<383> seind alle Nachrichten dahin einstimmig, dass die russische Armee an regulären Truppen nicht stärker als 40000 und an irregulären bis an 14000 seie.

Des Königs Majestät haben daher an der Richtigkeit der Nachrichten des Herrn Baron von Münchhausen1 grossen Zweifel und halten es vor sehr vague und ohne dass man einigen Gebrauch davon machen könne, wenn ihm geschrieben worden, die Russen wollten gegen die Oder agiren, als woraus niemand verstünde, ob es gegen Stettin, gegen Küstrin, Glogau oder Breslau sein sollte.

Hier ist bis dato noch alles in der vorigen Situation geblieben, und von einigem Aufbruch der Reichsarmee hat man auch noch nichts gewisses erfahren. Es ist nicht zu glauben, dass der Feldmarschall Daun je risquiren werde, den König in dem hiesigen festen Lager zu attaquiren, dabei ersterer sein Conto schlecht finden dörfte; sollte aber der Prinz Ferdinand der Reichsarmee keine Jalousie mehr geben, welches er doch wegen Hessen nicht füglich thun und solches einem Feinde von der Seite ganz offen lassen kann, die Reichsarmee aber alsdenn gegen Leipzig und gegen das Magdeburgische vordringen wollen, mithin des Königs Majestät genöthiget sein, von hier aus stark zu detachiren, alsdenn wollte ich [nicht] davor repondiren, dass der Feldmarschall Daun nicht etwas auf das hier stehen bleibende Corps tentirete, wiewohl ihn solches doch allemal viel kosten würde. Dieses ist die ohngefährliche Situation, wegen welchem allen aber Ew. Excellenz ganz inständigst bitten muss, das alleräusserste Secret davon zu menagiren, weil, wenn etwas davon ohngefähr eclatiren sollte, solches viele Inconvenienzien nach sich ziehen könnte, aus welcher Ursache ich dann auch mich keines Chiffre bedienet.

Die grosse Ungewissheit, worin der König wegen der türkischen Négociation stehet, ist eines Dero grossesten Embarras mit, weil Sie, bevor Sie wissen, woran Sie deshalb seind, keine eigentliche Mesures nehmen können. Ich gestehe, dass mein Glaube auf solchen Secours anfänget schwach zu werden. Es ist zwar wegen der Zeit und der Entfernung derer Orte ohnmöglich, dass des Königs Majestät auf Dero letztere Instructiones Antwort noch Nachricht von daher haben können; da aber R[exin] selbst schreibet, wie Schwachheim2 von der Nachricht von der Disposition der Pforte krank geworden sei, und der russische Gesandte3 seine Abreise deshalb beschleuniget habe, so ist es ohnmöglich, dass man alles zu Wien ignoriren könne. Die grosse Sécurité, womit dieser Hof continuiret, und, dass nicht das geringste Mouvement bei denen Truppen zur Sicherheit von Ungern gemachet wird, wohin zu kommen doch fast eine Zeit von zwei Monat erfordert wird, machet mir den Effect des dem R[exin] von dem Grossvezier gethanen Versprechens sehr ungewiss; es müsste dann sein, dass man zu Wien sich darauf verliesse, dass die Türken ihre Campagne würden spät eröffnen können, und dass man also dadurch die Zeit gewinnen werde, erst hier oder in Schlesien einige Coups auszuführen und Laudon alsdenn, mit seinem Corps in Schlesien mehr à portée, noch allemal Zeit genug in Ungern eintreffen werde. Dabei mir doch aber das so grosse Stillschweigen in Polen sowohl als in Holland und selbst in Frankreich und Venedig Verdacht giebet. Sollte dieser Secours wegfallen, alsdenn dörften des Königs Majestät wohl resolviren, Sich mehr Luft zu machen und an einem oder andern Orte eine decisive Affaire zu engagiren suchen. Allemal wird also der instehende Monat Junius sehr critique sein und vermuthlich den Erfolg dieser ganzen Campagne decidiren.

Von dem von Ew. Excellenz mir communicirten chiffrirten Extract aus dem Schreiben eines sehr wohl intentionirten Ministers4 habe Bedenken getragen, bei des Königs Majestät einigen Gebrauch zu machen, bloss wegen der Passage, das Schreiben an den Prinz Ferdinand wegen eines gewissen von dem Landgraf verlangeten Offi-



1 Schreiben Münchhausens an Finckenstein, d. d. Hannover 25. Mai.

2 Der österreichische Gesandte in Konstantinopel.

3 Fürst Schachowskoi.

4 Des hessen-casselschen Ministers von Donop, vom 19. Mai.