Juni.
A.
Juni 1761
Der König in Kunzendorf. Hier beschäftigte sich der König, während die Kriegsoperationen fast still standen, mit Lesen der Schriften Gassendi's (Bernier. Abrégé de la philosophie de Gassendi. etc.).
?? Juni 1761
Der König an d'Argens :
"Eitelkeit der Eitelkeiten; Eitelkeit der Politik! Diese Worte des Weisen, die ich Unwürdiger Ihnen anführe, lieber Marquis, passen sehr gut zu den schönen politischen Räsonnements, die ich diesen Winter hindurch in Leipzig gemacht habe. So sehr ist das Wahrscheinliche oft am wenigsten wahr.
Seit meinem Hiersein haben die Oestreicher ihren Entwurf zum Feldzug zwei Mal geändert. Sie können versichert sein, daß ich die Arme nicht über einander lege und allen Anfällen meiner Feinde hartnäckig widerstrebe. Auf den Frieden machen Sie in diesem Jahre keine Rechnung; der bündigsten Vernunftschlüsse und so vieler verschiedenen Wahrscheinlichkeiten ungeachtet, wird doch nichts daraus. Verläßt mich das Glück nicht, so werde ich mich, so gut ich kann, aus der<94> Sache ziehen. Aber muß ich auch noch im künftigen Jahre auf dem Seile tanzen und den Salto mortale machen, wenn es Ihro Apostolischen, Allerchristlichsten und Allermoskowitischsten Majestäten zu sagen beliebt : Springe, Marquis 94-+ —
Von den Beschnittenen reden Sie sehr vernünftig. Ach, wie hartherzig sind die Menschen! Man sagt : Du hast Freunde. Ja, schöne Freunde, die mit über einander gelegten Armen zu einem sagen : "Ich wünsche Dir in der That alles Gute!" — Aber ich ertrinke! Wirf mir doch ein Seil zu. — "Nicht doch, Du wirst nicht ertrinken." — Doch, den Augenblick sinke ich unter! — "O, wir hoffen das Gegentheil, wenn es aber geschehen sollte, so sei versichert, wir werden Dir ein schönes Epitaphium setzen lassen." So, lieber Marquis, ist die Welt, so lauten die schönen Complimente, mit denen man mir überall entgegen kommt. Der gute Genius meines Staats und noch mehr, als er, das Glück, müssen meine Bundesgenossen sein. Dazu rechnen Sie auch noch unsere Arme und Beine, ferner Wachsamkeit, Thätigkeit, Muth und Anhalten. Mit dem allen können wir die in Unordnung gerathene Wage, deren Schwerpunkt Herr Pitt nicht finden konnte, wohl noch ins Gleichgewicht bringen. Ader doch wünsche ich mich täglich zehn Mal zum Teufel. Dann komme ich wieder zu meinem Gassendi, hernach zum dritten Buche des Lucrez, und daraus entsteht in meiner Seele ein seltsamer Kampf zwischen Ehrgeiz und Philosophie.
Ich bin mit der gegenwärtigen Lage und hunderttausend Anstalten, die ich treffen muß, so beschäftigt, daß ich kaum an Sanssouci denke. Wer weiß, ob ich es in meinem Leben wieder sehe! Aber Sie, mein lieber Marquis, Sie, sage ich, und die Philosophie sind mein Trost, meine Zuflucht und mein Stolz.
<95>Um Ihnen indeß doch Nachrichten zu geben, die Sie interessiren können, will ich Ihnen sagen, daß hier bis zum 15. Julius Alles ruhig bleiben wird; und daß, wenn das Glück mir während der Zeit lacht, vielleicht ein Schlag fällt, den unsere Feinde vielleicht am wenigsten erwarten. Sie werden bald hören, was es ist. Alles ist genau berechnet; nun wollen wir sehen, ob es mit der Ausführung gut gehen wird.
Leben Sie wohl, lieber Marquis, ich umarme Sie. NS. Verzeihen Sie, lieber Marquis, das unleserliche Geschreibe und die Nachlässigkeit im Ausdruck; aber wenn einem der Teufel im Leibe ist, so schreibt man weder im Ton der Elegie, noch im Attischen Geschmack."
7. Juni 1761
An Ebendenselben:
"Noch ist meine Lage eben so, lieber Marquis, wie sie bei meiner Ankunft war. Diese tiefe Stille kann der Vorbote eines heftigen Sturmes werden; das Ende dieses Monats scheint ihn anzukündigen. Ich bin auf Alles vorbereitet, auf Glück wie auf Unglück. Singen Sie Fortunen, deren Schutz wir so sehr bedürfen, eine kleine Hymne. Die Königin von Ungarn besteht hartnäckig auf den Krieg. Fünf Jahre lang habe ich den Pfeilen des Wiener Hofes, der Barbarei seiner Truppen und seiner Bundesgenossen zum Stichblatt gedient. Es ist hart, stets zu leiden; und ich fühle, daß die Rache ein göttliches Vergnügen sein kann, wie die Italiener sagen. Es kommt nur darauf an, die Gelegenheit zu ergreifen. Meine Philosophie wird so wild bestürmt, daß sie sich in gewissen Augenblicken vergißt. Jeden Andern, der so beleidigt wäre, wie ich, und der Gewalt genug über sich hätte, seinen Feinden aufrichtig zu verzeihen, würde man canonisiren. Doch ich? ich überlasse meinen Platz in der Legende Jedem, der ihn will; ich bekenne Ihnen, daß meine schwache Tugend diesen Grad von Vollkommenheit nicht erreichen kann, und daß ich vergnügt sterben würde,<96> wenn ich mich zum Theil für die Uebel rächen könnte, die ich erduldet habe. Mag es gehen, wie mein guter Genius, das Ungefähr oder das Glück es will; in Erwartung dessen, was das Schicksal gebieten wird, bin ich ruhig und einsam; denke, weil ich muß, über die Zukunft nach, und lese und arbeite im Stillen.
Es giebt hier Propheten, von denen der eine den Frieden, der andere Schlachten weissagt, ein Dritter setzt den Frieden bis ins Jahr 1763 hinaus. Einer von ihnen muß wohl Recht haben. Nach der Erfüllung wird man Wunder schreien. Diese Propheten gleichen den Kalendern, in denen die Astronomen Regen, Sonnenschein, Wind, schön Wetter, Hitze und Kälte ankündigen, um den Aberglauben des gemeinen Mannes zu befriedigen.
Ob Ihre Franzosen Frieden machen, oder den Krieg fortsetzen werden, kann ich nicht bestimmen, ich gleiche einem Theologen; ich weiß nichts, außer daß ich herzlich wünschte, ich wäre mit Ihnen wieder in meiner kleinen Einsiedelei; fern von Verbrechen, von Kabalen, von heroischen Albernheiten der Thoren, und von dem Geräusche eines zu unruhigen Lebens, das man in meinem Stande und im Getümmel der großen Welt findet.
Leben Sie wohl, lieber Marquis; vergessen Sie diejenigen nicht, die für Sie fechten, und sein Sie von meiner vollkommenen Freundschaft überzeugt."
11. Juni 1761
An Ebendenselben :
"Ihre kleinen Reisen, mein lieber Marquis, werden Ihnen zum Theil die nothwendige und unentbehrliche Bewegung verschafft haben, ohne welche unsere organisirte Maschine keiner rechten Gesundheit genießen kann. Es scheint, wir sind bestimmt, unser ganzes Leben hindurch gerüttelt zu werden, und eben so scheinen wir mehr zum Handeln, als zum Denken gemacht zu sein. Trinken Sie Ihren Brunnen zu Sanssouci; Sie sind da vollkommen Herr und Meister. Ich<97> schmeichele mir, daß dieser Aufenthalt Sie zuweilen an mich erinnern wird. Sie fragen mich, wie ich mit jenem Volke ohne prépuce stehe, das einen halben Mond im Wappen führt? Wissen Sie also, es ist sehr wahr, daß wir einen Bund mit einander geschlossen haben. Ich war gezwungen, zur muselmännischen Redlichkeit und Menschenliebe meine Zufiucht zu nehmen, weil bei den Christen nichts mehr davon zu finden ist. Ueber den Umstand mit der Gesandtschaft aber hat die Zeitung gelogen; denn es ist nicht Gebrauch bei den Türken, dergleichen wegen bloßer Verträge zu schicken, es müßten denn Friedensverträge sein. Wie nützlich mir übrigens dies Bündniß werden mag; so müssen Sie Sich doch nicht schmeicheln, daß es mir den Frieden verschaffen wird. Ich glaube wohl, daß die Engländer den ihrigen mit den Franzosen abschließen werden; allein das wird die Königin von Ungarn nicht abhalten, ihren Gang fortzugehen, so lange die Barbaren die Kriegskosten mit ihr theilen. Diese Barbaren sind in vollem Anzuge gegen die Grenze, und ich erwarte, daß unsere Beschwerde, unsere Mühe und unsere Verlegenheiten mit Ablauf dieses Monats angehen werden. Der Juli, August, September und October werden vier schreckliche Monate sein, die mir Jahre dünken werden. Machen Sie Sich nur auf beinahe solche Scenen wie voriges Jahr gefaßt, und damit Alles gleich werde, so müssen wir auch noch dasselbe Glück haben. Ich will Sie lieber die Wahrheit wissen lassen, mein lieber Marquis, als Sie mit eiteln Hoffnungen Hinhalten. Ein vorausgesehenes Unglück drückt uns meines Erachtens weniger nieder, als ein leichter Unfall, an den man nicht gedacht hat. Ihre philosophische Seele ist von der Art, daß sie keiner Stärkung bedarf; Sie wissen, daß die Welt ein wandelbares Ding ist, daß Alles darin wie in einem Guckkasten zugeht, wo uns unaufhörlich neue Schauspieler und neue Gegenstände vor Augen kommen. Es erfolge also auch was da wolle, so muß man mit stoi<98>scher Gleichgültigkeit da zusehen, wo alles die Bestimmung hat, ein Ende zu nehmen. Das ist das Schicksal alles Guten und alles Bösen, was den Menschen widerfährt; das ist auch das unsrige. Jeder Tag lehrt uns sterben, sowohl durch die Theile, die wir unaufhörlich verlieren, als durch unsern Schlaf, der ein Bild, ein Vorspiel des Todes ist, zu dem wir von dem Tage unsrer Empfängniß an erkoren sind.
Wenn Sie dies alle Morgen erwägen, werden Sie das Rauschen des Ruhms, die Ungeheuern Entwürfe unserer Feinde mit Gleichgültigkeit anhören, und unsere Drangsale, ja selbst unsere glücklichen Erfolge werden Ihnen armselig Vorkommen, denn in Hinsicht auf das Universum und auf alle Zeiten nimmt sich der Krieg, den wir führen, nicht besser aus, als der Krieg der Ratzen und Mäuse. Bleiben Sie also bei Ihrer philosophischen Ruhe, mein lieber Marquis; machen Sie Sich Bewegung, weil sie Ihrer Gesundheit unentbehrlich ist, und beunruhigen Sich über Nichts, was weder Sie, noch ich, noch sonst Jemand in der Welt hindern oder ändern kann. Ich halte Ihnen hier eine schöne Predigt, aus der ich mir doch auch mein Theil nehme. Sind aber unsere Leidenschaften einmal in Bewegung, so giebt unsere Philosophie nach; sie predigt, in den ersten Augenblicken tauben Ohren., und erlangt nur mit der Zeit wieder den Sieg. Ich bitte um Verzeihung, daß ich Ihnen Dinge sage, die Sie besser als ich wissen. Statt einen Brief an Sie zu schreiben, habe ich mit Ihnen geplaudert. Ich habe Ihnen mein Herz ausgeschüttet, und Sie werden mich freilich darüber ausschelten, wenn Sie der Meinung sind, daß nur die von Philosophie schwatzen können, die den Doktorhut erhalten haben. Gott befohlen, wein lieber Marquis; leben Sie glücklich und ruhig."
B.
19. Juni 1761
Die Schweden räumen Demmin.
<99>25. Juni 1761
Wird der Russische General von Tottleben zu Bernstein in Pommern arretirt und nach Petersburg geführt.
30. Juni 1761
Stirbt der General Carl Christoph von der Golz plötzlich zu Zerbo ohnweit Glogau, 54 J. alt.
94-+ Saute Marquis! Worte aus Regnard's Spieler, welche zum Sprichwort geworden sind.