VIERTES KAPITEL Mißstimmung zwischen Vater und Sohn.
Unter solchen Verhältnissen wuchs der Knabe Friedrich zum Jüngling heran. Sein Äußeres hatte sich zu eigentümlicher Anmut entwickelt; er war schlank gewachsen, sein Gesicht von edler, regelmäßiger Bildung. In seinem Auge sprach sich ein lebhafter, feuriger Geist aus, und Witz und Phantasie standen ihm zu Gebote. Aber dieser Geist wollte seine eigenen Bahnen gehen; und die Abweichung von dem Pfade, welchen der strenge Vater vorgezeichnet hatte, zerriß das trauliche Band zwischen Vater und Kind.
Schon das mußte den religiösen Sinn des Königs unangenehm berühren, daß der Religionsunterricht nicht sonderlich gefruchtet hatte, um den Prinzen in die Lehren des christlichen Glaubens genügend einzuweihen. Einige Monate vor dem zur Einsegnung des Kronprinzen bestimmten Tage wurde ihm von den Hofmeistern gemeldet, daß der Prinz schon seit geraumer Zeit im Christentum nur geringe Fortschritte gemacht habe. Doch half diesem Übelstande ein vermehrter Unterricht von Seiten des würdigen Hofpredigers Noltenius ab, und Friedrich konnte am 11. April 1727, nach öffentlicher Prüfung, sein Glaubensbekenntnis ablegen und das heilige Abendmahl empfangen.
<29>Aber noch in tausend anderen Dingen, in bedeutenden und unbedeutenden, zeigte sich bald eine gänzliche Verschiedenheit des Charakters zwischen Sohn und Vater. Die militärischen Liebhabereien des Königs, das unaufhörliche, bis ins Kleinliche gehende Exerzitium der Soldaten, die oft grausame Behandlung der letzteren machten dem Kronprinzen wenig Freude. Die rohen Jagdvergnügungen, der einfache Landaufenthalt auf dem königlichen Jagdschlosse zu Wusterhausen waren nicht nach seinem Geschmack. Ebensowenig das Tabakrauchen, die derben Späße im Tabaks-Kollegium, die Kunststücke der Seiltänzer, die Musikaufführungen, an denen der Vater sich erfreute. Die Männer, die dieser in seine Nähe berief, zogen den Prinzen nicht immer an, und er suchte sich Umgang nach seinem Gefallen. Er war ernst, wenn der Vater lachte, ließ aber auch manch spöttelndes Wort über Dinge und Personen fallen, die dem Vater wert waren; dafür tadelte der Vater an ihm einen stolzen, hoffärtigen Sinn. Zu seiner Erholung trieb er das Schachspiel, das er von Dühan gelernt hatte, während der Vater das Toccadillespiel vorzog; ihm gewährte die Übung auf der Flöte hohen Genuß; deren sanfter Ton wiederum dem Vater wenig zusagte. Mehr noch hing er literarischen Beschäftigungen nach; der Glanz der französischen Poesie, besonders das blitzende mutwillige Spiel, mit welchem die jugendlichen Geister Frankreichs gerade zu jener Zeit den Kampf gegen verjährte Institutionen begonnen hatten, zog ihn, der gleichen Sinn und gleiche Kraft in sich fühlte, mächtig an. Aber solche Interessen waren gar wenig nach dem Sinne des Vaters. Dann liebte er es auch, wenn der letztere fern war, den engen Soldatenrock abzuwerfen, bequeme, französisch moderne Kleider anzuziehen, sein schönes Haar, das er aus den Händen jenes Chirurgen gerettet hatte, aufzuflechten und in zierliche Locken zu kräuseln. Dies allein war schon hinreichend, wenn der Vater davon Kunde erhielt, seinen Zorn zu erwecken. So ward manch eine böse Stunde herbeigerufen; <30>der König gedachte mit Strenge durchzugreifen, aber er machte sich dadurch das Herz des Sohnes nur immer mehr abwendig. « Fritz ist ein Querpfeifer und Poet », so rief der König oft im Unmut aus; « er macht sich nichts aus den Soldaten und wird mir meine ganze Arbeit verderben! »
Diese Mißstimmung war um so trauriger und sie machte um so verderblichere Fortschritte, als es an einer Mittelsperson fehlte, die zugleich das Vertrauen des Vaters und des Sohnes gehabt und nach beiden Seiten hin begütigend und abmahnend gewirkt hätte. Die Mutter hätte in solcher Stellung für den Frieden des königlichen Hauses äußerst wohltätig sein können; leider jedoch war alles, was sie tat, nur geeignet, das Mißverhältnis immer weiter zu fördern. Die angeborene Güte ihres Herzens war nicht so stark, daß sie es über sich vermocht hätte, sich, mit Aufopferung ihrer eigenen Wünsche, dem Willen des Königs unterzuordnen. Schon in früheren Jahren, wenn sie zu bemerken glaubte, daß die Kinder dem Vater größere Liebe bewiesen als ihr, fand sich hiedurch ihr mütterliches Gefühl gekränkt, und um ihre vermeintlichen Vorrechte zu behaupten, ging sie sogar so weit, den Kindern in einzelnen Fällen Ungehorsam gegen den Vater einzuprägen. Leicht mag hiedurch der erste Same zu dem unerfreulichen Verhältnis zwischen Vater und Sohn ausgestreut worden sein. Von schlimmeren Folgen war ein Plan, den sie, zunächst zwar mit Übereinstimmung des Königs, gefaßt hatte und den sie mit Hartnäckigkeit, trotz der widerwärtigsten Zustände, die daraus entsprangen, festzuhalten strebte. Es war der Plan, das Haus ihres Vaters durch eine Doppelheirat aufs neue mit dem ihrigen zu verbinden, um dereinst die Krone von England auf dem Haupte ihrer ältesten Tochter zu erblicken. Prinzessin Wilhelmine sollte nämlich dem Sohne des damaligen Kronprinzen von England, des Bruders der Königin, verlobt werden, während der Kronprinz Friedrich eine englische Prinzessin heiraten sollte. Schon früh war von diesem Plane gesprochen worden, und man hatte sich von beiden Seiten dazu bereit erklärt; auch kam es, trotz verschiedener Zögerungen, die durch unwürdige Zwischenträgereien hervorgerufen waren und die dem König von Preußen manchen Verdruß verursacht hatten, in der Tat zu einigen näheren vorläufigen Bestimmungen zwischen beiden Höfen. Ja die Folgen hievon waren so bedeutend, daß Friedrich Wilhelm sich, im Jahre 1725, zu einem Bündnis mit England und Frankreich, welches einem zwischen Österreich und Spanien abgeschlossenen Bündnisse die Waage halten sollte, überreden ließ, so sehr er im Grunde seines Herzens überzeugt war, daß für Deutschland nur aus dem festen Zusammenhalten seiner einzelnen Glieder Heil erstehen könne. Aber immer und immer wieder wurde von England der letzte Abschluß, rücksichtlich jener beabsichtigten Doppelheirat, hinausgeschoben. Es <31>trat eine Spannung zwischen beiden Höfen ein. Das Unglück wollte endlich, daß sich die preußischen Werber, wie überall, so auch an der hannoverschen Grenze, schwere Ungebührlichkeiten erlaubten, was denn keineswegs dazu diente, das schwankende Verhältnis wiederherzustellen, und bald wollte König Friedrich Wilhelm gar nichts mehr von jener Doppelheirat wissen.
Zugleich aber hatte das Bündnis Preußens mit England die Besorgnis des österreichischen Kaiserhofes erweckt; durch dasselbe war einem einzelnen Reichsfürsten, der ohnedies schon halb unabhängig dastand und dessen kriegerische Macht nicht übersehen werden konnte, ein Übergewicht gegeben, welches der Oberherrschaft, die Österreich in Deutschland zu erhalten und zu vergrößern bemüht war, gefährlich werden konnte. Man sah die dringende Notwendigkeit ein, Preußen von jenem Bündnisse wieder abzuziehen und, wenn möglich, für Österreich zu gewinnen. Es wurde zu diesem Zwecke der kaiserliche General Graf Seckendorf nach Berlin gesandt, und dieser wußte die eingetretene Spannung zwischen England und Preußen so klug zu benutzen und das ihm aufgetragene Werk mit solcher Geschicklichkeit auszuführen, daß schon im Oktober 1726, zu Wusterhausen, ein Traktat Preußens mit Österreich zustandekam, der indes nicht geradezu gegen England gerichtet sein sollte. Als Hauptbedingung dieses Traktates hatte Friedrich Wilhelm die Anforderung gemacht, daß der Kaiser seine Ansprüche auf die Erbfolge von Jülich und Berg garantieren sollte, wogegen er der sogenannten pragmatischen Sanktion — die den Töchtern des Kaisers, in Ermangelung männlicher Nachkommen, die Erbfolge zu sichern bestimmt <32>war — beizutreten versprach. Der Kaiser, Karl VI., hatte sich jener Anforderung des Königs von Preußen scheinbar gefügt; aber er war so wenig ernstlich bedacht, die preußische Macht vergrößern zu helfen, daß er gleichzeitig auch mit Kurpfalz einen Vertrag schloß, der den pfälzischen Häusern die in Anspruch genommene Erbfolge in Jülich und Berg sicherte. Durch die mannigfachsten Kunstgriffe wußte er jedoch den König von Preußen, der natürlich auf einen festen, vollkommenen Abschluß dieser Angelegenheiten drang, eine Reihe von Jahren hinzuhalten. Auch gelang dies so gut, daß Friedrich Wilhelm vorderhand dem Kaiser treu ergeben blieb, denn sein deutsches Gemüt fühlte eine innere Genugtuung in solcher Verbindung; zugleich hatte Seckendorf dafür gesorgt, daß der vorzüglichste Günstling des Königs, der General (später Feldmarschall) von Grumbkow, durch ein stattliches Jahrgeld in das Interesse des österreichischen Hofes gezogen wurde. Dieser war nun fort und fort bemüht, den König in seiner Gesinnung zu befestigen.
So teilte sich der preußische Hof in zwei Parteien, eine österreichische und eine englische, die von beiden Seiten alles aufwandten, um zu ihrem Ziele zu gelangen. Denn was die Königin anbetrifft, so war diese keineswegs geneigt, ihren Lieblingsplan, jene Doppelheirat betreffend, aufzugeben; im Gegenteil nahm sie jede Ge<33>legenheit wahr, die sich ihr zum Wiederanknüpfen der Verbindungen mit England darbot. Ihre ebenso hartnäckigen wie fruchtlosen Bemühungen erbitterten aber den König so sehr, daß der häusliche Friede fast ganz entwich. Mißtrauisch belauschten die beiden königlichen Eheleute einander und Zwischenträger, auf gemeinen Gewinn bedacht, schürten die Flamme des Mißtrauens. Vor allen hatten die beiden ältesten Kinder unter dem Zwiste der Eltern zu leiden, und um so mehr, als es die Königin dahin zu bringen wußte, daß Beide ihrem Plane gern Beifall schenkten; wie aber Bruder und Schwester gemeinschaftliche Kümmernis zu tragen hatten, so schlossen sie sich Beide, indem ihre Charaktere schon ohnedies übereinstimmten, nur um so inniger aneinander. Vater und Sohn wurden durch alles dies einander immer mehr entfremdet, und die Herstellung eines liebevollen Verhältnisses schien in weite Ferne hinausgerückt. Es sollte noch Bedeutenderes hinzukommen, die Entfremdung zu vergrößern.
Das heftige Temperament des Königs hatte oft die leidenschaftlichsten Aufwallungen zur Folge; zuweilen aber gingen diese auch, wie es überall bei großer Aufregung der Fall ist, in Abspannung und Schwermut über. Ein solcher hypochondrischer Zustand hatte sich des Königs im Winter von 1727 zu 1728 bemächtigt. Seine religiöse Richtung führte ihn darin zu einer bigotten Frömmelei, mit der er seine Familie plagte. Er hatte den berühmten Theologen, den Professor Francke aus Halle zu sich gerufen, einen Mann, der als Stifter des Hallischen Waisenhauses unter den Wohltätern der Menschheit genannt wird, dessen Sinn aber so wenig frei war, daß sein unchristlicher Eifer gegen den Philosophen Wolff zu der schmachvollen Entfernung dieses ausgezeichneten Gelehrten aus Halle wesentlich beigetragen hatte. Francke war der Wortführer an der Tafel des Königs, an der jetzt nur von biblischen Dingen gesprochen wurde; alle Vergnügungen, namentlich Musik und Jagd (welche letztere freilich zur Tierquälerei geworden war und nur zur Bedrückung der Bauern diente) waren als sündlich verdammt. Der König las seiner Familie jeden Nachmittag eine Predigt vor, und der Kammerdiener stimmte einen Gesang an, den alle Anwesenden begleiten mußten. Ein solches Leben war wenig nach dem Sinne des Kronprinzen und seiner ältern Schwester; der feierliche Ernst, der dem einen Teile der Gesellschaft natürlich war und den die andern affektierten, mochte oft sonderbare Erscheinungen zur Folge haben und sie konnten ihre leichtsinnigen Bemerkungen darüber nicht immer zurückhalten. Übergewaltig drängte sich ihre Lachlust hervor; dafür aber wurden sie mit schwerem Zorne zurückgeschreckt, und sie mußten die Strafe mit studierter Zerknirschung hinnehmen. Der König ging in seiner Hypochondrie sogar so weit, daß er das Szepter niederzulegen und die Regierung dem Kronprinzen zu übergeben beschloß; auch begann er eine <34>Instruktion für letzteren auszuarbeiten. Er selbst wollte sich nebst seiner Gemahlin und den Töchtern mit einem mäßigen Jahrgehalt nach Wusterhausen zurückziehen, dort den Acker bauen und beten; die ländlichen Geschäfte waren bereits reguliert: die eine Prinzessin sollte das Leinenzeug unter sich haben, die zweite die Vorräte verwalten, die dritte auf dem Markte Lebensmittel einkaufen u. s. w.
Den König von solchen Grillen abzubringen, wurden mancherlei Vorstellungen versucht, doch blieb er vorderhand hartnäckig bei seinem Plane. Endlich gelang es der österreichischen Partei des Hofes, die bei der Ausführung des Planes am meisten zu verlieren hatte, den König zu einer Zerstreuung zu bewegen. Man <35>überredete ihn zu einer Reise nach dem benachbarten glänzenden Hofe von Dresden, indem man dort die besten Gegenmittel gegen seine Hypochondrie zu finden hoffte; man hatte ihm hierbei, falls es ihm gelänge, den König von Polen und Kurfürsten von Sachsen, August II,, für die Verbindung mit Österreich zu gewinnen, so wichtige Vorteile zu entwickeln gewußt, daß er endlich, obgleich fast wider Willen, nachzugeben genötigt war. Bald erfolgte die Einladung zu diesem Besuche von Seiten des Königs August, und Friedrich Wilhelm reiste in der Mitte des Januar 1728 nach Dresden ab. Der Kronprinz war zurückgeblieben, aber er war in Verzweiflung, sich von dieser Unterbrechung des einförmigen Lebens, zu welchem er zu Hause gezwungen war, ausgeschlossen zu sehen; die Schwester, die ihm gern ein Vergnügen bereitete, bewog den sächsischen Gesandten leicht, es zu veranstalten, daß auch für ihn nachträglich eine schleunige Einladung kam.
In Dresden eröffnete sich für Friedrich eine neue Welt. Von den Erscheinungen, die er zu Hause zurückgelassen hatte, von der Strenge des militärischen Lebens, von unausgesetztem Fleiße, von sparsamster Einrichtung des Haushaltes, von der Beobachtung aller Gesetze der Sittlichkeit, war hier keine Spur. Das Leben des Hofes bewegte sich Tag für Tag im glänzendsten Rausche, Feste drängten auf Feste, alle Erfindungskraft wurde aufgeboten, um Sättigung und Überdruß fern zu halten. Alle Künste schmückten hier das Leben, alles Schöne des Lebens war hier zum Genüsse versammelt. König August, ein Mann von feiner Bildung, von ritterlicher Gesinnung und riesiger Körperkraft, hatte sein Leben einzig dem Genusse gewidmet und alle Tiefen desselben durchgekostet. Er war unablässig bemüht, seinen hohen Gästen die Wochen des Besuchs wie einen lieblichen Traum vorüberfliegen zu machen. Daß aber, um solche unausgesetzten Freuden zu unterhalten, ein edles Volk geknechtet, daß die Wohlfahrt eines ganzen Landes furchtbar zerrüttet ward, mochte den Augen des preußischen Thronerben für jetzt fern bleiben.
Überhaupt konnten nicht leicht schärfere Gegensätze gefunden werden als König August und Friedrich Wilhelm. Jener, ein jüngerer Prinz des sächsischen Kurfürstenhauses, hatte ursprünglich keine sonderliche Aussicht auf die Thronfolge gehabt; statt auf die eine oder die andere Art auf einen solchen Beruf sich vorzubereiten, hatte er in seiner Jugend einen großen Teil der Länder Europas durchreist, war er überall nur auf romantische Abenteuer bedacht gewesen, so daß die Geschichte seiner früheren Tage nur den Eindruck eines phantastisch ausschweifenden Romans macht. Nach dem Tode seines Bruders, des Kurfürsten Johann Georg IV., der ohne einen Nachfolger starb, fiel ihm der sächsische Thron zu; aber das Kurland genügte ihm nicht; ihn lüstete nach dem höhern Glanze einer Königskrone. Dazu bot sich Gelegenheit, <36>als König Johann Sobieski von Polen starb; er ließ kein Mittel unversucht, bis es ihm gelang, die genügende Anzahl einflußreicher Wahlstimmen für sich zu gewinnen. Gleichgültig tauschte er den alten protestantischen Glauben seines Hauses gegen den katholischen um, da nur ein katholischer König über der polnischen Republik herrschen durfte; vielleicht aber sagte ihm auch das Schaugepränge der katholischen Kirche mehr zu als der einfache protestantische Gottesdienst, Unermeßliche Summe, die das Land seiner Väter hergeben mußte, wurden verschwendet, um die polnische Krone zu erwerben und der neuen Würde gemäß hinlänglich glänzend und stattlich vor den Augen der Welt auftreten zu können; noch mehr verschlangen die nutzlosen Kriege, in die König August Polens wegen verwickelt ward, und zu deren kräftiger Durchführung ihm alles höhere Feldherrntalent mangelte, wie ritterlich auch sein persönliches Benehmen sein mochte. Dresden wurde durch ihn zu einem der prächtigsten Orte Europas umgeschaffen; wie Kaiser Augustus durfte er sich rühmen, daß er seine Residenz als eine Ziegelstadt empfangen und daß er sie als eine Stadt von Steinen (wenn auch nicht von Marmor) hinterlassen habe. Die reichsten Gebäude, welche die anmutige Beherrscherin der Elbe noch heute schmücken, wurden durch ihn erbaut, die vielgefeierten Kunstsammlungen Dresdens durch ihn gegründet. Eine unerschöpfliche Meisterschaft besaß er in der Anordnung von Festlichkeiten, welche die kühnsten Phantasien der Dichter lebendig zu machen schienen; darin wich er keinem unter den damaligen Meistern der Lust. Man hat es berechnet, daß seine Regierung dem Lande an 100 Millionen gekostet hat.
König August zählte acht und fünfzig Jahre; fort und fort war im Laufe seines Lebens eine Geliebte der andern gefolgt, die Menge seiner Kinder war kaum zu zählen. Unter seinen Söhnen war Moritz, Graf von Sachsen, der nachmals als Marschall der französischen Heere einen so berühmten Namen erlangt hat, einer der ausgezeichnetsten; mit diesem schloß Friedrich eine innige Freundschaft, die bis an den Tod des Marschalls währte. Unter den Töchtern des Königs glänzte vor allen Anna, die den Titel einer Gräfin von Orzelska führte, hervor; sie besonders stand zu dem Könige in einem näheren Verhältnisse. Sie war einige Jahre älter als Friedrich; ihr schöner Wuchs, ihr adliger Anstand, die feine Nildung ihres Geistes, die heitere Laune, von der sie beseelt war, gaben ihr etwas unwiderstehlich Anziehendes. Nicht selten erschien sie in Mannskleidern, die aber nur dazu dienten, den Reiz ihrer Erscheinung zu erhöhen. Friedrich fühlte sich bald von glühender Leidenschaft ergriffen, und seine Wünsche fanden bei der schönen Gräfin kein abgeneigtes Gehör.
Indes war König Friedrich Wilhelm von seiner Hypochondrie vollkommen genesen; es schien zwischen den beiden Königen eine lebhafte Freundschaft im Werke. <37>Doch mochte dem polnischen Könige die eheliche Treue, welche sein Freund in bürgerlicher Strenge gegen seine Gemahlin bewahrte, verwunderlich vorkommen. Die Neugier trieb ihn, sich selbst zu überzeugen, wie standhaft diese Treue sein möchte, die für seine Anschauungsweise etwas Unbegreifliches war; ohne Zweifel auch gönnte er dem Freunde sehr gern Anteil an Vergnügungen, in denen er selbst den höchsten Genuß fand. Er traf dazu seine Vorbereitungen. Eines Abends, nachdem, bei der Tafel den Pokalen weidlich zugesprochen war, gingen sie zusammen im Domino auf den Maskenball; König August führte seinen Gast im Gespräch von Zimmer zu Zimmer, während der Kronprinz Friedrich und einige andere Herren ihnen nachfolgten. Endlich gelangten sie in ein reichgeschmücktes Gemach, dessen ganze Einrichtung den feinsten Geschmack zu erkennen gab. Der König von Preußen war eben im Begriff, seine Bewunderung über die Dinge, die er um sich sah, zu erkennen zu geben, als plötzlich ein Vorhang bei Seite rauschte und sich ein ganz unerwartetes Schauspiel seinen Augen darbot. Auf einem Ruhebett lag eine junge Dame hingestreckt, maskiert und mit nachlässigen Gewändern nur wenig bekleidet, so daß der Glanz der Kerzen, welcher das Gemach erfüllte, die reizendsten Formen beleuchtete. König August, scheinbar erstaunt, näherte sich ihr mit derjenigen feinen Galanterie, mit welcher er so oft ein weibliches Herz zu gewinnen gewußt hatte; er bat sie, die Maske abzunehmen, doch machte sie eine verneinende Bewegung. Er nannte hierauf seinen Namen und sagte ihr, er hoffe, sie werde zweien Königen eine so leichte Gefälligkeit nicht abschlagen. Diese Worte waren ein Befehl, und die junge Dame enthüllte alsbald ein überaus anmuthiges Gesicht. August schien ganz bezaubert und sagte zu ihr, daß er nicht zu begreifen vermöge, wie so viele Reize ihm bis jetzt hätten unbekannt bleiben können. Friedrich Wilhelm hatte indeß bemerkt, daß sein Sohn Zeuge dieses Schauspiels war; er hatte sogleich seinen Hut vor das Gesicht des Kronprinzen gehalten und ihm geboten sich zu entfernen; dazu aber war dieser vorerst wenig geneigt. Er wandte sich darauf zu dem Könige von Polen und bemerkte trocken. « Sie ist recht schön », verließ aber augenblicklich mit seinem Gefolge das Gemach und den Maskenball. In seiner Wohnung beklagte er sich bitterlich gegen seinen Günstling über das unfreundschaftliche Unternehmen des Königs von Polen, und es kostete viel Mühe, ihn wieder mit dem letzteren auszusöhnen. In das Herz des Kronprinzen aber war jener Anblick als ein zündender Brand gefallen. Vielleicht hatte König August jenes Schauspiel auch auf ihn berechnet; eifersüchtig auf das Verständniß Friedrichs mit der Gräfin Orzelska, ließ er ihm die Dame jenes verführerischen Gemaches, die mit dem Namen der schönen Formera genannt wird, anbieten, um ihn durch sie von seiner Liebe abwendig zu machen. Friedrich nahm das Anerbieten an.
<38>Nachdem man einen Monat lang in Dresden verweilt und das Versprechen eines baldigen Gegenbesuches erhalten hatte, kehrte König Friedrich Wilhelm nach Berlin zurück. Nun ging das frühere Leben wieder in seinem gewohnten Gange weiter. Der Kronprinz aber verfiel in eine tiefe Schwermut, er aß wenig, ward sichtlich magerer und es schienen drohende Anzeichen zur Schwindsucht vorhanden. Der König hatte ihn in argem Verdacht, daß das freie Leben in Dresden schuld an seinem kränkelnden Zustande sei; eine ärztliche Untersuchung indes bezeugte wirklich die Gefahr der Schwindsucht. Es ward dem Könige geraten, den Kronprinzen sobald als möglich zu verheiraten; doch wollte er davon nichts wissen und meinte ihn durch strenge Aufsicht hinlänglich vor einem unregelmäßigen Leben geschützt zu haben. In dieser Zeit dichtete der Kronprinz seine ersten Lieder, die den Reizen der Gräfin Orzelska gewidmet waren. Als im Mai desselben Jahres der Hof des Königs August seinen Gegenbesuch in Berlin machte und die Gräfin Orzelska in dessen Gefolge erschien, war Friedrich schnell von seiner schwermütigen Krankheit geheilt; er sah die Gräfin mehrmals insgeheim. Auch dieser Besuch, zu dessen Empfang in Berlin, um gegen Dresden nicht zurückstehen zu dürfen, die prächtigsten Zurüstungen gemacht waren, währte mehrere Wochen.