ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL Der Philosoph von Sanssouci.
Bereits vor dem Ausmarsch in den Zweiten schlesischen Krieg hatte Friedrich, von der Anmut der Potsdamer Gegend gefesselt, die Anlage des sogenannten « Lustschlosses im königlichen Weinberge » bei Potsdam befohlen. Der Plan zu der ganzen Anlage war von ihm selbst entworfen; auch hat sich dieser Entwurf bis auf unsre Zeit erhalten. Der Berghang wurde zu sechs mächtigen Terrassen umgestaltet; zu dem Lustschlosse, welches die Bekrönung der Terrassen bildet, wurde im April 1745 der Grundstein gelegt und dasselbe in zwei Jahren vollendet. Knobelsdorff führte die Leitung des Baues, der einfach, nur aus einem Geschoße bestehend, aufgeführt ward. Nach <220>der Vollendung erhielt das Gebäude den Namen « Sanssouci ». Unmittelbar darauf ward es von Friedrich bezogen, und es blieb bis an seinen Tod das Asyl, in dem er sich ungestört der geselligen Erholung und der reichen Einsamkeit seines Geistes erfreuen durfte. Alles, was den Menschen in Friedrich anbetrifft, ist fortan eng mit dem Namen Sanssouci verknüpft. Alle freundschaftlichen Briefe, die er hier schrieb, sind mit diesem Namen bezeichnet, während unter den geschäftlichen Schreiben stets der Name der Stadt steht. Auf den literarischen Werken, die von ihm bei seinen Lebzeiten dem Drucke übergeben wurden, nennt er sich « den Philosophen von Sanssouci ». Der Aufenthalt zu Sanssouci ward dem zu Rheinsberg ähnlich, nur mit dem Unterschiede, daß natürlich jene jugendlich unbefangene Heiterkeit nicht ganz wiederkehren konnte. Rheinsberg, das der Residenz zu entlegen war, als daß es fortan der Aufenthaltsort eines Königs sein konnte, hatte Prinz Heinrich, Friedrichs jüngerer Bruder, zum Geschenke erhalten.
Die Gegend von Potsdam, mit ihren breiten, vielgebuchteten Wasserspiegeln, welche den Fuß der grünen Laubhügel netzen, bildet eine heitre Oase zwischen den eintönigen Flächen der brandenburgischen Mark. Seit Friedrich dort sein Haus gegründet, sind die Fürsten seines Geschlechtes nicht müde geworden, die Reize der Natur, durch die ordnende und bildende Hand der Kunst, zur lieblichsten Entfaltung zu bringen. Ein Kranz von Parkanlagen dehnt sich um die Stadt hin; Schlösser und Villen erglänzen auf den Höhen und in den Tälern; Nähe und Ferne sind von frischem, erquicklichem Lebenshauche erfüllt. Aber unangetastet steht die Wohnung des großen Königs noch heute über jenen Terrassen, und durch das Leben des Tages wehen die Schauer einer großen Erinnerung.
<221>Friedrich verknüpfte mit dem Namen Sanssouci eine geheime, tiefere Bedeutung. Er hatte sich zur Seite des Schlosses, noch ehe dessen Grund gelegt war, eine Gruft bauen lassen, die dereinst seine irdischen Reste aufnehmen sollte. Sie ward mit Marmor überkleidet und ihr Zweck durch die Bildsäule einer Flora, welche darauf lagerte, spielend verhüllt. Diese Gruft, deren Dasein niemand ahnen konnte, war eigentlich mit jenem Namen gemeint. Einem Freunde sprach er einst davon und sagte, auf die Gruft deutend: « Quand je serai là, je serai sans souci! » (Wenn ich dort bin, werde ich ohne Sorge sein!) Aus dem Fenster seines Studierzimmers hatte er täglich das Bild der Blumengöttin, der Hüterin seines Grabes, vor Augen.
An die Geschichte der Anlagen von Sanssouci knüpfen sich mehrere Anekdoten, die wohl geeignet sind, die Charaktergröße des seltnen Königs wiederum in eigentümlichem Lichte zu zeigen. Bekannt ist es, daß nicht weit von der einen Seite des Schlosses eine Windmühle steht, deren Platz Friedrich gern mit in die Gartenanlagen hineinbezogen hätte. Friedrich, so wird erzählt, ließ den Müller zu sich kommen und forderte ihn auf, die Mühle ihm zu verkaufen. Jener aber hatte sie von seinem Vater geerbt und wünschte sie auch auf seine Kinder zu bringen. Der König versprach ihm nun, ihm eine bessere Mühle anderwärts zu bauen, ihm Wasserlauf und alles frei zu geben, auch noch die Summe, die er für seine Mühle fordern würde, bar auszahlen zu lassen. Aber der Müller bestand hartnäckig auf seinem Vorsatze. Jetzt ward Friedrich verdrießlich. « Weiß Er wohl », so sprach er drohend, « daß ich Ihm seine Mühle nehmen kann, ohne einen Groschen dafür zu geben? » — « Ja, Ew. Majestät », erwiderte der Müller, « wenn das Kammergericht in Berlin nicht wäre! » Auf diese Worte stand Friedrich von seinem Begehren ab und änderte den Plan seines Gartens. Noch heute erheben sich die Flügel der Mühle über das königliche Schloß, die Unterwerfung des Königs unter das Gesetz bezeugend. — Ziemlich ähnlich lauten die anderen Anekdoten.
In Sanssouci vereinigte Friedrich den Kreis der Männer um sich, denen er sein besondres freundschaftliches Vertrauen schenkte. Denjenigen, die ihm aus der schönen Rheinsberger Zeit geblieben waren, wußte er bald neue Freunde zuzugesellen. Unter den letztern ist besonders der Marquis d'Argens zu erwähnen, der, von provenzalischer Geburt, in der Heimat wegen seiner freien Gesinnung nur Verfolgungen erlitten hatte, hier aber ein sicheres Asyl fand; die Anmut seines Benehmens, die feine Bildung seines Geistes, vor allem aber die treue, anspruchslose Hingebung an den König machten ihn diesem bald so wert, daß er nachmals die Stelle in Friedrichs Herzen einnahm, die früher Jordan besessen hatte. Durch gleiche <222>Treue war Friedrichs literarischer Sekretär Darget ausgezeichnet. Als einer der alten Freunde ist hier noch der Baron Pöllnitz zu erwähnen, der schon unter König Friedrich I. gedient und sich durch vielseitige Kenntnisse, besonders aber durch eine unerschöpfliche gesellige Laune empfohlen hatte, obgleich der Leichtsinn und die Unbeständigkeit seines Charakters ihn stets daran hinderten, Friedrichs näheres Vertrauen zu gewinnen. Im Frühjahr 1744 hatte er sich sogar, durch sehr unüberlegte Handlungen, den völligen Verlust der königlichen Gnade zugezogen und konnte dieselbe nur dadurch wiedergewinnen, daß er sich auf strenge Bedingungen förmlich unterwarf. Die letzteren lauteten dahin, daß er mit keinem Gesandten verkehre, daß er die Freuden der königlichen Tischgesellschaft nie wieder verderbe, und daß öffentlich in Berlin verboten würde, ihm, bei hundert Dukaten Strafe, auch nur das Geringste zu leihen. Pöllnitz war eine Art lustiger Rat; ziemlich in gleicher Eigenschaft figurierte in Sanssouci der französische Arzt de la Metrie.
Die militärischen Freunde des Königs gehören ebenfalls in diesen Kreis. Dabei ist jedoch zu bemerken, daß keiner von ihnen es je wagen durfte, seine dienstliche Stellung mit dieser freundschaftlichen zu verwechseln. Was sie im Dienste versehen hatten, wurde mit voller Strenge gerügt; aber dafür tat auch eine solche Rüge dem freundschaftlichen Verhältnisse keinen Abbruch. Winterfeldt genoß das nächste Vertrauen des Königs; als dessen Generaladjutant war er indes fast ganz dem Geschäftsleben hingegeben. Graf Rothenburg, der in der Schlacht von Czaslau schwere Wunden davongetragen hatte, ward Friedrich ein zweiter Keyserling. Aber auch er starb früh, und sein Tod machte dem Könige alle die Schmerzen lebendig, die er beim Tode des ersten Lieblings empfunden hatte. Friedrich selbst bewies ihm in der letzten Krankheit die innigste Teilnahme. Es war im Dezember 1751, als man ihm meldete, daß der Graf im Sterben liege. Halb angekleidet eilte Friedrich über die Straße in die Wohnung des Freundes. Er fand den Arzt bei ihm; dieser zuckte mit den Achseln, dem König stürzten die Tränen aus den Augen, und als man, als letztes Rettungsmittel, dem Grafen eine Ader schlug, hielt er den Teller, um das Blut aufzufangen. Da dieser Aderlaß die gehoffte Wirkung nicht tat, so verließ er den Sterbenden im tiefsten Schmerze; nach seinem Tode verschloß er sich mehrere Tage vor aller Gesellschaft.
Dem Obersten von Forcade, der in der Schlacht von Soor am Fuß verwundet ward, erwies Friedrich für seine Verdienste wiederholte Gnadenbezeigungen. Bei einer Cour auf dem Berliner Schlosse, als Forcade seinen Dank abzustatten kam und sich seines leidenden Fußes wegen an das Fenster lehnte, brachte ihm Friedrich selbst einen Stuhl und sagte: « Mein lieber Oberst von Forcade, ein so braver und wür<223>diger Mann, als Er ist, verdient sehr wohl, daß auch der König selbst ihm einen Stuhl bringt. »
Einen vorzüglichen Wert legte Friedrich auf die Erwerbung zweier Männer, die ein gleicher Gewinn für sein Herz wie für seinen Staat wurden. Dies waren die Gebrüder Keith aus Schottland, die als Anhänger der Stuarts ihr Vaterland meiden mußten. Der jüngere, Jakob Keith, kam zuerst zu Friedrich und erhielt sogleich die preußische Feldmarschallswürde. Der ältere, Georg Keith, Erbmarschall von Schottland und deshalb gewöhnlich nur Lord-Marschall genannt, kam später und war einer der Wenigen, die das Geschick für die späteren Tage des Königs erhielt.
Auch den alten Feldmarschall Schwerin, der im Zweiten schlesischen Kriege seinen Abschied genommen hatte, wußte sich Friedrich wiederzugewinnen. Er tat die ersten Schritte zur Versöhnung und lud Schwerin zu sich ein. Dieser gehorchte dem Befehle. Als er im Schlosse angekommen war und im Vorzimmer vernommen hatte, daß Friedrich wohlgelaunt sei, ließ er sich durch den Kammerhusaren, der den König bediente, melden. Der Kammerhusar erhielt jedoch keine Antwort auf seine Meldung; Friedrich ergriff statt dessen seine Flöte und ging phantasierend eine Viertelstunde im Zimmer auf und nieder. Endlich legte er die Flöte beiseite, steckte den Degen an und befahl, den Feldmarschall vorzulassen. Dies geschah, der König empfing ihn mit gnädigem Gruße und deutete dem Diener durch einen Wink an, das Zimmer zu verlassen. Im Vorzimmer hörte der Kammerhusar nun, wie das Gespräch zwischen dem Könige und Schwerin immer lauter ward, und endlich so heftig, daß ihm anfing, bange zu werden. Bald aber legte sich der Sturm, die Unterredung ward wieder ruhiger und endlich ganz leise. Dann öffnete sich die Tür, Schwerin verneigte sich mit einer heitern, zufriedenen Miene gegen den König, und dieser sagte mit gütigem Tone: « Ew. Exzellenz essen zu Mittag bei mir. » Fortan war das gute Vernehmen zwischen den beiden großen Männern wiederhergestellt. Was in jener Stunde gesprochen wurde, hat nie ein Dritter erfahren.
Mit dem größten Enthusiasmus aber wurde von Friedrich derjenige Mann aufgenommen, der ihn unablässig, wie kein zweiter, anzog, dessen Geist allein ihm zu genügen vermochte und den er schon oft vergeblich ganz für sich zu gewinnen versucht hatte, — Voltaire. Noch im Jahre 1749 hatte Friedrich dem französischen Dichter geschrieben: « Sie sind wie der weiße Elefant, dessentwegen der Schach von Persien und der Großmogul Kriege führen, und dessen Besitz, wenn sie glücklich genug gewesen sind, ihn erlangt zu haben, einen von ihren Titeln bildet. Wenn Sie hieher kommen, so sollen Sie an der Spitze des meinigen stehen: Friedrich von Gottes <224>Gnaden, König von Preußen, Kurfürst von Brandenburg, Besitzer von Voltaire u. s. w. u. s. w. » Da zerrissen plötzlich die Bande, die ihn an seine Heimat gefesselt hatten, und er folgte dem jahrelangen Andringen des Königs. Am 10. Juli 1750 traf er in Sanssouci ein, um fortan bei Friedrich zu bleiben. Er erhielt den goldnen Schlüssel der Kammerherren, den Verdienstorden und ein bedeutendes Jahrgehalt, welches sich bald bis auf die Summe von 5000 Talern steigerte. Friedrich bewies ihm die entschiedenste Huldigung; Prinzen, Feldmarschälle, Staatsminister beeiferten sich, ihm ihre Aufwartung zu machen.
Voltaires Gegenwart brachte in der Tat einen Reiz in das Leben von Sanssouci, der alles zu schnellerer Bewegung, zu vollerer Äußerung der Kräfte mit fortriß. Jeder war bedacht, sich ganz zusammenzunehmen, um so der scharfen Überlegenheit des Dichters entgegentreten zu können. Alles beschäftigte sich mit Wissenschaft und Poesie; die Prinzen und Prinzessinnen suchten in der Darstellung der Tragödien, zu denen man jetzt unverzüglich schritt, den Anforderungen des Meisters zu genügen. Dabei blieb in dem engeren Kreise aller Zwang, alles Zeremoniell verbannt. Voltaire fand vollkommene Muße zur Vollendung seiner Arbeiten, die er in Frankreich, wo das Wort nicht frei war, hatte liegen lassen müssen. Er konnte sein Leben gestalten, wie er wollte; nur die Abendmahlzeit pflegte den Kreis der Vertrauten zum heitersten Genusse zu vereinen. Hier war alles Witz und Geist, und Voltaire und Friedrich standen einander als die Herrscher im Reiche des Geistes gegenüber.
Daß Voltaire nicht der Mann des Gemütes, daß sein Charakter nicht frei von Flecken war, hatte Friedrich schon früher erkannt, aber er hatte ihn auch nicht berufen, um an ihm einen eigentlichen Freund zu gewinnen. Er wollte einen Gesellschafter an ihm haben, der seiner eignen geistigen Kraft genüge, einen Lehrer, der ihn in seinen wissenschaftlichen Bestrebungen unterstütze, dem er seine Arbeiten zur Kritik, zur Vollendung der Form anvertrauen könne. Dies gewährte ihm Vol<225>taire bereitwillig, und so ward auch Friedrich durch seine unmittelbare Nähe wesentlich gefördert. Manche bedeutende literarische Arbeiten hatte Friedrich seit dem Frieden in rascher Tätigkeit verfaßt; diese wurden nun vollendet, und wieder andere reihten sich ihnen an. Den zweiten Teil der Geschichte seiner Zeit, welcher den Zweiten schlesischen Krieg enthält, hatte Friedrich schon im Jahre 1746 geschrieben. Im folgenden Jahre hatte er seine Memoiren zur Geschichte des brandenburgischen <226>Hauses (die Geschichte seiner Vorgänger) begonnen, deren einzelne Abschnitte in der Akademie vorgelesen, auch in den Schriften der Akademie gedruckt wurden; vollendet und in einer selbständigen Prachtausgabe erschien dies Werk im Jahre 1751. Auch verschiedene Gedächtnisreden, auf seine Freunde und andere Männer von Verdienst, hatte er für die Akademie verfaßt. Dann war eine Reihe von Gedichten mannigfacher Art entstanden, Oden, gereimte Briefe, ein Lehrgedicht über die Kriegskunst, ein komisches Epos unter dem Namen « Das Palladium » u. s. w. Diese wurden im Jahre 1750, unter dem Titel der « Werke des Philosophen von Sanssouci », in einer Prachtausgabe gedruckt. Voltaire leistete dabei hilfreichen Beistand. Doch waren diese Arbeiten, und ganz besonders die Gedichte, nur für die nächsten Freunde bestimmt, und es wurden nur wenige Exemplare, unter sorgfältiger Kontrolle der Empfänger, ausgegeben. Friedrich hatte dafür eine eigne Druckerei in dem Turme des Berliner Schlosses eingerichtet; daher führen diese Werke auf ihrem Titel die Ortsangabe: « Im Schloßturme » (Au Donjon de Château). Auf dem Titel der Gedichte steht außerdem noch: « Mit dem Privilegium Apollos. »
Neben der Literatur diente zugleich auch, wie in früherer Zeit, die Musik zur Erheiterung der Mußestunden. Die Stunde vor dem Abendessen wurde in der Regel durch Konzerte ausgefüllt, in denen Friedrich sein Lieblingsinstrument, die Flöte, übte. Zur bestimmten Stunde trat er, die Noten unter dem Arme, in das Konzertzimmer und verteilte die Stimmen, legte sie auch wohl selbst auf die Pulte. Er blies übrigens nur Konzerte, die Quantz, der seit seinem Regierungsantritt in seine Kapelle eingetreten war, für ihn gemacht hatte, oder Stücke seiner eignen Komposition. Allgemein bewunderte man den tiefen, rührenden Ausdruck, mit welchem er das Adagio vorzutragen wußte. In seinen Kompositionen fand man eine Beobachtung des strengen Satzes, die eine für einen Dilettanten seltne musikalische Bildung zu erkennen gab; doch folgte er diesen strengen Schulregeln nicht so blind, daß er dadurch den freien Ausdruck seiner Phantasie hätte verkümmern lassen. Merkwürdig und seiner Zeit fast vorgreifend ist es, daß er selbst das Rezitativ in die Instrumentalkomposition auf eine Weise einzuführen wagte, welche zu ganz eigentümlichen Erfolgen führte. Einst blies er ein solches Rezitativ, worin der Ausdruck des Flehens vorzüglich gelungen war. « Ich habe mir dabei », so erklärte er seine Absicht, « Coriolans Mutter gedacht, wie sie auf den Knien ihren Sohn um Schonung und um den Frieden für Rom bittet. »
Der alte Lehrmeister, Quantz, genoß bei diesen Konzerten besondre Vorrechte, die er geschickt in Anwendung zu bringen wußte. Er allein durfte dem Könige sein Bravo zurufen, was sonst nicht leicht ein anderer von den Musikern wagte. Zu <227>tadeln wagte er zwar nicht ohne besondre Aufforderung; doch sparte er in solchem Fall den Bravoruf, äußerte sich auch anderweitig vernehmbar genug. So spielte Friedrich einst ein neues Stück von seiner eignen Komposition, in welchem einige fehlerhafte Stellen vorkamen. Quantz räusperte sich dabei ziemlich laut. Friedrich merkte die Absicht, schwieg jedoch still und fragte ein paar Tage darauf einen andern Musiker um seine Meinung über jene Stellen. Dieser wies ihm den Fehler nach, und Friedrich berichtigte denselben, indem er sagte: « Wir müssen doch Quantz keinen Katarrh zuziehen. » —
So vereinigten sich in Sanssouci alle Elemente zum anmutvollsten geistigen Genusse. Doch sollte das schöne Zusammenwirken der verschiedenartigen Kräfte für einige Zeit widerwärtig gestört werden, und es mußte diese Störung Friedrich um so empfindlicher fallen, als sie von demjenigen ausging, der gerade als die Sonne <228>aller geistigen Bestrebungen dastand. Voltaire war es, der durch den Glanz der Stellung, welche Friedrich ihm eingeräumt, geblendet ward und es vergaß, was er seinem königlichen Gönner und was er seiner eignen Würde schuldig sei. Was ihm in so überschwenglichem Maße zuteil ward, reizte ihn, statt ihn zu befriedigen, nur zu immer heftigerem Durste; seine Stellung sollte ihm nur dazu dienen, um alle Nebenbuhler im Bereiche des Wissens zu unterdrücken, um seine Einkünfte auf beliebige Weise zu vergrößern, um eine politische Bedeutsamkeit zu erreichen. Er selbst hatte dem Könige früher einen jungen französischen Belletristen, d'Arnaud, zur Unterstützung in seinen literarischen Arbeiten empfohlen, und dieser war von Friedrich mit den schmeichelhaftesten Versen eingeladen worden. Diese Verse schienen Voltaires Ruhm zu nah zu treten, und da ihm überdies, seit er selbst nach Sanssouci gekom<229>men, der junge Dichter im Wege war, so brachte er es dahin, daß derselbe in kurzem weggeschickt ward. Größere Eifersucht flößte ihm der gelehrte Naturforscher Maupertuis ein, den Friedrich, gleichfalls auf seine Empfehlung, zum Präsidenten der neugegründeten Akademie berufen hatte; es entspann sich zwischen Beiden bald eine bittre Feindschaft, die nur des Anstoßes bedurfte, um öffentlich hervorzubrechen. Ein ekelhafter Prozeß, in den Voltaire mit einem jüdischen Kaufmanne verwickelt ward, stellte gleichzeitig seine Rechtlichkeit in ein zweifelhaftes Licht. Der Jude verklagte Voltaire, daß er ihn mit unechten Steinen übervorteilt habe; der richterliche Spruch fiel zwar zu des letzteren Gunsten aus, doch zog ihm die ganze Angelegenheit eine üble Nachrede zu. Noch verderblicher war es für seinen Ruf, daß er sich unterfing, gegen das ausdrückliche Edikt des Königs, sächsische Steuerscheine in Leipzig zu geringen Preisen aufkaufen zu lassen, um hernach als preußischer Untertan (einem besonderen Artikel des Dresdner Friedens zufolge) volle Bezahlung dafür zu erhalten. Endlich nahm er auch keinen Anstand, mit fremden Gesandten auf eine Weise zu verkehren, die Friedrich für seinen literarischen Genossen wenig schicklich erachtete. Alles das bemerkte Friedrich mit steigendem Unwillen; er sandte dem Dichter ernstliche Rügen über sein ganzes Benehmen zu, und das schöne Verhältnis schien in kurzer Frist seiner Auflösung nahe. Voltaire dagegen wollte sich auch im Rechte wissen; er erkannte es sehr wohl, daß Friedrich an ihm eben nichts als seine Kunst wert hielt. « Ich werde ihn höchstens noch ein Jahr nötig haben; man drückt die Orange aus und wirft die Schale fort », — so sollte sich Friedrich gegen einen Vertrauten über ihn geäußert haben. Den Verlust von Friedrichs Gnade wollte er nur einem verleumderischen Worte Maupertuis' zuschreiben. Dieser sollte nämlich ausgesprengt haben, ein General aus Friedrichs Umgebung sei einst bei ihm (Voltaire) gewesen, um sich ein eben vollendetes Manuskript durchsehen zu lassen; da habe ein Laufer ein Gedicht des Königs gebracht, und Voltaire habe den General mit den Worten abgefertigt: « Mein Freund, ein anderes Mal! Da schickt mir der König seine schwarze Wäsche zu waschen, ich will die Ihrige nachher waschen. »
Trotz all dieser Ursachen zur Mißstimmung konnten die beiden großen Geister indes noch immer nicht voneinander lassen. Nur im Andern fand jeder sich ergänzt, und die Vorwürfe machten wieder der schmeichelhaftesten Anerkennung Platz. Für Friedrich namentlich stand der Dichter noch zu hoch, als daß er dem Menschen nicht nachsichtig seine bisherigen Torheiten verziehen hätte. Das beweist vornehmlich eine Ode, die er ihm gerade in dieser Zeit widmete und in der er ihn über sein herannahendes Alter durch die Hinweisung auf seinen immer steigenden Dichterruhm zu trösten suchte. Die Ode schließt mit den glänzenden Worten:
<230>
Welch eine Zukunft wartet dein, o Meister,
Wenn deine Seele drang ins Land der Geister: —
Zu deinen Füßen sieh die Nachwelt hier!
Die eilenden Stunden
Im voraus bekunden
Unsterblichkeit dir!
Aber schon war Neues hinzugetreten, um den Bruch zu erweitern und unheilbar zu machen. Maupertuis hatte in einer gelehrten Schrift ein neues Naturgesetz aufgestellt; ein anderer Gelehrter erklärte, daß dasselbe schon vor geraumer Zeit von Leibniz ausgesprochen sei; der Streit ward lebhaft, und die Berliner Akademie nahm sehr entschieden die Partei ihres Präsidenten. Diese Gelegenheit dünkte Voltaire günstig genug, um seinem Nebenbuhler einen empfindlichen Stoß zu geben; er schrieb anonym den Brief eines Akademikers von Berlin, der sehr geeignet war, Maupertuis lächerlich zu machen. Friedrich indes war nicht gewillt, den Präsidenten seiner Akademie verspottet zu sehen, und es erschien von seiner Hand, als Gegenschrift, aber gleichfalls anonym, ein zweiter Brief eines Akademikers, in welchem der Verfasser des ersten sehr ernsthaft zurechtgewiesen wurde. Aber eine andere Schrift von Maupertuis, die bedenklichere Blößen enthielt, gab bald Gelegenheit zu einer neuen, ungleich beißenderen Satire von Voltaires Hand, der « Geschichte des Doktor Akakia » u. s. w. Friedrich hatte dies Produkt im Manuskripte gelesen; der beißende Witz hatte ihm Vergnügen gemacht, aber er hatte verlangt, daß das Werk ungedruckt bleibe. Voltaire versprach es, — in kurzem jedoch erschien dasselbe, zum großen Jubel der Feinde des Präsidenten, gedruckt in Dresden. Friedrich war hierüber, obgleich Voltaire seine Schuld an diesem Ereignis leugnete, im höchsten Grade entrüstet, und der Dichter sah sich, um nicht alle Gnade des Königs zu verlieren, schmachvoll zu der Unterschrift eines Reverses genötigt, in welchem er fortan eine schicklichere Aufführung geloben mußte. Damit war aber die Angelegenheit nicht beendet. Aus seinem eignen Fenster, es war am 24. Dezember 1752, mußte er es mit ansehen, wie der Akakia auf öffentlicher Straße durch die Hand des Henkers verbrannt ward.
Auf so unerhörte Schmach war Voltaire nicht gefaßt gewesen. Er packte sein Pensionspatent, den Orden, den goldnen Schlüssel zusammen und sandte sie unverzüglich an Friedrich zurück. Auf den Umschlag des Pakets hatte er die Verse geschrieben:
Die ich empfangen, zart beglückt,
Ich sende sie zurück mit Schmerzen,
So wie ein Liebender, mit tief zerriss'nem Herzen
Zurück das Bildnis der Geliebten schickt!
<231>Ein Brief, der dem Paket bald nachfolgte, sprach unverhohlen und erschütternd die Gefühle der tiefsten Kränkung, der gänzlichen Trostlosigkeit aus. Dieser Brief verfehlte seine Wirkung nicht. Noch an demselben Tage erhielt Voltaire die Zeichen der königlichen Gnade wieder, und es ward noch einmal der Versuch gemacht, das alte Verhältnis wiederherzustellen.
Bald genug aber fühlte Voltaire deutlich, daß nach solchen Vorgängen die alte Vertraulichkeit nicht wiederkehren könne. Er bat um Urlaub zu einer Badereise nach Frankreich und erhielt ihn. Am 26. März 1753 reiste er von Potsdam ab. Kaum in Leipzig angekommen, ließ er neue beleidigende Blätter drucken. Dafür aber wartete seiner in Frankfurt, wo er am 1. Juni ankam, eine neue Schmach. Der König hatte ihm vor der Abreise befohlen, das Patent, den Orden, den Schlüssel, auch das Exemplar seiner Gedichte, welches er ihm anvertraut, zurückzulassen. Dies war nicht erfolgt, und so wurde er, auf Ansuchen des preußischen Ministers zu Frankfurt, so lange gefänglich eingehalten, bis, nach sechzehn Tagen, sein Koffer aus Leipzig hier ankam, in welchem sich die verlangten Gegenstände befanden. Manches Bittre, in Versen und in Prosa, folgte noch auf diese Vorfälle; und dennoch sahen sich beide Männer, der König und Voltaire, in kurzer Frist zum neuen Austausch ihrer <232>Gedanken angetrieben. Voltaire jedoch zurückzuberufen oder ihm den Orden und den goldnen Schlüssel wiederzugeben, dazu war Friedrich nicht zu bewegen.
Besser als Voltaire erkannte ein anderer französischer Gelehrter, d'Alembert, dem Friedrich ebenfalls hohe Anerkennung bewies und den er fort und fort in seine Nähe zu ziehen bemüht war, die Gefahr, die dem selbständigen Geiste in der Nähe des Thrones droht. Im Jahre 1755, als Friedrich eine Reise in die westlichen Provinzen seines Staates machte, fand eine persönliche Zusammenkunft in Wesel statt, und dringender wiederholte Friedrich seine Anträge; aber d'Alembert wußte denselben auch jetzt ebenso fein wie bestimmt auszuweichen. Doch hatte er, der von dem Geistesdruck in seiner Heimat viel leiden mußte, ein jährliches Gehalt von Friedrich dankbar angenommen. Der Briefwechsel, den Friedrich fortan mit d'Alembert führte, ist von großer Bedeutung.
Mit derselben Reise verknüpfte Friedrich noch einen weiteren Ausflug, dessen heitres Bild die Reihe seiner friedlichen Vergnügungen, die bald durch neu hereinbrechende Stürme auf lange Zeit zerstört werden sollten, anmutig beschließt. Er ging nach Holland, vornehmlich in der Absicht, die dortigen Kunstschätze zu besichtigen, denn er selber hatte jetzt im Sinne, in Sanssouci eine große Gemäldegalerie anzulegen. Doch legte er, um ungestört seinem Plane folgen zu können, auch diesmal die Zeichen seiner königlichen Würde ab und es gelang ihm besser, als auf seiner ersten Inkognitoreise nach Straßburg. Er nahm den Charakter eines reisenden Flötenspielers an; sein ganzes Gefolge bestand aus dem Obersten Balbi, der ein Kunstkenner war, und aus einem Pagen; er trug eine schlichte schwarze Perücke und ein zimtfarbenes Kleid mit goldnen Knöpfen.
Es werden manche komischen Szenen erzählt, zu denen dies Inkognito Anlaß gab. So im Gasthofe zu Amsterdam, wo er sich eine besondre kostbare Pastete, deren Geschmack ihm höchlichst gerühmt worden war, bestellen ließ. Die Wirtin, die von dem unscheinbaren Äußeren ihrer Gäste auf ihren Geldbeutel schloß, fragte, ob man denn auch imstande sein werde, das teure Gericht zu bezahlen. Sie erhielt zur Antwort, der Herr sei ein Virtuos, der mit seinem Flötenspiel in einer Stunde wohl mehr verdienen könne, als zehn Pasteten wert seien. Dies erweckte ihre Neugierde; sie eilte zu Friedrich, und ruhte nicht eher, als bis er sich vor ihr auf seinem Instrumente hören ließ. Ganz fortgerissen von der Schönheit seines Vortrages, rief sie endlich aus: « Gut, mein Herr, Sie können gar schön pfeifen und wohl einige Batzen verdienen: Ich werd' Ihnen die Pastete machen! »
Von Amsterdam fuhr Friedrich auf der ordinären Barke nach Utrecht, um das Vergnügen zu haben, die schönen Landhäuser am Ufer des Flusses zu sehen. Hier <233>machte er die Bekanntschaft eines Schweizers, le Catt, der als der Erzieher eines jungen Holländers reiste. Er lud ihn ein, an seiner Mahlzeit teilzunehmen. Das Gespräch, in dem der Schweizer mannigfache Kenntnisse entwickelte und, als Friedrich ein ziemlich scharfes Examen über die schweizerischen Zustände anstellte, durch geistreichen Widerspruch zu fesseln wußte, erweckte ebenso, wie de Catts ganzes Benehmen, die besondre Teilnahme des Königs. Er bat sich seine Adresse aus, mit dem Bemerken, daß er ihm in Zukunft einmal vielleicht gute Dienste leisten könne. Nach drei Monaten empfing le Catt eine Einladung von Friedrich, die Stelle eines Vorlesers und literarischen Gesellschafters bei ihm zu übernehmen. Doch war er damals krank und konnte der Einladung nicht folgen. Nach drei Jahren ward er aufs neue von Friedrich aufgefordert; jetzt reiste er zu ihm und blieb ihm über zwanzig Jahre ein treuer Diener.