SECHSUNDZWANZIGSTES KAPITEL Fortsetzung des Feldzuges von 1757.
Indes rückten von allen Seiten die Gefahren näher und Friedrich wünschte nichts mehr, als den Österreichern, die nun in der oberen Lausitz standen, sobald als möglich eine Schlacht zu liefern. Aber der Prinz von Lothringen hatte mit seiner Armee eine so vortreffliche Stellung genommen, daß ein Angriff auf diese eine Tollkühnheit gewesen wäre. Friedrich suchte ihn durch mehrere künstliche Märsche aus seiner Stellung zu entfernen; aber die Österreicher wichen nicht. Auch eine andere eigentümliche Kriegslist, die Friedrich anwandte, blieb ohne Erfolg. Wider seine Gewohnheit speiste er eines Abends in Gesellschaft mehrerer Generale unter freiem Himmel. Hier wurde von nichts, als von dem auf den folgenden Tag beschlossenen Angriffe, und zwar so laut gesprochen, daß alle, die sich um die königliche Tafel drängten, — und man durfte auch Kundschafter unter diesen vermuten — die Unterredung mit anhören konnten. Zugleich wurden während der Nacht alle Vorbereitungen, wie zu einer Schlacht getroffen. Zahlreiche Überläufer kamen zum Prinzen von Lothringen und benachrichtigten ihn von diesen Umständen; aber er ließ sich zu keiner falschen Bewegung verleiten.
<273>Friedrich durfte nicht länger säumen, wollte er jetzt nicht Sachsen den Angriffen der Franzosen und der Reichsvölker, die schon im vollen Anmarsch begriffen waren, preisgeben. Er ließ also den größeren Teil der Armee unter dem Oberbefehl des Herzogs von Bevern zurück, welcher die Lausitz und Schlesien gegen die Österreicher decken sollte, und machte sich selbst an der Spitze von 12,000 Mann auf den Weg nach Dresden, um die dortigen Truppen noch an sich zu ziehen und sodann gegen die Saale zu marschieren. Dem Herzoge von Bevern hatte er Winterfeldt zur Seite gestellt und von der Kühnheit und Erfahrung dieses Generals, der sein besonderes Wohlwollen besaß, glückliche Erfolge erwartet. Die Österreicher verharrten in ihrer Untätigkeit, bis der österreichische Staatskanzler, Graf Kaunitz, in dem Lager des Prinzen von Lothringen eintraf, um diesen zu lebhafteren Unternehmungen aufzumuntern. Dem Vertrauten der Kaiserin eine Probe von der Entschlossenheit des Heeres zu geben, ward schnell ein Angriff auf ein vereinzeltes preußisches Korps — freilich mit sehr bedeutender Übermacht — veranstaltet. Winterfeldt, welcher dies Korps befehligte, ward bei diesem Gefechte durch die Brust geschossen und starb nach wenigen Stunden. Die Österreicher siegten in dem ungleichen Kampfe, ohne jedoch andere Vorteile damit zu verknüpfen. Der Herzog von Bevern fürchtete nun, die Österreicher möchten ihn von Schlesien abschneiden; er begab sich mit seinem Heere dahin auf den Weg; der Prinz von Lothringen ließ ihn ruhig den Übergang über die Flüsse, welche die Lausitz von Schlesien scheiden, vollenden, und machte sich dann bereit, ihm nach Schlesien zu folgen. Als Friedrich die Nachricht von Winter<274>feldts Tode erhielt, rief er schmerzergriffen aus: « Gegen die Menge meiner Feinde hoffe ich noch Rettungsmittel zu finden; aber nie werde ich einen Winterfeldt wiederbekommen! »
Doch schon waren die Erfolge der zahlreichen Feinde von solcher Art, daß jeder andere als Friedrich an der Möglichkeit einer Rettung verzweifeln mußte. Am Niederrhein war eine mächtige französische Armee, unter dem Marschall d'Estrées, in Westfalen eingerückt, wo ihr ein aus Hannoveranern, Hessen, Braunschweigern und anderen Deutschen zusammengesetztes Heer gegenüberstand. Den Oberbefehl über letzteres führte der Herzog von Cumberland, ein Sohn des Königs von England. Auch einige preußische Truppen befanden sich unter den Verbündeten; diese wurden jedoch, als die Armee des Herzogs von Cumberland, dem Willen des hannöverschen Ministeriums gemäß, sich bis an die Weser zog, von Friedrich abberufen und zur Verstärkung der Festung Magdeburg gebraucht. Zu Hastenbeck, unweit Hameln, kam es, am 26. Juli, zur Schlacht zwischen beiden Armeen. Von beiden Seiten ward teils mit Vorteilen, teils mit Verlusten gefochten; beide Heerführer glaubten sich geschlagen und ordneten gleichzeitig den Rückzug an. Die Franzosen aber waren die Klügeren; sie bemerkten ihren Irrtum und besetzten schnell das Schlachtfeld, so daß sie als Sieger erschienen. Der Herzog von Cumberland zog sich eilig zurück; die französische Armee folgte ihm, und jener hielt sich jetzt für so ganz hilflos, daß er zu Kloster Seeven, am 8. September, die Hand zu einer schimpflichen Konvention bot, derzufolge die ganze Armee der Verbündeten auseinandergehen sollte; den Hannoveranern wurden Kantonierungsquartiere bei Stade verstattet. Braunschweig wurde nun von den Franzosen besetzt; sie fielen in die preußischen Elbprovinzen ein und übten alle möglichen Greuel und Erpressungen aus. Der Herzog von Richelieu, den man aus Paris gesandt hatte, um den Marschall d'Estrées zu ersetzen, ließ es sich aufs eifrigste angelegen sein, durch diese Erpressungen sein eignes, bedeutend zerrüttetes Vermögen wiederherzustellen.
Etwas später als die französische Armee war ein großes russisches Heer in Preußen eingerückt. Die wilden Schwärme asiatischer Barbaren, die mit diesem Heere kamen, verwüsteten alles Land, welches sie betraten, und bereiteten den Bewohnern ein namenloses Elend. Memel ward erobert, die Russen drangen bis an den Pregelfluß vor, wo ihnen die preußische Armee, wenig stärker als das Viertel der russischen Macht, unter dem Feldmarschall Lehwald entgegentrat. Am 30. August kam es bei Groß-Jägerndorf zur Schlacht. Die geregelte Tapferkeit der Preußen schien den Sieg über die unermeßlichen barbarischen Horden davonzutragen, bis die errungenen Vorteile durch manche Fehler des Anführers und durch einige zufällige Umstände verlorengingen. Die Preußen verließen <275>das Schlachtfeld, ohne jedoch von den Russen verfolgt zu werden; auch betrug ihr Verlust nur etwa die Hälfte von dem der letzteren.
Gleichzeitig war ferner eine schwedische Armee nach Stralsund übergesetzt und machte Streifzüge nach Pommern und nach der Uckermark. Endlich war auch die Reichsexekutionsarmee, unter dem Prinzen von Hildburghausen, zusammengezogen; sie hatte sich, gegen Ende August, mit einem besondern französischen Korps unter dem Prinzen Soubise, das Frankreich außer jener großen Armee, zufolge seines Vertrages mit Österreich, stellen mußte, in Thüringen vereinigt und bereits Erfurt besetzt.
So war Friedrich auf allen Punkten seines Reiches, ohne Ausnahme, bedroht, und fast überall schon standen die feindlichen Heere auf dem Boden seiner Provinzen. Der furchtbarsten Übermacht hatte er nur ein kleines, schon zusammengeschmolzenes Heer entgegenzusetzen, das überdies durch die Niederlage von Kolin und durch den Rückzug aus Böhmen mutlos geworden war. Nach menschlicher Berechnung schien es unmöglich, daß er dem gänzlichen Verderben entgehen könne. Und um das Maß seines Kummers voll zu machen, so mußte ihn, während der beängstigenden Fortschritte seiner Feinde, neben dem Verluste so vieler tapferer, ihm zum Teil so nah befreundeter Männer, noch ein Unglück treffen, das sein Gemüt im Allertiefsten ergriff. Seine Mutter, die ihm ihres kräftigen, entschiedenen Charakters, ihrer ganzen Geistesrichtung wegen, wert war wie nur wenige Frauen, war zehn Tage nach der Schlacht von Kolin gestorben. Eine finstre Melancholie hatte sich seiner Seele bemächtigt; und obgleich er es, mit ungeheurer Gewalt, möglich zu machen wußte, daß seine Umgebungen nur zuversichtliches Handeln, ungetrübten Mut, selbst Laune <276>und Heiterkeit an ihm sahen, so zitterten seine Vertrautesten doch, denn sie wußten, daß er ein schnell tötendes Gift bei sich trug, und daß er entschlossen war, den Sturz seines Reiches nicht zu überleben. In den Gedichten, die er in dieser Zeit niederschrieb, atmet nur der Gedanke des Todes, in dem allein er Ruhe vor den Stürmen des Schicksals zu finden hoffte. Er malt es sich als ein süßes Gefühl aus, freiwillig von dem traurigen Schauplatze abzutreten. Hier sind die Bruchstücke eines von diesen Gedichten, das an seinen Freund, den Marquis d'Argens, gerichtet ist.
Nun ist das Los geworfen, Freund!
Ermüdet von dem Schicksal, das mich quält,
Ermüdet, mich zu beugen seiner Last,
Verkürz' ich selbst das Ziel, das die Natur
In mütterlichem Sinn, verschwenderisch,
Bestimmt für meine leiderfüllten Tage.
Mit festem Herzen, unverwandtem Blick
Schreit' ich dem Ziel entgegen, welches bald
Mich vor des Schicksals Wüten schirmen soll.
Furchtlos und mühlos, in der Parze Händen,
Zerreiß' an ihrer trägen Spindel ich
Den allzu langen Faden. Mir hilft Atropos,
Und schnell dring' ich in jenen Nachen ein,
Der Fürst und Hirten, ohne Unterschied,
Hinüberführt ins Land der ew'gen Ruhe.
Lebt wohl, ihr trügerischen Lorbeerkränze!
's ist allzuteurer Kauf, wer leben will
In der Geschichte Büchern.
Oft geben vierzig arbeitsvolle Jahre
Nicht mehr als einen Augenblick des Ruhms
Und Haß von hundert Mitbewerbern!
Erträumte Größe, lebe wohl!
Dein flücht'ger Schimmer soll die Augen mir
Nicht fürder blenden.
— — — —
Schon lang' hat Morpheus, karg mit seinem Mohne,
Kein Korn mehr auf mein trübes Aug' gestreut.
Den Blick von Tränen schwer, sprach ich zum Morgen:
Der Tag, der bald erwachen wird, verkündet
Nur neues Unheil mir! Ich sprach zur Nacht:
Bald ist dein Schatten da, der meine Schmerzen
Zur Ewigkeit verlängert!
— — — —
<277>
Jetzt, um zu enden meine Pein,
Gleich jenen Armen, die im Kerker schmachten,
Die ihrem grausen Schicksal, ihren Henkern
Trotz bietend, kühnen Muts die Ketten brechen;
Zerreiß' auch ich — nicht sorg ich ob des Mittels! —
Das unglücksvolle, feingewebte Band,
Das allzulange schon an diesen Leib,
Den gramzernagten, meinen Geist gefesselt.
Leb wohl, d'Argens! In diesem Bilde siehst
Du meines Todes Ursach. Denke nicht,
Ich bitte dich darum, daß aus dem Nichts
Des Grabes ich nach Götterwürde dürste.
Die Freundschaft fordert Eines nur von dir:
Solang' hienieden noch des Himmels Fackel
Die Tage dir erhellt, indes ich ruhe,
Und wenn der Frühling neu erscheint und dir
Aus reichem Schoße holde Blumen beut,
Dann jedesmal, mit Myrten und mit Rosen,
Sollst schmücken du mein Grab!
Aber daß es dem Könige gegeben war, seinen Gram in Worten auszusprechen, daß er ihm, als ein künstlerisches Gebilde, aus seinem Innern abgetrennt vor sich hinstellen konnte, das war es, was ihn befreite. Die Poesie war das Gegengift, welches er bei sich trug und welches ihn vor dem letzten furchtbaren Schritte schützte. Und bald klingt wieder in seinen Gedichten ein anderer Ton, als der der gänzlichen Hoffnungslosigkeit; er wagt es, wieder mutig in die Zukunft zu schauen; er reißt sich, mitten aus der Verzweiflung seiner damaligen Lage, in kühner Begeisterung empor und verkündet das siegreiche Ende des schreckenvollen Kampfes. So ruft er in einer Ode, die seinem jüngeren Bruder, dem Prinzen Heinrich, gewidmet ist, seinem Volke die Worte zu:
Ihr Preußen, hört! zu euch spricht des Orakels Stimme,
Zu euch, die dem Geschick und seinem herben Grimme
Ihr wurdet Untertan:
Noch immer hat ein Volk, im Werden seiner Größe,
Bis an das Ziel durcheilt gar ohne dräu'nde Stöße
Des Glückes Siegerbahn!
Er verweiset die Preußen auf das Beispiel des römischen Volkes, das ebenfalls unter tausend Gefahren groß und weltherrschend geworden war. Dann wendet er sich an seinen Bruder:
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O du, auf den mit Lust hinblicket unsre Jugend,
Für künft'ge Taten du, in deiner holden Tugend,
Ihr Vorbild, Schmuck und Schild:
Erhalte diesen Staat, des Ruhm so hell gefunkelt,
Mein Bruder, und der jetzt, von Wolken rings umdunkelt,
Sich schon in Nacht verhüllt.
So wird die Zeit, die nie verarmt an Blüt' und Kränzen,
O Preußenland! auch dir, solang' die Sterne glänzen,
Neu bringen Blüt und Kranz!
So kündet mein Gesang, der Zukunft zugewendet,
Dem Staate Glück und Heil, bis einst die Zeit sich endet, —
Und ew'gen Ruhmes Glanz!
Auch hier noch scheint der Gedanke durchzugehen, daß vielleicht nicht durch ihn, den König, diese Zukunft werde heraufgeführt werden. Aber er hatte einmal die Zuversicht des siegreichen Ausganges gefunden; und so fand er auch in dieser Zuversicht die Kraft, die ihn die Übermacht seiner Feinde brechen ließ. Von hier an beginnen die herrlichsten Taten des großen Königs.