt sich ein;
Es ritzt euch die gewelkte Stirn mit Falten,
Und euer Liebreiz wird vernichtet sein.
Geliebter Spiegel, gibst du ihnen dann
Bleifarbig fahle Angesichter wieder,
Zahnschwund, erloschne Augen, Tränenlider
Und Haar, des Glanz in trübes Grau zerrann,
So faßt ein Eumenidenzorn sie an;
Ihr Wüten wird dir, ach! dein Glas verderben:
Zerschmettern werden sie's in tausend Scherben.
O, wie das wurmt: der Alabasterhauch
Des Teints vergilbt. Und Ros' und Lilien fliehn.
Die abgöttisch Verliebten fliehen auch:
Vor Vetteln wird kein schöner Tyrsis knien.
Des Boudoirs verschmitzte Gaukelkunst,
Der Flitterglanz, der Blümlein frische Pracht
Schmückt die verjährten Reize ganz umsunst.
Der jugendschönen Frauen Putz und Tracht
Ziert alte Mütterchen wahrhaftig nicht:
<160>Ach, sieht das schlecht zum welken Angesicht!
Die Liebelei, die euch zu Häupten schwebt,
Die euch bei Ball, Souper und Fest belebt,
Uns Pfeile schickt aus schöner Augen Schimmer,
Sie flieht dieselben Augen einst für immer.
Anbetungswürdig scheint die Schönheit heute;
Das alte Weibsbild! spotten einst die Leute.
Die Trübsal eures Alters tut mir leid:
Zu Wohlgefallens fernerer Entfaltung
Bleibt euch ein einzig Mittel: Unterhaltung.
Doch wie es nützen, wenn ihr geistlos seid?
Als altgewordne Puppe, öde Base,
Die nichts als Muhmenklatsch erzählen kann,
Zieht man die Kunden nicht in Menge an.
Vom Vorsaal schon schleicht Pesihauch in die Nase
Des armen Buhlen. Da vergeht Ekstase;
Der Ekel treibt ihn aus der schlimmen Luft,
Dem gräßlich ewigen Gebrestenduft.
Gott weiß, wie die Chasots160-1 der spätern Zeit,
Die Ferdinands,160-2 die Knechte aller Schönen,
Geborne Spötter ohn' Empfindsamkeit,
Dann eure würd'gen Angesichter höhnen,
Wenn ihr, grell aufgeputzt die Schreckgestalt,
Zuletzt auf Liebenswürdigkeit verfallt.
Ja, die Galans, die euch die Tür einlaufen,
Sie werden sich dann nicht mehr darum raufen,
Euch bleibt ihr spöttisch Lachen nur und Scherzen.
Ich seh es, dann bereut ihr's wohl mit Schmerzen,
Daß ihr in launenhafter Sprödigkeit
So schnöde heut verschmäht die vielen Herzen,
Die euch der Buhlen Schar zum Opfer weiht.
Erst muß die tolle Hoffart Schiffbruch leiden,
Ich seh's voraus, dann mit der Reize Rest
Ermutigt ihr das Werben gar bescheiden,
Das heute noch euch Eitle fühllos läßt.
<161>Umsonst des rost'gen Alters heiß Verlangen:
Nie wird es Liebeshuld'gung mehr empfangen.
Dies ist das Los der holden Nichtigkeit,
Die einzig lebt von Schönheit und von Jugend.
Sie aber, würdige Camas, hat Tugend
Aus solchen Schiffbruchs Not fürwahr befreit.
Was tut es, daß der Zeit Zerstörertrieb
Auch Ihren Iugendreiz erblassen machte,
Da Ihnen doch Ihr halbes Selbst verblieb:
Ihr geistig Wesen, das ich lieb' und achte!
Weit ragt es über äußern Reiz empor.
Besiegen Sie die Wut der Zeit, die schele;
Nicht trifft sie Ihren prächtigen Humor
Noch Ihre unbeirrbar starke Seele!
Ja, Sie verschmähn die dumme Wichtigkeit,
Wie sie Hofmeisterinnen gern bekunden;
Sie Weise sind zur Nachsicht gern bereit.
Ihr reger Sinn erweckt die Heiterkeit
In lauer Hofluft farblos öden Stunden.
Und mehr: aus echter Frömmigkeit sind Sie
Gut hugenottisch, doch unduldsam nie.
Teure Camas, ist dieser eine Zug
Um Sie zu lieben Grundes nicht genug?
Nichtwissern gelten Sie als ihresgleichen,
Vielwisser wissen wohl, Sie wissen viel.
Sie schmiegen sich mit einem anmutreichen
Geschick in der Gesellschaft Brauch und Stil.
Die Jugend dankt mit Frohmut Ihrem Lachen,
Die Reifen künden Ihrer Weisheit Ruhm;
In Ihrer Güte, Ihrer immerwachen,
Ertragen Sie getrost vom Greisentum
Gebrechlichkeit und blöden Schwatz der Schwachen.
Durch solche Züge, durch Vollkommenheit
Hat wahre Freunde Ihr Gemüt errungen.
Dies — glauben Sie! — ist Amor nie gelungen
Bei wollustgleichen, leichtbeherzten Jungen,
<162>Wenn er in Torheit flattert weit und breit.
Die echte Freundschaft gründet sich allein
Auf hohe Achtung, die der Tugend Sold ist —
Und die ist Ihnen eigen; obendrein
Der Zauber auch, daß jeder Ihnen hold ist.
Ja, singen will ich, o Camas, fortan
Dies Ihr natürlich schönes Geisieswesen;
Ihm weih ich, was ich dichtend fühl' und kann.
Und Sie will ich in meiner Verse Bann
Zur Pallas, zur Minerva mir erlesen.
157-1 Gräfin Sophie Karoline Camas, geb. von Brandt, Witwe des Obersten von Camas und seit 1742 Oberhofmeisierin der Königin Elisabeth Christine, die mütterliche Freundin des Königs. Sie starb 1766 im Alter von 80 Jahren.
158-1 Edme Bonchardon (1698—1762), französischer Bildhauer.
160-1 In einer hier nicht aufgenommenen Epistel an Franz Isaal von Chasot, der noch zum Rheinsberger Freundeskreise gehörte, wird der Mißbrauch der Liebe gegeißelt.
160-2 Prinz Ferdinand, der jüngste Bruder des Königs (vgl. S. 67).