Juli.

A.

Juli 1761

Der König in Kunzendorf.

2. Juli 1761

Der König an d'Argens :

"Ihren Gassendi, lieber Marquis, habe ich durchgelesen, und sage Ihnen nun, was für einen Eindruck er auf mich gemacht hat : Seinen physikalischen Theil finde ich sehr gut, in sofern er die Entstehung der Körper betrifft; ferner die Einheiten, aus denen die Materie zusammengesetzt ist, und in sofern er Epikur's System erklärt. Ich gebe zu, daß man dem Verfasser über die krummen, gespitzten, runden Atomen etc. eine Menge Schwierigkeiten machen kann; wenn es aber Urstosse giebt (woran sich gar nicht zweifeln läßt), so ist es nothwendig, daß ihre Gattungen und Arten sehr verschieden sind, damit aus ihrer verschiedenen Zusammensetzung und Einrichtung die vier Elemente und die unzähligen Produkte der Natur entstehen können, auch müssen diese Elemente der Materie undurchdringlich, hart und gegen alle Anfälle der Zerstörung gesichert sein, wie Epikur und Gassendi behaupten. Dies sind zuverlässig Wahrheiten, in die sie eingedrungen sind, ungeachtet dieselben unsrer Neugierde von einem fast undurchdringlichen Schleier verborgen werden.

In seiner physikalischen Abhandlung über die Menschen, die Pflanzen, Thiere und Steine, über die Fortpflanzung, die Auflösung der lebendigen Wesen finde ich sehr lehrreiche Sachen. Er und Epikur mußten den leeren Raum annehmen, um die Möglichkeit der Bewegung zu erklären. Er spricht auch von der anziehenden Kraft und vom Lichte, als wenn er die Wahrheiten errathen hätte, die Newton durch<100> seine erstaunenswürdige Rechnungen erwiesen hat. Mit seiner Astronomie bin ich in der That nicht so zufrieden, wie mit dem Uebrigen; ob er sich nicht deutlich erklärt, so scheint es doch, als wäre er für das Ptolemäische System, und nähme das Copernikanische nur mit der Bedingung an, daß es der Pabst erlaube. – Seine Moral ist ohne Widerrede der schwächste Theil seines Werkes; ich habe nichts Gutes darin gefunden, als was die Klugheit derer betrifft, welche Staaten regieren. Der Ueberrest des Werks sieht dem Schulrektor zu ähnlich, der Eintheilungen und Unterabtheilungen macht, Worte definirt und viel spricht, um wenig zu sagen. Der Abschnitt von der Freiheit ist der schwächste von Allen. Wie es scheint eilt er in diesem siebenten Bande, um fertig zu werden. Vielleicht hat auch Vernier, sein Uebersetzer und Epitomator, seine Schuldigkeit nicht gethan. Ihnen also, der Sie aus der Quelle schöpfen können, kommt es zu, mich zu belehren, ob jene Fehler, die ich an ihm tadle, dem Philosophen oder dem Reisenden 100-+ zur Last fallen.

Da hätte ich denn ein großes Werk durchgelesen, lieber Marquis. Ich eilte, damit fertig zu werden, weil ich fürchtete, Laudon, der gewiß kein Philosoph ist, möchte mein Studieren gröblich unterbrechen. Für jetzt habe ich mir Schriftten gewählt, die ich ohne Bedauern bei Seite legen kann.

Weil ich doch gerade vom Lesen rede – heißt es ja, Voltaire habe einen zweiten Theil zum Kandide gemacht 100-++ Sein Sie doch so gütig, dem kleinen Beausobre zu sagen, daß er mir ihn schicken soll.

Heute bekam ich Melonen aus Sanssouci. Als ich sie sah, rief ich aus : O allzu glückliche Melonen! Ihr genoßt der Gegenwart des Marquis, die mir versagt ist! Wie braucht er den Brunnen? Hat er Nutzen davon? Geht er<101> spazieren? Macht er sich Bewegung? Die Melone antwortete mir kein Wort. Um sie für ihr Stillschweigen zu bestrafen, verzehrte ich sie auf Ihre Gesundheit.

Wenn der Juli, August, September und Oktober vorbei sind, hoffe ich Ihnen zu schreiben : aber nicht über die spekulative Philosophie, sondern über die praktische.

Verwahren Sie Ihren Körper gut, damit er so dauerhaft werde, wie Gassendi's Atomen, und vor den Krankheiten, Schwachheiten und Erschütterungen, die unserer gebrechlichen Maschine drohen, gesichert sei. Philosophien Sie ruhig. etc."

7. Juli 1761

Der König von Kunzendorf nach Pülzen.

9. Juli 1761

Der König an d'Argens :

"Ihr Brief, lieber Marquis, würde mir Stoff zu einem dicken philosophischen Commentar geben. Man müßte also den Umfang der menschlichen Vernunft, die Wolken, die sie verdunkeln, und die Blendwerke, die sie zum Irrthum verleiten, untersuchen. Ich würde eine Menge Beispiele anzuführen haben, die uns die Geschichte von den falschen Schlüssen und von der schlechten Dialektik derer aufstellt, welche die Staaten regieren, und gäbe man dabei genau Acht, so würde man finden, daß die verschiedene Art, die Gegenstände zu betrachten, Vorurtheile, Leidenschaften, bisweilen auch übertriebene Spitzfindigkeit, den guten natürlichen Verstand, der allen Menschen zu Theil geworden ist, so sehr verderben, daß Einige Das mit Verachtung verwerfen, was Andere mit Begierde wünschen. Sie dürfen die Bemerkungen bloß weiter entwickeln, und sie auf Das, was Sie mir schreiben, anwenden, um alles zu errathen, was ich Ihnen in dieser Rücksicht sagen könnte.

Daß Sie Ihren Brunnen in Sanssouci nicht ruhig fortgebraucht haben, thut mir leid. Obgleich Ihre Unruhe beweist, wie vielen Antheil Sie an meiner Lage nehmen, so fürchte ich doch, sie sei Ihnen nachtheilig, ohne baß Sie nur die geringste Aenderung in den zusammengereihten Ereignis<102>sen dieses Feldzugs hervorbringt, von denen Ihnen Doktor Pangloß 102-+ sagen wird: sie waren in der besten Welt nothwendig. Wir sind dem Augenblicke nahe, in welchem sich der Knoten des Stücks entwickeln und Alles in Bewegung kommen wird. Erinnern Sie Sich an die Verse des philosophischen Dichters Lucrez :

Beglückt, wer in dem Heiligthum des Weisen Zu seinem Fuß den Sturm mit Ruh' im Blicke sieht!

Das Uebrige wissen Sie. Es kommt noch auf hundert und zehn Tage an, bis zu Ende Novembers; diese Zeit muß man mit Standhaftigkeit und heldenmüthigem Gleichmuth überstehen. Lesen Sie den Epictet und die Betrachtungen des Mark Antonin; dies sind stärkende Mittel für die erschlafften Fibern der Seele.

Ich habe alle Maßregeln genommen, die mir zu meiner Vertheidigung dienlich scheinen; Herr Kaunitz setzt sich in Bereitschaft, fürchterliche Angriffe auf mich zu thun. Ich sehe ohne Schrecken Alles, wozu man Anstalten trifft, und bin fest entschlossen, zu sterben oder mein Vaterland zu retten. Können wir nicht über die Ereignisse gebieten, so müssen wir wenigstens Herren über unsere Seele sein, und die Würde unsers Geschlechts nicht durch niedrige Anhänglichkeit an diese Welt entehren, die man einst doch verlassen muß. Sie finden mich ein wenig stoisch, Marquis; allein man muß alle Arten von Waffen in seinem Arsenal vorräthig haben, um sich ihrer, wie es die Gelegenheit fodert, zu bedienen. Wäre ich mit Ihnen in Sanssouci, so überließe ich mich Ihrem angenehmen Umgange; dann würde meine Philosophie sanfter, und meine Reflexionen minder schwarz sein. Im Sturme muß Alles arbeiten, der Steuermann und die Matrosen; wenn sie im Hafen sind, dann können sie lachen und ausruhen.<103> Ich habe Ihnen geschrieben, was ich von Ihrem Landsmann Gassendi denke. Ich finde in ihm vieles, was über sein Jahrhundert erhaben ist, und tadle nichts, als seine Absicht, Jesum Christum und Epikur zu vereinigen. Gassendi war ein Theologe; entweder machten die Vorurtheile seiner Erziehung oder die Furcht vor der Inquisition, daß er auf eine so seltsame Vereinigung dachte. Man sieht sogar, daß er nicht den Muth hat, den großen Galilei zu rechtfertigen. Bayle hat alle Beweise auseinander gesetzt, die Gassendi nur andeutete, und der erstere scheint mir durch seine Geschicklichkeit Gegenstände zu behandeln, und durch den richtigen Verstand, mit dem er die Folgen der Grundsätze weiter hinauszuleiten weiß, als jemals ein Philosoph vor und nach ihm, als Dialektiker den andern zu übertreffen. Gassendi's Werk über Descartes, dessen Sie erwähnen, kenne ich nicht; ich habe von diesem Philosophen nur das, was Bernier übersetzt hat. Es ist mir begreiflich, daß man schönen Spielraum vor sich sieht, wenn man die Wirbel, das Volle, die zackige Materie und die angeborenen Ideen widerlegen soll. Wären doch die Entwürfe meiner Feinde zum Feldzuge eben so lächerlich, als Descartes System! Könnte ich sie doch eben so leicht durch wichtige Argumente, nicht in barbara, sondern de facto, widerlegen!

Immer komme ich wieder auf meinen alten Ton, lieber Marquis, und ich gestehe Ihnen, daß trotz Gassendi's sämtlichen guten Räsonnements Laudon, Odonel und alle die Leute, die mich verfolgen, mir bisweilen Zerstreuungen verursacht haben, über die ich nicht Herr werden konnte.

Vergessen Sie mich nicht, mein lieber Marquis, schreiben Sie mir, wenn anders die Wege frei sind, und sein Sie ganz von meiner Freundschaft gegen Sie überzeugt. Leben Sie wohl."

21. Juli 1761

Der König von Pülzen nach Siegroth (bei Nimptsch).

22. Juli 1761

Ueber Nossen nach Stephansdorf (bei Münsterburg).

<104>

23. Juli 1761

In Giesmannsdorf.

25. Juli 1761

Im Lager bei Ottmochau. Der König an d'Argens :

"Für Ihre Erläuterungen über Gassendi's Meinungen danke ich Ihnen, lieber Marquis. Ich dachte es wohl, daß ein so denkender Kopf sich von gewissen Vorurtheilen nicht würde hinreißen lassen, und schrieb sie sogleich auf Bernier's Rechnung. Es ist sehr schlimm, daß wir keine treue und vollständige Uebersetzung von den Werken jenes Philosophen haben. Ich armer Ignorant verliere am meisten dabei. Sie und Ihres Gleichen lesen Lateinisch, Griechisch, Hebräisch etc., ich hingegen verstehe nur ein wenig Französisch, wo mir nun das nicht aushilft, da bleibe ich in der gröbsten Unwissenheit.

Indeß glaube ich Ihnen in der Philosophie mehr, als bei politischen Weissagungen. Freilich sollte wohl, dem Scheine nach, der Sieg des Prinzen Ferdinand den Frieden zwischen England und Frankreich bewirken; aber nichts ist ungewisser, und dergleichen Dinge glaube ich nicht eher, als bis sie wirklich geschehen sind.

Ohne Zweifel verlangen Sie Nachricht von Dem, was hier vorgeht; und ich begreife wohl, daß ein Berlinischer Bürger neugierig darauf sein muß, wie wir uns in Schlesien herumschlagen. Ich kann Sie mit wenigen Worten befriedigen; Laudon kam den 20sten aus den Gebirgen hervor und näherte sich Münsterberg; den 21sten marschirte ich nach Nimptsch und den 22sten vor seinen Augen nach Münsterberg. Hierher bin ich gegangen, um seine Absicht, sich mit den Russen zu vereinigen, zu hintertreiben. Diese stehen bei Namslau. Ich lasse sie durch verschiedene Corps beobachten, sind so hoffe ich ihnen zuvorzukommen, sie mögen sich nun da oder dorthin wenden. In wenig Tagen muß sich die ganze Sache entscheiden. Sie sollen von Allem Nachricht erhalten, und ich werde nicht ermangeln, Ihnen die Vorfälle mit der größten Aufrichtigkeit zu melden. Ich würde Ihnen<105> mehr davon sagen, aber der Kourier, der wichtige Depeschen besorgen soll, ist im Begriff abzugehen, und so bin ich genöthigt, Sie bloß meiner Freundschaft und Achtung zu versichern. Leben Sie wohl."

29. Juli 1761

Der König in Oppersdorf.

30. Juli 1761

In Neustadt.

31. Juli 1761

In Oppersdorf.

B.

1. Juli 1761

Treffen bei Schmiegel.

5. Juli 1761

Die Russen unter Romanzow lagern sich bei Cöslin.

8. Juli 1761

Gefecht bei Storchnest.

15. Juli 1761

Die Russische Armee rückt in verschiedenen Divisionen Schlesien ein (über Przlawetz und Heinrichsdorf bei Militsch) und nimmt den 17ten ein Lager bei Tscheschen.

15. Juli 1761

Treffen bei Vellinghausen. Der Herzog Ferdinand von Braunschweig schlägt die Franzosen unter Broglio zurück. Diese verlieren 5 — 6000 Mann und mehrere Fahnen und Kanonen. Die Alliirten verloren 1500 — 2000 Mann.

17. Juli 1761

Die Alliirten erfechten bei Neuhaus einige Vortheile.

20. Juli 1761

Der Erbprinz von Braunschweig sucht den Herzog von Coigny zu überfallen, muß sich aber nach einem lebhaften Gefecht zurückziehen, wobei sein Bruder, der Prinz Heinrich, tödtlich verwundet wird und den 9. August stirbt.

30. Juli 1761

Die Russische Flotte kommt auf der Rhede vor Rügenwalde an.


100-+ Dem Uebersetzer Vernier, der ein berühmter Reisender war.

100-++ Dieser zweite Theil ist nicht von Voltaire.

102-+ In Voltair's Kandide.