[Erstes Buch. Jugend]
<2> <3>ERSTES KAPITEL Geburt und Taufe.
Friedrich, den seine Zeitgenossen den Großen genannt haben und den die Nachwelt ebenso nennt, wurde am 24. Januar 1712 im königlichen Schlosse zu Berlin geboren. Mit großer Freude wurde seine Erscheinung begrüßt, denn die Hoffnungen der königlichen Familie beruhten auf ihm. Noch saß der Großvater des Neugeborenen, König Friedrich I., auf dem preußischen Throne; aber er hatte nur einen Sohn, Friedrich Wilhelm, und diesem waren bereits zwei Söhne bald nach ihrer Geburt gestorben; blieb Friedrich Wilhelm ohne männliche Nachkommen, so mußte die Krone auf eine Seitenlinie des königlichen Hauses übergehen. Es wird erzählt, die frohe Nachricht sei dem Könige gerade zur Mittagsstunde, eben als die Zeremonien <4>der Tafel beginnen sollten, überbracht worden; augenblicklich habe er die Tafel verlassen, der hohen Wöchnerin in eigner Person seine Freude zu bezeugen und den einstigen Erben seiner Krone zu begrüßen. Alsbald erhielten die Einwohner der Residenz durch das Läuten aller Glocken, durch den Donner des sämtlichen Geschützes, welches auf den Wällen stand, Kunde von dem segensreichen Ereignis. Mannigfache Gnadenbezeugungen und Beförderungen treuer Diener des Staates, die Speisung aller Armen in den Armenhäusern der Stadt erhöhten die Feier des Tages.
König Friedrich I. hatte seine Staaten als Erbe seines Vaters, des Großen Kurfürsten von Brandenburg, Friedrich Wilhelm, empfangen. Der Große Kurfürst war der erste, aber auch der einzige gewesen, der, nach den Greueln des Dreißigjährigen Krieges und gegen die verderbliche Übermacht Frankreichs, den deutschen Namen mit Würde zu vertreten wußte. Er hatte sein fast vernichtetes Land zu einer achtunggebietenden Macht erhoben. Er hatte so glücklich gekämpft und so <5>weise regiert, daß die Eifersucht des österreichischen Kaiserhofes rege ward; mit Verdruß bemerkte man in Wien, daß an den Ufern des baltischen Meeres sich ein neuer « Vandalenkönig » emporhob; denn der kaiserlichen Majestät, die nach unabhängiger Herrschaft über Deutschland streben mochte, schien es wenig vorteilhaft, in den Händen untergeordneter Reichsfürsten eine bedeutsamere Macht zu erblicken.
Friedrich I. hatte den Taten seines großen Vaters eine neue hinzugefügt, die, oft als kleinlich gescholten, von den großartigsten Folgen war, und die auch an sich von eigentümlichem politischen Scharfblicke zeugt. Er hatte sein nicht zum deutschen Reichsverbande gehöriges Herzogtum Preußen (Ostpreußen — denn Westpreußen war den früheren Besitzern des Landes durch die Polen entrissen) zum Königreiche <6>erhoben und sich zu Königsberg, am 18. Januar 1701, die königliche Krone aufgesetzt. Langjähriger Widerspruch, besonders von Seiten des österreichischen Hofes, war zu beseitigen gewesen, ehe Friedrich I. sich zu diesem Schritte entschließen durfte; aber mit standhafter Beharrlichkeit hatte er seinen Plan verfolgt, bis die politischen Verhältnisse sich der Ausführung günstig erwiesen. Wie bedeutsam dieser Schritt war, bezeugt ein ahnungsvolles Wort des Prinzen Eugen von Savoyen, des größten Feldherrn und Staatsmannes, den Österreich zu jener Zeit besaß; nach seiner Ansicht hätten die Minister, welche dem Kaiser zur Anerkennung der preußischen Krone geraten, Todesstrafe verdient. Denn allerdings war der königliche Name kein leerer Titel und der königliche Hofhalt kein leerer Prunk; beides setzte — und namentlich in einer Zeit, die alles nach dem Richtmaß der Etikette abschätzte — den Kurfürsten von Brandenburg in eine Stellung zum deutschen Reichsverbande, die auf ein Streben nach Unabhängigkeit von dessen schon morsch gewordenen Gesetzen hindeutete: eine weitere Entwicklung des brandenburgisch-preußischen Staates mußte dies Streben zur Tat hinausführen.
Doch war es dem ersten Könige dieses Staates nicht verliehen, sein Werk in solcher Weise zu vollenden; äußere Verhältnisse, innere Kraft und geistige Überlegen<7>heit mußten zusammenkommen, um so Großes vollbringen zu können. Friedrich I. begnügte sich, seine Krone mit demjenigen Glanze zu schmücken, der zur Behauptung ihrer Würde unerläßlich schien und es in der Tat für jene Zeit war. Er umgab sich mit einem prunkvollen Zeremoniell und vollzog die anstrengenden Satzungen desselben, gleich einer Pflicht, mit strenger Ausdauer. Er feierte die denkwürdigen Ereignisse seiner Regierung mit einer ausgesuchten Pracht, welche das Ausland staunen machte und sein Volk mit demütiger Bewunderung erfüllte. Zugleich aber war er milden Sinnes und von seinen Untertanen in Wahrheit geliebt. Auch wußte er dem äußerlichen Schaugepränge durch reiche Begünstigung der Kunst und Wissenschaft eine innere Würde zu geben. Großartige Werke der Kunst erstanden auf sein Gebot; Andreas Schlüter, der unter ihm eine Reihe von Jahren in Berlin arbeitete, ist ein Meister der Bildhauerei und Baukunst, wie die Welt lange vor und lange nach ihm keinen zweiten gesehen hat. Eine Akademie der Wissenschaften wurde <8>ins Leben gerufen, deren Seele der größte Philosoph seiner Zeit, Leibniz, war, obgleich dieser nicht dauernd für Berlin gewonnen werden konnte. Berlin hieß damals allgemein das deutsche Athen.
Die Geburt des künftigen Thronerben, zumal unter den Umständen, von denen oben die Rede war, erschien als ein zu wichtiges Ereignis, als daß sie nicht zu neuer Entwicklung der königlichen Pracht hätte Gelegenheit geben sollen. Auch betrachtete man es als eine günstige Vorbedeutung, daß der Prinz im Januar, dem Krönungsmonate, geboren war, und es ward, um dieser Vorbedeutung ein größeres Gewicht zu geben, auch das Fest der Taufe noch in demselben Monate angeordnet. Am 31. Januar fand die Taufe in der Schloßkapelle statt. Der ganze Weg von den Gemächern des Kronprinzen bis zur Kapelle war mit einer doppelten Reihe von Schweizern und Leibgarden besetzt. Die Markgräfin Albrecht, Schwägerin des Königs, trug den jungen Prinzen, unterstützt von ihrem Gemahle, einem Stiefbruder des Königs, und dem Markgrafen Ludwig, einem jüngeren Bruder; der Täufling hatte eine kleine Krone über dem Haupte und war in Silberstück, mit Diamanten besetzt, gekleidet, dessen Schleppe sechs Gräfinnen hielten. In der Kapelle wartete ihrer der König nebst seiner Gemahlin, seinem Sohne, dem Fürsten Leopold von Anhalt-Dessau, dem berühmten Befehlshaber des preußischen Heeres, und den übrigen Personen des Hofes. Der König stand unter einem prächtigen, mit Gold gestickten Baldachin, dessen vier Stangen von vier Kammerherren getragen wurden, während die vier goldenen Quasten desselben vier Ritter des Schwarzen Adlerordens hielten. Vor dem Könige war ein Tisch mit goldnem Taufbecken; er selbst übernahm den Täufling, der nach ihm mit dem Namen Friedrich getauft wurde. Aufs neue läuteten alle Glocken der Stadt und ertönte der Donner des Geschützes, während in der Kapelle die heilige Zeremonie von rauschender Musik begleitet ward. Glänzende Festlichkeiten am Hofe und in der Stadt beschlossen den freudigen Tag.
<9>Einige Monate nach der Geburt des Prinzen, im Frühjahr und Sommer 1712, erblühte im königlichen Lustgarten zu Köpenick, in der Nähe von Berlin, eine amerikanische Aloe, welche daselbst schon vierundvierzig Jahre ohne zu blühen gestanden hatte, zu ungemeiner Größe und Fülle. Sie trieb einen Stamm von ein und dreißig Fuß Höhe, an welchem man 7277 Blüten zählte. Tausende strömten von nah und fern herzu, um dies Wunder der Natur zu sehen; in Druckschriften, in Gedichten und Kupferstichen wurde die Pracht der Riesenblume verkündet. Man betrachtete sie als ein Sinnbild jenes Glanzes, zu dem das preußische Königshaus emporsteige, und wußte ein solches Gedankenspiel in kunstreich gebildeten Denksprüchen durchzuführen. Den Hoffnungen, welche die Geburt des künftigen Thronerben belebt hatte, schien hier eine neue Bestätigung gegeben. Aber man ließ auch nicht unbemerkt, daß die Pflanze selbst absterbe, während die Blütenkrone sich in vollster Pracht zeige; man deutete dies auf den bevorstehenden Tod des Königes.
Eine solche Deutung war freilich so gar verwegen nicht, da der König, überhaupt von schwächlicher Körperbeschaffenheit, schon längere Zeit kränkelte. Die Geburt seines Enkels war der letzte freudige Glanz seines Lebens gewesen. Am Geburtstage desselben im folgenden Jahre, bei dem Fest, welches der Kronprinz zur Feier des Tages veranstaltet hatte, erschien er zum letzten Male öffentlich. Bald nahm seine <10>Krankheit eine drohende Wendung. Schon am 13. Februar berief er seine Familie und die höheren Staatsbeamten vor sein Lager, um Abschied von ihnen zu nehmen. Er erteilte dem Kronprinzen seinen Segen, ebenso seinen Enkeln, dem einjährigen Prinzen Friedrich und dessen Schwester, der vierjährigen Prinzessin Wilhelmine, die mit ihren Eltern am Bette kniete. Am 25. Februar verschied der König.
<11>ZWEITES KAPITEL Die ersten Jahre der Kindheit.
Der Tod Friedrichs I. brachte eine bedeutende Veränderung in der Regierung des preußischen Staates, im Hofhalt, in der Lebensweise der königlichen Familie hervor. Friedrich Wilhelm I. war seinem Vater durchaus unähnlich. Das strenge Zeremoniell, dem er sich bis dahin hatte fügen müssen, war ihm lästig, der kostbare Prunk der Festlichkeiten verhaßt; die höhere Wissenschaft und feinere Sitte, in der ihn seine Mutter, die schon früher verstorbene hochgebildete Königin Sophie Charlotte, hatte erziehen wollen, erschien ihm als ein sehr überflüssiger, zum Teil verderblicher Schmuck des Lebens. Ihm war von der Natur eine ausschließlich praktische Richtung gegeben. Sein Bestreben ging dahin, statt der Summen, welche der glänzende Hof<12>halt, und neben diesem auch die Willkür bevorrechteter Günstlinge, fort und fort verschlungen hatte, einen wohlgefüllten Schatz herzustellen, seine Untertanen zu ausdauerndem Fleiße anzuhalten und den Wohlstand des Landes durch die sorglichste Aufsicht zu befördern. Die Bedeutung seiner Krone sollte nicht ferner durch blendenden Schimmer, sondern durch ein zahlreiches und wohlgeübtes Kriegsheer vertreten werden. Die Festlichkeiten, welche den Schmuck seines Lebens ausmachten, bestanden in der Schaustellung kriegerischer Künste. Durch unermüdlichen Eifer brachte er es dahin, daß bei den militärischen Übungen seine Soldaten eine Schnelligkeit, Sicherheit und Gleichförmigkeit der Bewegungen entwickelten, welche bis dahin unerhört waren. Ebensosehr lag es ihm am Herzen, daß seine Regimenter, besonders die ersten Glieder derselben, sich durch Schönheit und Körpergröße vor allen auszeichneten; ja, er ging hierin so weit, daß er für diesen Zweck Summen verschwendete, die mit seiner sonstigen Sparsamkeit auf keine Weise in Einklang standen; und mannigfach hat ihn gewalttätige Werbung großer Leute mit seinen Nachbarstaaten in verdrießliche Händel verwickelt. Berlin ward unter seiner Regierung nicht mehr das deutsche Athen, sondern das deutsche Sparta genannt.
<13>Sein Familienleben war auf einen einfach bürgerlichen Fuß eingerichtet, und er gab hiedurch — zu einer Zeit, wo an den Höfen fast überall ein furchtbares Sittenverderbnis eingerissen war — ein achtbares Beispiel. Eheliche Treue galt ihm über alles. Seine Kinder, deren Anzahl sich im Verlauf der Jahre bedeutend vermehrte, sollten, seiner schlichten Frömmigkeit gemäß, in der Furcht des Herrn erzogen werden; frühzeitig war er bemüht, sie durch die Gewöhnung eines regelmäßigen Lebens, durch strengen Gehorsam und nützliche Beschäftigung zu tüchtigen Menschen nach seinem Sinne zu bilden während alles, was der Eleganz im Leben und Wissen angehört, entschieden aus seinem häuslichen Kreise verbannt blieb. Unter einer rauhen Hülle bewahrte er ein deutsches Gemüt, und er ließ dem, der ihm in gemütlicher Weise entgegenkam, Gerechtigkeit widerfahren; undeutsches Wesen aber und Widerspenstigkeit gegen seine gutgemeinten Anordnungen fanden sie ihm einen unerbittlichen Richter, und er wußte, von Natur zum Jähzorn geneigt, ein solches Tun aufs härteste zu ahnden.
In den ersten Jugendjahren seines Sohnes, des nunmehrigen Kronprinzen Friedrich, konnte es jedoch noch nicht offensichtlich sein, wieweit dieser mit der Richtung und Gesinnung des Vaters übereinstimmen würde. Die erste Pflege des Knaben mußte den Händen der Frauen anvertraut bleiben. Seine Mutter, die Königin Sophie Dorothee, eine Tochter des Kurfürsten von Hannover und nachmaligen Königs von England, Georg I., war durch eine natürliche Herzensgüte und Neigung zum Wohltun ausgezeichnet; auch war sie der edleren Wissenschaft nicht so abhold wie ihr Gemahl. Diese Neigungen suchte sie auf ihre Kinder fortzupflanzen. Leider jedoch besaß sie nicht diejenige hingebende Liebe, welche, in Einklang mit dem Willen ihres Gemahles, zum Segen des Hauses hätte wirken können.
Eine Ehrendame der Königin, Frau von Kamecke, war mit der Oberaufsicht über die Erziehung des Kronprinzen beauftragt worden. Ein größeres Verdienst, als diese, erwarb sich die Untergouvernante, Frau von Rocoulles. Die letztere hatte schon den König selbst in seiner Kindheit gepflegt; ihr fester und edler Charakter, ihre treue Anhänglichkeit an das preußische Herrscherhaus hatten sie so empfohlen, daß es nur ein gerechter Dank schien, sie aufs neue zu einem so ehrenvollen Geschäfte zu berufen. Sie war eine geborene Französin und gehörte zu den Scharen jener Reformierten, die ein törichter Religionseifer, die Heimat eines Teiles seiner besten Kräfte beraubend, aus Frankreich verbannt und die in den brandenburgischen Staaten willkommene Aufnahme fanden. Daß überhaupt eine Französin, selbst an dem derbdeutschen Hofe Friedrich Wilhelms, zur Erziehung der Kinder berufen ward, darf in einer Zeit nicht auffallen, in welcher die Welt von französischer Bildung be<14>herrscht wurde und die Kenntnis der französischen Sprache unumgänglich nötig war, um sich in den höheren Kreisen der Gesellschaft verständlich zu machen; überdies war gerade in Berlin, durch die Scharen jener Eingewanderten, welche Kunstfertigkeiten und wissenschaftliche Bildung aus Frankreich herübergebracht hatten, die französische Sprache nur um so mehr ausgebreitet worden. So ward auch der Kronprinz von früher Jugend an, gewiß nicht ohne Einfluß auf sein späteres Leben, vorzugsweise in der französischen Sprache gebildet. Wie treu aber seine Erzieherin ihre Pflichten an ihm erfüllt, beweist am besten der Umstand, daß er ihr bis an ihren Tod in unwandelbarer Anhänglichkeit zugetan blieb.
Als Friedrich vier Jahre alt war, wurde ein merkwürdiges prophetisches Wort über ihn gesprochen. Es befanden sich damals in Berlin viele schwedische Offiziere, die bei der Einnahme von Stralsund, am Weihnachtstag 1715, zu Kriegsgefangenen gemacht waren. (König Friedrich Wilhelm war nämlich durch die hartnäckigen Anmaßungen des Schwedenkönigs Karls XII. zum Kriege genötigt worden, dessen Folge die Erwerbung eines Teils von Vorpommern war.) Einer von jenen Offizieren, namens Croom, stand in dem Rufe, aus den Sternen und aus den <15>Lineamenten der menschlichen Hand die Zukunft lesen zu können; die ganze Stadt war voll von seinen Prophezeiungen. Die Königin und die Damen des Hofes waren begierig, durch ihn ebenfalls einiges von ihren zukünftigen Schicksalen zu erfahren. Man berief ihn in die Gemächer der Königin. Hier untersuchte er die dargebotenen Hände und sagte Dinge voraus, die später in der Tat auf überraschende Weise eintrafen. Der Königin, die sich damals in gesegneten Umständen befand, sagte er, sie würde in zwei Monaten von einer Tochter entbunden werden; der ältesten Prinzessin verkündete er, daß sie neben manchen trügerischen Hoffnungen ihr ganzes Leben hindurch viele Leiden würde zu erdulden haben; einigen Hofdamen prophezeite er ihre baldige, wenig ehrenvolle Entfernung vom Hofe. Als ihm der Kronprinz vorgeführt ward, so wahrsagte er diesem viele Unannehmlichkeiten in seiner <16>Jugend: in reiferen Jahren aber würde er Kaiser und einer der größten Fürsten Europas werden. Mit Ausnahme des Kaisertitels ist auch diese Prophezeiung vollkommen in Erfüllung gegangen.
In den ersten Lebensjahren, wie auch noch mannigfach in späterer Zeit, bis kriegerische Beschäftigungen den Körper abgehärtet hatten, war die Gesundheit des Kronprinzen schwankend, und die traurigen Erfahrungen, die man bereits an zwei frühverstorbenen Prinzen gemacht hatte, ließen auch für ihn begründete Besorgnisse entstehen. Zugleich hatte dieser körperliche Zustand, vielleicht aber auch eine Gemütsanlage, welche die äußeren Eindrücke früh mit Lebhaftigkeit aufzufassen und nachdenklich zu verarbeiten nötigte, ein eigentümlich schweigsames, fast schwermütiges Wesen zur Folge, welches jene Besorgnisse noch mehr zu rechtfertigen schien. Um so emsiger indes war man auf die körperliche Ausbildung des jungen Prinzen bedacht. Mit voller Zärtlichkeit hing dieser an seiner älteren Schwester, die <17>sich in ihren Erholungsstunden nur mit dem Knaben beschäftigte. Dies innige Verhältnis hat bis zum Tod der Schwester gedauert.
Eine Szene aus diesen Kinderjahren ist durch ein schönes Gemälde des damaligen Hofmalers Pesne der Nachwelt überliefert worden. Der Prinz hatte eine kleine Trommel zum Geschenk erhalten, und man bemerkte mit Freude, daß es ihm, im Gegensatz zu seinem sonstigen stillen Wesen, Vergnügen bereitete, den Marsch, den man ihn gelehrt, rüstig zu üben. Einst hatte ihm die Mutter erlaubt, diese Übung in ihrem Zimmer vorzunehmen; auch die Schwester war mit ihren Spielsachen dabei. Der letzteren wurde das Trommeln des Bruders zuviel, und sie bat ihn, lieber ihren Puppenwagen ziehen zu helfen oder mit ihren Blumen zu spielen. Aber sehr ernsthaft erwiderte der kleine Prinz, so gern er sonst jeder Bitte der Schwester willfahrtete: « Gut Trommeln ist mir nützlicher als Spielen und lieber als Blumen. » Diese Äußerung schien der Mutter so wichtig, daß sie schleunig den König herbeirief, dem das selten geäußerte soldatische Talent des Knaben die größte Genugtuung bereitete. Dem Hofmaler mußte die Szene, ohne daß die Kinder die Absicht merkten, noch einmal vorgespielt werden; auf seinem Gemälde hat er, als zur Bedienung der königlichen Kinder gehörig, noch einen Kammermohren hinzugefügt.
Der König war gern im Kreise seiner Familie, und seine Zuneigung zu den Kindern zeigte sich häufig auch darin, daß er selbst an ihren Spielen teilnahm. Einst trat der alte General Forcade ungemeldet in das Zimmer des Königs, als dieser eben mit dem kleinen Prinzen Ball spielte. « Forcade », sagte er zu ihm, « Er ist selbst Vater und weiß es, Väter müssen mit ihren Kindern zuweilen Kinder sein, müssen mit ihnen spielen und ihnen die Zeit vertreiben. »
<18>Es ist schon bemerkt, daß die Königin ihren Wohltätigkeitssinn auf ihre Kinder überzutragen bestrebt war. Den Kronprinzen machte sie früh zu ihrem kleinen Almosenier. Die Hilfsbedürftigen, die sich vertrauensvoll an die allgemein bekannte Milde ihres Herzens gewandt hatten, ließ sie zu sich kommen, bezeugte ihnen ihr Mitleid, und die Betrübten wurden dann durch den kleinen Almosengeber mit Geschenken entlassen. Diese schöne Sitte war von den erfreulichsten Folgen auf das Gemüt des Kronprinzen; schon früh gab er das Zeugnis, wie lebendig er die Lehre der Mutter seinem Herzen eingeprägt hatte. Die Eltern pflegten, in der ersten Zeit nach ihrer Vermählung, jährlich eine Reise nach Hannover zu machen, um den Vater der Königin zu besuchen; seit seinem dritten Jahre wurde der Kronprinz auf diesen Reisen mitgenommen. In Tangermünde ließ der König gewöhnlich einige Stunden anhalten, um sich dort mit den Beamten der Provinz über Gegenstände der Verwaltung zu besprechen. Bei diesen Gelegenheiten versammelte sich stets ein großer Teil der Einwohner, um den jungen Kronprinzen zu sehen; die Königin erlaubte ihm gern, zu dem Volke hinauszugehen. Einst bat er einen der Zuschauer, ihn zu einem Bäcker zu führen; hier öffnete er schnell seine kleine Börse und schüttete seine ersparte Barschaft in die Hand des Bäckers, mit der Bitte, ihm dafür Semmeln, Zwieback und Bretzeln zu geben. Er selbst nahm einen Teil der Eßwaren, <19>das Übrige mußten seine Begleiter und ein Bedienter tragen. Dann wandte er sich zu den Einwohnern, die ihm in Scharen gefolgt waren, und teilte seine Beute freudig an Kinder und Greise aus. Die Eltern hatten den Vorgang vom Fenster des Amtshauses angesehen und ließen, als die erste Spende beendet war, noch eine zweite holen, um dem Prinzen das Vergnügen der Austeilung zu verlängern. Jährlich, bis zum zwölften Jahre, erneute der Kronprinz diese Spende in Tangermünde und legte dazu stets schon einige Zeit vor der Abreise etwas von seinem kleinen Taschengeld zurück. Die Tangermünder nannten ihn mit Entzücken nur ihren Kronprinzen. Nach seiner Thronbesteigung äußerte Friedrich öfters, daß er an diesem Orte zum ersten Male das Vergnügen genossen habe, sich von Untertanen geliebt und Dankestränen in den Augen der Kinder und Greise zu sehen.
<20>DRITTES KAPITEL Die Knabenzeit.
Mit dem Anfange des siebenten Jahres endete die weibliche Erziehung des Kronprinzen. An die Stelle der Gouvernanten traten nunmehr der Generalleutnant Graf von Finkenstein als Oberhofmeister und der Oberst von Kalkstein, als Untergouverneur. Die Söhne dieser beiden verdienten Männer sowie die markgräflichen Prinzen des Hauses wurden die Spielgefährten des Thronerben; das kindliche Verhältnis zu dem jungen Grafen von Finkenstein ging nachmals in eine wirkliche Freundschaft über, und Friedrich blieb diesem, der später sein Kabinettsminister wurde, fortdauernd mit hohem Vertrauen zugeneigt.
Der König gab den beiden Hofmeistern eine ausführliche Instruktion, welcher gemäß sie die Erziehung des Kronprinzen leiten sollten. Als Hauptpunkt wird darin eine reine christliche Frömmigkeit, als zu welcher der Zögling vornehmlich hinzuführen sei, vorangestellt: — « und muß Er (so heißt es u. a. in der Instruktion) von der Allmacht Gottes wohl und der Gestalt informiert werden, daß Ihm alle Zeit <21>eine heilige Furcht und Venerazion vor Gott beiwohne, denn dieses ist das einzige Mittel, die von menschlichen Gesetzen und Strafen befreiete souveräne Macht in den Schranken der Gebühr zu halten. » Sodann sollte dem Prinzen Ehrfurcht, Hochachtung und Gehorsam gegen seine Eltern eingeprägt werden. Doch setzte der König die schönen Worte hinzu: « Gleichwie aber die allzu große Furcht nichts anders als knechtische Liebe und sklavische Effekten hervorbringen kann, so soll sowohl der Oberhofmeister als der Sousgouverneur dahin arbeiten und ihr möglichstes anwenden, Meinem Sohne wohl begreiflich zu machen, daß er keine solche Furcht, sondern nur eine wahre Liebe und vollkommen Vertrauen vor Mich haben und in Mich setzen müsse, da er denn finden und erfahren solle, daß Ihm mit gleicher Liebe und Vertrauen begegnet würde. » Überall wird in der Instruktion auf strengste Sittlichkeit gedrungen; dem Stolz und Hochmut, wenn diese sich zeigten, ebenso den Einflüsterungen der Schmeichelei, sollte aufs eifrigste entgegengearbeitet werden. Dagegen sollte der Prinz von früh an zur Leutseligkeit und Demut, zur Mäßigkeit, Sparsamkeit, Ordnung und bestimmtem, geregeltem Fleiße angehalten werden. Was wissenschaftliche Bildung anbetrifft, so faßt die Instruktion nur die praktisch brauchbaren Kenntnisse ins Auge. Latein sollte der Kronprinz gar nicht lernen, dagegen im Französischen und Deutschen sich eine gute Schreibart zu eigen machen. In der Geschichte sollte besonders auf die Ereignisse des eigenen Hauses und Staates, überhaupt auf diejenigen, welche zum Verständnis der damaligen Zeitverhältnisse nötig waren, Rücksicht genommen werden u. s. w. Auf tüchtige Ausbildung und Abhärtung des Körpers sollte ebenfalls, ohne den Kronprinzen jedoch übermäßig anzustrengen, vorzüglich geachtet werden. « Absonderlich (so wird endlich den Hofmeistern vorgeschrieben) haben sie Beide sich äußerst angelegen sein zu lassen, Meinem Sohne die wahre Liebe zum Soldatenstand einzuprägen und Ihm zu imprimieren, daß, gleichwie nichts in der Welt, was einem Prinzen Ruhm und Ehre zu geben vermag, als der Degen, Er vor der Welt ein verachteter Mensch sein würde, wenn er solchen nicht gleichfalls liebte und die einzige Gloria in demselben suchte. »
<22>Den eigentlich wissenschaftlichen Unterricht des Kronprinzen leitete ein Franzose, Dühan, der als Kind nach Berlin geflüchtet war und den der König im Jahre 1715, als Führer eines jungen Grafen, in den Laufgräben vor Stralsund kennengelernt hatte. Dühan ist ohne Zweifel von großem Einfluß auf die Bildung des Kronprinzen, auf dessen Übung im eigenen Lesen und Denken, gewesen. Ihm verdankte Friedrich die Kenntnis der Geschichte und der französischen Literatur. Die deutsche Literatur war zu jener Zeit auf der tiefsten Stufe des Verfalles, während die französische gerade ihren höchsten Gipfelpunkt erreicht hatte. An den Musterbildern der letzteren wurde der Geist Friedrichs genährt, wie ihm schon durch seine Gouvernante die französische Sprache geläufiger gemacht war als die eigene Muttersprache. Auch für Dühan hat Friedrich bis an dessen Tod eine treue Zuneigung bewahrt.
Der Unterricht in der lateinischen Sprache war, wie schon bemerkt, durch die Instruktion des Königs verboten worden. Doch hat Friedrich selbst in späterer Zeit öfters erzählt, er habe in seiner ersten Jugend — ob aber mit Bewilligung des Vaters, wissen wir nicht zu sagen, — einen lateinischen Sprachmeister gehabt. Einst sei der König dazugekommen, als der Lehrer ihn aus dem berühmten Reichsgesetz <23>der goldnen Bulle einiges habe übersetzen lassen. Da er einige schlechte lateinische Ausdrücke gehört, so habe er den Sprachmeister gefragt: « Was machst du Schurke da mit meinem Sohn? » — « Ihro Majestät, ich expliziere dem Prinzen auream bullam. » — Der König aber habe den Stock aufgehoben und gesagt: « Ich will dich Schurke auream bullam » — habe ihn weggejagt, und das Latein habe aufgehört.
Der König, wie wenig er sonst die höhere Kunstbildung zu schätzen wußte, hatte doch Wohlgefallen an der Musik, das heißt an jener strengen, tüchtigen Musik, als deren Meister besonders der große Händel dasteht; Händel selbst soll der Lieblingskomponist des Königs gewesen sein. So wurde denn auch der musikalische Unterricht des Sohnes nicht verabsäumt; durch einen Domorganisten erhielt er Anleitung im <24>Klavierspiel und in den theoretischen Teilen der Musik. Doch scheint dieser Unterricht ziemlich pedantischer Art gewesen zu sein. Als in dem Kronprinzen eine selbständige musikalische Neigung erwachte, übte er sich mit Leidenschaft im Flötenspiel.
Ungleich pedantischer noch scheint der erste Religionsunterricht betrieben worden zu sein, so daß die höchsten Lehren und die tiefsinnigsten Geheimnisse des Glaubens dem Prinzen in einer Schale vorgetragen wurden, welche vielleicht wenig geeignet war, das Gemüt zu erwärmen. Auch mag es als ein sehr bedeutender Mißgriff von selten des Vaters gerügt werden, daß auf seinen Befehl der Sohn, wenn dieser sich einer Strafe schuldig gemacht hatte, ein Stück des Katechismus oder der Psalmen auswendig lernen mußte. Das, was auf drohenden Befehl dem Gedächtnisse eingeprägt ward, konnte schwerlich im Herzen Wurzel fassen.
Um so größere Sorgfalt aber wurde darauf verwandt, dem Kronprinzen schon von früh an eine lebhafte Neigung zum Soldatenstande einzuflößen und ihn sowohl <25>mit allen Regeln des kleinen Dienstes als mit den kriegerischen Wissenschaften vertraut zu machen. Sobald es passend war, mußte er die Kinderkleider ausziehen und eine militärische Uniform anlegen, auch sich zu der Frisur, die damals bei der preußischen Armee eingeführt war, bequemen. Dies letztere war freilich ein trauriges Ereignis für den Knaben, denn er hatte bis dahin sein schönes blondes Haar in frei flatternden Locken getragen und seine Freude daran gehabt. Aber dem Willen des Vaters war nicht füglich zu widersprechen. Dieser ließ eines Tages einen Hofchirurgus kommen, dem Prinzen die Seitenhaare abzuschneiden. Ohne Weigerung mußte sich der Prinz auf einen Stuhl setzen, aber der bevorstehende Verlust trieb ihm die Tränen ins Auge. Der Chirurg indes hatte Mitleid mit dem Armen; er begann sein Geschäft mit so großer Umständlichkeit, daß der König, der die Vollziehung seines Befehls beaufsichtigte, bald zerstreut wurde und andere Dinge vornahm. Den günstigen Moment benutzte der Chirurg, kämmte den größten Teil der Seitenhaare nach dem Hinterkopf und schnitt nicht mehr ab, als die äußerste Notwendigkeit erforderte. Friedrich hat später dem Chirurgen die Schonung seiner kindischen Tränen mit dankbarer Anerkennung belohnt.
Zur Übung des Kronprinzen im kleinen Waffendienste war schon im Jahre 1717 eine kronprinzliche Kadetten-Kompagnie, die später auf ein Bataillon vermehrt ward, eingerichtet worden. Hier war der siebzehnjährige Kadetten-Unteroffizier von Rentzell der Waffenmeister des Kronprinzen; andere Eigenschaften des jungen Unteroffiziers, namentlich dessen Neigung zur Musik und zum Flötenspiel, führten bald auch ein näheres Verhältnis zwischen Beiden herbei. In seinem zwölften Jahre hatte der Kronprinz schon so bedeutende Gewandtheit in den soldatischen Künsten erlangt, daß er sein kleines Heer zur großen Zufriedenheit seines Großvaters mütterlicher Seite, des Königs von England, exerzieren konnte, als dieser in Berlin zum Besuche war und, zwar durch Krankheit ans Zimmer gefesselt, vom Fenster aus die militärischen Festlichkeiten in Augenschein nahm. Auch anderweitig sorgte der König, um dem Prinzen das Kriegswesen interessant zu machen. So ließ er z. B. einen großen Saal des Schlosses zu Berlin zu einem kleinen Zeughause einrichten, und Kanonen und allerlei kleine Gewehre in demselben aufstellen. Hier lernte der Kronprinz spielend den Gebrauch der verschiedenen, zur Kriegführung nötigen Instrumente kennen. Im vierzehnten Jahre wurde Friedrich zum Hauptmann ernannt, im fünfzehnten zum Major, im siebzehnten zum Oberstleutnant; in diesen Stellen hatte er, gleich jedem andern, die regelmäßigen Dienste zu leisten.
Bei den großen Paraden und den Generalrevuen, die in der Nähe von Berlin gehalten wurden, mußte stets die ganze königliche Familie gegenwärtig sein. So war <26>der Kronprinz auch von dieser Seite schon frühzeitig, noch ehe er selbsttätig an den Exerzitien teilnehmen konnte, auf die Bedeutung, die der König in das ganze Militärwesen legte, hingewiesen worden. Später nahm ihn der König auch zu den Provinzialrevuen mit, in denen er die ferneren Truppenabteilungen besichtigte. Auf diesen Reisen wurde zugleich die Verwaltung der einzelnen Teile des Staates an Ort und Stelle untersucht. Der Vater hatte die Absicht, den Prinzen so, auf einfachstem Wege, an die Erfüllung seiner künftigen königlichen Pflichten zu gewöhnen.
Überhaupt war der König bemüht, den Kronprinzen soviel als möglich sich selbst und seiner Gesinnung ähnlich zu machen und ihm auch an seinen Vergnügungen Geschmack einzuflößen. Der König war ein leidenschaftlicher Liebhaber der Jagd, und er widmete ihr den größten Teil seiner Muße; der Kronprinz mußte ihn auch hier begleiten. Des Abends versammelte der König gewöhnlich einen Kreis derjenigen Männer um sich, denen er sein näheres Vertrauen geschenkt hatte. In dieser Gesellschaft (die unter dem Namen des Tabaks-Kollegiums bekannt ist) wurde nach <27>holländischer Sitte Tabak geraucht und Bier getrunken; mit vollkommener Freiheit von der Etikette des Hofes erging sich das Gespräch über alle möglichen Gegenstände; dabei waren gelehrte Herren zur Erklärung der Zeitungen bestellt, die aber zugleich aufs vollkommenste das Amt der Hofnarren zu vertreten hatten. Hierher kamen gewöhnlich die königlichen Prinzen, dem Vater gute Nacht zu sagen; auch mußten sie hier zuweilen, von einem der anwesenden Offiziere kommandiert, den König und seine Freunde durch militärische Exerzitien unterhalten. Später mußte der Kronprinz als wirkliches Mitglied an dieser Gesellschaft teilnehmen.
<28>VIERTES KAPITEL Mißstimmung zwischen Vater und Sohn.
Unter solchen Verhältnissen wuchs der Knabe Friedrich zum Jüngling heran. Sein Äußeres hatte sich zu eigentümlicher Anmut entwickelt; er war schlank gewachsen, sein Gesicht von edler, regelmäßiger Bildung. In seinem Auge sprach sich ein lebhafter, feuriger Geist aus, und Witz und Phantasie standen ihm zu Gebote. Aber dieser Geist wollte seine eigenen Bahnen gehen; und die Abweichung von dem Pfade, welchen der strenge Vater vorgezeichnet hatte, zerriß das trauliche Band zwischen Vater und Kind.
Schon das mußte den religiösen Sinn des Königs unangenehm berühren, daß der Religionsunterricht nicht sonderlich gefruchtet hatte, um den Prinzen in die Lehren des christlichen Glaubens genügend einzuweihen. Einige Monate vor dem zur Einsegnung des Kronprinzen bestimmten Tage wurde ihm von den Hofmeistern gemeldet, daß der Prinz schon seit geraumer Zeit im Christentum nur geringe Fortschritte gemacht habe. Doch half diesem Übelstande ein vermehrter Unterricht von Seiten des würdigen Hofpredigers Noltenius ab, und Friedrich konnte am 11. April 1727, nach öffentlicher Prüfung, sein Glaubensbekenntnis ablegen und das heilige Abendmahl empfangen.
<29>Aber noch in tausend anderen Dingen, in bedeutenden und unbedeutenden, zeigte sich bald eine gänzliche Verschiedenheit des Charakters zwischen Sohn und Vater. Die militärischen Liebhabereien des Königs, das unaufhörliche, bis ins Kleinliche gehende Exerzitium der Soldaten, die oft grausame Behandlung der letzteren machten dem Kronprinzen wenig Freude. Die rohen Jagdvergnügungen, der einfache Landaufenthalt auf dem königlichen Jagdschlosse zu Wusterhausen waren nicht nach seinem Geschmack. Ebensowenig das Tabakrauchen, die derben Späße im Tabaks-Kollegium, die Kunststücke der Seiltänzer, die Musikaufführungen, an denen der Vater sich erfreute. Die Männer, die dieser in seine Nähe berief, zogen den Prinzen nicht immer an, und er suchte sich Umgang nach seinem Gefallen. Er war ernst, wenn der Vater lachte, ließ aber auch manch spöttelndes Wort über Dinge und Personen fallen, die dem Vater wert waren; dafür tadelte der Vater an ihm einen stolzen, hoffärtigen Sinn. Zu seiner Erholung trieb er das Schachspiel, das er von Dühan gelernt hatte, während der Vater das Toccadillespiel vorzog; ihm gewährte die Übung auf der Flöte hohen Genuß; deren sanfter Ton wiederum dem Vater wenig zusagte. Mehr noch hing er literarischen Beschäftigungen nach; der Glanz der französischen Poesie, besonders das blitzende mutwillige Spiel, mit welchem die jugendlichen Geister Frankreichs gerade zu jener Zeit den Kampf gegen verjährte Institutionen begonnen hatten, zog ihn, der gleichen Sinn und gleiche Kraft in sich fühlte, mächtig an. Aber solche Interessen waren gar wenig nach dem Sinne des Vaters. Dann liebte er es auch, wenn der letztere fern war, den engen Soldatenrock abzuwerfen, bequeme, französisch moderne Kleider anzuziehen, sein schönes Haar, das er aus den Händen jenes Chirurgen gerettet hatte, aufzuflechten und in zierliche Locken zu kräuseln. Dies allein war schon hinreichend, wenn der Vater davon Kunde erhielt, seinen Zorn zu erwecken. So ward manch eine böse Stunde herbeigerufen; <30>der König gedachte mit Strenge durchzugreifen, aber er machte sich dadurch das Herz des Sohnes nur immer mehr abwendig. « Fritz ist ein Querpfeifer und Poet », so rief der König oft im Unmut aus; « er macht sich nichts aus den Soldaten und wird mir meine ganze Arbeit verderben! »
Diese Mißstimmung war um so trauriger und sie machte um so verderblichere Fortschritte, als es an einer Mittelsperson fehlte, die zugleich das Vertrauen des Vaters und des Sohnes gehabt und nach beiden Seiten hin begütigend und abmahnend gewirkt hätte. Die Mutter hätte in solcher Stellung für den Frieden des königlichen Hauses äußerst wohltätig sein können; leider jedoch war alles, was sie tat, nur geeignet, das Mißverhältnis immer weiter zu fördern. Die angeborene Güte ihres Herzens war nicht so stark, daß sie es über sich vermocht hätte, sich, mit Aufopferung ihrer eigenen Wünsche, dem Willen des Königs unterzuordnen. Schon in früheren Jahren, wenn sie zu bemerken glaubte, daß die Kinder dem Vater größere Liebe bewiesen als ihr, fand sich hiedurch ihr mütterliches Gefühl gekränkt, und um ihre vermeintlichen Vorrechte zu behaupten, ging sie sogar so weit, den Kindern in einzelnen Fällen Ungehorsam gegen den Vater einzuprägen. Leicht mag hiedurch der erste Same zu dem unerfreulichen Verhältnis zwischen Vater und Sohn ausgestreut worden sein. Von schlimmeren Folgen war ein Plan, den sie, zunächst zwar mit Übereinstimmung des Königs, gefaßt hatte und den sie mit Hartnäckigkeit, trotz der widerwärtigsten Zustände, die daraus entsprangen, festzuhalten strebte. Es war der Plan, das Haus ihres Vaters durch eine Doppelheirat aufs neue mit dem ihrigen zu verbinden, um dereinst die Krone von England auf dem Haupte ihrer ältesten Tochter zu erblicken. Prinzessin Wilhelmine sollte nämlich dem Sohne des damaligen Kronprinzen von England, des Bruders der Königin, verlobt werden, während der Kronprinz Friedrich eine englische Prinzessin heiraten sollte. Schon früh war von diesem Plane gesprochen worden, und man hatte sich von beiden Seiten dazu bereit erklärt; auch kam es, trotz verschiedener Zögerungen, die durch unwürdige Zwischenträgereien hervorgerufen waren und die dem König von Preußen manchen Verdruß verursacht hatten, in der Tat zu einigen näheren vorläufigen Bestimmungen zwischen beiden Höfen. Ja die Folgen hievon waren so bedeutend, daß Friedrich Wilhelm sich, im Jahre 1725, zu einem Bündnis mit England und Frankreich, welches einem zwischen Österreich und Spanien abgeschlossenen Bündnisse die Waage halten sollte, überreden ließ, so sehr er im Grunde seines Herzens überzeugt war, daß für Deutschland nur aus dem festen Zusammenhalten seiner einzelnen Glieder Heil erstehen könne. Aber immer und immer wieder wurde von England der letzte Abschluß, rücksichtlich jener beabsichtigten Doppelheirat, hinausgeschoben. Es <31>trat eine Spannung zwischen beiden Höfen ein. Das Unglück wollte endlich, daß sich die preußischen Werber, wie überall, so auch an der hannoverschen Grenze, schwere Ungebührlichkeiten erlaubten, was denn keineswegs dazu diente, das schwankende Verhältnis wiederherzustellen, und bald wollte König Friedrich Wilhelm gar nichts mehr von jener Doppelheirat wissen.
Zugleich aber hatte das Bündnis Preußens mit England die Besorgnis des österreichischen Kaiserhofes erweckt; durch dasselbe war einem einzelnen Reichsfürsten, der ohnedies schon halb unabhängig dastand und dessen kriegerische Macht nicht übersehen werden konnte, ein Übergewicht gegeben, welches der Oberherrschaft, die Österreich in Deutschland zu erhalten und zu vergrößern bemüht war, gefährlich werden konnte. Man sah die dringende Notwendigkeit ein, Preußen von jenem Bündnisse wieder abzuziehen und, wenn möglich, für Österreich zu gewinnen. Es wurde zu diesem Zwecke der kaiserliche General Graf Seckendorf nach Berlin gesandt, und dieser wußte die eingetretene Spannung zwischen England und Preußen so klug zu benutzen und das ihm aufgetragene Werk mit solcher Geschicklichkeit auszuführen, daß schon im Oktober 1726, zu Wusterhausen, ein Traktat Preußens mit Österreich zustandekam, der indes nicht geradezu gegen England gerichtet sein sollte. Als Hauptbedingung dieses Traktates hatte Friedrich Wilhelm die Anforderung gemacht, daß der Kaiser seine Ansprüche auf die Erbfolge von Jülich und Berg garantieren sollte, wogegen er der sogenannten pragmatischen Sanktion — die den Töchtern des Kaisers, in Ermangelung männlicher Nachkommen, die Erbfolge zu sichern bestimmt <32>war — beizutreten versprach. Der Kaiser, Karl VI., hatte sich jener Anforderung des Königs von Preußen scheinbar gefügt; aber er war so wenig ernstlich bedacht, die preußische Macht vergrößern zu helfen, daß er gleichzeitig auch mit Kurpfalz einen Vertrag schloß, der den pfälzischen Häusern die in Anspruch genommene Erbfolge in Jülich und Berg sicherte. Durch die mannigfachsten Kunstgriffe wußte er jedoch den König von Preußen, der natürlich auf einen festen, vollkommenen Abschluß dieser Angelegenheiten drang, eine Reihe von Jahren hinzuhalten. Auch gelang dies so gut, daß Friedrich Wilhelm vorderhand dem Kaiser treu ergeben blieb, denn sein deutsches Gemüt fühlte eine innere Genugtuung in solcher Verbindung; zugleich hatte Seckendorf dafür gesorgt, daß der vorzüglichste Günstling des Königs, der General (später Feldmarschall) von Grumbkow, durch ein stattliches Jahrgeld in das Interesse des österreichischen Hofes gezogen wurde. Dieser war nun fort und fort bemüht, den König in seiner Gesinnung zu befestigen.
So teilte sich der preußische Hof in zwei Parteien, eine österreichische und eine englische, die von beiden Seiten alles aufwandten, um zu ihrem Ziele zu gelangen. Denn was die Königin anbetrifft, so war diese keineswegs geneigt, ihren Lieblingsplan, jene Doppelheirat betreffend, aufzugeben; im Gegenteil nahm sie jede Ge<33>legenheit wahr, die sich ihr zum Wiederanknüpfen der Verbindungen mit England darbot. Ihre ebenso hartnäckigen wie fruchtlosen Bemühungen erbitterten aber den König so sehr, daß der häusliche Friede fast ganz entwich. Mißtrauisch belauschten die beiden königlichen Eheleute einander und Zwischenträger, auf gemeinen Gewinn bedacht, schürten die Flamme des Mißtrauens. Vor allen hatten die beiden ältesten Kinder unter dem Zwiste der Eltern zu leiden, und um so mehr, als es die Königin dahin zu bringen wußte, daß Beide ihrem Plane gern Beifall schenkten; wie aber Bruder und Schwester gemeinschaftliche Kümmernis zu tragen hatten, so schlossen sie sich Beide, indem ihre Charaktere schon ohnedies übereinstimmten, nur um so inniger aneinander. Vater und Sohn wurden durch alles dies einander immer mehr entfremdet, und die Herstellung eines liebevollen Verhältnisses schien in weite Ferne hinausgerückt. Es sollte noch Bedeutenderes hinzukommen, die Entfremdung zu vergrößern.
Das heftige Temperament des Königs hatte oft die leidenschaftlichsten Aufwallungen zur Folge; zuweilen aber gingen diese auch, wie es überall bei großer Aufregung der Fall ist, in Abspannung und Schwermut über. Ein solcher hypochondrischer Zustand hatte sich des Königs im Winter von 1727 zu 1728 bemächtigt. Seine religiöse Richtung führte ihn darin zu einer bigotten Frömmelei, mit der er seine Familie plagte. Er hatte den berühmten Theologen, den Professor Francke aus Halle zu sich gerufen, einen Mann, der als Stifter des Hallischen Waisenhauses unter den Wohltätern der Menschheit genannt wird, dessen Sinn aber so wenig frei war, daß sein unchristlicher Eifer gegen den Philosophen Wolff zu der schmachvollen Entfernung dieses ausgezeichneten Gelehrten aus Halle wesentlich beigetragen hatte. Francke war der Wortführer an der Tafel des Königs, an der jetzt nur von biblischen Dingen gesprochen wurde; alle Vergnügungen, namentlich Musik und Jagd (welche letztere freilich zur Tierquälerei geworden war und nur zur Bedrückung der Bauern diente) waren als sündlich verdammt. Der König las seiner Familie jeden Nachmittag eine Predigt vor, und der Kammerdiener stimmte einen Gesang an, den alle Anwesenden begleiten mußten. Ein solches Leben war wenig nach dem Sinne des Kronprinzen und seiner ältern Schwester; der feierliche Ernst, der dem einen Teile der Gesellschaft natürlich war und den die andern affektierten, mochte oft sonderbare Erscheinungen zur Folge haben und sie konnten ihre leichtsinnigen Bemerkungen darüber nicht immer zurückhalten. Übergewaltig drängte sich ihre Lachlust hervor; dafür aber wurden sie mit schwerem Zorne zurückgeschreckt, und sie mußten die Strafe mit studierter Zerknirschung hinnehmen. Der König ging in seiner Hypochondrie sogar so weit, daß er das Szepter niederzulegen und die Regierung dem Kronprinzen zu übergeben beschloß; auch begann er eine <34>Instruktion für letzteren auszuarbeiten. Er selbst wollte sich nebst seiner Gemahlin und den Töchtern mit einem mäßigen Jahrgehalt nach Wusterhausen zurückziehen, dort den Acker bauen und beten; die ländlichen Geschäfte waren bereits reguliert: die eine Prinzessin sollte das Leinenzeug unter sich haben, die zweite die Vorräte verwalten, die dritte auf dem Markte Lebensmittel einkaufen u. s. w.
Den König von solchen Grillen abzubringen, wurden mancherlei Vorstellungen versucht, doch blieb er vorderhand hartnäckig bei seinem Plane. Endlich gelang es der österreichischen Partei des Hofes, die bei der Ausführung des Planes am meisten zu verlieren hatte, den König zu einer Zerstreuung zu bewegen. Man <35>überredete ihn zu einer Reise nach dem benachbarten glänzenden Hofe von Dresden, indem man dort die besten Gegenmittel gegen seine Hypochondrie zu finden hoffte; man hatte ihm hierbei, falls es ihm gelänge, den König von Polen und Kurfürsten von Sachsen, August II,, für die Verbindung mit Österreich zu gewinnen, so wichtige Vorteile zu entwickeln gewußt, daß er endlich, obgleich fast wider Willen, nachzugeben genötigt war. Bald erfolgte die Einladung zu diesem Besuche von Seiten des Königs August, und Friedrich Wilhelm reiste in der Mitte des Januar 1728 nach Dresden ab. Der Kronprinz war zurückgeblieben, aber er war in Verzweiflung, sich von dieser Unterbrechung des einförmigen Lebens, zu welchem er zu Hause gezwungen war, ausgeschlossen zu sehen; die Schwester, die ihm gern ein Vergnügen bereitete, bewog den sächsischen Gesandten leicht, es zu veranstalten, daß auch für ihn nachträglich eine schleunige Einladung kam.
In Dresden eröffnete sich für Friedrich eine neue Welt. Von den Erscheinungen, die er zu Hause zurückgelassen hatte, von der Strenge des militärischen Lebens, von unausgesetztem Fleiße, von sparsamster Einrichtung des Haushaltes, von der Beobachtung aller Gesetze der Sittlichkeit, war hier keine Spur. Das Leben des Hofes bewegte sich Tag für Tag im glänzendsten Rausche, Feste drängten auf Feste, alle Erfindungskraft wurde aufgeboten, um Sättigung und Überdruß fern zu halten. Alle Künste schmückten hier das Leben, alles Schöne des Lebens war hier zum Genüsse versammelt. König August, ein Mann von feiner Bildung, von ritterlicher Gesinnung und riesiger Körperkraft, hatte sein Leben einzig dem Genusse gewidmet und alle Tiefen desselben durchgekostet. Er war unablässig bemüht, seinen hohen Gästen die Wochen des Besuchs wie einen lieblichen Traum vorüberfliegen zu machen. Daß aber, um solche unausgesetzten Freuden zu unterhalten, ein edles Volk geknechtet, daß die Wohlfahrt eines ganzen Landes furchtbar zerrüttet ward, mochte den Augen des preußischen Thronerben für jetzt fern bleiben.
Überhaupt konnten nicht leicht schärfere Gegensätze gefunden werden als König August und Friedrich Wilhelm. Jener, ein jüngerer Prinz des sächsischen Kurfürstenhauses, hatte ursprünglich keine sonderliche Aussicht auf die Thronfolge gehabt; statt auf die eine oder die andere Art auf einen solchen Beruf sich vorzubereiten, hatte er in seiner Jugend einen großen Teil der Länder Europas durchreist, war er überall nur auf romantische Abenteuer bedacht gewesen, so daß die Geschichte seiner früheren Tage nur den Eindruck eines phantastisch ausschweifenden Romans macht. Nach dem Tode seines Bruders, des Kurfürsten Johann Georg IV., der ohne einen Nachfolger starb, fiel ihm der sächsische Thron zu; aber das Kurland genügte ihm nicht; ihn lüstete nach dem höhern Glanze einer Königskrone. Dazu bot sich Gelegenheit, <36>als König Johann Sobieski von Polen starb; er ließ kein Mittel unversucht, bis es ihm gelang, die genügende Anzahl einflußreicher Wahlstimmen für sich zu gewinnen. Gleichgültig tauschte er den alten protestantischen Glauben seines Hauses gegen den katholischen um, da nur ein katholischer König über der polnischen Republik herrschen durfte; vielleicht aber sagte ihm auch das Schaugepränge der katholischen Kirche mehr zu als der einfache protestantische Gottesdienst, Unermeßliche Summe, die das Land seiner Väter hergeben mußte, wurden verschwendet, um die polnische Krone zu erwerben und der neuen Würde gemäß hinlänglich glänzend und stattlich vor den Augen der Welt auftreten zu können; noch mehr verschlangen die nutzlosen Kriege, in die König August Polens wegen verwickelt ward, und zu deren kräftiger Durchführung ihm alles höhere Feldherrntalent mangelte, wie ritterlich auch sein persönliches Benehmen sein mochte. Dresden wurde durch ihn zu einem der prächtigsten Orte Europas umgeschaffen; wie Kaiser Augustus durfte er sich rühmen, daß er seine Residenz als eine Ziegelstadt empfangen und daß er sie als eine Stadt von Steinen (wenn auch nicht von Marmor) hinterlassen habe. Die reichsten Gebäude, welche die anmutige Beherrscherin der Elbe noch heute schmücken, wurden durch ihn erbaut, die vielgefeierten Kunstsammlungen Dresdens durch ihn gegründet. Eine unerschöpfliche Meisterschaft besaß er in der Anordnung von Festlichkeiten, welche die kühnsten Phantasien der Dichter lebendig zu machen schienen; darin wich er keinem unter den damaligen Meistern der Lust. Man hat es berechnet, daß seine Regierung dem Lande an 100 Millionen gekostet hat.
König August zählte acht und fünfzig Jahre; fort und fort war im Laufe seines Lebens eine Geliebte der andern gefolgt, die Menge seiner Kinder war kaum zu zählen. Unter seinen Söhnen war Moritz, Graf von Sachsen, der nachmals als Marschall der französischen Heere einen so berühmten Namen erlangt hat, einer der ausgezeichnetsten; mit diesem schloß Friedrich eine innige Freundschaft, die bis an den Tod des Marschalls währte. Unter den Töchtern des Königs glänzte vor allen Anna, die den Titel einer Gräfin von Orzelska führte, hervor; sie besonders stand zu dem Könige in einem näheren Verhältnisse. Sie war einige Jahre älter als Friedrich; ihr schöner Wuchs, ihr adliger Anstand, die feine Nildung ihres Geistes, die heitere Laune, von der sie beseelt war, gaben ihr etwas unwiderstehlich Anziehendes. Nicht selten erschien sie in Mannskleidern, die aber nur dazu dienten, den Reiz ihrer Erscheinung zu erhöhen. Friedrich fühlte sich bald von glühender Leidenschaft ergriffen, und seine Wünsche fanden bei der schönen Gräfin kein abgeneigtes Gehör.
Indes war König Friedrich Wilhelm von seiner Hypochondrie vollkommen genesen; es schien zwischen den beiden Königen eine lebhafte Freundschaft im Werke. <37>Doch mochte dem polnischen Könige die eheliche Treue, welche sein Freund in bürgerlicher Strenge gegen seine Gemahlin bewahrte, verwunderlich vorkommen. Die Neugier trieb ihn, sich selbst zu überzeugen, wie standhaft diese Treue sein möchte, die für seine Anschauungsweise etwas Unbegreifliches war; ohne Zweifel auch gönnte er dem Freunde sehr gern Anteil an Vergnügungen, in denen er selbst den höchsten Genuß fand. Er traf dazu seine Vorbereitungen. Eines Abends, nachdem, bei der Tafel den Pokalen weidlich zugesprochen war, gingen sie zusammen im Domino auf den Maskenball; König August führte seinen Gast im Gespräch von Zimmer zu Zimmer, während der Kronprinz Friedrich und einige andere Herren ihnen nachfolgten. Endlich gelangten sie in ein reichgeschmücktes Gemach, dessen ganze Einrichtung den feinsten Geschmack zu erkennen gab. Der König von Preußen war eben im Begriff, seine Bewunderung über die Dinge, die er um sich sah, zu erkennen zu geben, als plötzlich ein Vorhang bei Seite rauschte und sich ein ganz unerwartetes Schauspiel seinen Augen darbot. Auf einem Ruhebett lag eine junge Dame hingestreckt, maskiert und mit nachlässigen Gewändern nur wenig bekleidet, so daß der Glanz der Kerzen, welcher das Gemach erfüllte, die reizendsten Formen beleuchtete. König August, scheinbar erstaunt, näherte sich ihr mit derjenigen feinen Galanterie, mit welcher er so oft ein weibliches Herz zu gewinnen gewußt hatte; er bat sie, die Maske abzunehmen, doch machte sie eine verneinende Bewegung. Er nannte hierauf seinen Namen und sagte ihr, er hoffe, sie werde zweien Königen eine so leichte Gefälligkeit nicht abschlagen. Diese Worte waren ein Befehl, und die junge Dame enthüllte alsbald ein überaus anmuthiges Gesicht. August schien ganz bezaubert und sagte zu ihr, daß er nicht zu begreifen vermöge, wie so viele Reize ihm bis jetzt hätten unbekannt bleiben können. Friedrich Wilhelm hatte indeß bemerkt, daß sein Sohn Zeuge dieses Schauspiels war; er hatte sogleich seinen Hut vor das Gesicht des Kronprinzen gehalten und ihm geboten sich zu entfernen; dazu aber war dieser vorerst wenig geneigt. Er wandte sich darauf zu dem Könige von Polen und bemerkte trocken. « Sie ist recht schön », verließ aber augenblicklich mit seinem Gefolge das Gemach und den Maskenball. In seiner Wohnung beklagte er sich bitterlich gegen seinen Günstling über das unfreundschaftliche Unternehmen des Königs von Polen, und es kostete viel Mühe, ihn wieder mit dem letzteren auszusöhnen. In das Herz des Kronprinzen aber war jener Anblick als ein zündender Brand gefallen. Vielleicht hatte König August jenes Schauspiel auch auf ihn berechnet; eifersüchtig auf das Verständniß Friedrichs mit der Gräfin Orzelska, ließ er ihm die Dame jenes verführerischen Gemaches, die mit dem Namen der schönen Formera genannt wird, anbieten, um ihn durch sie von seiner Liebe abwendig zu machen. Friedrich nahm das Anerbieten an.
<38>Nachdem man einen Monat lang in Dresden verweilt und das Versprechen eines baldigen Gegenbesuches erhalten hatte, kehrte König Friedrich Wilhelm nach Berlin zurück. Nun ging das frühere Leben wieder in seinem gewohnten Gange weiter. Der Kronprinz aber verfiel in eine tiefe Schwermut, er aß wenig, ward sichtlich magerer und es schienen drohende Anzeichen zur Schwindsucht vorhanden. Der König hatte ihn in argem Verdacht, daß das freie Leben in Dresden schuld an seinem kränkelnden Zustande sei; eine ärztliche Untersuchung indes bezeugte wirklich die Gefahr der Schwindsucht. Es ward dem Könige geraten, den Kronprinzen sobald als möglich zu verheiraten; doch wollte er davon nichts wissen und meinte ihn durch strenge Aufsicht hinlänglich vor einem unregelmäßigen Leben geschützt zu haben. In dieser Zeit dichtete der Kronprinz seine ersten Lieder, die den Reizen der Gräfin Orzelska gewidmet waren. Als im Mai desselben Jahres der Hof des Königs August seinen Gegenbesuch in Berlin machte und die Gräfin Orzelska in dessen Gefolge erschien, war Friedrich schnell von seiner schwermütigen Krankheit geheilt; er sah die Gräfin mehrmals insgeheim. Auch dieser Besuch, zu dessen Empfang in Berlin, um gegen Dresden nicht zurückstehen zu dürfen, die prächtigsten Zurüstungen gemacht waren, währte mehrere Wochen.
<39>FÜNFTES KAPITEL Zwiespalt zwischen Vater und Sohn.
Je lebhafter sich das Gefühl der Selbständigkeit in Friedrich entwickelte, um so weniger Neigung empfand er, sich den Anordnungen des Vaters zu fügen, die mit seinen Wünschen fast stets im Widerspruch standen; um so strenger aber drang auch der Vater auf genaue Befolgung seiner Befehle, so daß die unangenehmen Szenen sich zu häufen begannen. Dem Kronprinzen schien jetzt selbst die Verbindung mit einer englischen Prinzessin noch mehr wünschenswert als früher, indem er hierdurch eine größere Freiheit zu gewinnen hoffte. Bereitwillig bot er jetzt der Mutter die Hand, um an der Ausführung ihres Lieblingsplanes mitzuarbeiten, und er schrieb selbst in dieser Angelegenheit nach England. Aber die Verhältnisse zwischen England und Preußen hatten sich inzwischen noch weniger erfreulich gestaltet. König Georg I. war bereits im Jahre 1727 gestorben und sein Sohn, Georg II., der Bruder von Friedrichs Mutter, in der Regierung gefolgt. Zwischen diesem und König Friedrich Wilhelm waltete eine persönliche Feindschaft, die sich schon in früher Kindheit, als beide miteinander erzogen wurden, geäußert hatte. Jetzt führten sie Spottreden gegeneinander im Munde. Der österreichischen Politik konnte dies Miss<40>verhältnis nur wünschenswert sein und sie tat das ihrige zur Förderung desselben. Verschiedene andere Streitpunkte kamen dazu, die Ungebührlichkeiten der preußischen Werber, die von ihrem Könige in Schutz genommen wurden, gaben den Ausschlag, und es drohte im Jahre 1729 sogar ein Krieg zwischen beiden Mächten auszubrechen, der indes durch andere Fürsten, denen die Ruhe Deutschlands am Herzen lag, im Anfange des folgenden Jahres wieder beigelegt wurde. Alles dies machte dem Könige die fortgesetzten Pläne für die Doppelheirat mit England immer verhaßter, und auf die Teilnehmer derselben häufte sich sein Groll. Die Nachricht, die ihm insgeheim von Friedrichs Schreiben nach England zugetragen wurde, war keineswegs geeignet, seinen Groll zu mildern. Anfälle von Podagra vermehrten seine gereizte Stimmung, so daß die beiden älteren Kinder schon rohe Behandlung zu gewärtigen hatten.
Diese suchten sich durch ihr treues Zusammenhalten zu entschädigen. Ihr Vergnügen bestand in der Beschäftigung mit französischer Literatur. Unter anderm lasen sie zusammen Scarrons komischen Roman und bearbeiteten die satirischen Teile desselben mit Nutzanwendung auf die ihnen verhaßte österreichische Partei des Hofes; jeder, der zu der letzteren gehörte, selbst der König, erhielt seine Stelle im Roman. Der Mutter ward das Produkt mitgeteilt, und diese, statt das Vergehen der Kinder gegen den Vater zu rügen, ergötzte sich an dem satirischen Talente, welches sich darin aussprach.
Im Sommer 1729, als die königliche Familie sich einige Zeit in Wusterhausen aufhielt, hatte sich der Zorn des Königs gegen das ältere Geschwisterpaar in solchem Maße erhöht, daß er sie ganz, die Mahlzeiten ausgenommen, aus seiner und aus der Königin Gegenwart verbannte. Nur ganz insgeheim, des Nachmittags, wenn der König seinen Spaziergang machte, durfte sich die Mutter des Umganges mit ihren Kindern erfreuen; dabei wurden jedesmal Wachen ausgestellt, um sie von der Rückkehr des Königs zu benachrichtigen, von dem man sich, wenn er die Übertretung seines Befehles wahrgenommen hätte, keiner glimpflichen Behandlung gewärtigen durfte. Eines Tages hatten die Wachen jedoch ihren Auftrag so schlecht befolgt, daß man plötzlich, ganz unvorbereitet, den wohlbekannten Schritt des Königs auf dem Gange hörte; das Zimmer der Königin hatte keinen zweiten Ausgang, und so blieb kein anderes Rettungsmittel, als daß der Prinz eilig in einen Wandschrank schlüpfte, während die Prinzessin sich unter dem Bette der Königin versteckte. Aber der König, ermüdet von der Hitze, setzte sich auf einen Sessel und schlief zwei lange Stunden, während welcher die Geschwister es nicht wagen durften, ihre sehr unbehaglichen Gefängnisse zu verlassen.
<41>Andere Übertretungen der Befehle des Königs gaben zu ähnlichen Szenen Anlaß. Der Kronprinz hatte bei jenem Besuche in Dresden den vorzüglichen Flötenspieler Quantz kennengelernt. Er wünschte aufs lebhafteste, durch diesen im Flötenspiel vervollkommnet zu werden; die Königin, die diese Neigung gern begünstigte, suchte Quantz für ihre Dienste zu gewinnen. Doch wollte ihn der König August nicht von sich lassen; er gab ihm aber die Erlaubnis, jährlich ein paarmal nach Berlin zu gehen, um den Kronprinzen wenigstens in den Hauptbedingungen eines vorzüglicheren Flötenspieles zu unterrichten. Natürlich durfte der König von Preußen von diesen Reisen und Unterrichtsstunden gar nichts wissen. Einst saß der Kronprinz in aller Gemächlichkeit mit seinem Lehrer beisammen; statt der beklemmenden Uniform hatte er einen behaglichen Schlafrock von Goldbrokat angelegt, die steife Frisur war aufgelöst und die Haare in einen bequemen Haarbeutel gesteckt. Plötzlich sprang der Freund des Kronprinzen, der Leutnant von Katte, herein und meldete, daß der <42>König, dessen Erscheinung man zu dieser Stunde gar nicht vermutete, ganz in der Nähe sei. Die Gefahr war groß, und wie der Schlafrock des Kronprinzen, so war der rote Rock des Flötenbläsers — eine Farbe, gegen die der König großen Widerwillen hegte — keineswegs geeignet, das Unwetter, das man befürchten mußte, zu besänftigen. Katte ergriff rasch den Kasten, welcher Flöten und Musikalien enthielt, nahm den Musikmeister bei der Hand und flüchtete mit diesem in ein kleines Kämmerchen, welches zum Heizen der Öfen diente; Friedrich hatte eben nur Zeit, die Uniform anzuziehen und den Schlafrock zu verbergen. Der König wollte selbst einmal Revision im Zimmer des Sohnes halten. Daß hier nicht alles ganz richtig sei, ward er bald an dem Haarbeutel gewahr, der mit der Uniform des Kronprinzen in keinem reglementsmäßigen Einklange stand. Nähere Untersuchungen ließen ihn die Schränke hinter den Tapeten entdecken, in denen die Bibliothek und die Garderobe der Schlafröcke enthalten war. Die letzteren wanderten augenblicklich in den Kamin, die Bücher wurden dem Buchhändler übergeben. Der zitternde Flötenist blieb glück<43>licherweise unentdeckt; doch hütete er sich, solange seine Besuche heimlich fortgesetzt wurden, je wieder in einem roten Rocke zu erscheinen.
Andere Dinge waren vielleicht noch in größerem Maße, wenn der König von ihnen Kunde hielt, schuld an seiner Erbitterung gegen den Kronprinzen. Der Besuch in Dresden war für Friedrichs Herz von schlimmen Folgen gewesen. Die Bilder, die dort vor seinem Auge vorübergezogen waren, die Genüsse, die er gekostet hatte, ließen ihm fortan keine Rast, und seine erwachte Natur forderte mit Ungestüm ihr Recht. Für einen Königssohn, mag er auch noch so eng bewacht sein, sind die Bande der Sitte immer leicht zu überspringen, wenn keine abmahnende Stimme des Innern ihn zurückhält; hilfreiche Hände sind für den Hochstehenden nur zu häufig bereit. Einen Vertrauten gewann sich der Kronprinz zunächst an dem Leutnant von Keith, einem Leibpagen des Königs, dessen sanfter, teilnehmender Charakter die bedrückten Verhältnisse des Prinzen mit Kümmernis ansah und der seine Stellung gern dazu benutzte, jenen so oft als möglich von dem Vorhaben und den Stimmungen des Königs zu unterrichten, wodurch denn mancher unangenehmen Szene vorgebeugt ward. Keith leistete auch bei den verliebten Abenteuern des Kronprinzen getreue Pagendienste. Das unregelmäßige Leben des letztern noch mehr zu begünstigen, diente zugleich der Umstand, daß um eben diese Zeit seine Hofmeister ihres bisherigen Dienstes entlassen wurden. Dies geschah auf den Rat des General Grumbkow, dessen österreichischen Interessen der Oberhofmeister, Graf Finkenstein, den die Königin zu dieser Stelle erwählt hatte, im Wege stehen mochte; er bedeutete dem König, daß der Prinz nunmehr in das Alter getreten sei, in welchem sich eine Aufsicht solcher Art nicht mehr zieme. An die Stelle der Hofmeister traten nun zwei Gesellschafter, die aber keine nähere Aufsicht zu führen hatten: der Oberst von Rochow und der Leutnant Freiherr von Keyserling. Letzterer, ein junger Mann von lebhaftem Geiste, anmutiger Bildung und der heitersten Gemütsart, wurde nachmals der innigste Freund des Kronprinzen; auch schon jetzt entwickelte sich ein näheres Verhältnis, doch wurde Keyserling nicht eigentlicher Vertrauter, wie es Keith war.
Das stete Zusammenhalten des Kronprinzen mit Keith war dem Könige aufgefallen und von ihm nicht mit günstigen Augen angesehen; Keith wurde nach einiger Zeit nach dem fernen Wesel in ein Regiment versetzt. Doch nützte diese Trennung wenig. Der Kronprinz fand bald einen zweiten Liebling an dem Leutnant von Katte, der für ihn ungleich gefährlicher war als jener. Katte wußte ebenfalls durch feine Bildung und Anmut des Gespräches einzunehmen, obgleich sein Äußeres wenig anziehend war und die zusammengewachsenen dunkeln Augenbrauen seiner <44>Physiognomie einen unheilverkündenden Ausdruck gaben. Dabei war er von verdorbenen Sitten und diente eifrig, den Kronprinzen in seinen Ausschweifungen zu bestärken; auch wußte er, mit klügelnder Philosophie, eine solche Lebensweise zu beschönigen, indem er sich aus halbverstandener Kathederlehre ein System der Vorherbestimmung zusammengesetzt hatte, demzufolge der Mensch sich ohne eignen Willen, somit ohne Schuld, der über ihn verhängten Sünde zu ergeben habe. An dem Kronprinzen fand er für solche Lehren einen teilnehmenden Schüler. Endlich besaß Katte nicht einmal die für eine so gefährliche Stellung nötige Besonnenheit; er prahlte gern mit der Gunst, die ihm der Kronprinz erwies, er zeigte überall dessen Briefe vor, und gar manches hiervon mag dem Könige ohne sonderliche Schonung hinterbracht worden sein.
Schon suchte der König absichtlich die Gelegenheit auf, um den Kronprinzen empfindlich zu kränken. An schimpflichen Reden und an schimpflicher Behandlung fehlte es nicht. Der Kronprinz mußte ein Zeitlang Fähnrichsdienste tun. In öffentlicher Gesellschaft mußte er wiederholt von dem Könige die verächtlichen Worte hören, daß, wenn ihn, den König, sein Vater auf ähnliche Weise behandelt hätte, er tausendmal davongelaufen wäre; aber dazu gehöre mehr Mut, als der Kronprinz besäße. Wo der König ihm begegnete, drohte er ihm mit aufgehobenem Stocke, und schon versicherte der Kronprinz seiner älteren Schwester, daß er nicht mehreres, als was bisher geschehen sei, mit der schuldigen Ehrerbietung ertragen könne; käme es je zu tätlicher Mißhandlung, so werde er in der Tat sein Heil in der Flucht suchen. Mehrfach und dringend verlangte der König, der Kronprinz solle dem Thronrechte entsagen, damit dasselbe auf den zehn Jahre jüngeren Sohn, August Wilhelm, der sich durchaus fügsam gegen den Vater bewies und von diesem bei jeder Gelegenheit vorgezogen wurde, übergehen könne. Aber der Kronprinz erwiderte, er wolle sich <45>eher den Kopf abschlagen lassen, als sein gutes Recht aufgeben; endlich erklärte er sich dazu unter der Bedingung bereit, daß der König in einem öffentlichen Manifest als Ursache seiner Ausschließung von der Thronfolge bekannt mache, er sei von ihm kein leiblicher und ehelicher Sohn. Auf solche Bedingung konnte freilich der Vater, seiner Gesinnung gemäß, nicht eingehen.
Zu alledem kam endlich der Umstand, daß die Beschäftigungen und Vergnügungen, welche der Kronprinz hinter dem Rücken des Vaters trieb, ohne mehr oder weniger bedeutende Geldmittel nicht ausführbar waren. Zwar war die sogenannte kronprinzliche Kasse sehr vermögend, doch nützte ihm dies zu nichts, da er selbst nur über sehr geringe Summen zu verfügen hatte. Er sah sich also genötigt, bei fremden Leuten Geld aufzunehmen. Der Vater erfuhr, daß er von berlinischen Kaufleuten eine Summe von 7000 Talern entliehen habe; und sogleich erschien, im Januar 1730, ein geschärftes Edikt wider das Geldleihen an Minderjährige, worin es namentlich auch verboten wurde, dem Kronprinzen, sowie den sämtlichen Prinzen des königlichen Hauses Geld zu borgen, und worin gegen die Übertreter des Gesetzes Karrenstrafe, selbst Todesstrafe verhängt wurde. Der König hatte die 7000 Taler bezahlt, und der Kronprinz, auf weiteres Befragen, noch eine geringe Summe genannt, als welche er außerdem schuldig sei; aber die Gesamtmasse seiner Schulden überstieg das Doppelte jener großen Summe.
Das Schuldenmachen war es ohne Zweifel, was den Charakter des Königs am empfindlichsten berührte; wenigstens hat er später, als der Gewitterstrahl auf das Haupt des Kronprinzen herabgefallen war und als dem letztern seine Vergehungen vorgehalten wurden, gerade diesen Punkt unter allem bisher Geschehenen als den bedeutendsten hervorgehoben. So konnte ihn sein aufbrausender Jähzorn, der ihm öfters alle Besinnung zu rauben schien, zu Szenen verleiten, wie die, von der wir jetzt Bericht geben müssen. Wir können das Bild dieser Szene nicht übergehen, da es zum Verständnis alles dessen, was nun erfolgte, wesentlich nötig ist, und da man nur, wenn man auf dasselbe zurückblickt, die Größe der später eintretenden Versöhnung zu würdigen vermag. Wir geben die Szene mit den Worten, mit denen sie von Friedrichs älterer Schwester, in den Memoiren ihres Lebens, aus denen wir schon so manchen bedeutsamen Zug aus Friedrichs Jugend entnommen haben, selbst erzählt wird — oder vielmehr mit Friedrichs eigenen Worten, die die Schwester in ihren Memoiren anführt. « Man predigt mir alle Tage Geduld (so sagte Friedrich zur Schwester, als er sie einst heimlich besuchte), allein niemand weiß, was ich ertragen muß. Täglich bekomme ich Schläge, werde behandelt wie ein Sklave und habe nicht die mindeste Erholung. Man verbietet mir das Lesen, <46>die Musik, die Wissenschaften, ich darf fast mit niemand mehr sprechen, bin beständig in Lebensgefahr, von lauter Aufpassern umgeben, mir fehlt es selbst an der nötigen Kleidung, noch mehr an jedem andern Bedürfnis, und was mich endlich ganz überwältigt hat, ist der letzte Auftritt, den ich in Potsdam mit dem König hatte. Er läßt mich des Morgens rufen; sowie ich eintrete, faßt er mich bei den Haaren, wirft mich zu Boden, und nachdem er seine starken Fäuste auf meiner Brust und meinem ganzen Leibe erprobt hatte, schleppt er mich an das Fenster und legt mir den Vorhangstrang um den Hals. Glücklicherweise hatte ich Zeit gehabt, mich aufzuraffen und seine beiden Hände zu fassen; da er aber den Vorhangstrang aus allen Kräften zuzog und ich mich erdrosseln fühlte, rief ich endlich um Hilfe. Ein Kammerdiener eilte herbei und befreite mich mit Gewalt aus des Königs Händen. Sage nun selbst, ob mir ein anderes Mittel übrigbleibt als die Flucht? Katte und Keith sind bereit, mir bis ans Ende der Welt zu folgen; ich habe Pässe und Wechsel und habe alles so gut eingerichtet, daß ich nicht die geringste Gefahr laufe. Ich entfliehe nach England; dort empfängt man mich mit offenen Armen, und ich habe von des Königs Zorn nichts mehr zu fürchten. Der Königin vertraue ich von allem diesem nichts, — — weil sie, wenn der Fall eintritt, imstande sein soll, einen Schwur abzulegen, daß sie nichts von der Sache gewußt hat. Sobald der König wieder eine Reise außer seinen Staaten macht — denn das gibt mir viel mehr Sicherheit — ist <47>alles zur Ausführung bereit. » — Die Prinzessin wandte alles an, um ihrem Bruder das gewagte Vorhaben auszureden, aber erneute Mißhandlungen dienten nur, ihn darin zu bestärken.
Eine günstige Gelegenheit zur Ausführung dieses Vorhabens schien sich bald darzubieten, indem der König im Mai 1730, mit seinen sämtlichen Prinzen und einer großen Menge der angesehensten Offiziere nach Sachsen ging, um an dem glänzenden Lustlager, welches König August zu Mühlberg veranstaltet hatte, teilzunehmen. Das phantastische Schaugepränge, mit welchem der preußische Hof hier aufgenommen wurde, übertünchte nur schlecht den drohenden Zwiespalt zwischen Vater und Sohn; auch wurde die aufgeregte Stimmung des Königs nur vermehrt, als er, nicht ohne guten Grund, wahrzunehmen glaubte, daß alle diese prunkvollen Freundschaftsbezeugungen von Seiten des polnischen Königs nur leerer Schein waren, daß König August ihn hiedurch nur sicher zu machen suchte, während er selbst insgeheim die eifrigsten Ansprüche auf jene jülich-bergische Erbfolge geltend machte. Der Kronprinz Friedrich ließ indes den Kabinettsminister des Königs von Polen durch den Leutnant Katte um Postpferde für zwei Offiziere bitten, welche inkognito nach Leipzig zu reisen wünschten. Der Minister aber schöpfte Verdacht, teilte das Anliegen seinem Könige mit, und August, dem für jetzt das äußere gute Verhalten mit dem preußischen Könige sehr wichtig war, drang dem Kronprinzen das Versprechen ab, seinen Vater wenigstens während des Aufenthaltes in Sachsen nicht zu verlassen. So war Friedrich vorderhand zur Ruhe genötigt, und seine Ungeduld mußte eine bessere Gelegenheit zu erhaschen suchen. Aber schon war für ihn bei längerer Zögerung größere Gefahr im Anzuge; denn unbedacht hatte er manch ein Wort über sein Vorhaben fallen lassen, und der König war gewarnt. Durch erneute Härte der Behandlung, selbst im sächsischen Lager, suchte dieser den Sinn des Kronprinzen zu beugen; natürlich aber brachte ein solches Verfahren nur die entgegengesetzte Wirkung hervor.
Inzwischen schien sich ganz plötzlich von einer andern Seite die günstigste Aussicht zur Umgestaltung von Friedrichs peinlicher Lage zu eröffnen. Es ist bereits erwähnt worden, daß die kriegerischen Verhältnisse, in denen Friedrich Wilhelm gegen England gestanden hatte, im Anfange dieses Jahres beigelegt waren. Der englische Hof meinte diesmal die Versöhnung so aufrichtig, daß ein außerordentlicher Gesandter nach Berlin geschickt wurde, jene Doppelheirat aufs neue zu beantragen und, wenn möglich, zum festen Abschlusse zu bringen. Aber man wollte sich zugleich der wirklichen Freundschaft des Königs versichern und ihn aus den Intrigen der österreichischen Partei befreit wissen: man verlangte zu dem Ende Grumkows Ent<48>fernung vom Hofe, indem man durch vollgültige Zeugnisse die verräterische Verbindung desselben mit dem österreichischen Hofe darzutun imstande war. Bei so dringender Gefahr wandte die österreichische Partei alles an, um den König in seiner bisherigen Gesinnung festzuhalten, und es gelang nur zu gut. Der König vergaß sich persönlich gegen den englischen Gesandten, und dieser fand es mit seiner Würde unverträglich, die Unterhandlungen fortzusetzen. So erlosch dieser kurze Hoffnungsschimmer so schnell, wie er aufgetaucht war; dem Könige war neuer Anlaß zum Groll gegeben, und der Kronprinz sah keinen andern Ausweg aus diesem Labyrinth vor sich, als beschleunigte Flucht.
<49>SECHSTES KAPITEL Versuch zur Flucht.
Nach wenigen Wochen bereits fand sich eine neue Gelegenheit, welche die Flucht des Kronprinzen besser zu begünstigen schien, als der Besuch in dem sächsischen Lager. Der König unternahm eine Reise nach dem südlichen Deutschland, auf welcher ihn Friedrich begleiten mußte. Er hatte, bei seinem Verdachte gegen den Kronprinzen, längere Zeit geschwankt, ob es besser sei, ihn mitzunehmen oder zu Hause zu lassen; er hatte sich für das erste entschieden, weil er ihn unter seinen Augen besser beaufsichtigt glaubte; auch hatte er, um ganz sicher zu gehen, dreien der höheren Offiziere, die ihn begleiteten, den Befehl gegeben, diese Aufsicht zu teilen, so daß stets einer im Wagen des Kronprinzen neben diesem sitzen mußte. Friedrich hatte indes im Einverständnis mit Katte — obgleich von diesem zu Anfange mehrfach abgemahnt — seine Maßregeln genommen. Schon aus dem sächsischen Lager hatte er an den König von England geschrieben und diesen gebeten, ihm an seinem Hofe Schutz zu gewähren. Doch von dort war eine sehr ernstlich abratende Antwort erfolgt. Nichtsdestoweniger blieb der Kronprinz bei dem Plane, über Frankreich nach England zu gehen. Katte sollte, sobald der Prinz ihm von seiner Entweichung Nachricht gegeben haben würde, voraus nach England flüchten und dort für seine Wünsche unterhandeln; er sollte zu dem Zwecke sich Urlaub unter <50>dem Vorwande verschaffen, daß er auf Werbung gehen wolle. Zugleich waren ihm die Gelder, die Kleinodien, die Papiere des Kronprinzen anvertraut. Außer Katte war auch Keith in Wesel von dem Vorhaben des Kronprinzen unterrichtet worden, um dasselbe durch seine Teilnahme zu begünstigen.
Am 15. Juli 1730 war die Reisegesellschaft von Berlin aufgebrochen und über Leipzig nach Anspach gegangen, wo der König seine zweite Tochter, die im vorigen Jahre mit dem jungen Markgrafen von Anspach vermählt worden war, besuchte. Schon hier suchte Friedrich Gelegenheit, zu entkommen; wiederholt und dringend bat er seinen Schwager, ihm eins seiner besten Pferde, angeblich zu einem Spazierritte, anzuvertrauen; aber vorsichtig wich dieser der Bitte aus, denn schon war das Gerücht von Friedrichs Vorhaben von Berlin nach Anspach gedrungen, indem Katte selbst in einem so kritischen Momente es nicht über sich gewinnen konnte, seiner prahlenden Schwatzhaftigkeit Zügel anzulegen. In Anspach erhielt Friedrich einen Brief von Katte, worin ihm dieser meldete, daß er noch immer nicht den nachgesuchten Urlaub habe erhalten können; er bat ihn somit, seine Entweichung bis zur Ankunft in Wesel zu verschieben, von wo er ohnedies am schnellsten, über Holland, nach England würde entkommen können. Friedrich antwortete, daß er so lange nicht mehr warten könne; er sei entschlossen, in Gemäßheit des von dem Könige vorgeschriebenen Reiseplanes, schon in Sinzheim (auf der Straße zwischen Heilbronn und Heidelberg) das Gefolge des Königs zu verlassen, und Katte werde ihn unter dem Namen eines Grafen von Alberville im Haag treffen; zugleich versicherte er nochmals, daß die Flucht gar nicht fehlschlagen könne, und daß, wenn man ihm nachsetzte, die Klöster auf dem Wege als sichere Zufluchtsörter zu betrachten seien. In der Hast aber, mit welcher Friedrich diesen Brief schrieb, vergaß er, ihn nach Berlin zu adressieren; er hatte nur daraufgesetzt: « über Nürnberg », und so ging der unselige Brief nach Erlangen zu einem Vetter Kattes, welcher daselbst auf Werbung stand.
Von Anspach ging die Reise des Königs über Augsburg nach Ludwigsburg, wo man den Herzog von Württemberg besuchte. Von da wurde der Weg nach Mannheim eingeschlagen. Auf diesem Wege hatte man jenes, von Friedrich genannte Sinzheim zu berühren. Der Zufall wollte, daß das Nachtquartier nicht an diesem Orte, sondern ein paar Stunden vor demselben, in dem Dorfe Steinfurth, genommen wurde. Hier übernachtete man in verschiedenen Scheunen, indem der König in solchen Fällen, nach weichlicher Bequemlichkeit wenig lüstern, einen luftigen Aufenthalt der Art der beklemmenden Schwüle der Wirtshausstuben vorzuziehen pflegte. Der Kronprinz, der mit dem Obersten Rochow und seinem Kammerdiener gemeinschaftlich eine Scheune zum Nachtlager erhielt, machte schnell seinen Plan der Gelegenheit <51>gemäß. Er benutzte die gutmütige Leichtgläubigkeit eines königlichen Pagen — es war ein Bruder seines Freundes Keith — indem er ihm vertraute, er habe ein verliebtes Abenteuer unfern des Ortes, wozu er ihn des andern Tages früh um vier Uhr wecken und ihm Pferde verschaffen möge. Das letztere war leicht zu bewerkstelligen, da gerade an dem Orte Pferdemarkt war. Der Page war gern dazu bereit; anstatt aber den Prinzen zu wecken, verfehlte er das Bett und weckte den Kammerdiener. Dieser hatte die Geistesgegenwart, nicht zu tun, als ob er darin etwas Verdächtiges finde; er blieb ruhig liegen, um das Weitere abzuwarten. Er sah, wie nun der Kronprinz aufsprang und sich schnell ankleidete, doch nicht die Uniform, sondern ein französisches Kleid und einen roten Überrock, den er sich heimlich auf der Reise hatte machen lassen, anlegte. Kaum hatte der Kronprinz die Scheune verlassen, so benachrichtigte der Kammerdiener augenblicklich den Obersten Rochow von dem, was vorgegangen; dieser weckte eilig drei andere Offiziere aus des Königs Gefolge, und man machte sich, nichts Gutes ahnend, auf den Weg, den Kronprinzen zu suchen. Nach kurzer Zeit fanden ihn die Offiziere auf dem Pferdemarkte, an einen Wagen gelehnt und nach dem Pagen ausschauend. Seine französische Kleidung vermehrte ihren Verdacht, doch fragten sie ihn mit schuldiger Ehrerbietung, weshalb er sich so früh aufgemacht. Der Kronprinz war über diese unwillkommene Dazwischenkunft von Wut und Verzweiflung erfüllt, er wäre des Äußersten fähig gewesen, hätte er Waffen bei sich gehabt. Er gab ihnen eine kurze und rauhe Antwort. Rochow bemerkte, der König sei bereits aufgewacht und werde in einer halben Stunde Weiterreisen, er möge also aufs schleunigste seine Kleidung verändern, <52>damit sie dem Könige nicht zu Gesicht käme. Der Kronprinz verweigerte es und sagte, er wolle Spazierengehen; er werde schon zu rechter Zeit zur Abreise bereit sein. Indes kam der Page mit den Pferden. Der Kronprinz wollte sich nun rasch auf das eine derselben werfen; aber die Offiziere ließen ihn nicht dazu kommen und zwangen ihn, der sich wie ein Verzweifelter wehrte mit ihnen zur Scheune zurückzukehren und die Uniform wieder anzulegen.
Der König war von diesem Vorgange benachrichtigt worden; doch ließ er sich gegen den Kronprinzen nichts merken, indem es ihm daran lag, vorerst noch bestimmtere Beweise von seinem Plane zu erhalten. Nur als die Reisegesellschaft an einem der folgenden Tage, nachdem man bereits Mannheim hinter sich hatte, in Darmstadt ankam, sagte er ihm spottenderweise, wie er sich wundere, ihn hier zu sehen, er habe ihn inzwischen schon in Paris vermutet. Der Kronprinz erwiderte trotzig, daß, wenn er es nur gewollt, er Frankreich schon dürfte erreicht haben.
<53>Aber schon war das Unheil näher, als er glauben mochte. Kaum war man in Frankfurt angekommen, von wo die Reise zu Wasser den Main und den Rhein abwärts bis Wesel fortgesetzt werden sollte, als der König von Kattes Vetter aus Erlangen eine Staffette erhielt, durch welche dieser jenen Brief des Kronprinzen übersandte, dessen bedrohlichen Inhalt er nicht unterschlagen zu dürfen glaubte. Der König befahl, den Kronprinzen unverzüglich auf einer der bestellten Jachten in festen Gewahrsam zu nehmen. Erst am folgenden Tage betrat er selbst das Schiff; kaum aber erblickte er den Kronprinzen, so übermannte ihn sein mühsam zurückgehaltener Jähzorn; er fiel über ihn her und schlug ihm mit seinem Stocke das Gesicht blutig. Mit verbissenem Schmerze rief der Kronprinz aus: « Nie hat ein brandenburgisches Gesicht solche Schmach erlitten! » Die anwesenden Offiziere entrissen ihn den Händen des Königs und brachten es dahin, daß der letztere die Erlaubnis gab, daß der Kronprinz die Reise auf einem zweiten Schiffe machen durfte. Dieser wurde nun wie ein Staatsgefangener behandelt, Degen und Papiere wurden ihm abgefordert; doch hatte er glücklicherweise noch zuvor Gelegenheit gefunden, seine Briefe, die manch einen zu kompromittieren geeignet waren, durch seinen Kammerdiener verbrennen zu lassen.
Selten wohl ist eine Lustreise auf dem schönen Rheinstrom unter traurigeren Verhältnissen gemacht worden. Die Besuche bei den geistlichen Fürsten, welche abzustatten man nicht umhin konnte, wurden, soviel möglich, abgekürzt. Der Kronprinz war nicht um sich, sondern nur um das Schicksal der Freunde, die er mit ins Verderben gerissen, besorgt. Doch war er überzeugt, daß Katte, schon zur Flucht gerüstet, Geistesgegenwart genug haben würde, für seine Sicherheit zu sorgen. Keith empfing, ehe der König nach Wesel kam, einen mit Bleistift geschriebenen Zettel von des Kronprinzen Hand, mit den Worten: « Rette dich, Alles ist entdeckt. » Er verlor die rechte Zeit nicht, setzte sich augenblicklich zu Pferde und erreichte im Galopp die holländische Grenze. Selbst noch im Haag durch einen preußischen Offizier verfolgt, den der König zu seiner Verhaftung nachsandte, entkam er glücklich auf einem Fischerboote nach England und ging von da nach Portugal, wo er Kriegsdienste nahm.
Nachdem man in Wesel angelangt war, wurde der Kronprinz gefangengesetzt und sein Gemach durch Schildwachen mit bloßen Bajonetten verwahrt. Am folgenden Tage erhielt der Festungskommandant, Major von der Mosel, Befehl, den Prinzen vor den König zu führen. Sobald der Kronprinz zu dem Könige eintrat, fragte ihn dieser mit drohendem Tone, warum er habe desertieren wollen. « Weil Sie mich », antwortete der Prinz, « nicht wie Ihren Sohn, sondern wie einen Sklaven behandelt haben. » — « Du bist ein ehrloser Deserteur », rief ihm der König entgegen, « der kein Herz und keine Ehre im Leibe hat! » — « Ich habe dessen so viel wie Sie », <54>versetzte der Prinz, « und ich tat nur, was Sie, wie Sie mir mehr als hundertmal gesagt haben, an meiner Stelle getan haben würden! » — Diese Worte erregten aufs neue des Königs ganzes Ungestüm; er zog seinen Degen und würde den Prinzen durchbohrt haben, wäre ihm nicht der General Mosel in den Arm gefallen. Vor den Prinzen tretend, rief dieser würdige Mann aus: « Töten Sie mich, Sire, aber schonen Sie Ihres Sohnes! » Die Kühnheit des Generals machte den König zaudern, und jener benutzte den Moment, den Prinzen hinauszuführen und in seinem Zimmer vorläufig in Sicherheit zu bringen. Die übrigen Generale vermochten es über den König, daß er sich entschloß, den Prinzen nicht mehr zu sehen und ihn der strengen Obhut einiger Offiziere, auf die er sich verlassen konnte, anzuvertrauen. Er selbst reiste einige Tage darauf nach Berlin ab.
Jene Offiziere hatten den Auftrag erhalten, mit dem Kronprinzen etwas später von Wesel aufzubrechen und ihn so schnell und so geheim als möglich nach Mittenwalde zu führen, wo er zunächst in Verwahrsam bleiben sollte. Es war ihnen verboten, auf der Reise das hannoversche Gebiet zu berühren, damit der Prinz nicht etwa durch englische Hilfe entführt werden möchte. Zugleich war ihnen anbefohlen, den Prinzen durchaus streng zu halten und ihn mit niemand sprechen zu lassen. Doch fehlte wenig, daß der Kronprinz, trotz dieser Vorsicht, nicht schon in Wesel seiner Haft entkommen wäre. Er war im Volke, im Gegensatz gegen die bekannte Strenge des Königs, allgemein beliebt, und sein Unglück hatte einen förmlichen Enthusiasmus für ihn hervorgerufen. Manch einer hätte sein Leben gewagt, um nur ihn in Freiheit zu wissen. Schon hatte er heimlich eine Strickleiter und das Kleid einer Bäuerin erhalten, schon war er in dieser Vermummung bei nächtlicher Weile aus dem Fenster gestiegen, als die Schildwache unter seinem Fenster, die er nicht bemerkt hatte, ihn anrief. Nun blieb ihm nichts übrig, als sich in sein Schicksal zu ergeben, und willig ließ er sich am folgenden Tage von Wesel abführen. Auf der Reise selbst machte er keine weiteren Versuche zur Flucht, obschon der Landgraf von Hessen-Kassel und der Herzog von Sachsen-Gotha nicht abgeneigt gewesen wären, ihn vor dem Zorne des Vaters zu schützen, was er freilich vielleicht nicht wußte.
<55>SIEBENTES KAPITEL Das Gericht.
Katte war inzwischen auf keine Weise für seine Sicherheit besorgt gewesen. Schon verbreitete sich ein dumpfes Gerücht von der Verhaftung des Kronprinzen in Berlin. Von verschiedenen Seiten kamen ihm, dessen Verhältnisse zum Prinzen nur allzu bekannt waren, warnende Stimmen zu Ohren; aber er wartete geduldig auf die Vollendung des schönen französischen Kuriersattels, den er sich bestellt, um in den verborgenen Behältnissen desselben Papiere, Geld und dergleichen um so sicherer mitnehmen zu können. Endlich erbat er sich — es war am Abend vor der Nacht, in welcher sein Verhaftsbefehl ankam — von einem Vorgesetzten die Erlaubnis, am nächsten Tage Berlin verlassen zu dürfen, angeblich, um einer Jagdpartie in der Nähe beiwohnen zu können. Man zögerte mit der Ausführung des Befehles, bis man ihn genügend entfernt glaubte; als man sich endlich in seine Wohnung verfügte, fand man ihn erst im Begriffe, das Pferd zu besteigen. Nun war sein Schicksal entschieden; er mußte sich gefangengeben. Eine versiegelte Kiste, welche die Papiere und Kleinodien des Kronprinzen enthielt, ließ er der Königin überbringen.
Gleichzeitig mit Kattes Verhaftungsbefehl kam ein Schreiben des Königs an die Oberhofmeisterin der Königin, worin diese gebeten wurde, die letztere von der versuchten Desertion des Kronprinzen und von seiner Gefangennehmung zu benach<56>richtigen. Die Bestürzung in der königlichen Familie war groß, erhöht wurde sie durch den Empfang jener Kiste, die man nicht unterschlagen durfte, die aber sehr Bedrohliches, nicht nur für den Kronprinzen, sondern auch für die Königin selbst und namentlich für die älteste Prinzessin enthalten konnte. Man hatte ohne Wissen des Königs eine sehr ausgedehnte Korrespondenz miteinander geführt, in welcher die Ausdrücke nicht immer mit genügender Ehrerbietung gegen den König abgewogen und namentlich auch die Angelegenheiten in Bezug auf England vielfach berührt waren. Endlich kam man zu dem Entschlusse, das Siegel abzunehmen, das Schloß der Kiste zu erbrechen, alle gefährlichen Schriften zu verbrennen und dafür eine be<57>deutende Anzahl neugeschriebener Briefe unschuldigen Inhalts mit verschiedenen älteren Daten hineinzulegen. Dann ward die Kiste wieder versiegelt, indem man ein dem vorigen ganz ähnliches Petschaft aufzufinden wußte.
Am 27. August kehrte der König nach Berlin zurück. Seine erste Frage war nach der Kiste. Als ihm dieselbe gebracht wurde, verlangte ihn mit solchem Ungestüm nach ihrem Inhalte, daß er sie, statt sie zuvor zu besichtigen, sogleich aufriß und die Briefe herausnahm. Er hatte den Verdacht, die beabsichtigte Flucht des Kronprinzen sei die Folge eines förmlichen Komplottes gewesen, an dessen Spitze England gestanden habe und in welches seine Gemahlin und seine älteste Tochter mit verwickelt seien. Er vermutete sogar, daß man hiebei mehr, als nur jene alten Heiratspläne, im Sinne gehabt. Daß er in der Kiste keine Zeugnisse fand, machte, statt ihn zu beruhigen, seinen Zorn nur um so heftiger; er argwöhnte, daß man ihm durch eine List zuvorgekommen sei. Sein ganzer Ingrimm wandte sich nun gegen seine Familie und namentlich hatte die Prinzessin Wilhelmine aufs schwerste zu leiden. Er schwur, daß er den Kronprinzen werde umbringen lassen und daß die Prinzessin das Schicksal ihres Bruders teilen werde. Nur die Oberhofmeisterin der Königin, Frau von Kamecke, wagte es, ihm mit heldenmütiger Unerschrockenheit entgegenzutreten. Sie folgte ihm in sein Zimmer und beschwor ihn, die Königin zu schonen und das Unternehmen des Kronprinzen nur als das, was es sei, als einen Schritt jugendlicher Unbesonnenheit zu betrachten. « Bis jetzt », sagte sie zu ihm, « war es Ihr Stolz, ein gerechter und frommer König zu sein, und dafür segnete Sie Gott; nun wollen Sie ein Tyrann werden — fürchten Sie sich vor Gottes Zorn! Opfern Sie Ihren Sohn <58>Ihrer Wut, aber seien Sie auch dann der göttlichen Rache gewiß. Gedenken Sie Peters des Großen und Philipps des Zweiten: sie starben ohne Nachkommen, und ihr Andenken ist den Menschen ein Greuel! » Die Worte schienen Eindruck auf den König zu machen, aber nur auf kurze Zeit.
Inzwischen war, auf Befehl des Königs, Katte vor ihn geführt worden, um gerichtlich verhört zu werden. Die erste Begrüßung des Gefangenen bestand wiederum nur in wilder Mißhandlung. Katte beantwortete die ihm vorgelegten Fragen mit Standhaftigkeit; er erklärte, daß er allerdings an der Flucht des Kronprinzen habe teilnehmen wollen, daß es die Absicht des letztern gewesen sei, nach England zu gehen, um dort vor dem Zorne des Königs geschützt zu sein, daß er, Katte, den Zwischenträger zwischen dem Kronprinzen und der englischen Gesandtschaft gemacht habe, daß der Prinzessin Wilhelmine dieser Plan nicht mitgeteilt worden, daß aber von einem Unternehmen gegen die Person des Königs oder überhaupt gegen die Angelegenheiten desselben niemals die Rede gewesen sei. Im übrigen berief er sich auf die Papiere des Kronprinzen. Eine neue Durchsicht der letzteren ergab natürlich nichts, was zu weiterer Anschuldigung dienen konnte. Aber der Verdacht, daß die wichtigeren Papiere unterschlagen seien, blieb rege, und die Prinzessin wurde unausgesetzt mit Strenge behandelt. Nach beendigtem Verhör mußte Katte die Uniform ausziehen und ward in einem leinenen Kittel auf die Hauptwache geschickt. Gegen die übrigen Freunde des Kronprinzen und die sonst seinen Interessen günstig gewesen zu sein schienen, auch wenn bei ihnen gar keine Kenntnis seines letzten Vorhabens erweislich war, wurde nicht minder mit großer Strenge verfahren; so wurde z. B. sein ehemaliger Lehrer Duhan, der jetzt eine Ratsstelle bekleidete, nach Memel verwiesen. Die Bestürzung über alle diese Ereignisse war allgemein und alles in banger Erwartung über die ferneren Schicksale des Kronprinzen.
Dieser war unterdessen in Mittenwalde eingetroffen. Hier wurde er am 2. September zuerst verhört. Man legte ihm die Aussagen Kattes vor, und er erkannte dieselben an; auf alle weiteren Fragen indes gab er wenig genügende Antworten. Dem General Grumbkow, der mit anwesend war und die stolze Zuversicht des Prinzen herabzustimmen suchte, sagte er, er glaube über alles, was ihm noch begegnen könne, hinaus zu sein, und er hoffe, sein Mut werde größer sein als sein Unglück. Jener kündigte ihm hierauf an, er werde auf Befehl des Königs nach Küstrin gebracht werden, indem diese Festung für jetzt zu seinem Aufenthaltsorte bestimmt sei. « Es sei », erwiderte der Kronprinz, « ich werde dahin gehen. Wenn ich aber nicht eher wieder von dort wegkommen soll, als bis ich mich aufs Bitten lege, so dürfte ich wohl ziemlich lange da bleiben. »
<59>Am folgenden Tage wurde der Kronprinz nach Küstrin geführt. Er erhielt ein Gemach auf dem Schlosse, wo der dortige Kammerpräsident von Münchow ihm von seiner Wohnung ein Zimmer abtreten mußte. Hier wurde er, auf bestimmten Befehl des Königs, streng gehalten. Seine Kleidung bestand aus einem schlechten blauen Rocke ohne Stern. Im Zimmer standen nur hölzerne Schemel zum Sitzen. Die Speisen, die sehr einfach waren, wurden ihm geschnitten überbracht, weil den Gefangenen in der Zeit des engsten Arrests keine Messer und Gabeln zukamen. Tinte und Papier waren ihm nicht verstattet; auch wurde ihm seine Flöte abgefordert. Das Zimmer durfte er unter keiner Bedingung verlassen; die Tür war mit Wachen besetzt und durfte nur dreimal des Tages, in Gegenwart zweier Offiziere, zur Besorgung der Bedürfnisse des Gefangenen auf kurze Zeit geöffnet werden. Alle Morgen hatten zwei Offiziere das Zimmer zu untersuchen, ob sich nicht etwa die Spur einer verdächtigen Unternehmung zeige. Jedem war streng verboten, mit dem Kronprinzen zu sprechen; niemand durfte zu ihm gelassen werden.
Indes fand sich doch Gelegenheit, einige dieser strengen Anordnungen zu umgehen. Der Kammerpräsident von Münchow, der das Schicksal des unglücklichen Königssohnes mit inniger Teilnahme empfand, ließ in der Decke des Gefängnisses ein Loch machen, so daß er Gelegenheit bekam, den Kronprinzen zu sprechen, ihm seine Dienste anzubieten und seine Wünsche zur Verbesserung seiner gegenwärtigen <60>Lage zu vernehmen. Der Kronprinz klagte über das armselige Essen und Speisegerät und über den Mangel an geistiger Nahrung. Für beides wußte der Präsident bald Rat. Sein jüngster Sohn, acht Jahr alt, wurde in die weiten Kinderkleider gesteckt, die schon seit Jahren abgelegt waren, und die tiefen Taschen derselben füllte man mit Obst, Delikatessen und ähnlichem; dem Knaben verweigerte die Wache nicht den Eingang. Dann wurde ein neuer Leibstuhl mit verborgenen Fächern angeschafft, und so kamen dem Kronprinzen nach und nach Messer und Gabeln, Schreibgerät, Bücher, Briefe u. s. w. zu. Die diensthabenden Offiziere untersuchten das Zimmer nur, soweit ihre Ordre reichte.
Indes war Friedrich noch keineswegs geneigt, es einzusehen, wie große Schuld er selbst ursprünglich an dem schlimmen Zwiespalte mit seinem Vater trug und wie es seine Pflicht sei, sich dem Willen des Vaters in kindlicher Demut zu ergeben. Vielmehr behielt er noch immer gegen die Personen, die der König zu verschiedenen Malen zu ihm schickte, seine strenge Zurückgezogenheit bei. So namentlich gegen eine Deputation, die ihn in der Mitte Septembers aufs neue zu verhören kam. Der General Grumbkow, der sich wieder bei derselben befand, scheute sich nicht, ihm zu sagen, daß, wenn er seinen Stolz nicht beiseite setze, schon Mittel und Wege zu finden sein dürften, ihn zu demütigen. « Ich weiß nicht », erwiderte ihm der Prinz mit vornehmem Tone, « was sie gegen mich zu unternehmen gedenken: so viel aber weiß ich, daß Sie mich nie dahin bringen werden, vor Ihnen zu kriechen! » Die Deputierten legten ihm nun die in jener Kiste gefundenen Papiere vor mit der Frage, ob er nichts unter denselben vermisse. Der Prinz untersuchte sie, und da er die wichtigsten nicht vorfand, so zweifelte er nicht daran, daß sie unterdrückt worden seien. Er versicherte also, es sei der gesamte Inhalt jener Kiste. Man verlangte von ihm einen Eid über diese Angabe; diesen wußte er jedoch unter dem Vorwande, daß ihn sein Gedächtnis möglicherweise betrügen könne, von sich abzulehnen. Die Kommissarien waren nicht imstande, anderweitige Bekenntnisse von ihm zu erlangen. Auch spätere <61>Verhöre gaben keinen besseren Erfolg. Man ließ ihn unter dem Versprechen, daß er auf die Thronfolge Verzicht leiste, Gnade hoffen, aber auch jetzt ging er hierauf nicht ein. Ebensowenig nützten die erneuten Verhöre Kattes, jener vermeintlichen Intrige auf die Spur zu kommen. Der König hatte sogar die Absicht, Katte auf die Folter zu spannen, doch schützte ihn hievor die Verwendung seiner Verwandten, die im Staat hohe Stellen bekleideten.
So hatte man keine weiteren Zeugnisse gegen den Kronprinzen und gegen Katte in Händen, als was sich durch ihre beabsichtigte Flucht selbst und durch die bisherigen Aussagen des letzteren ergab. Doch war auch dies dem Könige bereits genügend, um gegen die Verschuldeten mit allem Nachdruck eines strengen Gesetzes zu verfahren. Es wurde ein Kriegsgericht zusammenberufen, welches über sie nur in militärischer Rücksicht zu erkennen hatte: der Kronprinz namentlich sollte dabei nur als desertierter Militär betrachtet werden. Am 25. Oktober trat dieses Gericht in Köpenick zusammen und kehrte am 1. November nach Berlin zurück. Trotz jener ausdrücklichen Bestimmung des Königs erfolgte indes kein richterlicher Spruch über den Kronprinzen; das Kriegsgericht hatte sich in diesem Punkte für inkompetent erklärt. Katte war, in Betracht, daß er sich nicht vom Regimente entfernt habe und seine bösen Pläne nicht zur Ausführung gekommen seien, zu Kassierung und mehrjähriger Festungsbaustrafe verurteilt worden. Der König aber nahm die ganze Erklärung des Kriegsgerichtes sehr ungnädig auf; er sah darin nur eine Bemühung, sich dem künftigen Herrn des Lan<62>des, den er einmal als seinen entschiedenen Feind betrachtete, gefällig zu erweisen. Sein Zorn konnte nicht ohne ein blutiges Opfer gestillt werden; und so erklärte er zunächst, aus eigner Machtvollkommenheit, das Vergehen Kattes als ein Verbrechen der beleidigten Majestät, da dieser, als Offizier der Garde-Gendarmerie, der Person des Königs unmittelbar verpflichtet gewesen sei und solche Verpflichtung durch einen Eid erhärtet, nichtsdestoweniger jedoch zur Desertion des Kronprinzen unerlaubte Verbindungen mit fremden Ministern und Gesandten, zum Nachteil des Königs, angeknüpft habe. Für ein solches Verbrechen habe er verdient, mit glühenden Zangen gerissen und gehenkt zu werden; doch solle er, in Rücksicht auf seine Familie, nur durch das Schwert gerichtet werden. Man solle dem Katte, wenn ihm dieser Ausspruch eröffnet werde, sagen, daß es dem Könige leid täte: es sei aber besser, daß er sterbe, als daß die Gerechtigkeit aus der Welt gehe. Alle Bitten und Fürsprachen gegen dies strenge Urteil waren umsonst; vergebens flehte Kattes Großvater, der alte verdiente Generalfeldmarschall Graf von Wartensleben, mit rührenden Worten um Gnade, nur damit ihm Gelegenheit bleibe, das Herz seines Enkels zur Buße und zur Demut zurückzuführen. Der Sinn des Königs blieb unerweicht, und wiederholt berief er sich darauf, es sei besser, daß ein Schuldiger nach der Gerechtigkeit sterbe, als daß die Welt oder das Reich zugrunde gehe.
Katte selbst vernahm sein Urteil mit großer Standhaftigkeit. So leichtsinnig er sich früher betragen hatte, so würdig erschien der zweiundzwanzigjährige Jüngling in den wenigen Tagen, die ihm jetzt noch zur Vorbereitung auf den Tod vergönnt <63>waren. Der Gram, den er seinen Eltern und seinem Großvater durch das leichtsinnig heraufbeschworene Schicksal verursachen mußte, ergriff seine Seele mit Macht; die Briefe, mit denen er von ihnen Abschied nahm, waren von innigster Reue erfüllt. Demutvoll bekannte er es, daß er in dieses Unglück gestürzt sei, weil er des Höchsten vergessen und nur nach irdischen Ehren gestrebt habe; daß er aber hierin nur die Liebe des ewigen Vaters erkenne, die ihn durch den dunkeln Pfad zum Lichte geführt. Am 4. November wurde er nach Küstrin abgeführt. Es geschah auf Befehl des Königs, denn dieser wollte auch das härteste Mittel nicht unversucht lassen, das Herz <64>des Kronprinzen zu erweichen. Unter den Augen des letzteren, so hatte es der König ausdrücklich angeordnet, sollte die Hinrichtung des Freundes stattfinden. Der Morgen des 6. November war zur Hinrichtung bestimmt. Der Kronprinz wurde genötigt, an das Fenster zu treten und rief, als er den Freund inmitten des militärischen Zuges zwischen zweien Predigern erblickte, hinab: « Verzeihe mir, mein teurer Katte! » — « Der Tod für einen so liebenswürdigen Prinzen ist süß! » erwiderte jener. Dann schritt der Zug den Wall hinauf, und Katte empfing, von christlicher Tröstung gestärkt, den tödlichen Streich. Aber die starke Natur des Kronprinzen erlag; Ohnmachten ergriffen ihn, und die Schale, die sein Herz umschlossen hielt, war gesprungen.
Aber noch schwebte das Schwert, welches Kattes Leben vernichtet, über dem Haupte des Kronprinzen; noch ließen die fortgesetzten Drohungen des Königs auch für den letzteren das Schlimmste befürchten. Dringender und vielseitiger erhob sich, bei dem ungeheuren Aufsehen, welches seine Gefangennehmung in der ganzen Welt gemacht hatte, die Fürsprache für ihn. Schon im September hatte der König durch seine Gesandten ein Rundschreiben an die auswärtigen Höfe geschickt, um sie im allgemeinen von dem geschehenen Schritte zu benachrichtigen und ihnen anzuzeigen, daß ihnen später, nach dem Schlusse der Untersuchungen, eine ausführliche Erklärung gegeben werden sollte. Kurz darauf aber, und zum Teil schon vor der Abfassung jenes Rundschreibens, erschienen Vorstellungen von verschiedenen Höfen, welche die Absicht hatten, den König zu einer milderen Ansicht der Sache zu stimmen. Zuletzt und mit besonderem Nachdrucke trat der österreichische Hof auf, der nun, da die Ver<65>bindung Preußens mit England einen augenscheinlichen Bruch erlitten hatte und vom Kronprinzen in dieser Beziehung wenig mehr zu befürchten schien, auch ihn wie den Vater, durch das Gewicht seiner Vermittlung, an seine Interessen zu knüpfen wünschte. Von größerer Bedeutung indes war zunächst der Einspruch, den die würdigsten und vom Könige am meisten geschätzten Führer seines Heeres gegen das Bluturteil, mit welchem der König drohte, erhoben. Auf die Erklärung zwar, daß der König nicht befugt sei, den « Kurprinzen von Brandenburg » ohne förmlichen Prozeß vor Kaiser und Reich am Leben zu bestrafen, erwiderte jener, daß Kaiser und Reich ihn nicht abhalten dürften, gegen den « Kronprinzen von Preußen » in seinem souveränen Königreiche nach Belieben zu verfahren. Aber der Major von Buddenbrock entblößte vor dem Könige seine Brust und rief heldenmütig aus: « Wenn Ew. Majestät Blut verlangen, so nehmen Sie meines; jenes bekommen Sie nicht, solange ich noch sprechen darf! »
War die Stimme der Politik nicht ganz zu überhören, war die Stimme der Ehre für den kriegerischen König ein hochachtbarer Klang, so trat doch noch ein Drittes hinzu, welches mit ungleich größerer Gewalt sein Herz zur Gnade stimmte. Es war das Wort eines geringen Dieners, aber es brachte die so lang ersehnte Kunde von der Sinnesänderung des Sohnes. Der Feldprediger Müller, der mit Katte von Berlin nach Küstrin gegangen war und ihn zum Tode vorbereitet hatte, war zugleich durch den König beauftragt worden, nach Möglichkeit auch auf das Gemüt des Kronprinzen zu wirken und, wenn sich dieser zur Annahme seiner geistlichen Ermahnungen willfährig zeige, längere Zeit bei ihm zu bleiben. Der Kronprinz war nach jenem furchtbaren Schlage eines höheren Trostes nur zu sehr bedürftig. Der Feldprediger hatte ihm von Katte ein teures Vermächtnis überbracht, eine Reihe schriftlich abgefaßter Vorstellungen, welche dazu dienen sollten, den fürstlichen Freund auf den gleichen Weg des Heiles zu führen, als durch welchen er mit dem Leben versöhnt gestorben war. Diese Vorstellungen bestanden besonders darin, daß Katte sein Unglück als eine verdiente Strafe Gottes betrachtete, daß er den Kronprinzen beschwur, auch er möge hierin die Hand Gottes erkennen und sich dem Willen seines Vaters unterwerfen, besonders aber möge er dem Glauben an eine willkürliche Vorherbestimmung des Schicksals entsagen. Dies letztere war der wichtigste Punkt, und auch der König hatte bereits vor allem darauf gedrungen, daß der Prediger diese Glaubensansicht des Kronprinzen mit allem Eifer bekämpfen möge. Denn der Prinz hatte sich, besonders durch Katte dazu verleitet (wie dies bereits früher angedeutet wurde), jener Prädestinationslehre ergeben, welche bekanntlich durch die Calvinisten mit einer trostlosen Strenge vertreten wurde, welche die einzelnen Menschen als von <66>Ewigkeit her zur Seligkeit oder zur Verdammnis bestimmt darstellte, und welche somit in der Sünde keine Schuld des menschlichen Herzens anerkennen konnte. So hatte auch Friedrich alles, was er bisher getan, nur als die Fügung eines ihm fremden Schicksals betrachtet. Jetzt aber war sein Gemüt einer wärmeren Ansicht geöffnet; zwar stritt er noch längere Zeit mit eifrigen Gründen zur Verteidigung seines alten Glaubens, aber endlich siegte die bibelfeste Beredsamkeit des Predigers. Er fühlte sich überwunden und klagte, daß ihn jetzt seine Gedanken verließen. Nachdem er seine Kräfte wieder zusammengerafft, war seine erste Äußerung, daß er also selbst schuld sei nicht nur an seinem eigenen Unglücke, sondern auch an dem Tode seines Freundes. Der Prediger bejahte dies; er ließ ihn absichtlich die ganze Größe seiner Schuld ins Auge fassen, aber er verwies ihn zugleich auch an die göttliche Gnade, welche größer sei als alle Schuld. Aber nun meinte der Kronprinz, wenn Gott ihm auch vergeben werde, so habe er doch den König in einem Maße beleidigt, daß er von diesem keine Verzeihung hoffen könne, und gewiß sei der Prediger nur in der Absicht gesandt, auch ihn, wie Katte, zum Tode vorzubereiten. Es kostete jenem große Mühe, einen solchen Verdacht abzuwenden, und er war nur im Stande, dem Kronprinzen durch ein starkes Gebet, das sie zusammen verrichteten, seine Fassung wiederzugeben. Der Prinz bat den Prediger, er möge seine Wohnung auf dem Schlosse nehmen, damit er ihn möglichst viel bei sich sehen könne. Müller erhielt darauf ein Zimmer über dem des Prinzen, und dieser gab ihm, oft schon des Morgens früh um sechs Uhr, das Zeichen, daß er kommen möge. Einst hatte ihm der Prediger ein geistliches Buch mitgeteilt; als er es zurückempfing, fand er darin im Deckel einen Mann gezeichnet, der unter zwei gekreuzten Schwertern kniete, und darunter die Worte des Psalms: « Herr, wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde; wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, alle Zeit meines Herzens Trost und mein Teil. »
<67>Der Prediger sandte in den ersten Tagen nach Kattes Hinrichtung täglichen Bericht an den König über die Sinnesänderung des Kronprinzen. Aber er fügte auch hinzu, daß der Prinz wegen seiner anhaltenden Traurigkeit in eine Gemütskrankheit fallen dürfte, und er bat den König, dem Sohne das Wort der Gnade nicht mehr lange vorzuenthalten. Der König verlieh dem Prediger ein geneigtes Gehör. So durfte dieser denn schon am 10. November dem Prinzen die Mitteilung machen, daß der König ihm zwar noch nicht gänzlich verzeihen könne, daß er aber des scharfen Arrests entlassen werden und sich nur innerhalb der Festungsmauern halten solle, und daß er fortan als Rat in der neumärkischen Kammer zu Küstrin werde beschäftigt werden. Die Erscheinung der väterlichen Gnade erschütterte den Kronprinzen so, daß er an der Wahrheit der Nachricht zweifelte und die Tränen nicht zurückzuhalten vermochte; nur erst der Anblick des königlichen Handschreibens an den Prediger konnte ihn davon überzeugen. Zugleich aber hatte der König verlangt, der Kronprinz solle vor einer besonders dazu verordneten Deputation einen Eid ablegen, daß er seinem Willen und Befehle in Zukunft den strengsten Gehorsam leisten und alles tun werde, was einem getreuen Diener, Untertan und Sohne zukomme; er hatte ihn nachdrücklich auf die Bedeutung eines Eides aufmerksam machen lassen und hinzugefügt, daß, wenn er den Eid je brechen sollte, er sein Recht auf die Thronfolge, vielleicht auch das Leben verlieren würde. Der Kronprinz erklärte sich zu diesem Eide bereit, ließ aber auch den König ersuchen, ihn denselben zuvor zukommen zu lassen, damit er seinen Schwur vollkommen in Erwägung ziehen und mit wahrer Überzeugung aussprechen könne. Der König gewährte die Bitte.
Bis die Einrichtungen zur Aufnahme des Prinzen in das Kammerkollegium und zu seiner künftigen Wohnung fertig waren, blieb er noch im Gefängnisse und fuhr mit dem Prediger in jenen erbaulichen Betrachtungen fort. Am 17. November kam endlich die vom König verordnete Deputation in Küstrin an. Nachdem Friedrich vor derselben den Eidschwur abgelegt, erhielt er Degen und Orden zurück, ging zur Kirche und nahm das Abendmahl. Der Hofprediger hatte mit Beziehung auf das Schicksal seines hohen Zuhörers zum Texte der Predigt die Worte des Psalmes gewählt: « Ich muß das leiden, die rechte Hand des Höchsten kann Alles ändern. » Dann schrieb Friedrich noch einen besondern Brief an den König, in welchem er seine Unterwerfung bekannte, noch einmal um Verzeihung bat und die Versicherung gab, daß es nicht die Beraubung der Freiheit, sondern die Änderung seines eigenen Sinnes gewesen sei, was ihm die Überzeugung seines Fehltrittes gegeben habe. Noch aber hatte der König nur erst dem Sohne, nicht dem Oberstleutnant Friedrich <68>vergeben; eine Uniform durfte er noch nicht tragen, sondern nur ein einfaches bürgerliches Kleid, hellgrau, mit schmalen silbernen Tressen. Doch ließ er den König durch den Feldprediger Müller, der jetzt wieder nach Berlin zurückkehrte, bitten, er möge ihm zu dem Degen, den er ihm zurückgegeben, doch auch ein Portepee, verstatten. Als der König diese Bitte des Sohnes vernahm, rief er in freudigster Überraschung aus: « Ist denn Fritz auch ein Soldat? Nun, das ist ja gut! »
<69>ACHTES KAPITEL Die Versöhnung.
Allgemein war die Freude, als die Begnadigung des Kronprinzen bekannt ward; die große Furcht, die man längere Zeit für sein Schicksal gehegt, hatte ihn dem Volke nur noch werter gemacht, als er es bereits früher war. Die österreichische Partei sorgte indes nach Kräften dafür, dem kaiserlichen Hofe das Verdienst der Begnadigung zuzuschreiben. Auch wußte der kaiserliche Gesandte, Graf Seckendorf, den König ohne sonderliche Mühe dahin zu bewegen, daß er in seiner Antwort auf des Kaisers Verwendungsschreiben es geradezu aussprach, daß der Kronprinz seine Begnadigung nur dem Kaiser zu verdanken habe und daß er nur wünsche, der Kronprinz möge sich für eine so liebevolle Verwendung stets dankbar erweisen. Zugleich wurde Friedrich selbst zu einem Dankschreiben an den Kaiser veranlaßt, worin er dieselben Ansichten aussprechen mußte. Auch war es Seckendorf, auf dessen Rat der König dem Kronprinzen jenen Eid hatte abnehmen und die Beschäftigung desselben in Küstrin für die nächste Zukunft bestimmen lassen. In dem öffentlichen Rundschreiben jedoch, <70>welches der König den verschiedenen Höfen über die Begnadigung des Kronprinzen mitteilte, führte er als den Grund der letzteren nur die eigne königliche Gnade und väterliche Milde an.
Dem Kronprinzen war in Küstrin ein eignes Haus zur Wohnung eingerichtet, eine kleine Dienerschaft und ein, freilich beschränktes, Einkommen zugewiesen worden; mit letzterem mußte möglichst sparsam gewirtschaftet und regelmäßig Rechnung abgelegt werden. An den Sitzungen der neumärkischen Kammer, in welcher er am 21. November zum ersten Male erschien und durch ein Gratulationsgedicht von Seiten der Kammerkanzlei bewillkommt wurde, nahm er als jüngster Kriegs- und Domänenrat teil, ohne daß ihm jedoch bei den Abstimmungen ein Votum zukam. In den einzelnen Teilen seines neuen Berufes, in den Finanz- und Polizeiangelegenheiten, ebenso in der Landwirtschaft und Verwaltung der Domänen, erhielt er besonderen theoretischen Unterricht. Im übrigen blieb seine Lage noch sehr beschränkt; er durfte die Stadt nicht verlassen; Lektüre, namentlich französischer Bücher, und selbst musikalische Beschäftigung blieb ihm untersagt.
Doch war der Präsident von Münchow bemüht, ihm den Aufenthalt in Küstrin möglichst angenehm zu machen; auch fehlte es nicht an anmutigen geselligen Beziehungen, die dem Kronprinzen die ursprüngliche Heiterkeit und Unbefangenheit seines Gemütes bald wiedergaben. So hatte unter anderen die verwitwete Landrätin von Manteuffel (eine geborene v. Münchow) durch geistreichen Verkehr seine Zuneigung erworben. Als sie, noch vor Ende des Jahres, im Begriff war, eine Reise auf ihre Güter zu machen, sandte er ihr, sein eignes Los schon parodierend, eine eigne scherzhafte Kabinettsordre zu, in welcher er aufs feierlichste gegen ihre beabsichtigte Desertion protestierte und einem so strafbaren Unternehmen sein Allerhöchstes Mißfallen bezeugte. Das Verbot gegen die Lektüre hatte man schon in dem engen Gefängnisse zu umgehen gewußt. Noch weniger ernstlich scheint man dem Verbote in Bezug auf die Musik nachgekommen zu sein, indem Friedrich sich von dem Generalmajor von Schwerin den Hautboisten Fredersdorf, einen vorzüglichen Flötenbläser, zur Unterstützung in seinen musikalischen Beschäftigungen erbitten durfte. Er hatte diesen schon früher kennengelernt, als er einst durch Frankfurt reiste und die Studenten ihm eine Abendmusik brachten, wobei Fredersdorf sich durch sein Flötenspiel auszeichnete. Später machte ihn Friedrich zu seinem geheimen Kämmerer, und Fredersdorf ist ihm bis an sein Ende wert geblieben.
Der Kronprinz hatte sich geschmeichelt, daß seine unbedingte und aufrichtig gemeinte Unterwerfung unter den Willen des Königs ihm auch in der Tat das Herz des Vaters zurückführen werde. Noch aber war der König keineswegs von allem <71>Mißtrauen gegen den Sohn befreit; noch argwöhnte er fort und fort, daß die notgedrungene Unterwerfung desselben nur Verstellung und daß des Sohnes Herz zur Liebe gegen ihn nicht fähig sei. Als nun der Winter verging und der Prinz noch durch kein Zeichen unmittelbarer, persönlicher Teilnahme des Vaters erfreut war, als er jener Unterrichtsgegenstände, die ihm vorgetragen wurden, sich mit einer Gewandtheit des Geistes bemächtigt hatte, die seine Lehrer in Erstaunen setzte, und doch der Kreis seiner Wirksamkeit so beschränkt blieb wie bisher, da drohte ein neuer Unmut in ihm Wurzel zu schlagen. Schon sann er auf neue Mittel, wie er sich — zwar nicht ohne Wissen und Teilnahme des Königs — aus seiner drückenden Lage befreien könne. Er glaubte, daß jene englische Heirat noch immer an dem Mißtrauen des Königs schuld sei; er erklärte also in einer vertraulichen Mitteilung an den General Grumbkow, daß er die Gedanken daran vollständig aufgegeben habe, daß er vielmehr sich bereitwillig der Absicht des Königs fügen werde, wenn dieser, wie man sage, eine Vermählung zwischen ihm und der ältesten Tochter des Kaisers zustande zu bringen gedenke. Er bemühte sich, die leichte Ausführbarkeit eines solchen Planes zu entwickeln, vorausgesetzt, daß er nicht seine Religion zu verändern brauche, und er erklärte sich hiebei auch zu der Bedingung bereit, das Recht auf die preußische Thronfolge seinem Bruder zu überlassen, indem die österreichischen Besitzungen, in Ermangelung männlicher Erben, auf die älteste Tochter des Kaisers übergehen mußten. Grumbkow vermutete indes, daß der Kronprinz diesen Plan nur entworfen habe, um dadurch überhaupt von den Gesinnungen des Königs unterrichtet zu werden; er entwickelte dem Prinzen die ganze Unausführbarkeit, und von der Sache wurde nicht weiter gesprochen.
Doch ließ es sich Grumbkow, im Interesse der österreichischen Partei, angelegen sein, eine wirkliche Versöhnung zwischen Vater und Sohn herbeizuführen. Der erste nähere Beweis der väterlichen Gnade war die Übersendung geistlicher Bücher und eines ermahnenden Briefes, welcher im Mai erfolgte. Aber es währte noch ein paar Monate, ehe der König sich entschließen konnte, den Kronprinzen wiederzusehen. Endlich, am 15. August 1731, kam er bei Gelegenheit einer Reise zum Besuche nach Küstrin. Er trat im Gouvernementshause ab und ließ den Kronprinzen aus seiner Wohnung zu sich berufen. Das Äußere des Sohnes hatte sich in dem verflossenen Jahre so verändert, daß schon der bloße Anblick dem Könige günstige Gesinnungen einflößen mußte; die französische Leichtfertigkeit seines Benehmens war verschwunden und männlicher Ernst an deren Stelle getreten. Sowie der König den Kronprinzen erblickte, fiel ihm dieser zu Füßen. Der König ließ ihn aufstehen und stellte ihm nun in einer nachdrücklichen Rede noch einmal seine Vergehungen vor; er sagte <72>ihm, wie ihn nichts so empfindlich berührt habe, als daß der Kronprinz kein Vertrauen zu ihm gehabt, da doch alles, was er zum Besten seines Hauses und seines Staates getan, nur für ihn geschehen sei; er habe nichts als die Freundschaft des Kronprinzen gewünscht. Der letztere benahm sich bei dieser Rede und bei den Fragen, die der König an ihn über die Geschichte seiner Flucht tat und die er mit Aufrichtigkeit beantwortete, so zur Zufriedenheit des Vaters, daß ihm dieser alles Geschehene liebevoll vergab. Als der König endlich im Begriff war, die Reise fortzusetzen und der Kronprinz ihn an den Wagen begleitete, umarmte er ihn vor allem Volk und versicherte ihn, daß er jetzt nicht mehr an seiner Treue zweifele, vielmehr weiter für sein Bestes sorgen wolle. Friedrich war von lebhafter Freude bewegt, ebenso das ganze Volk, welches sich um das Gouvernementshaus versammelt und in banger Erwartung auf den Ausgang der Unterredung geharrt hatte.
Der nächste Erfolg dieser Versöhnung war der, daß der Kronprinz eine größere Freiheit erhielt, als ihm bisher gestattet war, obschon der König keineswegs die Absicht hatte, sofort alles auf den alten Stand zu setzen. Vielmehr gedachte er, in weiser Rücksicht auf das wahre Wohl des Sohnes, diesen die Lehrzeit in Küstrin möglichst gründlich vollenden zu lassen. Er mußte den Sitzungen der Kammer nach wie vor beiwohnen, doch so, daß er neben den Präsidenten zu sitzen kam, mit diesem zugleich unterschrieb und in allen Angelegenheiten sein Votum mit abgab. Zugleich sollte er die königlichen Domänen in der Umgegend Küstrins, in Gesellschaft eines erfahrenen Rates, bereisen und sich praktisch in den Dingen üben, <73>die er bisher nur theoretisch erlernt. Ebenso ward für seine häusliche Bequemlichkeit gesorgt, er ward mit reicherer Garderobe versehen und erhielt eine Equipage zu seiner Verfügung.
Mit großem Eifer ergab sich der Kronprinz seinem erweiterten Berufe. Bei seinen Reisen nach den Ämtern ließ er es sich angelegen sein, sich über alle Einzelheiten der ökonomischen Verwaltung zu unterrichten; er gab dem Könige über alles Rechenschaft und bemühte sich, Vorschläge zu Verbesserungen und zur Vermehrung des Ertrages, wie sie ihm zweckmäßig schienen, vorzulegen. So trug er z. B. darauf an, daß auf dem einen Amte eine wüste Stelle urbar gemacht und ein Vorwerk darauf angelegt werden möchte, worüber er den detaillierten Anschlag einsandte; daß auf einem anderen Amte die verfallenen Wirtschaftsgebäude in einer zweckmäßigeren Verbindung neu gebaut würden; daß auf einem dritten ein großer Bruch, der zum Wildstande unbenutzbar war, geräumt und für wirtschaftliche Benutzung gewonnen würde u. s. w. Der König ging mit inniger Freude auf solche Vorschläge ein, suchte den Kronprinzen auf alles einzelne, was dabei zu berücksichtigen sei, aufmerksam zu machen und durch diese Teilnahme seinen Eifer rege zu halten. Er hatte die Genugtuung, daß bald auch von seiten der Männer, denen er die Beaufsichtigung Friedrichs anbefohlen, die vorteilhaftesten Berichte über die erfolgreiche Tätigkeit desselben einliefen. Zugleich versäumte der Kronprinz nicht, sich in <74>minder wichtigen Dingen den Wünschen des Königs zu bequemen. Ohne eigne Neigung zur Jagd berichtete er von dem Wildstande, den er in den verschiedenen Gegenden vorgefunden, von den seltenen Tieren, die er bemerkt, von der Anzahl Sauen, die er selbst erlegt habe, u. s. w. Auch ließ er, gewiß nicht ohne Absicht, in seinen Briefen manche Bemerkungen über soldatische Angelegenheiten einfließen, denn immer noch entbehrte er des höchsten Beweises der väterlichen Verzeihung, der militärischen Uniform. Endlich fehlte es auch nicht an erfahrenen Freundesstimmen, die durch klugen Rat dahin einwirkten, daß der Kronprinz sein persönliches Betragen in der Gesellschaft, namentlich in seinem Verhältnisse zum Könige, immer mehr dem Wunsche und der Neigung des letzteren gemäß einrichtete. Unter diesen Ratgebern ist besonders Grumbkow, in dieser Beziehung nur ehrenvoll, zu erwähnen.
In Berlin, in der königlichen Familie selbst, hatten unterdessen die Verhältnisse ebenfalls eine Gestalt gewonnen, welche Beruhigung nach so vielen Kümmernissen erwarten ließ. Die Prinzessin Wilhelmine hatte sich, obgleich die Mutter noch immer, wenigstens in Bezug auf sie, die Verbindung mit England unterhielt, endlich entschlossen, einem der Prinzen, welche ihr vom Vater vorgeschlagen wurden, ihre Hand zu geben. Unter drei Freiwerbern wählte sie, weil ihr die beiden andern bekannt und widerwärtig waren, den einen, den sie nicht kannte, den Erbprinzen von Bayreuth, und sie hatte sich in Wahrheit über das Los, welches sie gezogen, nicht zu beklagen. Am 1. Juni war die Verlobung geschehen; die Vermählung erfolgte am 20. November desselben Jahres. Es ist zu bemerken, daß am Tage der Verlobung und am Tage der Vermählung, beide Male aber zu spät, ein englischer Kurier in Berlin angekommen war, der dem König sehr annehmliche Anträge über eine Verbindung der Prinzessin Wilhelmine mit einem englischen Prinzen gebracht hatte. Daß der Kurier beide Male zu spät kam, ließ indes an der Aufrichtigkeit Englands zweifeln.
Der König hatte seiner Tochter, zum Danke für ihr Eingehen in seine Wünsche, versprochen, daß die gänzliche Befreiung des Kronprinzen unmittelbar nach ihrer Hochzeit stattfinden solle. Der vierte Tag der Hochzeitsfeierlichkeiten wurde von dem Könige durch einen großen Ball in den Prunkzimmern des Schlosses gefeiert, und es wurde eben ein Menuett getanzt, als der Kronprinz eintrat. Nicht bloß sein Benehmen, auch seine körperliche Erscheinung hatte sich in der langen Zeit seiner Abwesenheit geändert; er war größer und stärker geworden; in dem schlichten hechtgrauen Kleide, welches er auch jetzt noch trug, mischte er sich unbemerkt unter die Hofbedienten, die in der Nähe der Tür standen. Niemand außer dem Könige wußte um seine <75>Anwesenheit, und es währte geraume Zeit, ehe er erkannt wurde. Endlich ward die Königin, die beim Spiele saß, durch die Oberhofmeisterin von seiner Anwesenheit benachrichtigt; sie legte die Karten weg, ging ihm entgegen und schloß ihn in ihre Arme. Die Prinzessin Wilhelmine war außer sich vor Freude, als sie durch Grumbkow, mit dem sie gerade im Tanze begriffen war, die Ankunft des Bruders vernahm; aber auch sie suchte lange mit den Augen, ehe sie ihn erkannte. Nachdem sie ihn mit der innigsten Zärtlichkeit bewillkommnet, warf sie sich dem Vater zu Füßen und <76>drückte diesem die Gefühle ihrer Dankbarkeit so lebhaft aus, daß er den Tränen nicht zu widerstehen vermochte. Auffallend gegen solche Zärtlichkeit war das kühle Betragen des Bruders, so daß er selbst einer vorübergehenden Mißbilligung von seiten des Königs nicht entging. Der Grund dieses Betragens lag einesteils wohl darin, daß Friedrich, eben aus Rücksicht auf den Vater, den Entschluß gefaßt haben mochte, die Vertraulichkeit mit der Schwester, die früher zu so vielen Anschuldigungen Anlaß gegeben hatte, öffentlich nicht mehr in gleichem Maße fortzusetzen; sodann aber war er in der Tat inzwischen ein anderer geworden, und seine Gedanken waren nicht mehr, wie in den früheren Zusammenkünften mit der Schwester, allein auf Spiele und Scherze gerichtet. Die Prinzessin empfand diese Entfremdung mit Kümmernis, doch kehrte die alte Innigkeit zwischen Beiden bald zurück.
Einige Tage darauf erbaten die sämtlichen höheren Offiziere, die in Berlin anwesend waren, unter Anführung des Fürsten von Dessau, die Wiederaufnahme des Kronprinzen in den Militärdienst. Am 30. November erhielt er die Uniform eines Infanterie-Regimentes, zu dessen künftigem Befehlshaber er ernannt wurde. Für den Winter indes mußte er die Uniform noch einmal mit seinem bürgerlichen Kleide vertauschen und in den Kreis seiner bisherigen Tätigkeit nach Küstrin zurückkehren. Mit erneutem Eifer und zur stets wachsenden Zufriedenheit des Vaters ging er hier auf die ihm übertragenen Beschäftigungen ein. Die Inspektionsreisen wurden ausgedehnter, und vornehmlich waren es jetzt die in jener Gegend vorhandenen Glashütten und deren Betrieb, was ihm Gelegenheit zur Bereicherung seiner Kenntnisse darbot. Er benutzte dies sorgfältig und wußte den Ertrag, den die Glashütten brachten, ungleich vorteilhafter, wie bisher, zu gestalten. Er entwarf auch einen Plan, wie diese Verbesserungen in der Verwaltung des Glashütten auf den sämtlichen Domänen des Landes durchzuführen seien, und der König, dem jede Vermehrung des Einkommens sehr genehm war, befahl, daß nach dem Plane des Kronprinzen in allen Provinzen verfahren werden solle. Aber auch jetzt wurden die militärischen Angelegenheiten nicht versäumt; als besondere Gnade bat sich Friedrich vom König das Exerzier-Reglement aus und suchte sich durch eifriges Studium desselben auch für den kriegerischen Dienst geschickt zu machen. Nachdem ein Fieber, welches den Kronprinzen gegen das Ende des Januar 1732 befiel, dem Könige noch besondere Gelegenheit gegeben hatte, durch sorgfältige Anordnungen für die Gesundheit des Sohnes seine zurückgekehrte väterliche Liebe zu bezeugen, wurde dieser endlich im Februar nach Berlin zurückgerufen, zum Obersten und Befehlshaber des von der Goltzischen Regimentes ernannt und ihm die Stadt Ruppin zu <77>seinem Standquartiere angewiesen. Als Friedrich in Küstrin von dem Präsidenten von Münchow Abschied nahm und dieser ihn bei der letzten vertraulichen Unterredung fragte, was wohl dereinst, nach seiner Thronbesteigung, diejenigen von ihm zu erwarten haben würden, die sich in der Zeit des Zwiespaltes mit dem Könige feindselig gegen ihn benommen hatten, erwiderte er: « Ich werde feurige Kohlen auf ihr Haupt sammeln! »
<78>NEUNTES KAPITEL Die Vermählung.
Der Friede zwischen dem Könige und seinem Sohne war nunmehr geschlossen. Aber ebenso wie der Kronprinz war auch der Vater bemüht, die Gelegenheiten zu neuem Bruche zu vermeiden. Und weil er wohl erkannt hatte, daß die Natur dem Charakter seines Sohnes eine andere Richtung als dem seinigen gegeben hatte und daß es unmöglich sein würde, ihn ganz zu seinem Ebenbilde umzugestalten, so hielt er fortan eine Trennung des gewöhnlichen Aufenthaltes, wie solche schon im verflossenen Jahre so vorteilhaft gewirkt hatte, für notwendig. Dies war der Grund, weshalb dem Kronprinzen das 9 Meilen entfernte Ruppin zum künftigen Wohnorte angewiesen war. Hier mußte ihm natürlich eine größere Freiheit in seinem Tun und Treiben verstattet sein, vorausgesetzt, daß er im übrigen die Anordnungen seines Vaters, namentlich seine Ausbildung für den Soldatendienst, die ihm jetzt als wichtigste Pflicht oblag, befolgte. Diese weise Maßregel bewährte sich in solchem Maße, daß von jetzt an das Vertrauen zwischen Sohn und Vater nur im Zunehmen begriffen blieb, und daß augenblickliche Mißverhältnisse, die allerdings bei so verschiedenen <79>Charakteren und bei der feststehenden Geistesrichtung des Königs nicht ganz ausbleiben konnten, doch ohne weitere Folgen vorübergingen.
Zunächst hatte freilich der Sohn, um seine vollkommene Unterwerfung unter den Willen des Vaters zu bezeugen, noch einen sehr schmerzlichen Kampf zu bestehen. Um einen der wichtigsten Anlässe zu weiterer Mißhelligkeit zu beseitigen, dachte der Vater sehr ernstlich an die Verheiratung des Kronprinzen. Schon während sich der letztere in Küstrin aufhielt, waren die ersten Einleitungen dazu getroffen. Die österreichische Partei, die den König noch immer ausschließlich beherrschte und die mit aller Macht den noch immer nicht ganz besiegten englischen Einflüssen entgegenzuarbeiten suchte, wußte es dahin zu bringen, daß eine Nichte der Kaiserin, Elisabeth Christine, eine Prinzessin von Braunschweig-Bevern, in Vorschlag gebracht wurde. Friedrich Wilhelm ging hierauf um so freudiger ein, als ihm der Vater der Prinzessin persönlich vor vielen Fürsten wert war. Der Kronprinz gab seine Zustimmung, aber mit Verzweiflung im Herzen. Man hatte ihm gesagt, die Prinzessin sei häßlich und sehr beschränkten Geistes; und er, in der ersten Blüte der Jugend, aller Lust des Lebens um so eifriger zugetan, je entschlossener die seltene Gelegenheit erhascht werden mußte, sollte sich so früh durch ein Band fesseln lassen, das in zwiefacher Beziehung seinen Neigungen widersprach! Er suchte einen andern Ausweg. Die Prinzessin Katharine von Mecklenburg, Nichte der Kaiserin Anna von Rußland und von dieser an Kindesstatt angenommen, schien seinen Wünschen ein ungleich angemessenerer Gegenstand. Als er jedoch hierüber Mitteilungen machte und eine solche Wahl wiederum dem österreichischen Hofe sehr bedenklich erschien, so wurden die Anstrengungen von dieser Seite, rücksichtlich der Prinzessin von Braunschweig, verdoppelt und der Wille des Königs von Preußen unwiderruflich bestimmt.
Schon im März 1732, als der Herzog Franz Stephan von Lothringen, der künftige Schwiegersohn des Kaisers, einen Besuch am Hofe von Berlin abstattete, und zu den ehrenvollen Festlichkeiten, mit denen derselbe empfangen wurde, auch die braunschweigischen Herrschaften eingeladen waren, wurde die Verlobung des Kronprinzen mit der Prinzessin Elisabeth Christine gefeiert. Friedrich fand sich, zu seiner großen Beruhigung, durch die früheren Berichte über seine Braut getäuscht; denn sie war keineswegs häßlich, vielmehr von eigentümlicher Anmut in der äußeren Erscheinung, und die übergroße Schüchternheit ihres Benehmens, die sie als beschränkt erscheinen ließ, hoffte er später zu beseitigen. Doch war er klug genug, sich von dieser Veränderung seiner Gesinnungen nichts merken zu lassen, damit der Vater das Opfer, welches er ihm darbrachte, um so höher anschlagen möge Österreichischerseits tat man alles, um die Prinzessin bis zur Vermählung den Wün<80>schen des Kronprinzen gemäß auszubilden; man sorgte für eine geschickte Hofmeisterin; man bemühte sich später sogar, einen ausgezeichneten Tanzmeister für sie zu werben, da der Kronprinz, der damals mit ebenso großer Leidenschaft wie Anmut tanzte, sich über ihren Tanz mißfällig geäußert hatte. Die Heirat war auf das nächste Jahr bestimmt; vom kaiserlichen Hofe suchte man dieselbe nach Möglichkeit zu beschleunigen, damit das bisher Gewonnene nicht wieder verlorengehe, welches letztere der damals sehr schwankende Gesundheitszustand des Königs befürchten ließ.
Nach Beendigung der Festlichkeiten kehrte der Kronprinz nach Ruppin zurück. Die Ruhe, welche er hier genoß, tat seinem Geiste innig wohl. Zwar ließ er es sich aufs eifrigste angelegen sein, das ihm anvertraute Regiment unablässig zu üben, für dessen Wohl und Tüchtigkeit zu sorgen, besonders aber, demselben durch die Anwerbung großer Rekruten in den Augen des Königs ein möglichst stattliches Ansehen zu verschaffen; auch versäumte er nicht die ökonomischen Angelegenheiten, die ihm der König gleichzeitig aufgetragen hatte; doch waren die Mußestunden hier ohne weiteren Zwang der Bildung seines Geistes, der Lektüre und Musik gewidmet. Ernstlicher als in früherer Zeit konnte er jetzt auf eine wissenschaftliche Durchbildung bedacht sein, und die großen Männer und die großen Taten der Vorzeit traten im Spiegel der Geschichte, zu gleichem Tun begeisternd, vor sein inneres Auge. Nach bei Ruppin selbst, bei Fehrbellin, war klassischer Boden: hier hatte vor einem halben Jahrhundert des Kronprinzen Ahnherr, der Große Kurfürst, die Scharen der <81>Schweden wie ein Gewittersturm vernichtet und sein Land freigemacht. Er besuchte die Walstatt, sich von allen Einzelheiten des denkwürdigen Vorganges zu unterrichten, wohl ahnend, daß seine eigne Zukunft ein solches Studium notwendig machen werde. Ein alter Bürger von Ruppin, der jener Schlacht in seiner Jugend beigewohnt, war sein Führer. Als man die Besichtigung vollendet hatte, fragte diesen der Prinz heiteren Mutes, ob er ihm nicht die Ursache jenes Krieges sagen könne. Treuherzig erwiderte der Alte, der Kurfürst und der Schwedenkönig hätten in ihrer Jugend zusammen in Utrecht studiert, hätten sich aber so wenig miteinander vertragen können, daß es endlich zu solchem Ausbruche habe kommen müssen. Er wußte nicht, daß ein ähnliches Verhältnis zwischen Friedrichs eignem Vater und dem Könige von England fast zu gleichen Folgen geführt hatte, und daß es nicht ohne wesentlichen Einfluß auf das Schicksal des Kronprinzen gewesen war.
Zu gleicher Zeit aber sollte ihm auch die Gegenwart das großartigste Beispiel zur Nacheiferung darbieten, und es mußte dasselbe um so tiefer auf sein Gemüt wirken, als es gerade der eigne Vater war, der sich hiedurch den Augen der Welt in hochwürdiger Weise darstellte. Es war das Jahr 1732, in welchem Friedrich Wilhelm den protestantischen Bewohnern von Salzburg, die in der Heimat um ihres Glaubens willen bedrückt und verfolgt wurden, seine königliche Hilfe darbot und ihnen in seinen Staaten eine neue Heimat und eine sichere Freistatt eröffnete.
In unzähligen Scharen, mehr als zwanzigtausend, betraten die Auswanderer das gastliche Land, wo ihnen, in den Provinzen Preußen und Litauen, weite, fruchtbare Strecken, die durch die Pest entvölkert waren, angewiesen wurden. Viele hatten ihr Hab und Gut im Stiche lassen müssen; um so eifriger kam man ihnen in allen Orten des preußischen Staates, die sie durchzogen, mit wohltätiger Spende entgegen, indem überall das Beispiel im Kleinen nachgeahmt ward, welches der König im Großen ausübte. Von Friedrichs Gesinnung zeugen seine Briefe aus jener Zeit. « Mein Herz treibt mich (so schreibt er aus Ruppin an Grumbkow), das traurige Los der Ausgewanderten kennenzulernen. Die Standhaftigkeit, welche diese braven Leute bezeugt, und die Unerschrockenheit, mit welcher sie alle Leiden der Welt ertragen haben, um nur nicht der einzigen Religion zu entsagen, die uns die wahre Lehre unsres Erlösers kennen lehrt, kann man, wie es mir scheint, nicht genug vergelten. Ich würde mich gern meines Hemdes berauben, um es mit diesen Unglücklichen zu teilen. Ich bitte Sie, verschaffen Sie mir Mittel, um ihnen beizustehen; von ganzem Herzen will ich von dem geringen Vermögen, das ich besitze, alles hergeben, was ich ersparen kann » u. s. w. « Ich versichere Sie (so fährt er in einem andern Briefe fort), je mehr ich an die Angelegenheit der Ausgewanderten <82>denke, je mehr zerreißt sie mir das Herz. » — Wir haben keine Zeugnisse, wieviel der Kronprinz für jene Unglücklichen getan; aber es sind Züge seines Lebens genug, und auch aus jener Zeit, vorhanden, die es erkennen lassen, daß solche Äußerungen gewiß durch Taten begleitet waren.
In der einen soeben angeführten Briefstelle bittet Friedrich den General Grumbkow, der sich das Vertrauen des Kronprinzen zu erwerben gewußt, ihm Geldmittel zu verschaffen: er war solcher Unterstützung nur zu sehr bedürftig. Er war vom Könige immer noch auf eine im Verhältnisse zu seiner Stellung beschränkte Einnahme hingewiesen. Dabei hatte er es, trotz aller Fürsorge des Königs, noch immer nicht lernen können, sich eines sparsamen Haushaltes zu befleißigen; manche bedeutendere Ausgaben wurden ihm, teils durch äußere, teils durch innere Notwendigkeit auferlegt, und bald war die Summe seiner Schulden aufs neue zu einer namhaften Höhe angewachsen. Die großen Rekruten, die einmal zur Ausstaffierung seines Regimentes unumgänglich nötig waren, konnten nur durch die Aufopferung bedeutender Mittel <83>angeworben werden. Seine Schwester, die Gemahlin des Erbprinzen von Bayreuth, befand sich in einer ebenfalls sehr unbehaglichen Lage, indem sie weder in Bayreuth von ihrem Schwiegervater, noch in Berlin von ihrem Vater eine genügende Ausstattung erhalten hatte; seinem alten treuen Lehrer Dühan ging es in seiner Verbannung auch nur kümmerlich; beide liebte er zärtlich, und er betrachtete sich als Schuld der Ungnade, die der König auf sie geworfen hatte. Gern teilte er mit ihnen, was er aufzubringen imstande war. Solche Verhältnisse aber waren dem österreichischen Hofe im allerhöchsten Maße erwünscht; sie gaben Gelegenheit, den Kronprinzen, den ein jeder Tag zum Beherrscher machen konnte, auf eine festere Weise als durch die bisherigen Versuche an die Interessen Österreichs zu knüpfen. Man leistete ihm bedeutende Vorschüsse, die bald den Charakter eines förmlichen Jahrgehalts annahmen; man gewährte dasselbe der Prinzessin von Bayreuth, indem man den Einfluß wohl kannte, den gerade sie auf den Kronprinzen ausübte; man verschaffte Dühan eine kleine Stellung in Wolfenbüttel und sicherte auch ihm eine besondere Pension zu. Mit der äußersten Vorsicht wußte man alles dies zu bewerkstelligen, so daß der König davon keine Kunde erhielt. Friedrich war wohl imstande, die Absicht des österreichischen Hofes zu durchschauen; aber er nahm das an, wozu ihn die Notwendigkeit zwang. Wie wenig ehrlich die österreichische Gesinnung bei solcher Teilnahme war, wie wenig sie wahrhaften Dank verdiente, zeigte sich nur zu bald.
Das Hauptinteresse, durch welches Kaiser Karl VI. in allen seinen politischen Unternehmungen geleitet ward, war jene pragmatische Sanktion, welche das Erbfolgerecht seiner Töchter verbürgen sollte. Die Verbindung mit Preußen war eingeleitet worden, weil Friedrich Wilhelm der Sanktion beizutreten versprochen hatte; mit England hatte man in feindlichem Verhältnisse gestanden, weil man hier Widerspruch fand. Das Verhältnis änderte sich, sowie England der Sanktion beitrat. Nun suchte man dem englischen Hofe gefällig zu sein, und Preußen sollte das Mittel dazu werden. Der König von England hätte noch immer gern eine seiner Töchter zur künftigen Königin von Preußen gemacht; kaum war der Wunsch ausgesprochen, so kehrte sich auch plötzlich die österreichische Politik in Bezug auf Friedrichs Verheiratung um, und so eifrig man bisher an einer Verbindung mit der Prinzessin von Braunschweig gearbeitet hatte, mit ebenso behenden Intrigen suchte man nun das angefangene Werk zugunsten Englands umzustürzen; dabei ward auch anderweitiger Vorteil nicht vergessen, und die Prinzessin Elisabeth Christine, die Nichte der Kaiserin, sollte nun einem englischen Prinzen zuteil werden. Man ging sogar in diesem diplomatischen Eifer so weit, daß man noch am Vorabende von Friedrichs <84>Hochzeit dem Könige von Preußen die dringendsten Vorstellungen machen ließ. Diesmal aber scheiterten die Künste der Diplomatie an Friedrich Wilhelms deutscher Ehrlichkeit; man erreichte damit nur, daß ihm die englischen Absichten aufs neue verdächtig wurden, indem die Anträge jetzt zu spät kamen, und daß er auch sehr lebhafte Zweifel an der Aufrichtigkeit Österreichs gegen seine Wünsche zu schöpfen begann. Selbst Friedrich bezeigte sich den veränderten Anträgen wenig günstig, da auch er der Meinung war, daß die Verbindung seiner geliebten älteren Schwester mit einem englischen Prinzen wesentlich nur durch Englands Schuld sei abgebrochen worden.
So ging denn die Vermählung des Kronprinzen mit der Prinzessin Elisabeth Christine im Juni 1733 vor sich. Der preußische Hof war zu dem Endzwecke nach Salzdahlum gereist, einem Lustschlosse des Herzogs Ludwig Rudolph von Braunschweig-Wolfenbüttel, der als Großvater der Braut die Feierlichkeiten der Hochzeit <85>besorgte. Die Trauung ward am 12. Juni durch den berühmten Theologen Abt Mosheim verrichtet. Das Fest wurde durch die Entwickelung großer Pracht verherrlicht, aber es fehlte dabei der frohe Mut. Die Königin von Preußen war in Verzweiflung, daß nun alle ihre Pläne gescheitert waren; die Braut war ohne Willen den Bestimmungen der Ihrigen gefolgt, aber ihre frühere Schüchternheit wurde nur durch all das äußere Gepränge vermehrt; Friedrich hatte zwar seinen Widerwillen abgelegt, aber er fand es gut, vor den Augen der Welt seine Rolle fortzuspielen; der König schien durch das Benehmen des Sohnes nachdenklich gemacht, während zugleich jene englisch-österreichischen Anträge nur geeignet waren, seine Stimmung zu verderben. Nach einigen Tagen kehrten die sämtlichen Herrschaften, die preußischen und die braunschweigischen, nach Berlin zurück, wo am 27. Juni, nachdem man sich durch militärische Schaustellungen zu vergnügen gesucht, der feierliche Einzug in einer langen Reihe prachtvoller Wagen gehalten wurde. Dann folgten neue Festlichkeiten, die mit der schon früher besprochenen Vermählung der Prinzessin Philippine Charlotte, einer jüngern Schwester Friedrichs, mit dem Erbprinzen Karl von Braunschweig beschlossen wurden.
Für Friedrichs Aufenthalt in Berlin war das frühere Gouvernementshaus (das seitherige Palais des Königs) eingerichtet und erweitert worden. Um ihm auch den Aufenthalt bei seinem Regimente in Ruppin angenehmer zu machen, kaufte der König für ihn das Schloß Rheinsberg, welches, bei einem Städtchen gleichen Namens, zwei Meilen von Ruppin in anmutiger Gegend gelegen ist, als er vernommen hatte, daß er hiedurch einen Lieblingswunsch des Sohnes erfüllen könne. Für den Umbau und die Einrichtung des Schlosses wurde eine namhafte Summe ausgesetzt.
<86>ZEHNTES KAPITEL Der erste Anblick des Krieges.
Friedrich hatte bisher den militärischen Dienst nur auf dem Exerzierplatze kennengelernt; jetzt sollte ihm auch die ernste Anwendung dieses Dienstes im Kriege entgegentreten.
Den Anlaß zu einem Kriege, an welchem Preußen teilnahm, gab eine Streitigkeit um den Besitz Polens. König August II. war am 1. Februar 1733 gestorben. Er hatte, gegen die Verfassung Polens, welche kein Erbgesetz kannte und die königliche Macht durch freie Wahl austeilte, die polnische Krone als ein erbliches Gut für seine Familie zu erwerben gesucht. Zunächst zwar ohne Erfolg; doch trat sein Sohn, nachmals August III. genannt, der ihm in Sachsen als Kurfürst gefolgt war, als Bewerber um die polnische Krone auf, indem Rußland und Österreich seinen Schritten einen energischen Nachdruck gaben. Ihm entgegen stand Stanislaus Lesczynski, der Schwiegervater des Königs von Frankreich, Ludwigs XV., der schon früher einige Jahre hindurch, als August II. der Macht des Schwedenkönigs, Karls XII., hatte weichen müssen, mit dem Glanze der polnischen Krone geschmückt gewesen war; für ihn sprach das Wort seines Schwiegersohnes. Polen selbst war in Parteien zerrissen; einst ein mächtiges Reich, war es jetzt keiner Selbständigkeit, keiner wahren Freiheit mehr fähig, und schon lange Zeit hatte es nur durch fremde <87>Gewalt gelenkt werden können. August III. siegte durch die kriegerische Macht seiner Verbündeten, während Frankreich es für Stanislaus fast nur bei leeren Versprechungen bewenden ließ. Aber ein sehr willkommener Anlaß war es dem französischen Hofe, für ein solches Verfahren, für solche Eingriffe in die sogenannte polnische Wahlfreiheit an Österreich den Krieg zu erklären, um abermals, wie es schon seit einem Jahrhundert Frankreichs Sitte war, seine Grenzen auf die Lande des deutschen Reiches hin ausdehnen zu können. Die Kriegserklärung erfolgte im Oktober 1733.
Friedrich Wilhelm hatte sich früher der Verbindung Rußlands und Österreichs in Rücksicht auf Polen angeschlossen, wozu ihm vorläufig, neben anderen Vorteilen, abermals jene bergische Erbfolge zugesichert war. Da es aber auch jetzt hierüber zu keiner schließlichen Bestimmung kam, so hatte er sich auch nicht näher in die polnischen Händel gemischt. Als aber die französische Kriegserklärung erfolgte, verhieß er dem Kaiser die Beihilfe von 40,000 Kriegern, wenn seinen Wünschen nunmehr genügend gewillfahrtet würde. Aufs neue jedoch erhielt er ausweichende Antworten, und so gab er nur, wozu er durch sein älteres Bündnis mit dem Kaiser verpflichtet war, eine Unterstützung von 10,000 Mann, welche im Frühjahr 1734 zu dem kaiserlichen Heere abging. Den Oberbefehl über das letztere führte Prinz Eugen von Savoyen, der im kaiserlichen Dienste ergraut und dessen Name durch die Siege, die er in seinen früheren Jahren erfochten hatte, hochberühmt war. Dem Könige von Preußen schien die Gelegenheit günstig, um den Kronprinzen unter so gefeierter Leitung in die ernste Kunst des Krieges einweihen zu lassen, und so folgte dieser, als Freiwilliger, den preußischen Regimentern. Kurze Zeit nach ihm ging auch der König selbst zum Feldlager ab.
Das französische Heer, das mit schnellen Schritten in Deutschland eingerückt war, belagerte die Reichsfestung Philippsburg am Rhein. Eugens Heer war zum Entsatz der Festung herangezogen; das Hauptlager des letzteren war zu Wiesenthal, einem Dorfe, das von den französischen Verschanzungen nur auf die Weite eines Kanonenschusses entfernt lag. Hier traf Friedrich am siebenten Juli ein. Kaum angekommen, begab er sich sogleich zum Prinzen Eugen, den einundsiebzigjährigen Helden von Angesicht zu sehen, dessen Name noch als der erste Stern des Ruhmes am deutschen Himmel glänzte, sowie er auch heutiges Tages noch in den Liedern des deutschen Volkes lebt. Friedrich bat ihn um die Erlaubnis, « zuzusehen, wie ein Held sich Lorbeeren sammele ». Eugen wußte auf so feine Schmeichelei Verbindliches zu erwidern; er bedauerte, daß er nicht schon früher das Glück gehabt habe, den Kronprinzen bei sich zu sehen: dann würde er Gelegenheit gefunden haben, ihm manche Dinge zu zeigen, die für einen Heerführer von Nutzen seien und in ähnlichen Fällen <88>mit Vorteil angewandt werden könnten. « Denn », setzte er mit dem Blicke des Kenners hinzu, « alles an Ihnen verrät mir, daß Sie sich einst als ein tapferer Feldherr zeigen werden. »
Eugen lud den Prinzen ein, bei ihm zu speisen. Während man an der Tafel saß, ward von den Franzosen heftig geschossen; doch achtete man dessen wenig, und das Gespräch ging ungestört seinen heiteren Gang. Friedrich aber freute sich, wenn er eine Gesundheit ausbrachte und seinen Trinkspruch von dem Donner des feindlichen Geschützes begleiten hörte.
Eugen fand an dem jugendlichen Kronprinzen ein lebhaftes Wohlgefallen; sein Geist, sein Scharfsinn, sein männliches Betragen überraschten ihn und zogen ihn an. Zwei Tage nach Friedrichs Ankunft machte er ihm, in Gesellschaft des Herzogs von Württemberg, einen Gegenbesuch und verweilte geraume Zeit in seinem Zelte. <89>Als beide Gäste sich entfernten, ging Eugen zufällig voran, ihm folgte der Herzog von Württemberg. Friedrich, der den letzteren schon von früherer Zeit her kannte, umarmte diesen und küßte ihn. Schnell wandte sich Eugen um und fragte: « Wollen denn Ew. Königliche Hoheit meine alten Backen nicht auch küssen? » Mit herzlicher Freude erfüllte Friedrich die Bitte des Feldherrn.
Prinz Eugen bewies dem Kronprinzen seine Zuneigung auch dadurch, daß er ihm ein Geschenk von vier ausgesuchten, großen und schöngewachsenen Rekruten machte. Zu jedem Kriegsrate ward Friedrich zugezogen. Dieser aber war bemüht, sich solcher Zuneigung durch eifrige Teilnahme an allen kriegerischen Angelegenheiten würdig zu machen. Er teilte die Beschwerden des Feldlagers und unterrichtete sich sorgfältig über die Behandlung der Soldaten im Felde. Täglich beritt er, solange die Belagerung anhielt, die Linien, und wo nur etwas von Bedeutung vorfiel, fehlte er nie. Von kriegerischer Unerschrockenheit gab er schon jetzt eine seltene Probe. Er war nämlich einst, mit ziemlich großem Gefolge, ausgeritten, die Linien von Philippsburg zu besichtigen. Als er durch ein sehr lichtes Gehölz zurückkehrte, begleitete ihn das feindliche Geschütz ohne Aufhören, so daß mehrere Bäume zu seinen Seiten zertrümmert wurden; doch behielt sein Pferd den ruhigen Schritt bei, und selbst seine Hand, die den Zügel hielt, verriet nicht die mindeste ungewöhnliche Bewegung. Man bemerkte vielmehr, daß er ruhig in seinem Gespräche mit den Generalen, die neben ihm ritten, fortfuhr, und man bewunderte seine Haltung in einer Gefahr, mit welcher sich vertraut zu machen er bisher noch keine Gelegenheit gehabt hatte.
<90>So konnte denn Prinz Eugen, als Friedrich Wilhelm im Feldlager eintraf, das günstigste Zeugnis über den Kronprinzen ablegen; er versicherte dem Könige, daß der Prinz in Zukunft einer der größten Feldherren werden müsse. Ein solches Lob, und aus dem Munde eines so ausgezeichneten Heerführers, bereitete dem Könige die größte Freude; er äußerte, wie ihm dies um so lieber sei, als er immer daran gezweifelt, daß sein Sohn Neigung zum Soldatenstande habe. Fortan betrachtete er den letzteren mit immer günstigeren Augen.
Wie tief der Eindruck war, den die Erscheinung des gefeierten Helden auf Friedrich hervorbrachte, wie lebhaft dieselbe seinen Geist zur Nacheiferung anreizte, bezeugt ein Gedicht, das er im Lager geschrieben hat, das früheste unter denen, die sich aus seiner Jugendzeit erhalten haben. Spricht sich hierin sein Gefühl auch in jener rhetorischen Umhüllung aus, welche die ganze französische Poesie seiner Zeit, nach der er sich bildete, charakterisiert, so ist es doch der zugrunde liegenden Gesinnung wegen merkwürdig genug. Es ist eine Ode an den Ruhm, den er als den Urheber alles Großen, was durch das Schwert und durch die Kunst des Wortes hervorgerufen wurde, hinstellt. Er führt die Beispiele der Geschichte an, hebt unter diesen besonders die Taten Eugens hervor und schließt mit seiner eignen Zukunft. Die bedeutungsvolle Schlußstrophe dürfte sich etwa mit folgenden Worten (denn das Gedicht ist, wie alle Schriften Friedrichs, französisch) übersetzen lassen:
O Ruhm, dem ich zum Opfer weihe
Der Freuden hold erblühten Kranz:
O Ruhm, dein bin ich! so verleihe
Du meinem Leben hellen Glanz!
Und dräuen mir des Todes Scharen,
Du kannst noch einen Strahl bewahren
Des Geistes, welcher glüht in mir;
Schließ auf das Tor mit deinen Händen,
Auf deinen Pfad mich hinzuwenden: —
Dir leb ich und ich sterbe dir!
Weniger bedeutend ist ein zweites Gedicht aus derselben Zeit, in welchem Friedrich die Greuel des Krieges zu schildern sucht und mit innerer Genugtuung hinzufügt, daß er sich hiebei sein zarteres Gefühl erhalten habe.
Indes war dieser Feldzug wenig geeignet, den Teilnehmern an demselben einen Ruhm, wie ihn Friedrich wünschte, zu gewähren. Die österreichischen Regimenter waren schlecht diszipliniert und bildeten einen sehr auffallenden Gegensatz gegen die vortreffliche Beschaffenheit der, an Zahl freilich geringeren, preußischen Truppen. Friedrich selbst war, als er nach der Heimat zurückkehrte, mit Verachtung gegen die Prahlerei und das unkriegerische Benehmen der Österreicher erfüllt, — ein Umstand, der gewiß auf seine späteren Pläne und Entschließungen gegen Österreich wesentlich eingewirkt hat. Eugen hatte das Feuer seiner Jugend verloren und wagte es nicht, den wohlerworbenen Ruhm noch einmal aufs Spiel zu setzen. So geschah es, daß man, statt die ungünstige Stellung der Franzosen mit rascher Ent<91>schlossenheit zu benutzen, in Ruhe zusah, wie Philippsburg von ihnen, schon am 18. Juli, eingenommen wurde. Damit war die Hoffnung auf große Taten verloren.
Die tatenlose Muße des Feldlagers zu vertreiben, geriet Friedrich einst mit einigen gleichgestimmten jungen Freunden auf die Ausführung eines sonderbaren Planes. Ihm dünkte nämlich der Schlaf eine große Beschränkung des Lebens zu sein; die Entbehrung desselben schien dem Leben einen doppelten Wert zu verheißen. Man wagte den Versuch, indem man dem guten Willen durch den Genuß starken Kaffees nachzuhelfen bemüht war. Vier Tage lang hatte man in solcher Weise ohne Schlaf zugebracht, als die Natur ihre Rechte forderte. Man schlief über Tische ein, Friedrich war in Gefahr, krank zu werden, und man begnügte sich fortan mit dem einfachen Werte des Lebens.
Friedrich Wilhelm verließ das Heer, mißvergnügt über die schlechten Erfolge, schon im August, wurde aber unterwegs von einer gefährlichen Krankheit befallen und kehrte im September in einem sehr bedenklichen Zustande heim. Der Kronprinz hatte den Auftrag, die preußischen Truppen in die Winterquartiere zu führen; die Krankheit des Vaters trieb ihn zur Beschleunigung seines Geschäftes, und schon in der Mitte des Oktobers war auch er wieder bei den Seinen. Der König bewies ihm jetzt, indem er selbst den ganzen Winter hindurch das Zimmer und Bett hüten mußte, das ehrenvolle Vertrauen, daß er ihn alle einlaufenden Sachen an seiner Statt unterzeichnen ließ. So drohend die Krankheit des Königs indes gewesen war, so genas er doch im nächsten Frühjahr wieder, wenn auch die Folgen des Übels nicht mehr ausgerottet werden konnten. Im Juni 1735 beförderte er den Sohn, ihm aufs neue sein Wohlwollen zu bezeugen, zum Generalmajor.
Österreich bewies sich indes gegen den König von Preußen wenig dankbar für die erwiesene Hilfe. Es machte statt dessen im Gegenteil noch Nachforderungen, die sich auf die Pflichten des Königs als Reichsstand gründeten. Auch forderte es, die redlichen Gesinnungen des Königs sehr verkennend, von ihm die Auslieferung des Stanislaus Lesczynski, welcher sich, nachdem sein Unternehmen in Polen gescheitert war, auf preußischen Boden geflüchtet und hier auf den Befehl Friedrich Wilhelms, dem Stanislaus persönlich wert war, gastliche Aufnahme gefunden hatte. Beides verweigerte der König; ebensowenig aber nahm er die verlockenden Anerbietungen Frankreichs an, das ihn, seine Freundschaft für Stanislaus ins Auge fassend, auf seine Seite zu ziehen strebte. Endlich ließ ihn der österreichische Hof, als er der preußischen Unterstützung entbehren zu können glaubte, ganz fallen. Man ging mit Frankreich in Friedensunterhandlungen ein, die dem Könige Stanislaus zur Entschädigung das zum deutschen Reiche gehörige Herzogtum Lothringen brachten, dessen Erledigung man nahe voraussah, das aber nach Stanislaus Tode <92>an Frankreich fallen sollte; der Herzog von Lothringen sollte statt dessen durch den Besitz von Toskana entschädigt werden. Dem Kaiser wurde dafür von Frankreich seine pragmatische Sanktion garantiert. Das deutsche Reich war mit einer so schmachvollen Beendigung des Krieges dankbarlichst zufrieden. An Friedrich Wilhelm war dabei gar nicht gedacht worden, man gab ihm nicht einmal von den Verhandlungen Nachricht; noch viel weniger war man bemüht, ihm irgendeinen Lohn für seine Aufopferungen zukommen zu lassen. Ja, man verletzte sogar die Gesetze der äußeren Schicklichkeit so weit, daß man ihm nicht einmal von der Vermählung der ältesten Tochter des Kaisers, Maria Theresia, mit dem Herzog von Lothringen, die im Anfange des Jahres 1736 erfolgte, Nachricht gab. Nun war auch für Friedrich Wilhelm kein Grund mehr vorhanden, seinen lang verhaltenen Unwillen gegen Österreich zu verbergen. Bitter spottend äußerte er sich über das Benehmen des kaiserlichen Hofes; und als einst die Rede darauf kam, deutete er auf den Kronprinzen und sprach, die künftige Größe des Sohnes ahnend, im Gefühl der eignen zunehmenden Schwäche die prophetischen Worte: « Hier steht einer, der wird mich rächen! »
Im Anfange des Jahres 1739 aber schloß Österreich mit Frankreich einen Traktat, demzufolge die von Friedrich Wilhelm in Anspruch genommenen und ihm durch die früheren Verträge zugesicherten Rechte auf Jülich und Berg auf den damaligen Prinzen von Sulzbach übergehen sollten. Der Antrag zu diesem Traktate war von Österreich ausgegangen und es wurde ausdrücklich die Garantie desselben von Seiten Frankreichs gegen Preußen ausbedungen.
<93>ELFTES KAPITEL Der Aufenthalt in Rheinsberg.
In der Zeit der Krankheit des Königs, welche auf die Rhein-Campagne vom Jahre 1734 gefolgt war, rief Friedrich einst mit Tränen in den Augen aus: « Ich möchte gern einen Arm hingeben, um das Leben des Königs um zwanzig Jahre zu verlängern, wollte auch er nur mich nach meiner Neigung leben lassen! » Es bedurfte des Opfers nicht, um endlich eine anmutigere Gestaltung seines Lebens zu erreichen. Der König gewährte ihm fortan vollkommene Freiheit, und es folgte bis zu Friedrichs Thronbesteigung eine Reihe so glückselig heiterer Jahre, wie solche sein späteres Leben, welches viel mehr dem Wohle seines Volkes als dem eignen gewidmet war, nicht wieder gesehen hat.
Rheinsberg, jene anmutige Besitzung in der Nähe von Ruppin, mit welcher der Kronprinz nach seiner Vermählung beschenkt worden war, bildete nun den Mittelpunkt seiner Freuden. Hier wurde seine Hofhaltung fürstlich, aber ohne übertriebenen Glanz, eingerichtet; hier sammelten sich um ihn die Männer, die ihm vor allen wert waren; hier widmete er die Tage, die nicht durch Dienstgeschäfte in Anspruch genommen wurden, dem ungestörten Genusse der Wissenschaften und <94>Künste. Das Verhältnis zu seiner Gemahlin hatte sich auf eine sehr erfreuliche Weise gestaltet; ihr Äußeres hatte die zarteste Anmut gewonnen, ihre Schüchternheit hatte sich zur reinsten weiblichen Milde entfaltet, ihre vollkommene Hingebung an den Gemahl erwarb ihr von dessen Seite eine herzliche Zuneigung; ohne im mindesten danach zu streben, war sie in dieser glücklichen Zeit selbst nicht ohne Einfluß auf seine Entschließungen. Leider nur war die Ehe durch keine Kinder beglückt. Unter Friedrichs Freunden sind vornehmlich anzuführen: Baron Keyserling, ein heiterer, lebensfroher Mensch, der ihm schon in früherer Zeit vom Könige zum Gesellschafter gegeben war und mit dem sich jetzt das innigste Verhältnis entwickelte; Knobelsdorff, dem Kronprinzen seit der Zeit des Küstriner Aufenthalts wert, damals Hauptmann, jetzt aber dem militärischen Treiben abgetan und nur den bildenden Künsten, namentlich der Architektur, lebend, für die er ein hochachtbares Talent auszubilden wußte; Jordan, früher Prediger, jetzt mit dem Studium der schönen Wissenschaften beschäftigt und durch gesellige Talente ausgezeichnet, u. a. m. Sodann eine Reihe ehrenwerter Offiziere, älterer und jüngerer; Künstler, unter denen besonders der Hofmaler Pesne von höherer Bedeutung ist; Musiker, wie z. B. der bekannte Kapellmeister Graun; und manche andere, die nur vorübergehend in Rheinsberg einsprachen. Mit entfernten Freunden endlich wurde das Band durch einen eifrig fortgesetzten Briefwechsel festgehalten.
In den Briefen eines Zeitgenossen, des Baron Bielfeld, der im letzten Jahre ebenfalls unter die Zahl der Rheinsberger Freunde aufgenommen wurde, ist uns das anschaulichste Bild von Rheinsberg, von der Anmut des Ortes, von der Heiterkeit des dortigen Lebens aufbehalten: Wir können die Schilderung desselben nicht besser wiedergeben, als indem wir seine eigenen Worte benutzen:
« Die Lage des Schlosses (so schreibt Bielfeld im Oktober 1739) ist schön. Ein großer See bespült fast seine Mauern, und jenseit desselben zieht sich amphitheatralisch ein schöner Wald von Eichen und Buchen hin. Das ehemalige Schloß bestand nur aus dem Hauptgebäude mit einem Flügel, an dessen Ende sich ein alter Turm befand. Dies Gebäude und seine Lage waren geeignet, das Genie und den Geschmack des Kronprinzen und das Talent Knobelsdorffs zu zeigen, welcher Aufseher über die Bauten ist. (Die erste Anlage des Umbaues war indes nicht Knobelsdorffs Werk.) Das Hauptgebäude wurde ausgebessert und durch Bogenfenster, Statuen und allerhand Verzierungen verschönert. Man baute von der andern Seite ebenfalls einen Flügel mit einem Turme und vereinigte diese beiden Türme durch eine doppelte Säulenreihe, mit Vasen und Gruppen geschmückt. Durch diese Einrichtung gewann das Ganze die Gestalt eines Vierecks. Am Eingange ist eine mit Statuen, <95>die als Laternenträger dienen, besetzte Brücke. In den Hof gelangt man durch ein schönes Portal, über welches Knobelsdorff die Worte: Friderico tranquillitatem colenti gesetzt hat. — Das Innere des Schlosses ist höchst prächtig und geschmackvoll. Überall sieht man vergoldete Bildhauerarbeit, doch ohne Überladung, vereint mit richtigem Urteil. Der Prinz liebt bloß bescheidene Farben, deshalb sind Möbel und Vorhänge hellviolett, himmelblau, hellgrün und fleischfarben, mit Silber eingefaßt. Ein Saal, welcher der Hauptschmuck des Schlosses sein wird, ist noch nicht fertig; er soll mit Marmor bekleidet und mit großen Spiegeln und Goldbronze verziert werden. Der berühmte Pesne arbeitet am Plafond-Gemälde, das den Aufgang der Sonne vorstellt. Auf einer Seite sieht man die Nacht, in dichte Schleier gehüllt, von ihren traurigen Vögeln und den Horen begleitet. Sie scheint sich zu entfernen, um der Morgenröte Platz zu machen, an deren Seite der Morgenstern in der Gestalt der Venus erscheint. Man sieht die weißen Pferde des Sonnenwagens und den Apoll, der die ersten Strahlen sendet. Ich halte dies Bild für symbolisch und auf einen Zeitpunkt deutend, der vielleicht nicht mehr fern ist. — Die Gärten in Rheinsberg haben ihre Vollendung noch nicht erreicht, denn sie sind erst seit zwei Jahren angelegt. Der Plan ist großartig, die Ausführung aber wird von der Zeit abhängen. Die Hauptallee schließt mit einem Obelisken in ägyptischem Geschmacke, mit Hieroglyphen. Überall sind Baumgruppen, Lauben und schattige Sitze. Zwei <96>Lustschiffe, die der Prinz erbauen ließ, schwimmen auf dem See und bringen den Wanderer, welcher die Wasserfahrt liebt, an das Waldufer. »
Hierauf geht der Verfasser zur Schilderung der hervorragendsten Personen über, welche die Gesellschaft von Rheinsberg ausmachten und von denen ein jeder, durch das Festhalten seiner charakteristischen Eigentümlichkeit, wesentlich zu der Lebendigkeit und Unbefangenheit des Verkehres beitrug. Dann fährt er fort:
Alle, die auf dem Schlosse wohnen, genießen die ungezwungenste Freiheit. Sie sehen den Kronprinzen und dessen Gemahlin nur bei der Tafel, beim Spiel, auf dem Ball, im Konzert oder bei andern Festen, an denen sie teilnehmen können. Jeder denkt, liest, zeichnet, schreibt, spielt ein Instrument, ergötzt oder beschäftigt sich in seinem Zimmer bis zur Tafel. Dann kleidet man sich sauber, doch ohne Pracht und Verschwendung an und begibt sich in den Speisesaal. Alle Beschäftigungen und Vergnügungen des Kronprinzen verraten den Mann von Geist. Sein Gespräch bei der Tafel ist unvergleichlich; er spricht viel und gut. Es scheint, als wäre ihm kein Gegenstand fremd oder zu hoch; über jeden findet er eine Menge neuer und richtiger Bemerkungen. Sein Witz gleicht dem nie verlöschenden Feuer der Vesta. Er duldet den Widerspruch und versteht die Kunst, die guten Einfälle anderer zutage zu fördern, indem er die Gelegenheit, ein sinniges Wort anzubringen, herbeiführt. Er scherzt und neckt zuweilen, doch ohne Bitterkeit und ohne eine witzige Erwiderung übel aufzunehmen.
Die Bibliothek des Prinzen ist allerliebst; sie ist in einem der Türme, die ich erwähnte, aufgestellt und hat die Aussicht auf den See und Garten. Sie enthält eine nicht zahlreiche, aber wohlgewählte Sammlung der besten französischen Bücher in Glasschränken, die mit Gold und Schnitzwerk verziert sind. Voltaires lebensgroßes Bild ist darin aufgehängt. Er ist der Liebling des Kronprinzen, der überhaupt alle guten französischen Dichter und Prosaiker hochhält.
Nach der Mittagstafel gehen die Herren in das Zimmer der Dame, an der die Reihe ist, die Honneurs des Kaffees zu machen. Die Oberhofmeisterin fängt an, und die anderen folgen; selbst die fremden Damen sind nicht ausgeschlossen. Der ganze Hof versammelt sich um den Kaffeetisch, man spricht, man scherzt, man macht ein Spiel, man geht umher, und diese Stunde ist eine der angenehmsten des Tages. Der Prinz und die Prinzessin trinken in ihrem Zimmer. Die Abende sind der Musik gewidmet. Der Prinz hält in seinem Salon Konzert, wozu man eingeladen sein muß. Eine solche Einladung ist immer eine besondere Gnadenbezeigung. Der Prinz spielt gewöhnlich die Flöte. Er behandelt das Instrument mit höchster Vollkommenheit; sein Ansatz sowie seine Fingergeläufigkeit und sein Vortrag sind einzig. Er <97>hat mehrere Sonaten selbst gesetzt. Ich habe öfters die Ehre gehabt, wann er die Flöte blies, hinter ihm zu stehen, und wurde besonders von seinem Adagio bezaubert. Doch Friedrich ist in allem ausgezeichnet. Er tanzt schön, mit Leichtigkeit und Grazie, und ist ein Freund jedes anständigen Vergnügens, mit Ausnahme der Jagd, die in seinen Augen geist- und zeittötend und, wie er sagt, nicht viel nützlicher ist, als das Ausfegen eines Kamins.
Dann spricht der Verfasser mit hoher Begeisterung von der Schönheit, der liebenswürdigen Anmut, der zarten Milde der Kronprinzessin. — « Wir hatten (so heißt es weiter) kürzlich einen allerliebsten Ball. Der Prinz, der gewöhnlich Uniform trägt, erschien in einem seladongrünen seidenen Kleide, mit breiten silbernen Brandebourgs und Quasten besetzt. Die Weste war von Silbermoor und reich gestickt. Alle Kavaliere seines Gefolges waren ähnlich, doch weniger prächtig, gekleidet. Alles war reich und festlich, doch erschien die Prinzessin allein als die Sonne dieses glänzenden Sternenhimmels. — Ich verlebe hier wahrhaft entzückende Tage. Eine königliche Tafel, ein Götterwein, eine himmlische Musik, köstliche Spaziergänge sowohl im Garten als im Walde, Wasserfahrten, Zauber der Künste und Wissenschaften, angenehme Unterhaltung: alles vereinigt sich in diesem feenhaften Palaste, um das Leben zu verschönern. »
Der Verfasser hat hiebei noch eines Vergnügens zu erwähnen vergessen, das die Freuden von Rheinsberg erhöhte und den Kronprinzen wiederum in einer neuen Gestalt zu zeigen geeignet war: der Aufführung von Komödien und Trauerspielen, deren Rollen von den Personen der Rheinsberger Gesellschaft besetzt wurden. So spielte Friedrich selbst u. a. in Racines Mithridat und in Voltaires Ödipus; in der letztern Tragödie begnügte er sich mit der Rolle des Philoktet. Auch fehlte es an mancherlei anderweitigen Maskeraden nicht.
Noch in anderen Beziehungen wurde der poetische Hauch, der das Leben von Rheinsberg erfüllte, mit Absicht festgehalten. So erfreute man sich einer zur Sage gewordenen antiquarischen Behauptung, die schon vor mehr als hundert Jahren aufgestellt worden war, daß nämlich Rheinsberg eigentlich Remusberg heiße, weil Remus, der Mitgründer des römischen Staates, durch seinen Bruder Romulus vertrieben, hier ein neues Reich gestiftet habe und auf der Remusinsel, die sich aus dem benachbarten See erhebt, begraben worden sei. Alte, auf der Insel ausgegrabene Marmorsteine sollten in früherer Zeit den Anlaß zu dieser Behauptung gegeben haben; kürzlich noch sollten italienische Mönche, durch eine neuentdeckte lateinische Handschrift dazu veranlaßt, auf der Remusinsel nach der Asche des römischen Helden gegraben haben; viele Altertümer der Vorzeit, die in der Tat auf der In<98>sel zum Vorschein kamen, schienen der Sache eine Art von Bestätigung zu geben, und so wagte man nicht, die klassische Bedeutung des schönen Asyles allzu kritisch anzugreifen. In den aus Rheinsberg geschriebenen Briefen jener Zeit wird daher auch gewöhnlich der Ort als « Remusberg » bezeichnet. Die Freunde selbst wurden <99>ebenfalls, teils im Scherze, teils auch im Ernst, mit besonderen Namen genannt, die das Ohr mit einem mehr poetischen Klange berührten als die Namen, die sie im gewöhnlichen Leben führten; so hieß z. B. Keyserling gewöhnlich Cäsarion, Jordan wurde Hephästion oder Tindal genannt, u. s. w.
Bedeutsamer noch zeigte sich das poetische Streben in der Stiftung eines eignen Ritterordens, welcher mehrere verwandte und befreundete Prinzen sowie die nächsten militärischen Freunde des Kronprinzen umfaßte. Der Schutzpatron des Ordens war Bayard, der Held der französischen Geschichte; sein Sinnbild war ein auf einem Lorbeerkranze liegender Degen und führte als Umschrift den bekannten Wahlspruch Bayards: « Ohne Furcht und ohne Tadel ». Der Großmeister des Ordens war Fouqué, der nachmals unter den Helden Friedrichs eine so bedeutende Stellung einnehmen sollte; er weihte die zwölf Ritter (denn nur so viele umfaßte der Orden) durch Ritterschlag ein und empfing von ihnen die Gelübde des Ordens, die auf edle Tat überhaupt und insbesondere auf Vervollkommnung der Kriegsgeschichte und Heeresführung lauteten. Die Ritter trugen einen Ring, der die Gestalt eines rundgebogenen Schwertes hatte mit der Inschrift: « Es lebe, wer sich nie ergibt. » Sie führten besondere Bundesnamen: Fouqué hieß der Keusche, Friedrich der Beständige; der Herzog Wilhelm von Bevern hieß der Ritter vom goldnen Köcher. Den entfernten Gliedern des Ordens wurden Briefe im altfranzösischen Ritterstil geschrieben, und noch bis in den Siebenjährigen Krieg hinein, ja noch später, finden sich Zeugnisse, daß man des Bundes in Freude gedachte und seine Formen, wie in den Zeiten unbefangener Jugend, mit Ernst beobachtete.
Wohl derselbe poetische Anreiz, verbunden mit dem lebhaften Wissensdrange, der Friedrich zu jener Zeit erfüllte, bewog ihn, sich gleichzeitig auch in die Brüderschaft der Freimaurer aufnehmen zu lassen. Das geheimnisvolle Dunkel, in welches diese Gesellschaft sich hüllte und besonders in der Zeit eines noch immer gefahrdrohenden kirchlichen Eifers sich zu hüllen für doppelt nötig befand, die Klänge religiöser Duldung, einer freisinnigen Auffassung des Lebens, einer geläuterten Moral, die bedeutsam aus jenem Dunkel hervortönten, mußten dem jungen Prinzen, dessen Herz damals vor allem von dem Drange nach Wahrheit beseelt war, eine Hoffnung geben, hier, was er suchte, zu finden. Seine Aufnahme geschah im Jahre 1738, als er im Gefolge seines Vaters eine Reise nach dem Rhein machte. Hier äußerte sich einst der König in öffentlicher Gesellschaft sehr mißfällig über die Freimaurerei; der Graf von der Lippe-Bückeburg aber, der ein Mitglied der Brüderschaft war, nahm dieselbe mit so beredter Freimütigkeit in Schutz, daß Friedrich ihn hernach insgeheim um die Aufnahme in eine Gesellschaft bat, welche so wahrheitsliebende <100>Männer zu Mitgliedern zähle. Dem Wunsche des Kronprinzen zu genügen, wurde der Besuch, den man auf der Rückkehr in Braunschweig abstattete, zu der Vornahme der geheimnisvollen Handlung bestimmt und Mitglieder der Brüderschaft aus Hamburg und Hannover samt dem benötigten Apparate ebendahin verschrieben. Die Aufnahme ge<101>vielseitigsten geistigen Tätigkeit gewidmet. Denn wie ihm früher seine wissenschaftlichen Interessen mannigfach verkümmert waren, so suchte er jetzt eine jede freie Minute zur Gewinnung des Versäumten anzuwenden, indem er nicht wissen konnte, wie bald der Tag, der eine andere Wirksamkeit von ihm erforderte, die Ruhe von Rheinsberg beenden möchte. Dabei besaß Friedrich ein seltenes Talent, nicht bloß durch das Studium der geschriebenen Wissenschaft seinen Geist zu bereichern, sondern auch einen jeden bedeutenderen Menschen, der ihm entgegentrat, nach dessen Eigentümlichkeit zu fassen und, teils brieflich, teils mündlich, die Kenntnisse und die Erfahrungen desselben für das eigne Wissen zu gewinnen. So diente vornehmlich ein Briefwechsel mit Grumbkow dazu, ihn in das Einzelne der politischen Verhältnisse seiner Zeit und der Verwaltungsangelegenheiten des preußischen Staates einzuführen; so ließ er sich von dem alten Fürsten Leopold von Anhalt-Dessau und von anderen Kriegsführern in den Grundsätzen der Kriegskunst unterrichten: so verkehrte er, zu ähnlichen Zwecken, mit Ärzten und Naturforschern, mit Theologen, Philosophen u. dgl. m. Seine Lektüre war mannigfacher Art; einen sehr wichtigen Teil derselben bildeten die Schriftsteller, besonders die Geschichtsschreiber, des klassischen Altertums, die Friedrich in französischen Übersetzungen las.
Mit dem größten Eifer jedoch und mit ausdauernder Beharrlichkeit war Friedrich während dieser ganzen Zeit denjenigen Forschungen ergeben, welche die wichtigsten Interessen des Menschen umfassen: das Verhältnis des Endlichen zum Unendlichen, des Vergänglichen zum Ewigen, des Menschen zu Gott, strebte er mit allen Kräften sich zur Anschauung zu bringen. Jene religiöse Zerknirschung, die ihn, den ganz Gebeugten, im Gefängnisse zu Küstrin niedergedrückt hatte, war freilich vorübergegangen, sobald er aufs neue Kraft und Selbstbewußtsein gewonnen hatte; wohl aber war der Eindruck mächtig genug gewesen, um ihn fortan mit Ernst auf eine würdigere Lösung des großen Rätsels hinzuweisen. Die vorgeschriebenen Satzungen einer geheimnisvollen Glaubenslehre genügten ihm nicht; nicht für das Gefühl oder für das Gemüt, für seinen hellen, scharfen Verstand forderte er Überzeugung. So begann er mit der Lektüre der ausgezeichnetsten französischen Kirchenredner; so suchte er durch brieflichen und mündlichen Verkehr mit den vorzüglichsten französischen Predigern Berlins, denen er die bestimmtesten Fragen zur Beantwortung vorlegte, Aufschluß und Lösung seiner Zweifel zu erhalten.
Unter den eben erwähnten Predigern war es besonders der hochbetagte Beausobre, der ihn mächtig anzog. Eine Predigt, die er von diesem im März 1736 hörte, riß ihn zu förmlicher Begeisterung hin, und er suchte seine persönliche Bekanntschaft. Beausobre war wohl geeignet, durch die edle Würde seines Äußern <102>und durch die Gewandtheit seines Benehmens Eindruck auf ihn zu machen. Nach der ersten Begrüßung, mit der ihn der Prinz empfangen, fragte dieser, der in seiner raschen Weise jede weitere Einleitung verschmähte, mit welcher Lektüre der Prediger gegenwärtig beschäftigt sei. « Ach, gnädiger Herr », erwiderte Beausobre mit dem würdevollen Tone, der ihm zur Natur geworden war, « ich las in diesem Augenblicke ein bewunderungswürdiges, ein wahrhaft göttliches Stück, dessen Eindruck ich noch an dieser Stelle empfinde. » — « Und das war? » — « Der Anfang von dem Evangelium St. Johannis. » — Die Antwort kam dem Prinzen unerwartet, und schon fürchtete er, daß der biblische Redner seine Bedürfnisse wenig verstehen werde. Aber Beausobre wußte im weiteren Verlaufe des Gespräches den Geist des Prinzen so lebendig zu fesseln, daß dieser mit größter Zufriedenheit den Besuch beendete und dem Prediger aus freier Anregung versprach, seinen ältesten Sohn an Kindes Statt anzunehmen. Leider jedoch starb der würdige Geistliche bald darauf, zu früh für den jungen Forscher. Friedrich hielt dankbar sein Versprechen.
<103>Was ihm auf dem Felde der Theologie unklar blieb, suchte Friedrich nun durch um so gründlicheres Studium der Philosophie zu erwerben. Wolff, jener berühmte Gelehrte, der durch Friedrich Wilhelm aus Halle verbannt war, behauptete zu jener Zeit den ersten Platz in der philosophischen Wissenschaft. Seine Schriften wurden von den Gebildeten mit freudigem Dank aufgenommen. Auch Friedrich wurde durch seine Freunde an diese Quelle geführt. Er ließ sich Wolffs Logik, seine Moral, seine Metaphysik ins Französische übersetzen (denn schon hatte er sich gewöhnt, seine Gedanken nur in französischer Form zu bilden), und war rastlos bemüht, sich alle Ergebnisse seiner Forschung anzueignen, auch, wo er Mängel und Ungenügendes wahrzunehmen glaubte, mit eigener Kraft auf dem Wege der Forschung durchzudringen. So bildete sich ihm eine Weltanschauung aus, die fortan, wenn auch in manchen Einzelheiten verändert, die Grundrichtung seines Geistes bestimmte. Er kehrte zu jener Lehre der Vorherbestimmung zurück, die er schon früh auf eine schroffe Weise aufgefaßt hatte; aber er suchte sie von jener trostlosen Härte zu entkleiden und mit der Kraft des Menschen in Einklang zu bringen. Nur aus einer Überzeugung solcher Art konnte die todverachtende Zuversicht entspringen, mit welcher er nachmals die großen Taten seines Lebens ausgeführt hat.
Im allgemeinen aber gelang es Friedrich nicht, auf dem Gebiete der höheren Philosophie heimisch zu werden, und so gab er auch später seine spekulativen Versuche wieder auf. Die Natur hatte ihn nicht zu beschaulicher Ruhe, sondern zur Tat, zur Gestaltung des Lebens berufen. So waren es auch nur diejenigen Elemente der Philosophie, die unmittelbar ins Leben eingreifen, vornehmlich das Bereich der Moral, was ihn mit dieser Wissenschaft in Verbindung erhielt. Auch sind alle seine Schriften, die sich nicht auf den Kreis historischer Gegenstände beziehen, vorzugsweise nur der Betrachtung und Erörterung moralischer Zustände gewidmet. In solcher Beziehung erscheint es fast als eine besondere Ironie des Zufalles, daß, als im Januar 1737 eben eine Reinschrift von der Übersetzung der Wolfschen Metaphysik vollendet war, der eine von den Affen, die Friedrich sich damals hielt, darüber kam und das schöne Manuskript ruhig in den brennenden Kamin steckte.
Das umfassendste, das durchgreifendste Interesse gewährte Friedrich der Mann, der damals sich an die Spitze der geistigen Bildung Frankreichs — somit der geistigen Bildung Europas — emporgeschwungen hatte: Voltaire. Freilich waren es nicht eigentümliche Tiefe des Wissens, nicht innere Glut der Begeisterung, was Voltaire eine so glänzende Stellung verliehen: — es war der unermüdliche Kampf, den er, mit allen Waffen des Ernstes und des Spottes, gegen die verjährten Vorrechte im Bereiche des Glaubens und Wissens führte; es war die helle Fackel des <104>gesunden Menschenverstandes, mit der er in das Dunkel des Aberglaubens hineinleuchtete; es war die Behendigkeit eines Geistes, welcher fast in allen Gebieten des Wissens, in der Geschichte, der Naturkunde, der Philosophie u. s. w., nicht minder in allen Gattungen poetischer Darstellungsweise die Lehren und die Forschungen der neuen Zeit zu verbreiten und sie der Fassungskraft der Menge anzubequemen wußte; es war endlich eine Kunst des Wortes, die durch die Reinheit der äußeren Form, durch ebenso geistreich witzigen wie zierlichen Vortrag, durch das verlockende Gewand einer üppig spielenden Phantasie das Interesse des Lesers gespannt hielt. Alles, was er schrieb, hatte einen vorzugsweise praktischen Gehalt. Und eben aus diesem Grunde fand Friedrich in Voltaire den Mann, der das, was in der eignen Brust ruhte, was ihn zu Taten treiben sollte, durch das Wort aussprach, der hiemit sein inneres Wesen vollendete und ausfüllte. Friedrich hatte sich seit früher Zeit an Voltaires Schriften auferbaut; im Jahre 1736 wandte er sich, der vierundzwanzigjährige Königssohn, an den zweiundvierzigjährigen Schriftsteller, ihm brieflich seine Verehrung zu bezeugen, seine Freundschaft anzutragen; und es entspann <105>sich ein Briefwechsel, der, trotz mancher Störungen, bis an das Ende Voltaires, zweiundvierzig Jahre lang fortgesetzt wurde, indem beide Naturen fort und fort auf die gegenseitige Ergänzung hingewiesen blieben. Friedrich teilte dem Freunde seine philosophischen Studien und seine dichterischen Versuche mit, jene zur Erweiterung der eignen Ansicht, diese, um sich auf ihre Fehler aufmerksam machen zu lassen. Er erwies ihm eine bis an Schwärmerei grenzende Verehrung; Voltaires Geisteswerke waren ihm der liebste Besitz; von dem Bilde des Freundes, welches den Schmuck seiner Bibliothek ausmachte und seinem Schreibtische gegenüber hing, sagte er, es sei wie das Memnonsbild, das in den Strahlen der Sonne erklinge und den Geist dessen, der es anschaue, lebendig mache. Voltaires Heldengedicht, die Henriade, beabsichtigte er in einer großen Prachtausgabe, mit Kupferstichen, zu denen Knobelsdorff die Zeichnungen machen sollte, der Welt zu übergeben (ein Unternehmen, das nicht zur Vollendung kam); ein einzelner Gedanke der Henriade, so behauptete er, wiege Homers ganze Iliade auf u. s. w. Er sandte dem Freunde mancherlei sinnige Geschenke zu; ja er schickte in der Person Keyserlings einen eignen Gesandten an Voltaire, der diesem Friedrichs Porträt, von Knobelsdorff gemalt, überbringen mußte und dafür die neuen Schriften Voltaires, namentlich diejenigen, die zur Zeit noch aus mancherlei Gründen das Licht zu scheuen hatten, heimbrachte. Diesen Erwerb, der mit äußerster Vorsicht bewahrt wurde, nannte Friedrich sein Goldnes Vlies.
So war die Zeit, die Friedrich in Rheinsberg zubrachte, recht eigentlich die Zeit der Vorbereitung auf den hohen Beruf, der ihn erwartete. Aber auch unmittelbar schon riefen diese Jahre sehr bemerkenswerte Früchte hervor; verschiedene Schriften, in denen er seine Ansichten und Gesinnungen aussprach, sich selbst und andere klar zu machen. Von geringerer Bedeutung sind unter diesen zunächst seine Gedichte. In letzteren zeigt sich dieselbe Erscheinung wie in Friedrichs philosophischen Studien; denn auch in ihnen tritt, wenigstens in der früheren Zeit, von welcher hier die Rede ist, zumeist nur eine praktische Bezugnahme auf das Leben, zumeist nur die Darstellung moralischer Zustände hervor. Ein wahrhaft ergreifendes Gefühl atmet vornehmlich erst in denjenigen seiner Dichtungen, welche der Zeit des Siebenjährigen Krieges, als die schwere Hand des Schicksals auf ihm lag und alle geistige Spannkraft zum Widerstande hervorrief, angehören. Ungleich wichtiger und merkwürdiger als seine früheren Poesien sind zwei Abhandlungen, die er in dieser Zeit seines Aufenthaltes in Rheinsberg verfaßt hat.
Die eine derselben ist bereits im Jahre 1736 geschrieben und enthält « Betrachtungen über den gegenwärtigen Zustand des europäischen Staatensystems ». Friedrich <106>faßt hier die kritische Lage Europas, nach jener Verbindung zwischen Frankreich und Österreich, mit einer Schärfe ins Auge, die bei einem vierundzwanzigjährigen Jüngling das höchste Erstaunen hervorruft; er zieht dann die Folgerungen, die der alten Politik beider Mächte gemäß — der unaufhörlichen Vergrößerungssucht Frankreichs und dem Streben Österreichs nach absoluter Herrschaft über Deutschland — aus jener Verbindung zu erwarten seien, wenn sich in den anderen Mächten keine neue Kraft entwickele. Die Schrift ist in der Vorahnung der neuen Kraft, die zu entwickeln eben Friedrich selbst bestimmt war, geschrieben. Er schließt damit, den Fürsten auf eindringliche Weise ins Ohr zu rufen, daß all ihre Schwäche nur auf ihrem falschen Glauben von sich selbst beruhe, daß nicht die Völker für sie, sondern umgekehrt, sie für die Völker da seien. Das war die Lehre der neuen Zeit, die durch Friedrich in das Leben eingeführt werden sollte und der er bis an seinen Tod treu geblieben ist. Friedrich hatte übrigens die Absicht, diese Abhandlung in England drucken zu lassen; doch unterließ er es aus guten Gründen, und so ward sie erst in seinen hinterlassenen Werken bekannt.
Die zweite Abhandlung, eine Arbeit von größerem Umfange, schrieb Friedrich im Jahre 1739. Dies ist die unter dem Namen des « Antimacchiavell » bekannte Widerlegung des Buches vom Fürsten, welches der berühmte florentinische Geschichtschreiber Niccolo Macchiavelli im Anfange des sechzehnten Jahrhunderts verfaßt hatte. Das Buch vom Fürsten, ein Meisterwerk, wenn man die Verhältnisse, für die es ausschließlich bestimmt war und in die es wirksam eingreifen sollte, ins Auge faßt, enthält die Anweisungen, wie eine Alleinherrschaft im Staate (im florentinischen Staate jener Zeit) zu erreichen und zu behaupten sei. Friedrich faßte dasselbe allgemein, als eine Lehre des Despotismus auf; er betrachtete Macchiavelli, der den Fürsten eine solche Lehre hinstellte, geradezu als ihren frevelhaften Ratgeber, ja als einen Verleumder ihrer erhabenen Pflicht. Mit begeistertem Unwillen wies er es nach, indem er den Bemerkungen des Florentiners Schritt für Schritt folgte, wie nicht despotische und verbrecherische Handlungen, sondern nur Tugend, nur Gerechtigkeit und Güte, die Richtschnur der Fürsten sein dürfe, wie nur sie ihnen ein dauerndes Glück auf dem Throne versprechen könne. Seine ganze Darstellung knüpft sich an denselben Grundsatz, mit welchem er die vorerwähnte Abhandlung geschlossen hatte, daß der Fürst nämlich nicht als der uneingeschränkte Herr der Völker, die er beherrsche, daß er vielmehr nur als ihr erster Diener zu betrachten sei. Eine unbefangene, historischwissenschaftliche Würdigung des Werkes, welches er bekämpfte, tritt also dem Leser nicht entgegen, im Einzelnen so wenig als im Ganzen; aber als das ausführliche Glaubensbekenntnis, welches der Erbe einer mächtigen Krone <107>ablegte, und zwar zu einer Zeit, in welcher die Übernahme seines Erbes nach menschlicher Berechnung schon nahe bevorstand, ist es ein höchst denkwürdiges Buch. Auch erweckte es ein allseitiges Interesse, als es, zwar ohne Friedrichs Namen, in Holland öffentlich erschien, wo Friedrich dasselbe unter Voltaires Augen hatte drucken lassen. Der Verfasser wurde bald genug bekannt, und alle Welt war begierig, sich zu überzeugen, inwiefern seine Tat mit seinem Worte übereinstimmen werde. Denn schon trug er die Krone.
<108>ZWÖLFTES KAPITEL Der Tod des Vaters.
Die schönen Tage in Rheinsberg waren indes keineswegs ohne mancherlei Störung hingeflossen. Die Dienstgeschäfte in Ruppin, Besuche am Hofe des Vaters in Berlin, Reisen in fernere Provinzen des Reiches führten Friedrich nur zu häufig auf längere oder kürzere Zeit fort; aber alle diese Unterbrechungen dienten nur dazu, den Genuß, welchen Geselligkeit, Wissenschaft und Künste darboten, um so lebhafter und inniger empfinden zu lassen.
Vor allem war Friedrich bemüht, durch genaueste Erfüllung seiner militärischen und anderweitigen Obliegenheiten die Gunst des Königs rege zu erhalten. Er sorgte <109>dafür, daß sein Regiment bei den jährlichen Heerschauen und Musterungen sich stets als eins der schönsten und geübtesten auszeichnete; und er hatte die Genugtuung, daß der König ihm vor der versammelten Generalität seine Zufriedenheit bezeigte. Auch war ein solcher militärischer Eifer das beste Mittel, um diese und jene Äußerung des Mißvergnügens, das dem Könige noch immer von Zeit zu Zeit gegen Friedrichs geselliges und wissenschaftliches Treiben auftauchte, unwirksam zu machen. Ebenso wandte Friedrich alle Mittel an, um Rekruten von ausgezeichneter Größe und Schönheit an allen Enden der Welt für das Regiment, welches der König selbst führte, anwerben zu lassen. Auch suchte er durch allerlei kleine Geschenke, welche der Garten und die Ställe von Rheinsberg in die Küche des Königs lieferten, Zeugnisse seiner Aufmerksamkeit zu geben. Alles das war ihm durch die Regeln der Klugheit geboten; zugleich aber war es viel mehr, denn sein Gefühl gegen den Vater hatte sich durch die Anerkennung seiner unleugbaren Verdienste um das Land schon lange zu einer innigen Hochachtung gesteigert.
Auch ging in dem Charakter Friedrich Wilhelms selbst in den letzten Jahren seines Lebens eine merkliche Veränderung vor. So berichtete Friedrich u. a. selbst, im Dezember 1738, an einen Freund, der König habe von den Wissenschaften als etwas Löblichem gesprochen. « Ich bin entzückt », so fährt er fort, « und außer mir vor Freude gewesen über das, was ich gesehen und gehört habe. Alles Löbliche, was ich sehe, gibt mir eine innere Freude, die ich kaum verbergen kann. Ich fühle die Gesinnungen der kindlichen Liebe in mir sich verdoppeln, wenn ich so vernünftige, so wahre Ansichten in dem Urheber meiner Tage bemerke. » — Ein Jahr später konnte er einem andern Freunde von einer noch ungleich bedeutenderen Umwandlung im Charakter des Vaters, auf die gewiß die überlegene Geisteskraft des Sohnes nicht ohne Einfluß gewesen war, Nachricht geben. « Die Neuigkeiten des Tages », so schreibt er, « sind, daß der König drei Stunden lang täglich Wolffs Philosophie liest, worüber Gott gelobt sei! So sind wir endlich zum Triumphe der Vernunft gelangt. » Es war Wolffs Werk von der natürlichen Theologie, welches der König damals in einem Auszuge las. Auch war Friedrich Wilhelm in dieser letzten Zeit seines Lebens eifrig bemüht, seinen früheren Fehler wieder gutzumachen und den verbannten Philosophen wieder für sein Reich zurückzugewinnen. Dies sollte aber erst seinem Nachfolger gelingen.
Zur höchsten Ehrfurcht gegen die landesväterlichen Tugenden seines Vaters aber wurde Friedrich hingerissen, als er diesen im Sommer 1739 auf einer Reise nach Preußen begleitete und hier den Segen wahrnahm, den der König über eine gänzlich verödete Provinz, dieselbe, in die er jene vertriebenen Salzburger aufgenommen, <110>verbreitet hatte. Seine Gefühle werden auch hier aufs schönste durch seine eigenen Worte bezeugt. « Hier sind wir », so schreibt er aus Litauen an Voltaire, « in dem Lande angekommen, das ich als das Non plus ultra der zivilisierten Welt ansehe. Es ist eine nur wenig gekannte Provinz von Europa, die als eine neue Schöpfung des Königs, meines Vaters, angesehen werden kann. Litauen war durch die Pest verheert, zwölf bis fünfzehn entvölkerte Städte und vier- bis fünfhundert unbewohnte Dörfer waren das traurige Schauspiel, das sich hier darbot. Der König hat keine Kosten gespart, um seine heilsamen Absichten auszuführen. Er baute auf, traf treffliche Einrichtungen, ließ einige tausend Familien von allen Seiten Europas kommen. Die Äcker wurden urbar gemacht, das Land bevölkert, der Handel blühend, und jetzt herrscht mehr als je Überfluß in einer Provinz, die eine der fruchtbarsten in Deutschland ist. Und alles, was ich Ihnen sage, ist allein das Werk des Königs, der es nicht bloß anordnete, sondern selbst die Hauptperson bei der Ausführung war, der die Pläne entwarf und sie selbst vollzog, der weder Mühe und Sorge, noch ungeheure Schätze, nicht Versprechungen noch Belohnungen sparte, um einer halben Million denkender Wesen Glück und Leben zuzusichern, die ihr Wohl und ihre gute Verfassung ihm allein verdanken. Ich finde in dieser großmütigen Arbeit, durch welche der König eine Wüste bewohnt, fruchtbar und glücklich gemacht hat, ich weiß selbst nicht, etwas Heroisches, und ich ahne, daß Sie meine Gesinnung darüber teilen werden. »
Noch ein besondres und ganz überraschendes Zeichen der väterlichen Gnade brachte dem Kronprinzen diese preußische Reise, als ihm der König seine reichen preußischen Stutereien, die ein jährliches Einkommen von zehn- bis zwölftausend Talern brachten, schenkte. Der Kronprinz hatte hievon um so weniger eine Ahnung gehabt, als der König einige Zeit zuvor aufs neue gegen ihn eingenommen gewesen war und seine Gesinnung mehrfach nicht ganz glimpflich ausgedrückt hatte; nun ward er von diesem Beweise der unerwartet zurückgekehrten und vergrößerten Zärtlichkeit so gerührt, daß er in der ersten Überraschung vergeblich nach dem Worte des Dankes suchte. Zugleich aber war dies Geschenk für seine ökonomischen Umstände von großer Wichtigkeit; denn immer noch reichte sein gewöhnliches Einkommen für seine Bedürfnisse bei weitem nicht aus, und er sah sich fort und fort genötigt, bedeutende Summen im Auslande aufzunehmen. Auch diesem Übelstande war also, für eine längere Lebensdauer des Königs, abgeholfen.
Doch stand das Ende des Königs schon nahe bevor; aber aller ernstliche Zwiespalt zwischen Vater und Sohn war nun ausgeglichen und eine immer mehr erhöhte gegenseitige Anerkennung an dessen Stelle getreten. Friedrich Wilhelm konnte das <111>Schicksal seiner Untertanen vertrauensvoll in die Hände des Sohnes übergeben. In Preußen war sein altes Übel mit erneuter Kraft ausgebrochen, und eine gefahrvolle Wassersucht mit ihren schlimmsten Symptomen hatte sich ausgebildet. Den ganzen Winter über ward er von der schweren Krankheit gepeinigt; Friedrich brachte den größten Teil des Winters in seiner Nähe zu. Von der zärtlichen Teilnahme, die der Sohn dem Vater widmete, geben die Briefe des ersteren aus dieser Zeit Kunde.
Gegen das Frühjahr, als der Zustand des Königs einige Linderung zu verheißen schien, hatte sich Friedrich nach Rheinsberg begeben. Da berief ihn eine Stafette, welche die Nachricht von der nahe bevorstehenden Auflösung des Vaters berichtete, zurück. Friedrich eilte nach Potsdam, wo der König die größere Zeit der Krankheit zugebracht hatte. Doch war die Lebenskraft des Vaters noch einmal aufgeflackert. Friedrich fand ihn auf öffentlichem Platze neben dem Schlosse, auf seinem Rollstuhle sitzend, dessen er sich bediente, da ihm die Füße schon geraume Zeit den Dienst versagten. Er sah der Grundsteinlegung eines benachbarten Hauses zu. Sobald er den Sohn von weitem erblickte, streckte er die Arme nach ihm aus, in die der Prinz sich weinend stürzte. In dieser Stellung verharrten sie geraume Zeit, ohne zu sprechen. Der König unterbrach endlich das Schweigen. Er sei zwar immer, so sagte er zu dem Sohne, streng gegen ihn gewesen, gleichwohl habe er ihn stets mit väterlicher Zärtlichkeit geliebt; es sei für ihn ein großer Trost, daß er ihn noch einmal wiedersehe. Friedrich erwiderte mit Worten, die den erregten Gefühlen seines Inneren angemessen waren. Der König ließ sich hierauf in sein Zimmer bringen und unterhielt sich über eine starke Stunde lang insgeheim mit dem Sohne, indem er ihm mit seltener Stärke über alle inneren und äußeren Angelegenheiten des Reiches Rechenschaft gab. An den noch übrigen Tagen setzte er diese Unterredungen fort. Als am zweiten Tage der Kronprinz und mehrere höhere Beamte um den König waren, wandte sich dieser zu jenen und sagte zu ihnen: « Aber tut mir Gott nicht viel Gnade, daß er mir einen so braven und würdigen Sohn gegeben hat? » Friedrich erhob sich bei diesen Worten und küßte gerührt die Hand des Vaters; dieser aber zog ihn an sich, hielt ihn lange fest umschlossen und rief aus: « Mein Gott, ich sterbe zufrieden, da ich einen so würdigen Sohn und Nachfolger habe. »
Wenige Tage darauf ließ der König des Morgens früh sein ganzes Gefolge, die Minister, sowie die höheren Offiziere seines Regiments zu sich in das Vorzimmer bescheiden. Hier erschien er auf seinem Rollstuhle, mit dem Mantel bedeckt, schon äußerst matt, so daß er nicht mehr laut sprechen konnte. Feierlich übergab er, indem <112>einer der anwesenden Offiziere seinen Willen öffentlich und laut bekanntmachte, sein Reich und Regiment in die Hände des Kronprinzen und ermahnte seine Untertanen, diesem fortan ebenso treu zu sein, wie sie ihm gewesen wären. Die Handlung hatte ihn jedoch so angegriffen, daß er sich in sein Zimmer und in das Bett zurückbringen ließ. Der Kronprinz und die Königin waren ihm gefolgt. Kaltblütig ertrug er die letzten Schmerzen, die sich alsbald einstellten; unter frommem Gebete gab er seinen Geist auf. Es war der 31. Mai 1740.
Der König hatte in seinem letzten Willen eine sehr einfache Bestattung angeordnet. Friedrich befolgte diese Anordnung im allgemeinen. Doch ließ er einige Zeit darauf ein besondres feierliches Leichenbegängnis halten; denn er fürchtete, das Publikum, das von jenem letzten Willen des Verstorbenen keine Kunde gehabt, möchte ihn ohne eine solche Feier der Mißachtung zeihen und den Grund für letztere in seinen früheren Mißhelligkeiten mit dem Vater suchen. Friedrich selbst hat sich über diese Mißhelligkeiten nachmals, als er das Leben seines Vaters schrieb, mit der <113>edelsten kindlichen Pietät ausgesprochen, indem er dieselben nur mit den frommen Worten berührt: « Die häuslichen Verdrießlichkeiten dieses großen Fürsten haben wir mit Stillschweigen übergangen. Man muß gegen die Fehler der Kinder, in Betracht der Tugenden ihres Vaters, einige Nachsicht üben. »