Dezember.
A.
Dezember 1769
Der König in Potsdam.
8. Dezember 1769
Der König schickt den Prolog (s. oben S.327) an d'Alembert, und nachdem er über verschiedene Gegenstände gespro<330>chen, sagt er von dem Papst : "Uebrigens begnügt er sich, Schritt für Schritt den Ueberrest eines idealischen Credits zu behaupten, welcher ihn einen nahen Bankerot befürchten läßt. Er befindet sich mit Ihrem Finanz-Controleur in dem nämlichen Fall, doch wollte ich wetten, daß Frankreich, als das allerälteste Königreich auf der Erde, im Bankerotmachen den Vorrang haben wird, und daß Ihre Börsen noch vor Aufhebung des Aberglaubens leer sein werden.
Die Frage, welche Sie unsrer Akademie vorlegen, gehört zur tiefsinnigsten Philosophie. Sie fodern, wir sollen die Natur und Beschaffenheit des menschlichen Geistes erforschen, um zu bestimmen, ob der Mensch fällig sei, der gesunden Vernunft eher, als seiner Einbildung zu folgen. Nach meinen geringen Einsichten würde ich mehr für die Einbildung sein, weil ein System voll Wunder leicht reizen kann, und weil der Mensch zwar gern vernünftelt, aber nicht vernünftig ist. Ich stütze mich bei dieser Behauptung auf die Erfahrung aller Zeiten und aller Jahrhunderte. Sie werden kein einziges Volk antreffen, dessen Religion nicht aus einer Mischnng von abgeschmackten Fabeln und von einer zur Aufrechthaltung der Gesellschaft nöthigen Sittenlehre bestanden hätte. Bei den Aegyptern, bei den Juden, bei den Persern, bei den Griechen und bei den Römern macht die Fabel den Grund der Religion aus. Bei den Afrikanischen Völkern finden Sie gleichfalls dies System des Wunderbaren; und wenn Sie auf den Marianischen Inseln nicht gleichen Unsinn antreffen, so liegt der Grund darin, daß die Bewohner derselben ganz und gar keine Religion hatten. Von allen Nationen scheint unstreitig die Sinesische am wenigsten vom Aberglauben angegesteckt zu sein; aber wenn die Großen der Lehre des Konfutsen folgten, so scheint dieselbe doch dem Volke nicht behagt zu haben; dies nahm mit offnen Armen die Bonzen auf, die es mit Betrügereien nährten, der Speise, die dem Pöbel ei<331>gen und seiner Dummheit angemessen ist. Meine angeführten Beweise sind von den Beispielen entlehnt, die uns die Geschichte liefert; es gilbt aber noch andre, die mir noch stärker scheinen, die von der Beschaffenheit der Menschen und von den Hindernissen hergenommen sind, die eine tägliche und nothwendige Arbeit dem großen Haufen der Erdbewohner in den Weg legt, sich so aufzuklären, und sich über die Vorurtheile der Erziehung wegzusetzen. Wir wollen den ersten besten Staat annehmen; er soll zehn Millionen Einwohner haben; von diesen zehn Millionen rechnen wir sogleich ab die Landleute die Manufakuristen, die Handwerker und die Soldaten, so bleiben ungefähr noch fünfzig tausend Menschen, sowohl männlichen als weiblichen Geschlechts, von diesen wollen wir fünf und zwanzig tausend für das weibliche Geschlecht abziehen, so wird der Ueberrest den Adel und den besseren Theil des Bürgerstandes ausmachen. Nun lassen Sie uns einmal untersuchen, wie viel von diesen Unthätige, wie viel Einfältige darunter sind, wie viel Kleinmüthige und wie viel Wollüstlinge. Aus dieser Berechnung wird sich ungefähr ergeben, daß bei einer sogenannten kultivirten Nation von zehn Millionen Menschen sich kaum tausend Gelehrte befinden, und wie sehr sind diese wieder in Rücksicht ihres Genies verschieden? Gesetzt nun aber, es sei möglich, daß diese tausend Philosophen durchgehends gleicher Meinung und gleich frei von Vorurtheilen wären; was für Wirkung werden ihre Lehren auf das Volk haben? Wenn acht Zehntel der Nation mit dem Lebensunterhalt so beschäftigt sind, daß sie nicht lesen; wenn ein anderes Zehntel, aus Leichtsinn, aus Liederderlichkeit, aus Albernheit, sich nicht anstrengt, so folgt, daß die wenige gesunde Vernunft, deren unser Geschlecht fähig ist, sich nur bei dem kleinsten Theile der Nation befinden kann; daß die Uebrigen derselben nicht fähig sind, und daß daher die wunderbaren Systeme bei dem großen Haufen stets den Vorzug haben werden. Diese Betrachtungen machen<332> mich daher geneigt, zu glauben, daß Leichtgläubigkeit, Aberglauben und die ängstliche Furchtsamkeit schwacher Seelen in der Wage des Publikums allezeit das Uebergewicht haben werden, daß in allen Zeitaltern die Anzahl der Philosophen geringe sein, und daß irgend eine Art des Aberglaubens die Welt beherrschen wird. Die christliche Religion war in ihrem Anfange eine Art von Theismus, bald aber nahm sie den Götzendienst des Heidenthums und dessen Gebräuche in sich auf, gab diesen das Indigenat, und so überdeckte die Menge der immer neuen Stickereien, den bei ihrer Stiftung erhaltenen einfachen Stoff so sehr, daß er ganz unkenntlich ward. Unvollkommenheit, sowohl im Sittlichen, als im Physischen, ist, der Charakter der Kugel, die wir bewohnen. Eben so ist das Bestreben, diese Welt aufzuklären; oft bringt sogar diese Beschäftigung denen Gefahr, die sich damit befassen. Können wir weise für uns sein, gut; das mag uns genügen, aber den Pöbel müssen wir dem Irrthum überlassen, und bloß uns bemühen, ihn von solchen Verbrechen abzulenken, welche die Gesellschaft zerrütten. Sehr richtig sagt Fontenelle: wenn er die Hand voll Wahrheiten hätte, so würde er sie nicht öffnen, um sie dem Publikum mitzutheilen, weil es der Mühe nicht werth sei 332-+.
<333>21. Dezember 1769
Nach Berlin zum Carneval.
23. Dezember 1769
Besieht der König die Wachtparade und begiebt sich dann nach der Porzellanmanufaktur etc.
24. Dezember 1769
Speist Mittags bei der Königin.
Der König schenkt dem General von Steinkeller ein Tafel- und Theeservice von Porzellan.
B.
14. Dezember 1769
Stirbt der Minister von Schlabrendorf in Breslau, 51 Jahr alt.
Der Abbé Bastiani aus Breslau in Berlin, desgleichen der Prinz Wilhelm von Braunschweig.
22. Dezember 1769
Anfang des Carnevals. Die Ordnung desselben war wie im vorigen Jahre.
Es wurden aufgeführt : die Opern Dido abandonata und Phaeton, und die Französischen Schauspiele Eugenie, Le Glorieux.
"Dieser Brief sei nicht vom 25. November 1769, wie in den Baseler oeuv. posth. II. 404 stehe, sondern vom 25. November 1770," allein dies ist gewiß irrig, denn dieser Brief ist offenbar eine Antwort auf Voltaire's Brief vom November 1769, worin er unter anderm sagt, daß in the Whitehall Evening-Post vom 7. Oktober 1769 in Nr. 3668 ein angeblicher Brief von ihm an den König mitgetheilt werde, und daß er der Redaktion dieser Schrift d. d. Ferney den 29. Oktober 1769 geschrieben : der Brief sei albern und nicht von ihm. Nun läßt sich nicht wohl annehmen, daß Voltaire dies erst ein Jahr nachher im November 1770 gethan und dem König gemeldet habe. Auch wird der König den Prolog nicht ein Jahr vorher "in der Eile" verfaßt haben.
332-+ Dieser Brief steht zwar in den 0euvr. posth. unter dem 8. Januar 1770; er gehört aber zuverlässig hierher, denn schon unter dem 18. Dezember 1769 dankt d'Alembert dem König für den überschickten Prolog und beantwortet darin zugleich des Königs Brief vom 15. November 1769, ohne des vom 4. Januar zu erwähnen., welchen er erst den 29. Januar 1770 beantwortet. Daraus ergiebt sich, daß das Datum von d'Alembert's Brief, der 18. Dezember 1769, richtig ist, und zugleich auch, daß der Prolog — wie oben angeführt — am 26. Oktober 1769 zum ersten Mal, und zwar bei dem Lustspiel: la surprise de l'amour, und nicht, wie in Preuß "Friedrich als Schriftsteller" S. 142 gesagt wird, den 27. September 1770 aufgeführt worden ist. Hiermit stimmt auch des Königs Brief an Voltaire vom 25. November 1769, worin der König sagt, daß er den Prolog in der Eile verfertigt habe. Nach S. 143 des angeführten Buches heißt es zwar :