Vierter Gesang
Dargets Lebensgeschichte
as Großes ist's um die Tugend, ich weiß.
Doch weil zur Zeit der Vernunft hienieden
Nur eine geringe Rolle beschieden,
Steht Liebenswürdigkeit höher im Preis;
Und wärst du ein Schuft, ein Galgenstrick,
Bist du nur nett, hast du überall Glück.
Wohl unserm Darget, der in gleichem Maß
Das eine wie das andre besaß!
Und also am nächsten Abend geschah's,
Daß der schlimme Franquini, ganz ausgepumpt -
Er hatte halt gar zu ausgiebig gelumpt,
Denn schließlich, ein Räuber und Pandur
Kann auch nicht alleweile nur
Auf dem Kriegspfade leben,
Auf dem Gaule kleben —
Nun, wie gesagt, der Edle lag
Zu Bette erst den geschlagenen Tag,
Bis er endlich wieder zu Kräften kam.
Nun saß er, er war merkwürdig zahm
Und weich gestimmt heut, ganz freundschaftlich
Am Bette Dargets: „Ich langweile mich,
„Muß mal ein bißchen nach Euch schaun;
„Man mag sich nicht vor die Türe traun,
„So regnet's draußen. Ich meine daher,
„Ihr erzählt Eures Lebens Mär,
„Was Ihr erlebt und was Ihr getan;
„Man sagt, daß kein Volk so erzählen kann
„Wie ihr Franzosen.“
<227>Darget verneigt sich,
Und er zeigt sich
Äußerst entzückt von der Ehre und Gunst,
Mit seiner geringen Erzählerkunst
Den großen Franquini zu unterhalten.
„Doch bitt' ich Euch, laßt Nachsicht walten;
„Mit jener Mär
„Ist's nicht weit her;
„Drum sei mein Bericht
„Recht bündig und schlicht.
„Damit mir das Schicksal nichts Tolles erspar',
„Geschah's, daß eine Herzogin mich gebar;
„Mein Vater war wohl ein dunkler Herr X,
„Begnadeter heimlichen Minneglücks.
„Daß das Unglücksfrüchtlein verbotener Liebe
„Hübsch im Dunkel bliebe,
„Schoben die Eltern den Zögling ab;
„Und daß sich beizeiten sein Seelchen form'
„Nach der gottwohlgefälligen Norm,
„Man schon den Buben ins Kloster gab.
„Von da ging's hinaus ins Ungefähr,
„Als ob da mein Glück mir so sicher wär'!
„Da war ich im ersehnten Paris,
„Mitten im lustigen Sybaris!
„Welch ein Völkchen, welch ein Leben!
„Liebenswerteres kann's nicht geben;
„Und das lacht und singt und freut sich
„Und zerstreut sich,
„Schiebt und dreht sich
„Durcheinander wie die Narren —
„An der Seine, das versteht sich,
„Hat ein jeder seinen Sparren.
„Paris hat der Gottheiten mancherlei.
„Der Kult der Frau sieht obenan;
„Schier ebenso ernst ist die Sorge sodann,
„Was wohl das Neuste vom Neuen sei;
„Dazu noch die Modenarretei —
<228>„So habt Ihr ganz
„Die Götzen meines Vaterlands,
„Die der Gesellschaft und ihrem Leben
„Gesetz, Gestalt und Ordnung geben.
„Auch mir war dies Gesetz verbindlich:
„Ich trieb die Windbeutelei recht gründlich
„Und hatte, ob durch Fleiß, ob durch Geschick,
„Als Schürzenjäger und als Stutzer Glück.“
„Kann ich mir denken,“ meinte Franquini.
„Aber zum Teufel, man muß doch leben!
„Doch ich begreif' das Wovon und das Wie nie;
„Darüber, du aus dem Neste geschmißner
„Bastard, mußt du mir Aufschluß geben.“
„O, ich lebte als Kunstbeflißner:
„Schrieb Romane und Vaudevilles
„Jener Mache und jenen Stils,
„Wie sie an Trottel und Idioten
„Stets zu Paris wurden feilgeboten.
„Vieles, was damals kam in Mode,
„Es ist von mir: Die ,Geschwätz'gen Kleinode',
„Auch die,Empfindsame Prinzeß',
„Auch ,Acajou' — ein Buch, das indes
„Kein Mensch versteht; auch einen Versuch
„Über Katzen wagt' ich. Mein launig Buch
„Vom Bäuerlein, das sein Glück gemacht,
„Hat's gradezu zu Weltruhm gebracht,
„Und für meine,Bäuerin' hätt' man zuletzt
„Am liebsten mir ein Standbild gesetzt. 228-1
„Doch alles gar schön; Ehre hin, Ehre her!
„Ich hatt' mir mein Leben doch anders gedacht:
„Was hilft das Talent,
„Wenn's im Herdloch nicht brennt
<229>„Und Küche und Keller bleiben leer?
„Ich brütete, sann,
„Dann macht' ich mich dran
„Und erfand die Hampelmänner 229-1 —
„Was einen Ertrag gab in baren, blanken
„Einhundertzwanzigtausend Franken.
„Auf einmal packte mich Reiseverlangen!
„Nichts bildet so sehr einen jungen Mann.
„Und wer seine Landsleute auswendig kann,
„Guckt sich gern mal fremde Gesichter an.
„So bin ich zunächst nach Holland gegangen.
„Was sind das für konfiszierte Gesichter,
„Welch massiges Flegel- und Tölpelgelichter!
„Denkt Euch ein Volk von trägen Schnecken,
„Frostig und gleichmütig,
„Frosch- oder fischblütig,
„Aus ihrer Ruhe nicht aufzuwecken,
„Langwellige Tröpfe,
„Wassergeschöpfe;
„Und maulfaul! Kaum sickern in einer Stunde
„Zwei Menschenworte aus ihrem Munde.
„Ich leg' mein Gesicht in holdselige Falten,
„Mich ehrsam-verständig zu unterhalten:
„Sagt an, wovon lebt ihr eigentlich? —
„Von der Milchwirtschaft,“ so belehrt man mich;
-“Ihr seht unsre Herden und unsre Weiden —
„Vom Handel mit Käse und Pfeffer dabei
„Und ein wenig auch von der Gaunerei,
„Die ja beim Kaufmann nicht ganz zu vermeiden.
„Da ist ganz Europa uns abgabenpfiichtig,
„Und wir, wir scheren's und schröpfen's tüchtig.“ —
„Nun, und wie steht's mit der Herrschaft im Land? —
„Einst seufzten wir unter der Fremden Hand;
„Doch haben wir Schmach und Tyrannei
„In unserm eigenen Blut ertränkt
„Und sind nun frei.
<230>„Das heißt — daß Ihr nichts Verkehrtes Euch denkt —
„Es ist wahr, das Königtum wären wir los —
„Das heißt — im Grunde den Namen bloß,
„Den Namen, der unser Ohr so kränkt;
„Es haben sich dreißig Tyrannen jetzt
„An Königs Statt uns auf den Thron gesetzt. 230-1
„Ihr seht, wie's unsre Völker auch treiben,
„Unsre Ketten bleiben.
„Republikanischer Mannessiolz
„Kriecht munter auf dem Bauche vor Leuten,
„Die unser Volk verraten, ausbeuten,
„Wir, deren Freiheit die Welt bewundert,
„Statt eines Königs haben wir hundert
„Gebieter von demselben Holz!
„Einer von diesen behäbigen Herrn,
„Der besonders mit Gütern gesegnet,
„Ladet mich ein, sein Gast zu sein.
„Selbstverständlich sag' ich nicht nein,
„Danke gar höflich und folge gern.
„Da ist mir was Schnurriges begegnet:
„Eine bedienstete Weibsperson,
„Kaum sieht sie mich, da packt sie mich schon,
„Buckelt mich auf und schleppt mich wie'n Sack
„Quer über die Gasse huckepack.
„Nun auf der Schwelle angekommen,
„Ward ich erst gründlich vorgenommen,
„Abgeschruppt erbarmungslos
„Nach den Landessitten,
„Zu guter Letzt
„Ans einem Eimer tief und groß,
„Schon mehr einer Bütten,
„Mit roher Gewalt unter Wasser gesetzt.
„Hallo! Was hat man vor mit mir? —
„Ja, das ist der Gipfel der Höflichkeit hier,
„Und bei den Fremden stets angebracht:
„Hier gilt's vor allem, zu jeder Zeit
„Die Erhaltung der heimischen Reinlichkeit!“
<231>„Nun ging's in die Küche — war das eine Pracht!
„Ich staunte des Glanzes und dachte: Aha!
„Hier speist man vermutlich! Man hatte ja
„Seit einem Menschenalter allda
„Kein Feuer mehr angemacht.
„Man speist? Allmächtiger!“ — Ich stand wie ein elender,
„Schmählich ertappter Tempelschänder —
„Man speist! Als wenn diese Räume wir putzten,
„Damit wir sie einfach als Wohnung benutzten!
„Wer, Unmensch, bewohnt denn solche Gemacher?
„Wozu gibt's Keller und ähnliche Löcher?
„Die Sippe mag noch so zahlreich sein:
„Da wird ein bißchen zusammengerückt,
„Man richtet schlecht und recht sich ein,
„So haust man zufrieden und still beglückt.
„Hier aber thront,
„Wo niemand wohnt,
„In hehrer Göttereinsamkeit
„Die Reinlichkeit.
„Einmal und nie wieder, hab' ich gedacht
„Und schleunigst nach England mich aufgemacht.
„Ein Riesentransportschiss nahm mich an Bord.
„Hoch rasseln die Anker, weit leuchten die Wellen,
„Schaumgekrönt, unsre Segel schwellen,
„Aufrauscht es vorm Bugspriet, nun trägt es uns fort
„Bei Lotsenruf, Kommando und Wink
„Regt das Matrosenvolk sich flink.
„Und da wir hintreiben vor stetem Süd,
„Auf glatter Bahn unser Segler zieht,
„Die Reisenden schmausen, zechen und lachen,
„Keinem fällt's ein. sich Gedanken zu machen.
„Die Ahnungslosen. Eh' wir's gedacht,
„Drehte der Wind sich, finster ward's droben,
„Springende Böen pfiffen und schnoben,
„Donner grollte — darüber ward's Nacht.
„Bald in den gähnenden Abgrund gerissen,
„Bald zu den Wolken emporgehoben,
„War unser Schiff in den Finsternissen
<232>„Ach, nur ein Spielzeug! Da mit einem Mal
„Prasselt hernieder ein Feuerstrahl,
„Der die empörte Welt
„Ringsum erhellt,
„Alles entzündend zu rotem Brand.
„Der Mast bricht und zerschellt,
„Das Deck erzittert,
„Das Steuer zersplittert!
„Da faßt unsre Seeleute Schwindel und Graus,
„Die Knie wanken, sie wissen: 's ist aus.
„Und wirklich, ein Spielball der Sturmeswut,
„Hören wir jetzo — uns starrt das Blut —
„Ein fürchterlich Krachen: Weh, aufgerannt
„An Felsenklippen,
„Zerschellten des Fahrzeugs Rippen,
„Nun löste sich Niet und Band.
„In ihrer Angst meine Reisegefährten
„Gelobten dem Himmel, weiß Gott, was;
„Ich betete brünstig zu meinem verehrten
„Schutzheiligen, der meiner auch nicht vergaß.
„Eine Ruderstange ließ er mich fassen
„Und hat sich also vernehmen lassen:
„Für diesmal biet' ich dir noch die Hand,
„Weil du einmal nach mir genannt;
„So hab' ich dir jenes Stück Holz beschert,
“.Bediene dich seiner als Steckenpferd,
„Meines Mantels als Segel; mein Heiligenschein
„Wird dir als Leitstern willkommen sein.
„Denn steuern wirst du dich sowieso
„Mit deinem vieigewandten.... —
„Teurer Sankt Stephan, entgegnete ich,
„Mir ist just wahrhaftig nicht lächerlich;
„Ein bißchen mehr Hilfe wär' eher hier nütze,
„Und ein bißchen weniger schlechte Witze.
„So schwamm und trieb ich mit meinem Plunder.
„Zuletzt, zerschlagen und mürbe wie Zunder
„Und halb ersoffen im Wogenschwall,
„Vom Salzwasser elend, das ich geschluckt;
<233>„Dem Schiffbruch nahe zum zweitenmal,
„Ward ich endlich mit hartem Prall
„Irgendwo auf den Grund gestuckt.
„Nah war die Küste; den Rest meiner Kraft
„Hab' ich noch krampfhaft zusammengerafft,
„So schwamm ich hinüber an Englands Strand.
„O glücklich der Mann, der den Hafen fand!
„Meinem Heiligen hielt ich mein Wort
„Und schenkt' ihm zwei dicke Kerzen sofort.
„Welch ein entzückendes Landschaftsbild!
„Ich sag' Euch, das reine Friedensgefild;
„Ei, diese britischen Bulldoggen, dacht' ich,
„Wohnen ja reizend hier! Aber mach' dich
„Endlich von diesen Küsten mal los,
„England ist groß!
„Und liegt dir daran, die Briten zu sehn,
„So mußt du schon nach London gehn.
„Dort angelangt, schaut' ich mich satt
„Desselben Tags noch an der Stadt.
„Der Brite, herb und trotzig,
„Fühlt selbst wie ein kleiner Gott sich;
„Herrn Käpten nennt er seinen König.233-1
„Ich sah ihn und grüßte untertänig.
„Da sagte er gnädig zum General:
„Zeigt dem Franzosen mein Arsenal!
„Ha, dacht' ich, da gibt's mal was zu gaffen:
„Waffen, Waffen und nichts als Waffen!
„Indessen statt ernsten Kriegsgerätes
„Hüte und Stiefel! Nein, sowas Verdrehtes!
„Da Hub mein Führer schwärmend die Hände:
„Ihr hehren Bekleidungsgegenstände!
„Euch trug ja mein Held233-2 bei Malplaquet!
„O Himmel, und wenn ich die Sporen seh':
„Mit denen ritt er vor seiner Garde
„Auf dem Siegesfelde bei Oudenaarde!233-3
<234>„Doch bitte, nun drehen Sie sich mal um,
„Bewundern Sie dieses Heiligtum:
„Des Helden grimmer Degen ist das,
„Der ward Franzosenblutes naß
„In der Dettinger Schlacht;234-1 und bemerken Sie dort —
„Hier neigt' ich mich tief und fiel ihm ins Wort:
„Ich danke! Zuviel schon mein Auge erblickte
„Von Frankreichs Leid! — Und sichtlich behagte
„Der Höflingsseele, wie ich das sagte;
„Worauf ich verstimmt mich schleunigst drückte
„Und ging, wo das Haus der Gemeinen tagte.
„Das sind der alten Römer Affen!
„Gewandt zwar, die Menge hübsch breitzuschlagen,
„Demosthenesse, könnte man sagen,
„Entsprächen die Worte dem, was sie schaffen.
„Doch können sie auf ihre Tugend nicht pochen;
„Denn gehn sie frei mit dem Wort auch um,
„So sind doch leider nur alle bestochen -
„Sie alle regiert das Kurfürstentum.234-2
„Einen Briten, ungekünstelt und schlicht,
„Den findet man unter Tausenden nicht.
„Je ausgefallner die Querköpfigkeit,
„Je freudiger die Menge Beifall schreit;
„Denn was man dort unterm Regiment
„Des Königs seine Freiheit nennt,
„Ist das Recht, sich nach Kräften verrückt zu benehmen —
„Mag doch die Welt sich dem bequemen!
„Eigentlich sind's gar traurige Narren,
„Leiden nicht just an vergnüglichen Sparren:
„Ich sag' Euch, wie unsereins zum Wein,
„Gehn sie sich aufhängen, als müßt' es so sein;
„Vergeht schier kein Tag, da nicht einer hinge!
„Sind halbwild noch, die Leute da drüben;
„Kein Theaterstück wird da geschrieben,
„Darin nicht ein wacker
<235>„Bluttriefend Massacker
„Sämtliche Rollen, selbst noch so geringe,
„Ohne Erbarmen zur Strecke brächte.235-1
„Doch, worauf sie noch toller versessen:
„Wenn ihre Gladiatoren sich messen
„Im Faustgefechte!
„Hab' sie gesehn: Da stehn sie halbnackt,
„Hieb und Parade, das geht wie im Takt,
„Die Arme, die sehnigen, stiegen, das knackt
„In allen Gelenken, man schlägt sich halbtot —
„Es war einfach scheußlich! Erspart mir das Weitre.
„Was aber, Franquini, Euch mehr erheitre,
„War jenes Schauspiel, das sich mir bot
„Bei einem Volksfest, einem der großen Rennen!
„Das muß man gesehn haben, muß man kennen!
„Die stolzen Engländer sind auf Ehre
„Mehr oder minder Millionäre;
„Eine Schatzkammer hat ein jedes Haus,
„Selbst die Bettler leben in Saus und Braus.“
Dem Hörer lief's Wasser im Maule zusammen:
„Das ist noch ein Land! Gott soll mich verdammen!
„Ja, aber warum, in drei Teufels Namen
„Führt man nicht Krieg mit den prächtigen Leuten?
„Schaut wahrlich mehr dabei heraus
„Als bei der armen preußischen Kirchenmaus;
„Da gäb's schon eher was Rechtes zu erbeuten
„Als bei den Rittern', die allerwegen
„Nichts eigen haben denn Mantel und Degen!
„Doch weiter im Texte!“
„Fahr' ich da eines Tages durch die City quer,
„Schreit mir da jemand was hinterher —
„War nicht grade eine Schmeichelei!
„Ich aus dem Wagen eins, zwei, drei,
„Und im ersten Feuer,
„Fuchswild wie noch nie,
„Mit Wucht auf den Schreier.
<236>„Nun Knie gegen Knie,
„Faust wider Faust,
„Und Streich auf Streich,
„Das hagelt und saust,
„Und also prügl' ich ihn windelweich;
„Er blutet und fällt und schlägt sich dabei
„Vor der Stirn eine Brausche wie'n Hühnerei.
„Na, denk ich, der sieht nicht wieder auf —
„Da rennt auch schon das Volk zuhauf
„Mit fuchtelnden Armen und Zetergeschrei;
„Ich sah, daß es Zeit zu verschwinden sei,
„Und reiste ab noch die Nacht darauf.
„Zu Schiffe kam ich in Portugal an.
„Hier sah ich staunend des Königs Johann236-1
„Klösterlich Schloß.
„Der König der seltenen Ehre genoß
„Ms der Kirche allerergebenster Sohn
„Messe zu lesen in eigner Person.
„Worauf ich mir ein Kloster beschaute,
„Ein Riesending, das er sich erbaute.
„Dafür suchte er Kapuziner;
„Für diese jedenfalls schien er
„Ein äußerst warmes Herz zu haben;
„Sind ja wohl auch ganz brave Knaben
„Und aller Ehren wert.
„Mich hat man da mit dem Antrag beehrt:
„Wie wär's denn, wenn Sie sich aufnehmen ließen?
„Wehrt' mich dagegen mit Händen und Füßen:
„Einkasteln! Mich! — Doch so wird's gemacht!
„Hat man doch einfach, die gähnende Leere
„Dieses verdammten Klosters zu füllen,
„Leute gewaltsam hereingebracht:
„Hundert Mann aus des Königs Heere,
„Die Mönche geworden sind wider Willen.
„Mir wurde doch ängstlich, muß ich gestehn,
„Es möcht mir am Ende auch so gehn.
„Ich floh und war der Gefahr entronnen,
„Als ich glücklich die Grenze von Spanien gewonnen.
<237>„Dort wähnt' ich vor Ungemach und Sorgen
„Mich endlich geborgen.
„Ach, mein Verhängnis, darwider ich streite,
„Geht mir ja heut noch getreulich zur Seite!
„Ach, Liebe, du alte Schicksalsmacht,
„Wie hast du mich damals heruntergebracht!
„Das war zur Strafe für meine Sünden,
„Daß mir an jenes Morgens Licht
„Aufging ihr Himmelsangesicht;
„In Klosterhut mußt' ich sie finden,
„Am Gitter, in ihrem Nonnenkleid,
„Ganz Demut und junge Holdseligkeit.
„Da dacht' ich: Zu dir muß ich wiederkehren,
„Dich wiedersehen, von ferne verehren!
„Gleich war auch ein Pfaffe als Kuppler zur Hand,
„Der schlau ein Hintertürchen fand,
„Wie ich mit ihr könnte beisammen sein,
„Meiner holden Nonne,
„Meiner Sehnsucht und Wonne,
„Und sie willigte ein.
„So hat mich in einer unseligen Nacht
„Eine Leiter heimlich ins Kloster gebracht.
„Nach dem Scheiden will ich heiter
„Abwärts klettern auf der Leiter.
„Doch das morsche Holz bricht plötzlich,
„Ein Getöse gibt's entsetzlich,
„Daß mein Blut zu Eis gerinnt;
„Und im Augenblick beginnt
„Rings ein grauenhaft Hallo,
„Laufen, Rennen und Geschrei,
„Was denn nur geschehen sei,
„Und mit Zetermordio
„Stürzt das Weibervolk herbei.
„Wenn der Wolf zu nächtiger Stunde
„In die dunklen Hürden brach,
„Hirt und Hunde
„Werden wach.
„Hussa! heißt's, ihm nach, ihm nach!
„Reißaus nimmt er querfeldein,
<238>„Steine sausen hinterdrein;
„Durch den Wald die wilde Hatz,
„Bis Freund Isegrimm den Schlägen
„Der Verfolger unterlegen —
„So auch bleibe ich am Platz.
„Drauf schafft man mich gebunden fort
„Vors Gericht in den Nachbarort.
„Der Spanier hat nun für Missetaten
„Ein besondres Gericht,238-1
„Zur Hälfte Mönche, zur Hälfte Prälaten,
„Das wutentflammt
„Und morderpicht
„Auf den Laien sich stürzt, den es immer verdammt;
„Denn Freispruch kennt es nicht!
„Sie sind ja der Gottesliebe voll
„Und lassen aus reiner Gutherzigkeit,
„Weil's ihnen um eure Seele leid,
„Die sonst ja verloren,
„Den armen Sünder am Brandpfahl schmoren.
„Rings um diese Stätte der Not
„Das Feuer von hundert Scheiterhaufen loht.
„Ein Richter, wie ein Waldkauz anzusehn,
„Ließ eine Ansprache über mich ergehn:
„Graut dir, du schamloser Bösewicht,
„Vor der Rache des Himmels nicht?
„Drum soll zum heilsamen Schrecken
„Für alle, die im Unglauben stecken,
„Dein Sündenleib der schmorenden Pein
„Morgen überantwortet sein!“
„In mein Gefängnis zurückgebracht,
„Habe ich die schöne Rede bedacht.
„Mir war doch recht erbärmlich zu Mut
„Ob dem trüben Verlauf meines Abenteuers,
„Auch hatt' ich von je einen Haß, eine Wut
„Auf diese Art der Verwendung des Feuers,
„Sah auch beim besten Willen nicht ein,
<239>„Warum durchaus sollte gestorben sein!
„So blieb denn als einziger, letzter Retter
„Nur noch mein Heiliger und Namensvetter.
„Ach, heiliger Stephan, mein Schutzpatron!
„Fing ich erbärmlich an zu fiehn,
„Nicht wahr, wie hier dein Schützling, dein Sohn
„Höchst grausamlich verderben soll,
„Das kannst du doch nicht ruhig sehn?
„Ich weiß, du bist der Gnade voll!
„Denn einmal halfst du schon!
„O, wie ich damals, todumbrandet,
„An Englands Küste doch gelandet,
„Durch deine Güte, deine Helfermacht —
„Die Kerzen habe ich dir auch dargebracht
„Für deinen Altar —
„So sieh auch heut' mir bei in dieser Gefahr!
„So lag ich auf meinem Angesicht,
„Und sieh, der Himmel verließ mich nicht:
„Der Kertergrund erbebte,
„Auftat sich das Gemäuer,
„Im Strahlenkleide schwebte
„Mein Heiliger, mein Getreuer:
„Kopf hoch, mein Sohn, nicht gleich verzagen!
„Ich lese dein Schicksal in Zukunfttagen:
„Hat doch die Fügung noch zu vielen Dingen
„Dich vorherbestimmt, zu Ehren mancherlei —
„Sogar ein Heldenlied wird von dir singen.
„Drum, guter Junge, mach' dich frei
„Von aller Angst vor dem blutigen Gelichter
„Dieser glaubenswütigen Ketzerrichter:
„Ich schwör dir's, kein Härchen wird dir gekrümmt —
„Wofern du versprichst, mir meine Kapellen
„Zu den großen Festen frisch zu bestellen!
„Versprichst du mir das?“ — Ja, bestimmt! —
„Schon war ich der Ketten und Bande frei
„Auf den Wink meines Heiligen; was sollte dabei
„Der eingeschläferte Wächter machen?
„Der Heilige gab mir die sieben Sachen
„Eines Iesuitenpaters, die Tür tat sich auf.
<240>„Nun mach', daß du fortkommst! Beeil' dich, lauf!
„Beim Schopf ergreif die Gelegenheit!“
„Worauf er mir noch seinen Segen beut.
„Nun, ob ich's eilig hatte! Ein zweites Mal
„Vor dies verfluchte Waldkauztribunal —
„Ich danke bestens! Wie im Waldesgrunde
„Ein Hirsch, den stinke Jäger rings und Hunde
„Umstellt schon halten, der sein Ende wittert —
„Nun bricht er aus! In mutigen Sätzen
„Reißt er das Netz- und Lappenwerk in Fetzen,
„Das ihn von allen Enden eingegittert,
„In hohen Fluchten geht's durch Dorn und Hecken:
„So war's, wie ich aus Spanien Reißaus nahm!
„Völlig verstört! Und der Todesschrecken
„Blieb mir noch lang in den Gliedern stecken,
„Noch weint' ich bitter vor Grimm und Gram,
„Als ich im Mönchskleid nach Italien kam.
„Das lateinische Land ist recht zum Bettüben:
„Wo ist das alte Ausonien geblieben?
„Was man geschaffen, was man gelehrt,
„Es ist alles verkommen, es ist zerstört.
„Im Kreise seiner erhabenen Trümmer
„Fühlt sich der Enkel der stolzen Zeiten
„Als ein Civis romanus noch immer.
„Und der Priesterwelt kleine Gestalten
„Leben vom Glanze der großen Alten
„Im Schimmer der Vergangenheiten.
„Jeder Hansnarr, mit dem man spricht,
„Springt uns mit Cicero ins Gesicht,
„Weiß vom Kaiser Augustus zu sagen,
„Vom alten Florenz und der Medici Tagen.
„Aber die im jetzigen Römerland wohnen,
„Diese Urenkel der Catonen,
„Lassen sich, um im Diskant zu wimmern,
„Ihre Lebenskraft verkümmern.
„Nein, diese Kastraten sind nur Helden der Töne,
„Sind nur der Nymphe Echo Söhne,
„Weiß und rot bemalte Gesichter,
<241>„Ein verkommenes Theatergelichter.241-1
„Seht, also sind diese Römer entartet!
„Doch einen Mann — das muß ich gesteh —
„Einen Hab' ich zu Rom gesehn,
„Der hohen Amtes mit Größe wartet:
„Fürwahr, eine Fürsten-- und Priestergestalt,
„An Geistesadel, Gedankengewalt
„Vergleichbar den Sternen des Altertums;
„Ein Priester ohne Pfaffenlist,
„Ein Fürst, der weiß, was Gebieten ist,
„Wohl würdig seines hohen Ruhms,
„Ein Glaubensheld, der die Künste meistert!241-2
„Gern hätt' ich mich länger für ihn begeistert,
„Doch war daheim der Krieg entbrannt
„Und rief mich in mein Vaterland.
„Da war ich denn glücklich wieder inmitten
„Meiner geliebten Sybariten,
„Die nun — war's Laune, war's echte Gunst? —
„Für den Vater der Hampelmannkunst
„Aus Erkenntlichkeit was zu tun gedachten
„Und bei Valory mich unterbrachten.
„Doch was sich seitdem mit mir zugetragen,
„Das brauch' ich Euch wohl nicht erst zu sagen.“
228-1 In drastischem Scherze stempelt der König Darget zum Verfasser der neuesten erotischen Literatur. Es handelt sich um folgende Werke: „Les Bijoux indiscrets“ von Denis Diderot (1713—1784), „La sensible princesse et le prince Typhon“ von Mademoiselle de Ludert, „Acajou et Zirphile“ von Charles Pineau Duclos (1704—1772), „Histoire des Chats“ von Paradis de Moncrif (1687—1770), „Le Paysan parvenue “ von Pierre Carlet de Chamblain de Marivaux (1688—1763) und „La Paysanne parvenue“ von Charles de Fieux Chevalier de Mouhy (1701—1784).
229-1 Auch diese Erfindung schreibt der König scherzhaft Qarget zu. Die Hampelmänner waren 1746 in Paris aufgekommen und wurden zu einem äußerst beliebten Spielzeug, das Verbreitung bei jung und alt fand.
230-1 Die sogenannten Generalstaaten, d. h. die Abgeordneten, die von den Provinzialständen zur Leitung des Staates gewählt wurden.
233-1 Mit diesem Spottwort pflegte König Friedlich seiner persönlichen Abneigung gegen Georg II. von England Ausdruck zu geben.
233-2 Georg II.
233-3 Vgl. Bd. I, S. 155.
234-1 Für die spöttische Schilderung der Haltung Georgs II. in der Schlacht bei Dettingen am 27. Juni 1743 vgl. Bd. II, S. 142.
234-2 Um die englische Politik im Interesse seines Stammlandes Hannover zu lenken, bestach König Georg II. das Parlament. Vgl. S. 36 und Bd. l S. 154f.; II, S. 27f.; V, S.84f.
235-1 Anspielung auf Shakespeares Dramen (vgl. Bd. VIII, S. 88).
236-1 König Johann V. (vgl. Bd. II, S. 27).
238-1 Die Inquisition.
241-1 Vgl. Bd. II, S. 47.
241-2 Papsi Benedikt XIV. (vgl. Bd. II, S. 42; III, S. 153).