Oktober.
A.
Oktober 1777
Der König in Potsdam (Sanssouci).
5. Oktober 1777
Der König an d'Alembert :
- etc. - "Der Oberst Grimm ist hier durchgegangen, und ich habe ihm ein anderes Gekritzel 171-+ mitgegeben, das ernsthafter als mein Traum ist, und das ich dem Urtheil der Philosophie unterwerfe, welche allein berechtigt ist zu unterscheiden, ob die Menschen richtig oder falsch schließen. Vielleicht halten Sie mich für einen entsetzlichen Papierverderber. Sie werden Sich aber weniger darüber wundern, wenn Sie bedenken wollen, daß ich gewohnt bin, schriftlich zu meditiren, um mich selbst zu corrigiren. Ich befinde mich wohl dabei, weil man seine Betrachtungen vergessen kann, das aber wies derfindet, was man zu Papier gebracht hat.
Frohe Laune, lieber Freund! das ist das beste Erleichterungsmittel, die Bürde des Lebens zu ertragen. Ich sage nicht, daß mau stets Herr darüber sei, sich diese Gemüthsstimmling zu verschaffen; doch wenn man über das Ungemach leicht wegschlüpft, und dem Democrit nachahmt, so kann man über Manches sich lustig machen, was einem Misanthropen schmacklos scheinen würde. etc.
Sie erwähnen einer Aufgabe, die ich der Akademie vorlegen soll. Ach, wir haben nur noch neulich den guten Lambert, eins unserer besten Mitglieder, verloren. Ich weift nicht, wer die Frage: ist es erlaubt, den Menschen zu täuschen? ausarbeiten könnte. Beguelin, glaube ich, wäre allein im Stande, die Frage philosophisch zu behandeln. Ich werde sehen, wie sich das einrichten läßt. Befragen wir<172> die Sekte der Akataleptiker, so müssen wir zugeben, daß der größte Theil der Wahrheiten den. Blick der Menschen undurchdringlich ist, daß wir uns gleichsam in einem dicken Nebel von Irrthümern befinden, der uns das Licht ans immer entzieht. Wie kann denn ein Mensch - außer einigen mathematischen Wahrheiten - versichert sein, seines Gleichen nicht zu betrügen, da er selbst betrogen worden ist? Jeder Mensch, der mit Vorsatz das Publikum, um eigenes Vortheils willen, oder aus einer ihn selbst betreffenden Absicht, hintergehen will, ist unstreitig strafbar; aber ist es nicht erlaubt, die Menschen zu täuschen, wenn man es zu ihrem Besten thut? Z. B. eine Arzenei, die dem Kranken zuwider ist, zu verkleiden, damit er sie einnehme, weil sie das einzige Mittel ist, ihn gesund zu machen? oder den Verlust einer großen Schlacht geringer vorstellen, um nicht eine ganze Nation muthlos zu machen? oder endlich ein Unglück, eine Gefahr zu verhehlen, die Jemanden zu sehr rühren könnte, wenn man sie ihm geradezu ankündigte, um Zeit zu gewinnen, ihn darauf vorzubereiten? Ist die Rede von der Religion, so geben alle Nachrichten, die vom Alterthum auf uns gekommen sind, zu erkennen, daß sich der Ehrgeiz derselben bedient hat, um sich empor zu schwingen. Muhamed und so viele andere Secten bestätigen diese Wahrheit. Ohne Zweifel waren sie strafbar. Bedenken Sie aber auf der andern Seite, daß es wenige Menschen giebt, die nicht furchtsam und leichtgläubig sind, und die sich selbst eine Religion würden gemacht haben, wenn man ihnen keine gepredigt hätte. Daher fand und sah man beinahe auf der ganzen Erdkugel eingeführte positive Religionen. etc."
8. September 1777
Der König nach Berlin, besucht die Prinzessin Amalie, ertheilt dem Oestreichischen Gesandten von Switen die Abschieds- und dem von Cobenzl die Antrittsaudienz. Dem erstern schenkt er eine Tabatiere von hohem Werth.
<173>9. Oktober 1777
Besucht der König wieder die Prinzessin Amalie und geht dann nach Potsdam.
11. Oktober 1777
Der König an Voltaire :
- etc. - "In dem Verhältnisse, wie die Völker civilisirter werden, muß man auch ihre Gesetze mildern. Wir haben es gethan und befinden uns wohl dabei. Der Denkart der weisesten Gesetzgeber zufolge, glaubte ich, es sei besser, Verbrechen zu verhüten und zu verhindern, als sie zu bestrafen. Dies ist mir gelungen. Um Ihnen einen deutlichen Begriff hiervon zu geben, muß ich Sie mit unserer Bevölkerung bekannt machen. Diese beläuft sich nur auf 5,200,000 Seelen. Seitdem nun unsere Gesetze gemildert worden sind, werden bei uns im Durchschnitt jährlich nur 14, höchstens 13 Todesurtheile gefällt. Das kann ich Ihnen um so zuverlässiger sagen, da ohne meine Unterschrift Niemand zur Festungsstrafe, und eben so Niemand hingerichtet werden darf, wenn ich die Sentenz nicht bestätigt habe. Die meisten Delinquenten sind Kindesmörderinnen. Andere Mordthaten giebt es wenig, und noch seltener ist Straßenraub. Aber von den Geschöpfen, die so grausam gegen ihre Leibesfrucht verfahren, werden nur die hingerichtet, denen man die Mordthat beweisen kann. Ich habe alles gethan, was ich konnte, um diese unglücklichen Personen zu verhindern, ihre Kinder über die Seite zu bringen. Die Herrschaften müssen es gerichtlich anzeigen, wenn ihre Mägde schwanger sind. Ehemals nöthigte man diese armen Personen, öffentliche Kirchenbuße zu thun, aber das habe ich abgeschafft. In jeder Provinz giebt es Entbindungshäuser für sie, und man sorgt auch für die Erziehung ihrer Kinder. Allein, ungeachtet aller dieser Erleichterungsmittel, habe ich doch noch nicht dahin kommen können, ihnen das natürliche Vorurtheil, dessentwegen sie ihre Kinder tödten, aus dem Kopf zu bringen. Ehmals sah man es als eine Schande an, Personen zu heirathen, die Mütter waren, ohne einen Mann gehabt<174> zu haben; ich beschäftige mich indeß jetzt mit der Idee, wie ich diese Denkart ausrotten will. Vielleicht gelingt es mir. Die Tortur haben wir ganz abgeschafft, und sie findet schon seit mehr als dreißig Jahren nicht mehr Statt. Aber in republikanischen Staaten muß man vielleicht bei Hochverrat!) eine Ausnahme machen, z. B. wenn es in Genf Bürger gäbe, die schlecht genug dächten, sich mit dem Könige von Sardinien in eine Verschwörung einzulassen, um ihm ihr Vaterland in die Hände zu spielen. Gesetzt, man entdeckte einen von den Strafbaren und müßte nothwendig seine Mitschuldigen wissen, um die Verschwörung ganz ausrotten zu können; so würde es, dünkt mich, das allgemeine Wohl erfodern, dem Delinquenten die Tortur zu geben.
In Civilsachen muß man den Grundsatz befolgen : es ist besser, einen Strafbaren am Leben zu lassen, als einen Unschuldigen hinzurichten. Wenn man über die Unschuld eines Mannes nicht gewiß werden kann, ist es dann nicht besser, ihn in ein Gefängniß zu setzen, als ihm das Leben zu nehmen? Die Wahrheit liegt im Grunde eines Brunnens, es kostet Zeit, ehe man sie herausziehen kann, und oft kommt sie erst sehr spät zum Vorschein. Wenn man sein Urtheil so lange aufschiebt, bis man ganz davon unterrichtet ist, so verliert man nichts und behält seine Gewissensruhe, und darauf muß jeder rechtschaffene Mann denken. etc. Dergleichen Gegenstände sind meine tägliche Beschäftigung. Ich habe mir Grundsätze gemacht, nach denen ich handle, und entwickle sie Ihnen. etc."
171-+ Dem Datum nach muß dies eine andere Schrift sein, als die über die Regierungsformen, oder der oben erwähnte Brief vom September, h. W. 238, müßte vielleicht gar nicht, und an dessen Stelle dieser, vom 5. Oktober, abgeschickt worden sein.