Die Öffentlichkeit konnte jedoch von dem Vorurteil gegen das neue Königtum nicht loskommen. Der gesunde Menschenverstand der Masse wollte mit der Mehrung der Würde eine Mehrung der Macht verbunden sehen. Die, welche nicht zum Volk erhörten, dachten ebenso. Die Kurfürstin ließ sich gegenüber einer ihrer Hofdamen das Wort entschlüpfen: sie sei in Verzweiflung, in Preußen die Theaterkönigin ihrem Äsop gegenüber spielen zu müssen. An Leibniz schrieb sie: „Glauben Sie nicht, ich zöge die Kronen und Würden, von denen man hier soviel Wesens macht, dem Reiz der philosophischen Unterhaltungen vor, die wir in Charlottenburg1 geführt haben.“
Auf die dringenden Anregungen der Königin hin wurde zu Berlin die Königliche Akademie der Wissenschaften errichtet (1700), deren Haupt Leibniz ward. Man brachte Friedrich I. die Überzeugung bei, zu seinem Königtum gehöre auch eine Akademie, so wie man einem frisch Geadelten aufbindet, es schicke sich für ihn, eine Meute zu halten. An anderer Stelle soll von der Akademie noch ausführlicher gesprochen werden.
Nach der Krönung gab sich der König seinem Hang zu Prunk und Zeremonien rückhaltlos hin. Bei seiner Heimkehr aus Ostpreußen hielt er einen glänzenden Einzug in Berlin.
Während man sich so mit Festen und Feierlichkeiten vergnügte, kam die Nachricht: Karl XII., der Alexander des Nordens — der dem mazedonischen König in allem geglichen hätte, wäre ihm das Glück ebenso hold gewesen —, habe bei Riga einen völligen Sieg über die Sachsen davongetragen. Der König von Dänemark2 und der Zar hatten, wie gesagt, den jungen Helden angegriffen, der eine in Schweden, der andere in Livland. Karl XII. zwang den dänischen König in seiner Hauptstadt, Frieden zu schließen3. Von dort setzte er mit 8 000 Schweden nach Livland überschlug bei Narwa 80 000 Russen (1700) und besiegte 30 000 Sachsen beim Übergang über die Düna.
Die Flucht der Sachsen zog sich gegen die preußische Grenze hin. Friedrich I. geriet darob um so mehr in Unruhe, als der größte Teil seiner Truppen in den kaiserlichen Heeren focht, während der Krieg sich seinem neuen Königreich näherte. Mit Rücksicht auf die Fürsprache des Kaisers, Englands und Hollands versprach Karl XII. aber, Preußen gegenüber neutral zu bleiben.
Die folgenden Jahre waren die Triumphzeit des Königs von Schweden. Er verfügte unumschränkt über Polen; seine Unterhandlungen waren Befehle, seine Schlachten Siege. Allein die Siege, so glänzend sie waren, rieben die Sieger auf und nötigten den Helden, seine Heere oft zu ergänzen. Ein Nachschub schwedischer Truppen rückte in Pommern ein. Berlin geriet in Aufregung. Die Truppen durch-
1 Schloß Lietzenburg erhielt erst 1705 nach dem Tode der Königin Sophie Charlotte und zum Andenken an sie den Namen Charlottenburg.
2 Friedrich IV. (1699 — 1730).
3 Friede von Travendal, 18. August 1700.