VIERZIGSTES KAPITEL Freundschaftliche Verhältnisse zu Rußland und Österreich. — Die Erwerbung von Westpreußen.
Als Friedrich den Hubertsburger Frieden schloß, stand er ohne einen eigentlichen Bundesgenossen da, durch dessen Beihilfe er seinem Staate ein entschiedeneres Gewicht in den europäischen Angelegenheiten hätte erhalten können. England war von ihm abgefallen, auf eine Weise, daß er nie wieder zu der Regierung dieses Staates Vertrauen fassen konnte; der Bund mit Rußland war seit dem schnellen Sturze Peters III. zerrissen. Nur mit den Tataren und Türken bestand noch seit den letzten Jahren des Siebenjährigen Krieges ein gewisses freundschaftliches Verhältnis. Auch erschien infolge des letzteren, schon im Spätherbste des Jahres 1763, eine zahlreiche türkische Gesandtschaft zu Berlin, die daselbst im vollen orientalischen Pompe, zum großen Ergötzen der Einwohner, am 9. November ihren Einzug hielt und dem Könige kostbare Gewandstoffe, Waffen und prächtige Pferde zum Geschenk überbrachte. Es wird erzählt, der Sultan habe <445>Friedrich durch seinen Gesandten Achmet Effende bitten lassen, ihm drei der Astrologen zu übersenden, durch deren Gelehrsamkeit der König, wie er meinte, all jene wunderwürdigen Erfolge des Siebenjährigen Krieges erreicht habe; Friedrich aber habe geantwortet: die drei Astrologen wären seine Kenntnis von politischen Dingen, seine Armee und sein Schatz. Die Gesandtschaft blieb den Winter über in der preußischen Residenz und ersetzte den Berlinern einigermaßen den Mangel an Schauspielen und sonstigen Lustbarkeiten, an die man so schnell nach dem verheerenden Kriege noch nicht denken konnte. Als die Türken im nächsten Frühjahr wieder abzogen, hatte sich eine ziemliche Anzahl junger Mädchen eingefunden, die die Reise nach Konstantinopel mitzumachen gedachten und schon auf den türkischen Rüstwagen versteckt waren. Die Polizei aber hatte von diesem Vorhaben Kunde erhalten und wußte die zierlichen Flüchtlinge noch zur rechten Zeit zu fassen.
Indes waren Verhältnisse solcher Art zu wenig genügend, als daß Friedrich nicht hätte einen wichtigeren Bundesgenossen zur Sicherung seiner Macht suchen sollen. Eine Verbindung mit Rußland schien die besten Vorteile zu gewähren, und obgleich man österreichischerseits eifrig dagegen arbeitete, so fand sich doch bald Gelegenheit, eine solche Verbindung zustande zu bringen. Die politischen Verhältnisse Polens gaben dazu den Anlaß. König August III. war im Oktober 1763, sein Sohn zwei Monate nach ihm gestorben, und es blieb nur ein unmündiger Enkel übrig, der an eine so schwierige Bewerbung, wie die polnische Krone damals war, nicht denken konnte. Rußland hatte bisher ein entschiedenes Übergewicht über Polen behauptet und das Land fast wie eine abhängige Provinz behandelt; es schien der Kaiserin höchst wünschenswert, auch fortan diesen Einfluß auszuüben. Polnische Patrioten, welche das allerdings selbst verschuldete Elend ihres Vaterlandes fühlten, wandten sich an Friedrich, daß er ihnen seinen Bruder, den Prinzen Heinrich, der aus dem Siebenjährigen Kriege mit hohem Ruhm zurückgekehrt war, zum Könige gebe, damit ihr Vaterland unter dessen Leitung aufs neue groß und stark werde. Aber Friedrich sah zu wohl ein, welche Folgen ein solcher Schritt für ihn haben könne; er schlug die Bitte ab. Jetzt fand die russische Kaiserin in Friedrich eine gleiche Stimmung rücksichtlich Polens, und schnell, im April 1764, kam das von Friedrich erwünschte Bündnis zustande. Man verbürgte sich gegenseitig den gegenwärtigen Besitz beider Staaten, versprach sich im Kriege eine Unterstützung von 12,000 Mann oder 480,000 Taler Subsidien und machte es in einem geheimen Artikel aus, daß man alle Mittel, selbst Kriegsgewalt anwenden wolle, die Grundverfassung der polnischen Republik, namentlich das unbeschränkt freie Wahlrecht — den wesentlichsten Grund der Anarchie, welche Polen schwach und für <446>die Nachbarländer ungefährlich machte! — zu erhalten. Gleichzeitig hatte man den polnischen Grafen Stanislaus August Poniatowski als Bewerber der polnischen Krone ausersehen; unter dem Schutze russischer Waffen wurde dieser am 7. September desselben Jahres zum Könige gewählt.
Polen aber war von inneren Gärungen erfüllt. Religiöser Fanatismus hatte das Volk furchtbar entzweit; diejenigen, die nicht zur römisch-katholischen Kirche gehörten — sie führten den Namen der Dissidenten — wurden in jeder Weise unterdrückt. Nun verlangte die russische Kaiserin für die letzteren durchaus gleiche Rechte. Dies regte die Zwietracht immer heftiger auf. Um die Sache kurz zu beenden, entschloß sich Katharina zu einem Gewaltstreich: die Häupter der katholischen Partei wurden zu nächtlicher Weile überfallen und schnell nach Sibirien abgeführt. Aber so schrankenlose Gewalt trieb das polnische Volk zur Verzweiflung; in den südlichen Gegenden, nahe an der türkischen Grenze, bildete sich, im Jahre 1768, ein Aufstand, der alle Fremdherrschaft abschütteln und den Thron Stanislaus Augusts umstürzen wollte. Doch schon waren aufs neue russische Truppen in Polen eingerückt; die Verbündeten wurden auseinandergesprengt; sie flüchteten sich auf türkisches Gebiet; die Russen eilten ihnen unbedachtsam nach und legten eine türkische Stadt in Asche.
<447>Dieser Friedensbruch fachte urplötzlich das alte Feuer der Eifersucht zwischen der Pforte und Rußland zur lodernden Flamme an. Der russische Gesandte in Konstantinopel ward ohne weiteres ins Gefängnis abgeführt; der Divan des Sultans erklärte dem Petersburger Hofe den Krieg. Friedrich, der sich höchst ungern mit in den Krieg verwickelt sah, suchte den Frieden zu erhalten, doch waren seine Unterhandlungen umsonst; er zahlte somit an Rußland die bundesmäßige Geldhilfe. Aber die Pforte hatte sich im höchsten Maße übereilt; sie war noch auf keine Weise gerüstet. Rußland erfocht glänzende Siege und besetzte bedeutende Landstrecken des türkischen Gebietes.
Die schnellen Fortschritte seines Bundesgenossen konnte Friedrich indes nicht ohne Besorgnisse ansehen; es stand wohl zu befürchten, daß er aus einem Verbündeten zum Diener herabgedrückt werden könne. Er sah sich somit nach einer andern Seite um, das verlorne Gleichgewicht wiederherzustellen; und nun begegneten sich die Staaten, die solange einander feindselig gegenübergestanden hatten, in gleichem Interesse. Österreich konnte die russischen Fortschritte ebensowenig gleichgültig ansehen wie Preußen.
Joseph II., geboren im Jahr 1741, war seinem Vater im Jahr 1765 als Kaiser und als Mitregent der österreichischen Erblande gefolgt. Ihn hatten die Taten Friedrichs mit hoher Bewunderung erfüllt; ihm schien kein Los ruhmvoller, als ebenso — oder vielleicht noch gewaltiger — der Freiheit des menschlichen Geistes Bahn zu brechen, als seinen Namen mit ebenso unvergänglicher Schrift in die Tafeln der Geschichte einzugraben. Hätte er Friedrichs kalte Besonnenheit und Charakterstärke besessen, hätte ihn das Geschick nicht zu früh von seiner dornenvollen Bahn abgerufen, er würde das Größte vollbracht haben. Schon im Jahre 1766, als <448>Joseph Böhmen und Sachsen bereiste, um sich mit dem Schauplatze des großen Krieges bekannt zu machen, hatte er Friedrich seinen Wunsch kundgetan, ihn von Angesicht zu sehen und persönlich kennenzulernen; damals hatten jedoch Maria Theresia und ihr Kanzler, Fürst Kaunitz, eine solche Zusammenkunft wenig passend gefunden, und Joseph hatte, sich entschuldigend, gegen Friedrich geäußert, er werde schon Mittel finden, um die Unhöflichkeit wieder gut zu machen, zu der seine Pädagogen ihn zwängen. Unter den gegenwärtigen Verhältnissen aber war das Begehren des jungen Kaisers seiner Mutter ganz erwünscht. Die Vorbereitungen dazu konnten um so schneller beseitigt werden, als Joseph, der seine Reisen stets unter dem <449>Namen eines Grafen von Falkenstein machte, sich alles Zeremoniell verbeten hatte. Neiße in Oberschlesien war zum Orte der Zusammenkunft ausersehen worden. Am 25. August 1769 traf Joseph daselbst ein; er fuhr geradeswegs nach dem bischöflichen Schlosse, wo Friedrich seine Wohnung genommen hatte. Friedrich eilte ihm mit den Prinzen, die bei ihm waren, entgegen, aber kaum war er einige Stufen der Treppe hinabgestiegen, als der Kaiser ihm schon in den Armen lag. Der König führte seinen erhabenen Freund an der Hand in den Saal. Joseph sagte: « Nun sehe ich meine Wünsche erfüllt, da ich die Ehre habe, den größten König und Feldherrn zu umarmen. » Friedrich entgegnete, er sehe diesen Tag als den schönsten seines Lebens an, denn er werde die Epoche der Vereinigung zweier Häuser ausmachen, die zu lang Feinde gewesen seien und deren gegenseitiges Interesse es erfordere, sich eher beizustehen als einander aufzureiben. Der Kaiser fügte hinzu: für Österreich gebe es kein Schlesien mehr. Er ließ sodann etwas davon fallen, daß er zwar für jetzt noch keinen bedeutenden Einfluß habe, daß aber so wenig er wie seine Mutter es zugeben würde, daß die Russen im Besitz der Moldau und Wallachei, die sie bereits großenteils erobert, blieben. Endlich kam auch eine schriftliche Übereinkunft zwischen ihm und Friedrich zustande, wodurch sie sich bei einem zu erwartenden Kriege zwischen England und Frankreich, sowie bei andern unvorhergesehenen Unruhen, zu völliger Parteilosigkeit verpflichteten. — Die Tage des Besuches gingen unter militärischen Übungen und traulichen Gesprächen hin; beim Ausgehen sah man die beiden Häupter des deutschen Reiches nur Arm in Arm.
Eine zweite, wichtigere Zusammenkunft zwischen Friedrich und dem jungen Kaiser wurde im September des folgenden Jahres zu Neustadt in Mähren veranstaltet. Auf der Reise dahin stattete Friedrich einem Bekannten früherer Zeit, dem Grafen Hoditz, auf seinem mährischen Landgute Roßwalde einen Besuch ab. Hoditz hatte unter den Gartenkünstlern des vorigen Jahrhunderts einen Ruf erworben, der an das Wunderbare grenzte; er hatte es möglich gemacht, alle Phantasien der bildenden Kunst in seiner Besitzung lebendig auszuführen. Die gesamte Schar seiner Untergebenen hatte er zu diesem Endzwecke künstlerisch ausgebildet. Jetzt ließ er es sich eifrigst angelegen sein, vor seinem königlichen Gaste den ganzen Zauber seines elyseischen Aufenthaltes zu entfalten. Da waren die Felder und Wiesen von arkadischen Schäfern und Schäferinnen belebt; im Wald und in den Gewässern bewegten sich, wie im heitersten Spiele, die Götter und Göttinnen der alten Fabelwelt. Die Gebäulichkeiten und ihre Umgebungen versetzten in die verschiedensten Zonen der Erde; selbst die kleine Stadt der Lilliputer, von denen Gulliver erzählt, fehlte nicht; ihre Türme reichten nicht bis an die Stirn der Lustwandelnden empor. <450>Schauspiele, Wasserkünste, Feuerwerke, tausend Überraschungen waren angewandt, um einen jeden Gedanken an die prosaische Wirklichkeit des Lebens fern zu halten.
Friedrich war sehr zufrieden aus den Zaubergärten von Roßwalde geschieden und traf am 3. September in Neustadt ein. Zu Anfange der Stadt stieg er aus seinem Wagen, um den Kaiser zu Fuße zu begrüßen; dieser aber hatte seine Ankunft bereits wahrgenommen und eilte ihm mit seinem Gefolge entgegen. Auf offenem Platze umarmten die Monarchen einander. Diesmal befand sich auch Fürst Kaunitz im Gefolge des Kaisers, und es kam zu näheren diplomatischen Verhandlungen. Kaunitz bemühte sich, den König zu einer unmittelbaren Verbindung zu gewinnen; er stellte ein Bündnis Österreichs und Preußens als die einzige Schutzwehr wider den ausgetretenen Strom dar, der ganz Europa zu überschwemmen drohe. Friedrich indes war nicht geneigt, mit Rußland zu brechen; doch versicherte er, er wolle alles tun, um zu verhindern, daß aus dem gegenwärtigen Türkenkriege ein allgemeiner Brand entstehe; er versprach seine Vermittelung und erwies sich auch in andern Dingen entgegenkommend. Zur Bestätigung dessen, wie eifrig er schon gegenwärtig für die Ruhe Europas unterhandelt hatte, traf gerade in diesen Tagen ein Kurier aus Konstantinopel mit dem Antrage des Sultans an die beiden Höfe von Berlin und Wien ein, die Vermittelung zwischen Rußland und der Pforte, welche letztere <451>neuerdings wiederum bedeutende Verluste erlitten hatte, zu übernehmen. Joseph und Kaunitz waren hierüber sehr erfreut und bezeugten sich dankbar.
Der Besuch in Neustadt bot zugleich mancherlei anmutige Unterhaltung dar. Der geistreiche Prinz von Ligne, der sich in Josephs Gefolge befand, hat uns darüber und über die Weise, wie Friedrich durch lebendiges und witziges Gespräch zu fesseln verstand, anziehende Berichte hinterlassen. « Wissen Sie », sagte Friedrich eines Tages zu dem Prinzen von Ligne, « daß ich in Ihrem Dienste gestanden habe? Meine ersten Waffen habe ich für das Haus Österreich geführt. Mein Gott, wie die Zeit vergeht! » Er legte (fügt der Prinz hinzu) bei den Worten « Mein Gott » die Hände auf eine Weise zusammen, daß es ihm ein mildes Ansehen gab. « Wissen <452>Sie », fuhr Friedrich fort, « daß ich die letzten Strahlen von dem Genie des Prinzen Eugen habe leuchten sehen? » — « Vielleicht entzündete sich das Genie Ew. Majestät an diesen Strahlen. » — « Ach, mein Gott, wer dürfte sich dem Prinzen Eugen gleichstellen! » — « Der », sagte der Prinz, « der mehr gilt: der, zum Beispiel, der dreizehn Schlachten gewonnen hat. »
Über den Feldmarschall Traun äußerte Friedrich: « Dies war mein Meister; er lehrte mich die Fehler kennen, die ich machte. » — « Ew. Majestät », erwiderte der Prinz von Ligne, « waren sehr undankbar, Sie bezahlten ihm die Unterrichtsstunden nicht. Sie hätten sich dafür wenigstens von ihm sollen schlagen lassen, aber ich erinnere mich nicht, daß dies geschehen sei. » — « Ich bin nicht geschlagen worden », entgegnete Friedrich, « weil ich mich nicht geschlagen habe. »
Besondere Auszeichnung erwies Friedrich dem General Loudon, der sich mit in Neustadt befand. Er nannte ihn fortwährend nur « Herr Feldmarschall », obgleich Loudon erst acht Jahre später diese Würde, welche er, der gefährlichste Feind Friedrichs im siebenjährigen Krieg, schon lange verdient hatte, erhielt. Als man sich eines Tages zur Tafel setzen wollte, bemerkte man, daß Loudon sich noch nicht eingefunden habe. « Das ist gegen seine Gewohnheit », sagte Friedrich; « sonst pflegte er vor mir auf dem Platze zu sein. » Er bat darauf, daß Loudon sich neben ihn setzen möge: er liebe es mehr, ihn zur Seite, als sich gegenüber zu sehen.
Friedrich, sowie sein Gefolge, trugen während dieses ganzen Besuchs die österreichischen Farben, weiß, mit Silber gestickt, damit er den Augen der Österreicher nicht die wenig beliebten preußischen Blauröcke vorführe und damit es den Anschein habe, als gehöre er zu ihrer Armee und zum Gefolge des Kaisers. Da Friedrich aber, seiner Gewohnheit nach, viel spanischen Tabak schnupfte, so blieben die Spuren davon auf der weißen Kleidung sehr bemerklich. « Ich bin für Euch, Ihr Herren », bemerkte er zu dem Prinzen von Ligne, « nicht sauber genug, ich bin nicht wert, Ihre Farben zu tragen. »
Über Joseph äußerte sich Friedrich, kurz nachdem er aus Mähren zurückgekehrt war, mit hoher Anerkennung. « Ich bin », so schrieb er an Voltaire, « in Mähren gewesen und habe da den Kaiser gesehen, der sich in Bereitschaft setzt, eine große Rolle in Europa zu spielen. Er ist an einem bigotten Hofe geboren und hat den Aberglauben verworfen; ist in Prunk erzogen und hat einfache Sitten angenommen; wird mit Weihrauch genährt und ist bescheiden; glüht von Ruhmbegierde und opfert seinen Ehrgeiz der kindlichen Pflicht auf, die er in der Tat äußerst gewissenhaft erfüllt; hat nur Pedanten zu Lehrern gehabt und doch Geschmack genug, Voltaires Werke zu lesen und Ihr Verdienst zu schätzen. » —
<453>Indes wollten die Vermittelungen zwischen den feindlichen Mächten vorderhand zu keinen erwünschten Erfolgen führen. Rußland hatte zu wichtige Vorteile über die Türken erkämpft, als daß es sich zu billigen Friedensbedingungen hätte willig zeigen können; die Pforte wollte auf die russischen Forderungen nicht eingehen; Österreich bestand darauf, daß Rußland nicht der Nachbar seiner östlichen Provinzen werden dürfe, und rüstete seine Kriegsmacht, um solcher Erklärung Nachdruck zu verschaffen. Mit vermehrter Heftigkeit drohte der Krieg auszubrechen; es war dringend zu befürchten, daß die Polen so günstige Gelegenheit nicht ungenützt würden vorübergehen lassen, daß sich auch noch andere Mächte in diese Händel mischen würden und daß aufs neue die Fackel des Krieges ganz Europa entzünden dürfe. Friedrich aber wünschte nichts mehr, als den Frieden zu erhalten und sein Land in ungestörter Muße erstarken zu lassen. Da zeigte sich plötzlich ein ganz unvermuteter Ausweg, um alle die widerstrebenden Gemüter zufrieden zu stellen.
<454>Prinz Heinrich, der Bruder Friedrichs, befand sich in Petersburg zum Besuche und hatte sich das besondere Vertrauen der Kaiserin Katharina zu erwerben gewußt, als dort die Nachricht eintraf, Österreich habe einen Teil des polnischen Grenzlandes besetzt, um alte Ansprüche an dasselbe geltend zu machen. Auf diese Kunde sprach Katharina zu Heinrich das berühmte Wort: « Es scheint, daß man sich in Polen nur zu bücken braucht, um nach Belieben zu nehmen: — wenn der Hof von Wien dies Königreich zerstückeln will, so würden die übrigen Nachbarn desselben das Recht haben, ein Gleiches zu tun. » Diese Äußerung faßte Heinrich auf; er entwickelte der Kaiserin, wie sie sich auf diese Weise für eine gewisse, den übrigen Mächten so wünschenswerte Nachgiebigkeit gegen die Pforte vollkommen schadlos halten könne, und Katharina ging bereitwillig darauf ein; die Ausführung konnte bei der inneren Zerrissenheit Polens keine Schwierigkeit haben. Als Friedrich die erste Nachricht von dieser Verhandlung erhielt, zögerte er nicht, seine Zustimmung zu geben.
Preußen und Rußland vereinigten sich bald über die zu ergreifenden Maßregeln überein und forderten Österreich auf, an dieser eigentümlichen Verbindung gegen Polen teilzunehmen. Das österreichische Kabinett, obgleich es den ersten Anstoß dazu gegeben hatte, nahm jetzt den Anschein, als ob es die ganze Angelegenheit mißbillige, — vielleicht der Kaiserin Maria Theresia zu Gefallen, die sich hierin nur äußerst schwer finden konnte. Als es aber seine Zustimmung gegeben hatte, machte es plötzlich so ausgedehnte Forderungen, daß der ganze Teilungsplan fast aufs neue gescheitert wäre. Endlich, nach mancherlei schwierigen Unterhandlungen, kam man dahin überein, daß ein jeder der drei Staaten die seinen Grenzen zunächstgelegenen Landstriche Polens, die zu seiner vollkommenen Abrundung bequem gelegen waren, in Besitz nehmen sollte. Die Ausführung geschah im Herbst des Jahres 1772, ohne daß Polen fähig gewesen wäre, etwas dagegen zu unternehmen. Friedrich ließ Pomerellen und die übrigen, zwischen Pommern und Ostpreußen gelegenen Distrikte (mit Ausnahme von Danzig und Thorn) besetzen und sich huldigen. Jede der drei Mächte stellte Beweise zur Gültigkeit ihrer Forderungen auf. Friedrichs Erklärung betraf vornehmlich Pomerellen, das von dem Herzogtum Pommern durch die Polen im dreizehnten Jahrhunderte abgerissen war, und auf das somit Kurbrandenburg, als Erbe von Pommern, gerechte Ansprüche habe. Friedrichs Erwerbung war die geringste an Flächenraum, Einwohnerzahl und Wert des Bodens; aber sie war für ihn von größter Wichtigkeit, sofern sie diese naturgemäße Verbindung zwischen seinen Staaten herstellte und ihn, durch den Besitz der Weichselmündung, zum Herrn des polnischen Handels machte. Die neue Provinz <455>erhielt den Namen Westpreußen; und da Friedrich jetzt im Besitz des ganzen altpreußischen Landes war, so nannte er sich nicht mehr, wie bisher, König « in » Preußen, sondern König « von » Preußen.
Der polnische Reichstag war zur Anerkennung der Abtretungen, trotz des Widerspruches der polnischen Patrioten, gezwungen worden. Thaddäus Reyten, der eifrigste Gegner der Teilung seines Vaterlandes, ward wahnsinnig, als er all seine Anstrengungen vergeblich sah. Maria Theresia hatte den Plänen ihres Kabinetts nur mit äußerstem Widerwillen beigestimmt. Sie schrieb darüber an Kaunitz den merkwürdigen Brief: « Als alle meine Länder angefochten wurden und gar nit mehr wußte, wo ruhig niederkommen sollte, steiffete ich mich auf mein gutes Recht und den Beistand Gottes. Aber in dieser Sach, wo nit allein das offenbare Recht himmelschreiend wider uns, sondern auch alle Billigkeit und die gesunde Vernunft wider uns ist, muß bekennen, daß zeitlebens nit so beängstigt mich befunden und mich sehen zu lassen schäme. Bedenk der Fürst, was wir aller Welt für ein Exempel geben, wenn wir um ein elendes Stuck von Polen oder von der Moldau und Wallachei unser Ehr und Reputation in die Schanz schlagen. Ich merk wohl, daß ich allein bin und nit mehr en vigueur, darum laß ich die Sachen, jedoch nit ohne meinen größten Gram, ihren Weg gehen. » Auf den Entwurf des Teilungsprojekts aber schrieb die hehre Frau eigenhändig die Worte: « Placet, weil so viele große und gelehrte Männer es wollen; wenn ich aber schon längst tot bin, wird man erfahren, was aus dieser Verletzung von allem, was bisher heilig und gerecht war, hervorgehen wird. » — Alle Welt war von dumpfem Erstaunen erfüllt, als das Ereignis vor sich ging, das bis dahin ohne Beispiel in der Geschichte war. Doch schritt keine der übrigen Großmächte dagegen ein; die Vorbereitungen zu dem Freiheitskampfe der Nordamerikaner und die Aufhebung des Jesuitenordens hatten die Interessen nach andern Seiten hin abgezogen.
<456>Indem wir dem beginnenden Untergange eines Volkes, das herrlich begabt und einst groß und mächtig war, gerechte Trauer widmen, ist es der Hinblick auf den steten Fortschritt der Geschichte, der für solche Betrachtung reichen Trost gewährt. Die Geschichte lehrt uns, wie fort und fort über den Gräbern ein neues, zumeist ein schöneres Leben emporsprießt. Polen fiel, weil es hinter der Entwickelung der Zeit zurückgeblieben war, weil man im Lande selbst nur Willkür und Knechtschaft kannte, weil kein volkstümlicher Geist die Glieder des ausgedehnten Reiches mehr zusammenhielt. Preußen ward, indem es vom polnischen Reiche einen Landstrich nahm, den dieses sich früher durch Waffengewalt unterworfen hatte, auf eine Weise ausgerundet, die beim Fortschritt seiner politischen Entwickelung notwendig erfolgen mußte; und was von Polen unter preußische Hoheit kam, ward rasch aus seiner alten Barbarei emporgerissen und all denjenigen höheren Gütern des Lebens teilhaftig gemacht, die in den übrigen Provinzen des preußischen Staates im regen Wetteifer der Kräfte gediehen. Zagt unser Herz, dem Schritt beizustimmen, zu dem sich Friedrich veranlaßt sah, so müssen wir ihm in den neuen landesväterlichen Sorgen, denen er sich hingab, um mehr als eine halbe Million Menschen glücklich zu machen, wiederum die lauterste Bewunderung zollen. Er selbst war schon im Sommer 1772 nach Westpreußen geeilt, um die nötigsten Vorkehrungen zu treffen. Wo bisher nur Verwirrung und Rechtlosigkeit geherrscht hatten, ward eine geregelte Rechtspflege, welche Sicherheit des Lebens und Eigentums gab, eingeführt; die Schmach der Leibeigenschaft und das barbarische Standerecht wurden aufgehoben; zahlreiche Schulen wurden gestiftet, um das Volk aus seiner stumpfen Gefühllosigkeit zu menschlichem Adel zu entwickeln; vortreffliche Einrichtungen wurden getroffen, um den ansteckenden Krankheiten zu wehren, die so oft Verheerungen unter Menschen und Vieh angerichtet hatten. Endlich ward nichts verabsäumt, um Tätigkeit und Verkehr zu befördern; Kolonisten wurden in entvölkerten Landstrecken angesetzt; an der Posteinrichtung erhielt die Landschaft ein ganz neues Gut.
<457>Die Verbindung zwischen Preußen und Rußland, die bei den Verhandlungen über die zu besetzenden Landstriche Polens in etwas gestört worden war, was sodann die geschäftige Diplomatie feindlich Gesinnter schnell zu benutzen gesucht hatte, ward bald noch fester geknüpft. Prinz Heinrich befand sich im Frühjahr 1776 zum zweiten Male in Petersburg, als die junge Gemahlin des Großfürsten Paul plötzlich starb. Er wußte sich bei diesem Trauerfall durch zarte Teilnahme das Vertrauen des ganzen kaiserlichen Hofes zu erwerben; und als die Kaiserin eine baldige Wiedervermählung des Großfürsten wünschte, brachte er eine Prinzessin von Württemberg, deren Mutter eine Prinzessin von Brandenburg-Schwedt war, in Vorschlag. Die Wahl fand Beifall; es ward bestimmt, daß der Großfürst in Berlin mit der Prinzessin zusammentreffen und dort die Verlobung feiern solle.
Friedrich machte zum Empfang des hohen Gastes außerordentliche Anstalten. Eine besondere Gesandtschaft ward ihm bis an die russische Grenze entgegengeschickt; unterdessen traf man alle Vorkehrungen, um den königlichen Residenzen ein festliches Gepräge zu geben. Da der Hofstaat Friedrichs äußerst einfach war, so wurde für diesen Zweck auch die Zahl der Pagen und Lakaien ansehnlich vermehrt. Am 21. Juli hielt der Großfürst einen glänzenden Einzug in Berlin; Friedrich ging ihm bis vor seine Wohnung entgegen. Paul Petrowitsch sagte: « Sire, die Beweggründe, welche <458>mich von dem äußersten Norden bis in diese glücklichen Gegenden führen, sind das Verlangen, Sie der Freundschaft zu versichern, welche für immer Rußland und Preußen vereinigen soll, und die Sehnsucht, eine Prinzessin zu sehen, welche auf den Thron der Moskowiter zu steigen bestimmt ist. Indem ich sie aus Ihren Händen empfange, wage ich es, Ihnen zu versprechen, daß diese Fürstin mir und der Nation, über welche sie regieren wird, um so teurer ist. Endlich erlange ich, was ich so lange gewünscht habe: ich kann den größten Helden, die Bewunderung unserer Zeit und das Staunen der Nachwelt, betrachten. » — Friedrich erwiderte: « Ich verdiene so große Lobeserhebungen nicht, mein Prinz; Sie sehen in mir nur einen alten kränklichen Mann mit weißen Haaren; aber glauben Sie, daß ich mich schon glücklich schätze, in diesen Mauern den würdigen Erben eines mächtigen Reiches, den einzigen Sohn meiner besten Freundin, der großen Katharina, zu empfangen. » Dann wandte sich Friedrich an den Grafen Romanzow, der die mächtigen Siege über die Türken erkämpft hatte und der sich im Gefolge des Großfürsten befand; zu diesem sagte er: « Sieger der Ottomanen, seien Sie willkommen! Ich finde viel Ähnlichkeit zwischen Ihnen und meinem General Winterfeldt. » — « Sire », entgegnete der russische Marschall, « es würde mir sehr schmeichelhaft sein, selbst nur unvollkommen einem Generale zu ähneln, der sich so ruhmvoll in Friedrichs Diensten ausgezeichnet hat. » — « O », erwiderte der König, « Sie können vielmehr stolz sein auf die Siege, welche Ihren Namen bis auf die entfernteste Nachwelt bringen werden. » — Die Verlobung des Großfürsten wurde zwei Tage nach seiner Ankunft gefeiert. Jeder Tag seiner Anwesenheit war durch die glänzendsten Feste gefeiert.