Das Palladion
Ein tiefgründiges Gedicht
(1749)
<178><179>Vorwort
Im Mittelpunkte des ganzen Gedichtes sieht der Marquis Valory.179-1 Die Fabel setzt voraus: Ihm ward die Wundergabe zuteil, daß er durch seine Gegenwart das Preußenheer unbesiegbar macht. Die Heiligen, die sich überall einmischen, offenbaren dies Geheimnis dem Prinzen Karl von Lothringen,179-2 der darauf den Plan faßt, den Marquis zu entführen. Nach einigen mißglückten Versuchen fängt Franquini179-3 statt des Marquis dessen Sekretär Darget,179-4 der in diesem Gedicht ebenfalls eine bedeutende Rolle spielt. Die Preußen, die Valory und der Dämon der Zwietracht anstacheln, den angeblichen Schimpf zu rächen, liefern den Österreichern eine blutige Schlacht, bei der selbstverständlich auch die Heiligen mittun. Die Preußen behaupten das Feld, ihr Siegespreis ist die Auswechslung Dargets gegen einen gefangenen österreichischen General. Prinz Karl verzichtet auf seinen Plan, Valory zu entführen: das Komplott ist zu Ende und die Harmonie wiederhergestellt.
Sollte einen böswilligen Leser diese Fabel für ein Heldengedicht nicht heroisch genug bedünken, so sei er auf das berühmte Gedicht vom „Rattenkrieg“ 179-5 verwiesen, auf Boileaus „Lutrin“ oder auf Gressets Papageienepos.179-6 Wenn all diese unsterblichen Leistungen ihn keines Besseren belehren, so muß sich der Verfasser mit der Gewißheit trösten, daß die Nachwelt nie und nimmer aufhören wird, ein Werk zu bewundern, das eine Verschmelzung aller Epik von Noah bis auf unsere Tage herab bildet. Sein Gewicht noch zu mehren, soll dem Werke ein Abdruck der begeistertsten Zuschriften vorangestellt werden, die beim Verfasser über seine Leistung voraussichtlich einlaufen. Und wenn Herr Euler179-7 bei seinen mathematischen Berechnungen ein Auge drangab, so wird ihn die schwierige Aufgabe wohl noch das andre kosten, die Masse der Lachsalven festzustellen, die unser tiefgründiges Gedicht in der Welt beim Lesen hervorruft.
<180>Erster Gesang
Das Palladien soll entführt werden
Helden zu singen ward ich nicht geboren:
Die Flöte blas' ich statt der Erzdrommeten;
Wie spitzt das Musenroß vergnügt die Ohren
Beim Schenkeldrucke rechter Kraftpoeten —
Steigt aber unsereins ihm auf den Rücken,
Ein Schinder ist's, hartmäulig, voller Tücken!
Doch mag auch unhold meine Stimme klingen,
Ich will heut' einen Helden wunderhehren,
Will unfern dicken Valory besingen:
Ihm hat sein Schicksal ganz besondre Ehren
In toller Narrenlaune zugedacht —
Hat zum Palladion Preußens ihn gemacht!
Das gab um ihn gar wilde Aventüren,
Ein blutig Raufen gab's, da die Husaren
Spitzbubenfiink ihm überm Halse waren,
Den Hort dem Preußenlager zu entführen.
Du Göttlicher, du Schwatzmaul ohnegleichen,
Vater Homer/
Altmeister und Orakel du uns allen,
Die Reime basteln unter deinem Zeichen,
Du Abgott aller Tröpfe
Und öden Tüfteltöpfe
In deinem Interpretenheer —
Heut' sei mir nah und tu mir den Gefallen
Vgl. S. 153 f. und 167.
<181>Und überliste euren Höllenhund
Und stiehl dich fort aus eurem Kellerschlund
Zum Licht hinan: du sollst mir Hilfe leisten
Bei meinem helikonischen Erdreisten!
Du sangst vom schmollenden Achill —
Doch der, er mag so groß sein, wie er will,
Der jeden Feind zerschmettert hat, zerkerbt,
Des Xanthos klare Welle rot gefärbt —
Im Grunde war's kein Kerl von Fleisch und Bein!
Da ist mein Valory ein andrer Held,
Kein Fabeltier. O nein! Ins Waffenfeld
Bracht' ihn der Vater schon, als er noch klein —
Kurzum: ein richtiger Held! Und seine Richtigkeit
Hat auch, was ich erzähle lang und breit.
O Hedwig, du Schutzherrin von Berlin181-1 —
Zwar du hast recht, es ist ein starkes Stück:
Ein Ketzer, Schüler des Calvin,
Und steht zu dir um einen Gnadenblick!
Um einen nur! Ein Wunder sollst du wirken
Am untertänigsten Gevatter dein
Und meinem Sang erst Schwung und Wärme leihn;
Vielleicht in paradiesischen Bezirken
Denkst du auch mal beim Paternoster mein
Und meiner Reimerein?
Stehst du bei diesem Werk mir bei,
So glaubt die Welt, daß es das deine sei.
Das gute Karlchen, schnöd hinausgejagt
Aus Schlesiens Fluren, hatt' mit seinen Scharen
östreich'scher Helden stolz und unverzagt
Ein höchst pompöses Lager aufgeschlagen,181-2
An Schätzen reich für Herz und Magen,
<182>Daß sie so recht geborgen waren
Am Strand der Elbe, fast
Wie Mönche in der fettsten Klostermast.
Wenn ihnen nur das Preußenheer
Nicht immer auf den Fersen wär'!
Für jeden, der nicht auf den Ohren saß,
Ein schlechter Spaß:
Fern um des Lothringers Lager rundum
Der preußischen Trommeln Rumplum!
Vergebens packt er in die zähe Kette,
Die er, im starken Lager hart umstellt,
So gern zerrissen hätte.
Vergebens bricht er vor ins offne Feld:
Zersprengt in alle Winde und zerstreut
Muß er die Seinen immer wieder schauen,
Ganz außer Atem, lahm gehauen
Und fürchterlich zerbläut!
Und gramgebeugt, gelehnt auf Freund Rosières,182-1
Gleich Ares groß im Männermorden,
„Wo ist der Heilige nun, der mich erhöre?
„Wer, Teufel, hält die flüchtigen Horden
„Mir noch zusammen?“ seufzt er. „Immer wieder
„Hab ich's versucht — umsonst! Das wirft mich nieder:
„Der Kaiseradler kehrt aus jedem Strauß
„Gerupfter heim, und bald ist's gänzlich aus!“ —
„Prinz“, rief der fluge Freund, „was soll das Sorgen!
„Wer wird denn so langweilig Trübsal blasen?
„Wer weiß! Wer heute weint, der lacht schon morgen;
„Drum, Herr, die Ohren steif und hoch die Nase!
„Wer zwingt das Schlachtenglück?! Laßt's seinen Laufgehn
„Und seid vergnügt und laßt mal etwas draufgehn.
„Wir wollen uns heut mal was Besondres gönnen,
„Wer weiß, was morgen wird, das Glück ist blind:
„Ob wir nicht auch mal an der Reihe sind,
Den Feind zu überrennen!“
Gesagt, getan! Die langen Tische krachten,
Von guten Dingen voll, das gab ein Fressen!
<183>Dreißig Lakaien sprangen wie besessen
Mit leckren Schüsseln, die sie eifrig brachten.
In allen Farben sprüht es in den Bechern,
Der stürzt den Kapwein, wie man Wasser trinkt,
Der herben Pontac, der rubinrot blinkt,
Und sprühender Champagner löst den Zechern
Das Zungenband, macht sie zu wilden Sprechern.
Graf Saint-Ignon,183-1 in seinem Harnisch schwer,
Was schwatzt er für ein blödes Zeug daher!
Da, in der allgemeinen Heiterkeit,
Löst unserm Karlchen wie ein schwerer Bann
Sich von der Seele Gram und Herzeleid;
Schon fängt von seiner Liebsten jeder an.
Mein Karlchen lacht und lacht und trinkt und trinkt,
Sein Kopf ist bald von Weindunst ganz verblödet;
Er merkt nicht, wie ihm längst die Zunge hinkt,
Und schwatzt und prahlt und weiß nicht, was er redet.
Er zwinkert mit verklebten Äugelein,
Die Welt um ihn tanzt einen Ringelreihn;
Nun will er fort — doch es will nicht wie er,
Wie stehn ihm doch die Beine so verquer!
Er wackelt, purzelt, fuchtelt mit den Armen,
Bis ein paar Freunde seiner sich erbarmen;
Von denen wird er aufgesackt
Und in sein Federbett gepackt.
Die Trunknen schirmt der Himmel: sieh, da naht er,
Sein Beichtiger und Seelenheilberater;
Die Segensfinger zwei, die stets gereckten,
Zeichnen das Kreuz ob dem im Pfühl Versteckten.
„O heiliger Hieronymus! O Peter!“
Psalmengebrummel und Lateingezeter;
Davon wird unserm Sünder urbehaglich:
Gottlob, nun schlaf' ich endlich ein! Unfraglich!
Nichts ruft so schnell den Schlaf herbei
Wie eine schöne Litanei.
Man gähnt, in unserm Kopf wird's schwer und bleiern,
Man senkt das Kinn, und die Gedanken feiern,
<184>Die Lider fallen zu, auf geht der Mund,
Schon schläft man gründlich und gesund.
Nun war des Himmels, der Erde Bild
Vom schwarzen Schleier der Nacht verhüllt,
Die Eulen schrien — es klang ganz graulich —
(Uns war dieser Vogel stets wenig erbaulich!) —
Da kam wie auf leichtem Sperbergefieder
Ein neckischer Spuk. Er schwang sich hernieder
Zum Zelt, wo er schnarchte, der trunkene Prinz:
Ein Heiliger seines Zeichens und Standes,
Höchstselber der Heilige des Wenzellandes,
Der naht sich ihm leise: „Erschrick nicht, ich bin's!
„Ich habe von oben dein Leid gesehn
„Und komme herab, um dir beizustehn.
„Als Nepomuk hat man mich hierzulande
„Gekannt und geschunden — es war eine Schande!
„War hier mal als Beichtvater angestellt.
„Nun, da wird einem ja so manches erzählt,
„Was mancher gern wüßt' — du verstehst mich schon.
„Mein König, ein schäbiger, roher Patron,
„Wollt' an kein heiliges Gebot sich kehren
„Und alle Beichtgeheimnisse hören.
„Ich blieb bei meiner heiligen Pflicht.
„Da befahl wutschnaubend der Bösewicht:
„Hält er so ängstlich reinen Mund,
„Schneidet die Zunge ihm aus dem Schlund!
„Nun — einen richtigen Heiligen grämt das nicht sehr:
„Eine Zunge weniger oder mehr!
„Aber um auf dich zurückzukommen,
„Weshalb ich daher durch den Äther geschwommen,
„Wie ich da bin, vom Paradies —
„Was mich da aufgejagt hat, ist dies:
„All unsre Getreuen seh“ ich verzagt,
„Vernahm, wie du, mein Held, geklagt!
„Und meines Helden Jammergeschick,
„Der doch so ein guter Katholik,
„Will mir das Herz im Leibe zerreißen:
„Wie zappelst du in den preußischen Schlingen!
„Soll's denn dem verdammten Ketzer gelingen?
<185>„Denn ob sie mich gleich einen Heiligen heißen,
„Verzeih mir's Gott, ich habe noch heute
„Eine ehrliche Wut auf jene Leute,
„Die nie zu Messe und Beichte gehn:
„Schufte sind es und Übeltäter
„An Gott und der Menschheit, meineidige Verräter —
„Mit ihrem Alles-besser-Verstehn,
„Mit ihrem Spott über Heilige und Messe,
„Ihren armen Vernünftelein,
„Mit ihrer Aufklärung, ihrer Presse!
„Wie gerne brock' ich dem niederträchtigen
„Lumpengesindel, dem ganz verdächtigen,
„Mit euch zusammen etwas ein!
„Mit euch, meinen lieben, rechtgläubigen Kindern
„Aus Österreich und dem Ungarland!
„Es gibt einen Rat, eure Not zu lindern —
„Freilich, er liegt nicht just auf der Hand.
„Drum merk' fein auf: Kaum wird's euch gelingen,
„Die Preußen mit Gewalt zu zwingen;
„Du weißt, wie's euch ging; ich warne beizeiten,
„Laßt vom Heldenmute euch nicht verleiten!
„Mein Mittel ist von ganz besondrer Art:
„Sei dir denn das Geheimnis offenbart.
„Du weißt, mein Prinz, daß einst in Sturm und Streite
„Die hohe Feste Ilion
„Die göttliche Minerva feite.
„So hat auch Preußen sein Palladion!
„Sankt Genoveva und Sankt Hedewig,
„Die beiden heiligen Damen fanden sich
„Und schenkten jenen, euch zum Tort,
„Der Siege Unterpfand und Hort,
„Und zwar in der Gestalt — du rätst es nie! —
„Eines französischen Marquis;
„Kurz, das Palladion, auf mein heilig Wort,
„Es ist der dicke Herr von Valory!
„Traut keiner sich, den Schatz zu stehlen,
„Kann's denen drüben niemals fehlen;
„Schnappt ihr ihn weg durch ein Husarenstück,
„Zum Teufel ist dann Preußens Glanz und Glück,
<186>„Aus ist's mit seiner Glori!
„Drum holt euch den Valory!“
Und damit — hast du nicht gesehn!
Entschwand mit formlos eiliger
Empfehlung unser Heiliger;
Ein lautlos weicher Eulenflug
Ihn heimwärts trug
Ins Gnadenlicht der ewig reinen Höhn.
Mein Karlchen war wie vor den Kopf geschlagen:
Träum' ich? Hat sich das wirklich zugetragen?
O lieber heiliger Josef, welch ein Wunder!
Getrost, mein Herz, und zweifle nicht: Jetzunder
Mengt sich der Himmel drein, die Not zu enden,
Mit Rat und Tat! Bald wird sich alles wenden!
Schon öffnet mit Rosenfingern Aurore
Im Osten die Sonnentore.
Ins Morgengezwitscher der Vögel gellt
Trompete und Trommel durch Lager und Feld;
Die Krieger erwachen und rennen und schwärmen
Und stürzen den Frühtrunk mit Prahlen und Lärmen.
Welch lustiger Morgen! Ein Glückstag wird das!
Der Lothringer aufrecht im Bette saß
Und rieb sich die Augen — „He, lauf mal wer
„Und hole mir schleunigst meinen Rosieres!“
Der erschien. Drauf der Held: „Gleich steh' ich auf;
„Inzwischen, mein Lieber, spring und lauf,
„Laß deine klangvolle Stimme erschallen
„Und künde unseren Helden allen
„Den Anbruch der glorreichsten Morgenröte,
„Und daß ich sie unverzüglich entböte.“
Als erster kam Wallis,186-1 eine Nestorerscheinung,
Auch ein Schwätzer wie Nestor, stets anderer Meinung,
Ein Elsenschädel. Dann trat ins Zelt
Fürst Lobkowitz,186-2 ein gar stürmischer Held.
<187>Der Dummkopf Spada.187-1 Der Aremberger,187-2
Ein geistvoller Herr. Drauf Waldeck,187-3 wie immer
Bis oben geladen mit Wut und Ärger
Und greulich fluchend. Dann Stein,187-4 ein gar schlimmer
Spottvogel, berüchtigt durch Witzeln und Lästern.
Saint-Ignon, noch stark benommen von gestern.
Dann der sächsischen Herrlein wohlriechende Schar,
Das Maul voller Süße und immerdar
Die Höflichkeit selber, ich glaube, sogar
Ihr „Donnerwetter!“ klingt noch wie „zu dienen“.
Steif wie eine Kerze unter ihnen,
Glanzvoll, geschniegelt, wie auf Draht
Der Ritter von Sachsen.187-5 Zuletzt erschien
Versonnen, allein, er, der auf den Knien
Vor den Füßen der Heiligen und Marien
Gar oft vergessen, daß er Soldat:
Der fromme Böhme Kolowrat.187-6
Vor dieser auserlesnen Kriegerschar
Trat Karlchen wie ein kleiner Herrgott dar.
Von einem Schimmer Heiligkeit umwittert,
Das Antlitz von unirdischem Licht umzittert;
Das Haupt bedeckt, die Hüfte dolchbewehrt,
Gestützt auf sein gewichtig Heldenschwert,
Hub er jetzt hoheitvollen Tones an:
„Liebwerte Freunde, länger darf das
„So nicht dauern, das geht über den Spaß.
„Schockschwerenot! Jetzt kommen wir dran!
„Sind wir in Böhmen hier noch Herrn im Haus?
„Nun ist's genug, die Preußen müssen hinaus!
„Jawohl, ihr Herrn, ich weiß auch, wie man's macht:
„Mir ward eine Offenbarung diese Nacht!
„Jawohl! Und ohne Schwerthieb obendrein!
„Ihr staunt und fragt: Wie kann das möglich sein?
<188>„So hört: Mir hat's ein Heiliger anvertraut,
„Den ich in dieser Nacht geschaut!“
Drauf standen alle verdutzt und stumm,
Dann gab's ein Gemurmel und Gebrumm.
Vergebens machte Fürst Lobkowitz „pst!“
Er wollte was sagen! Doch das war ein Lärm,
Wie ein sumsendes Bienengeschwärm,
Dem keine Ruh zu gebieten ist;
Da muß man, ist's einmal aufgestört,
Abwarten, bis es von selbst aufhört.
So mußte auch hier in Geduld sich fassen
Der Lobkowitz und sie toben lassen.
Auf einmal war's dann wie abgeschnitten,
In tiefem Schweigen standen sie,
Wie um die Ungehörigkeit abzubitten —
Ein Mäuslein fuhr durch des Zeltes Mitten:
Man hörte es trappeln, das kleine Vieh.
Rief Lobkowitz: „So hübsche Geschichten
„Erzählt unser Karlchen, und ihr macht Spektakel!“
Schrien alle wie besessen: „Er soll uns berichten
„Von seinem Traum und von dem Mirakel!“
„Die Sache ist ernst, ihr Herren,“ begann
Von neuem Karlchen, „hört mich an!
„Es gilt nur, den Herren von Valory
„Dem Feind zu entführen; der dicke Marquis
„Allein macht die Preußen unüberwindlich;
„Erwischen wir den, dann siegen wir gründlich.
„Dann ist's plötzlich mit der preußischen Furchtbarkeit aus,
„Wir spielen die Katze, der Preuße die Maus.“
„Kinder,“ rief Saint-Ignon, „ich glaub',
„Der Prinz ist noch immer betrunken!“
Drauf der grobe Waldeck: „Mit Verlaub,
„Ich wär' in die Erde gesunken
„Vor Scham, hätte ich solche Ammenmären
„Erzählt. Ich pfeif' auf den Heiligenkram.
<189>„Im Schwert liegt das Heil, und wer mit Ehren
„Dem Tode trotzt, wird wundersam
„Den Seinen den Sieg bescheren.
„Wohlauf, mir nach, auf des Ruhmes Bahn:
„Zerschmettert soll der Preuße sich winden
„Uns unter den Füßen und knirschend fortan
„Der Nachwelt Waldecks Taten verkünden.“
Bei diesen höchst weltlichen Reden hat
Schon längst sich der fromme Kolowrat,
Gebete murmelnd, bekreuzt und gesegnet;
In heiligem Zorn er dem Spötter entgegnet,
Und kampflich die Eselsohren beide
Richtet er auf: „Daß dich doch, du Heide,
„Der Himmel strafe mit Feuer und Schwefel,
„Du Fürst, beladen mit Sünde und Frevel!
„Waldeck, ich sag' dir, an allen Himmeln
„Sind nicht so viele Sterne zu schauen,
„Wie der heiligen Männer und Frauen
„Endlose Scharen kribbeln und wimmeln!
„Freilich, sie würdigen nur gläubige Christen
„Der Gnade und Ehr' ihres Angesichts;
„Solch eines glaubenlosen, wüsten,
„Abgebrühten Taugenichts
„Harrt nur die Pein eines ewigen Gerichts!“
„Ha! Tod und Hölle!“ schäumt in Heller Wut
Jetzt Waldeck auf. „Mir das? Das fordert Blut!
„Zieh! Wärst du selber Mariens Sohn,
„Heimzahlt dir meine Klinge den Hohn!“
Mit klugem Wort trennt Aremberg die beiden:
„Wer wird so schnöde edles Blut vergeuden?
„Und müßt ihr's denn durchaus mal fließen lassen,
„Ist dies der Ort dafür: die Lagergassen?
„Nein, für ein Heldenlos von höherer Art
„Bleib' euer köstlich Leben aufgespart!
„Habt nur Geduld, für euren Blutandrang
„Ist mir um einen Feldscher gar nicht bang:
„Derselbe ist's, der sich nicht rückt und rührt
<190>„Von unserm Heimatboden; o, der führt
„Besänftigungsmittel mancherlei,
„Und gleich mit eurer Hitze ist's vorbei.“
So Aremberg, und seine Suada
Ergänzte der verdrehte Spada
Mit einer seiner Albernheiten,
Da lächelten sogar die Kampfbereiten.
Wo aber nehm' ich die Worte her,
Um würdig zu malen, wie Waldecks Groll
Mählich sich legte! Er war wie das Meer!
Das Meer, das im Sturme himmelan schwoll
Und lange noch brandet hinauf zum Strand —
Lange noch knurrte er nach!
Und der uralte Wallis sprach:
„Zu meiner Zeit hatte man mehr Verstand.
„Wenn damals im Kriegsrat des Prinzen Eugen
„Der Starhemberah190-1 sprach und kein Ende fand,
„Der bei jedem Wort euch Sentenzen spuckte,
„Den hätt' ich mögen sehn,
„Der da nur mit der Wimper zuckte.
„Zum Exempel, man hielt mal einen Rat,
„Der von Morgen zu Morgen gedauert hat —“
„Da habt ihr geschlafen“, sprach Spada. —
„Oho, keineswegs! Es geschah da,
„Daß der Plan gefaßt ward zu dem Tage,
„Der dann endete mit unsrer Niederlage —
„Hm! — bei Almansa.190-2 Auf jeden Fall:
„Mehr Haltung hatten wir dazumal,
„Und ich wünschte, die Heldenjugend von heute
„Hielt's wie wir dereinst, wir alten Leute!
„Das gute Karlchen, das uns herbeordert,
„In einem Kriegsrat uns was vorzutragen,
„Mit Recht jetzt ungestörten Fortgang fordert;
„Bedenkt, was sollte England190-3 dazu sagen,
„Und gar die Königin!“
<191>Mit höfischer Gebärde
Und mit Verneigung zur Erde
Der Sachsenherzog191-1 rief: „Sehr wahr, sehr richtig!
„Entführen wir denn Frankreichs Abgesandten!
„Welch Schimpf für Preußen! Unsre Räuberbanden,
„Für solchen Handstreich, denk' ich, sind sie tüchtig,
„Das liegt dem Pack schon besser als die Schlacht.
„Und ich, ob ich's schon halte mit Luthers Lehre,
„Bin gern dabei, wo Karl den Führer macht,
„Ich folg' ihm nach, und wenn's zur Hölle wäre;
„Auch alle meine Sachsen sich beteiligen.
„Versuchen wir's denn mal mit euren Heiligen!“
„Gotts Donner!“ schrie jetzt Waldeck zornentbrannt,
Sein Auge sprühte Blitze, und er kannt'
Schon keine Scheu und Ehrerbietung mehr.
„Wie eine Memme, Herzog, schwatzt Ihr daher!
„Bei Tisch, jawohl, seid Ihr ein grimmer Held;
„Doch da, wo seinen Mann ein jeder stellt,
„Vorm Preußen kriecht Ihr stets ins Mauseloch!
„Was ist's nur für ein Schreckbild, das sagt mir doch,
„Ihr Sachsen, he? Was für'n Gorgonenhaupt,
„Das flugs euch die Courage raubt?
„Wir sind das Gelächter der ganzen Welt:
„Seht doch, wird's heißen, die großen Führer im Feld,
„Seht doch, all jene Kriegerscharen,
„Die, das Blachfeld bedeckend, so zahlreich waren,
„Daß sie die Hölle mochten bezwingen,
„Ein Traumgesicht hat sie zu Narren gemacht,
„Ein Irrwischspuk um den Verstand gebracht:
„Sie wußten nichts mehr vom Niederringen
„Des streitbaren Gegners durch Waffengewalt,
„Wagten es nur noch mit Listen und Schlingen,
„Schwächlingskniffen und Hinterhalt!
„Und die Feiglingskünste, was frommten sie?
„Sie fingen einen dicken fränkischen Marquis!
„Das nenn ich eine Tat! O, ihr Gedächtnis
<192>„Bleibt unsrer Enkel schönstes Ruhmvermächtnis!
„Mit Fingern zeigt auf uns die Welt und lacht sich
„Den Buckel voll, und die Satire macht sich
„Aus unsrer Heldenherrlichkeit ein Fest —
„Kurz, was sich nimmer bemänteln läßt:
„Ihr bleibt, ihr Herren, der Bosheit der Welt
„Zum Gotterbarmen bloßgestellt.
„Soviel in zwei Worten. Das mußte mal raus!“
Der Lothringer zog die Stirne kraus.
„Waldeck! Ihr wißt nicht, was Ihr sprecht!
„So sehr ich sonst Euch zu schätzen weiß.
„Wohlan, ihr Herren, ist's euch recht,
„So sitzt der Herr von Valory
„In dieses Lagers Bann und Kreis
„Heut abend lieber noch denn morgen früh!
„Also hat mir's der Heilige kund gemacht
„In dieser Nacht.“
Alle Helden schrien:
„Recht hat er! Soweit wäre die Sache gediehn,
„Doch ist das Ob entschieden, will's der Brauch,
„Daß man das Wie erwäge: Wie fangen wir's an?“
Und Waldeck wiederum: „Na schön, alsdann,
„Großdenkend wie ich bin, biet' ich mich euch
„Mit Herz und Hand für den erhabnen Streich.
„Ist euch damit gedient, noch diesen Tag
„Hol' ich, meinetwegen unter Trommelschlag,
„Euch den Valory mitten aus dem Heer,
„Dem stolzen, siegestrunknen; ja noch mehr:
„Mitten aus dem Lager, aus seinem Zelt,
„Wenn's euch gefällt.“ —
„Ihr übertrefft,“ spricht Karl, „mein Erwarten; solche Glut
„Beschämt all unsrer Helden Wagemut.“
Die Feldherrn rücken jetzt mit hundert Aber an,
Und dies geht nicht, und jenes kann nicht sein;
Auf Gegengründe läßt sich keiner ein,
Fährnisse vorn und hinten — ach, es kann
<193>Der Blitzstrahl hinten so wie vorne zünden —
Not, nichts als Not! Wer kann den Ausweg finden?
Der Lothringer, stets guten Rates Finder,
„Das ist was,“ spricht er, „für die Pußtakinder!
„Unsrer Husaren — sagen wir: zweihundert,
„Die reiten zu Marie Theresens Ehr'
„Und schassen fiugs uns den Valory her!“ —
„Von alledem,“ ruft Waldeck wie verwundert,
„Von alledem kann ich kein Wort versteht“;
„Es ist wohl nur Spaß! Zweihundert! Wie verhöhnt
„Käm' ich mir vor! Verdammt, man ist gewöhnt,
„Als Führer ganzer Heere mich zu sehn!
„Zweihundert Husaren! Daß ich nicht lache!
„Das wäre vielleicht für Saint-André193-1 eine Sache.“
„Danke gehorsamst, Hoheit,“ spricht mit Neigen
Saint-Andre, „ich überlaß die
„Besondre Ehre dir, Nadasdy,193-2
„Dem Ungarnführer. Kannst der Welt mal zeigen,
„Was an dem kühnen Ungarmute dran ist.“
Der Ungar aber, höflichst rückwärts weichend,
Spricht, seinen dicken, schwarzen Schnauzbart streichend:
„Ob nicht Dessewffy 193-3 eher der rechte Mann ist,
„Der junge Held, für solch ein Reiterstück?
„Neidlos tret' ich vor ihm zurück.“
Karl sieht nun wohl: Hier will sich jeder drücken,
Sich jeder retten hinter Nachbars Rücken;
Da gilt ein Machtwort, und er spricht: „Wohlan,
„Noch heut', so ist mein Wille, soll's geschehn!
„Dessewffy übernimmt's.“ Er eilt voran.
Die andern Helden wollen gehn,
Als Saint-Ignon, noch immer nicht
Ganz nüchtern wieder, lacht und spricht:
„Ach, Karlchen, was ist der Soldat?
<194>„Was er gefrühstückt hat!
„Der Teufel schlage sich mit leerem Bauch;
„Speisen wir, Prinz, Homer rät's auch!“
Was half's? Sie aßen, es knurrte der Magen.
Den letzten Brocken, halb gekaut,
Hinter den feisten Backen verstaut,
Vollgefuttert bis an den Kragen,
Nicht minder voll von süßem Wein,
Unter Getorkel und Rempelein,
Brachen sie auf, den Strauß zu wagen.
Zweihundert Husaren,
Verstärkt durch Tartaren,
Auf Rennern, so flüchtig wie Sturmwind und Wetter,
Verlassen das Lager beim Iubelgeschmetter
Von hundert Fanfaren.
Nun fragt ihr: Wer waren —
Es klingt schier nach Barbaren! —
Der Reiter,
Der Streiter
Unheimliche Scharen?
Ulanen, so heißt man das schlimme Gesindel.
Man weiß auch, sie fressen kleine Kindel,
Kahlschädlig, stumpfnasig, nicht anzusehn,
Und stark! Da gibt's kein Widerstehn.
Die Augen funkelnd in Mörderlust,
Mit nackten Armen und nackter Brust,
Die lange Lanze in der Faust,
Die scharf gespitzte, mit wüstem Geschrei
Die Lüfte erfüllend, so stob das vorbei —
Ein Volk, davor einem graust!
Aber da drüben auf preußischer Seite,
Wo getreu auf der Hut
Jede Wacht ihre Schuldigkeit tut,
Erspäht man gar bald, wie in dämmernder Weite
Feinde zerstampfen den frischgrünen Plan.
Flugs Meldung zum Feldherrn: DieÖsterreicher nahn!
Der kommt und sieht sich die Sache an:
Von feindlichen Reitern das Blachfeld bedeckt!
<195>Ein Ungarkerl, der durchgebrannt,
Belehrt ihn, was das Ganze bezweckt:
„Paßt auf, heut' erlebt ihr noch allerhand!
„Der Lothringer Prinz hätt' gar zu gern
„Euch einen gewissen französischen Herrn —
„Ich weiß nicht, Gesandter ist er wohl —
„Der in eurem Lager hier Hausen soll,
„Fein weggeschnappt und ausgespannt,
„Hat drum ein Streifkorps ausgesandt.“
Nun weiß der König genau Bescheid
Und hält zum Empfang eine Streitmacht bereit:
Dragoner und leichte Reiterei.
Doch eine reisige Schar ist dabei,
Der Preis und Ehre vor allen gebührt:
Ein Ritter ohne Furcht und Tadel sie führt,
Chasot,195-1 der Held aus der Normandei;
Haudegen alle und kampfbewährt.
Hei, wie das schwärmend, die Zügel verhängt,
Aufgelöst über das Blachfeld sprengt;
Ruft der Führer, sind sie zur Stelle,
Schließen die Reihen sich blitzesschnelle.
Weh nun dem Feinde! Das fährt.
So er sich widersetzt,
Auf ihn hernieder jetzt,
Wie Wetterschlag — in jeder Klinge droht
Der sichre Tod.
Nun rücken sie von hüben und von drüben
Sich langsam näher. Jetzt heißt es aufgepaßt,
Wer am geschicktesten den andern faßt
Mit List und Witz, durchtrieben und gerieben.
Der Preuße lacht: „Gemach, ich glaube gar,
„Das denkt, es führt mich an der Nase herum!“ —
„Ich bin erkannt! Er ist gar nicht so dumm!“
Flucht der Magyar.
Am Hange zweier Hügel aufgestellt,
Beherrscht das Preußenlager weit das Feld.
<196>Wie ein Löwe aus seinem Felsenschacht,
So halten die Legionen Wacht,
Und mit verhaltnem Blutdurst, in krampfhafter Ruh
Schaun sie dem Österreicher zu,
Den sie von fernher nahen sehn.
Ihr rechter Flügel hält die Bergeshöhn;
Der linke, quer durchs flache Land gedehnt,
Steht unten an die Elbe angelehnt.
Im Lager unangreifbar, wohlgeborgen,
Hat Preußens Heer vom Feind nichts zu besorgen.
Dessewffy schweifte durch der Ebene Weiten,
Besah im Umkreis die Gelegenheiten,
Da wandelte ihn ein Gedanke an,
Ein schmeichelndes Vielleicht, ein neuer Plan:
Chasot kommt näher — recht so! Lauernd späht er,
Tänzelnd den Gaul auf der Hinterhand dreht er,
Nun rasch die Sporen, und er sprengt ihn an,
Schon vor ihm hält er, Mann gegen Mann.
„Ich bin der tapfere Dessewffy,“ spricht er,
„Zweihundert Kühe nenne ich mein und mehr
„Daheim bei mir — im Feld bin ich erpichter
„Auf Rosse, und was sonst zu Nutz und Ehr
„Dem Feind ich abgenommen. Nun, und du?“ —
„Chasot heiß' ich,“ ruft ihm der andre zu,
„Und bin der Ausbund aller Tapferkeit;
„Wohl hundert Scheffel Äpfel hat und mehr
„Daheim mein Vater; aus Frankreich weit
„Von der Normannen Küste stamm' ich her,
„Vom Lande Caux. Doch nun, wohlan, o Held,
„Dem sei des Tages Ehre zuerkannt,
„Der hier an Mut den anderen bestand!
„Komm an! Auf uns zwei beide schaut die Welt!“
Schon kracht des Ungarn Karabiner los,
Die Kugel pfeift vorbei am Kopf Chasots.
„Du hast's recht eilig, Freund, ins Gras zu beißen!“
Ruft Chasot aus. Schon trifft sein Eisen
Des andern Rückgrat, doch der Hieb
<197>Fiel flach. Dessewffy, der im Sattel blieb,
Reißt flugs den Gaul herum, sein krummes Schwert
Holt aus zum Kopfhieb; doch der Preuße wehrt
Der Ungarklinge, und sie trifft das Pferd.
Es strauchelt, stürzt, und wie vom Blitz gefällt
Mit seinem Roß zu Boden sinkt der Held.
Jetzt bist du mein! denkt schon der Ungar — da
Reißt's ihn zurück: Ruesch,197-1 der das Unheil sah,
Der Wackre, hat ihm einen Stoß versetzt!
So blieb der tapfre Chasot unverletzt
Bis auf den Daumen, den er sich verrenkt.
Schnell ist er auf den Beinen und, nicht faul,
Sitzt er im Sattel einem Polengaul.
Doch der Ungar, schlau wie er war,
Detachiert einen Teil seiner Schar,
Der das preußische Lager zur Rechten
Umgeht, während er mit Scheingefechten
Den Feind in Atem hält, damit inzwischen
Seine Mannschaft von hinten herum
Das ersehnte Palladium,
Den dicken Herrn aus Frankreich, kann erwischen.
Dort waren indes mit gutem Bedacht
Die Preußen gerüstet und scharf auf Wacht.
Karlchen und seine östreich'schen Herrn
Verfolgen durchs Glas mit Spannung von fern
Den Kampf ihrer streitbaren Recken —
Valory, dir hilft kein Verstecken!
Da stürmen, geschlossen Mann an Mann,
Von allen Seiten die Preußen an
Und drauf auf den Feind — schon wankt er und weicht er!
Der Ungar sieht es und jagt durch die Reihn,
Sucht sie zu halten mit Schelten und Schrein:
„Zu mir her, Husaren!“ Doch nichts erreicht er,
Es geht drunter und drüber und querfeldein.
Hei, trank heute der grimmige Preußendegen
<198>Ulanenblut, das in Strömen stoß!
Tod sah man und Sterben allerwegen
Im Graus dieser Flucht, die wild sich ergoß,
Und Glieder, vom Rumpfe getrennt.
Das jagt und das stürzt und das rennt
Besinnungslos über Stock und Stein,
Und jauchzend die Preußen hinterdrein.
Nun aber, Muse, künde uns an:
Welch Heldenwerk hier Chasot getan.
Wie er hier Köpfe springen ließ,
Hinterm Reißaus der Husaren
Unentrinnbar einhergefahren,
Den aus dem Sattel hieb, den durchstieß.
Vor seines Flambergs Sausen
Stob rasende Flucht und zitterndes Grausen.
So ist im Bilde Jupiter zu schaun,
Seiner Blitzwaffe froh,
Wie hier die Steppenreiter Chasot
In die Pfanne gehaun.
Da muß mein gutes Karlchen ebenfalls
Samt Prinzen und Helden schleunigst sich bequemen,
Die Beine in die Hand zu nehmen,
Eh' ihm der trutzige Feind kommt auf den Hals.
Es war wie eine lustige Hasenhatz:
Wie wenn von seinem warmen Ruheplatz
Das Häslein aufgejagt von hinnen fegt;
Hals über Kopf, denn gräßlich nah schon gellt
Der Meute Kläffen übers weite Feld.
Hui! wie mein Häslein die Läufe regt,
Hui! das stiegt über Gräben und Hecken!
Lang ausgreifend die Hunde sich strecken,
Gilt's doch, das Wild beizeiten zu fassen:
Wenn's erst den Wald gewann, müssen sie's lassen.
Wer vergebens die tolle Jagd,
Das Häschen hat sich in Sicherheit gebracht!
Also flohn sie nach allen Enden
Vor unsres hochgemuten Chasots
Mehr denn alkidenhaft würgenden Händen, Bis sie alle, Ulanen und Husaren, Wacker verfluchend das Schlachtenlos, Im Lager angekommen waren.
<200>Zweiter Gesang
Der Rat der Himmlischen
Freunde, laßt euch raten: Nur nicht lästern!
Satire ist nun mal ein tödlich Gift;
So manchen muntren Witzbold, der erst gestern
Sein Liedchen pfiff, schon heut die Rache trifft:
Da beißt's ihn selber, eh' er sich's versehn,
Und um den Spötter ist's geschehn.
Was soll man gar zu jenen Schreibern sagen,
Die sich, laut Vollmacht vom Parnaß,
Mit ihrem allzu dreisten Spaß
An das, was andern heilig, wagen!
Nie hätt' ich solch ein Wagnis unternommen!
Spaßhaftes gibt's genug sonst in der Welt;
Weh dem, des Sünderhaupt der Zorn der Frommen,
Der Schwarm der Unheilsvögel überfällt!
Uns weist Natur auch hier die rechte Bahn,
Natur und ihr Gesetz, die unverstellt,
Schlicht, rein und schön, sich all den trüben Wahn
Abgött'schen Aberwitzes ferne hält;
Die uns den Höchsten anzubeten lehrt
Durch frommen Kult, darin ihn Liebe ehrt.
Wenn ich jetzt kühnlich der Seligen und Götter
Schimmernde Höh, den „Olympus,“ erkletter',
Glaub, Leser, nicht, daß ich den „Himmel“ mein'!
<201>Nicht doch! Nur läßt sich's so freier schalten,
Unbefangner mit jenen Gestalten,
Die der Betrug, der Irrtum erdacht,
Die Irrgeist sich zurechtgemacht;
Nein! Jene mein' ich allein.
Alles, was wir, die hier auf Erden
Kriechen, erleben an Beschwerden,
Zänkerein und Interessen,
Kriegen, Hadern und Prozessen,
Alles irdische Geschehn
Ist schon längst vorhergesehn
Im Ratschluß jener Himmlischen alle,
Die da thronen in der olympischen Halle.
Die beiden Völler also ebenfalls,
Die wie die Helden in Vorzeittagen
Einander ergrimmt in den Haaren lagen
Auf einem Fleckchen des Weltenballs,
Sie blieben vor dem Olymp zwar versteckt,
Doch wurden sie von den Heiligen entdeckt.
Da gab es ein eifernd Hin und Her,
Sie sprachen fast von nichts anderem mehr,
Ein jeder Heilige ergriff Partei;
Und hieß es da: „Hie gut Österreich!“ —
So klang von drüben allsogleich
„Hie Preußen!“ das Feldgeschrei.
Was an Heiligen aus Frankreich stammt,
War füglich für die Allianz201-1 entflammt,
Doch die an der Donaustadt goldnen Altären
Gefeiert werden und drunten in Mähren,
Die sagten: „Der Lothringer ist unser Mann!“
Der Herr beordert
Den Erzengel Michael und fordert
Durch diesen Getreusien — stets muß er springen
<202>Bei wichtigen Dingen —
Das ganze himmlische Reich
Vor sein Angesicht, und zwar sogleich.
Und der gute Vater hebt an:
„Ihr Herren, sobald ich euch kundgetan,
„Was mir's hier gilt, um was sich's dreht,
„So denke ich, daß sich's von selbst versieht,
„Daß jedermann mir freudig beweist,
„Es lebe in ihm noch der alte Geist.
„Noch niemals braucht' ich, das darf ich wohl sagen,
„Hier solche Tonart anzuschlagen;
„Doch es muß mal heraus, denn, leider, die Sache
„Führt schon eine allzu vernehmliche Sprache:
„Die Sache ist's, die zum Himmel schreit,
„Was ihr für pflichtvergessene Heilige seid!
„Ihr, die ich weiseren Sinnes geglaubt,
„Ihr wagt's, ihr erhebt das Empörerhaupt
„Mitten im Paradiese drin!
„Weil jeder versieht, zu schwadronieren,
„Vermeint er, er könne die Welt regieren?
„Was denkt ihr, wozu ich im Himmel bin?
„Guck' ich da gestern ein Stündchen vom Himmel,
„Zieh' mir mein langes Fernrohr aus:
„Seh' ich da auf dem Planetenkrümel
„Zwei Nationen in wildem Strauß
„Sich katzbalgen in buntem Getümmel:
„Ein Sandkorn schließlich, um das sie sich raufen!
„Flugs bilden sich hier oben zwei Haufen.
„Jeder, verrannt in den albernen Wahn,
„Der Streit da unten ging' ihn was an.
„Jeder zieht seinen Strang allein,
„Alle Gemüter sind erhitzt,
„Leidenschaft jedes Auge blitzt;
„Und nach Willkür fährt jeder mir drein:
„Den befehde, den beschütze,
„Hüben schade, drüben nütze!
„Und da soll man nicht zornig sein!
„Soviel jedenfalls bitt' ich mir aus:
<203>„Hier sind Ordnung und Friede zu Haus,
„Hier ist kein Ort für Umsturz und Ränke;
„Hier wünsch' ich selber, so wie ich mir's denke,
„Meiner Menschen Geschick zu gestalten.
„Ihr aber habt den Mund zu halten!
„Ich gebiete Ruhe dem frechen Geschwärm,
„Das wie Hornissen, mit dumpfem Gelärm,
„Auftührerisch und wild,
„Hier alle Lüfte füllt.“
Sprach's, und die Blicke zu Boden gesenkt,
Die Knie geknickt,
Die Nacken gebückt,
Die Finger im Krampf ineinander verschränkt,
Standen die Heiligen mit Demutblick,
Verfluchten im stillen ihr Ohnmachtsgeschick.
Grabesstill war es, man konnte fragen:
Haben sie denn die Sprache verloren?
Ist ihr Redesprudel denn festgefroren?
Sind sie verwunschen? Totgeschlagen?
Doch da nun allem sein Ziel gesetzt,
So atmete man
Auch von der lähmenden Angst zuletzt
Noch einmal auf, da sank der Bann,
Und das Bächlein rann,
Und mit frischer Kraft ward drauflosgeschwätzt.
Und schon trat Meister Borromäus vor:
„Mein hoher Herr, nun gönnt ein gnädig Ohr
„Dem Wort, das einer der Unsterblichen
„Vom Weltlauf drunten, dem verderblichen,
„Gehorsamst hier vor Eurem Throne wagt.
„So sei's denn grab heraus gesagt:
„Das östreich'sche Heer
„Und was noch mehr:
„Meines Namens Ruhm,
„Meine Heiligenehre,
„Mein Dienst mit allem Dran und Drum,
„Meine Kapellen, Altäre —
„Das alles geht in Rauch und Schutt
<204>„Noch heute auf, wenn dein Strafgericht
„Gewissen Verbrechern nicht Einhalt tut!
„O Herr, verwirf meine Bitte nicht!“
„Recht hat er,“ sag' ich, „in jedem Stuck!“
Rief laut der böhmische Nepomuk.
„Wollt Ihr denn, wie in Eurem Haus,
„All unser heilig Eigen da drauß,
„All unsern Besitz, all unsre Ehr'
„Preisgeben dem blöden Ungefähr?
„Der Östreicher, wie Ihr seht,
„Meinen Wert zu schätzen versteht;
„In dem ungeheuren Heiligenhaufen
„Ist nicht ein einziger so überlaufen,
„Mit Opfergaben, Bildstöckeln geehrt,
„Wie's im Böhmerlande mir widerfährt!
„Man weiß dort gewissermaßen,
„Was mir gebührt: Reist hin und schaut —
„Auf jeder Brücke, allen Straßen
„Haben sie Steinbilder mir gebaut;
„Wehe dem Wandrer, der seinen Gruß unterlassen!
„Wenn aber die ungläubigen Hunde —
„Sie glauben, o König, ja kaum noch an Euch! —
„Wenn die Preußen in einer unseligen Stunde
„Siegreich den Trost von Österreich,
„Den Lothringer, gänzlich zum Teufel jagen —
„Wer wird dann nach meinen Festen noch fragen?
„Doch dann nehmt Euch selber in acht, mein König,
„Im Ernst, Euch geht's auch an, und das nicht wenig!
„Ich sag' Euch, mich läßt man zuerst dran glauben,
„Läßt mich elend in meiner Nische verstauben,
„Und bin ich erst zu Falle gebracht,
„Versucht sich der Preuße an Eurer Macht!“
„Still, Schlingel!“ rief Wenzel wutentbrannt,
„Schönschwätzer du, dem die Zunge fehlt,
„Hast du nicht dereinst um mein Reich, mein Land
„Spitzbübisch mich geprellt?
„Der Böhmen Schutzherr war ich allein,
„Da fiel dir's eines Tages ein,
<205>„Du Wicht, mit elenden Fälscherlisten
„An meiner Stelle dich einzunisten!“
Calvin und Luther baten warm
Für Preußen. Genoveva und den Schwarm
Der französischen Heiligen
Sah man sich flehend beteiligen.
Doch sieh, welch holdseliges Frauenbild
Vorm Thron der Allmacht jetzt erscheint,
Welch Augenaufschlag, demutmild!
Kein Mägdlein lebt in den seligen Scharen,
Das so mit rührendem Gebaren
Sieghafte Schönheit vereint:
Die heilige Hedwig ist's, es bricht
Der Glaubensinbrunst reinstes Licht
Aus ihren Wunderaugen beiden,
Da sie vor Gott tritt holdbescheiden.
Wer sieht's dem süßen Munde an,
Daß er im Kampf, der das Böhmerland
Verheert mit wildem Schreckensbrand,
Das Wort des Schicksals sprechen kann?
O einzig Bild, wie ihr Knie sich biegt,
Zu Gottes Füßen sie sich schmiegt,
Die eine Hand seine Knie umfängt,
Liebkosend empor sich die andre drängt.
„O Herr, all meine Hoffnung sieht bei dir,“
Sprach sie. „In der Jugend schon gabst du die Stärke mir,
„Die von der Erdenschwachheit mich befreite
„Und mich zur Heiligen machte an meines Gatten Seite.
„Nun sieh mir bei und laß die Meinen
„Von deiner Gnade Sonne bescheinen.
„Wenn sie auch nicht viel nach Heiligen ftagen,
„Von Liebe zu dir wissen alle zu sagen.
„Die Meinen, Herr, das sind die Preußen,
„Von meinem Blute echteste Sprossen,
„Sie sind es, die ihre Könige heißen:205-1
<206>„O, gib es nicht zu, daß irgend einer
„Von den Heiligen, irgend ein schäbiger, kleiner,
„Mit ihnen treibt seine groben Possen!
„Über sie all deine Fittiche breite,
„Denn du bist's, nur du, dem Hedwig sich weihte!“
So flehte ihr süßer Schmeichellaut.
Wann ward ein Frauenleib erschaut
So aufgelöst in rührendem Flehn!
Wer könnte der Einzigen widersteh?
„Weil du so bittest,“ sprach Gottvater da,
„So will ich willfahren deinem Begehr.
„Dir zu versagen ein williges Ja,
„Wär' selbst dem hyrkanischen Tiger schwer.“
Womit er zu Genoveva sich kehrt:
„Wohlan, du nimmst mein Flammenschwert,
„Das grause, damit in Vorzeittagen
„Mein Racheengel die Philister geschlagen,
„Und unterstützest in allen Dingen
„Der Preußenkrieger heldisches Ringen,
„Dieweil sie die Kinder und Kindeskind
„Von dir, mein reizendes Töchterchen, sind.
„Du, liebe Hedwig, sollst denn allein
„Die Herrin über das Schicksal sein:
„Schlag immer die stolzen Östreicherheere,
„Doch den gesegneten Deinen mehre
„Kriegesgewinn und Ehre,
„Ruhm und Gedeihn!“
Laut erscholl sein Machtgebot,
Viel herrischer denn Donnerklang;
Durch Mark und Bein es allen Heiligen drang,
Schuf ihnen Verwirrung und Herzensnot.
Der Engel rief: „Ihr seid entlassen! Sogleich
„Verfüge sich jeder in sein Reich.“
Da ward geschoben, gestoßen, gedrängt,
Beim schleunigen Aufbruch der Heiligen all —
<207>Wie wenn zu Grodno mit wüstem Krawall
Ein Veto den polnischen Reichstag sprengt.207-1
Dritter Gesang
Dargets Entführung208-1
Es gibt ja nichts als Glück und Malheur!
In dieses verworfnen Jahrhunderts Tagen,
Mit Blindheit geschlagen,
Strolcht die Göttin Fortuna umher,
Um den Nichtsnutz und den Lumpen zu krönen.
Die Tugend, die in vollen Tönen
Ein jeder predigt, jeder preist,
Sie bleibt im Banne der Armut zumeist,
Verkauft und verraten dem Ungefähr,
Muß in Ketten geschlagen
Schimpf und Schande ertragen.
Und ob man ein Held gleich wie Cäsar wär',
Pompejus, Scipio oder die anderen Großen —
Hat das Geschick deinen Fall mal beschlossen,
Eine Zeitlang magst du brav um dich schlagen,
Endlich kriegt es dich doch beim Kragen.
Leichtherziger Leser, du glaubst mir's nicht?
So höre meine traurige Geschicht,
Vernimm den Jammer und das Weh,
Die widerfuhren dem armen Darget.
Nie kann ich den traurigen Fall vergessen,
Noch heute will er mir Tränen erpressen!
So hört! Auf österreichischer Seiten,
Wo alle Pläne ins Wasser gefallen,
Gab's unter vielem Erörtern und Streiten
<209>Lange Gesichter bei allen.
Was litt das arme Karlchen für Pein
Unter dem Hohn des bissigen Stein!
Was ließ der an spöttischen Geistesblitzen,
Plumpen Späßen und boshaften Witzen
Auf unfern armen Lothringer flitzen;
Das machte die Runde
Von Mund zu Munde.
Schon hebt das Untier, der Vogel Klatsch,
Sich auf zum Weltenflug, um all den Tratsch,
All die Verleumdung auszustreun.
Das Scheusal scheint zu Anfang klein,
Doch eh' man's denkt, so reckt es sich,
Und auf zum Himmel streckt es sich,
Und stößt es da oben an mit dem Schädel,
So streift es die Hölle mit Klauen und Wedel.
Das fabelhafte Federvieh,
Es ruht sogar im Fluge nie:
Da schnappt es auf, was hie und da
Noch etwa in der Welt geschah,
Und was die Leute dazu sagen.
Es soll — was ich ein Wunder nenne,
Wie ich's unheimlicher nicht kenne —
Soll unter jeder Feder tragen
Augen, Ohren, Münder!
Von Aufgang bis zum Niedergang
Zieht's so die ganze Welt entlang,
Und was da wahr ist, doch nicht minder
Was nur geträumt, was nur erlogen,
Was ganz geheim, was niemand weiß,
Das schreit es aus und gibt es preis.
So kam's laut schreiend auch geflogen
Zum beiderseitigen Lagerfeuer,
Das niederträchtige Ungeheuer.
Das gute Karlchen seufzte schwer und tief.
„Ist das mein Lohn?“ der Wackre rief.
„So treu den Heiligen ergeben,
„Ernt' ich in diesem irdischen Leben
<210>„Nur Not und Plage!“
Doch zu ihm trat
Freund Kolowrat:
„Prinz, keine Klage!
„Wer nimmt sich zu Herzen des vermaledeiten
„Jammertales Verdrießlichkeiten,
„Wenn ihm bestimmt der Unsterblichkeit Krone,
„Seiner Gottseligkeit zum Lohne?
„Die ja doch dem nur zugedacht,
„Den die Welt tat in Bann und Acht!
„Heil, wen das Leben zwickt und brennt und kneift,
„Der so dem bessern Sein entgegenreift!“
Der ritterliche Rosieres vernimmt
Das fromme Gesäusel und schilt ergrimmt:
„Potzblitz, heißt das wohl soldatisch gesprochen?
„Das kapuzinerhafte Salbadern?
„Mein Prinz! Ihr habt doch noch Mark in den Knochen,
„Mut in der Brust, Glut in den Adern!
„Ich sag' Euch: Die Nacht darf herauf nicht kommen,
„Eh' Ihr nicht für die Kränkung, die schwere,
„Sühne geschafft und Rache genommen —
„Die Kränkung des Himmels und Eurer Ehre!“
Dem Lothringer gab dies Männerwort
Erneute Zuversicht sofort,
Und er sprach: „Die Geschichte war scheußlich peinlich!
„Wie wär's, wir machen es wieder wett?
„Daß es um Kopf und Kragen gleich geht,
„Ist kaum wahrscheinlich!“
Da gab's im Lager ein Hin und Her,
Wie das wohl am besten zu machen wär';
Zuletzt ward Franquini, ein rauher Kroat,210-1
Erwählt zum Vollstrecker der Tat.
Drauf unverweilt,
Den Handstreich beizeiten
Recht vorzubereiten,
Wurden die nötigen Befehle erteilt.
<211>Schon wähnte Nepomuk auf seiner Brücken,
Er braucht' sich nach dem Siege nur zu bücken,
Doch Hedwig lachte seiner Sicherheit
Aus Herzensgrunde, und sie mußt' warum:
„Nur zu! Was gilt„s? Ihr kommt nicht allzu weit
„Mit eurem Anschlag, er ist gar zu dumm!“
Mit einem Blicke liebewarm
Nahm sie Genoveva beim Arm:
„Mein liebes Schwesterlein, vernimm,
„Mit meinem Französisch sieht es sehr schlimm!
„Ich habe keine Lust, mit Barbarismen,
„Groben Schnitzern und Germanismen
„Der Dienerschaft des Pariser Marquis
„Einen Spaß zum besten zu geben,
„Daß sie mich auspfeifen überdies;
„Darum wär's wohl das beste eben,
„Wenn ich das Wichtigste dir überließ“:
„Gib Kunde ihm, der noch nichts ahnt,
„Was der Franquini wider ihn geplant.
„Er soll sich verschanzen auf alle Fälle
„Inmitten der preußischen Lagerwälle.“
Da eilte die göttliche Schirmerin
Der Seinestadt durch die Lüfte hin;
Doch ehe sie zum dicken Marquis gekommen,
Hat sie eine andere Gestalt angenommen:
In einem Gewande nach welschem Schnitt,
Trat sie daher mit Stutzerschritt,
Ein Adonis, ein Kerlchen wie Milch und Blut,
Apoll an Wuchs und blondem Schopf,
Ein allerliebster Lockenkopf,
Die Nase hoch, die Augen blitzen;
Ein Lächeln voller Schelmenübermut.
An Hals und Ärmeln reiche schöne Spitzen;
Wie straff ihm seine weißen Strümpfe sitzen!
Die Schuhe mit roten Hacken verziert,
Den Rock mit Tressen und Litzen verschnürt.
Eben erging sich der dicke Marquis
Am Elbstrand mit seinem geliebten Darget.
<212>Trat zu ihm die Heilige: „Freund Valory,
„Ich hatte für Euch was übrig von je,
„Obschon Ihr ein Schürzenjäger seid
„Und ein Freund der leichten Weiblichkeit.
„Wenn Ihr nicht gar so unklug wärt,
„Daß man Euerwegen in Angst muß schweben,
„Hätt' ich mich nicht damit beschwert,
„Euch in Person einen Wink zu geben.“
„Kommt da solch kleiner Bursche an,
„Der zur Not einen Liebesbrief schreiben kann,
„Mit weisen Lehren! Solch Gernegroß'“
Lacht Valory, völlig ahnungslos.
Und sie darauf: „Denkt, was Ihr wollt!
„Nur so viel: gebt in dieser Nacht
„In Eurem Zelte sorglich acht,
„Daß nicht der Österreicher Euch holt,
„Der sich den Streich längst ausgedacht!“
Valory findet das äußerst spaßig:
„Der Tausend! Sagt, woher wißt Ihr das,
„Was erst geschehn soll? Mich holen! Was!
„Ich sag' dir, mein Junge, den Frechling, den faß ich!
„Nein, hör' mal, der Einfall ist zu verdreht!''
Auf einmal — Zeichen und Wunder! — ersieht
Ein schimmernder Lichtkranz, ein schwebender Schein,
Der Leib der Heiligen wird ätherfein,
Ein Luftgebild, wie ein Hauch, der verweht.
Der gute Darget verdonnert sieht
Mit offnem Mund; und wie vom Schlag
Getroffen, der dicke Marquis vermag
Kein Glied zu rühren, von Schreck wie versteint;
Zuletzt seine Geister sammelt er
Und wie von Sinnen stammelt er,
„Himmelsspuk holder, wie ist das gemeint?
„Seid Ihr ein Engel? Ein Höllengeist?
„Habt die Gewogenheit, sagt, wie Ihr heißt!“
Drauf unsre gütige Heilige spricht:
„Genoveva bin ich, erkennst du mich nicht?
<213>„Dich zu retten, mein Schützling, komm' ich geschwind,
„Weil ein Heiliger, ein Erzschelm, auf dein Verderben sinnt.“
„Heilige, mein Hoffen ist all bei dir!“
Andächtig sank er zu Füßen ihr,
Bekreuzte sich ftomm und schlug sich die Brust;
Zu dreien Malen in Glaubensverlangen
Ihre Knie wollt' er umfangen,
Zu dreien Malen sie lassen mußt',
Die wie ein Traumbild im Arm ihm zergangen.
Fort war sie, fort. Was nun anfangen?
Ob's nicht geraten, der Sicherheit wegen
Für diese Nacht das Quartier zu verlegen?
Da war, nah am Lager, ein kleiner Flecken,
Und auch für ihn kam einmal der Tag,
Da ward er berühmt mit einem Schlag:
Iaromircz
(Dafür ist kein Reim auszuhecken).
Wie soll ich) diese verlaßnen Mauern beschreiben,
Um der Geschichte nichts schuldig zu bleiben?
In diesem Nest, obwohl solche
Behausung für Savoyardenstrolche
Kaum anstehn mag, bezieht nunmehr
Unser Marquis sein Losament,
Und meint noch wunder, wie schlau er wär'!
Wo ihm von einem erlesenen Regiment
Ein Posten ward vor die Tür gegeben,
Zu behüten sein teures Leben
Und zu bewahren die Gegend rundum
Samt dem großen Palladium.
Doch hört, wie als Abgrund von Witz und Geist
Sich jetzo Frankreichs Gesandter erweist!
Was sagt ihr? Am vorderen Tor
Schob er den Riegel davor,
Die Hintere Tür indessen,
Wo die Entführung offenbar
Am leichtesten zu machen war,
Hat er zu schließen vergessen!
<214>Saß der Verrat doch sowieso
Unter dem Dach von faulem Stroh;
Denn der Wirt war bestochen schon
Von Franquini um schnöden Lohn.
Zwei Räume barg das traute Dach:
Der vordre ward das Schlafgemach
Des braven Sekretarii,
Im hintren ruhte der Marquis.
Kaum ist es finster worden, liegt im Bette stracks
Valory und schläft wie ein Dachs;
Im Nebenraume bettet sich Darget,
Der seiner Heldentaten stolze Koryphä':
Fromm noch den Rosenkranz durchlief er,
Dann schlief er.
Da — himmelhernieder durch die Nacht
Herschwebt der heilige Stephan 214-1 sacht,
Und setzt sich unserm biederen Tropf
Im ersten Schlaf grab auf den Kopf.
„Ei, ei, mein Sohn, sie wollen dich greifen!
„Ich seh' im Feld da draußen, geführt
„Von dem Halunken, eurem Wirt,
„Schon lange den schlimmen Franquini streifen!
„Und du — du schläfst hier wie ein Dummer?“
Darget erwacht aus seinem Schlummer
Mit einer Gänsehaut,
Horcht in die Nacht und um sich schaut.
Nichts! Keine Seele! Er ist allein!
Und er schläft wieder ein.
Gleich meldet sich wieder die Spukgestalt:
„Gib acht, Darget, sie holen dich bald!“
Es ist eine Stunde nach Mitternacht —
Die Schelle geht draußen — es lärmt und kracht;
Läßt ein Pandur, der wild aufs Plündern,
Sich durch einen geschlossenen Riegel hindern?
Krach — bumm! Schon ist die Türe eingetreten!
Was tut jetzt das wackere Schreiberlem
<215>In solchen Nöten?
Frankreichs Sache gilt's hier — das begreift er,
Ich sitz' in der Falle — das sieht er ein:
Er reißt sich zusammen, den Nacken steift er
Und schnarrt: „He, wen sucht ihr?“ — „Nun, den Marquis!
„Das Tafelgeschirr von Valory
„Und seine Möbel und Staatsperson.“ —
„Wohlan“, sagt Darget, „die habt ihr schon:
„Ich bin der Gesandte! Und wenn ihr wollt,
„Sind hier auch Beutel mit Louis in Gold.“
Das Raubgesindel, eh' man's gedacht,
Flugs hat es reinen Tisch gemacht;
Nur — weiß der Himmel, wie das gekommen:
Hatten sie's in der Elle nicht acht? —
Von dem andern Verschlag,
Der daneben lag,
Hat keiner weiter Kenntnis genommen!
Kaum traf der Höllenlärm sein Ohr,
Fuhr der dicke Marquis aus dem Schlaf empor.
Unfehlbar ereilte ihn sein Geschick,
Wenn nicht in diesem Augenblick
Seine holde Heilige wieder
Vom Himmel stieg hernieder.
Er war grab aus dem Bette gesprungen
Und wollte, schreiend aus vollen Lungen,
Splitternackt
Dem Räuberhaufen
In die Arme laufen,
Da ward er gepackt!
Die Heilige, in himmlischer Iüngferlichkeit,
Hatte zum Glück einen Fächer bereit;
Dahinter in schämigem Erschrecken
Konnt' sie ihr liebliches Antlitz verstecken,
Nur ganz bescheiden in magdlicher Tugend
Dabei durch die Gitterstäbchen lugend.
Gott, wie die Weiber nun mal sind!
Ihn aber, der ja toll und blind,
Versenkt sie geschwind —
<216>Zeichen und Wunder! Eins, zwei, drei —
In tiefen Schlummer, schwer wie Blei;
Indes die Räuber
Den guten Schreiber
Von dannen schleppen mit Siegesgeschrei,
So wie er vom Leib seiner Mutter gekommen
Die dummen Kerle, sie glauben, nun sei
Das Vogelnest ausgenommen
Und sie trügen im Triumphe davon
Der Preußen großes Palladien!
Sankt Hedwig jagt jetzt die Wache auf:
„Feindio! Korporal! Dran und drauf!
„Ihm nach, dem Räuber, dem Bösewicht,
„Helft mir, tut eure Soldatenpflicht!“
Die wüste Rotte, die mitgehn läßt
Was nicht niet- und nagelfest,
Pufft und schleift den armen Darget
Durch den Garten — da, o weh!
Auf einmal Donner und Krach!
Saust ihr eine preußische Salve nach.
Nie wurden in Rußland auf einer Jagd
So viele Bären erlegt, wie in dieser Nacht
In Iaromircz Panduren
Gradwegs zur Hölle fuhren.
Nun werdet ihr alle in Ängsten schweben:
Wie soll nur Darget das überleben?
Nach vorn von den Feinden gestoßen,
Von hinten von den Freunden beschossen!
O keine Sorgen! Da naht ja schon
Der heilige Stephan, sein Schutzpatron;
Der stellt sich als Kugelfang trutzig dazwischen,
Wie die Geschosse den Liebling umzischen,
Und fängt sie weg von rechts, von links.
Ja, sagt der Leser, dann allerdings!
Der rauhe Franquini, ahnungslos,
Wie schlimm er heut hereingefallen,
<217>Trieb vorwärts, immer vorwärts bloß.
Wie ward das Herz ihm weit und groß,
Das schon den Vorgeschmack genoß
Der Ehre, die vor allen
Ihm heute zugefallen.
Barfüßig stolpert Darget hinterdrein,
Sinkt bis zum Knie in den Straßenschlamm ein.
Er zieht ein Maul. Er zittert und friert,
Und er fiucht dem Geschick, das die Menschen führt.
Und mit Füßen, von Dornen zerrissen,
Meilenwärts immer vorwärts zu müssen!
So hat er sich fluchend weitergequält,
Bis der Morgen graut und der Reitertrupp hält,
Wo sich Franquini sein Lager gewählt.
Jetzt seht den Schlingel! Wie's ihm gefällt,
Zu spielen den Mann von Bildung und Welt:
„Mein Herr Gesandter, Ihr Abenteuer
„Ihr mißliches, dauert mich ungeheuer,
„Wiewohl für mich das Vergnügen nicht klein,
„Der glückliche Anlaß dazu zu sein.
„Gewiß, es ist hart, so ohne Wagen,
„Dazu mit nackten Beinen und leider
„Ganz ohne Kleider
„Sich meilenweit durch die Welt zu schlagen;
„Allein ich denk mir das äußerst tröstlich,
„Wenn wir, auf diesen Gram und Schreck,
„Dort drüben in meinem Felsversteck
„Von diesem Geschirr, das wirtlich köstlich —
„Gestern war's Ihrs noch und heut' ist's mein —
„Selbander einen Imbiß nähmen ein.“
Der Zeitpunkt schien sich am besten zu schicken,
Um mit der Wahrheit herauszurücken,
Die freilich nicht immer ergötzlich ist;
Drum, ohne lange Rederei
Erklärte der Schreiber, wer er sei,
Den Spaß der Verwechslung und seine List.
Hallo, Freund Österreicher, sag,
Wie wird dir plötzlich? Rührt dich der Schlag?
<218>„Ha! Rache!“ so tobte der los.
„Verwünschtes Pech! Mein Heldenlos!
„Du Hund! Du Schelmfranzos!
„Was ich so fein ins Werk gesetzt,
„Das stiehlst du mir zu guter Letzt,
„Du Lump! Du Schuft! mein höchstes Glück,
„Den Ehrentag — mein Meisterstück!
„Well du zum Trottel mich gemacht,
„Wirst du unfehlbar umgebracht!“
Ein langes Messer zog er blank
Und es dreimal um den Schädel schwang;
Und der entmenschte Wüterich
Hätt unserm Freunde sicherlich
Den Kopf vom Halse abgesägt,
Wenn ihm ein alter Ungar nicht
Die Hand auf seinen Arm gelegt:
„Ihr wißt doch, Herr, was unsre Pflicht:
„Jeder Gefangene, den man macht,
„Wird erst vor den Lothringer gebracht!
„Drum sage ich, verschont diesen Mann,
„Der Wichtiges verraten kann.“
Franqmm schnauft und rollt die Augen noch,
Und knirscht und flucht — zuletzt gibt er sich doch.
Nun durch den tiefen, wildböhmischen Wald
Setzen sie sich in Marsch alsbald.
Wo nie der holde Tagesstrahl
Sich durch die Nacht der Wipfel stahl,
Im dicksten Dickicht, da, wo tief
Die Waldnacht unter Tannen schlief,
Da öffnet sich ein Felsenschlund,
Wie ein Abstieg zu der Hölle Grund.
Hier hatte Franquini sein Versteck,
Sein Diebesnest, sein Wolfsgeheck.
Und schon vorm Eingang zieht ein Hauf'
Verwegener Gestalten auf.
„Nun, wieder da? Wie ist's denn gegangen?
„He? Was gefischt? Was erwischt? Was gefangen?
„Halbpart! Was hast du uns mitgebracht?“
Und man umarmt sich, man schwatzt, man lacht,
<219>Und an ein Lärmen und Prahlen geht's:
„Ja, unser Franquini, ja, der versteht's!“
Darget, ohne Hemd und Unterjacke,
Ein Hauptspaß ist er dem ruppigen Packe:
„Haha, du kamst in die richtigen Hände!
„Laß dich mal anschaun: hast du am Ende
„Irgendwo noch einen Louisdor?
„Raus damit, Freundchen! Uns machst du nichts vor!“
Der arme Darget war ganz kleinlaut, ganz stumm;
Die geschundenen Füße, sie taten ihm weh!
Ach, alle Glieder zog's ihm krumm!
Sein Dulderblick suchte die Himmelshöh'
Und klagte: „Erbarmen! Ich bitt' euch drum!“
Franquini verscheucht sie mit der Bemerkung:
„Es ist mein Gefangner, das seht ihr doch!
„Nehmt ihn hinein in mein Felsenloch,
„Verpflegt ihn und gebt ihm 'ne Herzensstärkung.“
Sie taten schleunigst befohlenermaßen,
Denn der Franquini ließ nicht mit sich spaßen.
Und zwei Panduren, Kerle wie Hünen,
Mit väterlichen Biedermienen,
Die führten den Gast in die Tiefe hinein;
Denkt euch einen Felsenschacht,
Dessen geheimnisvolle Nacht
Noch nie gelichtet ein Tagesschein!
Man sah die Hand vor Augen kaum;
Und schon umwölbt unsern tappenden Mann
Ein düstrer Riesenkuppelraum,
Zwei Grubenlichter zittern voran,
Er geht hinterher halb wie im Traum.
Nun eine Grotte, und sie sind da.
Und sieh, schon ist auch Franquini nah!
„Nun wascht ihn, er hat's nötig!“
Da eilen diensterbötig
Beeimert herbei
Diebsweiber zwei.
<220>Die waschen, begießen
Von Kopf ihn zu Füßen,
Und striegeln und salben
Ihn allenthalben.
„Nun Kleider dem Gast!“
Sie stiegen in Hast
Und bringen zum Vorschein
Ein Hemdlein wie Flor fein,
Mit einer Mechelner Spitzenkrawatte,
Ein Prachtstück, das vorher ein Preuße hatte.
Zwei zierliche Schuh
Reicht die eine ihm zu —
Zum Unglück sind bloß
Seine Füße zu groß;
Eine andre ihm über die Schultern streift
Einen schweren Staatsrock, in dem er ersäuft —
Franquini sackte ihn ein
Im Feldzug am Rhein.
Einen Filz, den eine Schnur umsticht,
Stülpt man zum Schluß auf sein Gesicht.
„Hallo, Gesindel!“ Franquini schreit,
„Das Mahl gerüstet, 's ist höchste Zeit!
„Mein Hals ist trocken, es knurrt mein Magen!“
Und die Dirnen rannten, um aufzutragen.
Mit Kerzen ward festlich die Tafel erhellt;
Die steuerte irgendwo in der Welt
Ein Altar zu Franquinis Lustbarkeit —
Mag sein auch, er hatt' sie sich selber geweiht.
Pompös! Das Tafelgeschirr des Marquis',
Das der Pandurenkerl mitgehn hieß!
Darget erklärt, ein Kunstwerk sei dies,
Von der Hand des Meisters Germain220-1 in Paris!
Franquini lacht: „Freut mich zu hören;
„Dafür halt' ich's auch doppelt in Ehren.“
Vierzig Schüsseln fahren jetzt auf,
Allerhand leckere Dinge drauf,
<221>Lammbraten, zarte Hühnchen und Kälber.
Gestohlen war alles — versteht sich von selber!
Böhme wie Preuße — einerlei:
Jeder trägt zu den Kosten bei.
Der Jammer des Kriegs, 0, der nährt seinen Mann —
Wir fressen uns dick und fett daran!
Lustig! Nun läßt er Champagner holen;
Bald schäumt es und perlt es in jedem Glas.
Portwein, Tokaier, gelb wie Topas!
Alles geraubt und gestohlen!
Immer hinab mit dem vollen Pokal —
Schon gibt's ein betrunkenes, wüstes Geprahl.
Und Darget? Ob er dreinhaut?
Ach Gott, der saß ganz kleinlaut
Und aß nur eben,
Was man braucht, um zu leben.
Später kamen die Dirnen herein.
Nun waren da leider auch Mägdelein,
Mit jedem Liebreiz der Jugend geziert,
Die schauten mit wilden Angstaugen drein.
Sie waren geraubt und entführt,
In die Nacht des Räuberlochs hier,
Preisgegeben der rohen Begier
Franquinis und seiner verkommnen Bande,
Preisgegeben gewaltsamer Schande!
Schon nahte das Ende der Gasterei,
Kam noch ein Trupp Panduren herbei,
Die kehrten verfroren zurück
Und priesen ihr Räuberglück.
Ganze Herden brachten sie
Rings von den Weiden und aus den Ställen,
Schafe und Schweine, auch Federvieh;
Und freundlich die Höhlenwelt zu erhellen,
Geweihte Kerzen aus den Kapellen.
Zum andern schleppten sie davon
Des Pfarrers Magd, eine schmucke Person,
Sowie des Amtmanns Töchterlein,
<222>Ein unschuldiges Mädchen, schmuck und fein.
Zu schweigen eines Haufens gelber
Dukaten — von denen schwiegen sie selber!
Als Räuber ist selbst der Pandurenkerl schlau;
Denn was er stiehlt und behält, das weiß er genau.
Gleich geht's ans Teilen: Franquini verfügt:
„Für uns die Mädchen! Ihr aber kriegt,
„Ihr Kerls, den ganzen Branntwein
„Und Schöps und Rind und Landschwein.“
Bald hallten und widerhallten die Höhlen
Vom Brüllen der Tiere, vom Quieken und Gröhlen.
„Schlaf hin, Schlaf her!“
Die Strauchdiebe lachten:
„Ein Schweindel zu schlachten,
„Das frommt uns mehr!“
Ein paar der fettesten unverweilt
Werden abgestochen und redlich verteilt.
Nun Holz herbei; schnell Stahl auf Stein,
Schon stieben die Funken drein,
Aufglimmt im Brand der Schwefelfaden,
Jetzt brennen die Lichte. Und um die Wette
Schmoren die Braten, gewickelt in Fladen
Von triefendem Fette.
Dann liegt man gemütlich
Und tut sich gütlich,
Ein jeder zufrieden mit seiner Portion
Wie die Helden von Ilion.
Jetzt bringt man die Mädchen dem rauhen Franquini,
So recht was für unfern Rinaldini!
Welch Schauspiel: Unter den Räubern allen,
Den verwilderten, solch ein junges Ding,
An dessen Lieblichkeiten hing
Jedes Auge mit Wohlgefallen.
Die Dame, die einstmals in Griechenland
Dem Menelaos durchgebrannt,
Die Wunderholde, derenwegen
Ganz Asien sich in Waffen geeint,
Und Priamos blutige Tränen geweint —
<223>Ich sage, sie war nichts dagegen!
Auch glich unsre Schöne nicht euch, ihr Prinzessen,
Die immer schön sind — von Hoheit wegen!
Ist's doch ihr Amts- und Staatskleid — indessen
Versucht's doch, den Prunk einmal abzulegen,
Den Edelsteinflimmer, das Drum und Dran,
Und guckt euch dann mal im Spiegel an!
Ganz ausgelöst in Tränen und Harm
Trat das liebliche Kind vor den tobenden Schwarm;
Im Schlummer schleppte man sie heraus,
Das zarte Geschöpf, aus dem Elternhaus,
Im schlichten Nachtgewande nur,
Das nichts mehr hinzutat zur holden Natur.
Da stand sie in der Unschuld Hoheit;
Doch die Bande in viehischer Seelenroheit
Leckte die Mäuler sich alsobald
Nach der wehrlosen Beute —
Da gebot der lechzenden Meute
Franquini ein Halt:
„Wie wär's, wenn mal Wonnen das Weh ablösten?
„Mag unsern Gefangnen die Liebe trösten!“
„Mein Gott!“ ruft sie. „Wie komm ich hierher?
„Das ist ja, als wenn hier die Hölle wär!“
So ziemlich stimmt es:
Franquini nimmt es
Am Ende auch auf mit dem Luzifer!
„Erbarmen, mein lieber, mein gütiger Herr!
„Bin ja so jung noch, mein Los ist so schwer!
„Verlobt bin ich, doch ach, es kann
„Mir heut mein Liebster, mein künftiger Mann
„Nicht helfen, nicht nützen —
„Ihr müßt mich beschützen!
„Nehmt, gnädiger Herr, meiner Tugend Euch an!“
So klagte, so flehte in Angst und Weh
Die Holde zu Füßen des guten Darget,
Und weinte und weinte ohn' Unterlaß,
Ihr süßer Busen war tränennaß.
<224>Darget war vor Verliebtheit toll,
Von Seligkeit voll
Und glückberauscht —
Aber Sankt Stephan, der ihn belauscht,
Der nahm ihn am Kragen: Laß gut sein, mein Sohn!
Da gab es kein Mucken,
Da hieß es sich ducken;
Ganz leise verwünscht er den Schutzpatron.
Darget spricht also abgekühlt:
„Liebwerte unglückselige Maid,
„Glaub' mir — mein Herze mit dir fühlt
„Und deiner Tugendhaftigkeit.
„Und weißt du — zu solcher Schandtat gebricht's
„Mir, Gott sei Dank! an dem nötigen Geschick;
„Darum erheb deinen Tränenblick
„Und Hab' keine Angst: Ich tu dir nichts.
„Im Gegenteil: Ich kaufe dich los!“
Und tätschelt ihr Händchen: „So glaub' mir doch bloß!“
Franquini sieht, wie all das gar zart
Und gar frostig will enden —
„Nanu! Ist das in Frankreich die Art,
„Eine Jungfer zu schänden?
„Zur Sache — zur Sache! 's wird endlich Zeit!“
„Ach, Euer Gnaden, wir wissen, Ihr seid
„Der Herr über unser Tränengeschick;
„Und doch! Werft einen großmütigen Blick
„Auf dieses holde, liebreizende Weib,
„Dies Gotteswunder von blühendem Leib,
„Und dann gesteht, es wär' doch ein Jammer,
„All diese Schönheitsfülle hier
„In dieser trostlosen Felsenkammer
„Der stechen Gier
„Des ersten besten preiszugeben;
„Bedenkt ihre Jugend
„Und ehrt ihre Tugend,
„Und gebt sie zurück ihrem früheren Leben!
„Wenn Ihr Euch gütigst entschließen könntet
<225>„Und Lösegeld nähmet und mir vergönntet,
„Euch abzukaufen in klingendem Golde
„Das Mädchenkleinod, das wunderholde!“
Dem Räuber leuchtet der Handel ein:
„Topp, wenn's dein Ernst ist!“ — Der Satz war nicht klein.
„Mag sie denn heimgehn, ganz wie sie kam,
„Die gerettete Braut, zum Bräutigam!“
Habgier, der Seele Schmach und Tod,
Heut warst du Retterin in der Not!
Der reizendsten der schönen Frauen
Halfst du aus eines Wüstlings Klauen
Und führtest sie unberührt heraus
Aus dem Felsenloch, wo die Schande zu Haus.
Vierter Gesang
Dargets Lebensgeschichte
as Großes ist's um die Tugend, ich weiß.
Doch weil zur Zeit der Vernunft hienieden
Nur eine geringe Rolle beschieden,
Steht Liebenswürdigkeit höher im Preis;
Und wärst du ein Schuft, ein Galgenstrick,
Bist du nur nett, hast du überall Glück.
Wohl unserm Darget, der in gleichem Maß
Das eine wie das andre besaß!
Und also am nächsten Abend geschah's,
Daß der schlimme Franquini, ganz ausgepumpt -
Er hatte halt gar zu ausgiebig gelumpt,
Denn schließlich, ein Räuber und Pandur
Kann auch nicht alleweile nur
Auf dem Kriegspfade leben,
Auf dem Gaule kleben —
Nun, wie gesagt, der Edle lag
Zu Bette erst den geschlagenen Tag,
Bis er endlich wieder zu Kräften kam.
Nun saß er, er war merkwürdig zahm
Und weich gestimmt heut, ganz freundschaftlich
Am Bette Dargets: „Ich langweile mich,
„Muß mal ein bißchen nach Euch schaun;
„Man mag sich nicht vor die Türe traun,
„So regnet's draußen. Ich meine daher,
„Ihr erzählt Eures Lebens Mär,
„Was Ihr erlebt und was Ihr getan;
„Man sagt, daß kein Volk so erzählen kann
„Wie ihr Franzosen.“
<227>Darget verneigt sich,
Und er zeigt sich
Äußerst entzückt von der Ehre und Gunst,
Mit seiner geringen Erzählerkunst
Den großen Franquini zu unterhalten.
„Doch bitt' ich Euch, laßt Nachsicht walten;
„Mit jener Mär
„Ist's nicht weit her;
„Drum sei mein Bericht
„Recht bündig und schlicht.
„Damit mir das Schicksal nichts Tolles erspar',
„Geschah's, daß eine Herzogin mich gebar;
„Mein Vater war wohl ein dunkler Herr X,
„Begnadeter heimlichen Minneglücks.
„Daß das Unglücksfrüchtlein verbotener Liebe
„Hübsch im Dunkel bliebe,
„Schoben die Eltern den Zögling ab;
„Und daß sich beizeiten sein Seelchen form'
„Nach der gottwohlgefälligen Norm,
„Man schon den Buben ins Kloster gab.
„Von da ging's hinaus ins Ungefähr,
„Als ob da mein Glück mir so sicher wär'!
„Da war ich im ersehnten Paris,
„Mitten im lustigen Sybaris!
„Welch ein Völkchen, welch ein Leben!
„Liebenswerteres kann's nicht geben;
„Und das lacht und singt und freut sich
„Und zerstreut sich,
„Schiebt und dreht sich
„Durcheinander wie die Narren —
„An der Seine, das versteht sich,
„Hat ein jeder seinen Sparren.
„Paris hat der Gottheiten mancherlei.
„Der Kult der Frau sieht obenan;
„Schier ebenso ernst ist die Sorge sodann,
„Was wohl das Neuste vom Neuen sei;
„Dazu noch die Modenarretei —
<228>„So habt Ihr ganz
„Die Götzen meines Vaterlands,
„Die der Gesellschaft und ihrem Leben
„Gesetz, Gestalt und Ordnung geben.
„Auch mir war dies Gesetz verbindlich:
„Ich trieb die Windbeutelei recht gründlich
„Und hatte, ob durch Fleiß, ob durch Geschick,
„Als Schürzenjäger und als Stutzer Glück.“
„Kann ich mir denken,“ meinte Franquini.
„Aber zum Teufel, man muß doch leben!
„Doch ich begreif' das Wovon und das Wie nie;
„Darüber, du aus dem Neste geschmißner
„Bastard, mußt du mir Aufschluß geben.“
„O, ich lebte als Kunstbeflißner:
„Schrieb Romane und Vaudevilles
„Jener Mache und jenen Stils,
„Wie sie an Trottel und Idioten
„Stets zu Paris wurden feilgeboten.
„Vieles, was damals kam in Mode,
„Es ist von mir: Die ,Geschwätz'gen Kleinode',
„Auch die,Empfindsame Prinzeß',
„Auch ,Acajou' — ein Buch, das indes
„Kein Mensch versteht; auch einen Versuch
„Über Katzen wagt' ich. Mein launig Buch
„Vom Bäuerlein, das sein Glück gemacht,
„Hat's gradezu zu Weltruhm gebracht,
„Und für meine,Bäuerin' hätt' man zuletzt
„Am liebsten mir ein Standbild gesetzt. 228-1
„Doch alles gar schön; Ehre hin, Ehre her!
„Ich hatt' mir mein Leben doch anders gedacht:
„Was hilft das Talent,
„Wenn's im Herdloch nicht brennt
<229>„Und Küche und Keller bleiben leer?
„Ich brütete, sann,
„Dann macht' ich mich dran
„Und erfand die Hampelmänner 229-1 —
„Was einen Ertrag gab in baren, blanken
„Einhundertzwanzigtausend Franken.
„Auf einmal packte mich Reiseverlangen!
„Nichts bildet so sehr einen jungen Mann.
„Und wer seine Landsleute auswendig kann,
„Guckt sich gern mal fremde Gesichter an.
„So bin ich zunächst nach Holland gegangen.
„Was sind das für konfiszierte Gesichter,
„Welch massiges Flegel- und Tölpelgelichter!
„Denkt Euch ein Volk von trägen Schnecken,
„Frostig und gleichmütig,
„Frosch- oder fischblütig,
„Aus ihrer Ruhe nicht aufzuwecken,
„Langwellige Tröpfe,
„Wassergeschöpfe;
„Und maulfaul! Kaum sickern in einer Stunde
„Zwei Menschenworte aus ihrem Munde.
„Ich leg' mein Gesicht in holdselige Falten,
„Mich ehrsam-verständig zu unterhalten:
„Sagt an, wovon lebt ihr eigentlich? —
„Von der Milchwirtschaft,“ so belehrt man mich;
-“Ihr seht unsre Herden und unsre Weiden —
„Vom Handel mit Käse und Pfeffer dabei
„Und ein wenig auch von der Gaunerei,
„Die ja beim Kaufmann nicht ganz zu vermeiden.
„Da ist ganz Europa uns abgabenpfiichtig,
„Und wir, wir scheren's und schröpfen's tüchtig.“ —
„Nun, und wie steht's mit der Herrschaft im Land? —
„Einst seufzten wir unter der Fremden Hand;
„Doch haben wir Schmach und Tyrannei
„In unserm eigenen Blut ertränkt
„Und sind nun frei.
<230>„Das heißt — daß Ihr nichts Verkehrtes Euch denkt —
„Es ist wahr, das Königtum wären wir los —
„Das heißt — im Grunde den Namen bloß,
„Den Namen, der unser Ohr so kränkt;
„Es haben sich dreißig Tyrannen jetzt
„An Königs Statt uns auf den Thron gesetzt. 230-1
„Ihr seht, wie's unsre Völker auch treiben,
„Unsre Ketten bleiben.
„Republikanischer Mannessiolz
„Kriecht munter auf dem Bauche vor Leuten,
„Die unser Volk verraten, ausbeuten,
„Wir, deren Freiheit die Welt bewundert,
„Statt eines Königs haben wir hundert
„Gebieter von demselben Holz!
„Einer von diesen behäbigen Herrn,
„Der besonders mit Gütern gesegnet,
„Ladet mich ein, sein Gast zu sein.
„Selbstverständlich sag' ich nicht nein,
„Danke gar höflich und folge gern.
„Da ist mir was Schnurriges begegnet:
„Eine bedienstete Weibsperson,
„Kaum sieht sie mich, da packt sie mich schon,
„Buckelt mich auf und schleppt mich wie'n Sack
„Quer über die Gasse huckepack.
„Nun auf der Schwelle angekommen,
„Ward ich erst gründlich vorgenommen,
„Abgeschruppt erbarmungslos
„Nach den Landessitten,
„Zu guter Letzt
„Ans einem Eimer tief und groß,
„Schon mehr einer Bütten,
„Mit roher Gewalt unter Wasser gesetzt.
„Hallo! Was hat man vor mit mir? —
„Ja, das ist der Gipfel der Höflichkeit hier,
„Und bei den Fremden stets angebracht:
„Hier gilt's vor allem, zu jeder Zeit
„Die Erhaltung der heimischen Reinlichkeit!“
<231>„Nun ging's in die Küche — war das eine Pracht!
„Ich staunte des Glanzes und dachte: Aha!
„Hier speist man vermutlich! Man hatte ja
„Seit einem Menschenalter allda
„Kein Feuer mehr angemacht.
„Man speist? Allmächtiger!“ — Ich stand wie ein elender,
„Schmählich ertappter Tempelschänder —
„Man speist! Als wenn diese Räume wir putzten,
„Damit wir sie einfach als Wohnung benutzten!
„Wer, Unmensch, bewohnt denn solche Gemacher?
„Wozu gibt's Keller und ähnliche Löcher?
„Die Sippe mag noch so zahlreich sein:
„Da wird ein bißchen zusammengerückt,
„Man richtet schlecht und recht sich ein,
„So haust man zufrieden und still beglückt.
„Hier aber thront,
„Wo niemand wohnt,
„In hehrer Göttereinsamkeit
„Die Reinlichkeit.
„Einmal und nie wieder, hab' ich gedacht
„Und schleunigst nach England mich aufgemacht.
„Ein Riesentransportschiss nahm mich an Bord.
„Hoch rasseln die Anker, weit leuchten die Wellen,
„Schaumgekrönt, unsre Segel schwellen,
„Aufrauscht es vorm Bugspriet, nun trägt es uns fort
„Bei Lotsenruf, Kommando und Wink
„Regt das Matrosenvolk sich flink.
„Und da wir hintreiben vor stetem Süd,
„Auf glatter Bahn unser Segler zieht,
„Die Reisenden schmausen, zechen und lachen,
„Keinem fällt's ein. sich Gedanken zu machen.
„Die Ahnungslosen. Eh' wir's gedacht,
„Drehte der Wind sich, finster ward's droben,
„Springende Böen pfiffen und schnoben,
„Donner grollte — darüber ward's Nacht.
„Bald in den gähnenden Abgrund gerissen,
„Bald zu den Wolken emporgehoben,
„War unser Schiff in den Finsternissen
<232>„Ach, nur ein Spielzeug! Da mit einem Mal
„Prasselt hernieder ein Feuerstrahl,
„Der die empörte Welt
„Ringsum erhellt,
„Alles entzündend zu rotem Brand.
„Der Mast bricht und zerschellt,
„Das Deck erzittert,
„Das Steuer zersplittert!
„Da faßt unsre Seeleute Schwindel und Graus,
„Die Knie wanken, sie wissen: 's ist aus.
„Und wirklich, ein Spielball der Sturmeswut,
„Hören wir jetzo — uns starrt das Blut —
„Ein fürchterlich Krachen: Weh, aufgerannt
„An Felsenklippen,
„Zerschellten des Fahrzeugs Rippen,
„Nun löste sich Niet und Band.
„In ihrer Angst meine Reisegefährten
„Gelobten dem Himmel, weiß Gott, was;
„Ich betete brünstig zu meinem verehrten
„Schutzheiligen, der meiner auch nicht vergaß.
„Eine Ruderstange ließ er mich fassen
„Und hat sich also vernehmen lassen:
„Für diesmal biet' ich dir noch die Hand,
„Weil du einmal nach mir genannt;
„So hab' ich dir jenes Stück Holz beschert,
“.Bediene dich seiner als Steckenpferd,
„Meines Mantels als Segel; mein Heiligenschein
„Wird dir als Leitstern willkommen sein.
„Denn steuern wirst du dich sowieso
„Mit deinem vieigewandten.... —
„Teurer Sankt Stephan, entgegnete ich,
„Mir ist just wahrhaftig nicht lächerlich;
„Ein bißchen mehr Hilfe wär' eher hier nütze,
„Und ein bißchen weniger schlechte Witze.
„So schwamm und trieb ich mit meinem Plunder.
„Zuletzt, zerschlagen und mürbe wie Zunder
„Und halb ersoffen im Wogenschwall,
„Vom Salzwasser elend, das ich geschluckt;
<233>„Dem Schiffbruch nahe zum zweitenmal,
„Ward ich endlich mit hartem Prall
„Irgendwo auf den Grund gestuckt.
„Nah war die Küste; den Rest meiner Kraft
„Hab' ich noch krampfhaft zusammengerafft,
„So schwamm ich hinüber an Englands Strand.
„O glücklich der Mann, der den Hafen fand!
„Meinem Heiligen hielt ich mein Wort
„Und schenkt' ihm zwei dicke Kerzen sofort.
„Welch ein entzückendes Landschaftsbild!
„Ich sag' Euch, das reine Friedensgefild;
„Ei, diese britischen Bulldoggen, dacht' ich,
„Wohnen ja reizend hier! Aber mach' dich
„Endlich von diesen Küsten mal los,
„England ist groß!
„Und liegt dir daran, die Briten zu sehn,
„So mußt du schon nach London gehn.
„Dort angelangt, schaut' ich mich satt
„Desselben Tags noch an der Stadt.
„Der Brite, herb und trotzig,
„Fühlt selbst wie ein kleiner Gott sich;
„Herrn Käpten nennt er seinen König.233-1
„Ich sah ihn und grüßte untertänig.
„Da sagte er gnädig zum General:
„Zeigt dem Franzosen mein Arsenal!
„Ha, dacht' ich, da gibt's mal was zu gaffen:
„Waffen, Waffen und nichts als Waffen!
„Indessen statt ernsten Kriegsgerätes
„Hüte und Stiefel! Nein, sowas Verdrehtes!
„Da Hub mein Führer schwärmend die Hände:
„Ihr hehren Bekleidungsgegenstände!
„Euch trug ja mein Held233-2 bei Malplaquet!
„O Himmel, und wenn ich die Sporen seh':
„Mit denen ritt er vor seiner Garde
„Auf dem Siegesfelde bei Oudenaarde!233-3
<234>„Doch bitte, nun drehen Sie sich mal um,
„Bewundern Sie dieses Heiligtum:
„Des Helden grimmer Degen ist das,
„Der ward Franzosenblutes naß
„In der Dettinger Schlacht;234-1 und bemerken Sie dort —
„Hier neigt' ich mich tief und fiel ihm ins Wort:
„Ich danke! Zuviel schon mein Auge erblickte
„Von Frankreichs Leid! — Und sichtlich behagte
„Der Höflingsseele, wie ich das sagte;
„Worauf ich verstimmt mich schleunigst drückte
„Und ging, wo das Haus der Gemeinen tagte.
„Das sind der alten Römer Affen!
„Gewandt zwar, die Menge hübsch breitzuschlagen,
„Demosthenesse, könnte man sagen,
„Entsprächen die Worte dem, was sie schaffen.
„Doch können sie auf ihre Tugend nicht pochen;
„Denn gehn sie frei mit dem Wort auch um,
„So sind doch leider nur alle bestochen -
„Sie alle regiert das Kurfürstentum.234-2
„Einen Briten, ungekünstelt und schlicht,
„Den findet man unter Tausenden nicht.
„Je ausgefallner die Querköpfigkeit,
„Je freudiger die Menge Beifall schreit;
„Denn was man dort unterm Regiment
„Des Königs seine Freiheit nennt,
„Ist das Recht, sich nach Kräften verrückt zu benehmen —
„Mag doch die Welt sich dem bequemen!
„Eigentlich sind's gar traurige Narren,
„Leiden nicht just an vergnüglichen Sparren:
„Ich sag' Euch, wie unsereins zum Wein,
„Gehn sie sich aufhängen, als müßt' es so sein;
„Vergeht schier kein Tag, da nicht einer hinge!
„Sind halbwild noch, die Leute da drüben;
„Kein Theaterstück wird da geschrieben,
„Darin nicht ein wacker
<235>„Bluttriefend Massacker
„Sämtliche Rollen, selbst noch so geringe,
„Ohne Erbarmen zur Strecke brächte.235-1
„Doch, worauf sie noch toller versessen:
„Wenn ihre Gladiatoren sich messen
„Im Faustgefechte!
„Hab' sie gesehn: Da stehn sie halbnackt,
„Hieb und Parade, das geht wie im Takt,
„Die Arme, die sehnigen, stiegen, das knackt
„In allen Gelenken, man schlägt sich halbtot —
„Es war einfach scheußlich! Erspart mir das Weitre.
„Was aber, Franquini, Euch mehr erheitre,
„War jenes Schauspiel, das sich mir bot
„Bei einem Volksfest, einem der großen Rennen!
„Das muß man gesehn haben, muß man kennen!
„Die stolzen Engländer sind auf Ehre
„Mehr oder minder Millionäre;
„Eine Schatzkammer hat ein jedes Haus,
„Selbst die Bettler leben in Saus und Braus.“
Dem Hörer lief's Wasser im Maule zusammen:
„Das ist noch ein Land! Gott soll mich verdammen!
„Ja, aber warum, in drei Teufels Namen
„Führt man nicht Krieg mit den prächtigen Leuten?
„Schaut wahrlich mehr dabei heraus
„Als bei der armen preußischen Kirchenmaus;
„Da gäb's schon eher was Rechtes zu erbeuten
„Als bei den Rittern', die allerwegen
„Nichts eigen haben denn Mantel und Degen!
„Doch weiter im Texte!“
„Fahr' ich da eines Tages durch die City quer,
„Schreit mir da jemand was hinterher —
„War nicht grade eine Schmeichelei!
„Ich aus dem Wagen eins, zwei, drei,
„Und im ersten Feuer,
„Fuchswild wie noch nie,
„Mit Wucht auf den Schreier.
<236>„Nun Knie gegen Knie,
„Faust wider Faust,
„Und Streich auf Streich,
„Das hagelt und saust,
„Und also prügl' ich ihn windelweich;
„Er blutet und fällt und schlägt sich dabei
„Vor der Stirn eine Brausche wie'n Hühnerei.
„Na, denk ich, der sieht nicht wieder auf —
„Da rennt auch schon das Volk zuhauf
„Mit fuchtelnden Armen und Zetergeschrei;
„Ich sah, daß es Zeit zu verschwinden sei,
„Und reiste ab noch die Nacht darauf.
„Zu Schiffe kam ich in Portugal an.
„Hier sah ich staunend des Königs Johann236-1
„Klösterlich Schloß.
„Der König der seltenen Ehre genoß
„Ms der Kirche allerergebenster Sohn
„Messe zu lesen in eigner Person.
„Worauf ich mir ein Kloster beschaute,
„Ein Riesending, das er sich erbaute.
„Dafür suchte er Kapuziner;
„Für diese jedenfalls schien er
„Ein äußerst warmes Herz zu haben;
„Sind ja wohl auch ganz brave Knaben
„Und aller Ehren wert.
„Mich hat man da mit dem Antrag beehrt:
„Wie wär's denn, wenn Sie sich aufnehmen ließen?
„Wehrt' mich dagegen mit Händen und Füßen:
„Einkasteln! Mich! — Doch so wird's gemacht!
„Hat man doch einfach, die gähnende Leere
„Dieses verdammten Klosters zu füllen,
„Leute gewaltsam hereingebracht:
„Hundert Mann aus des Königs Heere,
„Die Mönche geworden sind wider Willen.
„Mir wurde doch ängstlich, muß ich gestehn,
„Es möcht mir am Ende auch so gehn.
„Ich floh und war der Gefahr entronnen,
„Als ich glücklich die Grenze von Spanien gewonnen.
<237>„Dort wähnt' ich vor Ungemach und Sorgen
„Mich endlich geborgen.
„Ach, mein Verhängnis, darwider ich streite,
„Geht mir ja heut noch getreulich zur Seite!
„Ach, Liebe, du alte Schicksalsmacht,
„Wie hast du mich damals heruntergebracht!
„Das war zur Strafe für meine Sünden,
„Daß mir an jenes Morgens Licht
„Aufging ihr Himmelsangesicht;
„In Klosterhut mußt' ich sie finden,
„Am Gitter, in ihrem Nonnenkleid,
„Ganz Demut und junge Holdseligkeit.
„Da dacht' ich: Zu dir muß ich wiederkehren,
„Dich wiedersehen, von ferne verehren!
„Gleich war auch ein Pfaffe als Kuppler zur Hand,
„Der schlau ein Hintertürchen fand,
„Wie ich mit ihr könnte beisammen sein,
„Meiner holden Nonne,
„Meiner Sehnsucht und Wonne,
„Und sie willigte ein.
„So hat mich in einer unseligen Nacht
„Eine Leiter heimlich ins Kloster gebracht.
„Nach dem Scheiden will ich heiter
„Abwärts klettern auf der Leiter.
„Doch das morsche Holz bricht plötzlich,
„Ein Getöse gibt's entsetzlich,
„Daß mein Blut zu Eis gerinnt;
„Und im Augenblick beginnt
„Rings ein grauenhaft Hallo,
„Laufen, Rennen und Geschrei,
„Was denn nur geschehen sei,
„Und mit Zetermordio
„Stürzt das Weibervolk herbei.
„Wenn der Wolf zu nächtiger Stunde
„In die dunklen Hürden brach,
„Hirt und Hunde
„Werden wach.
„Hussa! heißt's, ihm nach, ihm nach!
„Reißaus nimmt er querfeldein,
<238>„Steine sausen hinterdrein;
„Durch den Wald die wilde Hatz,
„Bis Freund Isegrimm den Schlägen
„Der Verfolger unterlegen —
„So auch bleibe ich am Platz.
„Drauf schafft man mich gebunden fort
„Vors Gericht in den Nachbarort.
„Der Spanier hat nun für Missetaten
„Ein besondres Gericht,238-1
„Zur Hälfte Mönche, zur Hälfte Prälaten,
„Das wutentflammt
„Und morderpicht
„Auf den Laien sich stürzt, den es immer verdammt;
„Denn Freispruch kennt es nicht!
„Sie sind ja der Gottesliebe voll
„Und lassen aus reiner Gutherzigkeit,
„Weil's ihnen um eure Seele leid,
„Die sonst ja verloren,
„Den armen Sünder am Brandpfahl schmoren.
„Rings um diese Stätte der Not
„Das Feuer von hundert Scheiterhaufen loht.
„Ein Richter, wie ein Waldkauz anzusehn,
„Ließ eine Ansprache über mich ergehn:
„Graut dir, du schamloser Bösewicht,
„Vor der Rache des Himmels nicht?
„Drum soll zum heilsamen Schrecken
„Für alle, die im Unglauben stecken,
„Dein Sündenleib der schmorenden Pein
„Morgen überantwortet sein!“
„In mein Gefängnis zurückgebracht,
„Habe ich die schöne Rede bedacht.
„Mir war doch recht erbärmlich zu Mut
„Ob dem trüben Verlauf meines Abenteuers,
„Auch hatt' ich von je einen Haß, eine Wut
„Auf diese Art der Verwendung des Feuers,
„Sah auch beim besten Willen nicht ein,
<239>„Warum durchaus sollte gestorben sein!
„So blieb denn als einziger, letzter Retter
„Nur noch mein Heiliger und Namensvetter.
„Ach, heiliger Stephan, mein Schutzpatron!
„Fing ich erbärmlich an zu fiehn,
„Nicht wahr, wie hier dein Schützling, dein Sohn
„Höchst grausamlich verderben soll,
„Das kannst du doch nicht ruhig sehn?
„Ich weiß, du bist der Gnade voll!
„Denn einmal halfst du schon!
„O, wie ich damals, todumbrandet,
„An Englands Küste doch gelandet,
„Durch deine Güte, deine Helfermacht —
„Die Kerzen habe ich dir auch dargebracht
„Für deinen Altar —
„So sieh auch heut' mir bei in dieser Gefahr!
„So lag ich auf meinem Angesicht,
„Und sieh, der Himmel verließ mich nicht:
„Der Kertergrund erbebte,
„Auftat sich das Gemäuer,
„Im Strahlenkleide schwebte
„Mein Heiliger, mein Getreuer:
„Kopf hoch, mein Sohn, nicht gleich verzagen!
„Ich lese dein Schicksal in Zukunfttagen:
„Hat doch die Fügung noch zu vielen Dingen
„Dich vorherbestimmt, zu Ehren mancherlei —
„Sogar ein Heldenlied wird von dir singen.
„Drum, guter Junge, mach' dich frei
„Von aller Angst vor dem blutigen Gelichter
„Dieser glaubenswütigen Ketzerrichter:
„Ich schwör dir's, kein Härchen wird dir gekrümmt —
„Wofern du versprichst, mir meine Kapellen
„Zu den großen Festen frisch zu bestellen!
„Versprichst du mir das?“ — Ja, bestimmt! —
„Schon war ich der Ketten und Bande frei
„Auf den Wink meines Heiligen; was sollte dabei
„Der eingeschläferte Wächter machen?
„Der Heilige gab mir die sieben Sachen
„Eines Iesuitenpaters, die Tür tat sich auf.
<240>„Nun mach', daß du fortkommst! Beeil' dich, lauf!
„Beim Schopf ergreif die Gelegenheit!“
„Worauf er mir noch seinen Segen beut.
„Nun, ob ich's eilig hatte! Ein zweites Mal
„Vor dies verfluchte Waldkauztribunal —
„Ich danke bestens! Wie im Waldesgrunde
„Ein Hirsch, den stinke Jäger rings und Hunde
„Umstellt schon halten, der sein Ende wittert —
„Nun bricht er aus! In mutigen Sätzen
„Reißt er das Netz- und Lappenwerk in Fetzen,
„Das ihn von allen Enden eingegittert,
„In hohen Fluchten geht's durch Dorn und Hecken:
„So war's, wie ich aus Spanien Reißaus nahm!
„Völlig verstört! Und der Todesschrecken
„Blieb mir noch lang in den Gliedern stecken,
„Noch weint' ich bitter vor Grimm und Gram,
„Als ich im Mönchskleid nach Italien kam.
„Das lateinische Land ist recht zum Bettüben:
„Wo ist das alte Ausonien geblieben?
„Was man geschaffen, was man gelehrt,
„Es ist alles verkommen, es ist zerstört.
„Im Kreise seiner erhabenen Trümmer
„Fühlt sich der Enkel der stolzen Zeiten
„Als ein Civis romanus noch immer.
„Und der Priesterwelt kleine Gestalten
„Leben vom Glanze der großen Alten
„Im Schimmer der Vergangenheiten.
„Jeder Hansnarr, mit dem man spricht,
„Springt uns mit Cicero ins Gesicht,
„Weiß vom Kaiser Augustus zu sagen,
„Vom alten Florenz und der Medici Tagen.
„Aber die im jetzigen Römerland wohnen,
„Diese Urenkel der Catonen,
„Lassen sich, um im Diskant zu wimmern,
„Ihre Lebenskraft verkümmern.
„Nein, diese Kastraten sind nur Helden der Töne,
„Sind nur der Nymphe Echo Söhne,
„Weiß und rot bemalte Gesichter,
<241>„Ein verkommenes Theatergelichter.241-1
„Seht, also sind diese Römer entartet!
„Doch einen Mann — das muß ich gesteh —
„Einen Hab' ich zu Rom gesehn,
„Der hohen Amtes mit Größe wartet:
„Fürwahr, eine Fürsten-- und Priestergestalt,
„An Geistesadel, Gedankengewalt
„Vergleichbar den Sternen des Altertums;
„Ein Priester ohne Pfaffenlist,
„Ein Fürst, der weiß, was Gebieten ist,
„Wohl würdig seines hohen Ruhms,
„Ein Glaubensheld, der die Künste meistert!241-2
„Gern hätt' ich mich länger für ihn begeistert,
„Doch war daheim der Krieg entbrannt
„Und rief mich in mein Vaterland.
„Da war ich denn glücklich wieder inmitten
„Meiner geliebten Sybariten,
„Die nun — war's Laune, war's echte Gunst? —
„Für den Vater der Hampelmannkunst
„Aus Erkenntlichkeit was zu tun gedachten
„Und bei Valory mich unterbrachten.
„Doch was sich seitdem mit mir zugetragen,
„Das brauch' ich Euch wohl nicht erst zu sagen.“
Fünfter Gesang
Verhandlungen über Dargets Freilassung. Franquinis Lebenslauf
Kein langes Versgeschwätz! Unnötige Worte
Sind mir ein Greul; ein Wort am rechten Orte
Wiegt tausend auf. So laßt euch denn belehren,
Daß mancher Heilige aus dem Paradies
Sich's damals redlich sauer werden ließ,
Das Unterste nach oben zu kehren
Und in der Welt den Wirrwarr zu vermehren.
Da war der Herr der schwarzen Schwefelbande,
Die höll'sche Hoheit vom gehörnten Haupt:
Wie der vernahm, was dort im Menschenlande
Das Heiligenvolk nach Willkür sich erlaubt,
Da gor dem Satan vor Neid das Blut,
Und er schäumte vor Wut.
Zum Ätna geht's, wo aus der Hölle Nacht
Nach oben führt ein wüster Kraterschacht
Als Schornstein. Dort fährt er empor,
Stößt jäh sein ungeheures Haupt hervor;
Des Berges Flammenatem ihn umwallt,
Und düstrer Brodem wirbelnd ballt
Sich um des Fürsten Mißgestalt.
Gefieder rauscht: Der Vogel Klatsch! „He, du!“
Ruft ihm der Böse freundschaftlich zu,
„Was gibt's Neues?“ Da hemmt den Flug
Das Tier und schwatzt mehr als genug,
<243>Mehr als dem Teufel lieb ist, und wieder
Taucht er erbost in die Hölle nieder.
Sofort befahl er seinen hohen Rat,
Seine Helfer bei jeder Unheilstat.
Umgeben waren sie, die grimmen Alten,
Von einem Chorus wilder Graungestalten,
Unholden, die in Ewigkeit
Wider die zehrende Glut gefeit.
Was jene Finstres ausgeheckt,
Das wird von diesen flugs vollstreckt.
Der schmutzige Geiz, der Schätze hehlt,
Ohn' Sinn und Ziel sich sorgt und quält;
Mit ihrem Dolch liebäugeln hier
Grausame Lust und Mördergier;
Die dumme Hoffart macht sich breit
Und bläht ihr schimmernd Pfauenkleid;
Was wetzt und feilt der fahle Neid?
Ein Spottgedicht! Ihm stiehlt die Ruh'
Der Ruhm mit seiner Herrlichkeit,
Dem spinnt er Ränke immerzu.
Denn Größe ist ihm tief verhaßt
Und fremdes Glück ihm Qual und Last.
Wenn Neid die Seele schlägt in Bann —
Grausamer waltet kein Tyrann!
Der finstre Argwohn lm Geleite
Der Eifersucht; Gewissensnot,
Verzweiflung, jeder Seele Tod;
Verrat, Verleumdung Seit' an Seite;
Ehrsucht, die bis zum Tode quält,
Wen sie zum Opfer sich gewählt;
Zwietracht, die Mensch vom Menschen reißt,
Verführung, der der Sündenlohn
Goldschimmernd in der Rechten gleißt;
Staatsklugheit, die mit Spott und Hohn
Ihre kalten Sophismen weist;
Und Eigennutz, der jederzeit
Der Vater jeder Niedrigkeit;
Schmerz, Tod und Entsetzen und nächtiges Grauen
Sind all in dem schrecklichen Kreise zu schauen.
<244>So standen sie harrend, die furchtbaren Wesen,
Standen in finster gedrängtem Hauf —
Vom Höllenfürsten ein Wink, ein Wort
Jagt sie auf und fort;
Dann wirken sie den Willen des Bösen,
Rühren den ganzen Erdkreis auf.
Dieser Senat von unsauberen Geistern
Erwog, wie man möchte den Weltlauf meistern,
Beelzebub, Umbriel,244-1 Astaroth —
Jeder mit Glück seinen Beitrag bot,
Jedweder von diesen Satanassen
Wollte sein Licht hell leuchten lassen.
Nach langem Für und Wider zuletzt
Ward im Rate beschlossen und festgesetzt,
Daß nach oben, zu den Geschlechtem der Erde,
Die Zwietracht abgeordnet werde,
Allwo sie die Köpfe der Menschen erhitze.
Und das Scheusal erschien vor dem Fürsiensitze,
Und seine Tochter belehrte der Alte,
Wie sie sich am besten dabei verhalte.
Nun durcheilt unsre Jammerwelt
Die Zwietracht unter Mord und Brand,
Und wo sie den Fuß nur setzte aufs Land,
Wo ihr Pesthauch wehte, da starb und schwand
Alles Gedeihn in Wald und Feld;
Verdorrt, erstickt' jeder Keim in der Erde,
Seuchen und Sterben befielen die Herde.
Unter ihrem Tritt erbebt
Was da atmet, was da lebt,
Und ihr zu Häupten wetterfahl
Wurde der Himmel mit einemmal.
Das Ungetüm eilte bergab und bergauf
Und nahm zu dem dicken Marquis seinen Lauf,
Dem's jetzt mit seinem Satansrate
Ganz leise sich nahte,
<245>Indes er noch immer süß und tief
Den Schlaf des Gerechten schlief.245-1
Zu seinen Häupten erhob sich's,
Und in seine Träume verwob sich's:
„Ei, Herr Valory, das muß ich sagen,
„Gemütsruhig seid Ihr und könnt was vertragen:
„Da stehlen sie Euch den guten Darget
„Vor der Nase weg — Euch tut's nicht weh!
„Ein schäbiger Frechling von Pandur,
„Der beschimpft nicht Euren Schreiber nur,
„Euch selber, Freund, und mit Euch das Reich
„Der Franzosen — doch Euch bleibt das gleich!
„Auf, auf! Nicht rechts und links mehr geschaut,
„Jetzt ganz den Preußen Euch anvertraut
„Als berufenen Rächern Eurer Ehre;
„Jeder Preußenarm Euch gehöre!
„Sei Darget beim Teufel, sei er im Himmel —
„Verlaßt Euch nur auf die preußischen Waffen:
„Lärm geschlagen, Hallo und Getümmel!
„Sie werden ihn Euch schon wieder schaffen!“
So sprach das Scheusal, und aus seinen langen
Haaren zog es eine der Schlangen
Heraus und setzte sie
Lautlos ins Bett zum Marquis.
Und wie sie des Opfers Seele umschlang
Und sie mit ihrem Gifte durchdrang,
Das war dem höllischen Weib
Ein köstlicher Zeitvertreib.
Zufrieden, wie alles so hübsch hier geraten,
Flog's auf und davon zu neuen Taten.
In Schweiß gebadet Valory fährt
Aus dem Bette empor, es schäumt und gärt
Das Gift ihm im Leibe und macht ihn toll;
Sein Busen schwoll
Vor sinnloser Wut,
Er sieht nur Blut.
<246>Wie die Löwin schnaubt,
Der die Jungen geraubt,
Und brüllt, daß die Wüste widerhallt,
Und Neger zerfleischt und zerkrallt -
So kam der Marquis, der vor Wut sich nicht kannte,
Der schwer beleidigte Gesandte
Zum Preußenfeldherrn: „Hölle und Tod!
„Wißt Ihr, was mir der Lothringer bot?
„Wie dem ersten besten, tut er mir den Tort
„Und holt mir den treuen Darget fort!
“'s ist eine tödliche Schande! ein frecher Hohn!
„Und der Schimpf, den ich litt —
„Euch trifft er mit!
„Bin ich nicht euer Palladion?
„Drum Rache! Rache! gellt mein Schrei.
„Schafft mir den Ärmsten wieder herbei,
„Holt ihn — fordert ihn — einerlei!
„Nein, nein! vielmehr:
„In hellen Haufen fallt über sie her!
„Strömen soll ihr Verräterblut!“
So brüllte der dicke Marquis vor Wut,
Gebarte sich wie ein völlig Verdrehter,
Schlug sich die Stirn mit den Fäusten beiden,
Erging sich in schauderhaften Eiden
Wider Franquini, den Missetäter:
„O wenn mir Gott die Gnade gönnte,
„Daß ich den Kerl erwischen könnte,
„Dann weiß ich, was ich tu:
„Die Zunge reiß' ich ihm aus und die Augen dazu!“
„Nun gut, Marquis, wir sind bereit,
„Euch zu helfen aus dieser Verlegenheit.“
Valory, dem der Schädel brannte,
Wie ein Wilder durchs Lager rannte,
Indes der preußische Kriegesrat
Einstimmig beschlossen hat:
Diesen Klagen und Beschwerden
Soll schleunig abgeholfen werden;
Man wird von den Feinden verlangen,
<247>Den Darget, den sie gefangen,
Heil an Gesundheit und Leben
Sofort herauszugeben.
Zu welchem Ende die Klugen
Eine Gesandtschaft vorschlugen.
Man wählte Wortedrechsler, die gern
Sich reden hören, drei eitle Herrn
Mit Vollmachtschreiben. Ihr Führer, Camas,247-1
Wie der sich in seinem Amte sonnte,
Weil es ihm ja garnicht fehlen konnte,
Im Handumdrehn, mit Glanz und Gloria
Darget ins Lager heimzubringen!
Das muß seinem feinen Plan gelingen!
Die Furie der Zwietracht merkt den Plan und nimmt
Den Flug zum Feindeslager tiefergrimmt;
In einem nahen Wäldchen ging sie nieder,
Legt' ab ihr furchtbares Gewand, ihr schwarz Gefieder.
Nun wuchs auf ihrem Haupt schneeweißes Haar.
Das Angesicht durchfurcht von tiefen Falten,
So stellte sie sich, gleich dem kriegerischen alten
General von Wallis, unserm Karlchen dar,
Der grad' mit seinen jungen Herrn sich fröhlich unterhalten.
Da sprach die Vermummte: „Mein Prinz, das ist recht!
„Zwar geht bei uns alles hundeschlecht,
„Aber Ihr schlagt die Zeit mit Narrheiten tot,
„Überlaßt lustig alles dem lieben Gott!
„Und des feindlichen Heeres Palladion?
„Habt Ihr's gefangen? Ich seh' nichts davon!
„Schläft denn bei Euch der alte Schneid?
„Bald wird der Feind in edler Dreistigkeit
„Von Euch sich Darget wiederholen,
„Den Ihr ihm über Nacht gestohlen.
„Karlchen, ich sag' Euch, gebt Ihr ihm den,
„So ist's um Euren Namen geschehn!
„Drum neu den Ehrgeiz angeschürt,
„Der einst zu großer Tat geführt:
<248>„In Eurer Hand ruht Glück und Glanz
„Des ganzen Österreicherlands,
„Dazu großmächtiger Könige Gedeihn!“
So das Scheusal. Und Karl stand verlegen und bleich,
Einem vom Lehrer ertappten Schulbuben gleich.
Dem großen Kriegsheld blieb im ersten Schrecken
Jedwedes Wort im Halse stecken.
Dann stieß er plötzlich grimmig heraus:
„Ich schick' sie mit blutigen Köpfen nach Haus.
„Ich denke, Herr Wallis, Ihr kennt mich noch:
„Ich will mich nicht loben. Zuletzt bin ich doch
„Unser Schild, unsre Rettung; verlaßt Euch drauf,
„Mit den Preußen nehm' ich's noch immer auf!“
Und die Zwietracht kehrte, unerkannt,
Zufrieden zurück in die höllische Nacht,
Nachdem sie ihren verwirrenden Brand
In beiden Lagern entfacht.
In diesem Augenblick hört man Geschrei;
Ganz atemlos rennt Rosières herbei
Und stammelt von Gesandten, dreien,
Die von preußischer Seite gekommen seien.
Der Leser weiß schon! Das sollt“ mir fehlen,
Zweimal dasselbe zu erzählen,
Wie der gute Homer! — Kurzum, er sprach nein,
Der Lothringer: „Fällt mir garnicht ein!“
Was half„s? Man faßte auf beiden Seiten
Mit diplomatischen Artigkeiten
Sich diesmal kurz, und die Herren Gesandten
Schleunigst zur Rückkehr ins Lager sich wandten.
Ganz zwanglos, nach Art eines alten Bekannten.
Trat Nepomuk bei dem Lothringer ein;
Wie Demosthenes sprach er zwar nicht,
Er meinte ganz trocken und schlicht:
„Mischst du dich nicht in die Sache drein,
„So werden die Preußen Franquini bezwingen
„Und Darget stehlen. Drum laß dir die beiden,
<249>„Franquini und seinen Gefangenen, bringen,
„Willst du nicht ewige Schande erleiden.“
Karl schickte sogleich einen Boten aus,
Der auf tscherkessischem Renner, in fliegendem Saus,
Ja, schneller noch, als mir's will glücken,
Hier diese Verse zurechtzurücken,
Zum Lager Franquinis sprengt,
Wo man ihn frostig empfängt.
Frostig, und etwas betreten auch:
Dort ging's hoch her nach pandurischem Brauch.
Und nun heißt's aufgesessen — jammerschade!
Franquini zog ein schiefes Maul: weil's grade
So lustig war! „Ihr Freunde, zu den Waffen!
„Wir sollen Darget zu unserm Prinzen schaffen.“
Da rüsten die Panduren sich alsbald,
Flugs wird der krumme Säbel umgeschnallt
Über den Koller, den zinnoberroten;
Dann auf der Schulter rollen sie und knoten
Den Mantel fest, zuletzt quer übern Rücken
Die lange Flinte! Bald an hundert Karren
Und Leiterwagen hochbefrachtet knarren;
Troßknechte haben sie mit Beutestücken,
Mit Ballen vollgepackt zum Brechen fast,
Es ächzen und knacksen
Die Räder und Achsen,
Zehn riesige Ochsen schleppen an der Last.
Prachttiere sind's, nur langsam geht's voran,
Mühselig stampfen sie durch den Morast
Mit ihrer schwanken Ladung ihre Bahn.
Der ritterliche Lacy249-1 führt den Zug,
Der sich durch Quer, und Seitenwege schlug,
Rechts und links Pandurenscharen reiten,
Die sichern scharf und spähn nach allen Seiten.
In ihrer Mitte ist Darget, doch läßt
Franqumi ihn nicht frei, Bügel an Bügel
Reitet er neben ihm und hält ihn fest,
<250>Immer die Faust an seiner Mähre Zügel.
Dem guten Kerl ging's garnicht gut.
Wie er in rauhen Führers Hut,
Im Sattel hopsend, stets im Trab,
Dem Gaul, wie's traf, die Sporen gab.
Doch unser rüstiger Dumont,250-1 stets auf Wacht,
Lag schon im Waldesdickicht auf der Lauer,
Zum Morgengruß 'nen Flintenhagelschauer
Halt' er dem frechen Strauchdieb zugedacht.
Die Kugeln pfeifen. Man greift an,
Man lädt, man wehrt sich, kämpft Mann an Mann;
Manch einer färbt das Gras mit seinem Blut.
Doch wankt Franquini nicht der feste Mut
In dieser heißen Stunde: Ihm ist klar,
Daß es auf Darget abgesehen war.
Ihn gilt's vor allen Dingen
In Sicherheit zu bringen.
Die Besten packen ihn, durch Tal und Schlucht
Mit dem Gefangnen geht die wilde Flucht,
Indes Herr Dumont ihn vergeblich sucht.
Und Darget, der ein stilles Vaterunser sprach,
Muß hinter dem Franquini nach,
Der sehr zufrieden ist,
Daß fehlgeschlagen Dumonts List.
Franquini lacht: „Einfältiger Tropf!
„Es geht ja nicht um deinen Kopf.
„Nun heule nicht, du brauchst dich nicht zu bangen;
„Denn auch der Prinz wird freundlich dich empfangen.
„Um deine Geister aufzufrischen,
„Erzähl' ich dir meine Geschichte inzwischen.“
„Ich bin des Ewigen Juden jüngster Sproß.
„Mein Alter, in geheimen Künsten groß,
„Stand mit der Geisterwelt auf du und du;
„Ich brachte meine frühste Kindheit zu
„In meinem dalmatinischen Heimatneste;
<251>„Dann nahm mein Vater mich in jungen Jahren
„Nach Rußland mit. Dort hielt ich's für das beste,
„Nicht gleich als Jude mich einzuführen:
„Drum legte ich flotte Kavaliersmanieren
„Mir schleunigst zu, ein anmaßend Gebaren
„Samt einer großen fteiherrlichen Geste
„Und nannte mich frech nach einer Baronie.
„Die guten Leute, weiß selbst nicht, wie,
„Sie fielen glücklich auf mich 'rein
„Und schoben gar bald in ein Amt mich ein:
„Ich war einer mehr am Hof der Zarina,
„Nicht ungem sah mich die Katharina.251-1
„Einst kannte — so lang ist's noch nicht her —
„Das ungeleckte Volt nicht viel mehr
„Als niedrige Triebe; in stumpfem Sinn
„Lebt' es in Barbarei dahin,
„Bis Peter sie in die Höhe brachte,
„Eine Art Menschen aus ihnen machte,
„Der auf zwei Füßen sie laufen lehrte,
„Den Wilden beschnitt ihre Zottelbärte,
„Die Herrn Bojaren französisch anzog
„Und sie zum Dienst bei der Fahne bewog.
„Doch war's ihm leider nicht möglich eben,
„Auch andere Geister ihnen zu geben:
„Ganz zahm sind sie heute noch nicht bekanntlich
„Und für den Regierenden sehr unhandlich.
„Der Gott, der Schweigen gebietet,
„Hat sich dort eingemietet:
„Kein Zeichen verrät uns, was einer meint,
„Niemand ist das, was er scheint;
„Sie schweigen, sie brüten, sie sprechen nur leise,
„Kein Mensch tritt borten vernünftigerweise
„Mit dem Hacken auf. Und die Hofleute gar!
„Das ist euch ein ganz besonderer Schlag:
„Die raunen sogar ihr ,guten Tag'
„Sich heimlich ins Ohr. Aber eines war
„Mir recht erfreulich: Sie wissen zu saufen!
<252>„Und ferner dies: Ob da einer Bojar,
„Ob er entstammt aus dem Pöbelhaufen —
„Jedem kann's glücken, zu was zu kommen!
„Hält' mein Geschick nicht mit einemmal
„Eine betrübliche Wendung genommen,
„So wäre ich heute dort General.
„Katharina starb, die Kaiserin;
„Da war der Teufel los im ganzen Reich,
„Als sänke aufgelöst der Staat dahin,
„Da wechselten die Herrscher dreimal gleich.252-1
„Die neue Zarin zeigte mir nicht
„Ein freundliches Gesicht.
„Schon kam ein Höfling an,
„Der also begann:
„Mein Herr, auf daß Ihr unsrer Kaiserin
„Besondre Gewogenheit erkennt —
„Wohlan, nehmt hin:
„Bestallung und Patent,
„Worin sie Euch zum Hofnarren ernennt.
„Das ging mir übern Spaß, Kreuzsapperment!
„Mein Knüppel tanzte auf des Bojaren Rücken,
„Den Wisch zerriß ich in Stücken,
„Die Fetzen warf ich dem höfischen Wicht
„Ins verblüffte Gesicht
„Und prügle ihn heraus
„Bis vor mein Haus,
„Worauf man mich festnahm
„Und ich in Arrest kam;
„Dann kriegte ich gründlich was mit der Knute.
„Drauf witzelte wer — ein gemeiner Scherz —
„Da siehst du der Zarin großes Herz:
„Sie schickt dich bloß nach Sibirien, die Gute.
„Nun ward ich weit hinter Archangel verschlagen
„Und konnte dem Sonnenlicht Lebewohl sagen.
„Ein Jahr lang Hab' ich wie geistumnachtet
„In meinem Kerkergrab geschmachtet;
<253>„Da eines Tags fielen mir ein
„Meines seligen Vaters Zauberein,
„Und es begann sich in meinem Gedächtnis zu regen
„Ein alter höllischer Zaubersegen,
„Ein krauses Wort von wüstem Klang;
„Ich wagt' es darauf, und es gelang:
„Die kahle Mauer, steil und hoch,
„Unnahbar — ich erklomm sie doch!
„War's Geisterhilfe, die ich bannte?
„Verzweiflung, die die Sehnen spannte?
„Das Unerhörte war geglückt,
„Für diesmal war ich ausgerückt.
„Nun ging's durch die Wälder in fliegender Hast,
„Hier sperrte den Weg mir Sumpf und Morast;
„Das war eine Irrfahrt mit dorrender Kehle,
„Knurrendem Magen, verzagender Seele,
„Dazu die Kälte in allen Knochen!
„Und doch — mein Mut blieb ungebrochen!
„Was tat ich an Wölfen und Bären erlegen
„In der Waldeswildnis auf meinen Wegen!
„Einst dachte ich wirklich: Jetzt ist es aus.
„Die Lüfte erschollen, es war ein Graus,
„Vom Heulen der Wölfe; wutentbrannt
„Kamen sie auf mich losgerannt
„Von allen Seiten — so an die dreißig.
„Flink turnt' ich auf eine Fichte hinauf
„Und prügelte von da oben fleißig
„Mit Astwert in den Bestienhauf.
„Und wirklich gelang mir's, man sollt' es kaum denken,
„Ihrer zwein das Hinterteil auszurenken.
„Auch schmiß ich einigen die Lichter ein.
„Allein, was half mir's von meiner Pein,
„Macht' ich ein Dutzend gleich kampfunfähig:
„Ich starb schier vor Hunger! Auf einmal, was seh' ich?
„Bricht in das Rudel von lechzenden Wölfen
„Ein wirklicher Löwe, der offenbar
„In der Gegend beschäftigt war,
„Aus der Verlegenheit mir zu helfen.
„Jetzt aber, die Not macht erfinderisch,
„Schnitzt' ich mir hurtig einen Ast zurecht
<254>„Zum Bajonett und klettere frisch
„Von der Fichte herunter
„Und stürze mich munter
„In das bestialische Gefecht.
„Da waren denn, eh' ich's gedacht,
„Sämtliche Wölfe zur Strecke gebracht.
„Nun glaubt' ich, und tat mich schon drauf freuen,
„Ich könnte mir diesen gutmütigen Leuen
„Wie weiland der Ritter Gottfried254-1 zulegen
„Als Kriegskameraden auf allen Wegen;
„Doch er alsbald
„Verschwand im Wald.
„Drei Monde waren vergangen und mehr
„Nach wilden Fahrten die Kreuz und Quer,
„Nach wunderbaren Abenteuern,
„Auch mit der Wildnis Ungeheuern —
„Da sah ich Dächer! Es waren
„Siedlungen der Tartaren.
„Zu einem trat ich in seine Hütte;
„Gutmütig und gastfrei, nach Vätersitte,
„Empfing er mich in der Seinen Mitte,
„Und bot mir sogleich, der treffliche Mann,
„Sein Weib und seine Tochter an,
„Schlachtet darauf eine junge Kuh,
„Opfert auch seinen Abgöttern und Götzen,
„Schiebt dann, recht liebreich den Gast zu letzen,
„Stets mir die leckersten Bissen zu.
„Schwer sanken mir die Augenlider.
„Meine Wirte bemerkten es kaum —
„Sowas von Liebe findet man nicht wieder —
„So überließen sie mir den Raum,
„Indem sie draußen sich niederstreckten,
„Wo Rinderfelle die Erde bedeckten.
„In aller Herrgottsfrühe trat ich
„Zu meinem Wirt und um Auskunft bat ich,
<255>„Welcher Weg wohl von seiner Türe
„Am schnellsten mich nach Persien führe.
„Hochherziger Fremdling, der Gute sprach,
„Steht dir im Ernste der Sinn danach —
„Statt mit Worten dich lang zu versäumen,
„Will ich dir erst vor allen Dingen
„Meinen Bullenbeißer zäumen.
„Das ist dir ein Renner!
„Nur was für Kenner.
„Hundertmal tat er dorthin mich bringen!
„Brauchst ihm nur immer ins Ohr zu sagen,
„Wohin es soll gehn:
„Unfehlbar wird er ans Ziel dich tragen,
„Sollst dein blaues Wunder dran sehn.
„So sprach der Gute. Ich schloß ihn ans Herz,
„Säbel und Quersack ergriff ich drauf,
„Saß auf dem riesigen Köter auf
„Und trabte gen Agra morgenwärts.
„Wie ich so durch die Lande fahr',
„Begegnet mir ein graubärt'ger Tartar,
„Auch hoch zu Hund, ein Handelsmann;
„Gleich hatte mir's seine Bagage angetan.
„Ich weiß mich geschickt heranzuschlängeln,
„Ihn wehrlos zu setzen, nach rechts zu drängeln,
„Auf einmal — schwapp!
„Fliegt ihm der Schädel ab.
„Zwar hielt er stramm sich ein Weilchen noch
„Mit seinen Beinen im Sattel hoch,
„Zuletzt jedoch besann er sich,
„Daß er doch tot sei eigentlich,
„Und purzelt aus dem Sitz.
„Ich wie der Blitz
„Mach' mich über sein Geld;
„Doch sein Köter, der knurrt und bellt
„Und springt mir wütend an den Hals;
„Da regt sich meiner ebenfalls
„Und stürzt zu meiner Verteidigung
„Sich auf den ftemden mit kühnem Sprung.
„Doch war ich selber schon bei der Hand,
<256>„Vom Leder zog ich und schlug gewandt
„Mit einem Iagdhieb dem grimmigen Vieh“ —
Hier fiel ihm Darget in die Rede und schrie:
„Was seid Ihr bloß
„Ruppig und seelenlos!
„Sowas von Undank! In einem Land,
„Wo man nur Liebes und Gutes fand,
„Schnöd hinzuschlachten einen Tartaren!
„Und sowas nennt Ihr einen Barbaren!“
„Halt's Maul, du Tropf!“ Franquini faucht.
„Ich habe sein Geld zur Reise gebraucht!
„Dann kam ich, mit Ehren empfangen, an —
„Wie's gebührte einer Persönlichkeit
„Von meiner Außergewöhnlichkeit —
„Im Lager des Thamas,Chouli-Khan.256-1
„Er lag wider den Mogul zu Felde grade;
„Ich durfte im Kampf aus besondrer Gnade
„Stets um ihn sein. Sein Heerlager schien
„Bis an den Horizont sich zu ziehn,
„Man zählte an Streitern eine Million.
„Dort herrscht die Zoroasterreligion,
„Geheimnisvoll, düster in Kult und Verehrung.
„Leicht war ich zu haben für eine Bekehrung,
„Wie sich's ziemt für einen Mann von Verstand
„So wird man heimisch im fremdesten Land;
„Habe sowas öfter schon durchgemacht,
„Hat stets sich gelohnt und mich weitergebracht.
„Bald brach mein Khan mit dem Heerbann auf,
„Der Ruf seiner Furchtbarkeit flog ihm vorauf,
„Und Delhi sah sich umschlossen
„Von persischen Streitern und Rossen.
„Da gab zum Sturme das Zeichen der Khan,
„Das ganze Heer griff auf einmal an.
„Ein Regen von Pfeilen, ein Hagelschauer
„Stob uns entgegen von jeder Mauer.
<257>„Es regnete Tod! Doch von unseren Streitern
„Ward die Mauer besetzt mit tausend Leitern,
„Mit Schwert und mit Feuer drangen wir ein.
„Die Hunde will ich der Hölle weihn!
„Schreit Thamas im Blutrausch vor seinen Horden;
„Hei, da ging's an ein Morden!
„Die ganze Stadt in Vernichtung versank.
„Der Mogul, der fast im Blute ertrank,
„Tät derweilen mit großem Behagen
„Süßigkeiten knabbern und nagen.
„Ich selber natürlich, das müßt Ihr glauben,
„War unter den Ersten mit Sengen und Rauben.
„Als schließlich dem Würgen, dem Jammer, der Not
„Die Großmut des Thamas Einhalt gebot —
„Hm, dacht' ich mir, soll ich der Beute wegen
„Jetzt etwa Rechenschaft ablegen?
„Womöglich rausrücken meinen Raub?
„Da mach' ich mich lieber gleich aus dem Staub!
„So hab' ich denn wieder Reißaus genommen
„Und bin endlich zum Herrn aller Gläubigen kommen,
„In dem sich bekanntlich alles empört,
„Sobald er den Namen Perser hört.
„Damals geschah's, daß in Ungarland
„Von neuem die Kriegesfurie entbrannt':
„Der Kaiser, wie ein Blitz aus heiterem Himmel,
„Überfiel meine armen beschnittenen Herrn. 257-1
„Nun, Todesgefahr, Gerauf und Getümmel
„Halt' ich ja stets für mein Leben gern,
„Und so hat es mir nichts weiter verschlagen,
„Zu Mohammeds Ehre die Waffen zu tragen.
„Fragt nach, was dort bei Mehadia
„Für Heldenwerk durch mich geschah.
,„Doch bei Kornia war mein Kriegsglück zu Ende:
„Da fiel ich in derÖstrreicher Hände.
„Natürlich trug diese Lebenswende
„Mir wieder einen neuen Glauben ein:
<258>„Diesmal mußt's nun Maria sein.
„So bin ich denn heute ein guter Christ,
„Ja sogar, was noch schlimmer ist:
„Ein Österreicher mit Leib und Seel.“ —
Hoppla! da trat sein Rößlein fehl;
Wer weiß, was es war? War's ein Unglückstritt
In eine Wagenrinne? eine Fichtenwurzel?
Jedenfalls Freund Darget muß mit
Im allgemeinen Gepurzel;
Auch die am nächsten aufgeschlossen,
Kollern zuhauf samt ihren Rossen.
Das gibt ein lieblich Gequetsch und Geknäule,
Menschenleiber und strampelnde Gäule,
Und zu unterst, im zappelnden Haufen
Liegt Franquini und kann kaum schnaufen,
Schlägt wütend um sich mit Beinen und Armen
Und flucht und schimpft zum Erbarmen.
Obendrein war der Abend nah,
Sodaß man die Hand nicht vor Augen sah.
Schon deckt die Nacht mit dunklen Schleiern
Das Weltall zu
Und spendet Ruh
Den Menschen, die von ihrer Arbeit feiern.
Franquinis Schar war vom Lager nicht weit,
Und es mußte der Lärm in der Dunkelheit
Den schlafenden Posten wecken;
Der schoß in seinem Schrecken.
„Wer da?“ — „Franquini!“ Ein Gefreiter sodann
Von der Wache sitzt auf und reitet heran.
„Herrgott! Unser Großmaul! Euer Gnaden,
„Wer hat Euch hier abgeladen?“
Jetzt begann sich der Knäul auseinanderzuklauben;
Und richtig fand auch, kaum sollte man's glauben,
Jeder wieder
Seine eigenen Glieder.
Als man im Lager vernommen,
Was sich da draußen begeben hätt',
<259>Legt sich Karlchen beruhigt wieder zu Bett.
Aber der Schlaf will nicht recht kommen;
Sein Gemüt ist gar zu sehr erregt,
Zuviel ist's, was seinen Geist bewegt.
Franquini und der Schreiber liefen
Ins Zelt und schliefen.
Wer nun noch weiter vernehmen will,
Wie die Ereignisse kamen zum Ziel
Unter Kämpfen, Horn- und Trompetenklang,
Der lese noch den letzten Gesang.
Sechster Gesang
Schlacht und Ausgang
Der Tag trat seine Reise an.
Beschämt vor seiner Strahlen Pracht
Erblich der Sternenchor der Nacht,
Und neubelebt verspürt sein Nahn
Die Welt. Der Nebeldunst verweht
Vorm Glanz, der über Berge lacht,
Das Land in jungem Golde sieht.
Der Lothringer hatte die ganze Nacht
Schlummerlos damit zugebracht,
Unruhvoll seine Uhr zu fragen,
Wann es denn endlich wolle tagen.
Er beschied seine Freunde, seine Getreuen:
„Meine Lieben, es geht uns schlecht,
„Wir sollen uns keines Erfolges freuen!
„Wie bescheiden und wie gerecht
„Sind doch die Wünsche, die wir hegen —
„Der grausame Himmel bleibt taub dagegen!
„Nun haben wir Spott und Schande davon:
„Es war nichts mit dem Palladion,
„Der Preuße bewahrt's in zu sorglicher Hut.
„Und doch, wir müssen alles dransetzen,
„Endlich die Scharte auszuwetzen,
„Es hilft nichts! Es wird nicht eher gut!“
<261>Der männermordende Rosieres
Brach los: „Das kommt davon, auf Ehre,
„Daß Ihr auf die alten Schwätzer gehört,
„Die Euch mit Heiligengeschichten betört,
„Bei denen sich jedes Kriegerherz empört!
„Um den Wagemut ist's im Alter geschehn;
„Da weiß man seinen Rosenkranz zu drehn —
„Nur mit der ganzen Helligkeit
„Kommt man im Leben nicht weit.
„Ihr seid noch jung zu kühner Tat;
„Folgt Eurem Mut, nicht weisem Rat!
„Doch darf ich meine Meinung sagen,
„So soll man nichts nach Heiligen fragen.
„Im Himmel sind sie an rechter Stelle,
„Hier aber haben sie nichts getan,
„Um uns aus dem Unglück zu helfen. Wohlan,
„Versuchen wir's mal mit der Hölle!
„Ich meine, wer auf den Teufel zählt,
„Wird mit den Preußen besser fertig,
„Und unser famoser Franquini hält
„Stets Teufelskünste gegenwärtig.
„Er kann wohl beschwören“ —
„Heilige Marie!“
Vor Entsetzen das gute Karlchen schrie.
Allein der gute Rosieres schwor
Auf der Höllengeisier ganzen Chor;
Franquini aber verwettet sein Leben,
Die ganze Welt aus den Angeln zu heben.
Das gute Karlchen in Angst und Pein
Wird endlich bezwungen und schickt sich drein.
Ein Wäldchen lag vom Lager nicht weit,
Ein Ort des Friedens, der Einsamkeit,
So recht was für weltflüchtige Leute.
Dorthin pilgern drei Männer heute,
Das gute Karlchen an ihrer Spitze.
Er hat sich mit Weihwasser besprengt:
Man kann nie wissen, wozu das nütze,
Wenn uns der Böse listig bedrängt.
<262>Angelangt im Waldesverstecke,
Zieht Franquini eine alte Scharteke heraus,
Sucht mühsam einen Verbenenstrauß,
Bricht einen Zweig von der Haselnußhecke,
Schnitzt ihn zurecht, und auf einmal, o Graun,
Ist er ganz scheußlich anzuschaun,
In Ton und Gebärde schreckensvoll,
Wie die Seherin des Apoll:
Wenn ihr Dämon über sie kommen,
Von ihren Sinnen ein göttlich Feuer
Unwiderstehlich Besitz genommen,
Auf ihrem Dreifuß rauchumhüllt,
In Erregungen ungeheuer,
Das irrende Auge begeisterungswild,
Gibt sie taumelnd, mit schäumendem Mund
Ihre heiligen Orakel kund.
Noch schrecklicher als sie erschien
Dem Prinzen der Beschwörer Franquin.
Fuchtelnd tat er sich strecken
Mit Fauchen und Zähneblecken;
Und ein Kauderwelschen
Beginnt er mit höll'schen
Banngebärden;
Ein Kollern und Rasen
In grausen Ekstasen,
Um toll zu werden;
Und malt in die Luft
Die seltsamsten Zeichen,
Beschwört und ruft
Aus den finsteren Reichen
Astaroth und Luzifer
Und andre Höllengeister mehr.
Im Holze erhub sich ein brausend Rumoren,
Franquini wechselt die Farbe nicht,
Doch Karlchen erblaßt bis über die Ohren,
Reißt aus und bekreuzt sich und glaubt sich verloren;
Das Poltern kommt näher, es kracht und es bricht
In Buschwerk und Dickicht — herausgerannt
Kommt plötzlich, schau, schau!
<263>Eine grobe Sau
Und tobt vorbei unserm Nekromant.
„War das alles?“ so spöttelt Rosieres,
„Darum stellst du so greulich dich an,
„Spielst hier den Nachtspuk und wilden Mann,
„Rufst Luzifer,
„Um schließlich hier
„Ein Borstentier,
„Das friedlich in seiner Kule lag,
„Aufzuscheuchen vor Tau und Tag!“
Jetzt wagt's auch Karlchen, den Kopf zu drehn:
Er konnt' es noch grade verschwinden sehn,
Das Ungetüm, und da schlechterdings
Nichts Verdächtiges war zu erblicken rings,
So ging er hübsch langsam, blieb schließlich stehn;
Inzwischen holte auch Rosieres ihn ein.
Franquinis Verlegenheit war nicht klein;
Er sagt' es dem Lothringer auf den Kopf:
Schuld sei allein sein Weihwassertopf.
Dagegen konnte Karlchen freilich nichts sagen!
„Mag sein,“ meint Rosières und lächelt schlau.
„Doch, um dies zu ergründen genau,
„Erlaube ich mir jetzt vorzuschlagen:
„Wir wollen einen zweiten Vorstoß wagen,
„Und zwar mit verdoppelter Ladung diesmal!“
Da Hub sein schaurig Ritual
Der grimme Franquini von neuem an,
Indem er mit doppelten Kräften begann.
Schon dachte jeder: aber jetzt!
Jetzt muß doch samt den Seinen
Herr Satan gleich erscheinen!
Da nahten auf einmal, ganz abgehetzt,
Ganz außer Atem, ein paar Offiziere:
Soeben marschiere,
Bereit zur Schlacht,
Mt großer Macht
Der Feind heran.
<264>„Euch rappelt's wohl!“ so schreit der Prinz;
„Denn wahrscheinlich find's
„Nur einige Herden
„Von friedlichen Hammeln,
„Über denen sich Staubwolken sammeln:
„Das gleicht dann von ferne Menschen und Pferden.“
Nein, nein! Sie beschwören's und bleiben dabei,
Daß es die Streitmacht der Preußen sei.
„Auf! Auf drum, mein Prinz!“ Sie drängen, sie schrein.
Und Franqumi? Dem fällt vom Herzen ew Stein:
Er war zu Ende mit seinem Zauberlatein.
Das Kleeblatt eilt davon in stürmischem Lauf.
Wie reißt da Karlchen die Augen auf,
Als er sieht, wie der Feinde Scharen
Gegen das Lager im Anmarsch waren.
Ihm war's, als sähe er vier riesige Schlangen
Sich näher wälzen, die Gefilde decken;
Von ihren glanzgeschuppten Rücken sprangen
Buntfarbige Lichter, und er sah mit Bangen,
Wie sie sich mächtig in die Breite recken.
Aus ihren Massen dringt ein dumpfes Dröhnen
Von Waffen und von Rossen, und es tönen
Hell die Kommandorufe, Trommeln, Zinken.
Im Staub verfinstert sich der Sonne Blinken.
Ausdauer, Kühnheit, Manneskraft und Mut
Führen das Heer zum Streite;
Entsetzen, Schrecken und der Durst nach Blut
Sind sein finsteres Geleite.
Wer könnte indessen beschreiben, o Himmel!
Im Österreicherlager das Getümmel?!
Man sattelt sein Pferd,
Man gürtet sein Schwert,
Man ergreift sein Gewehr;
Den Helm, den Küraß her!
Wer feige, wer tapfer, noch kann man's nicht sagen;
Noch sieht man keinem etwas an:
Den schwachen und den harten Mann
Sieht man dieselbe Miene tragen.
<265>Jetzt nimmt der Preuße seinen VorteU wahr
Und bietet einen eisernen Willkommen dar.
Zweihundert Blitze prasseln los:
Was reißt für Lücken das schwere Geschoß!
Da erweist seine Reverenz der Feind.
Doch bald sieht man ihn bei den Fahnen vereint:
Zuerst die Kürassiere auf dem rechten Flügel zur Stelle,
Dann die stolzen Grenadiere im Schmuck ihrer Bärenfelle;265-1
Drauf Bethlehemiten, Lykanier und Gomorrhaten,
Portalisien, Böotier, Siebenbürger, Kroaten,
Timoktaler und so weiter,
Alles tapfere Streiter.
Dann die Dragoner ganz auf dem linken Flügel,
Auf kleinen Gäulen, doch sicher im Bügel.
Doch überall schwärmten Husaren,
Viele tausend, in großen Scharen,
In kleinen Haufen,
Auf ihren Pferden, den schnellen;
Sie lieben das Raufen,
Sie schweifen und streifen,
Sind nimmer zu greifen —
Des Kriegsgotts lustige Gesellen.
Der wackre Franquini beschloß,
Wie immer begehrlich:
Man plündert am besten den Troß;
Das ist nicht gefährlich.
Das gute Karlchen wies jedermann
Von den Führern jetzt seinen Posten an.
Da bekamen die Herrn aus dem Sachsenland
Auf dem linken Flügel ihren Stand;
Sie machten gezierte Gesichter
Als künftige Heldentatenverrichter.
Graf Wallis erhielt die Reserve zu führen,
Lobwowitz soll zu den Kürassieren.
Doch der hält das für einen schlechten Kauf,
Knurrt Karlchen an in trotzigem Ton:
„Diesen Heldenarm und meine Person,
<266>„Die spart' ich für große Taten auf!
„Ein festes Kommando ist mir verhaßt;
„Ich will da kämpfen, wo es mir paßt.“
Es war wohl für Karlchen ein Tag der Gnaden,
Er war heut mit Klugheit förmlich geladen;
Wie ein Gott war er heut, und sein Angesicht
Strahlte schier von Erkenntnislicht.
Er hörte es an mit Schweigen
Und ritt zu Arembergs Soldaten:
„Heut soll der Preuße den Rücken uns zeigen!
„Beweist es durch Taten!“ —
„Mein Prinz,“ entgegnet der Herzog da,
„Ohne Frage, zu fechten verstehn wir ja;
„Schlug ich doch selber in eigner Person
„Ihrer viere nieder, des öfteren schon.
„Doch Ihr, der Könige Stab und Stecken,
„Und wiederum anderer Könige Schrecken,
„Ihr habt gestern wirklich, muß ich sagen,
„Eine allzu schneidige Klinge geschlagen;
„Konntet wirklich die hochedlen Herrn
,Der Preußengesandtschaft gut und gern
„Bescheiden mit etwas mehr Höflichkeit;
„Dann hätten wir heute jedenfalls
„Den Morgenbesuch nicht auf dem Hals!“ —
„Heiliger Joseph! Ich glaub' gar, Ihr seid
„In tausend Ängsten?“ fuhr Karlchen ihn an. —
„Oho! Vielleicht Ihr!“ Und nun begann
Ein weidlich Schimpfen
Mit allen Trümpfen.
Da kam Graf Wallis, der Alte, wie bestellt;
Ihm war der dumme Spada zugesellt.
„Ihr Helden,“ schalt er, „was soll das Krakehlen!
„Jetzt heißt es, den Gegner niederstreiten,
„Jetzt heißt es, marschieren, handeln, befehlen —
„Ihr vertrödelt die Zeit mit Albernheiten!
„Ah, wär' ich wie einst noch, strotzend von Kraft,
„In längst entschwundenen Jugendtagen,
„Ich hätt's mit dem Feinde allein geschafft,
<267>„Würde euch garnicht erst fragen!
„In Italien 267-1 — was war ich doch ehemals
„Für ein flotter Bursche, ein Wagehals,
„Mein Arm so gefürchtet wie bewundert
„Durch Heldentaten mehr als hundert!
„Und was mochten die Weiber mich gern
„Zum Ärger der jungen verliebten Herrn.“
Dem Spada war das Gerede
Des Alten zu öde:
„Edler Herr, was Ihr da gesprochen,
„Das scheint mir weder gehaun noch gestochen;
„Homerische Helden fallen einem ein
„Mit ihren endlosen Prahlerein.“
Da just in diesem Augenblick
Gesellte den dreien ihr Mißgeschick
Herrn Waldeck, den trutzigen,
Den Lästerer nichtsnutz'gen!
Nun entbrannte erst recht
Das Redegefecht!
Der heischte nun gar, daß des Tages Ehre
Ihm allein gehöre.
Was Luxemburg? Was Prinz Eugen?
Den Waldeck sollt ihr erst mal sehn!
Indes die Führer lagen im Streit
Um Heldenpreis und Würdigkeit,
Rückten mit Macht
Die Preußen zur Schlacht.
Schon trat der rechte Flügel an
Und warf sich mit Schneid
Auf der Sachsen zaghaften Heeresbann;
Nur kurze Zeit
Versuchten die standzuhalten, doch dann —
Was? Abwarten, bis jene ganz nahe heran?
Die weichlichen Herrlein dachten nicht dran.
<268>„Reißt aus, ihr Helden aus Sachsenland,
„Was habt ihr hier auf der Walstatt zu schaffen?
„Nach Hause mit euch, Porzellan gebrannt,
„Fruchtstücklein, Vasen, Pagoden und Affen!“
Und damit fuhren die lustigen Spötter
Über die Flüchtigen wie ein Donnerwetter.
Da sausten die Klingen,
Da mußten sie springen,
Also, daß vor den preußischen Hieben
Ihrer nicht zwei beieinander blieben.
Der wackre Franquini fand seinerseits
Am Gepäck doch wieder den meisten Reiz.
Herr Dumont268-1 sah dies Stehlen und Rauben,
Flugs fiel er über die Spitzbuben her,
Da mußte das Pandurengesindel dran glauben.
Franquini, der von der räubernden Schar
Völlig im Stich gelassen war,
Setzte sich grimmig zur Wehr,
Den Säbel zog er schnell;
Schon sprudelte rot und hell
Des Blutes lebendiger Quell.
Der Pandure ward falsch zuletzt,
Gern hätte er dem seine Quinte versetzt,
Doch auf Quinten und Finten sich Dumont verstand,
Hat ihm den Stahl w die Rippen gerannt.
Franquini wankt, und atemlos
Zu Bodm stürzt er im schmetternden Fall;
So bricht im Walde mit wetterndem Hall
Eine Rieseneiche des Sturmwinds Stoß.
Er knirscht, seine Finger ins Erdreich krallen,
Hinströmt sein Blut, er erschaudert, erbleicht;
Das ist der grause Tod, schon fallen
Die Lider ihm zu, noch ein letzter Fluch,
Und die sündige Seele entweicht.
Gern hätten, da ihnen der erste Versuch
So glorreich gelungen,
<269>Die Preußen der Lorbeern noch mehr errungen:
Jetzt zu den tapferen Kürassieren!
Auf der Linken gilt es den Stoß zu führen.
Nassau269-1 und Rothenburg269-2 voran,
Camas269-3 und Chasot269-4 folgen dann.
Dreißig Schwadronen preußischer Reiter
Rasseln jetzt los, erbitterte Streiter.
Und wie die Erde erbangt und erzittert,
Wenn es in Felsenschlünden gewittert,
Nachtschwarze Wolken der Feuerberg speit,
Also erbebte hier unter den tausend
Donnerhufen, mit Sturmgewalt brausend,
Weitum die Erde, da enggereiht
All die prangenden Kämpferscharen
Wider die Feinde dahergefahren;
Himmel und Erde, so schien es, waren
Selber w tobendem Aufruhr und Streit.
Ein Augenblick nur — da sind sie heran.
Nun Klmge auf Klinge, nun Mann wider Mann.
Zuerst nur ein wüstes, dumpfes Getöne,
Eisenklang und wuchtiges Gedröhne,
Von Kampf und Wut ein Brüllen und Schrein,
Staubwolken verdunkeln den Tagesschein.
Das war ein Stoß, das war ein Prall!
Also berennt einen Mauerwall
Ein mächtiger Rammbock — wie hier der Graf
Von Nassau auf die tapfren Schwadronen
östreichischer Kürassiere traf.
Da mähte der Säbel, da galt kein Schonen.
Hinein und durch! Haut alles nieder!
Durch zuckende Glieder
Von Roß und von Mann
Eine blutige Bahn!
Was vor den mördrischen Hieben
<270>Nicht liegen geblieben,
Reißt die rasende Flucht hindann.
Es türmen die Leiber sich unter dm Rossen,
Blutbäche kommen rieselnd geflossen;
Dort rast, entledigt von Zaum und Zügel,
Ein Hengst dahin und schleift seinen Reiter
Durch den Sand, den Fuß noch im Bügel;
Andere schleppen sich taumelnd weiter,
Bis sie todwund, verstümmelt, durchstochen,
Zusammengebrochen.
Besät von Leibern der Krieger, der Pferde
War ringsum die Erde.
Genug, die Schwadronen des Lothringers lagen
Im Staube, gründlich aufs Haupt geschlagen,
Und die nicht geblieben,
Hat des Nassauers Schwert,
Im Streite bewährt,
Zu Paaren getrieben.
Sankt Nepomuk mit schwerem Gram
Von diesem Schlachtengraus vernahm,
Und sieh, in Kolowrats Gestalt,
Des frommen Böhmen, wo der Hauf
Der Fliehenden sich am dicksten ballt,
Taucht plötzlich im Gewühl er auf
Und läßt sogleich nach allen Enden
Trompetenruf zum Sammeln senden,
Und die Reiter halten und wenden.
Der Heilige stellt sich den Flüchtigen entgegen,
Väterlich mahnend ihr Herz zu bewegen.
Als Helfer in der Not sodann
Rief er Sankt Borromäus an.
Der kam — ein wunderlicher Reitersmann —
Einen Eismhut auf dem Kriegerhaupt,
Die starren Schnurrbartenden verquer
Unter der Nase hochgeschraubt,
Am linken Arme die Tartsche schwer.
Und nun das Roß erst! Es ist die Blume
Aller Renner von epischem Ruhme!
Selbst Podarges Glanz muß daneben erblassen,
<271>Und Rabikan darf sich begraben lassen:271-1
Der derzeitige Besitzer gewann es
Für hohen Preis vom heiligen Johannes,
Bei dem es, wie aus der Schrift bekannt,
In der Apokalypse271-2 Verwendung fand.
Kaum sah man den Heiligen in dieser Gestalt
Als ringsum tolles Gelächter schallt!
Vergessen schien Angst und Schrecken alsbald.
So hat es sich Nepomuk ausgedacht:
Dies Mittel, wußte er, ist probat!
Und so gelang's auch in der Tat:
Der alte Mut war neu erwacht,
Aufs neu der Kriegerzorn entfacht.
Die List war fein, der Spaß gelungen;
Doch Hedwig, Luther und Calvin
Und Genooeva,die merkten darin
Die böse Absicht. Da sind sie gesprungen
Quer über die Felder, die jammerreichen,
Besät mit Verwundeten, Sterbenden, Leichen.
Dem Allerschlimmsien zuvorzukommen,
Hat Calvin des Dessauers Maske genommen,
Indes verwandelte Luther sich,
Sodaß er dem General von Kalckstein271-3 glich.
Nicht ganz so weit
Wagt sich die heilige Weiblichkeit:
Bescheidentlich hocken die beiden Damen
In einem Eichenwipfel zusammen;
Dort kann nichts Gröbliches ihnen begegnen,
Dort oben können sie aus den Zweigen
Sich ungestört zu den Ihren neigen
Und sie von oben her segnen.
Die Streitkräfte sammeln sich hüben und drüben;
Freilich Sankt Nepomuk erschrickt,
<272>Wie er das Unheil erblickt:
Die Lothringschen nahezu aufgerieben!
Das geht nicht gut, diese armen Trümmer,
Erwägt der Heilige, nun und nimmer
Dürfen die nochmals in die Schlacht
Mit der gesamten Preußenmacht!
Wozu wäre denn der Wald eck da
Mit seiner verwegenen Furia?
Der hat sich ja stets um Gefahren gerissen,
Der lechzt ja nach Raufen, nach Beulen und Schmissen;
Den Hetze ich drauf! — Gedacht, getan:
„Auf jetzt!“ schreit er den Fürsten an.
„Ihr seid unser Rächer heut', seid unser Mann!“
Der Waldeck setzt die Sporen ein
Und sprengt drauflos und hält allein
Inmitten der feindlich gelagerten Reihn.
Und reißt den Mund auf gewaltiglich:
„Ihr preußischen Herren, wer wagt's wider mich?
„Heran, wer Herz hat!“ und schlägt an den Degen.
Streitbar sprengt ihm Graf Truchseß272-1 entgegen.
Schon sind sie aneinander. Da durchfuhr
Des Grafen erster Hieb die Zügel nur
Vor seines wütigen Gegners linker Faust;
Der schäumt vor Zorn, und seine Klinge saust
Auf Truchseß. Zu Tode getroffen, der Held
Stürzt wie vom Blitze gefällt.
„Wer ist der nächste hinter Truchs?
„Wer in dem ganzen Preußenhauf
„Bringt jetzt noch die Courage auf,
„Mich zu bestehn? Wohlan, der versuch's!“
Reitet der Rothenburg kühn in die Schranken:
„Fürst! Daß Euch Euer Prahlen nicht reut!
„Trügt mich nicht alles, so büßt Ihr's noch heut:
„Truchseß ist tot — doch hier lebt und hier beut
„Trutz Euch ein andrer! Mein Mut kennt Wanken!“
„Los denn! Es gilt!“
Schnaubt Waldeck wild.
<273>Nun aber Hub ein Fechten an!
Was Leibeskraft, verwegner Mut
Im Männerkampfe Wunder tut,
Was jeder Kämpe sich gewann
An Schnelle und gelenker Kraft,
An ritterlicher Meisterschaft,
Hier ward's bewährt, hier ward's getan.
Aug' sprüht in Auge Zorn und Wut;
Jetzt aneinander blind-verwegen,
Jetzt voreinander auf der Hut,
Mit hageldichten Schwertesschlägen
Umkreist ein jeder seinen Gegner;
Und Hieb auf Hieb wie Wetterstrahl,
Doch immer klirrt nur Stahl auf Stahl.
Jetzt zornentbrannter, jetzt verwegner
Sprengten sie aufeinander los
Zu Hieb und Stoß;
Doch wie das Eisen knirschte und stöhnte,
Der Harnisch funkenstiebend dröhnte,
Er hielt wie harter Mauerwall
Im mörderischen Klingenprall.
Der Graf von Rothenburg indessen,
Besonnener, von kältrem Blut,
Jetzt einen scharfen Kopfhieb tut —
Ein Meisterhieb! Der hat gesessen!
Tief durch den straffen Bizeps schnitt er:
Der Schwertarm, hochgereckt zum Schlag,
Sank jäh herunter, und da lag
Der blutige Degen auch. Wie bitter
War das dem Stolzen, brennend sehrt es
Das Heldenherz: Beraubt des Schwertes!
Das wurmt, er beißt die Lippe wütend,
Gemeßnen Schrittes, finster brütend
Zurück zu seinen Freunden ritt er.
Gemeßnen Schritts! Also ein Leu,
Weidwund vom Negerpfeil: bedächtig
Nur weicht er rückwärts, stets aufs neu
Dreht er das Mähnenhaupt und mächtig
Peitscht er den Schweif um beide Flanken
Und brüllt in ungezähmtem Mut —
<274>So schied Fürst Waldeck ohne Wanken
Mit rachedrohenden Gedanken.
Jetzt setzt sich Saint-Ignon in Trab;
Und tatenfroh
Löst Freund Chasot
Den Rothenburger ab.
Der Österreicher gebarte sich
Gar fürchterlich;
Chasot trabt zu,
Sieht seinen Mann
In guter Ruh'
Sich staunend an,
Setzt im Sattel zurecht sich,
Zieht vom Leder bedächtig.
Drauf Saint-Ignon: „Gleich bist du hin,
„Bete schnell noch zu deinem Calvin.“ —
„Und du befiehl deine Seele,“ versetzte
Der Ritter Chasot, „der Jungfrau Marie!
„Mich dünkt, es schlug deiner Stunden letzte.“
Nach diesen Trutzreden fielen sie
Einander an. Doch ist da zu melden:
Sehr verschieden waren die Helden;
Während Saint-Ignon nur ein Maulheld war,
Der gern aus dem Weg ging der Gefahr,
Wollt's dem Chasot am besten behagen
Bei heißen Kämpfen und wildem Jagen.
Schon sitzt er dem Feind im Genick, und jetzt
Hat er ihm eins von hinten versetzt,
Daß dem das Schwert
Durch den Nacken fährt.
Er stürzt herab mit wuchtigem Dröhnen,
Und mit verröchelndem Stöhnen
Er sterbend am Boden liegt,
Sein letzter Atem verstiegt.
Jetzt aber hat Luther wieder mit Macht
Die preußische Reiterfurie entfacht,
Er führt sie stracks auf die östreichschen Reih,
<275>Die fliehen und räumen das Feld der Schlacht,
Und die Ehre wird den Preußen wieder allein.
Nur Lobkowitz möchte das Geschick noch wenden,
Mit Kräften der Verzweiflung schlägt er drein,
So ihm zur Seite Aremberg und Stein.
Da sanken unter ihren Würgerhänden
Im Heldentod zwei edle Degen hin:
Camas und Schwerin!275-1
Graf Rothenburg nun seinen Angriff kehrt
Auf Lobwowitz, der sich noch immer wehrt.
Er umgeht ihn und schneidet den Rückzug ihm ab.
Doch der, noch einmal aufgerafft,
Schlägt sich durch mit der letzten Kraft,
Die heldische Todesverachtung ihm gab,
Und weiß einen Weg sich zu bahnen
Zu des Lothringers Fahnen.
Aber die Preußen wie Wetter und Blitz
Schmettern zermalmend in den Feind —
Endlich wankt auch Fürst Lobtowitz,
Er, der nimmer zu fiiehen gemeint!
Die preußischen Reiter Sieger waren,
Die Feinde zerstoben auf allen Straßen;
Der Rothenburger und seine Scharen
Den Fliehenden auf den Fersen saßen.
Es ward auf dieser wilden Jagd
Manch General zum Gefangnen gemacht.
Doch nun entbrannte der Kampf erst recht
Beim Fußvolk! Welch rasendes Feuergefecht!
Inmitten: der Preußen Palladion
Im Schutz einer dichtgeschloßnen Schwadron.
Karlchen, dem bei dem gräßlichen Morden
Ganz ängstlich geworden,
Empfing noch schnell die Absolution.
Wie da die mördrischen Salven rollten
<276>Von Bataillon wider Bataillon!
Nachtschwarz stiegen die Rauchwolken schon,
Die, zu mehren die Schrecken der Schlacht,
Des Tages Helle verdunkeln wollten;
Grell durch den Qualm, den Dunst, die Nacht
Flammten die Salven im Peloton.
Das Blei, dem Feuerschlund entflohn,
Es kennt kein Ansehn der Person:
Da fielen zwei edle Markgrafen gut
Aus erlauchtem Fürstenblut276-1 —
Du, Wilhelm, jedem Preußen teuer!
De Rège,276-2 Varenne,276-3 du Getreuer!
Da auf dem Felde seht
Die Helden hingemäht!
Wie Blumen, bunt von tausend Farben,
Die, eh' der Lenz, der sie gebar,
Gegangen war,
Im Gluthauch einer Stunde starben.
In diesem Ringen ungeheuer
Verdoppeln die Preußen ihr rasendes Feuer:
Geschossen, geladen — geladen, geschossen!
Das geht wie der Teufel, unverdrossen;
Der schwarze Ätna, an Gluten reich,
Die stammende Hölle kommt dem nicht gleich.
Viel Feinde fielen. Im Feuerschein
Aufleuchteten ihre Rotten und Reihn.
Von Entsetzen verzerrt sind ihre Mienen,
Gar mancher Schütze ist unter ihnen,
Der schießt vor lauter Angst in die Luft.
Ist da so ein Böhnlein ins Blaue gepufft.
Beschrieb einen Bogen
Und ist in den Eichbaum geflogen,
Wo das tückische Ding
In Genovevas Ferse ging.
<277>Die Holde schrie vor Schmerzen auf,
Dann wandte sie sich in schnellem Lauf
Hinauf zum seligen Paradies,
Wo sie sich bejammern ließ.
Noch dröhnten und stöhnten vom Salvengeroll
Die Lüfte, da drängten sich kopflos und toll
Um sinkende Fahnen noch Ostreichs Krieger —
Die Blüte ihrer Helden lag tot.
Kaum sieht der Sieger
All diese Bestürzung und letzte Not,
Da heißt's: Das Bajonett zur Hand,
Und das wankende Häuflein niedergerannt!
Das ist nun das Ende! Keine Gewalten
Vermöchten die Sinnlosen noch zu halten;
Wer noch laufen kann, sucht sich zu retten
Vor den preußischen Bajonetten.
Wie eine Herde, zersprengt und gescheucht,
Hinter der hungernd der Wolf herkeucht,
Also des guten Karlchens Scharen,
Aufgelöst in Entsetzen und Graun;
Hinterdrein kam der Dessau gefahren,
All die nicht flink auf den Beinen waren,
Ohne Erbarmen zusammenzuhaun.
Geschlagen war die große Schlacht.
Nun sammelt sich von fern und nah
Mählich der Preußen Heeresmacht.
Viktoria! Viktoria!
Ein Jubel war's, ein Siegsgeschrei,
Ein Höllenlärm und Juchhei,
Und in das Toben der siegfrohen Menge
Mischten sich helle Fanfarenklänge.
Jetzt ward der Austausch in die Wege geleitet:
Ein Lothringer gegen Darget, hieß es da;
Der Vorschlag ward Karlchen unterbreitet,
In seiner Gutmütigkeit sagte er Ja.
Darget den Preußen wiedergegeben!
Das war ein Triumph im Lager, ein Leben!
<278>Und Karlchen fügte zu seinem Bescheid,
Daß er, nach dieser schlimmen Geschichte,
Von heute ab für alle Zeit
Auf das Palladion verzichte.
179-1 Marquis Veit Heinrich Ludwig Valory, französischer Gesandter am Berliner Hofe.
179-2 Feldmarschall Prinz Karl Alexander von Lothringen, der Bruder des Großherzogs Franz Stephan von Toskana, des Gemahls Maria Theresias, führte den Oberbefehl über die österreichische Armee, die den Preußen im Herbst 1745 in Böhmen gegenüberstand. Vgl. Bd. II, S. 166; VI, S. 431.
179-3 Oberstleutnant Franquini kommandierte ein österreichisches Freikorps.
179-4 Claude Etienne Dargel (vgl. S. 133),
179-5 Gemeint ist Homers Froschmäusekrieg.
179-6 Jean Baptisie Louis de Gresset (1709—1777), französischer Dichter, Verfasser des Epos „Vert-Vert“.
179-7 Leonhard Euler (1707-1783), berühmter Mathematiker und Mitglied der Berliner Akademie.
181-1 Die heilige Hedwig war die Ahnherrin des preußischen Königshauses. Aus ihrer Ehe mit Herzog Heinrich I. von Schlesien stammten die Herzöge von Liegnitz und Brieg. Eine Prinzessin dieses Hauses, Sophie, war die erste Gemahlin des Kurfürsten Johann Georg von Brandenburg (vgl. Bd. l, S.30), und aus dieser Verbindung entsproß Kurfürsi Joachim Friedrich, der Stammvater aller später existierenden Linien des brandenburgischen Hauses.
181-2 Nach der Niederlage bei Hohenfriedberg am 4. Juni 1745 hatte Prinz Karl von Lothringen Schlesien geräumt und ein Lager bei Königgrätz bezogen. Die Preußen waren den Österreichern gefolgt und lagerten ihnen gegenüber (vgl. Bd. II, S. 223).
182-1 Benedikt von Rostères, österreichischer Oberst.
183-1 Graf Franz Saint-Ignon, österreichischer Feldmarschalleutnant.
186-1 Graf Olivier Wallis, österreichischer Feldmarschall.
186-2 Fürst Christian Loblowitz, österreichischer Feldmarschall.
187-1 Marquis de Spada, österreichischer Generalfeldwachtmeister.
187-2 Herzog Leopold Philiipp Karl Joseph von Aremberg, österreichischer Feldmarschall.
187-3 Fürst Karl August Friedrich von Waldeck, österreichischer Feldmaischall.
187-4 Freiherr Franz Stein mm Rechtenstein, österreichischer Oberst.
187-5 Johann Georg, Ritter von Sachsen, ein natürlicher Sohn Augusts des Starken, kursächsischer General.
187-6 Graf Cajetan Kolowrat-Kralowsky, österreichischer Feldmarschalleutnant.
190-1 Graf Guido Starhemberg, österreichischer Feldmarschall.
190-2 Am 25. April 1707 (vgl. Bd. VI, S. 429). Die Anführung gerade dieser Schlacht, in der die Franzosen und Spanier über die Engländer siegten, ist dem Charakter der Dichtung entsprechend ein Scherz des Königs.
190-3 England war mit Österreich gegen Preußen verbündet.
191-1 Der kursächsische Feldmarschall Herzog Johann Adolf von Sachsen-Weißenfels, der die Sachsen bei Hohenfriedberg geführt hatte. Die Anführung des Ritters von Sachsen (S. 187) beruht offenbar auf einem Versehen.
193-1 Freiherr Friedrich Daniel Saint-André, österreichischer Generalfeldwachtmeister.
193-2 Graf Franz Nadasdy, österreichischer Feldmarschalleutnant.
193-3 Oberstleutnant Graf Adam Dessewffy.
195-1 Franz Isaak von Chasot, Major im Dragonerregiment Bayreuth (vgl. S. 160).
197-1 Freiherr Johann Theodor von Ruesch, Oberst und Chef eines preußischen Husarenregiments
201-1 Durch den Versailler Vertrag vom 5. Juni 1744 hatten sich Preußen und Frankreich gegen Österreich verbündet (vgl. Bd. II, S. 162).
205-1 Vgl. S. 18 l, Anm. 1.
207-1 Das sogenannte liberum veto verlieh jedem polnischen Landboten das Recht, durch seinen Einspruch gegen die Beschlüsse des Reichstags dessen sofortige Auflösung herbeizuführen.
208-1 Für den historischen Vorgang der Entführung Dargets in der Nacht vom 3. zum 4. September 1745 vgl. die Darstellung des Königs in der „Geschichte meiner Zeit“ (Bd. II, E. 231).
210-1 Vgl. S. 179.
214-1 Der heilige Stephan (Etienne) war Dargets Namensheiliger und Schutzpatron.
220-1 Thomas Germain, ein berühmter Pariser Goldschmied.
228-1 In drastischem Scherze stempelt der König Darget zum Verfasser der neuesten erotischen Literatur. Es handelt sich um folgende Werke: „Les Bijoux indiscrets“ von Denis Diderot (1713—1784), „La sensible princesse et le prince Typhon“ von Mademoiselle de Ludert, „Acajou et Zirphile“ von Charles Pineau Duclos (1704—1772), „Histoire des Chats“ von Paradis de Moncrif (1687—1770), „Le Paysan parvenue “ von Pierre Carlet de Chamblain de Marivaux (1688—1763) und „La Paysanne parvenue“ von Charles de Fieux Chevalier de Mouhy (1701—1784).
229-1 Auch diese Erfindung schreibt der König scherzhaft Qarget zu. Die Hampelmänner waren 1746 in Paris aufgekommen und wurden zu einem äußerst beliebten Spielzeug, das Verbreitung bei jung und alt fand.
230-1 Die sogenannten Generalstaaten, d. h. die Abgeordneten, die von den Provinzialständen zur Leitung des Staates gewählt wurden.
233-1 Mit diesem Spottwort pflegte König Friedlich seiner persönlichen Abneigung gegen Georg II. von England Ausdruck zu geben.
233-2 Georg II.
233-3 Vgl. Bd. I, S. 155.
234-1 Für die spöttische Schilderung der Haltung Georgs II. in der Schlacht bei Dettingen am 27. Juni 1743 vgl. Bd. II, S. 142.
234-2 Um die englische Politik im Interesse seines Stammlandes Hannover zu lenken, bestach König Georg II. das Parlament. Vgl. S. 36 und Bd. l S. 154f.; II, S. 27f.; V, S.84f.
235-1 Anspielung auf Shakespeares Dramen (vgl. Bd. VIII, S. 88).
236-1 König Johann V. (vgl. Bd. II, S. 27).
238-1 Die Inquisition.
241-1 Vgl. Bd. II, S. 47.
241-2 Papsi Benedikt XIV. (vgl. Bd. II, S. 42; III, S. 153).
244-1 Eine Gestalt aus Popes Dichtung: „The Rape of the Lock“.
245-1 Vgl. S. 215 f.
247-1 Paul Heinrich Camas de Tilio, preußischer Oberst (vgl. S. 157). Er war bereits 1741 gestorben.
249-1 Graf Franz Moritz lacy, österreichischer Hauptmann, der spätere berühmte Heerführer.
250-1 Offenbar ist der preußische Generalleutnant Peter Ludwig du Moulin gemeint.
251-1 Kaiserin Katharina I. (1725—1727).
252-1 Auf Peter II. (1727—1730), Anna Iwanowna (1730—1740) und Iwan VI. folgte 1741 die Zarin Elisabeth.
254-1 Während des ersten Kreuzzugs rettete 1098 der französische Ritter Gottfried de la Tour durch einen Schwertstreich einen köwen vor einer Schlange. Voll Dankbarkeit verließ der Löwe den Ritter nicht mehr.
256-1 Schah Nadir von Persien. Vgl. Bd. II, S. 43.
257-1 Für den Krieg Karls VI. gegen Sultan Mahmud V. in den Jahren 1736—1739 vgl. Bd. I, S.158 ff.
265-1 Die österreichischen Grenadiere trugen Mützen aus Bärenfell.
267-1 Während des Spanischen Erbfolgekrieges.
268-1 Vgl.S. 250.
269-1 Graf Christoph Ernst von Nassau, preußischer Generalleutnant.
269-2 Vgl. S. 76.
269-3 Vgl. S. 247.
269-4 Vgl. S. 195.
271-1 Podarge heißt eins der Rosse des Menelaus in der Ilias, während den Namen Rabikan die Streitrosse mehrerer Helden in den Roland-Dichtungen des Bojardo und Ariosi tragen.
271-2 Kap. 6, Vers 2 und Kap. 19, Vers II.
271-3 Christoph Wilhelm von Kalckstein, preußischer General der Infanterie, der frühere Erzieher des Königs.
272-1 Vgl. S. 77.
275-1 Felix Bogislav von Schwerin, preußischer Oberst. Vgl. S. 77.
276-1 Die Markgrafen Friedlich und Wilhelm von Brandenburg-Schwedt. Vgl. S. 75.
276-2 Major Gabriel Gideon d'Azemar de Rege wurde bei Ottmachau am 9. Januar 1741 tödlich verwundet.
276-3 Oberst Marquis Friedrich Wilhelm Varenne war am II. Februar 1744 am Fieber in Prag gestorben.