<472>Stelle alles Einzelne mit scharfem Blicke prüfte. Bis zur Stunde seines Todes war sein Geist es, der den Organismus seines vielgegliederten Staates belebte, war seine Hand es, die alle Fäden der Regierung zusammenhielt und lenkte.
Indes tritt uns, wenn wir den allgemeinen Charakter dieser fortgesetzten landesväterlichen Tätigkeit des großen Königs betrachten, zunächst eine Anschauungsweise entgegen, die unsrer Zeit bereits fremd geworden ist, die wir uns jedoch klarmachen müssen, um ein unbefangenes Urteil zu bewahren. Friedrich steht an der Schwelle der neuen Zeit. Er gab dem Gedanken des Menschen eine Freiheit, die bis dahin ohne Beispiel gewesen war; er gewährte jedem seiner Untertanen eine unbedingt gleiche Geltung vor dem Stuhle des Rechts. Aber es sind im wesentlichen eben nur diese allgemeineren Verhältnisse, durch welche er dem neuen Geiste Bahn brach; in der Gestaltung des einzelnen fand er es für gut, noch die gemessenen Schranken bestehen zu lassen, die er vorgefunden hatte, ihre Linien sogar noch fester zu ziehen, und der Tätigkeit seiner Untertanen die Richtungen vorzuzeichnen, in denen sie sich bewegen sollte. Hierin mag ihn vornehmlich der Umstand bestärkt haben, daß bereits durch die Bemühungen seines Vaters ein Mechanismus in dem ganzen Körper des Staates ausgebildet war, dessen Vorzüge vielleicht schwer durch eine andere Gestaltung der Dinge zu ersetzen waren, und daß gerade ein solcher Mechanismus günstig schien, um der Überlegenheit seines eignen Geistes freien Spielraum zu gewähren. In solcher Weise konnte er eine großartige Selbstherrschaft üben, wie die Geschichte kein zweites Beispiel kennt. In den späteren Jahren seines Lebens trat, wie es einmal in der Natur des Menschen begründet ist, diese Richtung schärfer hervor als früher; aber wenn auch manche Hindernisse in der freieren Entwickelung der Kräfte seines Volkes dadurch bedingt waren, so hat er diesem Übelstande gleichwohl durch den hohen Sinn, mit dem er fort und fort seine Regierung führte, durch die außerordentlichen Unterstützungen, die er nach allen Seiten hin spendete, um das Begonnene zu fördern, durch den reinen Willen, der nur das Gedeihen des Staates im Auge hatte, aufs glücklichste entgegengearbeitet.
So erklärt es sich zunächst, daß er den Unterschied der Stände entschieden festhielt und daß er über demselben, als die veränderten Verhältnisse in der späteren Zeit seiner Regierung manche Lösung des Althergebrachten wünschenswert erscheinen ließen, nur mit vermehrter Sorge wachte. Adel, Bürger und Bauern sollten, ein jeder in seinem abgeschlossenen Berufe, für das Beste des Staates arbeiten; keiner von ihnen sollte in die Gerechtsame des andern eingreifen. Der Adel sollte seine Stellung als erster Stand behaupten; er sollte ausschließlich dazu dienen, die ehrenvollsten Ämter des Staates und besonders die Offizierstellen der Armee zu