8068. AN DEN ETATSMINISTER GRAF PODEWILS IN BERLIN.
Gross-Sedlitz, 18. September 1756.
Zufolge meines gestrigen Schreibens an Ew. Excellenz überkommet hierbei die Continuation der ganzen bisher fast tagtäglich vorgewesenen Correspondance zwischen des Königs Majestät und des Königs von Polen Majestät, so wie solche bis gestern zu gewesen. Worin eigentlich die Commissions des Herrn Generallieutenant von Winterfeldt410-1 bestanden, solches kann ich nicht sagen, weil des Königs Majestät denselben nur mündlich instruiret haben, er auch seine Rapports dergestalt wieder erstattet hat; so viel aber ist mir en gros bekannt, dass des Königs Majestät von dem König von Polen verlanget habe, dass selbiger zu Sr. Königl. Majestät Sicherheit dessen Truppen in Dero Diensten und Pflicht während dem jetzigen Kriege überlassen und sein Séjour in Polen oder auch in Sachsen an gewissen Orten nehmen und des Königs Majestät die Interimsadministration derer sächsischen Lande zu Bezahlung derer Truppen überlassen und gleichsam en dépôt geben möchten, woraus ihm zur Hofstaat ein jährliches Quantum von 500,000 Thaler und allenfalls noch ein mehreres auf sein Verlangen richtig gezahlet werden sollte. So viel ist est, was ich, so zu sagen, en bâtons rompus davon weiss, auch solches nur gegen Ew. Excellenz im Vertrauen melde. Es hat gedachter Generallieutenant von Winterfeldt auch dem König von Polen zugleich bei der ersteren Audience eine Abschrift von dem Ew. Excellenz bekannten Précis derer Griefs gegen den Grafen Brühl410-2 zugestehet, der dann auch solches selbst gelesen und, nach dem Rapport gedachten Generals, verschiedentlich den Kopf dazu geschüttelt, weiter aber sich darüber nicht herausgelassen hat. Ob nun schon es anfänglich einigen Anschein gehabt, als ob es zwischen beiden Souverains zu einem Accommodement und Verständniss kommen mögen, so scheinet doch nunmehro alle Hoffnung dazu verschwunden zu sein, da vermuthlich der Graf Brühl sein völliges Ascendant, welches, nach der Aussage derer von des Königs von Polen Majestät herübergeschickten Officiers, etwas gewanket haben soll, wieder bekommen und, über das Précis piquiret, gedachtes Königs Majestät ganz von Sentiments geändert hat, wie solches Dero letztere Schreiben410-3 nicht ohndeutlich zeigen, so dass ich wohl sehe, dass die Sachen nunmehro zum Ernst kommen müssen, welches jedoch ohne Schwierigkeit und einigen Verlust nicht abgehen kann, da jedermann gestehet, dass das Lager derer Sachsen sehr fest und vor eine Armée, die dessen Étendue von fast anderthalb Meilen genugsam decken kann und mit gehörigen Lebensmitteln versehen ist, inattaquable sei.
Was sonsten Ew. Excellenz von der Continuation derer communicirten Schreiben vor einen Gebrauch zu Sr. Königl. Majestät Dienst<411> und Interesse zu machen vor gut finden, solches übergebe Deroselben lediglich. So viel aber erscheinet wohl überall aus dem Betragen des Königs von Polen sowohl als seines Ministers, dass die Intentions von selbigen nicht reine gewesen und sie die ihnen nach dem Précis gegebene Lection bei der Dépêche vom 9. April 54411-1 nicht vergessen, sondern vielmehr den üblen Willen gehabt haben, sobald sie sich nur durch gute Worte und hinterlistige Sûretés aus des Königs Händen depetriret haben würden, dasjenige in das Werk zu setzen, was der Herr von Klinggräffen in einer seiner letzteren Relationen gemeldet hat,411-2 um sich dadurch reichlich zu indemnisiren; dahero dann auch des Königs Majestät die sächsischen Truppen ohnmöglich und sonder Dero totalen Verderb hinter Sich lassen können. Inzwischen seind Se. Königl. Majestät ohnvergessen gewesen, Dero Operationes gegen Böhmen zu poussiren, da Sie eine starke Avantgarde unter Commando des Prinz Ferdinand von Braunschweig vorausgeschicket, um sich von denen Gorges von Böhmen Meister zu machen, welche dann auch gestern bereits bis Aussig poussiret hat,411-3 allda aber Halte machen und die Ankunft des Gros der Armée in wenig Tagen erwarten wird.
Ew. Excellenz werden vermuthlich schon Sr. Königl. Majestät Schreiben wegen der aus dem dresdenschen Cabinetsarchiv genommenen Acten und deren Gebrauch erhalten haben,411-4 und vermuthe ich, dass der Herr von Maltzahn solche bereits eingepacket und abgeschicket haben wird. Da aber auch diese Sache nicht ohne grosses Geschrei von Seiten des dresdenschen Hofes abgehen wird, so erachte meiner Schuldigkeit zu sein, Ew. Excellenz einige kleine Nebenumstände zu Dero etwaigen Direction zu melden. Man hat anfänglich, als [durch den] Generalmajor von Wylich Dresden mit vier Bataillons occupiret worden, nichts in gedachtem Archive unternommen, sondern es seind vielmehr zwei sächsische Archivbediente darin geblieben, so auch darin geschlafen haben, und hat man sich begnüget, zwei Schildwachten von aussen davor zu setzen. Nachdem auch die Königin von Polen queruliret, dass beide Schildwachten ihren Kammern zu nahe wären, hat man, nachdem erwähnte Archivbediente herausgegangen, die Schildwachten wieder abgehen lassen und sich gegnüget, die äussere Thüre des Archivs zu versiegeln. Als aber darauf der Generalmajor von Wylich die Ordre bekommen, sich einiger Acten daraus, so auf das mehrgedachte Précis Rapport haben, zu versichern, und dieser darauf den Major von Wangenheim beordert hat, die Thüren des Archivs aufschliessen zu lassen, soll dem Verlaut nach die Königin von Polen in aller Eile dazugekommen sein und die Entrée dazu durchaus nicht haben gestatten wollen, auch, als der Major von Wangenheim sich auf seine deshalb habende Ordre, so er executiren müssen, bezogen, selbst in die Nische vor der Thüre getreten seind, mit dem<412> Erklärer), dass man sie von dar nicht wegkriegen wurde, ohne Gewalt an ihr zu gebrauchen. Welches dann, da es dem Generalmajor von Wylich gemeldet worden, diesen bewogen hat, den Oberhofmeister412-1 von der Königin zu sprechen, um selbige gütlich zu disponiren, sich doch dabei nicht zu exponiren, welches dann auch geschehen und von dem Effect gewesen sein soll, dass die Königin sich von selbst wieder in ihre Kammer begeben hat. Ob diese Erzählung in allen Stücken ihre Richtigkeit hat, kann ich nicht garantiren, weil ich weder den Herrn General von Wylich, noch den Herrn von Matzahn sprechen können; so viel aber ist gewiss, dass der Königin in keinem Stücke weder an Égards, noch Respect manquiret worden ist. Was die Sache selbst anlanget, da ist in gedachtem Archive nicht das geringste weiter angerühret, noch herausgenommen worden, als nur allein diejenige Acten oder Correspondance, so auf die in mehrgedachtem Précis allegirte Dépêches Rapport haben, nachdem man von dem Orte, wo sich solche zusammengefunden, schon informiret gewesen ist. Alles andere ist ohnberühret geblieben.
Des Königs Majestät aber haben vor nothwendig zu sein geglaubet, Sich von solchen Acten und Correspondance deshalb zu versichern, nachdem man solche, so zu sagen, zu Dero Disposition zurückgelassen hat, damit Sie durch Producirung derer Originalien dasjenige, so Dieselbe in dem Précis412-2 davon angeführet haben, nöthigen Ortes legitimiren und dadurch die ganze Welt von der Gefährlichkeit der wider Sie ingeheim geschmiedeten Anschläge, sowie auch von der indispensablen Nothwendigkeit, Sich bei einem inevitablen Kriege mit den Oesterreichern den Rücken wegen derer Sachsen frei zu machen, zu überzeugen, da es anderergestalt einen Minister, wie der Graf Brühl überall bekannter Maassen ist, gar wenig gekostet haben würde, auch denen authentiquesten Copien und Extracten gedachter Correspondance hautement ein Démenti zu geben und solche vor forgiret und erfunden auszurufen.
Ich habe inzwischen gestern die Gelegenheit gehabt, des Königs Majestät des Einhaltes des dieser Papiere wegen an Ew. Excellenz und des Herrn Grafen von Finckenstein Excellenz ergangenen Schreibens412-3 zu erinnern, nach welchem alle diese Piècen in extenso, wie sie lägen, indistinctement gedrucket und publique gemacht werden sollten; da dann des Königs Majestät darunter in etwas von Dero ersterem Sentiment geändert und mir befohlen haben, an Ew. Excellenz zu melden, wie Dieselbe nur die principalesten von solchen Relationen aussuchen, in welchen nämlich die Bosheit und gefährliche Anschläge am meisten am Tage lägen, und alsdenn insonderheit den Marquis de Valory die französischen davon, als die von Flemming, Brühl p. bei Ew. Excellenz in Original lesen lassen, wegen der teutschen, als denen von<413> Funcke p., nachdem dem Marquis de Valory das Précis davon gesaget worden, offeriren möchten, dass, wenn er solche durch jemanden in Ew. Excellenz oder sonst jemandes Beisein abschreiben und copiren lassen wolle, ihm solches freistehen solle, und er alsdenn solche teutsche Abschriften nach Frankreich schicken könne, um sie dorten bei der Kanzelei selbst in das Französische übersetzen zu lassen. Sonsten aber möchten Ew. Excellenz bei fernerer Publication alles dasjenige gänzlich supprimiren, was aus solcher Correspondance das ehemalige Betragen des englischen Hofes, sowie auch, was den Bestushew und russischen Hof anginge und ratione letzteren zu stark sein dörfte, da des Königs Majestät diesen noch zur Zeit ménagiren wollten; was aber den wienerschen Hof und den zu Dresden anginge, da hätten Ew. Excellenz nicht das geringste Ménagement deshalb zu haben, sondern alles zu propagiren. Welches alles mir befohlene ich dann hierdurch schuldigst ausrichte.
Da sonsten des Königs Majestät von dem Herrn von Maltzahn sich unter vorgedachten Depeschen hauptsächlich diejenige aussuchen und schicken lassen, so der von Funcke nach seiner Retour413-1 in Sachsen von der jetzigen Situation des russischen Hofes an den [Grafen Brühl] erstattet hat,413-2 welche dann nicht wenig Anecdotes enthält, und welcher insonderheit eine geheime Note von der Kaiserin Krankheit und einigen geschmiedeten Projets zur künftigen Succession beigefüget gewesen, so soll ich solches Ew. Excellenz hierbei à part zusenden, um solches sehr wohl zu asserviren und einen discreten Gebrauch davon zu machen.
Im übrigen seind des Königs Majestät noch in der Possession einer höchst importanten secreten Pièce, so Sie auch noch unter Dero eigenen Beschluss haben, nämlich den geheimen Partagetractat,413-3 wie nämlich Dero teutsche Provincien 1744 und 1745 unter einige Puissancen getheilet werden sollen und darin Sachsen sich nicht mehr als das magdeburgische, übrige mansfeldsche, den Saalkreis, die sämmtliche Parcellen der Lausnitz nebst Crossen stipuliret hat, welche Pièce aber Se. Königl. Majestät aus Considération und Ménagement für eine andere Puissance,413-4 so sich auch nicht schlechte Dépouilles dermalen ausgesuchet, gänzlich supprimiren und nichts davon transpiriren lassen, jedoch conserviren wollen.
Wegen des Benoît zu Warschau haben Se. Königl. Majestät nochmalen erinnert, Ew. Excellenz sehr zu recommandiren, damit derselbe von allen Umständen wegen der jetzigen Démarches mit Sachsen genau und umständlich au fait gesetzet und wohl instruiret werden möchte; es wollten Se. Königl. Majestät nicht zweifeln, Ew. Excellenz würden ihm bereits das mehrgedachte Précis in extenso communiciret haben,<414> wo aber solches noch nicht geschehen,414-1 so müsste ihm selbiges noch sonder den geringsten Zeitverlust, und zwar ohne chiffriret zu sein, zugeschicket werden, nachdem nunmehr kein Secret davon sei, da Se. Königl. Majestät solches vorhin nicht nur bereits nach Frankreich, Engelland, Holland414-2 und Braunschweig, sondern auch, wie gedacht, selbst des Königs in Polen Majestät durch den Generallieutenant von Winterfeldt communiciren lassen. Welches gleichfalls, wenn es noch nicht geschehen, an den p. von Plotho zu Regensburg gesandt414-3 und dieser mit allen Instructionen fordersamst weiter versehen werden müsste, nachdem seinem anliegenden Berichte nach414-4 die Oesterreicher und Sachsen auf dem Reichstage so sehr zu remuiren anfingen.
Ueberhaupt haben des Königs Majestät gegen mich declariret, dass da die Kaiserin-Königin Sie Schlechterdinges zu dem Kriege forciret hätten (welchen Sie, wenn es auch sonsten Dero Intention jemalen gewesen, Krieg zu haben, gewiss in gegenwärtigen Conjoncturen nicht angefangen haben würden) und Sie also nothwendig Sich von Sachsen versichern müssen, von welchem allen Ew. Excellenz die Gründe und die öffentliche und geheime Procédés, wie der wienersche Hof sich dabei genommen, zur Gnüge und überflüssig bekannt wären, Se. Königl. Majestät dennoch Sich weder zu agrandiren, noch das geringste weiter, als einen sicheren Frieden zu haben, verlangeten. Wenn Frankreich allen Krieg zu Lande zu evitiren wünschete, so würde es demselben ein leichtes sein, den wienerschen Hof dahin zu bringen, dass solcher zu einem beständigen und sicheren Frieden die Hand bieten müsste, da Se. Königl. Majestät nichts von ihm verlangeten, als in Friede und Ruhe und sonder alle Bisbilles leben zu können, und dieser Krieg aus dem alleinigen But angegangen wäre, um einmal einen sicheren Frieden mit dem österreichischen Hause zu haben, und mit Sachsen stünde alles leicht zu accommodiren, welches sich durch die üblen Tours, so dessen Minister seit so vielen Jahren her hinterlistig, dabei aber auch recht grob gespielet, das jetzige Ungemach selbst zugezogen habe, da Se. Königl. Majestät sonst gnug dargethan und dem König von Polen noch in jetziger Crise bezeiget, wie Sie nichts mehr wünscheten, noch haben wollten, als mit ihm in guter Harmonie und Einigkeit zu leben.<415> Mit Russland hätten Se. Königl. Majestät gar nicht das geringste Interesse zu demeliren, und sähen im Grunde nicht wohl ab, wie solches sich mit Fug von den jetzigen Sachen mehren wolle, noch könne. Sollte aber alles dieses nichts verfangen wollen, so würden des Königs Majestät thun, was Dero Schuldigkeit sei, und den Ausschlag davon der Providence überlassen, da Sie Sich nichts darunter zu reprochiren hätten. Welches Ew. Excellenz vor mich noch zu melden, mir die Freiheit nehmen wollen.
Eichel.
Nach der Ausfertigung,
410-1 Vergl. S. 388. 395. 404.
410-2 Vergl. S. 307—309.
410-3 Vergl. Nr. 8042. 8054. 8059.
411-1 Vergl. S. 308.
411-2 Bericht Klinggräffen's Wien 4. September. Vergl. S. 377
411-3 Vergl. S. 404.
411-4 Nr. 8019.
412-1 Rupert Florian von Wessenburg. Freiherr von Ampringen.
412-2 Vergl. S. 307—309.
412-3 Nr. 8019.
413-1 Vergl. Bd. XII, 339.
413-2 D. d. Dresden 25. Juni.
413-3 Traité de partage, d. d. 18. Mai 1745. Vergl. im „Memoire raisonné sur la conduite etc.“ Pièces justificatives I. Hertzberg, Recueil etc. Bd. I, p. 28.
413-4 England.
414-1 Die Mittheilung war bereits durch ein Postscript zu dem Ministerialerlass vom 18. September erfolgt. Vgl. Nr. 8028.
414-2 Vergl. Nr. 7936. 7948.
414-3 Demgemäss Ministerialerlass an Plotho, d. d. Berlin 21. September.
414-4 Plotho berichtet, Regensburg 13. September, über eine Conferenz des Kaiserlichen Concommissars Graf Seydewitz mit dem chursächsischen Comitialgesandten von Ponickau: „So viel davon, nicht sonder Zuverlässigkeit, in Erfahrung gebracht, so hat der Graf von Seydewitz dem p. von Ponickau sehr angelegen und angerathen, die Einrückung Ew. Königl. Majestät Truppen in die chursächsische Lande beschwerend schriftlich an das gssammte Reich zu bringen, mit Versicherung, dass ein hierzu nöthiges Kaiserliches Commissionsdecret nicht entgehen sollte. Es hat auch der p. von Ponickau deshalb des folgenden Tages seinen Cancellisten als Courier nach seinem Hofe abgeschicket.“