Beilage zum Jahre 1780.
Es gehört unstreitig mit zu den wichtigsten Pflichten eines Regenten, für die Aufnahme der Gewerbe, für den Volksunterricht und für die Rechtspflege zu sorgen. Mit wie großer Thätigkeit und Einsicht der König stets, bis zum letzten Tag seines Lebens, diese Pflichten zu erfüllen sich bestrebt, ergiebt sich, in Betreff der Industrie, aus dem zweiten Theil unserer Beiträge etc., welcher hauptsächlich diesem Gegenstände gewidmet ist; die wichtige Kabinetsordre an den Minister von Zedlitz, den Schuluntericht betreffend, ist oben mitgetheilt, und wir dürfen nun um so weniger die umfassende Kabinetsordre an den Großkanzler von Carmer, welche des Königs Ideen über die Rechtspflege enthält, übergehen, da sie, indem sie sich nur in Mylii Corpus Const. Brand. March. und in einigen andern ähnlichen Schriften befindet, die im Allgemeinen nur Wenigen zugänglich sind, bei Weitem nicht so bekannt ist, wie sie es in mehr als einer Hinsicht verdient.
<244>Kabinetsordre des Königs an den Großkanzler von Carmer:
"Mein lieber Großkanzler von Carmer! Es kann Euch nicht unbekannt sein, daß Ich schon im Jahr 1746 und vorher, bei Verwaltung der Justiz, in Meinem Königreich und Staaten, den bemerkten Unordnungen und Mängeln abzuhelfen bekümmert gewesen, und besonders verordnet habe:
1) daß die Justiz-Kollegia auf einen beßren Fuß eingerichtet, mit geschickten und ehrlichen Männern besetzt,
2) daß die Prozeß-Ordnung von unnützen Formalitäten gereinigt, die Prozesse in einem Jahre zu Ende zu bringen möglich gemacht, und
3) die bisher noch zu sehr zerstreute unbestimmte und zweideutige Gesetze mit möglichster Precision und Deutlichkeit bestimmt und gesammlet werden sollen.
Was nun den ersten Artikel hiervon betrifft; so zweifele Ich gar nicht, daß durch die eingeführte bessere Subordination in denen Kollegien durch bestimmtere Ordnung in allen Geschäften, und besonders durch die Anweisung, nach welcher die sich der Justiz widmenden Kandidaten durch scharfe Examina geprüft, durch mehrere Jahre als Referendarien in denen Kollegiis zu aller Arbeit angeführt, und derselben Denkungsart und Konduite genau erforscht werden sollen, ein hinlängliches Genüge geschehen.
Allein diese der Sache so angemessene Verordnung würde fruchtlos sein, wenn nicht die Präsidenten und Obern eines jeden Kollegii zu genauester Befolgung dieser Vorschrift mit Ernst angehalten werden.
Es ist also Eure Sache, darauf zu sehen, daß Meine Willensmeinung hierin aller Orten aufs genaueste befolgt werde, und müßt Ihr zu solchem Ende von denen Präsidenten und Direktoren der Justiz-Kollegien eine zuverlässige unparteiische und genaue Konduiten-Liste von sämmtlichen Mitgliedern und Subalternen einfordern, auch bei denen Visitationen besonders auf diesen Punkt aufs genaueste inquiriren lassen. Denn es ist nicht genug, wenn ein Justiz-Bedienter sich vor groben Bestechungen hütet, sondern er muß auch in allen Handlungen seines Amtes ohne die geringste Paßion zu Werke gehn, und allen Schein einer Parteilichkeit vermeiden.
<245>Ein Mensch von schlechten Sitten und ohne Moralität vergißt sehr leicht seine Pflichten, und es müssen dergleichen Leute durchaus nicht bei der Justiz geduldet werden. Auch muß Euch dergleichen unwürdiges Subjekt auszustoßen keine Rücksicht auf dessen sonstige Geschicklichkeit, Familie, und andre dergleichen Considerations, abhalten.
Wenn Ich Mich solchergestalt von der Rechtschaffenheit Meiner Justiz-Kollegien versichern kann, so werde Ich auch Meiner Seits ihnen alle Gerechtigkeit widerfahren lassen, und einen jeden nach Würden ehren und belohnen; dagegen aber kenne Ich keine Strafe, die zu hart sein sollte, Leute damit zu belegen, die ihre Pflichten so weit hintanzusetzen im Stande wären, daß sie ihr Amt, welches zu Beschützung der Unschuld und Aufrechthaltung der Gerechtigkeit bestimmt ist, zur Unterdrückung und Vernichtung derselben mißbrauchen sollten.
Was zweitens die Prozesse anlanget, so will Ich wohl glauben, daß die ehemals obgewalteten groben Mißbräuche gehoben worden; im Grunde ist aber dennoch, wie Ihr Mir eingestehen müßt, diese Prozeß-Ordnung noch eben das unschickliche Gewebe des geistlichen Rechts, über welches ganz Deutschland schon seit verschiedenen Jahrhunderten geklagt hat.
Es ist wider die Natur der Sache, daß die Parteien mit ihren Klagen und Beschwerden von dem Richter nicht selber gehört werden, sondern ihre Nothdurft durch gedungene Advokaten vorstellen sollen. Diesen Advokaten ist sehr daran gelegen, daß die Prozesse vervielfältiget und in die Länge gezogen werden; denn davon dependiret ihr Verdienst und ihr ganzes Wohl.
Selbst der redliche Mann unter ihnen, welcher mit Hintansetzung seines Interesse die Pflichten eines guten Bürgers zu erfüllen wünschte, darf als Kläger oder Beklagte nicht offenherzig zu Werke gehen, weil sein Gegner eine umständliche Erzählung des Facti dahin mißbrauchen könnte, ihm eine Menge Beweise auf den Hals zu schieben, und ihn dadurch in ein Labyrinth zu führen, aus welchem er sich ohne Gefahr oder Verlust seines Rechts kaum wieder herauswickeln würde.
Denn wenn der Richter die Akten nicht eher in die Hand bekommt, als bis die Advokaten durch ihre Schriftsätze das Faktum nach Wohl<246>gefallen verdreht und verdunkelt oder mangelhaft vorgetragen haben, so ist es sehr natürlich, daß der Urtelsfasser den rechten Gesichtspunkt verliert, folglich auf unadäquate Weise erkennet, und weil er auf dem eingeschlagnen irrigen Wege fortgehn muß, oft wider seine Ueberzeugung am Ende ein offenbar ungerechtes Urthel zu sprechen genöthigt ist.
Ich kann kaum glauben, daß jemalen einer der alten und vernünfttigen Gesetzgeber auf die Gedanken gerathen sein könne, eine dergleichen unnatürliche Prozeß-Ordnung statuiren zu wollen, und vermuthe vielmehr, daß die Barbarei späterer Zeiten und die Bequemlichkeit der Richter diese Mißgeburt veranlaßt haben.
In der Römischen Geschichte finde Ich nichts, so Mich ein andres vermuthen ließe. Die Richter bei den Römern mußten erst die Sache in facto selbst untersuchen, ehe die von den Partheyen bestellten Redner angehört und das Urthel gesprochen wurde, und wenn es wahr ist, daß auch die päbstlichen Gesetze ausdrücklich verordnen, daß der Richter das Faktum untersuchen und die Advokaten nur die Rechte der Partheyen defendiren sollen, so wird Meine obige Vermuthung zur Gewißheit.
Dem sei aber, wie ihm wolle, so ist es Mein ernstlicher Wille: daß der Richter künftig die Partheien mit ihrer Klage und Verantwortung selber hören, ihre Erzählungen und mitzubringende Beweisthümer gegen einander halten, und so den wahren Zusammenhang der Sache, welche zu dem Rechtsstreit Anlaß gegeben, eruiren; hiernach aber denenselben den Rechten und Billigkeit gemäße Vorschläge zum Vergleich machen solle.
Ich halte Mich versichert, daß schon dadurch, daß die Partheyen von der eigentlichen Lage der Sache unterrichtet werden, die allermehresten Prozesse sich durch Vergleich werden heben lassen.
Diejenigen Rechtshändel, welche auf diese Art nicht beigelegt werden können, sind wenigstens gegen alle Beweis-Erkenntnisse, welche bisher die allermehresten Weitläuftigkeiten verursacht haben, gesichert; und können sodann, so viel die Rechtsfragen betrifft, sehr leicht ferner zum Spruch instruirt werden.
Es ist Meine Meinung hierbei nicht, daß den Partheyen bei der<247>gleichen gerichtlichen Handlungen die Assistenz eines Rechts-Freundes versagt werde; vielmehr finde Ich es nöthig, sowohl dem Kläger als Beklagten, auch schon bei Untersuchung des Facti, seinen Advokaten zu dem Ende zu accordiren, damit derselbe den Richter, welcher vielleicht aus Nachlässigkeit, Mangel der Penetration oder wohl gar aus Partheylichkeit, der ihm obligenden Untersuchung keine Satisfaktion leisten möchte, seiner Pflicht erinnern, ihn in allem kontrolliren, die Rechts-Gründe der Parthey deduciren, und also für die Sicherheit seines Clienten auf alle Art Sorge tragen solle.
Damit aber diese neue Art von Advokaten nicht wieder auf die alten Irrwege gerathen möge, so muß die Sache so eingerichtet werden, daß solche bei dem Verzüge der Entscheidung und Vervielfältigung der Prozesse nicht interessiret sind, sondern einen ganz andern Gesichtspunkt zur Beförderung ihres Glückes und ihres Interesse erhalten.
Die Referendarien müssen nämlich bei Meiner neuen Einrichtung, hauptsächlich bei den Untersuchungen der Sachen in facto gebraucht, und den Räthen dabey zur Hülfe gegeben werden.
Diejenigen Referendarii, welche bei diesen Gelegenheiten die mehreste Geschicklichkeit und Penetration zeigen, werden zu fernerer Beförderung beybehalten, und aus diesen sollen die Advokaten, oder wie man sie füglicher nennen möchte, die Assistenz-Räthe; aus diesen aber in der Folge die würklichen Räthe der Landes-Kollegiorum gewählt werden.
Diese Assistenz-Räthe müssen eben sowohl, als die Räthe der Landes-Kollegiorum, auf fixirte Besoldungen gesetzt, und zu dem Ende ihre Defensions-Gebühren in einer gemeinschaftlichen Sportul-Kasse gesammlet werden.
Es kann wohl sein, daß nur sehr wenige der bisherigen Advokaten sich zu künftigen Räthen qualificiren, und also brodlos werden dürften. Ich werde aber die Verfügung treffen, daß, in so fern brauchbare und ehrliche Leute darunter sind, solche vorzüglich zu Magistrats-Bedienungen, Justiziariaten und andern dergleichen Aemtern wieder emploiret werden sollen. Ganz schlechte Leute verdienen keine Attention.
Was endlich die Gesetze selbst betrifft, so finde Ich es sehr un<248>schicklich, daß solche größtentheils in einer Sprache geschrieben sind, welche diejenigen nicht verstehen, denen sie doch zu ihrer Richtschnur dienen sollen. Eben so ungereimt ist es, wenn man in einem Staat, der doch seines unstreitigen Gesetzgeber hat, Gesetze duldet, die durch ihre Dunkelheit und Zweydeutigkeit zu weitlauftigen Disputen der Rechtsgelehrten Anlaß geben, oder wohl gar darüber: ob dergleichen Gesetz oder Gewohnheit jemals existirt oder eine Rechtskraft erlangt habe? weitläufige Prozesse veranlaßt werden müssen. Ihr müßt also vorzüglich dahin sehen, daß alle Gesetze für Unsere Staaten und Unterthanen in ihrer eigenen Sprache abgefaßt, genau bestimmt und vollständig gesammelt werden.
Da nun aber fast jede Unserer Provinzen ihre besondere Verfassung, Statuten und Gewohnheiten hat, welche sehr von einander unterschieden sind, so muß für jede derselben ein eigenes Gesetzbuch gesammelt und darin Alles eingetragen werden, wodurch sich die Rechte der einen Provinz von der andern unterscheiden.
Weilen aber dennoch dergleichen Provinzial-Statuta und Gewohnheiten sich nur auf gewisse Gegenstände einschränken, und keine allgemeine noch weniger aber vollständige Rechts-Regel enthalten, das Corpus juris vom Kaiser Justinian als das subsidiarische Gesetzbuch fast aller Europäischen Staaten von vielen Jahrhunderten her auch bey uns angenommen worden ist, so kann dieses auch künftig nicht ganz außer Acht gelassen werden. Inzwischen ist bekannt, daß dieses Römische Gesetzbuch größtentheils nur eine Sammlung der Meinungen und Entscheidungen der Rechtsgelehrten einzelner Fälle enthält; sich vielfältig auf die alten und jetzt gar nicht mehr passenden Römischen Verfassungen und Formalitäten bezieht, auch mit vielen Widersprüchen angefüllt ist. Es muß also nur das Wesentliche mit dem Natur-Gesetz und der heutigen Verfassung übereinstimmende aus demselben abstrahirt; das Unnütze weggelassen; Meine eigene Landes-Gesetze am gehörigen Orte eingeschaltet, und solchergestalt ein subsidiarisches Gesetz-Buch, zu welchem der Richter beym Mangel der Provinzial-Gesetze recurriren, angefertigt werden.
Ueberhaupt aber muß Ich hiebei bemerken, daß, wie es Mir<249> scheint, die Römischen Gesetzgeber, welche eben nicht sparsam in den Bestimmungen streitiger Rechtsfragen gewesen, gleichwohl ihr Augenmerk nicht alle Mal genau genung darauf gerichtet haben, was den Zweifeln in Rechtsfällen vorzubeugen und Prozesse zu verhüten dienlich sein könnte.
So ist z. E. bekannt, wie unendlich viele Prozesse aus den Handlungen und Kontrakten über unbewegliche Güter entstehn, weil die Leute dabey sich übereilen, und nicht deutlich und bestimmt genug ausdrücken. Alle dergleichen Prozesse würden vermieden werden, wenn alle Kontrakte über unbewegliche Güter in Gegenwart der Gerichte geschlossen, und von diesen darauf gesehen würde, daß keiner den andern überliste und unbillig vervortheile; der Kontrakt selber aber zu mehrerer Bestätigung desselben Inhalts von dem Richter mit unterschrieben würde.
Denn da die Prozesse allemal zu den Uebeln in der Societät gerechnet werden müssen, welche das Wohl der Bürger vermindern, so ist dasjenige ohnstreitig das beste Gesetz, welches den Prozessen selber vorbeugt.
Wenn Ich, wie nicht zu zweifeln ist, Meinen Endzweck in Verbesserung der Gesetze und der Prozeß-Ordnung erlange, so werden freylich viele Rechtsgelehrten bey der Simplifikation dieser Sache ihr geheimnißvolles Ansehn verlieren, um ihren ganzen Subtilitäten-Kram gebracht, und das ganze Corps der bisherigen Advokaten unnütze werden. Allein Ich werde dagegen Meine getreuen Unterthanen von einer nicht geringen Last befreien, und desto mehr geschickte Kaufleute, Fabrikanten und Künstler gewärtigen können, von welchen sich der Staat mehr Nutzen zu versprechen hat.
Wie nun die Ausführung einer so wichtigen Sache nicht das Werk eines einzelnen Mannes ist, so müßt Ihr die geschicktesten und redlichsten Leute, welche Ihr ausforschen könnt, aufsuchen; die verschiedne Arten der Ausarbeitungen unter sie vertheilen, sie sodann in ein Kollegium zusammen ziehn; und alles mit gemeinschaftlichem Rath reguliren.
Dergleichen Gesetz-Commission muß auch künftig beibehalten werden, damit bei etwa sich ereignenden Mängeln, Undeutlichkeit, oder<250> Fehlern der Gesetze, solche auf eine gründliche Art verbessert, supplirt oder interpretirt werden können.
Dagegen aber werde Ich nicht gestatten, daß irgend ein Richter, Kollegium oder Etats, Minister die Gesetze zu interpretiren, auszudehnen, oder einzuschenken, viel weniger neue Gesetze zu geben, sich einfallen lasse; sondern es muß, wenn sich in der Folge Zweifel oder Mangel an den Gesetzen oder in der Prozeß, Ordnung finden, der Gesetze Kommission davon Nachricht gegeben; von dieser die Sache, mit Rücksicht auf den Sinn und Absicht der übrigen Gesetze, unter Eurem Vorsitz, genau in Erwägung gezogen; und wenn eine wirkliche Veränderung oder Zusatz nöthig wäre, Mir gutachtlicher Bericht darüber erstattet werden.
Ich überlasse Euch also, der Sache ferner nachzudenken, und das Erforderliche zu Ausführung derselben zu veranstalten; und verspreche dagegen, Euch wider alle Kabalen und Widersetzlichkeiten auf das nachdrücklichste zu schützen; Als Euer wohl affektionirter König.
Potsdam, den 14. April 1780.
Friedrich.
An den Groß-Kanzler
von Carmer."