Dezember.
A.
Dezember 1775
Der König in Potsdam.
4. Dezember 1775
Der König an Voltaire :
- etc. - "Sie fragen mich, was der Geist sei? Ach! ich will Ihnen Alles sagen, was er nicht ist. Ich selbst habe so wenig, daß ich um eine Definition davon sehr verlegen sein würde. Wenn Sie indeß verlangen, daß ich, um Ihnen die Zeit zu vertreiben, meinen Roman so gut liefern soll, als ein Anderer, so halte ich mich an die Begriffe, die mir die Erfahrung giebt. Ich glaube mit vollkommener Ueberzeugung, daß ich nicht doppelt existire; daher sehe ich mich als ein einziges Wesen an. Ich weiß, daß ich ein materielles belebtes Geschöpf bin, das Organe hat und denkt; daraus schließe ich, daß die belebte Materie denken kann, so wie sie die Eigenschaft der Elektricität hat.
Ich sehe, daß das animalische Leben von der Wärme und der Bewegung abhängt, daher vermuthe ich, daß die Ursache von beiden wohl eine Partikel von dem Elementarfeuer sein könnte. Ich schreibe die Denkkraft den fünf Sinnen zu, die uns die Natur gegeben hat. Die Begriffe, die sie uns verschaffen, drücken sich in die Nerven ein, durch welche sie dann fortgepflanzt werden. Diese Eindrücke, die wir das Gedächtniß nennen, geben uns Ideen. Die Wärme des Elementarfeuers, die das Blut in einer beständigen Bewegung erhält, weckt diese Ideen auf und verursacht die Imagination. Wenn diese Bewegung leicht und schnell von Statten geht, so folgen die Gedanken schleunig auf einander; ist sie aber langsam und schwer, so kommen auch die Gedanken nur sehr einzeln. Der Schlaf bestätigt diese Meinung. Ist er gut, so zirkulirt das Blut so sanft, daß die Ideen gleichsam erstarrt sind, daß sich die Verstandesnerven abspannen, und daß die Seele gewissermaßen vernichtet scheint. Zirkulirt aber das<130> Blut in dem Gehirn zu heftig, wie bei berauschten Leuten, oder im hitzigen Fieber; so verwirrt und zerrüttet es die Ideen. Eine kleine Obstruktion in den Gehirnnerven verursacht Wahnsinn. Wenn ein Tropfen lymphatischer Feuchtigkeit in dem Cranium aus einander fließt, so zieht er den Verlust des Gedächtnisses nach sich; und wenn endlich ein Blutstropfen, der aus seinem Gefäße getreten ist, auf das Gehirn und dessen Nerven drückt, so verursacht er die Apoplexie.
Sie sehen, daß ich die Seele mehr medizinisch als metaphysisch untersuche. Ich begnüge mich mit diesen Wahrscheinlichkeiten, bis ich etwas Besseres bekomme, und schränke mich darauf ein, daß ich die Früchte Ihres Verstandes, Ihrer immer wieder auflebenden Imagination und Ihres herrlichen Genies benutze, ohne mich darum zu bekümmern, ob diese bewundernswürdigen Talente von angebornen Ideen herrühren, ob Gott Ihnen alle Ihre Gedanken inspirirt, oder ob Sie ein Uhrwerk sind, dessen Zeiger auf Heinrich IV steht, indeß Ihr Glockenspiel die Henriade hören läßt.etc. Ich habe Ihnen lange nicht schreiben können, so eben werde ich von dem vierzehnten Anfalle des Podagras frei. Nie hat es mich so gemißhandelt, ich bin an allen meinen Gliedern halb gelähmt. etc."
5. Dezember 1775
Der König an Voltaire :
- etc. - "Nur das ist wahrer Reichthum, was die Erde hervorbringt. Wer seine Ländereien verbessert, ungebautes Land urbar macht und Sümpfe austrocknet, der macht Eroberungen von der Barbarei und verschafft Kolonisten Unterhalt. Diese arbeiten dann, da sie nun heirathen können, ganz frohen Muthes an der Fortpflanzung des menschlichen Geschlechts und vermehren die Anzahl der betriebsamen Bürger.
Wir haben hier die künstlichen Wiesen der Engländer nachgeahmt, und es ist uns sehr gut damit gelungen, so daß wir<131> nun ein Drittheil Vieh mehr halten. Mit ihrem Pflug und ihrer Säemaschine ist es nicht so gut gegangen; für jenen ist unser Boden zum Theil zu leicht, und diese war für den gemeinen Mann und den Bauer zu theuer. Dafür haben wir es aber dahin gebracht, daß wir nun in unsern Gärten die Rhabarber ziehen. Sie behält alle ihre Eigenschaften und läßt sich eben so gebrauchen, wie die orientalische. Wir haben in diesem Jahre 10,000 Pfund Seide gewonnen, und die Bienenstöcke um ein Drittheil vermehrt.
Das sind meine Kinderklappern im Alter, denn solcher Freuden kann der Geist, wenn auch die Imagination erloschen ist, noch immer genießen. Nicht jeder hat das Glück, unsterblich zu sein, wie Sie. Unser guter Patriarch bleibt immer derselbe. Ich hingegen habe schon einen Theil meines Gedächtnisses, die geringe Imagination, die ich hatte, und meine Beine nach dem Ufer des Kozyts geschickt. Das schwere Gepäck geht voraus, bis dann die ganze Armee folgt. etc."
6. Dezember 1775
Kabinetsordre des Königs, mittelst welcher dem Großkanzler von Fürst der von dem Justizminister von Carmer eingereichte (zweite) ausführliche Entwurf einer neuen Prozeß-Ordnung unter dem Titel: Project des revidirten Codicis Friedericiani, zur reiflichen Erwägung mitgetheilt wird.
30. Dezember 1775
Der König an d'Alembert: "Ich gestehe Ihnen, daß ich kein so großer Stoiker bin, als Posidonius. Hätte Zeno aus Elea vierzehn auf einander folgende Anfälle von der Gicht gehabt, so weiß ich nicht, ob er die Gicht nicht sollte für ein sehr wesentliches Uebel gehalten haben. Der Körper sei nun das Futteral der Seele, oder er mache ihre organische Maschine aus; so ist es darum nicht minder gewiß, daß die Materie außerordentlich auf das Denken wirkt, und daß ihre Leiden in die Länge den Geist traurig machen und niederdrücken. Die Natur schuf uns zu empfindenden Wesen, und durch überraffinirtes Rai<132>sonniren kann uns der Portikus nicht gefühllos machen, wenn er nicht andere Wesen an unsere Stelle setzt. Ich habe sehr heftige Schmerzen erduldet; obgleich meine Krankheit nicht gefährlich war, so veranlaßte ihre Länge doch die Vermuthung, daß ich den Weg betreten würde, der in den Abgrund des Nichtseins führt. Aber meine Stunde war noch nicht gekommen, und noch lebe ich, um die Wissenschaften zu ehren und denen Beifall zuzurufen, die sich, wie ein gewisser Anaxagoras, durch ihren Glanz in denselben auszeichnen. etc."
Der König ging diesen Winter, Krankheits halber, nicht zum Carneval nach Berlin, obgleich er noch mittelst Kabinetsordre vom 28. Dezember 132-+ dem Großkanzler von Fürst angezeigt hatte, daß er auf die nöthige Justizreform einen Theil seines Winteraufenthalts in Berlin verwenden wolle, weshalb er auch den Justizminister von Carmer (aus Breslau) nach Berlin entboten habe.
In Potsdam waren in diesem Monat an verschiedenen Tagen : der Prinz Friedrich von Braunschweig, der General von Buddenbrock (dem der König eine prächtige Tabatiere schenkt), der General von Prittwitz, der Geheime-Rath von Brenkenhof (vom 15ten bis 20sten), die Minister von Finkenstein, von Blumenthal, von Derschau, von Schulenburg, von Gaudi, von Görne, und der Französische Gesandte Marquis de Ponts (vom 22sten bis 25sten), der Minister von Zedlitz (vom 25sten bis 29sten), der General von Ramin (bis den 24sten), dem der König eine prächtige Tabatiere schenkt und eine beträchtliche Summe Geld für die Berliner Garnison einhändigt; die verwittwete Prinzessin von Preußen erhielt vom König<133> ebenfalls eine kostbare Tabatiere von hohem Werth zum Geschenk.
Dem Minister von Zedlitz übergab der König namhafte Summen zur Vertheilung an die pauvre hontoux und andere bedürftige Hausarme.
B.
16. Dezember 1775
Verordnung wegen Armenverpflegung.
28. Dezember 1775
(Erstes) Patent und Reglement für die Allgemeine Wittwenversorgungs-Anstalt.
20. Dezember 1775
Anfang des Carnevals. Sonntag : Cour bei der verwittweten Prinzessin von Preußen; Montag: Oper; Dienstag : Redoute; Mittwoch : Französische Comödie; Donnerstag : Cour bei der Königin; Freitag : Oper; Sonnabend: Ruhe. Die beiden Opern waren: I) Orpheus und 2) Attilius Regulus. Die Französischen Comödien : le Philosophe marié, l'Avare, Tartuffe, Adelaide du Guescelin (beides Trauerspiele von Voltaire), Andromaque.
In diesem Jahre ward das Gebäude für die Königl. Bibliothek auf dem Opernplatz in Berlin zu bauen angefangen.
132-+ Unsere Quelle (Mathis Monatsschrift XI. 267) giebt dies Datum an, es dürfte aber vielleicht wohl der 23. November heißen.