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24. An d'Argens171-1
(1747)

Lenz will's werden; schwach zum Sterben, räumt der Winter ihm das Feld,
Und die eis'gen Stürme haben schon ihr Wüten eingestellt.
Draußen, wo die Saaten keimen, frei und froh die Welle rollt
Durch des Eises Trümmerschollen, das sie gar ersticken wollt'.
hei, und unsre Rieselbäche! Über goldig-klaren Sand
Treiben lustig die erlösten ihren Schlängellauf durchs Land.
Flora aber hat Natur
Wie ein Lieblingskind bedacht:
Flora schmückt uns Feld und Flur
Schon mit Frühlingsblumenpracht.
Neu wird alles unterm Himmel, und es mahnt das junge Jahr
Alles Holden, alles Lieben, das vor Zeiten unser war...

Doch indes mein Griffel hier
Euch zu schildern treu bemüht ist,
Wie ringsum die Welt erblüht ist —
Was, mein träger Herr Marquis, tut Ihr?
Faulheit, die geliebte Herrin, hält Euch fest in Bann und Fron,
Unbeweglich, taub an Sinnen, ihre Lider schwer von Mohn!171-2
Wie ein Klausner lebt Ihr hin,
Unbekannt schier in Berlin,
Mitten in der Residenz,
Und zu freudigerm Genießen,
Draußen, wo die Saaten sprießen,
Ruft vergebens Euch der Lenz.
Ei, so laßt mal Euern Bau,
Wo die Langeweile nistet,
Die Gedanken grau in grau,
Eure Händel, Eure Grillen,
<172>Ärgernisse, die die Galle
Nur erregen, laßt sie alle!
Euer Herz mit Lust zu füllen,
Wüßt' ich schon ein Wo und Wie:
Kommt zu mir nach Sanssouci!
Dort erst ist man recht ein König, ist sein eigner Fürst und Herr,
Auf dem Lande, in der Stille! Weiß nicht, wo man freier wär'!
Fragt Ihr nun, wo sie gelegen, meine grüne Einsamkeit,
Wo beschaulich diese Strophen Euer Freund für Euch gereiht,
Jener Ort, wo meiner Tage schönste mir die Parze spinnt —
Hört, ob Ihr ein Bild gewinnt!

Hoch auf eines Hügels Rücken,
Wo das Auge mit Entzücken
Schweift, soweit der Himmel blau,
Hebt gebietend sich der Bau.
Hohe Kunst ward dran gewendet;
Sorglich schuf und meisterlich
Mir des Meißels Hieb und Stich
Stemgestalten formvollendet,
Die das Ganze prächtig schmücken,
Ohne lastend es zu drücken.
Morgens taucht mein Schlößlein ganz
Sich in goldnen Frühlichtglanz,
Der es grüßt, wenn er erwacht.
Sechs bequeme Treppen lassen
Nieder über sechs Terrassen,
Mählich sacht
Euch zum Haine niedersteigen,
Euch zu flüchten
In die grüne Dämmernacht.
Dorten läßt dann unter dichten,
Unter hundertfarbigen Zweigen
Loser Nymphen Schelmerei
Klare Silberwellen nieder
Sprudeln über Marmorglieder —
Gab's seit Phidias jemals wieder
Solche Meisterbildnerei?

Seht, dort regelt meine Tage
Holdes Gleichmaß, still gedeihlich,
<173>Fern der dummen Modeplage
Endlos langer Prunkgelage,
Steif, nach Vorschrift und langweilig:
Stumpfsinn gähnt da, Überdruß
Zum Verschwenderüberfluß
Unsrer Midasse von heute;
Und was alles da für Leute
Blind zuhauf der Zufall lehrt!
Frostig lächeln sie, verzerrt,
Ob des Zwanges still ergrimmt,
Der, was nie zusammenstimmt,
Dorten zur Gemeinschaft bindet,
Peinlich nur und unbequem!
Seht Ihr, nichts von alledem
Ihr in meinem Hause findet!
Mittags ladet unser Tisch zu bescheidenen Genüssen —
Just, daß man befriedigt sei:
Kein Zuviel, noch Schlemmerei —
Die mit wertvollen Gesprächen weidlich wir zu würzen wissen.
Wie das sprudelt, wie das schäumet! Funkelhelle Geistesblitze —
Manchmal macht man auch auf Kosten fremder Dummheit seine Witze.
Mehr denn so ein Schlemmerftaß
Eurer Herrn Apiciusse,
Eurer Helden im Genusse,
Gilt ein Wort von Geist und Anmut, gilt bei uns ein kecker Spaß!
Niemals spielt bei uns die Falschheit ihre niederträcht'gen Szenen,
Noch verstellter Haß, den keine Macht der Erde kann versöhnen:
Wie das sich verrenkt, sich windet, Brust an Brust bewegt sich drückt,
Süße Iudasworte stammelt und beinahe dran erstickt!

Dort ist auch kein Platz für jene, die, ins eigne Ich verliebt,
Es mit glühnden Farben malen,
Von sich selbst, dem Ausbund prahlen
Alles Tücht'gen, was es gibt;
Ihr Geschwätz ohn' Unterlaß
Ist nichts als ein Spiegelglas,
Davor sie in Andacht stehn,
Männchen machen und sich drehn.
Das Getu' und das Gespreize zierlich zimperlicher Herrn,
Hochbetitelter Hanswürste, die verschämt tun und sich sperrn,
<174>Die um nichts viel Motte machen
Und im Chorus gerne lachen —
Alldergleichen bleibt uns fern.
Dort, der Himmel sei gepriesen,
Sind wir auch verschont von diesen
Tröpfen, die mit ihren modischen
Metaphysischen, methodischen
Abhandlungen und Beweisen
Die erstaunte Welt bereisen —
All das Eselzeug auf us
Nach selbsteignem Taufbeschluß.
Bei uns gibt's kein hämisch grinsend, lieblos scharfes Besserwissen,
Keine Argusse mit gift'gen Krallen oder Raubtierbissen,
Keinen, der mit Höllenwässern seine Schmähschrift noch versetzt,
Und so sind wir auch zuletzt
Frei von jenen Schwätzern allen,
Leidigen Schmarotzerseelen,
Die die liebe Zeit uns stehlen
Und uns auf die Nerven fallen.

Diese stille Einsamkeit
Ist mir Bollwerk, Wehr und Turm
Wider jeden Stoß und Sturm
Dieser wildbewegten Zeit,
Unrast, Wirrsal, Not und Streit;
Wider alles, drein so gern
Uns die Menge möchte zerrn,
Uns, die Weisen, die dem Wissen, die den Künsten sich geweiht.
Ach, d'Argens, besieht man's recht,
Ist das menschliche Geschlecht
Nichts als gierig, dumm und schlecht!
Glücklich, wer abseits vom Wege sich ein Heiligtum gebaut,
Zuschaut, wie zu seinen Füßen Sturm und Wetter grollt und braut;
Wüste Trümmer sieht er treiben drunten in dem Klippenmeer,
Und er nickt: es ist nicht anders, seelenloses Ungefähr
Treibt sein Spiel mit eurer Ehrsucht! Seht, nun deckt den weiten Strand
Trümmergraus so stolzen Hessens, das gar bald sein Ende fand!
Glücklich jeder Unbekannte, ja, gesegnet tausendmal,
Der den Kopf sich klar behalten, der des Ruhmes Giftpokal
Von sich stieß, noch ungekostet, der sich zeitig noch besann,
Was an all dem Lorbeersegen der Geschichte ernstlich dran,
<175>Der in treuer Pfiichterfüllung quitt mit seiner Mitwelt ward
Und die Müh' um sein Gedächtnis bei der Nachwelt gern sich spart,
Nicht erbettelt ihre Gunst
Und ihr bißchen Weihrauchdunst!

Nein, Marquis, die eitlen Streber, laßt uns alle sie verachten,
Wir, fürwahr, sind nicht die Narren, ihrem Glückswahn nachzutrachten.
Eher soll ein Frühaufsteher unser Freund d'Argens sich nennen,
Eher soll ein Esel Sieger werden bei dem Pferderennen,
Oder die Camas175-1 'ne Metze,
Eher stießt die Elbe aufwärts wider die Naturgesetze!
Mögen denn die Ruhmbedürft'gen nur sich selber Beifall spenden,
Ungesättigt bleibt ihr Hunger, ihre Not wird nimmer enden.
Pläne über Pläne häufen mögen sie, der Unrast Beute,
Nur von ihrer Hoffnung lebend, abgestorben für das Heute!
Uns lockt alles dies vergebens;
Wir genießen unsres Lebens
Nach der Kunst und Möglichkeit!
Bellt nur, Höllenhund und Neid!
Uns sei eines nur bewußt:
Jedes Augenblickes Lust
Raubt der Sturmgang uns der Zeit,
Die uns unsre schönsten Tage
Wie im Fluge hetzt vorbei;
Heut des Lebens Blütenmai,
Morgen Alters Last und Plage!
Ach, der Mensch, geworden kaum,
Ist er auch gewesen schon,
Ja, das Leben ist ein Traum! —
Doch wenn dieser trockne Ton
Der Betrachtung Euch verdrießt,
Ei, so hört denn, was davon
Meine Nutzanwendung ist —
Ob Ihr der Euch wohl verschließt?!
Maßen meine Freundestreue Euch beschwört, nur zuzugreifen,
Frisch die Freude festzuhalten, die Euch will vorüberstreifen,
Leichter Hand und leichten Herzens, eh die flüchtige entschwinde!
Was geht uns das Morgen an?
Und der nächste Tag sodann?
Ob das Schicksal uns, das blinde,
<176>Einen Vorrat langer Jahre gnädig noch hat zugedacht,
Ob's mit Götterhuld uns lacht,
Oder ob es ohn' Erbarmen
Droht, mit seinen wucht'gen Armen
Uns, betäubt von Not und Schrecken,
Nieder in den Staub zu strecken —
Einerlei!
Rosen! Rosen bringt herbei!
Schlingt sie feiernd um die Stirn!
Seliger ein holdes Irrn
Denn die wahren Daseinsgüter! Darum raubt die flinken Schwingen
Jenen Liebesgötterschlingeln, ihre Pfeile, laßt sie schwirrn,
Laßt sie klingen, laßt sie springen
In die Herzen unsrer Schönen! — Denn zuletzt sind wir nur Herrn
Dieser flücht'gen Gegenwart;
Wer da aufschiebt, was er gern
Sein genannt, ist meist genarrt.
Drum so sag' ich: unverdrossen
Jedes Augenblicks genossen:
Heut' ist uns der Himmel hold;
Weiß nicht, ob er morgen grollt!


171-1 Vgl. S. 45. Die Entstehung dieser Epistel fällt in das Frühjahr 1747, kurz nachdem das „Lusthaus auf dem Weinberg“, Schloß Sanssouci, am 1. Mai durch ein festliches Mahl mit zweihundert Gästen eingeweiht worden war.

171-2 Vgl. Bd. VIII, S. 192ff.

175-1 Vgl. S. 157.